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SPIEGEL WISSEN 2 | 2014 66 KAPITEL 3 | WIE DAMIT LEBEN? Tückisches Mehl Maurerkrätze, Farmerlunge, Bäckerasthma: Viele Arbeitnehmer leiden unter speziellen Allergien. Die Berufsgenossen- schaften setzen auf Prävention. Von Michaela Schießl HUSTENREIZ Das Übel steckt im weißen Staub der Backstube: Proteine, Enyzme und Partikel von Schädlingen. NORMAN KONRAD / SPIEGEL WISSEN

Tückisches Mehl - SPIEGEL

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SPIEGEL WISSEN 2 | 201466

KAPITEL 3 | WIE DAMIT LEBEN?

Tückisches Mehl

Maurerkrätze, Farmerlunge, Bäckerasthma:

Viele Arbeitnehmer leiden unter

speziellen Allergien. Die Berufsgenossen-

schaften setzen auf Prävention.

Von Michaela Schießl

HUSTENREIZDas Übel steckt im weißenStaub der Backstube: Proteine, Enyzme und Partikel von Schädlingen.

NORMAN KONRAD / SPIEGEL WISSEN

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CLIVE BARRETT HÄTTE NIE gedacht,dass ihm ausgerechnet der Leib Christi dasLeben zur Hölle machen könnte.

Jeden Sonntag feierte der Geistliche inseiner Gemeinde in der St. Cross Churchim britischen Middleton die heilige Kom-munion, mit Hostien und Wein. Doch je öf-ter er das Brot brach, desto schlechter ginges ihm.

Der 1,82 Meter große Mann magerte auf54 Kilo ab. Er aß, aber nach jeder Mahlzeitbekam er heftige Bauchschmerzen. Er ver-lor an Kraft. Bald fehlte ihm sogar die Ener-gie, in Urlaub zu fahren.

Die Ärzte waren ratlos. Sie testeten seinBlut, spiegelten seine Innereien, vermutetenDarmkrebs. Nichts. Es dauerte Jahre, bis die

Ursache der Beschwerden gefunden wurde:Barrett leidet unter Zöliakie, einer Unver-träglichkeit von Gluten. Diese speziellen Ei-weiße stecken in Weizen, Dinkel und Rog-gen – und eben auch in Hostien, die tradi-tionell aus Weizenmehl hergestellt werden.

Barrett war erleichtert – zum einen, weilendlich die Diagnose gefunden war, zumanderen, weil er als Anglikaner nicht denRegeln des Vatikans gehorchen muss. AlsDiener Roms hätte ihn die Krankheit den

Job kosten können. Die katholische Kircheist nämlich eisern, wenn es um ihre Sakra-mente geht. Hostien ohne Weizenmehl sei-en „ungültige Materie“, entschied die rö-mische Glaubenskongregation 1995. Werdiese nicht vertrage, dürfe eben nicht zurPriesterweihe zugelassen werden. Basta.

Erst nach langen, zähen Verhandlungenmit Gemeinden und Gesundheitsverbän-den ließ sich die Kurie zu einem Kompro-miss bewegen. Bereits geweihte Priester,die eine Glutenunverträglichkeit entwi-ckelt haben, dürfen gnädigerweise bei derEucharistie Substitutions-Hostien aus Wei-zenstärke zu sich nehmen.

Für Barrett war das die Rettung – seinProblem war mit einer Ernährungsumstel-

FRISEURLEIDENInhaltsstoffe in Haarfar-ben und Festigern könnenKontaktallergien auslösen,meist Hautekzeme.

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Drittel der Betroffenen sind die Beschwer-den beruflich bedingt.

Ob beim Malen und Lackieren, beim Ar-beiten mit Metall, Chemikalien oder Tie-ren, für Allergiker können all solche Berufezur Gefahr für Leib und Leben werden.Backstuben, Nagelstudios, Schreinereienund Fotolabore sind für ÜberempfindlicheHochrisikobereiche.

JEDES JAHR müssen 30000 Jugend -liche ihre Lehrstellen wieder aufgeben, sodie Berufsgenossenschaft für Gesundheits-dienst und Wohlfahrtspflege, weil sie aufirgendeine Substanz an ihrem Arbeitsplatzallergisch sind. Selbst viele gesunde Jahreim Job sind keine Garantie. Eine Allergie

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lung zu lösen. Viele andere Menschen, dieihr Job krank macht, müssen entweder dau-erhaft Medikamente einnehmen – oder ih-ren Beruf aufgeben. Auf Jucken und Keu-chen, Röcheln und Schniefen folgt nichtselten die Arbeitslosigkeit, eine teure Um-schulung oder die Frühverrentung.

Rund 30 Prozent der erwachsenenDeutschen leiden im Laufe ihres Lebensnach Zahlen des Robert Koch-Instituts un-ter mindestens einer Allergie. Bei einem

kann sich jederzeit, in jedem Alter entwi-ckeln. Von einem Tag auf den anderen rea-giert der Zementmischer auf Kaliumdi-chromat, juckt es den Autobauer nach Kon-takt mit Kühlschmierstoff, pustelt derZahnarzt nach Einsetzen einer Methacry-lat-Prothese. Vor Maurerkrätze, Bäcker -asthma, Farmerlunge ist kein Arbeitneh-mer jemals sicher.

Die Kosten, die durch Umschulung,Reha-Maßnahmen, Frühverrentung und Ar-

FARBENNOTMaler und Lackierer han-tieren mit Chemikalien,die Haut und Atemwegeangreifen können.

FLORISTENQUALNicht nur aggressivePflanzenschutzmittel,auch viele Blüten setzenBlumenhändlern zu.

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beitsausfall entstehen, gehen in die Milliar-den. Die Berufsgenossenschaften, die fürden Großteil der Kosten aufkommen müs-sen, unterhalten ganze Abteilungen, die sichum die Prävention, Heilung, Rehabilitationund, wenn es gar nicht anders geht, auchum einen Berufswechsel kümmern.

BERUFSALLERGIEN BETREFFENvorwiegend Haut und Atemwege. Beson-ders gefährdet sind Arbeitnehmer, derenHände ständig feucht sind oder in Kontaktmit Chemikalien kommen. Das betrifft vorallem Friseure: Sie entwickeln sehr häufigHandekzeme, wenn sie viel färben undDauerwellen legen. Meist stellt sich die Al-lergie erst im zweiten oder dritten Lehrjahrheraus, wenn die Hände vom vielen Haa-rewaschen im ersten Lehrjahr ihre natür-liche Schutzhülle eingebüßt haben unddann wehrlos Chemikalien ausgesetzt sind.

Der schlaue Coiffeur schützt sich mitGummihandschuhen, aber Vorsicht: AuchLatex löst Allergien aus. Eine Zeitlang wardas ein großes Problem für Ärzte, Kranken-schwestern und Pfleger, doch an dieserFront gibt es Entwarnung. In Spitälern,Pflegeheimen und Arztpraxen sind mittler-weile latexfreie Einmalhandschuhe Stan-dard. Tückischer sind Produkte, in denensich Gummimischungen verstecken. Eineritalienischen Studie zufolge sind Sportpro-fis gefährdet, eine Gummiallergie auszubil-den. Fast die Hälfte der untersuchten Per-sonen zeigten eine Kontaktdermatitis aufSchwimmkleidung, Segelzeug und Angler-handschuhe, berichtet die Internetseite allergieinfo.de.

Wer sich vor Schadstoffen in die Naturflüchtet, ist auch nicht unbedingt in Sicher-heit. Die scheinbar harmlose Primel kann,ebenso wie die Chrysantheme, für Floris-ten zur Pest werden. Beide beinhalten All-ergene, die bei Berührung schuppende, näs-sende, brennende, kurz gesagt nervtötendeEkzeme hervorrufen können.

Pflanzenschutzmittel, mit denen in derindustriellen Blumenproduktion nicht ge-geizt wird, tun das Übrige. Chemikalien-schutzhandschuhe schirmen solche Stoffezwar ab, aber versuchen Sie mal, mit diesenDingern einen Blumenstrauß zu binden.Außerdem stellen die Fingerlinge selbst einRisiko dar. Die Berufsgenossenschaft Baulistet elf Gruppen von allergieauslösendenStoffen auf, die in solchen Handschuhenenthalten sein können.

Nicht einmal auf Landluft ist noch Ver-lass. Vielen Bauern setzen der allgegenwär-tige Staub und die Schimmelpilze in ihren

Ställen zu oder die Haare ihrer Nutztiere.Besonders fürchten sich Landwirte undKlauenpfleger vor der Rinderallergie, einerÜberempfindlichkeit gegen eigentlich allesvon der Kuh: Ausscheidungen, Fell, Haut-schuppen, Molke, Speichel oder Frucht-wasser. Allergiker reagieren darauf mit star-ken Atemwegserkrankungen, der Farmer-lunge. Schon bei jungen Menschen kanndie Leistung des Organs schwer einge-schränkt werden. Da kann sogar ein Kuh-pups gefährlich werden.

Wer sich trotz laufender Nase, pfeifen-dem Atem und rissigen Händen nicht vomHof vertreiben lassen will, sollte sich gutschützen. Bei Schnaufbeschwerden mussim Stall eine Feinstaubmaske getragen wer-den, und wenn’s ganz schlimm kommt, einAtemschutzhelm plus Ganzkörperanzug.Dann erkennen die Kühe zwar ihren Bau-ern nicht mehr wieder, doch der überstehtdie Prozedur ohne Erstickungsanfall.

Reha-Fachleute der landwirtschaftli-chen Berufsgenossenschaften raten beischweren Allergiefällen, Stroh durch Gum-mimatten zu ersetzen, um die Zahl der All-ergene zu reduzieren. Entscheidend sei au-ßerdem, den Wohnbereich von den Stallun-

gen strikt zu trennen und vor dem Betretender Stube sämtliche Klamotten zu wechseln.„Die messbaren Spuren von allergieauslö-senden Stoffen reichen bei sehr vielen land-wirtschaftlichen Betrieben bis in den Wohn-bereich hinein“, sagt Astrid Heutelbeck, Ar-beitsmedizinerin und Allergologin der Uni-versitätsmedizin Göttingen. „Manchmalliegt fast eine halbe Kuh mit im Bett.“

Am besten wäre es, die Allergene ganzzu eliminieren, so wie Wilhelm Bollmann,Hofbesitzer im nordrhein-westfälischenHamminkeln. Über Generationen hinweghat seine Familie Milchvieh gehalten. Erübernahm den Hof – und wurde allergischgegen Kuhhaare. Da entschloss er sich, denBetrieb auf Bioproduktion umzustellen.Die Kühe wurden durch Schweine undHühner ersetzt. Bollmann baut Kartoffeln,Möhren, Brokkoli, Kürbisse, Spinat undPorree an. Und kann seitdem aufatmen.

DIE AM SCHLIMMSTEN von Allergiengebeutelte Berufsgruppe sind zweifellosBäcker und Konditoren. In der Backstubelauern nicht nur ein paar vereinzelte, sondern Dutzende Allergiequellen: ver-schiedene Mehle, Eier, Sesamsaat, Nüsse, N

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WIE DAMIT LEBEN?

Konzepte zur Staubvermeidung entstan-den, die Genossenschaften brachten denBäckern bei, nicht mehr so wild mit demMehl zu fuhrwerken. Neue Arbeitsmate-rialien, an denen kein Teig mehr klebenblieb, machten Schimmelpilzen das Über-leben schwer. Ein echter Durchbruch je-doch gelang vor wenigen Jahren mit derEntwicklung hydrothermisch behandelterTrennmehle, die längst nicht mehr so starkstauben. Durch das neue Mehl, so zeigteein Test in einer handwerklichen Bäckerei,konnte die Staubkonzentration halbiertwerden. Erkrankten Bäckern bringt das Er-leichterung, gesunde Bäcker können ihr Er-krankungsrisiko senken.

„Für mich ist das Backhandwerk dasschönste Handwerk“, sagt Peter Becker,Präsident des Internationalen Bäcker- undKonditoreiverbandes. „Man kommt mitMehl, Zucker und Marzipan in Berührung– das sind sympathischere Materialien alsMetall.“

Nicht für seine Tochter Wiebke. Schonals Kind nieste und hustete sie unentwegt,wenn sie durch die Backstube sprang. DieKleine war schwer allergisch. Ihrer Liebezum Backgewerbe konnte das nichts anha-ben. Sie lernte halt Einzelhandelskauffrauund studierte Betriebswirtschaft. Statt Teigzu rühren, führt sie zwei Filialen in Ham-burg und wird bald schon den gesamtenväterlichen Betrieb übernehmen – in ge-bührendem Abstand zur Backstube.

Wer seine Zukunft derart umsichtigplant, muss sich nicht von Allergien gän-geln lassen. Professor Dennis Nowak vonder Deutschen Gesellschaft für Arbeitsme-dizin und Umweltmedizin rät jungen Men-schen dringend, ihre Jobwahl mit einemArbeitsmediziner oder Allergologen abzu-klären. Einzelne Krankenkassen empfeh-len Berufsanfängern mit Allergien, sich be-raten zu lassen, damit sie wissen, auf wel-che Stoffe genau sie allergisch reagieren.Manche Berufe bergen für Anfällige ein be-sonders hohes Risiko. Zudem: Wenn einAsthmatiker Bäcker wird, kann sich seineKrankheit möglicherweise enorm ver-schlimmern.

Noch immer sind zu viele Menschen beider Berufswahl leichtsinnig, so das Ergebnisverschiedener Studien. Obwohl Allergienhäufig zum Ausbildungsabbruch führen,würden selbst bestehende Krankheiten beider Jobsuche irgendwie ausgeblendet. Da-bei bedeutet eine Allergie nicht automatisch,dass ein bestimmter Beruf grundsätzlichausgeschlossen sein muss, so Arbeitsmedi-ziner Nowak. Betroffene müssten jedoch ge-

nau darauf achten, dass sich die Krankheitwährend der Ausbildung nicht verschlim-mere, indem sie sich gezielt schützen.

Wer eine starke Berufskrankheit entwi-ckelt, deren Auswirkungen nur durch dieJobaufgabe gelindert werden können, hatoft einen harten Weg vor sich: „Berufs-krankheitenfeststellungsverfahren“ nenntsich die Bürokratiemühle.

Die zuständigen Berufsgenossenschaf-ten müssen durch teils detektivische Befra-gungen und Untersuchungen herausfinden,ob es sich um eine jobbedingte Erkrankunghandelt und der Auslöser tatsächlich imArbeitsleben zu finden ist und nicht viel-leicht doch im Privatleben des Patienten.Besonders bei Allergien ist der Nachweisoftmals sehr schwierig.

WIRD EINE BERUFSKRANKHEITfestgestellt, stehen den Betroffenen Leis-tungsansprüche der gesetzlichen Unfall-versicherung zu. Die Kosten von Heilbe-handlungen werden übernommen, die Aus-zahlung von Verletztengeld für die Zeit, inder man ausfällt. Jobwechslern stehen fünfJahre lang Übergangsleistungen zu, Um-schulungen werden angeboten, und wer esgar nicht mehr schaffen kann, hat Anrechtauf eine Versichertenrente. Wie hoch dieseist, hängt vom Einzelfall ab.

Damit junge Leute möglichst nicht indie Allergiefalle laufen, hat das Institut fürArbeits-, Sozial- und Umweltmedizin derUniversität München die Internetseitewww.allergierisiko.de geschaffen. Dort kön-nen Jugendliche ihre persönlichen Datenin einen Allergierisikorechner eingeben.Wer etwa beantwortet, wo er sozial steht,ob er gestillt wurde, ob die Eltern Allergienhaben, erhält eine Prognose, wie hoch diepersönliche Wahrscheinlichkeit für eine al-lergische Erkrankung bis ins junge Erwach-senenalter ist. Medizinische Vorhersage-modelle enthält auch eine Broschüre derBundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar-beitsmedizin. Ihr Titel: „Damit der Traum-beruf kein Alptraum wird“.

Der Geistliche Clive Barrett ernährtsich, auch beim Abendmahl, inzwischenstreng glutenfrei. Seitdem hat sich sein ent-zündeter Dünndarm erholt und kann wie-der Nährstoffe aufnehmen. Allerdings darfsich kein noch so kleines Glütchen ins Sys-tem schmuggeln. Um sicher zu sein, keinverstecktes Gluten zu schlucken, kocht ernun selbst und ausschließlich mit frischenZutaten. In kurzer Zeit legte er 18 Kilo zu,die Energie kehrte zurück – und die Freudean der Arbeit. ■

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Mohn, aber auch Getreideschädlinge wiedie Mehlmotte und ihre Verwandten.

Rund 75 Prozent aller Berufskrankheits-fälle in Deutschland gehen auf das Kontovon Mehlstaub. Keine Branche verzeichnetmehr allergisches Asthma oder allergischenSchnupfen, bestätigt die Berufsgenossen-schaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe(BGN). Rund 500 neue Fälle von anerkann-ten allergischen Atemwegserkrankungenregistriert die Versicherung pro Jahr.

Das sind immer noch viele, aber tatsäch-lich gibt es eine deutliche Besserung.Durch Forschung und Präventionsarbeitkonnte in den letzten zehn Jahren die Zahlder an Bäckerasthma erkrankten Beschäf-tigten halbiert werden, sagt Michael Wan-hoff von der BGN. Aufgeschreckt von derhohen Zahl der Berufsabbrecher, wurdeschon in den neunziger Jahren ein umfas-sendes Management-Programm gegenAsthma entwickelt.

ABENDMAHLAuch Hostien könnenGluten enthalten, für Priester mit Zöliakieein Problem.