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Vorlesungs-Skript Technische Mechanik © Prof. Dr. Dieter Joensson HTW Berlin 2016 Fachbereich Ingenieurwissenschaften Technik und Leben Technische Mechanik 1 bis 3 für das 1. bis 3. Fachsemester des Bachelorstudienganges Maschinenbau jeweils mit 4 Stunden pro Woche

Technische Mechanik - joensson.f2.htw-berlin.dejoensson.f2.htw-berlin.de/PS/Joen-Skript_TM.pdf · Technische Mechanik 1 Seite 2 Joensson HTW Berlin S t a t i k 1. Einleitung Statik:

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Vorlesungs-Skript

Technische Mechanik

© Prof. Dr. Dieter Joensson

HTW Berlin 2016Fachbereich Ingenieurwissenschaften

Technik und Leben

Technische Mechanik 1 bis 3

für das 1. bis 3. Fachsemester

des Bachelorstudienganges Maschinenbau

jeweils mit 4 Stunden pro Woche

Inhaltsverzeichnis Technische Mechanik 1

Übersicht Seite 1

Statik

1. Einleitung 2

2. Kräfte 3

2.1 Kraftbegriff 3

2.2 Die Einzelkraft als Vektor mit Wirkungslinie 3

2.3 Zerlegung einer Kraft in Komponenten 4

2.4 Ebenes zentrales Kräftesystem 5

3. Momente 8

3.1 Das Moment einer Einzelkraft 8

3.2 Das Moment eines Kräftepaares 10

3.3 Allgemeines ebenes Kräftesystem 12

4. Zwei Prinzipien der Statik 14

4.1 Das Gleichgewichtsprinzip 14

4.2 Das Schnittprinzip 15

5. Ebene Tragwerke 17

5.1 Elemente, Lager und Verbindungen 17

5.2 Berechnung der Auflagerreaktionen ebener Tragwerke 20

5.3 Streckenlasten 22

5.4 Mehrteilige Tragwerke 25

5.5 Auflagerreaktionen: Statisch bestimmt oder unbestimmt? 27

5.6 Schnittreaktionen ebener Tragwerke 29

5.6.1 Belastung durch Einzelkräfte und -momente 29

5.6.2 Schnittreaktionen infolge Streckenlasten 39

5.6.3 Schnittreaktionen statisch bestimmt oder unbestimmt? 43

5.6.4 Punktweise Berechnung von Schnittreaktionen 45

5.6.5 Krummlinige ebene Tragwerke 48

Inhaltsverzeichnis Technische Mechanik 1

6. Reibung 50

6.1 Einleitung 50

6.2 Haftreibung 50

6.3 Gleitreibung 53

6.4 Seilreibung 55

7. Raumstatik 59

7.1 Auflagerreaktionen 59

7.2 Schnittreaktionen 63

Festigkeitslehre Beginn

1. Einleitung 65

1.1 Mechanische Spannungen 65

1.2 Verformungen 66

2. Spannungen in Balken 67

2.1 Normalspannung σ infolge Längskraft FL (z) 67

2.2 Schubspannung τ infolge Längskraft 68

2.3 Schubspannung τ infolge Querkraft FQ (z) 70

2.4 Normalspannung σ infolge Biegemoment Mb (z) 72

2.5 Spannungsnachweis 78

Inhaltsverzeichnis zu TM 2 (Festigkeitslehre) ab Seite 84

der vorliegenden Datei Joen-Skript_TM.pdf

Siehe auch Lesezeichen der pdf-Datei.

Inhaltsverzeichnis zu TM 3 (Dynamik) ab Seite 156

Literatur-Empfehlungen zur Technischen Mechanik Seite 253

Technische Mechanik 1 Seite 1

Joensson HTW Berlin

© Prof. Dr. Joensson HTW Berlin 2015

Technische Mechanik

Grundlage für Konstruktion im Maschinenbau, Fahrzeugbau und

Bauwesen

3 Teilgebiete: Statik, Festigkeitslehre, Dynamik

Mechanik allgemein

Klassische M. Nichtklass. M.

Festkörper-M. Hydro-M.

(Flüssigkeiten)

Aero-M.

(Gase)

Anwendung auf technische Produkte:

Technische Mechanik

Bauteile ohne Bewegung Bauteile in Bewegung

Statik Dynamik

Bauteile ohne Verformung

Festigkeitslehre

Bauteile mit Verformung

Technische Mechanik 1 Seite 2

Joensson HTW Berlin

S t a t i k

1. Einleitung

Statik: Lehre vom Kräfte-Gleichgewicht an ruhenden starren Körpern. Wesentliche Größen der Statik sind Kräfte und Momente

(das Moment = „Kraft mal Hebelarm“)

Die Bewegung eines Bauteils wird durch einzelne Befestigungen (Lager)

verhindert.

Ziele der Statik:

1.) Ermittlung der Lagerkräfte und Lagermomente des Bauteils infolge

gegebener Belastung.

2.) Ermittlung von Ort und Größe max. Kräfte und max. Momente im

Innern des Bauteils.

Die Statik ist eine notwendige Voraussetzung für jede Festigkeitsberechnung

von Bauteilen.

Erst die berechnete Festigkeit zeigt, ob das Bauteil die Belastung erträgt oder

nicht.

Beispiele: Brücken, Gebäude, Fahrzeuge, Maschinen ….

Technische Mechanik 1 Seite 3

Joensson HTW Berlin

2. Kräfte

2.1 Kraftbegriff Ursprüngliche Form: Gewichtskraft F = m · g

einer Masse m = ρ·V mit Dichte ρ und Volumen V

infolge Erdbeschleunigung g

Maßeinheit der Kraft: 1 kg · m·s-2 = 1 N

Je nach Einwirkungsgebiet unterscheidet man verschiedene Lasten:

Einwirkung räumlich: Volumenlast [ N / mm3 ]

flächenhaft Flächenlast bzw. Druck [ N / mm2 ]

linienförmig Linienlast bzw. Streckenlast [ N / mm ]

punktförmig Einzelkraft [ N ]

2.2 Die Einzelkraft als Vektor mit Wirkungslinie Jede räumliche, flächenhafte oder linienförmige Last kann auf die Wirkung

von Einzelkräften zurückgeführt werden.

Jede Einzelkraft wird durch Betrag und Richtung festgelegt und ist damit ein

Vektor. Beispiel:

Kraft F

mit Betrag F

Kraftangriffspunkt KAP

Wirkungslinie WL

z

y

x

WL

KAP

F

ey

ex

ez

Starrer Körper

Technische Mechanik 1 Seite 4

Joensson HTW Berlin

Die Kraft F

kann längs ihrer WL im starren Körper verschoben werden,

ohne ihre Wirkung zu verändern.

Die Kraft ist ein „linienflüchtiger“ Vektor.

2.3 Zerlegung einer Kraft in Komponenten

F

= F F Fx y z

= Fx · ex

+ Fy · e y

+ Fz · ez

mit

Fi

Kraftkomponente in Richtung i ei

Einheitsvektor der Richtung i

sowie

Fi · ei

= skalare Maßzahl Fi mal Vektor mit Betrag und Richtung

Speziell in der Ebene:

Zerlegung der Kraft

in 2 Komponenten,

deren WLn senkrecht aufeinander

stehen.

α: Winkel zwischen x-Achse und F

Maßzahlen Fx und Fy der Komponenten Fx

und Fy

:

Fx = F · cos α Ankathete / Hyp.

Fy = F · sin α Gegenkath. / Hyp.

KAP

y

x

ey

ex

Fx

Fy

F

Technische Mechanik 1 Seite 5

Joensson HTW Berlin

2.4 Ebenes zentrales Kräftesystem d.h. Anordnung von Einzelkräften, deren WLn in einer Ebene liegen und

sich alle in einem zentralen Punkt schneiden.

z.B.

Weil die Kräfte auf ihren WLn verschoben werden dürfen, können sie alle im

Punkt A angreifen:

Diese Kräfte bilden zusammen 1 resultierende Kraft durch vektorielle

Addition:

FR

= 1F

+ 2F

+ 3F

+ 4F

bzw. allgemein

1

n

R ii

F F

für n Kräfte

Um den Betrag und die Richtung der resultierenden Kraft zu ermitteln, gibt

es zwei prinzipielle Lösungswege: Grafisch und analytisch.

A

F1

F3

F2

F4

A

F3

F2

F1

F4

ebener starrer Körper

Technische Mechanik 1 Seite 6

Joensson HTW Berlin

a) Grafische Lösung

Kräfteparallelogramm für je 2 Kräfte: z.B.

oder „Kräfteplan“

bzw. Kräfteplan für alle Kräfte

d.h. die 4 Kräfte bilden hier folgende Resultierende als Lücke.

b) Analytische Lösung

Zweckmäßig: Koordinatensytem mit Ursprung im Punkt A des zentralen

Kräftesystems

Geg.: Kräfte Fi

Ges.: Betrag FR der resultierenden

Kraft FR

und Winkel α R

zwischen x-Achse und FR

Lösung:

F2 F1

F3

F4 A x

y

1

FRA

F2 F4

F3

F1

FRA

F2 F4

F24

F2

F4

F24

Technische Mechanik 1 Seite 7

Joensson HTW Berlin

Bezüglich x und y hat FR

je eine Komponente FR x

und FR y

.

Die skalaren Maßzahlen dieser Komponenten sind:

FR x =

1

n

i Fi x

FR y =

1

n

i Fi y

mit Fi x = Fi · cos α i

Fi y = Fi · sin α i

! Der Winkel α i muss mathematisch positiv definiert sein (von der x-Achse

beginnend, in Richtung y drehend)

Für den Betrag FR der resultierenden Kraft FR

gilt:

FR = 2 2Rx RyF F

und für den Winkel :

tan α R = Ry

Rx

F

F

bzw.

α R = arctan Ry

Rx

F

F

! Wenn FRx negativ ist, gilt: α R = α R + 180°

i

Fi

Fiy

Fix

Technische Mechanik 1 Seite 8

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3. Momente

Maßeinheit Nm

(Kräfte wirken verschiebend, Momente wirken verdrehend). 3.1 Das Moment einer Einzelkraft Eine Einzelkraft an einem starren Körper erzeugt in jedem beliebigen Punkt

P, der im Körper nicht auf der Wirkungslinie WL dieser Kraft liegt,

eine Drehwirkung mit Betrag und Richtung.

Dieser Vektor heißt Moment M

F

in der Ebene

Der Betrag M von M

ist abhängig vom senkrechten Abstand ℓ zwischen

P und WL:

M = F · ℓ Kraft mal Hebelarm

Allgemeine mathematische Formulierung:

Einführung eines Ortsvektors r

, dessen WL mit der Kraft-WL einen

Winkel β einschließt.

P ℓ

WL

F

M

ebener starrer Körper

Technische Mechanik 1 Seite 9

Joensson HTW Berlin

Dann gilt

M r F

Kreuzprodukt

mit Betrag

M = F · r · sin β

Weitere Möglichkeiten zur Berechnung des Betrages M:

z.B.

a) Komponentenzerlegung der Kraft bezüglich r

- WL

Daraus folgt:

M = F · sin β · r

( F·cos β liefert hier keinen

Beitrag zu M).

b) Zerlegung der Kraft in kartesische Komponenten:

Daraus folgt die Maßzahl

M = M z = Fy · x - Fx · y

↑ ↑

math. positive Drehung um die z-Achse

Vorher vereinbarte Drehrichtung beachten!

Fx

Fy

M

P x

y

x

y

M

r

P

F cos

F sin

M

F

r

r WL von

FWL von

P

Technische Mechanik 1 Seite 10

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3.2 Das Moment eines Kräftepaares

Kräftepaar:

Zwei gleich große, entgegengesetzt gerichtete Kräfte, deren WLn

parallel im Abstand ℓ zueinander liegen.

z.B.

Geg.: 1F

und 2F

Ges.: M

am Punkt P

Betrag von M

: M = F2 · ℓ 2 - F1 · ℓ 1

Mit ℓ 2 = ℓ 1 + ℓ :

M = F2 · ℓ 1 + F2 · ℓ - F1 · ℓ 1

und mit F1 = F2 = F:

M = F · ℓ 1 + F · ℓ - F · ℓ 1

Also M = F · ℓ

Der Abstand zu P spielt hier keine Rolle!

P

F1

F2

ℓ1

ℓ2

M

Technische Mechanik 1 Seite 11

Joensson HTW Berlin

Das heißt, ein Kräftepaar erzeugt ein eigenständiges Einzelmoment, dessen

Wirkung überall gleich groß ist.

Beispiel: Steckschlüssel

Die Drehwirkung ist überall auf der

Ebene die gleiche.

Zusammenfassung:

Moment einer Einzelkraft = Kraft mal Hebelarm (ortsabhängig)

Einzelmoment = Kraft mal [relativer] Hebelarm, nicht ortsabhängig

M

= =

Technische Mechanik 1 Seite 12

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3.3 Allgemeines ebenes Kräftesystem

Die Kräfte-Wirkungslinien schneiden sich nicht in einem einzigen Punkt:

Alle Kräfte bilden auch hier nur 1 resultierende Kraft RF

.

Die WL der resultierenden Kraft kann jetzt sogar außerhalb des Körpers

liegen!

Analytische Lösung: Kartesisches Koordinatensystem

Geg.:

Kräfte Fi

Ges.: a) Betrag FR

b) Winkel α R

c) Lage der WLR

Zu a) FR = 2 2Rx RyF F wie beim zentralen System

mit FRx = 1

n

i Fi x und FRy =

1

n

i Fi y

x

y FR

FRx

FRy WLR

R

F1

F2

F3

F4

Technische Mechanik 1 Seite 13

Joensson HTW Berlin

Zu b) α R = arctan Ry

Rx

F

F

wie beim zentralen System

bzw. α R = α R + 180° (siehe S. 7)

Zu c)

Die Lage der WLR folgt aus einer Momentenbilanz um den Koordinaten-

ursprung.

D.h. alle Kräfte Fi

bilden um den Nullpunkt o ein resultierendes

Moment RoM

mit der skalaren Maßzahl:

M Ro =

1

n

i ( x i · F iy - y i · F ix ) siehe Kap. 3.1

mit x i und y i : Koordinaten des Kraftangriffspunktes der Kraft F

i

Des Weiteren gilt:

M Ro = x R · F Ry - y R · F Rx

Daraus folgt:

y R · F Rx = x R · F Ry - M Ro

und

y R (x R) = Ry

Rx

F

F

· x R - Ro

Rx

M

F

tan α R Schnittpunkt mit der y-Achse

als Gleichung der WLR.

Technische Mechanik 1 Seite 14

Joensson HTW Berlin

4. Zwei Prinzipien der Statik

4.1 Das Gleichgewichtsprinzip

Ein starrer Körper ist im Gleichgewicht („in Ruhe“), wenn gilt:

RF

= 0

und RM

= 0

bzw. ∑ iF

= 0

und ∑ iM

= 0

(vektorielles Kräfte- und Momentengleichgewicht).

Für die analytische Behandlung ist die Zerlegung dieser Vektoren in

kartesische Komponenten zweckmäßig.

Das kartesische System im Raum R3 führt auf 3 „skalare“ Kräftegleich-

gewichte und 3 skalare Momentengleichgewichte (nur andere Schreibweise

zu oben):

∑ F ix = 0 ∑ M ix = 0

∑ F iy = 0 ∑ M iy = 0

∑ F iz = 0 ∑ M iz = 0

Im ebenen Fall bleiben nur 2 Kräftegleichgewichte übrig (z.B. für x und y)

und 1 Momentengleichgewicht (um z).

x

yz

Technische Mechanik 1 Seite 15

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4.2 Das Schnittprinzip

Zielgrößen der Statik sind:

a) Lagerkräfte und Lagermomente

b) Max. Kräfte und Momente im Innern des starren Bauteils

Dazu Schnittprinzip erforderlich.

Zu a)

Ein Tragwerk wird von seinen Lagern „freigeschnitten“:

freischneiden der Lager

liefert

Hier z.B. entstehen 3 unbekannte

Lagerkräfte am Bauteil

Verbleibender „Rest“:

3 entgegen gesetzte Lagerkräfte im

Boden

Theoretische Basis des Schnittprinzips (nach Leonhard Euler):

actio = reactio (nach Isaak Newton)

FAx

FAy

FB

F FAx

FAy

FB

F B

A

Technische Mechanik 1 Seite 16

Joensson HTW Berlin

b)

Zur Ermittlung max. Kräfte und max. Momente im Innern von Bauteilen:

aufschneiden bei z

liefert hier:

linkes rechtes Schnittufer

mit je 2 Kräften und 1 Moment,

( 3 unbekannte „Schnittreaktionen“)

Auch hier gilt: actio = reactio.

F2F1

z

F2 F1

z

Technische Mechanik 1 Seite 17

Joensson HTW Berlin

5. Ebene Tragwerke

5.1 Elemente, Lager und Verbindungen

Tragwerks-Elemente

für

Linientragwerke Flächentragwerke

Seile Stäbe Balken Ebene Flächen

Gekrümmte Flächen

nur Zug Zug

und

Druck

Zug,

Druck

Biegung,

Torsion

TM 1 und 2

Scheiben Platten Schalen

mit Belastung

in der Ebene senkrecht zur Ebene

Finite Elemente

Technische Mechanik 1 Seite 18

Joensson HTW Berlin

Lager

a) Loslager b) Festlager c) Feste Einspannung

(Rollenlager) (mit Gelenk) (angeschweißt, eingemauert)

drehbar und verschiebbar

nur drehbar

absolut fest

Darstellung in TM:

Nach dem Freischneiden entstehen typische „Auflagerreaktionen“ an Stelle der Lager:

nur 1 Kraft zur Verschiebungs-

richtung

2 Kräfte zueinander

2 Kräfte und 1 Moment

Das sind „Halte-Kräfte“ und „Halte-Momente“.

Technische Mechanik 1 Seite 19

Joensson HTW Berlin

Sonderfall des Loslagers: Die Pendelstütze

Balken

wird zur Berechnung der Auflagerreaktionen ersetzt durch ein Loslager:

d.h. die Lagerkraft greift hier

schräg an

(stets in Stab-Längsrichtung)

Stäbe und Balken können außerdem noch untereinander durch Gelenke

verbunden sein:

z.B.

Zur Berechnung werden die Gelenke aufgeschnitten. Sie liefern an jedem

Schnittufer je 2 Gelenkkräfte.

nur 2 unbekannte Kräfte Gx und Gy je Gelenk

Gx Gx

GyGy

Festlager

Starrer Stab mit 2 Gelenken

Technische Mechanik 1 Seite 20

Joensson HTW Berlin

5.2 Berechnung der Auflagerreaktionen ebener Tragwerke Beispiel 1

Geg.: F, ℓ und a

Ges.:

Auflagerreaktionen

Lösungsweg allgemein:

1.) Freischneiden der Lager (extra Skizze erforderlich!)

2.) Gleichgewichts-Bedingungen aufstellen

3.) Daraus Lagerkräfte und / oder Lagermomente berechnen

F

A B

a ℓ

Technische Mechanik 1 Seite 21

Joensson HTW Berlin

Beispiel 2

Geg.: F, ℓ , Winkel α

Ges.:

Auflagerreaktionen

F

ℓ2ℓ

A

Technische Mechanik 1 Seite 22

Joensson HTW Berlin

5.3 Streckenlasten Intensität q in N/m

Ersatzkräfte für Streckenlasten:

Ersatzkraft = Flächeninhalt der Streckenlast, im Schwerpunkt S der Fläche wirkend:

Konstante Streckenlast q [in N/mm] infolge Flächenlast p [in N/mm2]

Linear verteilte Streckenlast

Flächenlast p (t) = ρ g t

z.B. infolge Wasserdruck p(t)

mit ρ: Dichte der Flüssigkeit, g: Erdbeschleunigung, t: Tiefe der Flüssigkeit

t p (t)

b

t

t

b

p

b a

ba

q

Grundlänge a

S

q a

½ a

q ½ q a (halbiertes Rechteck)

S

⅓ a zur „hohen Kante“ a

q2

q1

q2 - q1

Streckenlast

q (t) = ρ g t · b

q = p b

Technische Mechanik 1 Seite 23

Joensson HTW Berlin Beispiel:

Geg.: q, ℓ

Ges.:

Auflagerreaktionen

Lösung: Freischneiden der Lager

und

Eintragen der Ersatzkräfte für die Steckenlasten

(mit Angabe ihres Ortes!)

Streckenlasten nur als

Silhouette mit

Schwerpunkten

darstellen

Rechteck-Ersatzkraft: Höhe mal Breite der Fläche bei 2 ℓ / 2

Dreieck: Kraft = Höhe mal Breite, halbiert

Schwerpunkt bei 1

3 (mal 3 ℓ ) im Abstand zur „hohen Kante“

q

2ℓ 3ℓ B

A

Technische Mechanik 1 Seite 24

Joensson HTW Berlin

Aus (3):

Einsetzen in (1):

d.h. FAy wirkt hier nach unten, damit das Tragwerk im Gleichgewicht

bleibt.

Technische Mechanik 1 Seite 25

Joensson HTW Berlin

5.4 Mehrteilige Tragwerke

d.h. mehrere starre Tragwerksteile sind durch Verbindungs-Gelenke

gekoppelt. z.B.

Statisches Gleichgewicht insgesamt, wenn jedes Teil im statischen

Gleichgewicht ist.

3 Gleichgewichtsbedingungen ( „= 0“ )

für jedes Teil [in der Ebene]

Beim Freischneiden muss jedes Verbindungs-Gelenk durchtrennt werden:

Teil 1:

Teil 2:

also 6 Gleichungen für 6 Unbekannte

( 4 Auflagerkräfte und Gx, Gy)

F

F

Gx Gx

GyGy FAx

FAy

FBx

FBy

FF

Gelenk

je 2 Gelenk-Kräfte, entgegengesetzt gerichtet

Technische Mechanik 1 Seite 26

Joensson HTW Berlin Beispiel:

Geg.: q, F, ℓ

Ges.:

Auflagerreaktionen

Freischneiden:

Teil 1:

Frei wählbare

Richtungen

für xG , yG !

Teil 2:

nicht frei wählbar!

(umgekehrt zu vorher)

G A

2ℓGy

Gx

ℓFAy

FAx

MA

B

G A

ℓ ℓ ℓ 2ℓ

F

q F

2q

Technische Mechanik 1 Seite 27

Joensson HTW Berlin

Damit 6 Gleichungen für 6 Unbekannte: FB, FAx , FAy , MA , Gx, Gy Aufgabe lösbar. 5.5 Auflagerreaktionen: Statisch bestimmt oder unbestimmt?

Ob die Auflagerreaktionen überhaupt mit statischen Formeln berechenbar

sind, kann vorher ermittelt werden mit

n = a + 2 g - 3 s

mit n: Grad der statischen Unbestimmtheit

a: Anzahl der unbekannten Auflagerreaktionen

g: Anzahl der Verbindungs-Gelenke

s: Anzahl der starren Tragwerksteile

Nur für n = 0 sind die Auflagerreaktionen mittels Statik-Formeln berechen-

bar.

Das Tragwerk ist „statisch bestimmt“ für n = 0.

Technische Mechanik 1 Seite 28

Joensson HTW Berlin Drei Beispiele: mit je zwei Festlagern (d.h. 4 Auflagerkräfte, also a = 4 ):

kein Gelenk,

nur 1 Teil:

g = 0

s = 1

1 Gelenk,

2 Teile:

g = 1

s = 2

2 Gelenke,

3 Teile:

g = 2

s = 3

also

n = 4 + 2 · 0 - 3 · 1

n = 1

1-fach statisch

unbestimmt!

erst mit

Festigkeitslehre

berechenbar

n = 4 + 2 · 1 - 3 · 2

n = 0

statisch bestimmt

d.h.

Auflager

mittels

Statik-Formeln

berechenbar

n = 4 + 2 · 2 - 3 · 3

n = - 1

1-fach

beweglicher

Mechanismus

Dynamik-Formeln

erforderlich

! Allerdings ist n = 0 nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende

Bedingung, um ein berechenbares System zu erhalten.

Im Zweifelsfall sollte zusätzlich geprüft werden, ob die Koeffizienten-

Determinante des statischen Gleichungssystems ungleich Null ist.

Nur dann ist das System auch tatsächlich mit Statik berechenbar.

Zwei Beispiele für n = 0:

Technische Mechanik 1 Seite 29

Joensson HTW Berlin

5.6 Schnittreaktionen ebener Tragwerke

5.6.1 Belastung durch Einzelkräfte und Einzelmomente

Mit dem Schnittprinzip sind auch innere (Schnitt-) Kräfte und (Schnitt-)

Momente ermittelbar.

Beispiel:

3 unbekannte die gleichen 3 Schnittreaktionen

Schnittreaktionen in umgekehrter Richtung!

An der Schnittstelle S gibt es 3 Schnittreaktionen (für ebene Tragwerke):

FL Längskraft = FL (z) oder auch „Normalkraft“ N (z)

FQ Querkraft = FQ (z) oder auch Q (z)

M b Biegemoment = M b (z)

Berechnet werden diese Reaktionen aus 3 Gleichgewichtsbedingungen.

F

FSchnitt an der Stelle z

Schnittgebiet

z

A

A S

z

MA Mb

FL

FQ FAy

FAx FL

FQMb F

Fℓ - z

Technische Mechanik 1 Seite 30

Joensson HTW Berlin Z.B. gilt hier für das linke Teil:

Die Unbekannten FL, FQ und M b können nur berechnet werden, wenn

vorher die Auflagerreaktionen ermittelt wurden!

Also zuerst

Einsetzen in (1) bis (3) liefert:

Aus (1): F + FL = 0 folgt FL = - F konstant über z

Aus (2): F - FQ = 0 FQ = + F konstant über z

Aus (3): M b - ( - F · ℓ ) - F · z = 0

M b = - F · ℓ + F · z

bzw. M b = F · (z - ℓ ) linear mit z veränderlich!

MA

FAy

FAx

F

Fℓ

Technische Mechanik 1 Seite 31

Joensson HTW Berlin

D.h. es sind 2 Werte zur Beschreibung dieser Funktion erforderlich, z.B.

„Anfangswert“ AW M b (z = 0) = F (0 - ℓ) = - F · ℓ

und

„Endwert“ EW M b (z = ℓ) = F (ℓ - ℓ) = 0

Grafische Darstellung der berechneten Schnittgrößen:

Längskraft-Verlauf über z

(negative Längskraft = Druck)

Querkraft-Verlauf über z

Biegemomenten-Verlauf über z

Anfangswert (bei z = 0)

z

FL

0

-F FL (z)

z

FQ

0

FQ (z)+F

z

Mb

0

Mb (z) -Fℓ

Technische Mechanik 1 Seite 32

Joensson HTW Berlin Schnittreaktionen für mehrere Bereiche:

Einteilung eines Tragwerkes in mehrere Bereiche, wenn

Unstetigkeitsstellen

auftreten, z.B.

Krafteinleitungen,

Abwinkelungen,

Beginn und Ende von Streckenlasten.

Jeder Bereich i erhält eine eigene Ortskoordinate z i (frei wählbar!).

Beispiel mit 5 Bereichen:

Je Bereich entstehen 3 Schnittgrößen FL (z i)

FQ (z i)

M b (z i)

Die 3 Gleichgewichtsbedingungen je Bereich i

liefern bei n Bereichen 3· n Gleichungen für die 3· n Unbekannten.

Vorher sollten die Auflagerreaktionen ermittelt werden!

F1

F2 z1 z2 z3

z4

z5

q

Technische Mechanik 1 Seite 33

Joensson HTW Berlin Empfehlungen zum Richtungssinn der Schnittreaktionen

(die Koordinaten z i sind frei wählbar)

FLi zeigt in positive z i -Richtung („geradeaus weiter“ wie z i )

FQi „rechts abbiegen“ zu z i

M bi frei wählbar, aber !

gleich gerichtete z i erfordern gleich gerichtete M bi , ansonsten

entstehen Fehler.

Beispiel:

z i frei wählbar, z.B. oder oder

falsch!

Damit entsteht hier im M b -Verlauf ein Sprung, den es real nicht gibt!

z1 z2 z3 z4

Fq

z1 z2 z3 z4

Mb4Mb1

z1 z2 z3 z4

entgegengesetzt gerichtet

Technische Mechanik 1 Seite 34

Joensson HTW Berlin Empfehlung zur Vermeidung derartiger Fehler:

„Unterkante“ verwenden!

z.B.

Jedes M bi beginnt bei der Unterkante und krümmt sich um die z i -Spitze.

Auch für abgewinkelte und verzweigte Tragwerke bestens geeignet:

Je Bereich nur 1 Unterkante festlegen!

Zunächst wird hier eine durchgehende Unterkante eingetragen. Anschließend

wird der verbleibende Rest frei wählbar mit einer Unterkante markiert.

z1 z2

z3

z2

z3

z1

z4

Mb4

Mb1

F

z3 z4z2 z1 Mb4

Technische Mechanik 1 Seite 35

Joensson HTW Berlin Lösungsweg Schnittreaktionen

1.) Auflagerreaktionen berechnen

2.) Prinzipskizze mit Unterkante speziell für M bi

Koordinaten z i frei wählbar

Unterkante frei wählbar

M bi nicht frei wählbar!

3.) Bereichsweise aufschneiden (je Bereich neue Skizze!)

4.) Je Bereich FL , FQ , M b aus den 3 Gleichgew.beding. ermitteln

5.) Grafische Darstellung der Schnittreaktionen

Beispiel:

Geg.: F, ℓ

Ges.:

Schnittreaktionen

mit graf. Darstellung

Lösung:

1.) Auflagerreaktionen

· · · FAx = F

FAy = 1/3 F

FB = 2/3 F

FF

ℓ2ℓ

FAx

FAy FB

FF

BA

ℓ2ℓ

Technische Mechanik 1 Seite 36

Joensson HTW Berlin 2.) Prinzipskizze zu M bi

2 Bereiche

z i frei wählbar

Unterkante frei wählbar

M bi nicht frei wählbar

3.) und 4.) Bereichsweise aufschneiden und Gleichgewichte ermitteln

Bereich 1 z 1 = 0 … 2ℓ

Gleichgewichtsbedinungen ( „= 0“ ):

Aus (1) folgt: FQ1 = FAy

also FQ1 (z 1) = 1

3 F konstant über z 1

Aus (2) : FL1 = - FAx

FL1 (z 1) = - F konstant (Druck)

z2z1 Mb1 Mb2

Technische Mechanik 1 Seite 37

Joensson HTW Berlin Aus (3) folgt: M b1 = FAy · z 1

M b1 (z 1) =

1

3 F· z 1 linear über z 1 verteilt

Also 2 Werte ermitteln bei z 1 = 0 und z 1 = 2ℓ:

M b1 (z 1 = 0 ) = 0 („Anfangswert“ AW)

M b1 (z 1 = 2ℓ ) = 2

3 F· ℓ („Endwert“ EW)

Bereich 2 z 2 = 0 … ℓ

Aus (1) FQ2 = - FB

FQ2 (z 2) = - 2

3 F konstant

Aus (2) : FL2 (z 2) = 0

Aus (3) M b2 = FB · z 2

z 2 S2

Mb2

FQ2 FL2

FB

Technische Mechanik 1 Seite 38

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also M b2 (z 2) =

2

3 F· z 2 linear über z 2 verteilt

2 Werte: M b2 (z 2 = 0 ) = 0 (AW)

M b2 (z 2 = ℓ ) = 2

3 F· ℓ ( EW)

5.) Grafische Darstellung der Schnittreaktionen

z.B. positive Werte auf der Unterkanten-Seite auftragen (frei wählbar!)

Sprünge im FQ –Verlauf bedeuten

Lager- und Belastungs-Kräfte zur Balken-Längsachse.

An diesen Stellen hat der M b -Verlauf Knicke.

FFz1 z2

Druck

-F 0 FL (z)

FB

F FAy

FQ (z)

F 1 3

F23-

0 0

Mb1 (z1) Mb2 (z2)

Mbmax = F ℓ23

Mb (z)

Technische Mechanik 1 Seite 39

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5.6.2 Schnittreaktionen infolge Streckenlasten

Beispiel:

Geg.: q, F, ℓ

Ges.:

Schnittreaktionen

mit graf. Darstellung

Zuerst Auflagerreaktionen

· · · FAx = F

FAy = q ℓ

M A = - ½ q ℓ2

Dann Schnittreaktionen.

Die beiden häufigsten Irrtümer bei Streckenlasten:

1.) q·ℓ ist eine Einzelkraft, die eine Unstetigkeit

darstellt.

2.) Die Ersatzkraft der Restfläche von 0 bis

z i -Spitze ist q·ℓ

Beides ist falsch!

Zu 1)

Eine kontinuierlich verlaufende Streckenlast erzeugt jeweils nur 1 Bereich.

Zu 2)

Die korrekte Ersatzkraft lautet: q· z i

zi

½ ℓ

q ℓ

F FAy

FAx

MA

q

F

Technische Mechanik 1 Seite 40

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Zurück zum Beispiel von Seite 39:

Prinzipskizze, z.B. so:

Bereich 1 z 1 = 0 … ℓ

Aus (1) : FL1 (z 1) = F konstant (Zug)

Aus (2) : FQ1 (z 1) = - q· z 1 linear über z 1

2 Werte: FQ1 (z 1 = 0 ) = 0 (AW)

FQ1 (z 1 = ℓ ) = - q · ℓ ( EW)

Aus (3) : M b1 (z 1) = -

1

2 q · z 1

2 quadratisch über z 1

drei Werte!

Anfangswert: M b1 (z 1 = 0 ) = 0

Mittenwert: M b1 (z 1 = ½ ℓ ) = - 1

2q ·

1

4ℓ2 = -

1

8 q ℓ2

Endwert: : M b1 (z 1 = ℓ ) = - 1

2q ℓ2

z1

q z1

F FQ1

FL1

Mb1

z1

2

S1

Mb1z1

Technische Mechanik 1 Seite 41

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Grafische Darstellung der Schnittreaktionen

z.B. positive Werte auf der Unterkante

z1

F

FL1 (z1)

FQ1 (z1) (- q ℓ)

Mb1 (z1) (- ½ q ℓ²)

½ ℓ

Technische Mechanik 1 Seite 42

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Extremwertberechnung

Zur genauen Ermittlung der „Scheitelwerte“ nicht-linearer Schnittverläufe.

z.B.

Ort des Extremwertes

Beispiel von Seite 40:

M b1 (z 1) = - 1

2 q · z 1

2

Ges.: Ort 1z und Größe b1M des Extremwertes dieser Funktion.

Lösung:

a) 1. Ableitung (Tangente) b1 1

1

d M z

d z = -

1

2 q · 2 z 1

b) Nullsetzen dieser Funktion liefert den Ort z 1 = 1z des Extremwertes

1ˆ0 zq ( 1 Gleichung für 1 Unbekannte)

Ergebnis 1z = 0

c) Einsetzen in die Funktion M b1 (z 1) liefert die Größe des

Extremwertes.

b1M = M b1 (z 1 = 1z ) = - 1

2 q · 0 2 = 0

Hier zufällig identisch mit dem Anfangswert.

Mb (z) bM

z

Mb

z

Tangente parallel zu z: bd M

d z

liefert bM

Technische Mechanik 1 Seite 43

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5.6.3 Schnittreaktionen statisch bestimmt oder unbestimmt?

Statisch bestimmte Schnittreaktionen sind nur dann vorhanden, wenn beim

Aufschneiden der Struktur nicht mehr als 1 Schnittstelle entsteht.

Sowohl beim Freischneiden der Lager als auch beim Aufschneiden

der Struktur werden stets geschlossene Schnittgebiete gebildet!

z.B.

Schnittgebiet für die Auflager

Dann z.B. Schnittgebiet für die

Schnittreaktionen bei S1

im waagerechten Abschnitt

Muss die Struktur beim Aufschneiden eines Tragwerk-Bereiches mehr als

einmal durchtrennt werden, sind die Schnittreaktionen statisch unbestimmt.

D.h. sie sind mit den Gleichgewichtsformeln der Statik allein nicht

berechenbar. Zusätzlich sind dann Formänderungsgleichungen der

Festigkeitslehre erforderlich.

Derartige Schnittreaktionen entstehen in „nicht-offenen“ Ringstrukturen:

Beispiel mit statisch bestimmten Auflagern und statisch unbestimmten Schnittreaktionen

(diese Struktur muss hier mindestens zweimal durchtrennt werden, um ein geschlossenes Schnittgebiet zu erhalten)

=> z1S1

S2

z1

S1

Technische Mechanik 1 Seite 44

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Bei „offenen“ Strukturen dagegen ist stets ein geschlossenes Schnittgebiet

möglich, das nur 1 Schnittstelle erzeugt:

Zwei Beispiele für bereichsweise unterschiedliche statische Bestimmtheit der

Schnittreaktionen:

u) statisch unbestimmt

b) statisch bestimmt

c) wie b, allerdings müssen vorher die statisch unbestimmten

Auflager ermittelt werden

b

b

b

ccu

u

u

=> z1S1

Technische Mechanik 1 Seite 45

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5.6.4 Punktweise Berechnung von Schnittreaktionen

(Ohne Erfahrung mit bereichsweiser Berechnung nicht empfehlenswert!)

Beispiel:

Geg.: F, a, q = F / a

Ges.:

Schnittreaktionen

punktweise

Zuerst Auflagerreaktionen: …. FA = 5

3 F (↑) FB x = 0 (←) FB y =

4

3 F (↑)

Dann Schnittreaktionen punktweise:

1.) Markante Punkte wählen

Je Tragwerksbereich

Anfang und Ende

Bei Streckenlasten zusätzlich Zwischenpunkte wählen

(hier z.B. Punkt 4, um den nichtlinearen M b -Verlauf zu erfassen,

siehe später Kap. 5.6.5)

2.) Prinzipskizze für die Schnittmomente:

z i frei wählbar

in Balken-Längsrichtung,

jeweils vom Punkt i

beginnend

Unterkante frei wählbar

M bi nicht frei wählbar

z1z2z3z4 z5

Mb1Mb5

F

15

4 3 2

Fq

BA

2a a

Technische Mechanik 1 Seite 46

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3.) Punktweise Schnittreaktionen:

An jedem Punkt i wird der Reihe nach auf der Seite des z i -Pfeiles eine

feste Einspannung simuliert.

Punkt 1:

FL in Richtung z 1

FQ rechts abbiegen

M b nach Prinzipskizze

Punkt 2:

Die Kraft F ist hier noch nicht vorhanden!

Punkt 3:

usw. bis Punkt 5.

4/3F

FQ3

FL3

Mb3 3

a

F

4/3F

FQ2

FL2

Mb2 2

a

1 FBx = 0

4/3F

FQ1

FL1

Mb1

Jetzt mit F !

Technische Mechanik 1 Seite 47

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4.) Grafische Darstellung der Schnittreaktionen:

z.B. positive Werte auf der Unterkante oder auf der Oberkante

z.B.

FQ-Verlauf

usw.

Vorteil

der punktweisen Berechnung:

Mit einiger Erfahrung genügt es, nur wenige Punkte oder nur einen

einzigen kritischen Punkt des Bauteils auszuwählen, um wesentliche

Werte der Schnittreaktionen zu finden.

Nachteil:

Ohne Erfahrung sind leicht Fehlschlüsse möglich!

Kontrolle:

Querstehende Lager- und Belastungskräfte führen zu Sprüngen im FQ-

Verlauf

Extremwerte im M b -Verlauf treten genau dort auf, wo FQ (z) durch

Null verläuft.

+ 5/3F

- 4/3F

1

5 4

3 2

+ 5/3F

- 4/3F

Technische Mechanik 1 Seite 48

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5.6.5 Krummlinige ebene Tragwerke

Zwei Beispiele:

Zuerst Auflagerreaktionen ermitteln

(dabei spielt die Krümmung des Tragwerks keine Rolle).

Beispiel (X): FA x = 0 (→) FA y = q · a (↑) FB = q · a (↑)

Beispiel (Y): FA x = 0 (→) FA y = F (↑) M A = - F · 3a ( )

Dann Berechnung der Schnittreaktionen

entweder

bereichsweise

Die z-Koordinaten müssen dann allerdings der krummlinigen

Tragwerkskontur angepasst werden (z.B. in Form von

Polarkoordinaten oder anderen geeigneten Koordinaten).

oder punktweise

Das soll nachfolgend für einen Punkt i des Tragwerks Y gezeigt werden.

(Um den kompletten Verlauf der Schnittreaktionen zu ermitteln, sind

selbstverständlich mehrere Punkte erforderlich).

i zi

A

3a

F

Y)q

B

A

X)

2a

Technische Mechanik 1 Seite 49

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Für jeden gewählten Punkt i wird eine feste Einspannung auf der Seite der

Pfeilspitze von z i simuliert:

Am Festhaltepunkt i wird tangential zur Kontur die Koordinate z i angetra-

gen und in gleiche Richtung die Längskraft FL i.

FQ i „rechts abbiegend“ bezüglich z

M b i gemäß Unterkante (die vorher festgelegt wurde).

Anschließend wird hier die Last F in Komponenten zerlegt bezüglich FL i

und FQ i, Bild (c).

Dann folgen aus den Kräftebilanzen und die Schnittreaktionen FL i

und FQ i .

Für die Momentenbilanz genügt Bild (b), um mit Kraft mal Hebelarm M b i

zu ermitteln.

Auf diese Weise können für mehrere Punkte die Schnittreaktionen berechnet

und anschließend grafisch dargestellt werden.

Voraussetzung:

Schlanke Stäbe mit Krümmungen, deren Innen-Radien nicht kleiner als der

fünffache Balken-Durchmesser sein sollten.

FQi

FLi

Mbi

Fℓ Fq

F

FQi

FLi

Mbi

F

c)b) a)

= =

Technische Mechanik 1 Seite 50

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6. Reibung

Haftreibung, Gleitreibung und Seilreibung 6.1 Einleitung Bisher nur Belastung durch physikalisch eingeprägte Kräfte (Einzelkräfte,

Streckenlasten) und Momente.

Zusätzlich können auch Zwangskräfte infolge Reibung als Belastung

oder als Lagerung auftreten.

Reibkräfte sind spezielle Auflagerkräfte, deren Richtungen beim

Freischneiden nicht frei wählbar sind!

6.2 Haftreibung

Erdbeschleunigung g

Freischneiden des Radiergummis

zunächst nur für α = 0 Grad:

Normalkraft FN

(„normal“ =

zur Auflagefläche

als Stützkraft)

m g

FN

FN

g

Lineal

Radiergummi mit Masse m

Beispiel:

Technische Mechanik 1 Seite 51

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In Schräglage α ≠ 0 sind zwei Stützkräfte erforderlich: FN und FR

Reibkraft FR :

entgegengesetzt zur möglichen

Bewegungsrichtung

Die Kraft FN ist außerdem um eine Strecke f parallel verschoben in

Richtung der möglichen Bewegungsrichtung.

Zerlegung der Gewichtskraft mg in zwei Komponenten:

also

Aus (3) ist die Größe der Parallelverschiebung f berechenbar.

Aus (1) folgt: FN = mg · cos α

und aus (2): FR = mg · sin α

FN

S

f

A

mg sin d 2

FR

S mg sin mg cos

FN FR

m g

S

f

„Hangabtriebskraft“

mg cos

Technische Mechanik 1 Seite 52

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Erst bei einem bestimmten Winkel α = αo beginnt der Körper zu

rutschen!

Für diesen Winkel erreicht die statische Reibkraft ihren max. Wert

FRmax = mg · sin αo

Gleichzeitig wird FN minimal FNmin = mg · cos αo

Daraus folgt mg = FNmin / cos αo und eingesetzt in FRmax:

FRmax = FNmin · o

o

sin

cos

bzw. FR ≤ tan αo · FN

Der Faktor tan αo heißt Haftreibungskoeffizient μo .

Also FR ≤ μo · FN

bzw. bei voller Auslastung der Reibkraft: FR = μo · FN

μo kann nur experimentell ermittelt werden und ist abhängig von der

Werkstoffpaarung, der Oberflächenrauhigkeit und dem Schmierzustand.

z.B. Paarung μo

trocken μo

geschmiert

Stahl - Stahl 0,15 0,10

Stahl - Grauguss 0,20 0,12

Gummi-Asphalt 0,80 0,40

Radiergummi-Lineal

Radiergummi-Lineal:

Lineal der Länge 30 cm,

Höhe h messen

Dann gilt: sin αo = h / ℓ bzw. αo = arcsin ( h / ℓ ) z.B. h = 13 cm liefert: αo = 25,7° und damit μo = tan 25,7° = 0,48 ≈ 0,50

h

Technische Mechanik 1 Seite 53

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6.3 Gleitreibung (für Bewegungsvorgänge)

trockene Reibung flüssige Reibung Mischreibung

Coulombsche vollkommen teilweise Reibung geschmiert geschmiert

mit Statik nicht berechenbar nur für konstante

Relativ-Geschwindigkeit

mit Statik-Formeln berechenbar:

FR = μ · FN Coulombsches Reibungsgesetz

mit μ Gleitreibungskoeffizient ( μ < μo )

Die Gleitreibungskraft FR ist unabhängig vom Betrag der relativen

Geschwindigkeit der aneinander reibenden Körper und wirkt stets auf das

schnellere Teil bremsend.

Beispiel Bremsvorrichtung

Geg.: F, ℓ1 , ℓ2 , μ

Drehzahl n

Ges.:

Auflagerreaktionen

im Lager A

F

B

A

n

ℓ2ℓ1

Technische Mechanik 1 Seite 54

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Freischneiden des Bremshebels:

! In C fehlt noch die Reibkraft

Richtungen frei wählbar

Am Reibungspunkt C sind die Richtungen der Stützkräfte nicht frei

wählbar!

Insbesondere die Richtung von FR sollte zuerst nur am schnelleren Teil

(bremsend) angetragen werden:

Nur so wirkt hier FR bremsend

Demzufolge am Hebel:

usw.

F

C

FN

FAx

FAy

FN

B n

FR

Technische Mechanik 1 Seite 55

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6.4 Seilreibung (an Seiltrommeln)

nach Euler und Eytelwein

Umschlingungswinkel α

Seilkräfte FS1 , FS2

Für die Seilkräfte gilt:

FS1 = FS2 · e

bei Gleitreibung

d.h. für

Relativbewegung zwischen

Seil und Trommel (Bremsvorgänge)

sowie

FS1 = FS2 · oe

bei Haftreibung

Keine Relativbewegung zwischen

Seil und Trommel (Transmission)

Jeweils mit α in Bogenmaß.

Außerdem gilt: FS1 > FS2

d.h. vor der Berechnung sollte geprüft werden, welche der beiden Seil-

kräfte die größere Kraft ist. Diese ist dann FS1 .

FS1

FS2

Technische Mechanik 1 Seite 56

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Beispiel:

Geg.:

m = 1000 kg

g = 9,81 m/s2

α = 900° ( 2 ½ mal umschlungen)

μo = 0,30

μ = 0,20

Ges.: Erforderliche Haltekraft FH

Lösung:

Haftreibung FS1 = FS2 · oe

Die größere Kraft ist hier mg, d.h. FS1 = mg und FS2 = FH

also

mg = FH · oe

Daraus folgt:

FH = mg · oe

---------------------- . . . FH = 88,1 N ==========

FH

g

m

Technische Mechanik 1 Seite 57

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Aufgabe K 51 Zunächst Berechnung der „Auflagerreaktionen“ FR i und FN i

Je Reibungspunkt

zwei Stützkräfte

FR und FN r = Restabstand zur Wand h = kritische Höhe (aus r über Strahlen- satz berechenbar)

Gleichgewichtsbedingungen:

Das sind nur 3 Gleichungen für 5 Unbekannte:

FR u , FN u , FR o , FN o und r.

Bei voller Auslastung der Haftreibung gilt:

r

h

b

a

U

O (Oben)

Länge ℓ

FG

FRU

FNU

FRO

FNO

Technische Mechanik 1 Seite 58

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Aufgabe K 51: Lösungsweg in Matrix-Schreibweise

(nur zur Information) 5 Gleichungen mit 5 Unbekannten:

(1) (2) (3)

(4) (5)

Zuerst geordnete Reihenfolge der Unbekannten frei wählbar festlegen, z.B.

FN u , FN o , FR u , FR o und r

In dieser Reihenfolge wird jede Gleichung neu geschrieben, z.B. Gl. (1):

1 · FN u + 0 · FN o + 0 · FR u + 1 · FR o + 0 · r = + FG

usw.

bzw. rationeller in einem Matrix-Schema:

FN u FN o FR u FR o r = rechte Seite

1 0 0 1 0 FN u FG

0 1 - 1 0 0 FN o 0

- a 0 b 0 FG FR u = 0

- μo 0 1 0 0 FR o 0

0 - μo 0 1 0 r 0

Koeffizienten-Matrix K ↑ Vektor r der Unbekannten- rechten Seite

Vektor u in der gewählten Reihenfolge

d.h. K · u = r liefert den Vektor u durch Invertieren der Matrix K:

u = K -1

· r = ( 734, 220, 220, 66, 1.147 ) T für die vier Kräfte in N und die Länge r in Meter.

·

Technische Mechanik 1 Seite 59

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7. Raumstatik

7.1 Auflagerreaktionen

Ebene und räumliche Lagertypen Seite 60

Beispiel ebene Statik:

freischneiden:

FA x = 3 F

FA y = - 2 F

MA = F·ℓ

bzw. in Schrägansicht:

Doppelpfeil:

Daumen der rechten Hand

in Pfeilrichtung,

dann zeigen die Finger

die Drehrichtung.

2ℓ

3F

2F

2ℓ

MA

FAy

2F

3F

FAx A

2ℓ

3F

2F

MA

FAy FAx

frei wählbare Richtungen

Technische Mechanik 1 Seite 60

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Verschiedene Lagertypen der Technischen Mechanik:

4 B

eisp

iele

für

umli

che

Lag

erty

pen

Ebe

ne L

ager

type

n de

r T

echn

isch

en M

echa

nik

Technische Mechanik 1 Seite 61

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Beispiel zur Raumstatik:

Wie auf S. 59,

jetzt aber mit dem einzigen

Unterschied:

zur Zeichenebene wirkt zusätzlich 1 Kraft F

Freischneiden des Lagers:

Die feste Einspannung erfordert hier 3 Haltemomente und 3 Haltekräfte

(gemäß Tabelle auf S. 60)

Also 6 unbekannte Lagerreaktionen 6 Gleichgewichtsbedingungen.

Schrägansicht zweckmäßig, z.B. mit Koordinate x in Stab-Längsrichtung:

Den Koordinaten entsprechende Lagerreaktionen:

2ℓ

2F

3F F

A

MAy

FAy

FAxMAx

FAz

MAz

2ℓ

2F

3F

x

y

z

F

2ℓ

3F

2F

F

Technische Mechanik 1 Seite 62

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2·F liegt hier parallel zu und 3·F zeigt genau auf

Aus (1) bis (6) folgt:

FA y = - 2 F FA z = F MA x = - F·ℓ

FA x = + 3 F MA y = - 2 F·ℓ MA z = - F·ℓ

Also

im Unterschied zum ebenen Beispiel auf S. 59:

2ℓ

2F

3F F

2Fℓ

2F

3F Fℓ F

Fℓ

2ℓ

2F

3F

2F

3F Fℓ

Technische Mechanik 1 Seite 63

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7.2 Schnittreaktionen

Jede Schnittstelle wirkt wie eine feste Einspannung (mit 6 unbekannten

„Lagerreaktionen“).

Jeder Bereich i erhält ein eigenes, frei wählbares Koordinatensystem, z.B.

An der Schnittstelle S i entstehen stets 6 Schnittreaktionen:

1 Längskraft FL geradeaus weiter wie z

2 Querkräfte FQ x und FQ y in Richtung x und y

2 Biegemomente M b x und M b y um die Achsen x und y

1 Torsionsmoment M t z für Torsion um die Achse z

Zu jeder der 6 Schnittreaktionen entsteht ein spezieller Verlauf.

Für das obige Beispiel:

M b x und M b y

3FℓFℓ

2Fℓ Mby

Fℓ

Mbx

2F

3FF

x2

y2

z2

S2

2F

3FF

x

y

z

FQx

FQy

Mby

Mbx

FLMtz

3Fℓ

Technische Mechanik 1 Seite 64

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Leere Seite

Technische Mechanik 1 Seite 65

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F e s t i g k e i t s l e h r e

1. Einleitung Technische Mechanik

Statik Festigkeitslehre Dynamik

- Auflagerreaktionen (statische Festigkeit) - Schnitt-

reaktionen Material- eigenschaften

Spannungen

und

Verformungen

Festigkeitslehre: Berechn. mechanischer Spannungen und Verformungen

sowie Vergleich dieser Werte mit zulässigen Werkstoff-

Kennwerten

1.1 Mechanische Spannungen

(„flächenbezogene“ Schnittreaktionen)

Spannung = Schnittkraft pro Fläche bzw. Schnittmoment pro Flächen- kennwert

Maßeinheit: N/mm2 oder MPa [ Mega-Pascal ]

Es gibt zwei Spannungsarten:

Normalspannung σ [ sigma ] und Schubspannung τ [ tau ]

(„normal“) zur Schnittfläche tangential zur Schnittfläche

Technische Mechanik 1 Seite 66

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1.2 Verformungen

Relative Verformung

Dehnung ε [ epsilon ] in %

und

Relativer Verzerrungswinkel γ

[ gamma ] in %

z.B.

Stab-Längsdehnung

ε = ∆ℓ / ℓ in %

Absolute Verformung

Verschiebung v in mm

und

Verdrehwinkel φ [ phi ] in Grad

oder in rad (Bogenmaß)

z.B.

Die relative Verformung ε

steht im engen Zusammenhang zur Spannung.

Speziell

bei elastischem Materialverhalten des Werkstoffes

gilt das Hookesche Gesetz

σ = E · ε

Mit σ Spannung in N/mm2

E Elastizitätsmodul des Werkstoffes in N/mm2

ε Dehnung, dimensionslos

B AF

B vmax

Fℓ ℓ

Technische Mechanik 1 Seite 67

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2. Spannungen in Balken

2.1 Normalspannung σ infolge Längskraft FL

Beispiel:

Balken mit Rechteck-Querschnitt

Höhe h, Breite b

Schnittreaktion FL (z):

und

Schnittstelle S vergrößert dargestellt:

A = b · h

Aus FL (z) entsteht Normalspannung in Längsrichtung

σL (z) = LF

A in N/mm2 = MPa

Die gleiche Spannung wirkt am „Rest-Balken“:

L

F

z

L

z FL (z)

F FL

S

z

FAy = 0

FAx = F

MA = 0

Fh

z

Schnittfläche

FL

Technische Mechanik 1 Seite 68

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2.2 Schubspannung τ infolge Längskraft FL

Bei schrägem Schnitt zerfällt die Kraft FL (z) in zwei Komponenten

FNL Normalkomponente von FL

( zur Schnittfläche)

FTL Tangentialkomponente

( parallel zur Schnittfläche)

Schnittfläche As > A

Somit entsteht

infolge FNL

und gleichzeitig Schubspannung infolge FTL

in N/mm2 = MPa

Diese Spannungen wirken an beiden Schnittufern jeweils entgegengesetzt:

Schubspannung bedeutet stets Abscheren

F

TL

S

F

A

NL

S

F

A

FL (z)

FTL

FNL

Technische Mechanik 1 Seite 69

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Bei zweifach schrägem Schnitt entstehen drei Spannungen, weil FL

bezüglich diese Schnittfläche Azs drei Kraftkomponenten hat:

Eine Normalkraft FN L und zwei Tangentialkräfte FT L 1 , FT L 2 führen

auf drei Spannungen:

1 Normalspannung σ = N L

zs

F

A

und 2 Schubspannungen senkrecht zueinander:

τ 1 = T L 2

zs

F

A

τ 2 = T L 2

zs

F

A

FL (z)

FTL1

FTL2

FNL Azs zweifach schräg

Technische Mechanik 1 Seite 70

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2.3 Schubspannung τ infolge Querkraft FQ

FQ (z) führt zum Abscheren und

damit zu einer Schubspannung τ Q

Aus FQ und A kann zunächst näherungsweise ein konstanter mittlerer

Wert τ Qm berechnet werden:

„Grobabschätzung“ τ Qm =

QF

A

in N/mm2 = MPa

Tatsächlich aber ist die Querkraft-Schubspannung τ Q über der Quer-

schnittshöhe nicht-linear verteilt:

Der Maximalwert τ Qmax in der Mitte ist nur abhängig von der Quer-

schnittsform.

Zum Beispiel gilt für alle Rechteck-Querschnitte:

τ Qmax =

3

2 · τ Qm

Q

FQ Q = 0

Qmax

Q = 0

y

z

Q (y)

FQ (z)

z A Q

Technische Mechanik 1 Seite 71

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Für Vollkreis-Querschnitte:

τ Qmax =

4

3 · τ Qm

Für dünnwandige Rohr-Querschnitte:

τ Qmax = 2 · τ Qm

bzw. für beliebige Rohr-Querschnitte:

τ Qmax = k · τ Qm

mit k = 2 2

2 2

4 · ( r r · r r )

3 · ( r r )i i a a

i a

Bei schlanken Balken ist die Schubspannung τ Qmax deutlich kleiner als die

maximale Biegespannung:

τ Qmax << σ b max

und kann deshalb für derartige Balken vernachlässigt werden.

Bei nicht-schlanken Balken (kurze Schrauben, Nieten und Stifte) kann

jedoch τ Qmax größer werden als σ b max

und muss dann unbedingt mit berechnet werden, wenn die Festigkeit des

Bauteils ermittelt werden soll.

Technische Mechanik 1 Seite 72

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2.4 Normalspannung σ infolge Biegemoment Mb

Infolge M b (z) entsteht σ z (in Längsrichtung z des Balkens).

Diese Spannung ist linear verteilt über dem Querschnitt des Balkens.

Schnittstelle S vergrößert dargestellt:

oben: Druck-Normalspannung σ z (negativ zur z-Richtung)

unten: Zug-Normalspannung σ z („geradeaus weiter“ wie z)

Bei y = 0 ist σ z = 0 („neutrale Faser“):

neutrale Faser

z (z)

z = 0

zmax

zmax

S Mz (z)

z

y

y

x

z

z (y,z)

Mb = Mbx (z) S

S Mb (z)

z

Seitenansicht

linear über y

z.B.

Technische Mechanik 1 Seite 73

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Der jeweils größte Betrag σ z max im Querschnitt bei z heißt

„ Biegespannung “ σ b = σ z max

Berechnungsformel:

Betrag des Biegemomentes σ b = b

b

M

W

=

Widerstandsmoment gegen Biegung

bzw. ausführlicher

σ b (z) =

b

b

M z

W z

Die so genannte Biegespannung ist lediglich eine Spannung am Rand des

Querschnittes!

Das „Widerstandsmoment“ W b ist kein mechanisches Moment (Kraft mal

Hebelarm), sondern

eine spezielle Querschnittskenngröße (ähnlich dem Flächeninhalt A),

allerdings mit der Maßeinheit mm3 Kubik-Millimeter.

W b ist nur eine abgeleitete Hilfsgröße

aus Flächenträgheitsmomenten I x x oder I y y (siehe später in TM 2).

Technische Mechanik 1 Seite 74

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Beispiele für W b (vorerst ohne Herleitung):

1.) Rechteck-Querschnitte

A = b h

W b = 2b h

6

für Biegeachse parallel zur

Breite b

Für eine Biegeachse parallel zur Höhe h gilt: W b = 2h b

6

2.) Vollkreis-Querschnitt

A = π r 2

W b = 4

r 3 =

32

d 3

2.) Rohr-Querschnitt

A = π ( ra 2 - ri

2 )

W b = a4 r

( ra

4 - ri 4 )

↑ Außenradius

S

Biegeachse S h

b

Technische Mechanik 1 Seite 75

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Bei Tragwerken mit gleich bleibendem Querschnitt, d.h.

W b (z) = W b konstant

entsteht die max. Biegespannung genau an der Stelle, wo Mb max

vorhanden ist:

σ bmax = b max

b

M

W

Beispiel: Lösung der Aufgabe K 35

Die Biegespannung hat hier über z denselben Verlauf. Lediglich der

Maßstab ist verändert: Statt Nm entstehen für σ b Zahlenwerte in N/mm2.

Diese Biegespannungen gelten nur jeweils am oberen und unteren

Rand des Balken-Querschnittes.

87,3 cm 168 cm

- 423 Nm

0

406 Nm

504 Nm

389 Nm

M b -Verlauf

Technische Mechanik 1 Seite 76

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Noch ein Beispiel:

Daraus folgt:

M b –Verlauf über z

mit M b max bei z = 0

und mit W b = 2b h

6 = konstant:

Die Randspannung σ b (z)

nimmt hier linear

von F

beginnend

zu - wie M b (z)

Um hier die Spannung konstant zu halten, müsste der Querschnitt über z

verändert werden:

Formoptimierung !

F

z h (z)

bmax b2 b1 b = 0

z

Mb (z)

F

z

ℓ b

h

Technische Mechanik 1 Seite 77

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Beispiel

M b -Verläufe von Brücken:

Technische Mechanik 1 Seite 78

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2.5 Spannungsnachweis

Die berechnete max. Spannung muss kleiner oder gleich einer zulässigen

Spannung sein:

σ max ≤ σzul Spannungsnachweis

bzw.

σ b max ≤ σzul wenn nur Biegespannung vorkommt

oder

τ max ≤ τzul wenn nur Schubspannung vorkommt

mit τzul ≈ 0,8 · σzul

Wenn Normalspannungen und Schubspannungen gleichzeitig auftreten:

Spannungsnachweis für mehrachsige Beanspruchung erforderlich

( TM 2)

σzul ist der zulässige Werkstoff-Kennwert:

σzul = krit

S

mit S: Sicherheitsfaktor

! Je nach Einsatzgebiet (Kranbau, allgemeiner Maschinenbau,

Fahrzeugbau usw.) gibt es für σzul und τzul verschiedene

Richtwerte!

In erster Näherung S ≈ 1,5 für statische Beanspruchung

und S > 2 für dynamische Beanspruchung

Technische Mechanik 1 Seite 79

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σkrit ist der kritische Werkstoff-Kennwert:

z.B. = „ Streckgrenze “ Re bei Baustahl

oder = „ 0,2%-Dehngrenze “ Rp0,2 bei hochfestem Stahl oder bei Aluminium

oder = „ Zugfestigkeit “ Rm bei Gusseisen

Beispiel: Statisches Materialverhalten von Baustahl S 235

Zugversuch der Werkstofftechnik an ungekerbten Zugproben

Gemessen wird die Längenänderung ∆ℓ infolge der Belastung F

.

Ergebnis Spannungs-Dehnungs-Diagramm σ (ε)

σp Proportionalitätsgrenze (bis dahin ist σ proportional zu ε )

Re Streckgrenze oder Fließgrenze σF oder Rp0,2

(d.h. bei Entlastung von Re = Rp0,2 auf σ = 0 bleibt ein Restdehnung von etwa 0,2 % übrig)

Rm Zugfestigkeit des Werkstoffes (danach beginnt die Einschnürung des Querschnittes)

0 0

pRe

Rm

ε = 0,2 %

Hookesches Gesetz σ = E · ε

σ aus F mit Einschnürung berechnet

Einschnürung der Probe

Bruch

= ∆ℓ / ℓ in %

= F

A in N/mm2

F

Aℓ

Technische Mechanik 1 Seite 80

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Mit σzul = eR

1,5 wird sichergestellt, dass der größte Spannungswert

kleiner als σp ist.

Das Bauteil darf dann mit σzul unendlich oft statisch (langsam) belastet

und entlastet werden.

Wenn der Spannungsnachweis nicht erfüllt ist, muss das Tragwerk

neu dimensioniert

werden: Querschnitts-Dimensionen verändern

und / oder

anderen Werkstoff verwenden.

Spannungsnachweis und Auslastungsgrad:

σ max ≤ σzul durch σzul liefert den „Auslastungsgrad“ a:

a = max

zul

≤ 1,0

Der Spannungsnachweis ist erfüllt für a ≤ 100 %

und ist nicht erfüllt für a > 100 %.

Inhaltsverzeichnis Technische Mechanik 2

Festigkeitslehre weiter

3. Flächenträgheitsmomente 1

3.1 Einleitung 1

3.2 Berechnung von Flächenträgheitsmomenten 3

3.3 Flächenträgheitsmomente mit Steiner-Anteil 7

3.4 Flächenträgheitsmomente für zusammengesetzte Flächen 8

3.5 Berechnung des Flächenschwerpunktes 10

3.6 Hauptträgheitsmomente 12

4. Biegeverformung elastischer Balken 15

4.1 Einleitung 15

4.2 Lösungsweg „Biegelinie“ 15

4.3 Überlagerung von Verformungen 24

4.4 Statisch unbestimmte Auflager 28

5. Torsion 29

5.1 Einleitung 29

5.2 Torsion kreiszylindrischer Stäbe 31

5.3 Reine Torsion von Stäben mit beliebiger Querschnittsform 34

5.4 Ort der maximalen Torsions-Schubspannung 37

5.5 Der Schubmittelpunkt und seine Torsionswirkung 37

6. Vergleichsspannungen 39

6.1 Einleitung 39

6.2 Die Normalspannungshypothese 41

6.3 Die Gestaltänderungsenergiehypothese 41

6.4 Spannungsnachweis für mehrachsig beanspruchte Balken mit kreisförmigen Querschnitten

42

Inhaltsverzeichnis Technische Mechanik 2

7. Gestaltfestigkeit 46

7.1 Statische Festigkeit gekerbter Bauteile 46

7.2 Statischer Spannungsnachweis für gekerbte Bauteile 53

7.3 Dynamische Gestaltfestigkeit 54

8. Knickung elastischer Stäbe 55

8.1 Einleitung 55

8.2 Elastische Stabknickung nach Euler 55

8.3 Knickspannung und Gültigkeitsgrenze der elastischen Stabknickung 57

8.4 Nichtelastisches Knicken nach Tetmajer 61

8.5 Das Knickspannungs-Diagramm 62

8.6 Stab-Dimensionierung auf Druckbeanspruchung 64

8.7 Biegeknicken 65

Inhaltsverzeichnis zu TM 1 (Statik) ab Seite 2

der vorliegenden Datei Skript_TM.pdf

Inhaltsverzeichnis zu TM 3 (Dynamik) ab Seite 156

Technische Mechanik 2 Seite 1

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3. Flächenträgheitsmomente

3.1 Einleitung

Bisher Biegespannung σ b = b

b

M

W

mit Widerstandsmoment Wb gegen Biegung.

Wb folgt aus dem „Flächenträgheitsmoment“ Ixx der Querschnittsfläche:

Wb x =

max

xxI

y für Biegung um die

x-Achse

z.B.

mit | ymax | :

Betrag des maximalen Abstandes in

y-Richtung zwischen Schwerpunkt S

der Querschnittsfläche und einer

Querschnittskante.

bzw. aus dem Flächenträgheitsmoment Iyy :

Wb y =

max

yyI

x für Biegung um die

y-Achse

Daumen der rechten Hand in y-Richtung: Dann zeigen die

Finger die „Kipp-Bewegung“ der Querschnittsfläche bei dieser

Biegung (hier also: „Hochkantbiegung“ um y).

Ixx und Iyy sind spezielle Flächen-Kennwerte.

S ymax

xmax

y

x

z

Technische Mechanik 2 Seite 2

Joensson HTW Berlin

Aus Wb x folgt die Biegespannung σ b x = b x

b x

M

W

bzw. mit Ixx formuliert:

σ b x = b x

xx

M

I | ymax |

Biegespannung für

Biegung um die x-Achse

Für Biegung um die y-Achse gilt: σ b y = b y

b y

M

W

bzw. ausführlicher

σ b y =

b y

yy

M

I | xmax |

Wb x und Wb y sind nur abgeleitete „Hilfsgrößen“ insbesondere für die

Biegespannungs-Berechnung.

!

Biege-Verformungen (Kapitel 4) werden ausschließlich mit Hilfe von Ixx

und/oder Iyy berechnet.

Dazu ist Wb NICHT geeignet.

Technische Mechanik 2 Seite 3

Joensson HTW Berlin

3.2 Berechnung von Flächenträgheitsmomenten

Geg.: Beliebige Fläche A mit Schwerpunkt S und Koordinatensystem xy

durch S

Für diese Fläche gilt: Ixx = 2

( )A

y dA „axiale“

Iyy = 2

( )A

x dA Flächenträgheitsmomente

sowie

Ixy = -

( )A xy dA

„Zentrifugalmoment“ bzw. „Deviationsmoment“

Konkretes Beispiel:

Rechteck-Querschnitt

Allgemein gültig: Ixx = 2

( )A

y dA

Hier: dA = b · dy

mit konstanter Breite b, also

Ixx = y2 b dy

bzw. für y = - 2

h bis +

2

h :

dy

x

y

h

b

S

x

y

S

A

Technische Mechanik 2 Seite 4

Joensson HTW Berlin

Ixx = b ·2

2

2

h

h

y dy

2

h

= b ·

3

3

y

=

3 3

3 8 8

b h h

=

3 3

3 8 8

b h h

2

h

und damit

Ixx =

12

b h

Analog dazu entsteht

aus Iyy = 2

( )A

x dA : Iyy = 3·

12

h b

Und schließlich noch das zentrifugale Flächenträgheitsmoment:

Ixy = - ( )A xy dA jetzt mit dA = dx · dy

liefert ein Doppelintegral: Ixy = - (x·y) dx dy= - 2 2

2 2

h b

h b

(x·y) dx dy

2

b

dy = - 2

2

h

h

y ·2

2

x

2

b

usw. ….

Ergebnis: Ixy = 0

Technische Mechanik 2 Seite 5

Joensson HTW Berlin Flächenkenngrößen des Rechteckes: (mit x parallel zur Breite b )

A = b · h in mm2

Wb x =

2 ·

6

b h in mm3 *)

Wb y =

2 ·

6

h b

Ixx =

3 ·

12

b h in mm4

Iyy =

3 ·

12

h b

Ixy = 0

*) wegen Wb x = max

xxI

y mit | ymax | =

2

h , Wb y =

max

yyI

x mit | xmax | =

2

b

Weitere Beispiele: Vollkreis und Kreisring

Die Integral-Herleitung für diese Flächen liefert folgende Ergebnisse:

Radius r

Ixx = Iyy = 4

r 4

Ixy = 0

Wegen | ymax | = | xmax | = r

entsteht daraus Wb x = Wb y = 4

r 3 r

Außenradius ra

Ixx = Iyy = 4

4 4

a ir r

Ixy = 0 x

y

S

ra

x

y

S

Technische Mechanik 2 Seite 6

Joensson HTW Berlin Die Kreisring-Fläche hat wegen | ymax | = | xmax | = ra folgende Widerstands-

momente:

Wb x = Wb y = xx

a

I

r =

4 · ar

4 4

a ir r

Bei gleicher Balken-Querschnittsfläche A können die Trägheitsmomente

des Kreisringes wesentlich größer sein als die des Vollkreises.

Dies führt dann zu wesentlich größeren Biegesteifigkeiten!

bei gleicher Querschnittsfläche:

Das heißt, bei gleichem Materialeinsatz haben Rohre eine größere Festigkeit

als Balken mit Vollkreis-Querschnitten.

In der Natur: Schilfrohr, Bambusrohr, Röhrenknochen ….

In der Technik: z.B. Rohre für Baugerüste …

Technische Mechanik 2 Seite 7

Joensson HTW Berlin

3.3 Flächenträgheitsmomente mit Steiner-Anteil

d.h. Flächenträgheitsmomente, die nicht auf Achsen bezogen sind, die

durch den Schwerpunkt S der Fläche verlaufen.

Bezüglich der Achsen x und y gilt:

xxI = Ixx + Sy 2 · A

bezogen „Steiner-Anteil“

auf die nach dem Satz von Steiner

Schwer-

punktachse x durch S

bzw.

auf y durch S

yyI = Iyy + Sx 2 · A

„Steiner-Anteil“

xyI = Ixy - Sx · Sy · A

Fläche A

y

x

y

S

Fläche A

x

Sy

Sx

Technische Mechanik 2 Seite 8

Joensson HTW Berlin

3.4 Flächenträgheitsmomente für zusammengesetzte Flächen

z.B.

Lösungsweg:

1.) Schwerpunkt Sges der Gesamtfläche ermitteln

2.) Koordinatensystem x-y durch Sges frei wählbar eintragen

3.) Zerlegung der Fläche in einfache Teilflächen

und je Teilfläche Schwerpunkt S i mit y Si und x Si bezüglich

Sges kennzeichnen

4.) i Koordinatensysteme x i - y i durch S i eintragen - parallel zu x-y

5.) Trägheitsmomente Ixx i , Iyy i und Ixy i je Teilfläche i

berechnen

6.) Steiner-Anteile berücksichtigen:

Ixx = 2

1

y · n

xx i Si ii

I A

Iyy = 2

1

x · n

yy i Si ii

I A

Ixy =

1

x ·y · n

xy i Si Si ii

I A

mit n : Anzahl der Teilflächen

A i : Teilflächeninhalt der Teilfläche i

x Si und y Si : Koordinaten des Schwerpunktes S i bezüglich Sges

Technische Mechanik 2 Seite 9

Joensson HTW Berlin Beispiel:

Geg.: a = 20 mm

und Lage von S = Sges

Ges.: Ixx , Iyy und Ixy

Lösung: Zerlegung in 2 Teilflächen

A1 = 20 · 60 mm2

= 1200 mm2

A2 = A1

y S1 = - 20 mm

y S2 = + 20 mm

Ixx1 = 3 ·

12

b h =

3 360 · 20 ·

12

mm mm = 40000 mm 4

Ixx2 = 3 320 · 60 ·

12

mm mm = 360000 mm 4

Ixx = 2 1 1 1 y · xx SI A + 2

2 2 2y · xx SI A

= 240000 20 · 1200 + ….

Ixx = 1,36 ·10 6 mm 4 usw.

S1

S2

S 10 mm

20

60 mm

x y

60 y2

x2

x1 y1

3aS

3a a

y

x

a

ys1

(von Sges in Richtung S i antragen)

Technische Mechanik 2 Seite 10

Joensson HTW Berlin

3.5 Berechnung des Flächen-Schwerpunktes

(für zusammengesetzte Flächen)

Bei Doppelsymmetrie liegt S = Sges automatisch im Schnittpunkt der

beiden Symmetrielinien.

z.B.

Wenn aber nur einfache oder gar keine Symmetrie vorliegt, muss die

Lage von S ermittelt werden.

Lösungsweg:

Zuerst Koordinatensystem x y („gestrichen“) frei wählen,

z.B.

oder

Lage des Schwerpunktes ermitteln heißt:

Koordinaten Sx und Sy im gewählten Koordinatensystem x y

berechnen.

Dazu wird die Fläche Ages in Teilflächen A i zerlegt und es werden die

Schwerpunkte S i eingetragen.

Dann werden die Koordinaten Sx und Sy „abgelesen“.

0

S

Sx x

y

Sy

0

S Sx

x

Sy y

Technische Mechanik 2 Seite 11

Joensson HTW Berlin z.B.

1Sx = 3

2a 2Sx =

2

3a

1Sy = 1

2a 2Sy =

1

3a

Flächen

A1 = a 2 A2 = 1

2 a 2 Ages =

3

2 a 2

Lage des Gesamtschwerpunktes:

Sx = 1

gesA

1

n

i x · Si iA

und

Sy = 1

gesA

1

n

i · Si iy A

mit Ages = 1

n

i Ai für n Teilflächen

und Six , Siy : Koordinaten der Schwerpunkte S i im gewählten

Koordinatensystem x y

Danach wird das „gestrichene“ Koordinatensystem x y gestrichen!

Das heißt: Die anschließende Berechnung der Trägheitsmomente erfolgt im

neuen Koordinatensystem x y , das durch S verläuft.

z.B.

Rationelle Ermittlung der Steiner-

Anteile im neuen System x y :

Si Si Sx x x Si Si Sy y y

Voraussetzung: x y parallel zu x y

S

y

x

0

S2 S1

xS2 xS1

yS2

a a

a

x

y

Technische Mechanik 2 Seite 12

Joensson HTW Berlin

3.6 Hauptträgheitsmomente

Das Koordinatensystem x-y für Flächenträgheitsmomente muss in S

beginnen, kann aber ansonsten beliebig schräg angeordnet sein:

z.B.

oder

Für jede Fläche gibt es eine Koordinatenlage x - y („Schlange“) mit einem

Winkel αO von x nach x , bei der das Zentrifugalmoment genau Null ist:

xyI = 0

z.B.

Bei diesem Winkel hat xxI seinen größtmöglichen oder kleinstmöglichen

Wert xxI . Außerdem ist yyI ein Extremwert von yyI .

Die Achsen x und y kennzeichnen die so genannten Hauptträgheitsachsen

(die „Hauptachsen“) der Fläche.

xxI und yyI sind die beiden Hauptträgheitsmomente der Fläche.

Die Hauptachsen stehen senkrecht zueinander und schneiden sich im Schwer-

punkt der Fläche.

y

x

S

y

x

y

x

SS

y x

Technische Mechanik 2 Seite 13

Joensson HTW Berlin Wenn bei einem beliebigen Koordinatensystem x-y das Zentrifugalmoment

xyI = 0 ist, dann sind die berechneten Trägheitsmomente xxI und yyI

bereits Hauptträgheitsmomente! Siehe z.B. Rechteck-Fläche, Kapitel 3.2.

Wenn aber 0xyI ist, dann sind die Hauptträgheitsmomente 1I und

2I aus folgender Formel zu berechnen:

1, 2I =

1

2 xx yyI I 2 21

4 xx yy xyI I I

1I ist das größte und 2I ist das kleinste aller möglichen Flächenträgheits-

momente der Fläche A.

Der Winkel α 1 zwischen der x-Achse und der Hauptachse Nr. 1 des größten

Trägheitsmomentes 1I wird errechnet mit:

α 1 = arctan

1

xy

yy

I

I I

mit α 1 von x nach y drehend.

Beim vorher erwähnten Winkel αO auf Seite 12 kann x die 1. oder auch

die 2. Hauptachse sein. Beim Winkel α 1 ist die Zuordnung eindeutig.

Beispiel für α 1 :

Geg.: Lage von S,

gewähltes Koordinatensystem x-y,

dafür bereits berechnete Werte

xxI , yyI sowie xyI ≠ 0

Hauptachsen-Lage: Zuerst 1I , 2I berechnen, dann α 1

Kontrolle: 1 2I I = xx yyI I muss erfüllt sein.

1

2

S y

x

Technische Mechanik 2 Seite 14

Joensson HTW Berlin Wozu dieser Aufwand?

1.) Weil alle bisher verwendeten Biege-Spannungsformeln nur für Haupt-

Trägheitsmomente gelten!

2.) Biegung um die Achse 1 liefert die geringsten Spannungen und damit

die größte Festigkeit.

3.) Biegung um die Achse 2 liefert die größten Spannungen und damit

die geringste Festigkeit.

Vor Anwendung von Biege-Spannungsformeln ist also stets zu prüfen, ob

sich die Trägheitsmomente auf Hauptachsen beziehen.

(Die Formel für xyI muss den Wert Null ergeben).

Ist xyI ≠ 0 , so müssen 1I , 2I und α 1 berechnet werden.

Bei geschickter Wahl des Koordinatensystems x-y kann mitunter die

Berechnung von 1I , 2I und α 1 eingespart werden, insbesondere wenn

Symmetrie vorhanden ist.

Symmetrieachsen sind stets Hauptachsen!

Wenn eine Fläche symmetrisch ist, sollte möglichst eine der beiden Achsen

x oder y auf eine Symmetrieachse gelegt werden.

z.B.

Die vertikale Symmetrieachse ist hier

eine der beiden Hauptachsen.

Die andere Hauptachse verläuft

senkrecht dazu durch den Schwerpunkt.

Welche der beiden Achsen die Nr. 1 ist, zeigt die Berechnung der beiden

Werte xxI und yyI : Der größere Wert gehört zur Hauptachse Nr. 1.

S

Technische Mechanik 2 Seite 15

Joensson HTW Berlin

4. Biegeverformung elastischer Balken

4.1 Einleitung

Zwei übliche Lösungswege zur Berechnung der Biegeverformung:

Gleichung der elastischen Linie

( „Biegelinie“ )

Lösung einer Differenzialgleichung

Satz von Castigliano

Energiebilanz / Integralberechnung

4.2 Lösungsweg „Biegelinie“

Beispiel:

Koordinaten x y z frei wählbar!

x

z

y

v

Fx z

y

Verformung in y-Richtung

F

a ℓ

Biegelinie v (z)

Hier für Biegung um die x-Achse

Technische Mechanik 2 Seite 16

Joensson HTW Berlin Je Bereich i des Tragwerkes Koordinatensystem v i – z i frei wählen, z.B.

so:

Anschließend je Bereich i einen Verformungsansatz verwenden

nach Bernoulli und Euler (Differenzialgleichung 2. Ordnung)

für kleine Verformungen schlanker elastischer Balken:

EI i · v i ’’ ( z i ) = - M b i ( z i )

negativ: wenn M b i von v nach z dreht

mit v i ( z i ) y-Verformung des Balkens an der Stelle z i

v i ’’ ( z i ) = 2

2

v ( )

i i

i

d z

d z zweite Ableitung nach z i

E Elastizitäts-Modul des Balken-Werkstoffes

I i = Ixx Flächenträgheitsmoment der Querschnittsfläche i , hier für Biegung um die x-Achse

M b i ( z i ) Biege-Schnittmoment M b x an der Stelle z i

Die Gleichung der elastischen Linie v i ( z i ) folgt daraus durch Integration:

EIi v i ’ ( z i ) = - M b i ( z i ) d z i + C 1 i

EIi v i ( z i ) = - M b i ( z i ) d z i d z i + C 1 i · z i + C 2 i

mit C 1 i , C 2 i : zwei Integrationskonstanten je Bereich i .

Mb1 Mb2 z1 z2

v2 v1

A Bℓ a

Technische Mechanik 2 Seite 17

Joensson HTW Berlin

Berechnungs-Beispiel von S. 15 mit Überstand a:

Auflagerreaktionen : … FA x = 0 (→) , FA y = - a

· F (↑) ,

FB = 1a

· F (↑)

Schnittreaktion M b 1 im Bereich 1: (Bereichseinteilung von S. 16)

S1 : FA y · z 1 - M b 1 = 0

liefert:

M b 1 ( z 1 ) = - a

F · z 1

Biegelinie v 1 ( z 1 ):

Ansatz EI1 v 1 ’’ = - M b 1 (negativ, weil hier M b 1 von v nach z dreht)

und EI1 = EI2 = EI beide Bereiche haben die gleichen Werte E und I

also

EI v1 ’’ = +

a

F · z 1

(1)

Die Integration ergibt eine „Neigungswinkel-Funktion“ v 1’ ( z 1 ) :

EI v1 ’ =

a

F · 2

1

2

z + C1 (2)

Erneute Integration liefert die gesuchte Biegelinie v 1 ( z 1 ) :

EI v1 =

1

2

a

F · 3

1

3

z + C1 · z 1 + C2 (3)

S1 Mb1

FAy

FAx z1

F

a ℓ

A B

Technische Mechanik 2 Seite 18

Joensson HTW Berlin Bereich 2:

S2 : F · z 2 + M b 2 = 0

liefert: M b 2 ( z 2 ) = - F · z 2

Biegelinie v 2 ( z 2 ):

Ansatz EI v 2 ’’ = - M b 2 (negativ, weil auch M b 2 von v nach z dreht)

also

EI v 2 ’’ = + F · z 2

(4)

„Neigungswinkel-Funktion“ v 2’ ( z 2 ) :

EI v 2 ’ = F ·

22

2

z + C3 (5)

Biegelinie v 2 ( z 2 ) :

EI v 2 =

1

2 F ·

32

3

z + C3 · z 2 + C4 (6)

Die allgemeinen Lösungen (3) und (6) der Differenzialgleichungen (1) und

(4) enthalten vier unbekannte Integrationskonstanten C1 bis C4 .

Zur Ermittlung dieser 4 Konstanten sind 4 weitere Gleichungen erforder-

lich, die so genannten Rand- und Übergangsbedingungen.

Dafür ist eine Skizze zum möglichen Verformungsverlauf hilfreich:

S2 F

Mb2

z2

Technische Mechanik 2 Seite 19

Joensson HTW Berlin

Hier gibt es 3 Randbedingungen mit bekannten Einzelwerten, weil die

Durchbiegung in den Lagerstellen jeweils Null ist:

v 1 ( z 1 = 0 ) = 0

(7)

v 1 ( z 1 = ℓ ) = 0

(8)

v 2 ( z 2 = a ) = 0

(9)

Die Durchbiegung v 2 bei z 2 = 0 dagegen ist nicht bekannt.

Als 4. Gleichung steht hier eine Übergangsbedingung zur Verfügung:

Der Neigungswinkel der Biegelinie am Ende des ersten Bereiches ist

gleich dem Neigungswinkel am Ende des zweiten Bereiches:

v 1 ‘ ( z 1 = ℓ ) = - v 2 ‘ ( z 2 = a ) (10)

(minus, weil hier speziell das gewählte Koordinatensystem

v 1 - z 1 auf Seite 18 NICHT in das Koordinatensystem

v 2 - z 2 innerhalb der Zeichenebene durch Verschieben

und Drehen zur Deckung gebracht werden kann).

--------------------------------------------------

Einsetzen von (7) in (3) liefert:

EI · 0 = 1

2

a

F · 30

3 + C1 · 0 + C2

also

C2 = 0

Einsetzen von (8) in (3):

EI · 0 = 1

2

a

F · 3

3

+ C1 · ℓ + C2

Mit C2 = 0 entsteht daraus: C1 = -

1

6 F · a ℓ

Technische Mechanik 2 Seite 20

Joensson HTW Berlin Einsetzen von (9) in (6):

EI · 0 = 1

2 F ·

3

3

a + C3 · a + C4

Zwischenergebnis: C4 = -

1

6 F · a 3 - C3 · a

(2) und (5) anwenden auf die Übergangsbedingung (10) liefert:

a

F · 2

1

2

z + C1 = - F ·

22

2

z - C3

bzw. mit z 1 = ℓ und z 2 = a:

a

F · 2

2

+ C1 = -

1

2 F · a 2 - C3

sowie mit C1 = - 1

6 F · a ℓ :

1

2 F · a ℓ -

1

6 F · a ℓ = -

1

2 F · a 2 - C3

entsteht: C3 = - F · 21 1

a 3 2

a

Und schließlich noch C4 :

Mit C4 = - 1

6 F · a 3 - C3 · a (siehe oben) folgt

C4 = - 1

6 F · a 3 + F · 21 1

a 3 2

a

· a

= - 1

6 F · a 3 + F · 21

3a +

1

2 F · a 3

also: C4 = +

1

3 F 2 3a a

Technische Mechanik 2 Seite 21

Joensson HTW Berlin Damit lauten die speziellen Lösungen der Diff.gleichungen (1) und (4):

Bereich 1: Aus (3) folgt mit C1 und C2 :

EI v 1 = 1

2

a

F · 3

1

3

z -

1

6 F · a ℓ · z 1 + 0

v 1 = 6

Fa

EI3

1 11

· · z z

bzw. erweitert mit 2 / 2 :

v 1 ( z 1 ) = -

2

6

Fa

EI

3 1 1 -

z z

(11)

Biegelinie für den Bereich 1 von z 1 = 0 bis ℓ

Bereich 2: Aus (6) folgt mit C3 und C4 :

EI v 2 = 1

2 F ·

3 2

3

z - F · 21 1

a 3 2

a

· z 2 + 1

3 F 2 3a a

v 2 ( z 2 ) =

6

F

EI 3 2 2 3

2 22 3 · 2 2z a a z a a (12)

Biegelinie für den Bereich 2 von z 2 = 0 bis a

Technische Mechanik 2 Seite 22

Joensson HTW Berlin Maximale Werte:

v 1max = v 1 ( z 1 = 1z ) = - 2

9 3

Fa

EI

am Ort 1z =

1

3· ℓ

Die Herleitung dieser beiden Werte erfordert eine Extremwert-

berechnung [ 1. Ableitung v1’( z1 ) Null setzen, um den Ort 1z zu

ermitteln. Diesen Wert einsetzen in v1 ( z1 ) liefert den Extremwert

1v = v 1max des ersten Bereiches].

Ohne Extremwertberechnung ist sofort erkennbar, wo die größte

Durchbiegung im zweiten Bereich vorhanden ist:

v 2max = v 2 ( z 2 = 0 ) = + 2 ( )

3

Fa a

EI

Hier kann die Gleichung (12) direkt genutzt werden.

Auch der größte Neigungswinkel tritt hier bei z 2 = 0 auf:

α max 2 = v 2’ ( z 2 = 0 ) = 6

F

EI 2 2

23· 2 3z a a = − 2 3

6

Fa a

EI

Für den Winkel wird also die erste Ableitung der Gl. (12) nach z 2 benötigt.

Weitere Beispiele für Biegelinien einfacher Balkentragwerke

Technische Mechanik 2 Seite 23

Joensson HTW Berlin

Beispiele zur Biegeverformung elastischer Balken

Beispiel Biegelinie v (z) vmax | αmax |

1

3

·

F

E I

·3

2 3z z

1

3

·

F

E I

1

2

·

F

E I

1

2

·

M

E I

·2

1 2z z

1

2

·

M

E I

·

M

E I

1

24·

4

·

q

E I

·4

3 4z z

1

4

·

q

E I

1

185·

4

·

q

E I

1

48·

4

·

q

E I

·3 4

3 2z z z

bei 1z = 0,422· ℓ

1

48·

3

·

F

E I

·3

3 4z z

1

48·

3

·

F

E I

1

24·

4

·

q

E I

·3 4

2z z z

5

384·

4

·

q

E I

Technische Mechanik 2 Seite 24

Joensson HTW Berlin

4.3 Überlagerung von Verformungen

Mehrere Bereiche:

Entweder n Biege-Differenzialgleichungen ansetzen und lösen

oder

Überlagerung ( „Superposition“ ) von fertigen Lösungen.

Voraussetzung dafür: Kleine Verformungen.

Beispiel:

Neigungs-

tangente wie

in Aufgabe

F.24

Die größte Verformung tritt hier unter der Kraft 2F

auf:

v max = v 1 + v 1α + v 2

Gemäß Tabelle auf Seite 23 gilt hier für v 1 :

v 1 =

1

3

3

·

F

E I

=

1

3

31 1·

·

F

E I

F1 F2

ℓ1 ℓ2

F1

ℓ1

v

v

ℓ1 + ℓ2

v

F2

ist gleich

plus

Tangente

Technische Mechanik 2 Seite 25

Joensson HTW Berlin

Des Weiteren gilt

v 2 = 1

3

3

·

F

E I

= 1

3

32 1 2 ·

·

F

E I

sowie v 1α = ℓ2 · sin α ≈ ℓ2 · α ( für kleinen Winkel α )

mit α = 1

2

·

F

E I

(S. 23) =

1

21 1·

·

F

E I

also v 1α = 2

2

·

21 1·

·

F

E I

Wenn eine Kraftgröße mehrere Bereiche aktiviert:

Schnittreaktionen als Belastung an der Unstetigkeitsstelle verwenden.

z.B.

Ges.:

Durchbiegung am Punkt A

und B

Ist gleich

a)

fest eingespannt bei A mit frei wählbaren Schnittreaktionen FA und MA

plus

b)

! Ohne F

bei B

und Schnittreaktionen umgekehrt zu vorher!

Aus dem Teilsystem a) folgt hier : FA = F und MA = F · ℓ2

ℓ2

FA

A B ℓ2

MA

A BEI2EI1

ℓ1 ℓ2

F

FMA

FA

Technische Mechanik 2 Seite 26

Joensson HTW Berlin und damit

b)

Am Punkt A wirkt zusätzlich zur versetzten Kraft F

das erforderliche „Versetzungsmoment“ F · ℓ2

Die Verformungen im Einzelnen:

zu a)

plus

= 1

3

32

2

·

·

F

E I

(S. 23)

zu b)

= ℓ2 · α

vM =

1

2

21

1

·

·AM

E I

(S. 23) vM α = ℓ2 · 1

1

·

·AM

E I

(S. 23)

vM =

1

2

22 1

1

· ·

·

F

E I

vM α = ℓ2 · 2 1

1

· ·

·

F

E I

sowie

= ℓ2 · β

vF =

1

3

31

1

·

·

F

E I

vF β = ℓ2 ·

21

1

1 ·

2 ·

F

E I

(S. 23)

Superposition: vB ges = vB + vM + vM α + vF + vF β

und vA ges = vM + vF (vB liefert dazu keinen Beitrag).

A B ℓ2

F F ℓ2

Technische Mechanik 2 Seite 27

Joensson HTW Berlin Weiteres Beispiel:

Ges.:

Verformung bei A und B Koordinatensystem x-y zweckmäßig

Ist gleich

a)

Teilsystem b)

Der rechte Winkel bleibt während der Biegung erhalten.

2v Ay = - ℓ1 · α

negativ zu y

2vBx = + 1

2

22

2

·

·

M

E I

(S. 23) = +

1

2

21 2

2

· ·

·

F

E I

2vBy ≈ 0

2v Ay = - ℓ1 · α = - ℓ1 · 2

2

·

·

M

E I

= - ℓ1 · 1 2

2

· ·

·

F

E I

2v Ax ≈ 0

Die versetzte Kraft F

im Teilsystem b) erzeugt hier im vertikalen Balken ℓ2 für sich allein kein Biegemoment und deshalb auch keine Biegeverformung. Superposition: v Ax ≈ 0 v Ay = 1v Ay + 2v Ay

vBx = 2vBx vBy ≈ 0

ℓ1 A

x

y

M

ℓ2

vAy2

vBx2

ℓ2 EI1

EI2

1v Ay = - 1

3

31

1

·

·

F

E I

b)

+

ℓ1 F

Technische Mechanik 2 Seite 28

Joensson HTW Berlin

4.4 Statisch unbestimmte Auflager

Mit Statik allein nicht berechenbar, weil zu viele Unbekannte vorhanden

sind. Zusätzlich erforderlich:

n Verformungs-Gleichungen für n-fach statisch unbestimmte Tragwerke.

Mehrere Lösungswege möglich, z.B. mittels

1.) Biege-Differenzialgleichungen und deren Integration

oder

2.) Satz von Castigliano in Kombination mit dem Satz von Menabrea

oder

3.) Superposition vorhandener Lösungen

Beispiel zu 3.):

1-fach statisch unbestimmt

ist gleich

! ohne Lager A

Durchbiegung vA

plus

Nur Lagerkraft FA

als Belastung,

um (- vA ) zu erzeugen.

Wenn die Kraft AF

exakt die Durchbiegung (- vA ) erzeugt, entsteht in

Summe v = 0 bei A. Somit ist dann AF

die gesuchte Lagerkraft. Die Formeln für vA können aus der Tabelle auf S. 23 entnommen werden. Dann weiter wie üblich bei den Auflagerreaktionen: 3 Gleichgewichtsbilanzen liefern die 3 unbekannten Lagerreaktionen in B.

vA

F

q

vA

q

A B

Technische Mechanik 2 Seite 29

Joensson HTW Berlin

5. Torsion elastischer Balken

5.1 Einleitung

tM : Torsionsmoment (Doppelpfeil: Daumen der rechten Hand in Pfeilrichtung, dann zeigen die Finger die Drehrichtung)

φ : Verdrehwinkel (phi)

z = t : Torsions-Schubspannung

Die Berechnung von φ und t ist unkompliziert für Balken mit kreis- förmigen Querschnitten.

Bei Torsion von Balken mit nicht-kreisförmigen Querschnitten entsteht aber

zusätzlich in Balken-Längsrichtung z eine so genannte Verwölbung.

Beispiel:

Offenes Rohr (gerolltes Papier)

oder dünnwandiger Kasten Verwölbung

Mt

Mt

t

Mt

z

x

y

z

Technische Mechanik 2 Seite 30

Joensson HTW Berlin Bei Wölbbehinderung (durch feste Lager oder durch Ankopplung an

benachbarte Bauteile) entstehen zusätzlich Normalspannungen z , die

größer als t max sein können!

Aufwendige analytische Berechnung der „Wölbkraft-Torsion“

oder Computerberechnungen erforderlich.

Ohne größeren Aufwand können nur Bauteile ohne Wölbbehinderung

berechnet werden:

„Reine Torsion“ (St.-Venantsche Torsion).

Dafür gibt es einfache Näherungsformeln zur Berechnung der Schub-

spannung t und des Verdrehwinkels φ [Kapitel 5.3].

Sonderfall kreisförmige Querschnitte:

Sämtliche Kreis- und Kreisring-Querschnitte sind bei Torsion absolut

wölbfrei.

Deshalb haben Wölbbehinderungen bei diesen Querschnitten keine Wirkung.

Technische Mechanik 2 Seite 31

Joensson HTW Berlin

5.2 Torsion kreiszylindrischer Stäbe

Radius R

Die Mantellinien werden bei Torsion zu Schraubenlinien ( ---- ) verformt.

Modellvorstellung:

Der Stab besteht aus starren Kreisscheiben, die sich gegeneinander verdrehen

und abscheren.

ursprüngliche Mantellinie

1. Scheibe freigeschnitten:

Drehwirkung aller Schubspannungen

t im Querschnitt

t t

z

Mantellinien

z

R Mt

MtA

Technische Mechanik 2 Seite 32

Joensson HTW Berlin Die Schubspannung auf der Kreisfläche nimmt von innen nach außen linear zu:

Torsions-Schubspannung t

im Unterschied zu Q

Querkraft-Schubspannung ( Kapitel 2.3 )

Bei Torsion gilt:

t (r) = G · · r mit r = 0 bis R (Außenradius)

Mit G : Gleitmodul des Werkstoffes [ in N/mm2 ]

: Drillung ( Theta ) bzw. Verdrehwinkel je Längeneinheit

[ in 1/m wegen Bogenmaß pro Meter ]

und speziell t (r = 0) = 0 und t (r = R) = t max

Sowohl G als auch sind jeweils konstante Werkstoff-Kenngrößen.

Für das Torsionsmoment tM gilt (ohne Herleitung):

tM = G · · pI (1)

mit

pI = xxI + yyI polares Flächenträgheitsmoment

z.B. Vollkreis

pI = 2

· R 4

Kreisring

pI = 2

· 4 4

a iR R

0

0Q (r)

Qmax

FQ

tmax

t = 0 t (r) r R

Technische Mechanik 2 Seite 33

Joensson HTW Berlin Umstellen der Gleichung (1) liefert:

=

· t

p

M

G I

evt. Vergleich mit zul

(Werkstoff-Kennwert in 1/m)

Daraus folgt:

t max = G · · R mit = d

dz

:

= G · ·

t

p

M

G I · R d = dz + C1

t max = t

p

M

I · R

φ (z) =

·

· t

p

M z

G I + C1

[ in N/mm2 ]

Max. Schubspannung

am Außenrand

bei R bzw. Ra

Vergleich mit zul

Spannungsnachweis

für Torsion

[ in Bogenmaß ]

Umrechnung in Grad: mal 180

mit Integrations-Konstante C1

(Feste Einspannung: C1 = 0,

ansonsten C1 = φo )

Die maximale Schubspannung kann außerdem geschrieben werden als:

t max = t

t

M

W

analog zur Biegung

(Kap. 2.4) b max = b

b

M

W

mit tW = pI

R

Widerstandsmoment gegen Torsion (für Kreisring R = Ra )

Technische Mechanik 2 Seite 34

Joensson HTW Berlin

5. 3 Reine Torsion von Stäben mit beliebiger Querschnittsform

( Reine Torsion heißt lediglich: Ohne Wölbbehinderung! )

Dafür gilt: = ·

t

t

M

G I

t max = t

t

M

W

φ (z) =

·

· t

t

M z

G I + C1

mit tI : Torsions-Trägheitsmoment

tI ≤ pI

( mitunter zigtausendfach kleiner als pI ! )

Nur für kreisförmige Querschnitte gilt exakt tI = pI

Je nach Querschnittsform gibt es verschiedene Näherungsformeln für tI und tW :

a) Kompakte, konvex umrandete Querschnitte

im Unterschied zu konkav

tI ≈ 4

40 · p

A

I und tW =

max

tI

a

mit pI = xxI + yyI , A : Querschnitts-Flächeninhalt

maxa : maximaler senkrechter Abstand einer Querschnittskante vom Schwerpunkt S der Querschnittsfläche

Technische Mechanik 2 Seite 35

Joensson HTW Berlin b) Kompakte, konkav umrandete Querschnitte

Zerlegung in n Teilfächen zweckmäßig

tI ≈ 1

· 40

1

n

i

4

i

p i

A

I und

tW = max

tI

a

mit maxa : maximaler senkrechter Abstand einer Querschnittskante vom Gesamt-Schwerpunkt S der Querschnittsfläche

c) Dünnwandig offene Querschnitte

Querschnitts-Mittellinie („Profil-Mittellinie“)

Dafür gilt:

tI ≈ 31 ·

3 ges und tW = max

tI

mit ges : Gesamtlänge der Profil-Mittellinie

: mittlere Wandstärke

max : maximale Wandstärke

Speziell für geradlinige Segmente: tI ≈ 1

3

1

n

i 3 · i i

i

ℓi

Mt

A1

A2

Technische Mechanik 2 Seite 36

Joensson HTW Berlin

d) Dünnwandig geschlossene Querschnitte

← z.B. elliptisch

Profil-Mittellinie

tI ≈ 2

4

( )

mAds

s und

tW = min2 · mA

Bredtsche Formel (1896)

mit mA : von der Profil-Mittellinie umschlossene Fläche

s : Koordinate, krummlinig

min : kleinste Wandstärke des Querschnittes

Speziell für geradlinige Segmente mit jeweils konstanter Dicke i gilt:

tI ≈ 2

1

4

mn

i

ii

A

iℓiA

A

Mts s

Technische Mechanik 2 Seite 37

Joensson HTW Berlin

5. 4 Ort der maximalen Torsions-Schubspannung

Modellvorstellung

Strömungsanalogie („hydrodynamisches Gleichnis“) :

Im Querschnitt zirkuliert eine virtuelle Flüssigkeit in Drehrichtung von

tM

. Die maximale Schubspannung t max tritt dort auf, wo diese

Flüssigkeit ihre größte Geschwindigkeit erreicht.

Beispiele:

5. 5 Der Schubmittelpunkt und seine Torsionswirkung

Der Schubmittelpunkt hat keine Torsionswirkung!

Der Schubmittelpunkt M ist eine Querschnittskenngröße ähnlich dem

Schwerpunkt S.

Nur bei doppelt-symmetrischen Flächen gilt: M = S

Bei einfach symmetrischen Flächen liegt M ≠ S auf der Symmetrie-Linie:

S M S S M

M

S = M

t = 0t = 0

t = 0 tmax

t t

t

tmax tmax

Technische Mechanik 2 Seite 38

Joensson HTW Berlin Bei abgewinkelten, offenen Querschnitten mit nur zwei Segmenten liegt M im Schnittpunkt der beiden Segment-Mittellinien:

Für beliebige Flächen ist die Berechnung von M wesentlich aufwändiger als die des Schwerpunktes S. Dazu sind spezielle Formeln erforderlich.

Wirkung des Schubmittelpunktes:

Wenn eine Querkraft NICHT am Schubmittelpunkt des Querschnittes

angreift, entsteht zusätzlich ein Torsionsmoment t MM

um den Punkt M.

z.B.

Obwohl hier die Belastung durch den

Schwerpunkt des Querschnittes verläuft, wird

zusätzlich zur Biegung um x ein Torsions-

moment tM

um z erzeugt,

weil nur der Punkt M in der Querschnitts-

ebene torsionsfrei ist.

Um die Torsionswirkung von F

zu ermitteln, muss diese Kraft parallel bis

M verschoben werden:

t MM = F · m

Versetzungsmoment

t MM

ist nur dann von vornherein Null, wenn F

am Schubmittelpunkt des

Querschnittes angreift: z.B. so

oder so

FF

S M

F

= S

M

F

Mt M

m

x

z

y

M

F

m

S

SM S

M

Technische Mechanik 2 Seite 39

Joensson HTW Berlin

6. Vergleichsspannungen

(Spannungsnachweis für mehrachsige Spannungszustände)

6.1 Einleitung

Bei Dimensionierung auf Spannung ( max ≤ zul oder max ≤ zul ) wird

mit einem zulässigen Werkstoffkennwert zul oder zul verglichen, der zu

einem 1-achsigen Spannungszustand gehört:

oder

Bei mehrachsigen Spannungszuständen treten aber verschiedene Spannungen

gleichzeitig auf,

z.B. Biegung und Torsion (senkrecht zur Biegespannung):

Preisfrage: Welche dieser Spannungen ist eigentlich für die Zerstörung des

Bauteils verantwortlich?

Problem: Arithmetische Mittelung von Spannungen ist nicht

zulässig, wenn diese senkrecht zueinander stehen.

Vektorielle Addition von Schub- und Normal-

spannungen ist nicht zulässig

zx F

Mt

bt

Mt F

y

Technische Mechanik 2 Seite 40

Joensson HTW Berlin Lösung: Berechnung 1-achsiger Vergleichsspannungen aus dem

mehrachsigen Spannungszustand mit Hilfe

von Festigkeitshypothesen (es gibt mehrere)

z.B. für

spröde Werkstoffe oder

(z.B. Gusseisen)

duktile Werkstoffe

(z.B. Stahl)

Normalspannungshypothese

d.h.

die größte Normalspannung

im Bauteil

ist verantwortlich für

die Zerstörung des Bauteils

Gestaltänderungsenergiehypothese

d.h.

die größte Gestaltänderung

(die Verzerrung) des Bauteils

ist verantwortlich für

die Zerstörung des Bauteils

Spannungsnachweis für mehrachsige Spannungszustände:

V max ≤ zul Allgemeiner

Spannungsnachweis

mit V max : max. Vergleichsspannung im konkreten Bauteil mit zul : 1-achsig ermittelte zulässige (Zug-) Normalspannung des

Werkstoffes an einfachen, ungekerbten Zug-Proben:

F

Technische Mechanik 2 Seite 41

Joensson HTW Berlin

6.2 Die Normalspannungshypothese

(nach Galilei, Lamé und Navier)

VN = 1max für spröde Werkstoffe

(Gusseisen, Glas, Stein … ) ↑ Vergleichsspannung nach Normalspannungshypothese d.h.

als Vergleichsspannung wird die jeweils größte Hauptnormalspannung 1

im Bauteil verwendet.

Die Formel für 1 bei dreidimensionaler Beanspruchung ist umfangreich

und enthält alle Spannungskomponenten x , y , z , xy , yz und zx .

6.3 Die Gestaltänderungsenergiehypothese

(nach Huber, Mises und Hencky)

VG = 2 2 2 2 2 21 3 2 x y y z z x xy yz zx

↑ Vergleichsspannung nach Gestaltänderungsenergiehypothese GEH

für duktile Werkstoffe (Stahl, Kupfer, …. ) Formänderung eines festen Körpers:

Volumen- + Gestaltänderung änderung ↑ ohne nur diese Gestaltänderung Änderung ist nach GEH maßgebend

= +

Technische Mechanik 2 Seite 42

Joensson HTW Berlin

6.4 Spannungsnachweis für mehrachsig beanspruchte Balken mit

kreisförmigen Querschnitten

(kreisförmig bedeutet wölbfreie Torsion) Typischer Fall: Biegung + Torsion (Seite 39)

b in der y-z-Ebene und dazu t in der x-y-Ebene

Für diesen zweiachsigen Spannungszustand gilt:

VN = 1

2σ + 2 21

4

nach Normalspannunshypothese

für spröde Werkstoffe bzw.

VG = 2 2 3 nach GE-Hypothese

für duktile Werkstoffe

Speziell für Biegung und Torsion gilt dabei:

= b

b

M

W Normalspannung infolge Biegung

= t

t

M

W Schubspannung infolge Torsion

Die Vergleichsspannung V wird jeweils nur für einen bestimmten Punkt i

des Bauteils berechnet:

V = V (i)

d.h.

vorher Punkte i auswählen,

an denen die maximale Vergleichs-

spannung vermutet wird!

CB

A F

Mt

Technische Mechanik 2 Seite 43

Joensson HTW Berlin

Erst die maximale Vergleichsspannung maxV = max , ,....V VA B

wird für den Spannungsnachweis ( V max ≤ zul ? ) verwendet.

Beispiel:

Abgesetzte Welle Geg.:

ℓ, d1 , d2 , F,

tM = F · ℓ willkürlich festgelegt

Werkstoff Baustahl mit Re und Rm

Ges.: 1.) Ort und Größe der max. Vergleichsspannung

2.) Spannungsnachweis

Weil Baustahl ein duktiler Werkstoff ist, kommt die GE-Hypothese zur

Anwendung:

VG = 2 2 3

mit = b

b

M

W und = t

t

M

W

Benötigt werden: Der bM -Verlauf, der tM -Verlauf sowie bW und tW .

Zu a) Schnittreaktion bM (z)

Prinzipskizze, z.B. so:

2 Bereiche

Ergebnis bM (z)

ℓ ℓ

F ℓ

2F ℓ

z1 z2

Mb2 Mb1

Technische Mechanik 2 Seite 44

Joensson HTW Berlin Zu b) Schnittreaktion tM (z)

Prinzipskizze:

Ergebnis tM (z)

Zu c) Widerstandsmomente:

bW = 4

· r 3 Vollkreis-Querschnitt

tW = 2 · bW ! gilt immer bei Vollkreisen und Kreisringen

Punktweise Berechnung der Vergleichsspannung:

Zuerst Punkte auswählen, an denen die max. Vergleichsspannung vermutet

wird:

b AM = 2 F· ℓ

b BM = F· ℓ

t AM = t BM = F· ℓ

Punkt A:

A = b A

b A

M

W =

31

2 ·

· 4

F

r

=

31

8 ·

·

F

r

wegen b AW = 31 ·

4r

(A)

(B)

Radius r1 r2

F

Mt

ℓ ℓ

F ℓ

Technische Mechanik 2 Seite 45

Joensson HTW Berlin

A = t A

t A

M

W =

31

·

· 2

F

r

=

31

2 ·

·

F

r

wegen t AW = 31 ·

2r

Damit V G (A) = 2 2 3A A

z.B. für F = 1000 N, ℓ = 200 mm, 1r = 12 mm, 2r = 10 mm

Dafür gilt:

3

1

·

·

F

r

= 3 3

1000 · 200

· 12 ·

N mm

mm = 36,84

2

N

mm (MPa)

Also A = 294,73 MPa A = 73,68 MPa

und damit V G (A) = 321,2 MPa

Punkt B:

B = b B

b B

M

W =

32

·

· 4

F

r

=

32

4 ·

·

F

r

mit 2r !

B = 254,65 MPa

B = t B

t B

M

W =

32

·

· 2

F

r

=

32

2 ·

·

F

r

= 127,32 MPa

Einsetzen in V G (B) = 2 2 3B B

liefert V G (B) = 336,9 MPa

Insgesamt entsteht hier maxV = V G (B) für den Spannungsnachweis.

Technische Mechanik 2 Seite 46

Joensson HTW Berlin

*) im Unterschied zur Gestaltfestigkeit bei schwingender Beanspruchung (Kapitel 7.2)

7. Gestaltfestigkeit

7.1 Statische Festigkeit gekerbter Bauteile

„Statische Gestaltfestigkeit“ *)

Infolge von Kerben (Bohrungen, Wellenabsätze, Umdrehungsnuten …)

entsteht im „Kerbgrund“ eine Spannungsüberhöhung, weil der Kraftfluss die

Kerbe umfahren muss.

Beispiel: Zugbeanspruchte Flachprobe mit Außenkerben

Nach elementarer Festigkeitslehre würde hier im Nettoquerschnitt lediglich

eine konstante „Nennspannung“ n auftreten:

n = n

F

A

mit nA : Flächeninhalt des Nettoquerschnittes

sowie F = p · BA resultierende Zugkraft

mit p : Flächenlast

und BA : Brutto-Querschnittsfläche

p y

x

Kerbgrundlinie (Nettoquerschnitt)

n

y (x)

Kerbgrundlinie (Nettoquerschnitt)

Kerbgrund

max

Technische Mechanik 2 Seite 47

Joensson HTW Berlin Tatsächlich aber verläuft die Zugspannung y über dem Nettoquerschnitt

nicht-linear bei Hookeschem (linearem) Materialgesetz!

Die Spannungsüberhöhung max / n im Kerbgrund heißt Formzahl oder

auch Kerbformzahl K bzw. theoretische Kerbformzahl tK :

k = tK =

n

max

Das heißt, die tatsächlich auftretende maximale Spannung ist bei gekerbten

Bauteilen größer als n :

max = k · n

Dieser Effekt tritt auch bei Biegung und bei Torsion auf:

Beispiel Biegung:

Formzahl für Biegung: kb = b

nb

max

und damit bmax = kb · nb

Beispiel Torsion einer gekerbten Rundprobe:

Formzahl: kt = t

t n

max

und damit t max = kt · t n

Mb

nb =MbWb

Mt Mt

t n =MtWtt max

maxb

Technische Mechanik 2 Seite 48

Joensson HTW Berlin Die Berechnung der tatsächlichen Spannungsverteilung ist aufwendig,

z.B. experimentelle Ermittlung der Dehnungen über Dehnmessstreifen

und Umrechnung dieser Werte in Spannungen

oder numerische Berechnung der Spannungen mit finiten Elementen.

Beispiel, berechnet mit FEM (Finite-Elemente-Methode):

Bauteil-Länge L = 600 mm, Breite B = 300 mm, Dicke d = 10 mm,

Kerbradius r = 60 mm. Breite des Brutto-Querschnitts: B = 300 mm,

Breite des Netto-Querschnitts b = B – 2r = 180 mm.

Resultierende Zugkraft F = p · B · d = 300 kN infolge p = 100 MPa

Nennspannung: n = F / (b · d) = 166,7 MPa

Max. Zugspannung, berechnet mit FEM liefert hier: max = 304, 8 MPa.

Daraus folgt die Formzahl k = 304,8 / 166,7 = 1,83

Technische Mechanik 2 Seite 49

Joensson HTW Berlin Weiteres Beispiel:

Bauteil-Länge L = 600 mm, Breite B = 300 mm, Dicke d= 10 mm,

Kerbradius r = 40 mm.

Breite des Brutto-Querschnitts: B = 300 mm,

Breite des Netto-Querschnitts b = B – 2r = 220 mm.

Resultierende Zugkraft F = p · B · d = 300 kN infolge p = 100 MPa

Nennspannung: n = F / (b · d) = 136,4 MPa

Max. Zugspannung, berechnet mit FEM liefert hier: max = 327, 3 MPa.

Daraus folgt die Formzahl k = 327,3 / 136,4 = 2,40

Technische Mechanik 2 Seite 50

Joensson HTW Berlin Aus derartigen Berechnungen oder aus analytischen Herleitungen bzw. aus

experimentellen Untersuchungen wurden für einfache Bauteile mit Kerben so

genannte Formzahl-Diagramme erstellt.

Zwei Beispiele für Flachstäbe mit Zug-Druck-Belastung:

Technische Mechanik 2 Seite 51

Joensson HTW Berlin Weitere Beispiele:

Zwei Formzahl-Diagramme für abgesetzte Rundstäbe:

Technische Mechanik 2 Seite 52

Joensson HTW Berlin Biegung und Torsion gekerbter Rundstäbe mit Umlaufkerben:

Technische Mechanik 2 Seite 53

Joensson HTW Berlin Mitunter entsteht auch dieselbe Formzahl für verschiedene Kerbradien, z.B.

bA = tK · n Biegespannung bei A

mit tK = 2 für alle r

H

und n = 3 38

b12 · M · r

B · H · r

An den beiden Punkten P ist die Biegespannung bP = 2

H

r · n

7.2 Statischer Spannungsnachweis für gekerbte Bauteile

a) Einachsiger Spannungszustand

Wie in Kapitel 2.5 (erstes Semester) gilt auch hier wieder:

max ≤ zul

mit zul : Statischer Werkstoffkennwert, z.B. = 1 5

eR

.

Jetzt aber: max = k · n

b) Mehrachsiger Spannungszustand

Wie in Kapitel 6:

axVm ≤ zul

mit punktweiser Berechnung der Vergleichsspannung nach einer konkreten

Festigkeitshypothese,

z.B. für Stahl V (A) = 2 23 · A A an einem Punkt A.

Technische Mechanik 2 Seite 54

Joensson HTW Berlin Jetzt aber sind A und A jeweils mit Formzahlen zu berechnen,

z.B. A = bA

bA

M

W · kb (A) für Biegung

bzw. A = tA

tA

M

W · kt (A) für Torsion

7.3 Dynamische Gestaltfestigkeit

Gemeint ist damit die Gestaltschwingfestigkeit, insbesondere die Festigkeit

gekerbter Bauteile unter harmonisch schwingender Dauerbeanspruchung.

Beispiel:

mit Amplitude F und Kreisfrequenz Ω = 2

T

und Schwingungsdauer T einer Schwingungsperiode.

Auch bei dynamischer Beanspruchung ist die (statische) Formzahl eine

wesentliche Einflussgröße siehe Grundlagen der Konstruktion.

F

t

F

T

F (t) = F sin t

Technische Mechanik 2 Seite 55

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© Prof. Dr. Joensson HTW Berlin 2015

8. Knickung elastischer Stäbe

8.1 Einleitung

Balken unter Längskraft-Druck Stabilitätsproblem!

Allgemein gibt es drei Gleichgewichtsarten:

z.B. Kugel-Lage im Schwerkraftfeld

oder

stabil indifferent labil

elastischer Balken: Zug, Biegung, Torsion

Bei Rücknahme der Last kehrt der Balken in seine Ausgangslage zurück

---

Druck, axial

Wenn die Druckkraft einen bestimmten Wert überschreitet, knickt der Balken

8.2 Elastische Stabknickung nach Euler

Physikalischer Effekt:

Mit Erreichen einer bestimmten Größe der Druck-Längskraft

(„kritische Last“ kF ) knickt der Stab plötzlich um die Querschnitts-

Hauptachse mit dem kleineren Hauptträgheitsmoment 2I .

Für die Berechnung der kritischen Last werden nur kleine Auslenkungen zu

Beginn des Knickens benötigt (Anfangszustand).

g

Technische Mechanik 2 Seite 56

Joensson HTW Berlin Genutzt wird dabei die Biege-Differenzialgleichung

EI · v ’’ ( z ) = - M b ( z )

Das Schnittmoment M b ( z ) wird aus einem Gleichgewicht am verformten

Tragwerk ermittelt

(„Theorie 2. Ordnung“ der Technischen Mechanik).

Bisher wurde nur die Theorie 1. Ordnung verwendet:

Kleine Verformungen und Gleichgewicht am unverformten Tragwerk.

Theorie 2. Ordnung:

Wie 1. Ordnung, aber Gleichgewichtsbilanzen am verformten Tragwerk.

Theorie 3. Ordnung (höhere Festigkeitslehre):

Große Verformungen und Gleichgewicht am verformten Tragwerk.

(Dabei entstehen nichtlineare Differenzialgleichungen.)

Aus der Theorie 2. Ordnung folgen nach Euler (1744) die vier Eulerschen Grundfälle:

k = 2ℓ k = ℓ k = 1

22

ℓ k = 1

2ℓ

mit freier Knicklänge k (Abstand zwischen 2 Wendepunkten der Biegelinie)

F FFF

ℓ1

22

0,7 ℓ

1

2ℓ

(1) (2) (3) (4)

Technische Mechanik 2 Seite 57

Joensson HTW Berlin Gemeinsame Formel für die Eulerschen Grundfälle:

kF =

2

2k

EI

Gleichung (8.1)

mit kF : kritische Last

E: E-Modul des Stab-Werkstoffes

I = minI kleinstes Hauptflächenträgheitsmoment der Querschnittsfläche

k : freie Knicklänge 8.3 Knickspannung und Gültigkeitsgrenze der elastischen

Stabknickung

Knickspannung zu Beginn des Knickens: k = kF

A

mit A: Querschnittsfläche

bzw. k =

2

2

k

EI

A

Gl. (8.2)

Gedrungene Stäbe werden aber nur gestaucht ohne zu knicken:

gedrungener „Stab“ schlanker Stab Für gedrungene Stäbe gilt als kritische Spannung:

k = dF mit Druck-Fließgrenze dF des Materials

Nur schlanke Stäbe knicken!

FF

Technische Mechanik 2 Seite 58

Joensson HTW Berlin Wie schlank ein Stab ist, wird durch den Schlankheitsgrad

gekennzeichnet:

= k

i

mit Trägheitsradius i = minI

A

und minI : kleinstes Flächenträgheitsmoment der Querschnittsfläche A

Daraus folgt: =

min

k A

I

Gl. (8.3)

als dimensionslose Zahl.

Elastisches Knicken tritt nur auf, wenn größer als ein Mindest-Schlank-

heitsgrad p ist:

≥ p Gl. (8.4)

p ist im Unterschied zu werkstoffabhängig:

p ≈

dP

E

Gl. (8.5)

Mindest-Schlankheitsgrad des Stab-Werkstoffes

mit E : Elastizitätsmodul des Stab-Werkstoffes

dP : Betrag der Druck-Proportionalitätsgrenze

des Stab-Werkstoffes

Herleitung dieser Formel :

Technische Mechanik 2 Seite 59

Joensson HTW Berlin Beispiel Spannungs-Dehnungs-Diagramm von Baustahl

Gültigkeitsbereich des Hookeschen Gesetzes:

Zwischen P (Zug) und dP (Druck).

Beim elastischen Knicken darf der Hookesche Bereich nicht verlassen

werden, d.h. im Grenzfall gilt:

k ≈ dP

bzw. 2

min2

k

E I

A

≈ dP mit k nach Gl. 8.2

Wegen min2

k

I

A =

2

1

(Gl. 8.3) entsteht daraus

2

2

E

≈ dP

und somit p ≈

dP

E

als Grenzwert von (Gl. 8.5)

Re

P

d F

d P

[%]

[N/mm²]

Druck ↓

Druck-Fließgrenze

Zug ↑

entlasten

entlasten Druck-Proportionalitätsgrenze

Hookesches Gesetz = E

Technische Mechanik 2 Seite 60

Joensson HTW Berlin Daraus folgen werkstoffspezifischeWerte für p

z.B.:

Stab-Werkstoff E-Modul in GPa

dP

in MPa p

Baustahl S 235 190 *) 105

Baustahl E 335 210 270 *) 88

Feinkornbaustahl St 355

285 *) 85

Vergütungsstahl Ck 45

390 *) 73

Grauguss GJL 200 100 150 80

Alu-Knetlegierung AlCuMg 2 F 44

70 220 55

Nadelholz 10 10 100 *) nur für Stahl gilt: dP ≈ P und

dF ≈ eR Druck-Fließgrenze ≈ Zug-Streckgrenze

sowie P ≈ 0,8 eR

Zum Beispiel S 235 mit eR = 235 MPa: p ≈ 210000

0,8 235

≈ 105

Höherfeste Stähle haben den gleichen E-Modul und liefern demzufolge

kleinere Werte für p .

------------------------------------

Ist der Schlankheitsgrad des Stabes kleiner als p , dann darf die Euler-

Formel NICHT angewendet werden

(weil dann die Voraussetzung des elastischen Knickens nicht mehr zutrifft).

Technische Mechanik 2 Seite 61

Joensson HTW Berlin

8.4 Nichtelastisches Knicken nach Tetmajer

Ludwig von Tetmajer führte zwischen 1885 und 1900 umfangreiche

Experimente zum nichtelastischen Knicken von Stäben durch und leitete

daraus eine empirische Formel für Schlankheitsgrade < p ab:

k ( ) = a · 2 + b · + c Gl. (8.6)

„Tetmajer-Parabel“ mit 3 Konstanten a, b, c mit Maßeinheit der Spannung

Die Konstanten haben nach Tetmajer folgende Werte:

Stab-Werkstoff

heutige Bezeichnung

a b c gültig für =

Flußeisen Baustahl S 235 0 -1,14 310 65 … 105

Flußstahl Baustahl E 335 0 -0,62 335 0 … 88

Grauguß GJL 200 0,053 -12 776 0 … 80

Nadelholz Nadelholz 0 -0,194 29,3 0 … 100

in MPa

Speziell für die beiden Stahlsorten und Nadelholz gilt wegen a ≈ 0 eine

„Tetmajer-Gerade“:

k ( ) = b · + c Gl. (8.7)

Technische Mechanik 2 Seite 62

Joensson HTW Berlin

8.5 Das Knickspannungs-Diagramm

Die aus der Eulerschen Knickformel entstandene Gl. 8.2 kann mittels Gl. 8.3

auch geschrieben werden als

k ( ) =

2

2

E

Gl. (8.8)

Diese Gleichung ist die so genannte Euler-Hyperbel für elastisches Knicken.

Beispiel:

Knickspannungs-Diagramm k ( ) für Baustahl S 235:

Theoretisch korrekt gilt die Eulerformel 8.1 bzw. 8.8 für alle -Werte.

Praktisch aber ist ihre Gültigkeit auf den Bereich > p begrenzt.

Für weniger schlanke Stäbe mit < p ist hier die Tetmajer-Gerade gültig.

Speziell bei duktilen Werkstoffen wird außerdem der Stab bei Erreichen der

Druck-Fließgrenze dF nur noch plastisch verformt. Deshalb ist die

kritische Spannung zusätzlich auf diesen Wert begrenzt: k = dF .

Euler-Hyperbel k () für alle Stähle

Johnson Parabel

Tetmajer-Gerade k () speziell für S235

Druck-Fließen

elast. Knicken

elast.-plast. Knicken

0

0

150 200 u p100

k

[MPa]

310

d F 235

d P 190

Technische Mechanik 2 Seite 63

Joensson HTW Berlin Der Schnittpunkt der Tetmajer-Gerade mit der horizontalen Linie dF liefert

den unteren -Wert u für teilplastisches Knicken:

Aus Gl. 8.7 k = b · + c folgt dF = b · u + c

und daraus u = dF c

b

Für S 235 also u =

235 310

1,14

≈ 65

Des Weiteren haben Knickstab-Untersuchungen von Engesser und Kármán

Anfang des 20. Jahrhunderts für Stäbe mit duktilen Werkstoffen und < p

einen parabelähnlichen k ( ) -Verlauf ergeben.

Dieser Verlauf kann mit einer empirischen Formel näherungsweise

beschrieben werden, die bereits von J. B. Johnson (1894) vorgeschlagen

wurde.

Das ist die so genannte „ Johnson-Parabel “ für duktile Werkstoffe: *)

k ( ) = 2

dF dF dPp

Gl. (8.9)

mit dF : Druck-Fließgrenze („Quetschgrenze“) des Stab-Werkstoffes

und dP : Druck-Proportionalitätsgrenze des Werkstoffes in MPa,

z.B. Werkstoff dF dP p

S 235 235 190 105

St 355 355 285 85

Ck 45 490 390 73

AlCuMg 2 F 44 280 220 55

*) Diese Parabel ist nach unten geöffnet – im Unterschied zur Tetmajer-Parabel für Gusseisen – und hat ihren Scheitelwert dF bei = 0.

Technische Mechanik 2 Seite 64

Joensson HTW Berlin

8.6 Stab-Dimensionierung auf Druck-Beanspruchung

( Zusammenfassung ) 1.) Ermittlung der freien Knicklänge k

aus der Zuordnung zu einem Eulerfall

– am besten mit einer Handskizze zur möglichen Knickverformung -

oder aus einer „Eigenwert-Berechnung“ mathematisch herleiten

2.) Berechnung des Schlankheitsgrades aus k , minI und A

3.) Ermittlung des Grenzwertes p für den Stab-Werkstoff

aus E und dP oder aus einem Tabellenwerk

4.) Vergleich ≥ p ? ja

nein k =

2

2

k

EI

A

nach Euler

k = a · 2 + b · + c nach Tetmajer

oder

k = 2/dF dF dP p nach Johnson

5.) Berechnung der kritischen Last kF = k · A

(Für duktile Werkstoffe: Falls k ≥ dF , dann kF = dF · A setzen)

6.) Vergleich kF mit der vorhandenen Druck-Kraft vorhF :

kS = k

vorh

F

F Knicksicherheit

kS sollte größer als 2,0 sein (Leichtbau) bzw. = 3,0 … 6,0 im Maschinenbau

! Wenn kS zu klein oder viel zu groß ist Querschnitt neu

dimensionieren ( A und minI neu ) zurück zu Punkt 2

Technische Mechanik 2 Seite 65

Joensson HTW Berlin

*) z.B. Berger, J.: Technische Mechanik, Band 2: Festigkeitslehre. Vieweg-Verlag 1994, S. 471

8.7 Biegeknicken

infolge exzentrisch wirkender Druck-Längskraft mit Exzentrizität e bzw.

durch Vorkrümmung des Stabes, z.B.

Diese Art des Knickens ist kein

Stabilitätsproblem!

Von Anfang an ist hier die Richtung

der Auslenkung vorgegeben.

Beim echten Knicken ist diese

Richtung unbestimmt.

Biegelinie der Variante a):

Das Biege-Schnittmoment bM am verformten Bauteil

(Theorie 2. Ordnung) liefert für kleine Verformungen eine

Biege-Differenzialgleichung, deren Lösung folgende

Biegelinie ergibt: *)

v(z) e tan / 2 sin z cos( z) 1

mit minF / E I

Speziell für z / 2 entsteht maxv e / cos / 2 e

oder mit Cosinus = 1 / Sekanz formuliert: maxv e sec / 2 1

Mit der Eulerschen Knicklast 2 2k min kF E I / für den 2. Eulerfall

k des zentrischen Knickens kann für / 2 auch geschrieben werden:

2min k/ 2 1 / 2 F / E I / 2 F / F

F

v z

vmax

Mb

e

F

F

e e

a) b)

Technische Mechanik 2 Seite 66

Joensson HTW Berlin

Daraus folgt max kv F e / cos / 2 F / F

bzw. F in Abhängigkeit von maxv geschrieben:

2

max kmax

2 eF v F arccos

v

Diese Formel zeigt, dass mit kleiner werdenden Exzentrizität e die

Verformung zur abrupten Auslenkung des zentrischen Knickens konvergiert:

Beim zentrischen Knicken mit e = 0 gibt es keine Auslenkung, so lange

F < kF ist. Für F = kF aber entsteht plötzlich maxv + ∞ mm oder - ∞ mm.

Wegen dieser Unbestimmtheit heißt die Eulersche Knickkraft kF auch

„Verzweigungslast“.

Spannungen beim Biegeknicken nach Variante a):

Infolge der Überlagerung der Druckspannung D F / A und der

zusätzlichen Biegespannung b max b max bM / W entsteht bei z / 2

am Querschnitts-Rand des gebogenen Balkens die max. Spannung:

b maxmax

b

MF

A W

e 5 mm

maxv in mm

e 0.1 mm

2 mm 0.5 mm

5 mm

k

F

F

Technische Mechanik 2 Seite 67

Joensson HTW Berlin

Mit b max maxM F e v und maxv e sec / 2 1 von Seite 65

folgt:

maxb

F e sec / 2F

A W

Den rechten Term erweitern mit A / A:

maxb b

F e A sec / 2F F e A1 sec / 2

A A W A W

Des Weiteren 2

min

1 F/ 2

2 E I

von Seite 65, erweitert mit A / A

liefert: 2

min min

1 F A A 1 F/ 2

2 E I A 2 I E A

Mit dem Schlankheitsgrad minA / I von Seite 58 entsteht nun

maxb

F e A 1 F1 sec

A W 2 E A

Die Kraft F wird beim Biegeknicken kritisch, wenn die Randspannung max

die Fließgrenze (Streckgrenze) des Materials erreicht.

Bei weiterer Erhöhung der Kraft F kommt es zur Plastifizierung des

gesamten Querschnittes und dadurch zu einem „Fließgelenk“ und das

Bauteil kollabiert dann ähnlich wie beim Eulerschen Knicken.

Deshalb wird der Quotient F /A als kritische Spannung kr interpretiert

(ähnlich wie k beim Eulerschen Knicken), wenn max F erreicht ist:

kr

krFb

e A1 sec

W 2 E

Das ist die so genannte Sekantenformel des Biegeknickens.*)

*) z.B. Hibbeler,.R.C.: Technische Mechanik 2: Festigkeitslehre. Pearson-Verlag 5. Auflage 2011, S. 822

Technische Mechanik 2 Seite 68

Joensson HTW Berlin Der Faktor vor sec wird auch Exzentrizitätsmaß m genannt. Damit entsteht:

rF k kr1 m sec / 4 E

Diese Formel ist nicht direkt nach kr auflösbar, weil kr nur schrittweise

(iterativ) in Abhängigkeit von m und ermittelt werden kann.

Zum Beispiel entsteht mit einem Startwert kr F / 2 eine rechte Seite

ungleich F . Dann wird kr so lange verändert, bis die rechte Seite der

Formel nahezu identisch mit F ist. Das ist dann die gesuchte Größe für kr .

Ergebnis für verschiedene m- und -Werte:

Knickspannungs-Diagramm für einen Stab z.B. aus Baustahl S 235 mit

Rechteck-Querschnitt h < b und verschiedenen Exzentrizitäten e:

Für den Rechteck-Querschnitt gilt: 2

b

e A e bh em 6 6

W hbh

Mit eingetragen ist hier die Johnson-Parabel (siehe Seite 62) für p .

Eine 3-fache Knicksicherheit beim zentrischen Knicken entspricht etwa einer

F

e

h

h

b

e / h 0.1

e / h 0.5

3-fache Knicksicherheit

FF

Euler-Hyperbel

e / h 0.01

F

p

Druck-Fließgrenze

Schlankheitsgrad

kr

Technische Mechanik 2 Seite 69

Joensson HTW Berlin Exzentrizität von e/h = 0.5 , also einer Kraft F, die auf dem Rand des

Querschnittes wirkt.

Im Knickspannungs-Diagramm auf Seite 68 sind auch Spannungswerte

kr für die Variante b (mit Vorkrümmung e) als punktierte Linien

eingetragen. Diese Werte entstehen folgendermaßen:

Biegelinie der Variante b): mit sinusförmiger Vorkrümmung

Das Biege-Schnittmoment bM am verformten Bauteil

(Theorie 2. Ordnung) liefert für kleine Verformungen eine

Biege-Differenzialgleichung, deren Lösung folgende

Biegelinie ergibt: *)

k

Fv(z) e sin z /

F F

mit der Eulerschen Knicklast 2 2k min kF E I /

Speziell für z / 2 entsteht max kv e F / F F

Spannungen beim Biegeknicken nach Variante b):

Wieder entsteht bei z / 2 am Querschnitts-Rand des gebogenen Balkens

die max. Spannung:

b maxmax

b

MF

A W

jetzt mit kb max max

k

FM F e v F e

F F

also

k

maxb k

F F e F

A W F F

Den rechten Term erweitern mit A /A liefert:

*) Kollbrunner,C.F., Meister,M.: Knicken, Biegedrillknicken, Kippen. Springer-Verlag, 2.Aufl. 1961, S. 99

v

z

vmax

Mb

F

e

Technische Mechanik 2 Seite 70

Joensson HTW Berlin

k k

maxb k b k

F F e F A F e A F1

A W F F A A W F F

Den letzten Term nochmals erweitern mit A/A sowie mit E kF / A als

kritische Spannung nach Euler von Seite 62 2 2E k E / und mit

m = be A / W entsteht schließlich:

E

maxE

F1 m

A F / A

Wieder wird die Kraft F beim Biegeknicken kritisch, wenn die Rand-

spannung max die Fließgrenze (Streckgrenze) des Materials erreicht:

krE k

EF

r

1 m

Diese Formel ist zwar der Sekantenformel von Seite 67 ähnlich, führt aber

auf eine quadratische Gleichung für kr und lässt sich damit mittels p-q-

Formel direkt nach kr auflösen als Funktion von und m:

2kr F E F E F E

1 1,m 1 m) 1 m)

2 4

mit 2 2E E /

Die Auswertung dieser Formel ergibt die bereits erwähnten punktierten

Linien im Knickspannungs-Diagramm auf Seite 68.

Fazit: Exzentrisch wirkende Druck-Längskräfte liefern ähnlich kritische

Spannungen wie Druck-Längskräfte bei vorgekrümmten Balken.

Der Sicherheitsfaktor beim zentrischen Knicken deckt eine gewisse

Spanne der unvermeidlichen Exzentrizität und/oder Vorkrümmung ab.

Wesentlich weiter gehende Bewertungen zum Knicken von Stäben und

ganzen Stabwerken enthält z.B. die DIN 18800 Teil 2.

Inhaltsverzeichnis Technische Mechanik 3

Übersicht zur Dynamik Seite 1

1. Kinematik 3

1.1. Einleitung 3

1.2. Kinematik einer Punktmasse 4

1.2.1. Skalare Kinematik 4

1.2.2. Vektorielle Kinematik 11

2. Massenträgheit 18

2.1 Einleitung 18

2.2 Berechnung von Massenträgheitsmomenten 19

2.2.1. Massenträgheitsmoment einer Punktmasse 19

2.2.2. Drehträgheit bei Eigenrotation eines starren Körpers 20

2.2.3. Rotation um eine beliebige Drehachse bA (mit Steiner-Anteil) 24

2.3 Hauptmassenträgheitsmomente 26

2.4 Zentrifugalmomente 30

3. Kinetik 35

3.1 Einleitung 35

3.2 Dynamisches Grundgesetz 36

3.3 Dynamische Kräfte- und Momentengleichgewichte 38

3.4 Das Prinzip von d'Alembert 40

3.5 Freiheitsgrade und kinematische Zwangsbedingungen 41

3.6 Weitere Beispiele zum Prinzip von d'Alembert 44

3.7 Mehrkörpersysteme 57

3.7.1. Einleitung 57

3.7.2. Das Prinzip von d'Alembert für MKS 57

Inhaltsverzeichnis Technische Mechanik 3

4. Schwingungen 63

4.1 Einleitung 63

4.2 Freie Schwingung ohne Dämpfung mit 1 Freiheitsgrad 64

4.2.1. Einleitung 64

4.2.2. Eigenfrequenz-Berechnung 65

4.2.3. Amplituden-Berechnung 70

4.2.4. Mehrere Federn an einer Masse 72

4.3 Freie Schwingung mit Dämpfung 73

4.4 Freie gedämpfte Drehschwingung 77

4.5 Erzwungene Schwingungen mit 1 Freiheitsgrad 81

4.5.1. Einleitung 81

4.5.2. Harmonische Erregung 83

4.5.2.1. Harmonische Krafterregung 84

4.5.2.2. Harmonische Unwuchterregung 90

4.5.2.3. Harmonische Stützenerregung 92

4.5.2.e. Harmonische Erregung: Zusammenfassung 94

Inhaltsverzeichnis zu TM 1 (Statik) ab Seite 2

der vorliegenden Datei Skript_TM.pdf

Inhaltsverzeichnis zu TM 2 (Festigkeitslehre) ab Seite 84

Technische Mechanik 3 Seite 1

Joensson HTW Berlin

© Prof. Dr. Joensson HTW Berlin 2015

D y n a m i k

Bisher Statik: Gleichgewicht der Kräfte und Momente

an „ruhenden“ starren Körpern

(d.h. ohne Geschwindigkeits-Änderung des Körpers

bzw. ohne „Beschleunigung“)

und

Festigkeitslehre:

Spannungen und Verformungen

infolge

statischer Kräfte und statischer Momente.

Dynamik: Kraft = Masse mal Beschleunigung

und

Moment = Drehträgheit mal Winkelbeschleunigung

d.h.

Ermittlung von Kräften und Momenten infolge beschleunigter

Bewegung von Massen

(z.B. durch Geschwindigkeits-Änderung beim Anfahren und

Abbremsen von Fahrzeugen.)

Technische Mechanik 3 Seite 2

Joensson HTW Berlin

Dynamik

Kinematik Massenträgheit Kinetik

„Bewegungslehre“ „Kraftlehre“

z.B.:

Schub-Beschleunigung

a

oder

Winkel-Beschleunigung

Gerichtete Größe

(Vektor)

mal Masse

m

mal Drehträgheit

J

ungerichtet

(Skalar)

= Kraft

F

= m · a

= Moment

M

= J ·

(Vektor F

und M

)

Technische Mechanik 3 Seite 3

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1. Kinematik

1.1 Einleitung Definition der Bewegung: Zeitabhängige Orts- und Lage-Änderung

in Bezug auf ein Raum-Koordinatensystem.

Die Technische Mechanik gehört zur Klassischen (Newtonschen) Mechanik,

d.h. vorausgesetzt wird:

1.) Alle Geschwindigkeiten sind sehr viel kleiner als die Licht-

geschwindigkeit

2.) Die Zeit ist absolut (für alle Körper gleich)

Im Raum 3R hat ein starrer Körper maximal 6 Freiheitsgrade (Bewegungs-

möglichkeiten):

3 Translationen (Verschiebungen) in Richtung der

Koordinatenachsen x, y, z

und

3 Rotationen (Drehungen) um diese Achsen.

Allgemein gilt: Bewegung = Translation + Rotation

Die drei grundlegenden Größen der Kinematik sind:

Weg s (t)

Geschwindigkeit v (t)

Beschleunigung a (t) jeweils zeitabhängig mit dem Parameter t

Häufigste Zielgröße der Kinematik ist die Beschleunigung als Eingangs-

größe der Kinetik.

z y

x

Technische Mechanik 3 Seite 4

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1.2 Kinematik einer Punktmasse

Wenn die Ausdehnung der Bahn sehr viel größer ist als die Ausdehnung des

bewegten Körpers, dann kann der Körper als Punkt bzw. als Punktmasse

idealisiert werden.

Damit sind nur noch 3 Translationen maßgebend.

Die Drehung der Punktmasse um

sich selbst ist vernachlässigbar.

1.2.1 Geradlinige Bewegung einer Punktmasse

(„Skalare Kinematik“)

z.B.

schräg zu den Achsen x, y und z:

Günstiger:

Das Koordinatensystem so wählen,

dass 1 Achse (z.B. x ) in Richtung der

Bewegung zeigt:

Dann nämlich gilt einfach nur

s (t) = x (t) für den zurückgelegten Weg s.

zy

x

z

y

x

z

y

x

m

Technische Mechanik 3 Seite 5

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Wenn z.B. x linear mit t zunimmt, ist die Geschwindigkeit v

als Weg-Differenz pro Zeit-Differenz

berechenbar:

v = 2 1

2 1

x x

t t

= x

t

Wenn sich allerdings x nichtlinear mit t verändert und ∞ dicht liegende

Zeitabschnitte t 0 verwendet werden, dann gilt:

v (t) = dx(t)

dt

Übliche Abkürzung nach Newton: dx

dt = x für die Zeit-Ableitung.

Damit lautet die Geschwindigkeit als 1. Ableitung des Weges nach der Zeit:

v (t) = x (t)

(In der Festigkeitslehre dagegen wird z.B. die Abkürzung v’ für die Orts-

Ableitung der Verformungs-Biegelinie v (z) verwendet:

v’ = v

z

d

d für die Neigung, v’’ =

2

2

v

z

d

d für die Krümmung des Balkens.)

Aus der Geschwindigkeits-Änderung pro Zeit-Differenz wird analog zur

Geschwindigkeit die Beschleunigung berechnet.

Zunächst für lineare Zeitverläufe v(t): a = 2 1

2 1

v v

t t

= v

t

und dann wieder allgemeiner für t 0: a (t) = vd (t)

dt =

d x(t)

dt

bzw. a (t) = x (t)

x

tt2 t1

x1

x2 x (t)

0 0

t

x

Technische Mechanik 3 Seite 6

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Fazit:

Weg s (t) = x (t) Ableiten

Geschwindigkeit v (t) = x (t) = dx(t)

dt

Beschleunigung a (t) = x (t) = 2

2

d x(t)

dt Integrieren

Nur eine der drei Funktionen muss gegeben sein, dann kann jede der beiden

anderen Funktionen durch Ableiten oder Integrieren berechnet werden:

Gegeben Gesucht

x (t) x (t) = dx(t)

dt x (t) =

2

2

d x(t)

dt

x (t) x (t) = x(t) dt + 1C x (t) = dx(t)

dt

x (t) x (t) = x(t) dt + 1C x (t) = x(t) dt + 2C

Demzufolge gehört z.B. zu einer konstanten Beschleunigung stets eine linear

veränderliche Geschwindigkeit und eine quadratisch von der Zeit abhängige

Wegstrecke

bzw.

entsteht bei Null Beschleunigung eine konstante Geschwindigkeit und eine

proportional (linear) von der Zeit abhängige Wegstrecke.

Technische Mechanik 3 Seite 7

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Beispiel:

Ein Fahrzeug wird konstant in x-Richtung beschleunigt und fährt danach

unbeschleunigt weiter.

x (t) = oa

im Bereich t = 0 bis 1t

x (t) = oa dt + 1C

= oa · t + 1C

für t = 0 bis 1t

x (t) = x(t) dt + 2C

= oa · 2t

2 + 1C · t + 2C

für t = 0 bis 1t

Ab t = 1t gilt hier:

x (t) = 0

x (t) = 0 dt + 3C = 3C konstant

x (t) = x(t) dt + 4C = 3C · t + 4C linear von t abhängig

Die Integrationskonstanten iC (mit i = 1 bis n) werden durch

n „Anfangsbedingungen“ (AB) ermittelt.

Das sind Geschwindigkeiten i

x und Wege i

x zu konkreten Zeitpunkten it .

tt1 0

a0

Beschl.

konstant

Null

x

v1

tt1 0

t0 t1

Geschw. x

Weg x

v0

konst.

linear

s1

s0

linear

quadr.

Technische Mechanik 3 Seite 8

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Berechnungs-Beispiel:

Ein Personenzug wird auf gerader Strecke plötzlich mit oa = - 5 m/ 2s

konstant gebremst und kommt nach 300 Metern zum Halten.

Ges.:

1.) Dauer des Bremsvorganges

2.) Geschwindigkeit des Zuges unmittelbar vor dem Bremsen

3.) Grafische Darstellung der Bewegung in den kinematischen

Diagrammen x (t) , x (t) und x (t)

Lösung:

Ansatz für konstante Beschleunigung in x- Richtung:

x (t) = oa (Gleichung 1)

Daraus folgt mittels Integration die „allgemeine Lösung“ der Differenzial-

gleichung (1):

x (t) = oa · t + 1C (2)

x (t) = oa · 2t

2 + 1C · t + 2C (3)

mit vorerst noch unbekannten Konstanten iC .

Die beiden Integrationskonstanten sind durch zwei Anfangsbedingungen AB

berechenbar:

1.) Die Geschwindigkeit am Anfang des Bremsvorganges ist ov :

x (t = 0) = ov AB Nr. 1

Einsetzen in Gl. (2) liefert:

ov = oa · 0 + 1C und damit 1C = ov

Technische Mechanik 3 Seite 9

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2.) Die Wegstrecke am Anfang des Bremsvorganges ist Null :

x (t = 0) = 0 AB Nr. 2

Einsetzen in Gl. (3) liefert:

0 = oa · 20

2 + 1C · 0 + 2C also

2C = 0

Damit lautet die „spezielle Lösung“ der Differenzialgleichung (1):

x (t) = oa · t + ov (2a)

x (t) = oa · 2t

2 + ov · t (3a)

Weil hier die Geschwindigkeit ov noch unbekannt ist, muss 1 weitere

Gleichung gefunden werden - in Form einer weiteren Anfangsbedingung für

die Geschwindigkeit.

Nach einer bestimmten Zeit t = Bt (Bremsdauer) ist die

Geschwindigkeit des Zuges Null:

x (t = Bt ) = 0 AB Nr. 3 als „Endbedingung“

Einsetzen in Gl. (2a) liefert:

0 = oa · Bt + ov (4)

Damit entsteht 1 Gleichung mit 2 Unbekannten (rot markiert), so dass noch

eine weitere Gleichung fehlt.

Auch diese kann aus einer weiteren Anfangsbedingung ermittelt werden, weil

hier der Bremsweg Bs zur Zeit t = Bt mit 300 Metern vorgegeben ist:

x (t = Bt ) = Bs AB Nr. 4 als „Endbedingung“

Einsetzen in Gl. (3a) liefert:

Technische Mechanik 3 Seite 10

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Bs = oa · 2

Bt

2 + ov · Bt (5)

Damit sind 2 Gleichungen (4) und (5) für 2 Unbekannte ov und Bt

vorhanden und die Aufgabe ist lösbar. Ergebnisse:

ov = 2 o Ba s = 54,8 m/s mal 3,6 ov = 197,2 km/h

und Bt = o

o

v

a

Bt = 10,95 s

Und schließlich noch die kinematischen Diagramme dieser Aufgabe:

Dazu werden die speziellen

Lösungen (2a) und (3a) benötigt.

oa = - 5 m/ 2s

Die Geradengleichung (2a) ist mit

2 Punkten darstellbar

Die grafische Darstellung der

Parabel-Gleichung (3a) erfordert

3 Punkte,

z.B. als 3. Punkt den „Mittenwert“

bei t = Bt

2

ttB 0

a0

[m/s²] x

v0

t0

t0

[m/s] x

[m] x

0

300

0

0

x (t)

tB

x (t)

tB

200

100

sB

Technische Mechanik 3 Seite 11

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1.2.2 Krummlinige Bewegung einer Punktmasse

(„Vektorielle Kinematik“)

Eine Bahnkurve im Raum 3R oder in der Ebene 2R bedeutet:

Wegstrecke s (t) Ortsvektor r

(t)

Geschwindigkeit v (t) Geschwindigkeitsvektor v

(t)

Beschleunigung a (t) Beschleunigungsvektor a

(t)

Typisch für krummlinige Bewegungen:

1.) v

(t) stets tangential zur Bahnkurve

2.) a

(t) nicht tangential zur Bahnkurve

Die Beschreibung der krummlinigen Bewegung einer Punktmasse ist in

verschiedenen Koordinatensystemen möglich und üblich,

z.B.

a) in kartesischen Koordinaten

mit x, y und z frei wählbar und senkrecht zueinander

und i

e

Einheitsvektoren in Richtung i = x, y oder z

z

ey

ex

ez

r y

x

Bahnkurve

z (t)

y (t)

x (t)

a

v

Technische Mechanik 3 Seite 12

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Der momentane Ort der Punktmasse wird durch den Ortsvektor angezeigt:

r

(t) = x (t) · x

e

+ y (t) · y

e

+ z (t) · z

e

Daraus folgt der Geschwindigkeitsvektor

v

(t) = d rd t

= r

(t)

d.h.

v

(t) = x (t) · x

e

+ y (t) · y

e

+ z (t) · z

e

Vektor x (t) ↑ Richtung

skalarer Anteil

und daraus wiederum

der Betrag der resultierenden Geschwindigkeit in m/s:

v (t) = 2 2 2( ) ( ) ( ) x t y t z t

(„räumlicher Pythagoras“ der skalaren Anteile) oder kürzer geschrieben:

v (t) = 2 2 2 x y z

Beschleunigungsvektor:

a

(t) = v

dd t

= v

(t)

also

a

(t) = x (t) · x

e

+ y (t) · y

e

+ z(t) · z

e

mit Betrag der resultierenden Beschleunigung in m/ 2s :

a (t) = 2 2 2 x y z

Technische Mechanik 3 Seite 13

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Fazit: r

(t) = x (t) ·

xe

+ y (t) · y

e

+ z (t) · z

e

v

(t) = x (t) · x

e

+ y (t) · y

e

+ z (t) · z

e

a

(t) = x (t) · x

e

+ y (t) · y

e

+ z(t) · z

e

Jede krummlinige Bewegung ist demzufolge lediglich eine dreifache

Überlagerung geradliniger Bewegung.

Aber!

Nachteil kartesischer Koordinaten:

Mehrdeutig bei kreisförmiger Bewegung, z.B.

Für kreis- und spiralförmige Bewegungen besser geeignet:

b) Polarkoordinaten

Das sind ebene Koordinaten mit 2 Parametern:

Radius r (t) und Winkel (t)

Die Einheitsvektoren der Polarkoordinaten rotieren zeitabhängig mit (t).

x

y

er

er (t)

(t)

z

Bahnkurve

x

y

y1

x1a x1b

Technische Mechanik 3 Seite 14

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Der Ortsvektor lautet in Polarkoordinaten:

r

(t) = r (t) · r

e

( )

↑ Richtung zeitabhängig wegen = (t)

Daraus folgt der Geschwindigkeitsvektor

v

(t) = d rd t

= r

(t) wie im kartesischen System S.12

jetzt aber mit

v

(t) = r (t) · rd ed

· (t) + r (t) ·

re

innere äußere Ableitung

Weil r

(t) ein Produkt ist, muss hier für d rd t

im Unterschied zum karte-

sischen System beim Ableiten nach t die Produktregel angewendet werden:

(u · v)’ = u · v’ + u’ · v

Des Weiteren gilt hier: rd ed

= e

(ohne Herleitung)

und damit

v

(t) = ( ) ( )r t t · e

+ r (t) · r

e

bzw. kürzer geschrieben:

v

(t) = r · e

+ r · r

e

v

rv

Daraus folgt der Betrag der resultierenden Geschwindigkeit in m/s:

v (t) = 2 2 v v r mit den skalaren Geschwindig- keitsanteilen v und

rv

Technische Mechanik 3 Seite 15

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Beschleunigungsvektor:

a

(t) = v

dd t

= v

(t) wie im kartesischen System S.12

Mittels Produktregel, innerer und äußerer Ableitung entsteht jetzt aus v

(t) :

a

(t) = 2 r r · r

e

+ r 2 r · e

r

a a

skalare Beschleunigungs-Komponenten

sowie der Betrag der resultierenden Beschleunigung in m/ 2s :

a (t) = 2 2 a a r wie üblich ohne Einheitsvektoren

Die zwei Beschleunigungs-Komponenten bestehen aus 4 Anteilen mit

eigenständigen Namen:

Zum Vektor r

a

gehören:

2r = Zentripetal- Beschleunigung

r = Radial-Beschleunigung

und zu a

:

2 r = Coriolis-Beschleun.

r = Tangential-Beschleun.

er e

Bahnkurve

r

r

2r

ar

Technische Mechanik 3 Seite 16

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Sonderfall Kreisbewegung:

r = const. r = 0 und r = 0

Damit gilt für die Geschwindigkeit:

v

(t) = r · e

als Tangente an die Bahnkurve.

mit Betrag v (t) = r

bzw. v (t) = r

mit ω = (t) Winkelgeschwindigkeit

Beschleunigung der Kreisbewegung:

Wegen r = 0 und r = 0 entsteht

a

(t) = 2 r · r

e

+ r · e

ra a

bzw.

mit α = (t) Winkelbeschleunigung

a

(t) = 2 r · r

e

+ r · e

Betrag der resultierenden Beschleunigung in m/ 2s :

a (t) = 2 2 a a r wie üblich ohne Einheitsvektoren

(t)

a r

r² er

e

er

e

Bahnkurve

v rr

Technische Mechanik 3 Seite 17

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Sonderfall des Sonderfalles Kreisbewegung:

Konstante Winkelgeschwindigkeit = ω = const.

Daraus folgt: = 0

und damit

v

(t) = r · e

tangential zur Bahnkurve

sowie

a

(t) = 2 r · r

e

radial zur Bahnkurve

Betrag der Beschleunigung:

a (t) = + 2r

Winkelgeschwindigkeit ω und Drehzahl n bei Kreisbewegung:

ω = 2π n

Daraus folgt n =

2

in U / s „Dreh-Frequenz“

in 1s oder in Hz bzw.

Drehzahl n = 2

· 60 in U / min

v

a

= ra

Technische Mechanik 3 Seite 18

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© Prof. Dr. Joensson HTW Berlin 2015

2. Massenträgheit

Widerstand gegen Geschwindigkeits-Änderung (Beschleunigung).

2.1 Einleitung

Massenträgheit ist nur bei Beschleunigung wirksam!

Zwei typische Beschleunigungen:

1.) Bei translatorischer Beschleunigung fungiert die Masse m in kg als

„Schubträgheit“.

Dabei entsteht eine Trägheits-Rückstellkraft, z.B.

F = m · x entgegen der Beschleunigungsrichtung x

mit m als Proportionalitätsfaktor.

2.) Bei Rotations-Beschleunigung (um eine Drehachse k) jedoch wird die

Massenträgheit durch das „Massenträgheitsmoment“ kJ

repräsentiert.

kJ fungiert dabei als „Drehträgheit“.

D.h. bei Drehbeschleunigung des Körpers in 2s um die

Drehachse k entsteht ein Trägheits-Rückstellmoment

kM = kJ · in N·m entgegen der Beschleun.richtung

mit kJ als Proportionalitätsfaktor in 2kgm

Technische Mechanik 3 Seite 19

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2.2 Berechnung von Massenträgheitsmomenten („Drehträgheiten“)

Im Unterschied zur richtungs-unabhängigen Masse m ist J abhängig von

der jeweils wirkenden Drehachse:

z.B. entstehen hier 3 verschiedene Werte

aJ , bJ , cJ

je nach Drehachse a, b oder c.

Zu jedem Massenträgheitsmoment gehört 1 bestimmte Drehachse!

Jeder feste Körper hat theoretisch ∞ viele Massenträgheitsmomente.

2.2.1 Massenträgheitsmoment einer Punktmasse,

die im Abstand R um eine Drehachse k rotiert

Die „Drehträgheit“ J der Masse m um k lautet:

kJ = m · 2R in 2kgm

Sonderfall R = 0: Die Drehträgheit bei Eigenrotation einer

Punktmasse ist Null.

Drehachse k

Kreisbahn mit Radius R

R

Drehachse a

c

b

Technische Mechanik 3 Seite 20

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2.2.2. Drehträgheit bei Eigenrotation eines starren Körpers

Eigenrotation: Rotation um eine beliebige Drehachse bS durch den

Schwerpunkt S des Körpers

Masseteilchen dm mit Dichte ρ

Masse des Körpers: m = ρ · V

Bei dieser speziellen Art der Rotation bewegen sich alle Masseteilchen dm

des Körpers auf Kreisbahnen jeweils im Radius-Abstand r um die Dreh-

achse bS.

Je Masseteilchen gilt analog zur Punktmasse:

bSdJ = dm · 2r

Daraus folgt für den gesamten Körper: bSJ = bSdJ

bzw. bSJ =

2 m

r dm in 2kgm

mit

dm = ρ · dV differenziell kleine Masse des Elementes dV mit Dichte ρ

Für konkrete Körperformen folgen aus dem Integral spezielle Formeln.

Beispiel A:

Rotierender Stab der Masse m mit

Länge ℓ , Querschnittsfläche A

und Drehachse xS

dVr

x

y

z

Drehachse xS

S

bS

r

dm = ρ·dV

Volumen V

S

x

Technische Mechanik 3 Seite 21

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Allgemeiner Ansatz für das Massenträgheitsmoment beliebiger Körper-

formen:

xSJ =

2 m

r dm mit dm = ρ · dV

Hier gilt speziell

dV = A · dr

also xSJ =

2 r

r A dr

bzw. xSJ = 2 22

0 r A dr

Lösung xSJ = 2 A 22

0 r dr

= 2 A · 3

3

r 2

0

xSJ =

332

03 2

A

=

32

3 8A

xSJ = 31

12

A

Noch unbekannt: A

Mit m = ρ · V gilt hier m = A · ℓ und damit A = m

Daraus folgt xSJ = 31

12

m

bzw.

xSJ = 21

12m

als Drehträgheit des Balkens der Masse m und Länge ℓ bei Eigenrotation

um die x-Achse.

dV

A dr

Technische Mechanik 3 Seite 22

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Beispiel B: Kreisscheibe

Radius R und Dicke D

Rotation um die „polare“ Achse p

Allgemein gilt: pJ =

2 m

r dm mit dm = ρ · dV

Jetzt mit dV = dA · D

und dA = dr · r · d

wegen r · sin(d≈ r · d

Daraus folgt pJ = 2 r dr r d D

zwei differentielle Anteile Doppelintegral erforderlich

also pJ =

23

0 0

R

D r d dr

… inneres Integral mit dzuerst, dann äußeres Integral …

… Ergebnis pJ = 4 2

D R

Die Anwendung der Masse-Formel m = ρ · V mit V = 2R D liefert

2 D R = m

und damit pJ = 2

2

mR

bzw. pJ = 21

2m R

für die Rotation der Kreisscheibe

um die Achse p

rddr

dAr·d

Dreh- achse p D

R

Technische Mechanik 3 Seite 23

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Einige Massenträgheitsmomente für Eigenrotation

starrer Körper der Masse m

Kreiszylinder

xSJ = ySJ = 2 21 3

12m R

zSJ = 21

2m R Beispiel B

Sonderfall: Dünner Stab mit R << ℓ

xSJ = ySJ ≈ 21

12m Beispiel A

zSJ = 21

2m R

Hohlzylinder

xSJ = ySJ = 2 2 21 3 3

12 a im R R

zSJ = 2 21

2 a im R R

Quader

xSJ = 2 21

12m b c

ySJ = 2 21

12m a c

zSJ = 2 21

12m a b

Kugel

xSJ = ySJ = zSJ = 22

5m R

c

y

z x

a

b S

y

z x

S

Ra

Ri

y

z x

S R

y

z x ℓ

S

y

z x

S R

Technische Mechanik 3 Seite 24

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2.2.3 Rotation eines starren Körpers um eine beliebige Drehachse bA ,

die NICHT durch den Schwerpunkt des Körpers verläuft

Drehträgheit bAJ um die Achse bA =

Eigenrotationswert bSJ um bS parallel zu A + „Steiner-Anteil“:

bAJ = bSJ + 2m s

mit s : senkrechter Abstand zwischen bA und bS.

Beispiel: Rotation eines Quaders um eine seiner Kanten

z.B. um die „Kante Nr. 7“

Das Massenträgheitsmoment um die Kante Nr. 7 lautet:

7J = 7SJ + 27m s

mit 7SJ : Drehträgheit um eine Achse durch S, die parallel zu 7 liegt

und 7s : senkrechter Abstand zwischen Schwerpunkt S und Drehachse 7

7SJ hier xSJ des Quaders in der Tabelle auf Seite 23.

S

a c

b7S

7 s7

A

Ss

bA

Drehachse bA durch einen beliebigen Punkt A ≠ S

Achse bS parallel zu bA bS

Technische Mechanik 3 Seite 25

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Des Weiteren gilt hier

7s = 2 2

2 2

b c

Damit entsteht 7J = 2 21

12m b c + 2 21

4

m b c

xSJ 27s

Ergebnis: 7J = 2 21

3m b c

Weiteres Beispiel: Ein Stab, der um einen seiner Endpunkte rotiert

Geg.: Masse m und Länge ℓ

Ges.: xAJ yAJ zAJ

Für die x-Rotation um A gilt: xAJ = xSJ + 2m s

mit xSJ aus der Tabelle auf S. 23 und s = ½ ℓ , also

xAJ = 21

12m +

2

4m

= 2 1 1 3

12 4 3m

= 24

12

m

xAJ = 21

3m 4 mal größer als xSJ !

Rotation um y:

yAJ = xAJ

Rotation um z: zAJ = zSJ

wegen s = 0, also zAJ = 21

2m R

S z

AzA

S

y

A

yA

S

y

x z A

Technische Mechanik 3 Seite 26

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2.3 Hauptmassenträgheitsmomente

Jeder starre Körper der Masse m hat theoretisch unendlich viele Drehträg-

heitswerte kSJ :

Jede mögliche Drehachse k durch S liefert

einen Wert, z.B.

a SJ , b SJ , c SJ … SJ

Nur im Sonderfall einer Kugel sind alle diese Werte gleich groß.

In jedem starren Körper gibt es mindestens eine Achse („Nr. 1“) durch S,

für die eine maximale Drehträgheit 1 SJ existiert

und eine zweite, dazu senkrecht stehende Achse („Nr. 3“), für die eine

minimale Drehträgheit 3 SJ vorhanden ist.

Zu diesen beiden Achsen wiederum

senkrecht steht eine Achse „Nr. 2“

mit einer Drehträgheit 2 SJ .

Diese drei besonderen Drehträgheiten heißen

Hauptmassenträgheitsmomente 1J ≥ 2J ≥ 3J

oder auch kürzer Hauptträgheitsmomente.

Der Index S wird meistens weggelassen, weil die Achsen 1 bis 3 (die „Haupt-

zentralachsen“ oder Hauptachsen des Körpers) immer durch S verlaufen.

1J ist das größtmögliche Massenträgheitsmoment des Körpers für sämtliche Drehachsen durch S.

3J ist das absolut kleinste mögliche Massenträgheitsmoment des Körpers.

S

2

1

3

S k = a

Technische Mechanik 3 Seite 27

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Die Berechnung der Lage dieser 3 Hauptachsen ist aufwendig für beliebig

geformte Bauteile.

Nur bei symmetrischen Bauteilen gibt es Vereinfachungen:

Jede Symmetrielinie durch S ist eine mögliche Hauptachse

und zwei senkrecht dazu stehende Linien ebenso.

Zum Beispiel sind die Achsen x , y und z in der Tabelle auf S. 23 bereits

Hauptachsen und die angegebenen Massenträgheitsmomente demzufolge

auch Hauptträgheitsmomente!

Vorteile, wenn die Hauptträgheitsmomente eines Bauteils bekannt sind:

1.) Bei der Rotation kann Energie gespart werden, wenn als Drehachse

die Achse Nr. 3 verwendet wird.

2.) Für eine beliebige Drehachse bS ≠ 1, 2 und 3 kann das zugehörige

Massenträgheitsmoment b SJ aus folgender Formel ermittelt werden:

b SJ = 2 2 2

1 2 3cos ( ,1) cos ( ,2) cos ( ,3)J bS J bS J bS

mit (bS,i ) : Winkel zwischen

der Achse bS und der Achse i

SbS,1

bS

21

3

Technische Mechanik 3 Seite 28

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Beispiel: Rotation eines Quaders um eine diagonale Drehachse AB

Geg.: m , a , b , c

α = arctan (b/a)

Ges.: ABJ

Lösung:

Zuerst die Drehachse parallel verschieben um den Abstand s = ½ c bis in

den Schwerpunkt. Damit entsteht eine Drehachse bS.

Dann die möglichen Hauptachsen

1 bis 3 eintragen.

Danach die Winkel (bS,i ) bestimmen:

bS,1 = α cos α

bS,2 = α + 90° cos (α + 90°) = sin (-α)

bS,3 = 90° cos 90° = 0

Gemäß Tabelle auf S. 23 gilt hier:

1J = xSJ = 2 21

12m b c

2J = ySJ = 2 21

12m a c

3J = zSJ = 2 21

12m a b

A

B ½ c

bS

1

2

3

A

B a

cb

Technische Mechanik 3 Seite 29

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Berechnung der Drehträgheit für die Drehachse AB:

ABJ = bSJ + Steiner-Anteil

Mit bSJ = 2 2 2cos sin ( ) cos 90xS yS zSJ J J

und Steiner-Anteil 2

1

2m c

= 21

4m c

entsteht hier schließlich:

ABJ = 2 2 2 2 2 2 21 1

cos sin ( ) 12 4

m b c a c m c

Nachteil einer Drehachse bS , die keine Hauptachse ist:

Zusätzlich zur Drehträgheit bSJ (um die schiefe Achse bS ) wirken

„zentrifugale“ Trägheitsmomente um zwei weitere Achsen senkrecht

zu bS ,

die zusätzlich Taumelbewegungen auslösen.

Bei dauerhaft rotierenden Bauteilen sollte deshalb die Drehachse möglichst

eine der drei Hauptachsen sein – am besten die Achse Nr. 3.

Nur dann rotiert das Bauteil „dynamisch ausgewuchtet“.

Technische Mechanik 3 Seite 30

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2.4 Zentrifugalmomente

bzw. auch „Deviationsmomente“ genannt (Abweichungsmomente)

oder „Zentrifugale Massenträgheitsmomente“

Derartige Drehträgheiten werden nur wirksam, wenn die Rotation schief zu

mindestens einer Hauptachse erfolgt, wenn also die Drehachse von den

Hauptachsen abweicht.

Fliehkraft-Effekt bei Rotation um eine feststehende Drehachse:

z.B.

Drehung um x = Drehung um die

Hauptachse Nr. 2

mit Winkelgeschwindigkeit x

An jeder Körperhälfte wirken stets zwei gleich große Zentrifugalkräfte F = 2m r :

1F = 2F = 21

1

2 xm y

mit 1y : Abstand des Teil-Schwerpunktes 1S

von der Drehachse

Bei schiefer Rotation haben diese „Fliehkräfte der halben Massen“ stets einen

Abstand a zueinander:

Damit entsteht ein Kräftepaar = Kraft-Moment

hier zM = 1 xF a

linksdrehend (positiv um z)

x

y 1

2

x

2

xa

2S

1S

GesS

1F

2F

x

1F

2F

1S

2S

y

z x

1

2 3 x

Technische Mechanik 3 Seite 31

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Während der Drehbewegung um x wird hier also permanent zusätzlich ein

Drehmoment um z erzeugt:

zM = 21

1

2 x xm y a

xyJ

Der Faktor vor 2 x ist das zentrifugale Massenträgheitsmoment xyJ

in 2kg m und 1y ist nicht identisch mit 1y bei Hauptachsen-Rotation.

Jeder Körper hat bei schiefer Rotation maximal 6 Zentrifugalmomente,

von denen jeweils 2 gleich groß sind.

An Stelle von 1

1

2 xm y a gilt allgemein für beliebige Körperformen:

xyJ = yxJ =

m

x y dm

sowie xzJ = zxJ =

m

x z dm

yzJ = zyJ =

m

y z dm

Alternativ zu diesen mathematisch allgemein gültigen Integralen können die

Zentrifugalmomente auch aus den drei Hauptträgheitsmomenten berechnet

werden (siehe z.B. J. Berger: Technische Mechanik, Band 3, S. 214):

xyJ = 1 1 1 2 2 2 3 3 3cos cos cos cos cos cos )J J J

xzJ = 1 1 2 2 3 3

yzJ = 1 1 2 2 3 3

Technische Mechanik 3 Seite 32

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mit den Winkeln 1 bis 3

zwischen der x-Achse

und

den Achsen 1, 2 und 3

ähnlich wie auf S. 27

Winkel 1 bis 3

zwischen z-Achse

und

Achse 1, 2 und 3

sowie 1 bis 3

für die y-Achse.

Die 3 „axialen“ Massenträgheitsmomente xxJ , yyJ , zzJ und die 6

„zentrifugalen“ Trägheitsmomente xyJ , yxJ , xzJ , zxJ , yzJ , zyJ

bilden zusammen den so genannten „Trägheitstensor“:

J = xx xy xz

yx yy yz

zx zy zz

J J J

J J J

J J J

= 1

2

3

0 0

0 0

0 0

J

J

J

für Koordinaten für Koordinaten

x,y,z schief zu den in Hauptachsenlage

Hauptachsen 1, 2, 3

1

2

3

x

y

z

1

2

3

1

2

3

x

y

z

3

1

2

Technische Mechanik 3 Seite 33

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Beispiel für schiefe Rotation:

Ein Zylinder der Länge = 6a mit Radius R = 2a soll um eine x-Achse

rotieren, die von der Hauptachse 3 in der Ebene 1-3 um den Winkel α

abweicht. Damit weicht die y-Achse ebenso um α von der Achse 1 ab. Die

Achse z ist identisch mit der Hauptachse 2.

Geg.: Masse m = 40 kg, Längeneinheit a = 4 cm

Ges.: Das axiale Trägheitsmoment xxJ sowie die zentrifugalen Trägheits-

momente xyJ , yxJ , xzJ

Lösung:

Die Hauptträgheitsmomente lauten gemäß Tabelle auf S. 23:

1J = 2J = 2 21 3

12m R = 24 ma 3J = 21

2

m R = 22 ma

Analog zu S. 27 gilt:

xxJ = 2 2 21 1 2 2 3 3cos cos cosJ J J

Hier mit den Winkeln = arctan 3

a

a

= 18.435°

1 = 90° -

2 = 90° cos 2 = 0

3 = …. liefert xxJ = 22,2 ma = 21408 kg cm

1

2 = z

3

6a4a

y

x

S a

Technische Mechanik 3 Seite 34

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Für die Zentrifugalmomente gemäß den Hauptspannungs-Formeln auf S. 31

werden außerdem noch die anderen Winkel benötigt.

Zwischen der y-Achse und Zwischen der z-Achse und

den Achsen 1 bis 3: den Achsen 1 bis 3:

1 = 1 = 90°

2 = 90° 2 = 0°

3 = 90° + 3 = 90°

Mit diesen Winkeln wird

xyJ = 1 1 1 2 2 2 3 3 3cos cos cos cos cos cos J J J

…. xyJ = 20,6 ma = 2384 kg cm

…. xzJ = 0

…. yzJ = 0

Technische Mechanik 3 Seite 35

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© Prof. Dr. Joensson HTW Berlin 2015

3. Kinetik

3.1 Einleitung

Kinematik

(Bewegungslehre)

Massenträgheit Kinetik

(Kraftlehre)

z.B.

Beschleunigung x

Masse m

(„Schubträgheit“)

F = m x

oder

Drehbeschleunigung k

um eine Drehachse k

Jk

„Drehträgheit“ um k

kM = Jk k

Drehmoment um k

Allgemeine Bewegung starrer Körper:

Translation des Schwerpunktes ( = Orts-Änderung ohne Eigendrehung)

plus

Rotation um den Schwerpunkt S ( = Lage-Änderung),

jeweils unabhängig voneinander:

Dazu gehören zwei dynamische Grundgesetze, die voneinander unabhängig

sind:

SS

S S

=

Rotation um S

Translation von S (kann auch nichtlinear sein) ohne Eigendrehung

Technische Mechanik 3 Seite 36

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3.2 Dynamisches Grundgesetz

für Translation für Rotation

↓ ↓

Impulssatz

nach Euler (1750)

und Newton (1687)

(auch Schwerpunktsatz genannt) :

Drallsatz

nach Euler (1775):

(auch Drehimpulssatz oder

Momentensatz genannt):

ResF

= vd m

d t

RSM

= Sd D

d t

d.h.

die zeitliche Änderung des

Impulses vm

(Masse mal Geschwind.vektor)

bewirkt

am Schwerpunkt S

des bewegten Körpers

eine resultierende Kraft

oder:

Jede von außen angreifende Kraft

ResF

erzeugt eine Impuls-

Änderung des bewegten Körpers.

Sonderfall:

Impulserhaltungssatz ( ResF

= 0

)

d.h.

die zeitliche Änderung des

Drehimpulses SD

(aus Drehträgheiten und

Winkelgeschwindigkeiten)

bewirkt

um den Schwerpunkt S

des bewegten Körpers

ein resultierendes Moment RSM

oder:

Jedes von außen angreifende Dreh-

moment RSM

erzeugt eine Drehimpuls-Änderung

des bewegten Körpers.

Sonderfall:

Drehimpulserhaltungssatz ( RSM

=0

)

MRS FR

Technische Mechanik 3 Seite 37

Joensson HTW Berlin Sonderfall: Starrer Körper ( m = konstant)

Impulssatz

Wegen m = konstant kann m

als Faktor vorgezogen werden:

Drallsatz

Speziell für Rotation um 1 Dreh-

achse k , die parallel zu einer der

drei Hauptachsen des Körpers

verläuft, ist der Drall SD

= k kJ

und damit

ResF

= vd

md t

RkM

=

k kd J

d t

= kk

dJ

d t

also

ResF

= m a

RkM

= k kJ

mit Beschleunigung a

und Winkelbeschleunigung k

Nochmals speziell: Ebene Bewegung in der x-y-Ebene

Drehachse k = zS

parallel zu z durch S

Verdrehwinkel = z

Aus ResF

= m a

wird hier

R xF = m x

R yF = m y

bzw. i xF = m x

i yF = m y

Aus

RkM

= = k kJ

wird hier

RzM = zSJ

bzw.

i zM = zSJ

S

k = zS

x

yz

Technische Mechanik 3 Seite 38

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3.3 Dynamische Kräfte- und Momentengleichgewichte

Zunächst dargestellt am Beispiel der ebenen x-y-

Bewegung von S. 37:

→ : i xF - m x = 0

Trägheits-Rückstell-Kraft entgegen der Beschleu-

nigungsrichtung

nach d’Alembert (1743)

↑ : i yF - m y = 0

S : i zM - zSJ = 0

Trägheits-Rückstell-Moment in Nm

Sonderfall s t a t i s c h e s Gleichgewicht x = y = = 0

→ : i xF = 0

↑ : i yF = 0

S : i zM = 0 siehe TM 1

y

x z

Technische Mechanik 3 Seite 39

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Das dynamische Grundgesetz ResF

= m a

für Translation kann also auch

geschrieben werden als:

ResF

- m a

= 0

mit Nullvektor 0

, weil diese Vektorgleichung aus mehreren Gleichungen mit

jeweils 0 als rechter Seite besteht.

Dabei wird die negative Kraft -m a

als „Trägheits-Rückstell-Kraft“ TF

interpretiert (auch d’Alembertsche Hilfskraft genannt).

Somit entsteht

ResF

+ TF

= 0

Allgemeines dynamisches Kräfte-gleichgewicht

Sonderfall Statik:

Wegen nicht vorhandener Bewegungsbeschleunigung gilt TF

= 0

und damit ResF

= 0

bzw. i xF = 0

i yF = 0

i zF = 0

als statisches Kräftegleichgewicht komplett.

Des Weiteren folgt aus der Interpretation von Trägheits-Rückstell-Momenten

in ähnlicher Weise

ResM

+ TM

= 0

Allgemeines dynamisches Momentengleichgewicht

mit dem Sonderfall Statik ResM

= 0

wegen TM

= 0

.

Technische Mechanik 3 Seite 40

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3.4 Das Prinzip von d’Alembert

(in Kombination mit dem Eulerschen Schnittprinzip)

1.) Der bewegte Körper wird freigeschnitten (wie in der Statik) mit

Skizze.

Jetzt aber zuerst freie Koordinate(n) antragen, dann alle wirkenden

Kräfte und Momente

2.) Zusätzlich werden in die Skizze eingetragen: Die d’Alembertschen

Trägheits-Rückstell-Kräfte und/oder -Rückstell-Momente

(den freien Koordinaten entgegengesetzt gerichtet)

3.) Kräfte- und Momentenbilanzen wie in der Statik

Daraus lassen sich sämtliche Bewegungsgrößen (Wege, Winkel,

Geschwindigkeiten und Beschleunigungen)

sowie alle möglichen Kraftgrößen ermitteln, z.B. dynamische Lagerkräfte

und -momente, Gelenkkräfte zwischen gekoppelten Bauteilen, Feder-

kräfte, Dämpferkräfte, Antriebsmomente, Bremsmomente usw.

Beispiel: Aufgabe D 30

Technische Mechanik 3 Seite 41

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3.5 Freiheitsgrade und kinematische Zwangsbedingungen

Jeder starre Körper hat im Raum 3R sechs mögliche Freiheitsgrade.

Kennzeichnung dieser Freiheitsgrade durch 6 „freie Koordinaten“:

3 Translationen (Verschiebungen)

x , y , z

und

3 Rotationen (Verdrehwinkel)

x , y , z

Ebene Bewegung: Nur 3 mögliche Freiheitsgrade

( 2 Translationen und 1 Rotation)

z.B.

in der xy-Ebene:

x, y,

und z =

Doppelpfeil bedeutet:

Daumen der rechten Hand in Pfeilrichtung – dann zeigen die Finger die Drehrichtung.

Draufsicht:

bzw.

y

x z

y

x

y

x z

z

y

x

x

y

z

y

x

z

y

z

x

y

x

z

S

Starrer Körper

Technische Mechanik 3 Seite 42

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Bei technischen Systemen gibt es oft zwingende geometrische Beziehungen

zwischen den freien Koordinaten.

Das sind die kinematischen Zwangsbedingungen (ZBn)

(Bewegungszwänge).

Jede ZB reduziert die Anzahl der Freiheitsgrade um 1.

Dabei gilt: f = n - k

mit f: Anzahl der tatsächlichen Freiheitsgrade des technischen Systems

n: Anzahl der theoretisch möglichen Freiheitsgrade

( = Anzahl der „freien Koordinaten“)

k: Anzahl der kinematischen ZBn

Beispiel: Rollendes Rad (hat nur 1 Freiheitsgrad)

Hier gibt es zwei freie Koordinaten:

x und .

y-Bewegung ist beim Rollen nicht

zugelassen.

Also n = 2.

Bei jeder Drehung entsteht auch zwangsläufig Translation → 1 ZB (k = 1)

für den Abrollweg x in Abhängigkeit von :

x = sinr

Für kleine Winkelschritte („Fahrradkette“) gilt

näherungsweise sin ≈

Also x = r Abrollbedingung

Wichtigste ZB der Technischen Mechanik!

r x

x

R

z x

y

Technische Mechanik 3 Seite 43

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Kontrolle:

Eine volle Umdrehung des Rades mit = 2π liefert als Abrollweg den

kompletten Rad-Umfang x = 2π r.

Aus der einen ZB x = r folgt hier

f = n - k = 1 Freiheitsgrad

( = Anzahl der erforderlichen Festhaltungen, um das rollende Rad zu

arretieren).

Aus x = r folgt außerdem

x = r sowie x = r

↑ ↑

Translations- Translations-

Geschwindigkeit Beschleunigung

der Radachse der Radachse

und und

= =

Winkelgeschwindigkeit Winkelbeschleunigung

des Rades (= 2π n) des Rades

Technische Mechanik 3 Seite 44

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3.6 Weitere Beispiele zum Prinzip von d’Alembert

Beispiel Gleitender Quader auf schiefer Ebene

Geg.:

m = 10 kg

Winkel = 20 Grad

g = 9,81 2/m s

Gleitreibungskoeffizient = 0,3Ges.:

Erforderliche Seilkraft F, um den Quader mit einer konstanten Beschleu-

nigung a = 0,2 2/m s nach oben zu ziehen.

Lösung:

1.) Vorspann (ohne Kraftgrößen – nur Geometrie!)

Nur 1 freie Koordinate x ( n = 1)

Keine ZBn ( k = 0 ) zwischen freien Koordinaten

f = 1 Freiheitsgrad

Schnittgebiet ---

2.) d’Alembertsches Prinzip

Neue Skizze: Freischneiden des Bauteils mit allen wirkenden Kraftgrößen.

Zuerst freie Koordinate(n) eintragen!

mgFN

FR

F x

m x

S

x

m

Seil F

g

Schnittgebiet

Gewichtskraft

Trägheits- Rückstell-Kraft

Technische Mechanik 3 Seite 45

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Beim Freischneiden kommen hier zwei Stützkräfte zum Vorschein:

Eine Normalkraft NF und eine Reibkraft RF entgegen x.

Für beide gilt: RF = NF (1)

Aus der Kräftebilanz in x-Richtung kann hier die gesuchte Kraft berechnet

werden, weil x t = a gegeben ist.

Vorher muss lediglich die x-Komponente der Gewichtskraft mg ermittelt

werden:

Und damit

Kräftebilanzen:

: sin 0 RF F mg m x (2)

: cos 0 NF mg (3)

Einsetzen von (3) und (1) in (2) liefert:

F = · mg · cos + mg · sin + m x (2a)

und mit x = a : F = 63,5 N

Umgekehrt könnte bei gegebener Seilkraft F (z.B. 100 N) die damit erzeugte

Beschleunigung aus Gleichung (2a) berechnet werden:

x t = F

m - · g · cos - g · sin (= zeitkonstant wegen F)

FN

FR

F x

m x

S mg sin

mg cos

mg

mg sin

mg cos

„Hangabtriebskraft“

Technische Mechanik 3 Seite 46

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Beispiel Rollender Zylinder auf schiefer Ebene

Geg.:

m = 10 kg

Zylinder-Radius r = 20 cm

g = 9,81 2/m s

Winkel = 10 Grad

Ges.:

Geschwindigkeit in km/h und zurückgelegte Wegstrecke für eine

Anfangsgeschwindigkeit 0v = 0 m/s

a) mit Rollwiderstand berechnet

b) ohne Rollwiderstand

Hinweis zu a)

Der „Hebelarm“ des Rollwiderstandes soll dabei 2 mm betragen

Anmerkungen zum Rollwiderstand:

Beim Rollen verformt sich das Rad und/oder die Unterlage:

bzw.

Berechnungsmodell:

Die Stützkraft NF (mit N wie Normalkraft, senkrecht zur Unterlage)

verschiebt sich beim Rollen minimal in Richtung x um eine Weglänge e.

e (die Exzentrizität) ist der „Hebelarm des Rollwiderstandes“.

mg

FN

e

x

mg

FN

e

x

g

Technische Mechanik 3 Seite 47

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Die Verschiebung von NF bewirkt bei jedem Rollen ein permanentes Brems-

moment BM = eNF um S entgegen dem Drehwinkel .

Diese Bremswirkung kann alternativ auch ohne NF -Verschiebung durch ein

horizontales Kräftepaar mit „Rollwiderstandskraft“ R WF als Bremskraft im

Schwerpunkt des Rades beschrieben werden:

Dabei gilt:

A : eNF = R WF r = BM

Daraus folgt die Rollwiderstandskraft: R WF = e NF

r

Der Faktor e

r heißt mitunter auch „Rollwiderstandszahl“ R =

e

r

Und damit

R WF = R NF

R ist trotz der Ähnlichkeit dieser Formel mit dem Coulombschen Reibungs-

gesetz KEIN Reibkoeffizient!

Die Exzentrizität e kann nur experimentell ermittelt werden, z.B. durch die

Messung der notwendigen Zugkraft, um das Rad zum Rollen zu bringen:

mg

FN

x S

A

^ =

e

mg

FN

xS

A

FRW

FRW

r

mg

FN

xS

A

MB

=^

ohne e !

Technische Mechanik 3 Seite 48

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Rollbeginn bedeutet Kippen um A:

A : 0 Zug R WF r F r

liefert ZugF e

RW NF Fr

und damit e Zug

N

Fr

F mit NF = mg

Einige Werte:

Eisenbahnräder auf Schienen:

Wälzlager:

Autoreifen auf Asphalt:

e = 0,5 … 1,5 mm

0,005 … 0,1 mm

3 … 5 mm

Nun zur Lösung der Aufgabe

von S. 46

Um Geschwindigkeiten und Wege berechnen zu können, muss zunächst die

Beschleunigung x t ermittelt werden, z.B. mit dem d’Alembertschen

Prinzip.

Vorspann: (ohne Kraftgrößen!)

Nur Koordinaten und Schnittgebiete.

Hier:

n = 2 freie Koordinaten x und

1 Zwangsbedingung (k = 1) :

Abrollbedingung x = r (1)

Damit ist die Anzahl der Freiheitsgrade f = n - k = 1

g

x

x

FRW FZug ≥ FRW

r A

Schnittgebiet

Technische Mechanik 3 Seite 49

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f = 1 bedeutet:

Diese Aufgabe ist vollständig durch 1 Bewegungsdifferenzialgleichung

beschreibbar mit 1 maßgeblichen Koordinate für den 1 Freiheitsgrad.

Dazu ist es zweckmäßig, zunächst eine der freien Koordinaten als „Haupt-

unbekannte“ zu deklarieren (als „generalisierte Koordinate“),

zum Beispiel x

Dann die ZB (1) so umstellen, dass rechts die Hauptunbekannte steht:

= 1

xr

bzw. = 1

xr (1a)

----------------- Ende des Vorspanns.

d’Alembert Neue Skizze und freie Koordinaten zuerst!

Für die nachfolgenden Kräftebilanzen ist es zweckmäßig, das Eigengewicht

mg in Komponenten zu x und senkrecht zu x aufzuteilen.

x

mg

FT

FN

mx

JS

e

S

Stützkräfte tangential und „normal“ zur Unterlage

freigeschnitten

Technische Mechanik 3 Seite 50

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Dynamisches Gleichgewicht:

: NF - mg · cos = 0 (2)

: m x - mg · sin + TF = 0 (3)

S : SJ - TF r + eNF = 0 (4)

Zielgröße ist x.

Aus (2) folgt: NF = mg · cos

Aus (4): TF = SJ

r + R NF wegen

e R r von S. 47

Mit SJ = 21

2m r für den Zylinder und der ZB (1a) =

1x

r entsteht:

TF =

1

2 R Nm x F

Einsetzen in (3):

m x - mg · sin + 1

2

R Nm x F = 0

liefert: 3

2m x = mg · sin - R NF mg · sin - R WF

x

FT

FN

mx

JS

r

mg cos mg sin

e

S

Technische Mechanik 3 Seite 51

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also x = 2sin

3 R Nmg F

m

antreibend bremsend

Mit NF = mg · cos folgt schließlich daraus:

x t = 2sin cos

3 Rg

Nun zur Kinematik dieser Aufgabe:

Rechte Seite zeit-konstant, also:

x t = a

x t = 1a t C (5)

x t = 2

1 22

ta C t C (6)

Zwei Anfangsbedingungen:

0 0x t einsetzen in (5) liefert 1 0C

0 0x t einsetzen in (6) liefert 2 0C

Damit lautet die spezielle Lösung:

x t = a t

x t = 2

2

ta

(7) (8)

Mit R = e

r =

2

200

mm

mm = 0,01

hat zunächst die Beschleunigung mit Rollwiderstand den Wert

a = 229,81 / sin10 0,01 cos 10

3m s = 21,071 /m s

Technische Mechanik 3 Seite 52

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Berechnung der Geschwindigkeit und Wegstrecke nach 1t = 10 s :

1 1vx t t einsetzen in (7) liefert 1v = 1a t

und damit 1v = 10,71 m/s

bzw. 1v 38,6 /km h

1 1sx t t einsetzen in (8) liefert 1s = 2

1

2

ta

1s 53,6 m

Und schließlich

b) Ohne Rollwiderstand berechnet:

Wegen R = 0 gilt

*a = 2

sin3

g = …. = 21,136 /m s > a !

Daraus folgen:

*1v 40,9 /km h

und *1s 56,8 m

Technische Mechanik 3 Seite 53

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Beispiel Passiv rollendes Fahrzeug am Hang

Geg.:

m = 10 Tonnen

g = 9,81 2/m s

Gefälle q = 10 %

Rollwiderstandszahl R = 0,02

Ges.:

Beschleunigung des Fahrzeuges während des Rollens unter Vernachlässigung

der Drehträgheit der Räder

Rollende Fahrzeuge ohne Eigenantrieb

(im Unterschied zu aktiv rollenden Fahrzeugen, die ein Antriebsmoment an

mindestens einer Achse haben).

Freischneiden des Fahrzeug-Aufbaues von den Rädern Achskräfte xA

und yA (in Fahrtrichtung x und senkrecht dazu) an jeder Achse:

Ay

Ay

Ax

Ax FT

FT

FN

FN

x g

g

Technische Mechanik 3 Seite 54

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Kräfte und Momente am einzelnen Rad - mit Radmasse Rm :

: NF - cosRm g - yA = 0 (1)

: Rm x + TF - sinRm g - xA = 0 (2)

S : SJ - TF r + eNF = 0 (3)

Aus (1) folgt: cosy N RA F m g

Des Weiteren folgt aus (3): TF = SJ

r + R NF

und eingesetzt in (2): sin Sx R R N R

JA m x F m g

r

Mit der Zwangsbedingung = 1

xr für das Abrollen des Rades (von

S. 49 und 50) sowie mit SJ = 21

2 Rm r für das zylinderförmige Rad mit

Rad-Radius r entsteht:

1sin

2

x R R R N RA m m x F m g

Die Achskräfte xA und yA wirken am Fahrzeug-Aufbau entgegengesetzt:

x

FT

FN

Rm x

JS mRg sin

mRg cos

Ay

Ax

e

S

Technische Mechanik 3 Seite 55

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mit Aufbaumasse Am und Radmasse Rm

Des Weiteren werden in der Fahrdynamik unterschiedliche Achskräfte vorn

( vxA , vyA ) und hinten ( x hA , y hA ) berücksichtigt.

Außerdem wird für die Momentenbilanz der Höhen-Abstand Ah

zwischen den Achsen und dem Aufbau-Schwerpunkt AS sowie die

Achsabstände 1 und 2 verwendet.

Wegen der Räder liegt der Gesamtschwerpunkt gesS etwas tiefer als AS .

Mit der Gesamtmasse des Fahrzeuges ges A Rm m m m und

damit A Rm x m x m x sowie NF = vN

F + N h

F

und sin sin sinA Rm g m g m g

cos cos cosA Rm g m g m g folgt eine

Vereinfachte Berechnung des passiv rollenden Fahrzeuges:

Ohne Angabe der Abstände 1 , 2

und Ah und ohne Drehträgheit SJ

der Räder

sowie mit gesm m und

R WF = aller Rollwiderstände

= R NF

m x

FRW

mg sin

mg cos

FN

x

Sges

Am x mA g sin

mA g cos

x

SA

ℓ2 ℓ1

hA

Sges

1,5 sin x R R N RA m x F m g

cosy N RA F m g

Technische Mechanik 3 Seite 56

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Nun zur Lösung der Aufgabe von S. 53:

Vorspann:

Nur 1 freie Koordinate x

keine Zwangsbedingungen

f = 1 Freiheitsgrad

d’Alembert Freie Koordinate zuerst!

: NF - mg · cos = 0 (1)

: m x - mg · sin + R WF = 0 (2)

S : entfällt

Aus (2): m x = mg · sin - R WF

Mit R WF = R NF und NF = mg · cos aus (1) folgt

m x = mg · sin - cosR mg

( ) sin cos Rx t g zeit-konstant

Noch unbekannt ist der Winkel .

Dazu wird das Gefälle q = p

h

benötigt.

mit h erreichte Höhe p nach unten projizierte Weglänge

tatsächliche Wegstrecke

Das heißt = arctan (q)

Hier also = arctan (0,10) = 5,71° und damit 2( ) 0,78 /x t m s

h

ℓp

mx

mg cos

mg sin

FRW

FN

x

S

x

Technische Mechanik 3 Seite 57

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3.7 Mehrkörpersysteme

3.7.1 Einleitung

Ein Mehrkörpersystem (MKS) ist ein spezielles Berechnungsmodell der

Technischen Mechanik, bei dem Maschinen und Fahrzeuge näherungsweise

als System von starren Körpern idealisiert werden mit masselos

angenommenen Verbindungen (Gelenke, masselose starre Stäbe, masselose

elastische Federn und Dämpfer).

z.B.

MKS ermöglicht die rationelle Berechnung der Kinematik und Kinetik

komplexer Maschinensysteme.

3.7.2 Das Prinzip von d’Alembert für MKS

1.) Jeder Körper des MKS wird einzeln frei geschnitten.

2.) Je Körper werden Kräfte- und Momentengleich-

gewichte unter Einbeziehung der d’Alembertschen

Kraftgrößen aufgestellt.

Damit sind berechenbar:

a) Alle Bewegungsgrößen des gesamten Systems (Wege, Winkel,

Geschwindigkeiten, Drehzahlen und Beschleunigungen für jeden

Körper des MKS)

b) Alle Bindungskräfte und/oder Bindungsmomente einschließlich

dynamischer Lagerreaktionen bei gefesselten Systemen.

starr elastische Verbindung

starrer Körper

Technische Mechanik 3 Seite 58

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Der Lösungsweg für MKS nach d’Alembert in Stichpunkten:

1.) Skizze ohne Kraftgrößen (nur freie Koordinaten) → Anzahl n

2.) Anzahl der Freiheitsgrade f des Systems ermitteln

(= Anzahl der erforderlichen Festhaltungen, um das System zu arretieren)

= Anzahl f der Bewegungs-Differenzialgleichungen zur vollständigen

Beschreibung der MKS-Bewegungen

3.) Auswahl von f Koordinaten als hauptunbekannte Koordinaten

(„generalisierte Koordinaten“ der Dynamik)

4.) Anzahl der Zwangsbedingungen mit k = n - f ermitteln

Dann Aufstellen der k Zwangsbedingungen und diese so umstellen,

dass alle rechten Seiten nur noch generalisierte Koordinaten enthalten

--------------- Ende des „Vorspanns“ ------------------

5.) Freischneiden des Systems

(wenn Bindungs-Kraftgrößen zwischen den Körpern des MKS gesucht

sind, ist jeder betroffene Körper einzeln frei zuschneiden)

a) Neue Skizze zu jedem Schnittgebiet mit freien Koordinaten und allen

Kraftgrößen

b) Je Schnittgebiet 3 Gleichgewichtsbedingungen (im ebenen Fall)

bzw. 6 im räumlichen Fall

6.) Umstellen der Bewegungs-Differenzialgleichungen so, dass nur noch

die generalisierten Koordinaten enthalten sind

7.) Je nach Aufgabenstellung

a) Lösen der Bewegungs-Differenzialgleichung(en) → Geschwindig-

keits- und Weg-Größen

b) Bindungs-Kraftgrößen und dynamische Lagerreaktionen berechnen

Technische Mechanik 3 Seite 59

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Beispiel: Drehbar gelagerte Seiltrommel mit zwei Radien 1r , 2r

und Drehträgheit AJ ,

Massen 1m , 2m

Winkel

Gleitreibungszahl zwischen

Quader 2m und dem Hang,

kein Rutschen des Seils auf

der Seiltrommel,

Erdbeschleunigung g

und

Antriebsmoment AM

Ges.: 1.) Seilkräfte während der Bewegung

2.) Beschleunigung der Masse 1m

Lösung nach d’Alembert:

Vorspann: Skizze ohne Kraftgrößen!

3 freie Koordinaten

1x 2x → n = 3

passend zueinander

Anzahl der erforderlichen Festhaltungen, um das System zu arretieren:

f = 1 d.h. die gesamte Bewegung wird hier nur durch 1 Differenzialgleichung beschrieben!

→ Auswahl einer Koordinate als Hauptunbekannte

z.B. 1x

x1

Radius r2

x2

g

MA

r1 A

m1

m2

Technische Mechanik 3 Seite 60

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Aus n und f folgt: k = 3 - 1 = 2

Hier müssen also 2 Zwangsbedingungen gesucht (und gefunden) werden.

Das sind hier die Seil-Abrollwege:

1 1x r (1)

2 2x r (2)

Weil 1x als generalisierte Koordinate gewählt wurde, sind beide

Gleichungen so umzustellen, dass 1x jeweils rechts steht:

Aus (1) folgt:

11

1x

r bzw. 1

1

1x

r (1a)

Einsetzen von in (2) liefert:

22 1

1

rx x

r bzw. 2

2 11

rx x

r (2a)

--------------- Ende des Vorspanns ------------------

d’Alembert 3 Körper → 3 Schnittgebiete

Weil hier keine Lagerkräfte gesucht sind, wird

das Lager A nicht freigeschnitten.

A

I

II

III

Technische Mechanik 3 Seite 61

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Schnittgebiet I:

Zuerst freie Koordinaten antragen!

Gleichgewichte:

↑ : 1 1 1 1 0S m g m x

(3)

← : entfällt

· : entfällt

Schnittgebiet II:

↑ : entfällt wegen der nicht frei geschnittenen Lagerkräfte

← : entfällt

A : 2 2 1 1 0A AM J S r S r (4)

MA

r1 A

S1

S2

r2

JA

m 1 g

S1

nur dadurch Dynamik

Seilkraft an m 1

x1

1 1m x

Technische Mechanik 3 Seite 62

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Schnittgebiet III:

: 2 cos 0NF m g (5)

: 2 2 2 2 sin 0RS m x m g F (6)

· : entfällt

Fazit:

Es gibt hier 7 Unbekannte: 1S 2S RF NF 1x 2x und ,

aber nur 6 Gleichungen → es fehlt noch 1 Gleichung!

Das ist die Coulombsche Reibungsgleichung:

RF = NF (7)

Damit ist die Aufgabe lösbar.

m2 g sin

m2 g cos FR

FN

S2 x2

m2 x2

Normalkraft

Reibkraft

Technische Mechanik 3 Seite 63

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© Prof. Dr. Joensson HTW Berlin 2015

4. Schwingungen

4.1 Einleitung Schwingungen

freie Schwingungen (frei ausschwingend)

erzwungene Schwingungen

Des Weiteren können schwingende Systeme eingeteilt werden in

Systeme mit 1 Freiheitsgrad

Systeme mit endlich vielen

Freiheitsgraden

Systeme mit ∞ vielen

Freiheitsgraden

(1 generalisierte Koordinate)

z.B.

Mit zusätzlicher Einschränkung kleiner

Auslenkungen

(mehrere general. Koordinaten)

z.B.

(Kontinuums-schwinger)

z.B.

Techn. Mechanik 3 Maschinendynamik Finite Elemente

x

x

Technische Mechanik 3 Seite 64

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4.2 Freie Schwingung ohne Dämpfung

4.2.1 Einleitung

1 Freiheitsgrad → nur 1 Bewegungs-Differenzialgleichung

Kleine Auslenkungen: Die Differenzialgleichung ist „linear“ (d.h. relativ

leicht lösbar)

Ohne Dämpfung: Beim freien Ausschwingen entsteht eine

„harmonische“ (sinusförmige) Schwingung.

Beispiel:

Masse m, an einer Schraubenfeder (mit Federkonstante k ) hängend

Der Schwingungsverlauf x (t) hat folgende Kennwerte:

Stx : statische Ruhelage ( = statischer Mittelwert, um den die

Bewegung erfolgt) in mm

x : Amplitude = max min

1 ( )2

x x in mm

T : Schwingungsdauer einer Schwingungsperiode in Sekunden bzw.

Eigenfrequenz 1fT

in Hz

ox : Anfangsauslenkung zur Zeit t = 0 (von außen eingeprägt)

1t : Zeitraum zwischen t = 0 und dem ersten Gipfel von x (t)

x

xSt

m

g

ℓ0 Länge der ungespannten Feder

statische Ruhelage

t1

T

0xmin

xSt

xmax

x0

x

t (Zeit)

x (t)

x ˆ

x ˆ

Technische Mechanik 3 Seite 65

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Die wichtigste Kenngröße der freien Schwingung ist die Eigenfrequenz.

Sie wird rechnerisch aus der Bewegungs-Differenzialgleichung des konkre-

ten schwingenden Systems ermittelt,

d.h. aus einer kinetischen Gleichung.

Im Unterschied dazu ist die Amplitude x aus allgemein gültigen kinema-

tischen Gleichungen für gegebene Anfangswerte o

x und vo

(Anfangs-

geschwindigkeit) ermittelbar.

4.2.2 Eigenfrequenz-Berechnung

für Systeme mit 1 Freiheitsgrad

Z.B. nach d’Alembert in drei Lösungsschritten:

1.) Vorspann

2.) Statische Ruhelage (nur bei Schwingungen relevant)

3.) Anwendung des d’Alembertschen Prinzips

Zu 1.) Vorspann wie bisher

und: Anzahl der Freiheitsgrade = Anzahl der Eigenfrequenzen!

Zu 2.) Statische Ruhelage

Vor der Schwingungsberechnung sollte geprüft werden, ob das

Eigengewicht der beteiligten Massen im ausgelenkten Zustand

statisch kompensiert wird oder nicht.

Wenn ja: Die Gewichtskraft mg sollte dann nicht in der Bewegungs-

Differenzialgleichung erscheinen.

Wenn das Eigengewicht nicht kompensiert wird, muss es bei den kinetischen

Gleichungen mit angesetzt werden.

Technische Mechanik 3 Seite 66

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Zwei Beispiele:

mg wird hier von der Feder statisch

nicht kompensiert und muss bei

d’Alembert mit angesetzt werden

mg wird hier von der Feder

statisch kompensiert

3.) Anwendung des d’Alembertschen Prinzips

Beispiel:

Geg.: m, k, g

Ges.: Schwingungs-Differenzialgleichung und

Eigenfrequenz

Vorspann:

Hier genügt 1 freie Koordinate für

die Masse, weil nur die

Vertikalbewegung interessiert

Keine Zwangsbedingungen.

1 Freiheitsgrad → nur 1 Bewegungs-Differenzialgleichung

→ nur 1 Eigenfrequenz

Statische Ruhelage: mg wird hier von der Feder statisch kompensiert.

x

m

k

g

m

k g

b)

mk

g

a)

Technische Mechanik 3 Seite 67

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d’Alembert: zuerst freie Koordinate!

mit x : Bewegungskoordinate,

ab der statischen Ruhelage

beginnend

Dynamisches Gleichgewicht:

→ : entfällt

S : entfällt

↑ : 0m x k x 0k

x xm

Schwingungs- Differenzialgleichung

in normierter Form

(d.h. höchste Ableitung mit Faktor 1) Nur dann gilt:

Der Faktor vor x hierk

m

ist stets die „Eigenkreisfrequenz“ zum

Quadrat.

Für gilt: 2 f in 1s Daraus folgt die Eigenfrequenz

1

2f

in Hz

Hier also:

k

m und daraus folgend

1

2

kf

m

Zum Beispiel entsteht für m = 10 kg und k = 5 N/mm: 3,56 Hzf

x S

mx

k x k x Feder-Rückstellkraft

Technische Mechanik 3 Seite 68

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Noch ein Beispiel: Fadenpendel

Geg.: Faden der Länge und Masse Fm ≈ 0

Punktmasse m,

Erdbeschleunigung g

Ges.: Schwingungsdauer T der Eigenschwingung

Lösung: 1

Tf

mit f aus 2

Vorspann:

Nur Rotation → 1 freie Koordinate

Keine Zwangsbedingungen

→ 1 Freiheitsgrad → 1 Bewegungs-Diff.gleichung

→ 1 Eigenfrequenz

Statische Ruhelage:

Im ausgelenkten Zustand wird mg nicht kompensiert, muss also bei

d’Alembert mit angesetzt werden.

d’Alembert: n Körper → n Schnittgebiete

Weil hier keine Lagerkräfte gesucht sind,

wird das Lager A nicht frei geschnitten.

Horizontaler Abstand sinh

→ : entfällt

↑ : entfällt

A : sin 0AJ mg (1)

mg

A

JA

h

Technische Mechanik 3 Seite 69

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Gleichung (1) normiert: sin 0A

mg

J

(1a)

Allerdings ist damit eine NICHT-lineare Differenzialgleichung entstanden.

Diese kann für kleine Auslenkungen „linearisiert“ werden wegen

sin mit in Bogenmaß

Gilt etwa für ≤ 6° = 6180

≈ 0,1 rad

(am Taschenrechner ausprobieren!)

Des Weiteren ist für kleine Auslenkungen cos 1

Mit sin entsteht eine „lineare“ Schwingungs-Differenzialgleichung ähnlich wie auf Seite 67:

0A

mg

J

Auch hier kann 2 als Faktor vor der Koordinate „abgelesen“ werden:

A

mg

J

bzw. mit 2AJ m für die Punktmasse:

g

und damit 1

2

gf

(2)

Die Eigenfrequenz bei diesem Pendelschwinger ist also nur abhängig von g

und , nicht aber von der Masse m ! Das hatte bereits Galilei entdeckt.

Aus (2) folgt schließlich 2Tg

Technische Mechanik 3 Seite 70

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4.2.3 Amplituden-Berechnung

für ungedämpfte freie Schwingungen mit 1 Freiheitsgrad

Derartige Schwingungen liefern stets die folgende normierte Bewegungs-

Differenzialgleichung:

0q K q

mit q : generalisierte Bewegungskoordinate (Hauptunbekannte),

z.B. q x oder q

und K : konstanter Faktor = 2

Aus 2( ) ( ) 0q t q t folgt

( )q t 1

2f

zeitlicher Verlauf

der Auslenkung q

durch

Herleitung mit dem

Euler-Ansatz (siehe Mathematik)

zeit-unabhängige

Eigenfrequenz

durch „Ablesen“ von 2

Ergebnis ˆ( ) sin Oq t q t

mit Amplitude 22ˆ O

O

qq q

für den Anfangsweg Oq und die Anfangsgeschwindigkeit Oq sowie mit

dem „Nullphasenwinkel“ arctan /O O Oq q

Technische Mechanik 3 Seite 71

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Grafische Darstellung der Zeitfunktion ˆ( ) sin Oq t q t :

Sonderfall:

Ohne Anfangsschwung ( Oq = 0 ):

d.h. ˆ Oq q und arctan2O

also ˆ( ) sin2

q t q t

bzw.

( ) cosOq t q t

mit Amplitude Oq

Fazit:

Bei freien, ungedämpften Schwingungen ist die Amplitude q aus Kinematik-

Formeln berechenbar, die für alle Schwinger gleichermaßen gelten.

Die Berechnung der Eigenkreisfrequenz dagegen erfordert konkrete

kinetische Gleichungen. Dazu ist nur die Herleitung der Schwingungs-

Differenzialgleichung erforderlich und nicht ihre Lösung ( )q t .

q0

q

t 0

q (t)

q0

q0

q

q

q (t)

q0

q

t

0 /

0

Technische Mechanik 3 Seite 72

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4.2.4 Mehrere Federn an einer Masse

In Reihen- und Parallelschaltung möglich:

Parallelschaltung

(die Feder-Rückstellkräfte

werden addiert)

Reihenschaltung

(Feder an Feder gekoppelt -

die Federwege werden addiert)

1

n

ges ii

k k

1

1 1n

ges iik k

folgt automatisch

aus d’Alembert

folgt nicht automatisch

aus d’Alembert

Deshalb:

Bei mehreren Federn ist zu prüfen, welche dieser Federn in Reihe geschaltet

sind.

Für diese Federn 1

gesk berechnen und erst danach d’Alembert anwenden!

Beispiel:

12k Reihenschaltung 12 1 2

1 1 1

k k k

bzw. 1 212

1 2

k kk

k k

und dann

Federn durchtrennen beim

Freischneiden

k12m k3

m

kges

k1k2m

k3

kT1

kT2

JSTorsion

k1

k2x

m

k1 k2

m x x

m

k2

k1

Technische Mechanik 3 Seite 73

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4.3 Freie Schwingung mit Dämpfung

Ungedämpft bedeutet

konstante Amplitude

Bei gedämpften Schwingungen wird

die Amplitude zeitabhängig kleiner:

Zusätzlich zur Feder mit Federkonstante k gehört jetzt mindestens ein

Dämpfer mit Dämpferkonstante b zum Schwingungssystem (wenn viskose

Dämpfung vorhanden ist).

Beim Freischneiden der Masse

müssen auch alle Dämpfer

durchtrennt werden.

Je Dämpfer entsteht 1 Dämpfer-Rückstellkraft DF entgegen gesetzt gerichtet

zur Weg-Koordinate x :

Dämpfer-Rückstellkraft Trägheits-Rückstellkraft

Feder-Rückstellkraft

Kraftbilanz ↑ : 0DF m x k x (1)

Für DF sind verschiedene Ansätze je nach Dämpfungsart gebräuchlich. Zum Beispiel für

a) trockene Reibung (Coulombsche Reibung):

b

m

k x

t

q

t

q

mx

k x

FD

x

Technische Mechanik 3 Seite 74

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D NF F mit μ : Gleitreibungskoeffizient

b) viskose Dämpfung (geschwindigkeitsproportionale Dämpfung):

DF b x (2)

mit b : Dämpferkonstante in kg/s

und x : Geschwindigkeit der Dämpferauslenkung

c) geschwindigkeits-quadratische Dämpfung:

20 1DF b x b x

und andere.

! Nur die viskose Dämpfung wird im Folgenden behandelt (sie allein liefert

lineare Differenzialgleichungen, die relativ leicht lösbar sind).

Einsetzen von (2) in (1) ergibt: 0m x b x k x

bzw. in Normalform:

0

b kx x x

m m

2 2o

Das ist die Schwingungs-Differenzialgleichung für freie Schwingung mit

viskoser Dämpfung und 1 Freiheitsgrad

mit o : Eigenkreisfrequenz der ungedämpften Schwingung in 1s

und : „Abklingkonstante“ in 1s

Die Lösung dieser Differenzialgleichung lautet nach Euler: …

Technische Mechanik 3 Seite 75

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( ) sintA g ox t x e t

mit Ax : Anfangswert der Amplituden-Hüllkurve

g : Eigenkreisfrequenz der gedämpften Schwingung

o : Nullphasenwinkel am Anfang bei t = 0 (abhängig vom Anfangsschwung ox und vom Anfangsweg ox )

tAx e : Abklingfunktion für die Amplituden x

Bei viskos gedämpften Schwingungen sind 4 verschiedene Dämpfungs-

Kennwerte gebräuchlich:

1.) b : Dämpferkonstante in kg/s (bei Dämpfer-Translationsbewegung)

2.) : Abklingkonstante in 1s

3.) / oD Dämpfungsgrad (dimensionslos) bzw. Lehrsches

Dämpfungsmaß nach Ernst Lehr mit o : ungedämpft

4.) : logarithmisches Dekrement (dimensionslos)

x (t) xA

x0 Xk ˆ

gT

t

x

tAx e

ˆkx

2ˆkx

1ˆkx

Die Schwingungsdauer gT

der gedämpften Schwingung ist konstant 2 / g

t =0

Technische Mechanik 3 Seite 76

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Diese 4 Konstanten sind aus dem Messschrieb x(t) eines Ausschwing-

Versuches (entsprechend der Abbildung auf S. 75) ermittelbar.

Abgelesen werden:

Zwei Amplituden ˆkx und 2ˆ k nx im Abstand von n Schwingungsperioden

sowie

die Schwingungsdauer gT der gedämpften Schwingung.

Damit wird zunächst das logarithmische Dekrement berechnet:

2

ˆ1ln

ˆk

k n

x

n x

dimensionslos

Daraus folgt

Dämpfungsgrad (dimensionslos) Abklingkonstante in 1s

2 24D

gT

→ o

D

↓ mit

Dämpferkonstante in kg / s

2

gg

T

in s

2b D k m und

bzw. 21g o D in 1s

2b m mit

wegen / 2b m

aus der Differenzialgleichung

o : ungedämpft berechnet

Technische Mechanik 3 Seite 77

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4.4 Freie gedämpfte Drehschwingung

Einschließlich Pendelschwingung = Drehschwingung, die nicht um den

Schwerpunkt der bewegten Masse erfolgt.

Zwei Sonderfälle:

a) b)

statische Ruhelage

mg wird hier statisch von k kompensiert

2 0AJ k

mg wird hier

statisch nicht

von k

kompensiert

→ 21 1 2 2 0AJ k m g m g

Allgemeiner Fall:

statische Ruhelage

mit statischem Winkel

g k

A

m1

Lot unter A

gk

A m1m2

g

A

k

m1

m2

Technische Mechanik 3 Seite 78

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bzw. noch allgemeiner:

statische Ruhelage: Linie AS

Geg.: Starrer Körper

mit Masse m , Schwerpunkt S und Massenträgheitsmoment AJ

in Schräglage gefesselt durch p Dämpfer und q Federn

Ges.: Eigenfrequenz der gedämpften Pendelschwingung um A für kleine

Auslenkungen

Lösung: Berechnungsmodell mit 3 Rückstellmomenten

Trägheits-Rückstellmoment nach d’Alembert Dämpfer-Rückstellmoment mit 1 Drehdämpfer- konstante Db Feder-Rückstellmoment mit 1 Drehfeder- konstante Dk

Also: A : 0A D DJ b k

bzw. normiert:

A

S

g

A

bD

kD

JA

Technische Mechanik 3 Seite 79

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0D D

A A

b k

J J Schwingungs-Differenzialgleichung

der Pendelschwingung mit viskoser Dämpfung

2 2o

Aus und o folgt o

D

sowie 21g o D

wie auf S. 76

und daraus schließlich die Eigenfrequenz der viskos gedämpften Pendel-

schwingung:

1

2g gf

! Dieser Lösungsweg ist für sämtliche Pendelschwinger identisch, die einen

Freiheitsgrad haben und kleine Pendelauslenkungen (t) aufweisen.

Lediglich die Feder- und Dämpfer-Konstanten Db und Dk müssen für

konkrete Pendelschwinger konkret angepasst werden.

Die gemeinsame Drehdämpferkonstante Db für mehrere viskose Transla-

tionsdämpfer ib mit i = 1 bis p lautet:

2

1

p

D i ii

b b s

in 2 /kgm s

gültig für kleine Pendelwinkel

mit

ib : Dämpferkonstante in /kg s

is : senkrechter Abstand zwischen der

Kraft-Wirkungslinie des Dämpfers

Nr. i und dem Drehpunkt A

Ais

Kraft-WL von ib

ib

Technische Mechanik 3 Seite 80

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Berechnung der gemeinsamen Drehfederkonstante Dk für q Translations-

Federn plus Eigengewichts-Einfluss des starren Körpers:

2

1

cosq

D j jj

k k r mg e

*)

in N m

gültig für kleine Pendelwinkel

mit jk : Federkonstante in /N m

jr : senkrechter Abstand zwischen

der Kraft-Wirkungslinie der

Feder Nr. j und dem Drehpunkt A

mg : Eigengewicht des Körpers

e : Abstand zwischen Schwerpunkt S und Drehpunkt A

sowie : Winkel zwischen lotrechter Linie unter A und Linie e AS z.B.

Zwei Sonderfälle auf S. 77:

a) 0 → cos 1 mg wird voll berücksichtigt

und b) 90 → cos 0 mg wird nicht berücksichtigt.

*) Wenn der Federangriffspunkt C nicht mit dem „Lotpunkt“ D übereinstimmt, dann

sollte für eine genaue Berechnung möglichst auch die statische Federvorspannkraft

ojF , der Abstand ja CD und die vorgespannte Federlänge oj BC je Feder

in die Summenformel mit einbezogen werden: 2 1 /j j oj j j ojk r F a a

siehe Knaebel u.a.: Technische Schwingungslehre, 6. Auflage Teubner 2006 ab S. 51

A

S

A

S A

S

A

jk

jr BC

D

S

g

Technische Mechanik 3 Seite 81

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4.5 Erzwungene Schwingungen

(mit 1 Freiheitsgrad) 4.5.1 Einleitung

Berechnungsziel bei erzwungener Schwingung:

Ermittlung der „Schwingungsantwort“ ( )q t des Schwingungssystems

auf eine bestimmte Erregerfunktion ( )Q t

mit ( )q t = Schwingweg oder -winkel und ( )Q t = Kraft oder Weg,

Winkel, Moment oder Unwucht.

Mögliche Zeit-Verläufe von ( )Q t :

a) harmonisch b) periodisch c) stochastisch

d) elastischer Stoß b) plastischer Stoß

Je nach Q-Verlauf entsteht eine bestimmte Schwingungsantwort ( )q t ,

z.B.

d) elastischer Stoß

m

F

t

F

xt

xSchwingungsantwort: frei ausschwingend

Q Q

t

Q

t

Q

t

Q

t

Technische Mechanik 3 Seite 82

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oder

a) harmonische Dauererregung

Schwingungsantwort auf diese Erregung:

t

x

0

ˆ2x x

x

ab hier:

„stationäre“ (Dauer-) Schwingung

mit

konstanter Amplitude x

und

gleicher Frequenz wie ( )F t

Einschwingvorgang

„instationär“

m

F

x

( )F t

t

F

F

ˆ( ) sinF t F t

Technische Mechanik 3 Seite 83

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4.5.2 Harmonische Erregung

Berechnungsziel:

Amplitude q der Dauer-Schwingungsantwort ( )q t im stationären

(eingeschwungenen) Zustand.

Die 3 wichtigsten Arten der harmonischen Erregung sind:

Krafterregung Unwuchterregung Stützenerregung

ˆ( ) sinF t F t 2( ) sinu uF t m r t ˆ( ) sins t s t

mit

F Erreger-Kraft-

Amplitude

und

Erregerkreis-

frequenz

mit

um Unwuchtmasse

ur Unwuchtradius

Erregerkreis-

frequenz

2 un

mit

s Erreger-

Stützweg-

Amplitude

und

Erregerkreis-

frequenz

mit un Unwuchtdrehzahl

m

( )F t

xm

xm

x

s(t)

Technische Mechanik 3 Seite 84

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4.5.2.1 Harmonische Krafterregung

Beispiel:

Geg.: F , , m, k und b

Ges.:

Amplitude x der Schwingungsantwort

x t im eingeschwungenen Zustand

Lösung z.B. mit d’Alembert:

↑ : 2 02

km x b x x F

Daraus folgt:

m x b x k x F t

bzw. normiert:

ˆ

sinb k F

x x x tm m m

(1)

mit 2 2o

( inhomogene Schwingungs-Differenzialgleichung der krafterregten harmo-

nischen Schwingungsantwort).

Lösung dieser Differenzialgleichung:

h px t x t x t homogene + partikuläre Lösung

Der homogene Anteil hx t beschreibt das freie Ausschwingen einer

gedämpften Schwingung - d.h. eine abklingende Funktion.

x

F

2

kx

2

kx

b x

m x

m x

k 2

k2b

ˆ( ) sinF t F t

Technische Mechanik 3 Seite 85

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Dadurch ist im eingeschwungenen (stationären) Zustand nur noch die parti-

kuläre Lösung übrig:

px t x t

Mathematischer Lösungsansatz dazu bei harmonischer Schwingung:

cos sinpx t A t B t

mit zwei freien Konstanten A und B.

Einsetzen dieser Formel und deren 1. und 2. Zeitableitung in die

Differenzialgleichung (1) sowie Koeffizientenvergleich der Cos- und Sin-

Terme liefert …

2

2

1

DA B

und

2

22 2 2

ˆ 1

1 4

FB

k D

mit o

D

Lehrsches Dämpfungsmaß

und o

„Abstimmungsverhältnis“ eta

zwischen Erregerkreisfrequenz und ungedämpfter

Eigenkreisfrequenz o

Die so berechnete Schwingungsantwort cos sinx t A t B t

kann auch geschrieben werden als:

2 2 sin Nx t A B t

mit Amplitude x der Schwingungsantwort

und „Nacheilwinkel“ arctan /N A B

Technische Mechanik 3 Seite 86

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Der Nacheilwinkel N Nt kennzeichnet die typische Zeitverzögerung

Nt der Schwingungsantwort x t gegenüber der Erregung F t , z.B.

Mit A und B lautet die gesuchte Antwort-Amplitude:

22 2 2

ˆ 1ˆ

1 4

Fx

k D

mit statx V

und F : Erreger-Kraft-Amplitude, k : Federkonstante

sowie o

D

und o

Lehrsches Dämpfungsmaß und Abstimmungsverhältnis.

Ingenieurmäßige Interpretation der Amplitude x :

ˆ statx x V

mit statx : statische Auslenkung, wenn an Stelle von F t nur die

Erreger-Amplitude F statisch wirken würde

und V : dynamische „Vergrößerungsfunktion“ = dimensionslose Zahl

als Funktion der Dämpfung D und des Frequenzverhältnisses

F(t) x(t)

t

tN = /

F x

Technische Mechanik 3 Seite 87

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Beispiel:

Je nach „Taktfrequenz“ 2errf

(Erregerfrequenz) entstehen für dynx

unterschiedlich große Werte, z.B.

Bei einer bestimmten Erregerfrequenz wird die Antwort-Amplitude maximal.

Dieser Zustand heißt Resonanz.

Wird die Erregerfrequenz noch weiter erhöht, dann wird die Antwort-

Amplitude x wieder kleiner, bei höheren Frequenzen sogar kleiner als statx .

An Stelle von x und ist auch eine normierte Darstellung üblich:

ˆ

stat

xV

x Betrag der Vergrößerungsfunktion als Ordinate

und o

Abstimmungsverhältnis als Abszisse

Einzelwerte x

x

statx

0 0

m

g

xst

ˆ( ) sinF t F t

statx infolge F

ˆdynx x

infolge rhythmischer Belastung stx : statische Ruhelage (von selbst)

ist NICHT statx

Technische Mechanik 3 Seite 88

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Damit entsteht:

„Frequenz-Ort“ der maximalen Amplitude bei Resonanz: Res o Res

mit

21 2Res D

Größte Amplitude (Resonanz-Amplitude): max stat k Re sx x V

mit

2

1

2 1k Re s k maxV V

D D

Sonderfall ohne Dämpfung:

1Res und k Re sV → maxx !

0 0 1 2 3 4

2

1

3

| Vk |

=

D = 0

D = 0,2

D = 0,3

D = 0,5

für

harmonische Krafterregung

mit

22 2 2

1

1 4kV

D

und Lehrschem Dämpfungsmaß

o

D

die Resonanzkurve bzw. der Amplitudenfrequenzgang

Technische Mechanik 3 Seite 89

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Krafterregte Drehschwingung (Sonderfall der Krafterregung)

Beispiel:

oder

Um den Drehpunkt wirkt jeweils ein Moment

ˆ( ) sinM t M t

mit Amplitude M = Kraft mal Hebelarm.

Die Schwingungsantwort ist der Drehwinkel ( )t .

→ Berechnungsziel:

Winkel-Amplitude der stationären Schwingungsantwort.

Dafür gilt:

ˆ stat kV

mit kV : Vergrößerungsfunktion der Krafterregung wie bei

Translations-Schwingung

stat : Statischer Verdrehwinkel, wenn nur die Amplitude M

des Erreger-Drehmomentes ( )M t wirken würde

k

A

b m

M(t) F(t)A

m k

b

Technische Mechanik 3 Seite 90

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4.5.2.2 Harmonische Unwuchterregung

(„ Massenkrafterregung“) Beispiel:

Die mit der Drehzahl un rotierende

Unwuchtmasse um erzeugt in Richtung x

eine Unwuchtkraft

2( ) sinu u uF t m r t

mit ur Unwuchtradius

und 2 un mit un in Umdrehungen pro Sekunde

Die Herleitung der Schwingungsantwort x t infolge uF t über

d’Alembert führt wieder auf

ˆ sin Nx t x t

mit N wie bei der Krafterregung auf S. 85,

jetzt aber gilt:

ˆ stat ux x V

Dabei ist u ustat

ges

m rx

m

und 2u kV V

m x

mu ru

Technische Mechanik 3 Seite 91

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d.h. die Funktion ,uV D beginnt im Unterschied zur Krafterregung

(S. 88) mit dem Wert Null und konvergiert für große Erregerfrequenzen auf

den Wert 1,0:

Resonanz-Frequenz: Res o Res

mit 2

1

1 2Res

D

Resonanz-Amplitude: max stat u maxx x V

mit

2

1

2 1u maxV

D D

0 0 1 2 3 4

2

1

3

| Vu |

=

D = 0,5

D = 0,3

D = 0,2

D = 0

Resonanzkurve bzw. Amplitudenfrequenzgang

für

harmonische Unwuchterregung

mit

2

22 2 21 4uV

D

und o

D

Technische Mechanik 3 Seite 92

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4.5.2.3 Harmonische Stützenerregung

(„ Fußpunkterregung“) Beispiel:

Die Herleitung der Schwingungsantwort x t infolge s t führt eben-

falls wieder auf

ˆ sin Nx t x t

jetzt aber mit einem speziellen Nacheilwinkel N N St für Stützenerregung

und

ˆ stat Stx x V

Dabei gilt ˆstatx s

und 2 21 4St kV D V

Das heißt, StV ist mit kV identisch, wenn keine Dämpfung vorhanden ist.

Bei 2 gibt es einen Kreuzungspunkt für alle Linien verschiedener

Dämpfungen:

m x(t)

ˆ( ) sins t s t

Technische Mechanik 3 Seite 93

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Resonanz-Frequenz: Res o Res

mit

21 2Res D nur für geringe Dämpfung

mit D ≤ ≈ 20 %

Resonanz-Amplitude: max stat St maxx x V

mit

21 51

2 2St maxV DD

für D ≤ ≈ 20 %

Genaue Werte vor allem für D > 20 % liefert die Formel:

21

1 8 12Res D

D

Einsetzen von Res in ,StV D → genaue Werte für St maxV

0 0 1 2 3 4

2

1

3

| VSt |

=

D = 0,3

2

D = 0,5

D = 0,2

D = 0

Resonanzkurve bzw. Amplitudenfrequenzgang

für

harmonische Stützenerregung

mit

2 2

22 2 2

1 4

1 4St

DV

D

und o

D

Technische Mechanik 3 Seite 94

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4.5.2.4 Harmonische Erregung: Zusammenfassung

1.) Bewegungs-Differenzialgleichung aufstellen wie bei freien Schwin-

gungen (rechte Seite jetzt 0 )

2.) Berechnung der ungedämpften Eigenkreisfrequenz o („ablesen“ von

der Differenzialgleichung wie bisher)

3.) Dämpfungsgrad D: 2 „ablesen“, dann o

D

4.) Abstimmungsverhältnis o

5.) Vergrößerungsfunktion V je nach Erreger-Art:

22 2 2

1

1 4kV

D

bei Krafterregung

oder 2u kV V bei Unwuchterregung

bzw. 2 21 4St kV D V bei Stützenerregung

6.) Statische Auslenkung statq je nach Erreger-Art:

a) Krafterregung

aus dem statischen Gleichgewicht infolge F oder M

oder in der Diff.gleichung alle Punktgrößen streichen,

sin t = 1 setzen und q als statq schreiben

Technische Mechanik 3 Seite 95

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6. b) Unwuchterregung

u ustat

ges

m rq

m

für Translation, z.B. q x

oder

u u ustat

A

m r e

J

für unwuchterregte Drehschwingung

mit

ue Abstand zwischen dem Unwucht- schwerpunkt und dem Drehpunkt A

AJ Massenträgheitsmoment für die Drehachse durch A

c) Stützenerregung

ˆstatq s bei Wegerregung s t

bzw.

ˆstatq bei Drehwinkel-Erregung t

7.) Amplitude q der stationären Schwingungsantwort q t infolge

Erregerfunktion Q t :

ˆ stat kq q V für Krafterregung

bzw. mit uV oder StV an Stelle von kV

bei Unwucht- oder Stützenerregung.

Literatur-Empfehlung zur Technischen Mechanik

Dankert, J, Dankert, H.: Technische Mechanik. Springer Vieweg Verlag, 7.Auflage 2013 Hibbeler, R. C.: Technische Mechanik in 3 Bänden. Pearson Verlag 2012 und 2013 Berger, J. Technische Mechanik für Ingenieure in 4 Bänden. Vieweg Verlag 1991 bis 1994 Issler, L.; Ruoß, H., Häfele, P.: Festigkeitslehre. Springer-Verlag 2005 Knaebel, M.; Jäger, H., Mastel, R.: Technische Schwingungslehre. Springer Vieweg Verlag, 9. Auflage 2016 Assmann, B., Selke, P.: Technische Mechanik in 3 Bänden. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2009 bis 2013 Balke, H.: Einführung in die Technische Mechanik, 3 Bände. Springer-Verlag 2010 bis 2014 Gross, D., Hauger, W. u.a.: Technische Mechanik, 4 Bände. Springer Vieweg Verlag 2012 bis 2016