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44 GIESSEREI 99 08/2012 TECHNOLOGIE & TRENDS VON BADARINATH KALKUNTE, OLE KÖSER, CLAUDE-ALAIN ROLLE, PARIS, FRANK- REICH, UND MICHAEL GÜNZEL, MÜNCHEN, DEUTSCHLAND B etrachtet man die allgemeine Ent- wicklung in den Fertigungstech- niken, dann ist festzustellen, dass dem Einsatz der Informationstechnologie (IT) heute eine zunehmend dominierende Bedeutung zukommt. Die in der Industrie vorherrschende Forderung nach kürzeren Durchlaufzeiten bei einer gleichzeitigen Steigerung der Produktqualität kann oh- ne geeignete IT-basierende Methoden nur schwer realisiert werden. Die Erreichung dieser Zielsetzungen ist kaum realistisch vorstellbar, wenn der gesamte Fertigungs- prozess sowie der Einfluss der wichtigen Steuerungsparameter nicht bereits vor der eigentlichen Produktion transparent und vorhersagbar funktioniert. Nur eine be- wusste Kontrolle und Steuerung der Fer- tigungsprozesse ermöglicht die Vermei- dung kostspieliger Folgeprobleme. In diesem Kontext hat die Anwendung der Simulation auf die unterschiedlichen Fertigungsprozesse einen eigenen, neuen Markt geschaffen. ESI mit Sitz in Paris, als einer der Hauptakteure in diesem Markt, bietet eine umfangreiche Palette von inte- grierten und industrieorientierten Lösun- gen, welche die Bereiche Umformung, Schweißen, Wärmebehandlung, Kohlenfa- serverbundwerkstoffe und Gießprozesse abdecken. Die ESI-Softwarelösung Casting Simu- lation Suite bietet ein Werkzeug, mit dem sich Prozessabläufe und Produktverhalten KURZFASSUNG: Dieser Beitrag bietet einen Überblick über die Anwendungsmöglichkeiten der Soft- warelösung Casting Simulation Suite der ESI Group, Paris, Frankreich, deren Funk- tionsumfang und Design direkt auf die Bedürfnisse des Ingenieurs ausgelegt wur- de, um der Gießerei-Industrie ein hilfreiches Werkzeug zur Prozessentwicklung zur Verfügung zu stellen. Weiterhin beinhaltet der Beitrag eine Beschreibung der neuen Benutzerumgebung und wie typische Gießprozesse – mit Beispielen aus dem Bereich Druckgießen (HPDC) und Feingießen – mit der Softwarelösung be- arbeitet werden können. Darüber hinaus bildet der Gießprozess nur einen Teil- schritt der gesamten Prozesskette. Ausgehend von einer Auslegung des Gießpro- zesses determinieren weitere Prozessschritte wie die mechanische Bearbeitung und die Wärmebehandlung die hauptsächlichen Eigenschaften der Gussbauteile. Das Gussbauteil selbst ist meist Träger einer der hauptsächlichen Funktionen in- nerhalb eines zusammengesetzten Produktes und trägt damit entscheidend zu dessen Performance bei. Daher muss eine heutige Herangehensweise an die Mo- dellierung von Fertigungsprozessen dieses Umfeld berücksichtigen, um das Po- tential der Gießereisimulation als integraler Bestandteil einer virtuellen Prozess- kette in vollem Umfang auszuschöpfen. Gießsimulation als Antwort auf aktuelle Bedürfnisse der Gießerei-Industrie Sandguss/Aluminium- Getriebegehäuse. FOTO: ZF AVIATION TECHNOLOGY

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TeCHNOLOGie & TreNDs

VON BadariNath KalKuNte, Ole Köser, Claude-alaiN rOlle, Paris, FraNK-reiCh, uNd MiChael GüNzel, MüNCheN, deutsChlaNd

Betrachtet man die allgemeine Ent-wicklung in den Fertigungstech-niken, dann ist festzustellen, dass

dem Einsatz der Informationstechnologie (IT) heute eine zunehmend dominierende Bedeutung zukommt. Die in der Industrie vorherrschende Forderung nach kürzeren Durchlaufzeiten bei einer gleichzeitigen Steigerung der Produktqualität kann oh-ne geeignete IT-basierende Methoden nur schwer realisiert werden. Die Erreichung dieser Zielsetzungen ist kaum realistisch vorstellbar, wenn der gesamte Fertigungs-prozess sowie der Einfluss der wichtigen Steuerungsparameter nicht bereits vor der eigentlichen Produktion transparent und vorhersagbar funktioniert. Nur eine be-wusste Kontrolle und Steuerung der Fer-tigungsprozesse ermöglicht die Vermei-dung kostspieliger Folgeprobleme.

In diesem Kontext hat die Anwendung der Simulation auf die unterschiedlichen

Fertigungsprozesse einen eigenen, neuen Markt geschaffen. ESI mit Sitz in Paris, als einer der Hauptakteure in diesem Markt, bietet eine umfangreiche Palette von inte-grierten und industrieorientierten Lösun-gen, welche die Bereiche Umformung,

Schweißen, Wärmebehandlung, Kohlenfa-serverbundwerkstoffe und Gießprozesse abdecken.

Die ESI-Softwarelösung Casting Simu-lation Suite bietet ein Werkzeug, mit dem sich Prozessabläufe und Produktverhalten

KUrZFAssUNG:Dieser Beitrag bietet einen Überblick über die Anwendungsmöglichkeiten der Soft-warelösung Casting Simulation Suite der ESI Group, Paris, Frankreich, deren Funk-tionsumfang und Design direkt auf die Bedürfnisse des Ingenieurs ausgelegt wur-de, um der Gießerei-Industrie ein hilfreiches Werkzeug zur Prozessentwicklung zur Verfügung zu stellen. Weiterhin beinhaltet der Beitrag eine Beschreibung der neuen Benutzerumgebung und wie typische Gießprozesse – mit Beispielen aus dem Bereich Druckgießen (HPDC) und Feingießen – mit der Softwarelösung be-arbeitet werden können. Darüber hinaus bildet der Gießprozess nur einen Teil-schritt der gesamten Prozesskette. Ausgehend von einer Auslegung des Gießpro-zesses determinieren weitere Prozessschritte wie die mechanische Bearbeitung und die Wärmebehandlung die hauptsächlichen Eigenschaften der Gussbauteile. Das Gussbauteil selbst ist meist Träger einer der hauptsächlichen Funktionen in-nerhalb eines zusammengesetzten Produktes und trägt damit entscheidend zu dessen Performance bei. Daher muss eine heutige Herangehensweise an die Mo-dellierung von Fertigungsprozessen dieses Umfeld berücksichtigen, um das Po-tential der Gießereisimulation als integraler Bestandteil einer virtuellen Prozess-kette in vollem Umfang auszuschöpfen.

Gießsimulation als Antwort auf aktuelle Bedürfnisse der Gießerei-Industrie

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detailliert vorhersagen lassen. Im Bereich Gießtechnologie deckt die Lösung die ge-samte Prozesskette ab. Das frühzeitige Er-kennen von Füllungs- und Erstarrungsde-fekten, Änderungen der Mikrostruktur oder des Bauteilverzugs unterstützt den Gießereiingenieur, richtige Entscheidun-gen bereits in einer frühen Phase des Her-stellungsprozesses treffen zu können.

Bild 1 zeigt einen typischen industriel-len Anwendungsfall, bei dem die Produk-tionsplanung für ein im Sandgießverfah-ren gefertigtes Bauteil durch die compu-tergestützte Simulation direkt unterstützt wurde. Turbulente Strömungen in der Ka-vität und die Ausbildung von Oberflächen-defekten konnten frühzeitig vermieden werden, da diese durch die Modellierung eines Fülldefektkriteriums mit Hilfe der Gießereisimulation identifiziert wurden.

Hochmoderne Lösung für die Gießsimulation

Die Gießsimulation hat sich in den vergan-genen zwei Jahrzehnten von einer akade-mischen Anwendung zu einem uneinge-

schränkt industriell einsetzbaren Werk-zeug gewandelt. Zeitgleich haben sich allerdings auch die Anforderungen an die Simulation kontinuierlich gesteigert. Wa-ren die Gießereifachleute anfangs noch mit einer stark idealisierten Abbildung des Gießprozesses zufrieden, um ein erstes grundlegendes Verständnis der zugrunde-liegenden physikalischen Phänomene zu erhalten, so ist inzwischen die Fähigkeit, die Realität möglichst perfekt nachzubil-den, zu einer der Grundvoraussetzungen für eine industriell einsetzbare Simulati-onslösung geworden.

Heutige Anwender sind gezwungener-maßen mehr als je zuvor produktionsori-entiert. Oftmals ist der Ingenieur, der mit der Gießsimulation arbeitet, direkt in den Produktionsprozess vor Ort integriert und benötigt ein Werkzeug, das ihn nicht nur dabei unterstützt, die Qualität von Gieße-reiprodukten nachweislich zu verbessern, sondern das ihm durch intuitive Bedien-barkeit und fachspezifische Terminologie und Arbeitsabläufe diese Tätigkeit auch so leicht wie möglich macht. Die nachfol-genden Punkte geben einen Überblick über

typische und unverzichtbare Komponen-ten, die eine moderne marktgerechte Gieß-simulationslösung aufweisen sollte, und wie diese in der von ESI Group angebote-nen Softwarelösung umgesetzt sind: > Die Gießsimulation muss eine große

Bandbreite unterschiedlicher Gießpro-zesse realistisch abbilden. Dazu gehö-ren Hochdruckgießverfahren (HPDC – High Pressure Die Casting), Nieder-druckgießverfahren (LPDC – Low Pressure Die Casting), das Schwerkraft-gießen (GDC – Gravity Die Casting), das Sandgießen, das Feingießen, das Strang-gießen und spezielle Prozesse wie das Vollformgießen (Lost-Foam-Verfahren), Thixoverfahren (SSMC), das Schleuder-gießen und andere.

> Die Softwarewerkzeuge für die Gießsi-mulation müssen praxisorientiert sein. Typischerweise ist der Benutzer ein An-wendungsingenieur. Die Nutzung der Software sollte daher einfach sein und bekannten Arbeitsabläufen folgen.

> Die Simulation soll die Konstruktion und Prozessplanung unterstützen und dabei helfen, den gesamten Fertigungs-

Bild 1: einbindung der simulation in den sandgießprozess zur steigerung der Bauteilqualität und zur Verringerung des Ausschusses. FOTO

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prozess zu verbessern. Das Simulations-programm muss deshalb in der Lage sein, für die unterschiedlichen Aspek-te der Gesamtproblematik realistische Lösungen anzubieten, wobei die maß-geblichen Prozessparameter in entspre-chende, plausible Randbedingungen für die Simulation in transparenter Weise zu überführen sind.

> Die heutige Gießsimulation muss über die bloße Vorhersage von Defekten hi-nausgehen. Da die einzuhaltenden Bau-teilspezifikationen eine immer größere Herausforderung darstellen, muss das Simulationswerkzeug in der Lage sein, die mechanischen Eigenschaften und die Maßhaltigkeit des Fertigteils in aus-reichender Genauigkeit vorherzusagen.

> Die Voraussetzung für die o. g. Fähigkeit ist die Entwicklung metallurgischer Mo-delle sowie die Möglichkeit, die darin

erfassten Wechselwirkungen den tat-sächlichen Gegebenheiten anzupassen. Auf diese Weise lassen sich die auftre-tenden physikalischen Abläufe so mo-dellieren, dass sie in guter Näherung der industriellen Wirklichkeit entsprechen und sich das reale Bauteilverhalten mit geforderter Genauigkeit vorhersagen lässt. So sind beispielsweise gekoppelte Mikrostruktur-Porositäts-Berechnungen erforderlich, um wegen der auftreten-den Graphitausdehnung das As-Cast-Ver-halten (bedeutet: wie gegossen) von Bau-teilen aus Gusseisen realistisch vorher-sagen zu können.

> Der Gießprozess ist in der Regel nur ein Schritt eines mehrstufigen Ferti-gungsprozesses, der erst mit der Integ-ration des Gussteils in das vorgesehe-ne Endprodukt abgeschlossen ist. Sich an den Gießprozess anschließende Ope-

rationen, wie die Wärmebehandlung oder die mechanische Bearbeitung, ha-ben dabei einen signifikanten Einfluss auf die Produkteigenschaften des Fer-tigteils. Die Berücksichtigung von z. B. thermisch bedingten Eigenspannungen für nachfolgende Operationen und Fes-tigkeitsanalysen ist deshalb unerläss-lich. Die nicht homogenen Eigenschaf-ten von Gussteilen, die durch die Gieß-simulation ermittelt werden, müssen deshalb für nachfolgende Fertigungs-simulationen in Form von Anfangsrand-bedingungen wiederverwertbar sein. Diese Fähigkeit ist fundamental für die Durchführung einer verketteten Simu-lation, die den Gesamtprozess abbildet.

> Die realistische Vorhersage von Ferti-gungsfehlern ist eine wichtige Eigen-schaft der Gießsimulation. Um jedoch die Vorteile eines Virtual Prototyping-

Bild 2: Auswahl von Anwendungsbeispielen gängiger Gießprozesse: a) sandgießprozess, b) Feingießen, c) stranggießen, d) schwerkraftgießverfahren mit Kippgießverfahren, e) Niederdruckgießverfahren, f) Hochdruckgießverfahren. Die simulation ermöglicht die Berücksichtigung entscheidender Prozessparameter und somit ein direktes Verständnis ihrer Auswirkungen auf die Qualität der Produktion zu gewinnen.

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Konzepts – der digitalen Abbildung des gesamten Produktentstehungsprozes-ses bis hin zur geplanten Verwendung – nutzen zu können, werden konkrete Vorschläge für einen optimierten Ferti-gungsprozess erwartet. Entsprechend sind eine direkte Unterstützung bei der Entwurfskonzeption und eine automa-tische Prozessoptimierung eine notwen-dige Komponente der Softwarelösung.

Kompendium des Umfangs der Gießereisimulation

Die Entwicklung von Simulationswerkzeu-gen zur Gießsimulation erfolgte kontinu-ierlich entlang dreier Hauptschwerpunk-te: dem eigentlichen Gießprozess, den ver-wendeten Materialien sowie den zu- grundeliegenden physikalischen Phäno-menen.

ESI hat heute mit seinen in der Casting Simulation Suite zusammengefassten Si-mulationslösungen einen Stand erreicht, der es ermöglicht, alle industriellen Gieß-prozesse, sowohl für Eisen- als auch für Nichteisenmetalle, vollständig und detail-liert abzubilden (Bild 2).

Bild 3: Abhängig vom zu analysierenden Prozess stehen für die simulation unterschied liche sogenannte solver und Materialdatenbanken zur Verfügung, die in einer modu laren struktur organisiert sind.

Bild 4: schematisierte Darstellung der neuen Visual-Umgebung, die das Arbeiten mit einer einheitlichen Oberfläche im explorer-stil ermöglicht, um die unterschiedlichen Modelle einer simulation dynamisch zu bearbeiten und zu verwalten.

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Die eigentliche numerische Berechnung der physikalischen Phänomene erfolgt da-bei mit Modulen oder sogenannten Solvern. Da in den überwiegenden Fällen mehrere physikalische Effekte in Kombination auf-treten, werden in den Berechnungsmodel-len die entsprechenden Module miteinan-der gekoppelt, wobei meist die Kombina-tion eines thermischen Solvers und eines Strömungssolvers zum Einsatz kommt. Mit dem thermischen Solver wird die Berech-nung des Wärmeflusses unter Berücksich-tigung von Wärmeleitung, Konvektion und Strahlung durchgeführt.

Den Solvern wurden spezifische Model-le für die Darstellung von thixotropen oder Semi-solid-Materialien, des Schleudergieß-verfahrens, des Lost-Foam-Verfahrens und des Kernschießens hinzugefügt. Gießde-fekte, die durch den thermischen Solver ermittelt werden können, schließen Mik-ro-, Makro- sowie Gasporosität, Piping-Ef-fekte sowie die Identifizierung thermischer Zentren (Hotspots) ein. Die Simulation lie-fert zuverlässige Aussagen über den Fluss der Schmelze in der Form. Phänomene wie Sanderosion (speziell bei Sandguss), Tur-bulenzen, Fülldefekte, Lufteinschlüsse, Kerngaseffekte (speziell bei Sandguss) und Kaltschweißstellen werden realistisch ab-gebildet. Mit der in der Softwarelösung Cas-ting Simulation Suite neu implementier-ten Funktion „Colored Flow“ lassen sich den unterschiedlichen Schmelzflüssen Far-ben zuordnen, wodurch eine aussagekräf-tige Visualisierung des Verhaltens des Gießsystems (Gewichtung des Schmelzflus-ses im Gießsystem) während der Füllpha-se in der Kavität erreicht wird.

Bild 5: Das Füllmuster in der Vorderansicht und im schnitt zu unterschiedlichen Zeitschritten – der schwarze Pfeil zeigt den Krümmungsradius des Gießsystems; die gepunktete weiße Linie zeigt die unerwünschte Drehung der Metallschmelze im Lauf.

Bild 6: Die simulierten Deformationen im Vergleich zum realen Gussteil in der Messeinrichtung – die schattierte Kontur stellt die unverformte Geometrie dar. Die Hand zeigt die Position, an der die Presse ansetzen muss, um den Verzug zu korrigieren.

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Abhängig von der jeweiligen Anwen-dung stehen thermische und Strömungs-solver mit weiteren speziellen Modulen und Optionen zur Verfügung. Oft werden das Spannungs- und das Mikrostrukturmo-dul verwendet. Die Gesamtheit der für spe-zifische Anwendungen verfügbaren Kom-ponenten ist in Bild 3 dargestellt. Mit ent-sprechender Auswahl können konkrete Aufgabenstellungen zur Vorhersage von Fülldefekten, Porosität, Warmrissen, Ver-formungen, der Mikrostruktur, der Segre-gation etc. bearbeitet werden.

Die Softwareumgebung Visual-Cast

Vor Kurzem wurde das Softwarewerkzeug ProCAST in die neue Visual-Umgebung ein-gebettet, die als gemeinsame Plattform für alle ESI-Lösungen dient. Diese Umgebung reduziert die Bearbeitungszeiten durch neue Methoden und Algorithmen z. T. dras-tisch. So kann nunmehr beispielsweise di-rekt auf der CAD-Topologie anstatt auf Re-

chennetzen gearbeitet werden. Das Modell kann so problemlos an spezifische Notwen-digkeiten für die Simulation angepasst wer-den. Des Weiteren ist eine neue Vernet-zung von verschiedenen Bereichen des Mo-dells möglich, ohne dass die bereits getroffene Prozessdefinition gelöscht und neu ausgeführt werden müsste. Der Visu-al-Cast-Viewer ist ein komplettes und in-novatives Multi-Window- und Multi-Modell-Postprozessing-Werkzeug, spezifisch für Gießereianwendungen ausgelegt, welches dem Ingenieur erlaubt, mit minimalem Auf-wand die benötigte Analyse durchzufüh-ren und maßgeschneiderte Berichte (z. T. halb- oder vollautomatisch) für unter-schiedlichste Verwendungszwecke zu er-stellen (Bild 4).

Ein erstes Anwendungsbeispiel – Kühlgehäuse für den Auto-mobilbereich (HPDC)

Die Automobilindustrie – ein strategisch äußerst wichtiger Industriebereich für Gie-

ßereien – ist durch Umweltanforderungen und stetig steigende Benzinpreise mit der Herausforderung konfrontiert, ein Auto-mobildesign zu gewährleisten, das den Benzinverbrauch sowie den Ausstoß von Treibhausgasen reduziert. Dies zu errei-chen, erfordert eine Senkung des Fahr-zeuggewichtes unter Beibehaltung beste-hender Funktionalität, von Komfort und Sicherheit. Für Subsysteme und Kompo-nenten führt dies zum Einsatz dünnwan-digerer Gehäuse sowie zu Fahrzeugstruk-turen, welche in zunehmend komplexer Leichtbaustruktur aufgebaut sind. Die Gie-ßereien müssen sich dem technologisch Machbaren annähern, aber gleichzeitig die zulässigen Toleranzen deutlich senken. All das schlägt sich nieder im stärker durch-entwickelten Formenbau, der Verwendung neuer Materialien und einer zunehmend komplexen Fertigung, die mit einer enge-ren Kontrolle von Prozessparametern ein-hergeht.

Für den HPDC-Prozess, wie er im hier angeführten Beispiel genutzt wird, gilt es,

Bild 7: Zyklus-Analyse mit simulierten Temperaturkurven an verschiedenen Punkten mit spezifizierten Abständen zur Bauteiloberfläche.

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alle Prozessparameter genau zu kontrollie-ren und abzustimmen, wobei besonderes Augenmerk gelegt wird auf:> Schmelzefluss: Dynamik der Schmelze

in der Füllkammer, zuletzt gefüllte Be-reiche, Entlüftung der Form, Totgebie-te in den Gießläufen, Turbulenzen in der Schmelze, Mischung von Schmelze-fronten, Kaltschweißstellen;

> Temperatur der Formen: Zykluszeit und Sequenzen, Adhäsion der Schmelze, Wärmeübertragung während der Sprüh- und Blasphasen;

> Erstarrung des Gusses: Schrumpfungs-porositäten, Poren, Warmrisse, Mikro-struktur, Verdichtung in der Nachdruck-phase oder lokale Verdichtung (Pin-Squeeze-Effekt), Eigenspannungen, Schrumpfung und Verzug.

In einem solchen Kontext ist die Gießsi-mulation ein wertvolles Werkzeug, um die Entwicklungszeit zu verkürzen sowie Aus-schuss und damit verbundene Re-Enginee-ring-/Änderungskosten zu reduzieren. Im hier aufgeführten Beispiel wurde die ESI-Softwarelösung Casting Simulation Suite benutzt, um den Prozesszyklus für die Fer-tigung eines Kühlkörpers zu überprüfen, wobei ein spezieller Fokus auf der Wärme-

übertragungseffizienz der Sprühsequenz und der Vermeidung eines anschließen-den Bauteilverzugs lag.

Das Druckgießverfahren wird vorran-gig in der Großserienproduktion eingesetzt. Die Charakteristika dieses Prozesses sind

nicht nur das schnelle Formfüllen, das le-diglich einige Millisekunden dauert und damit beste Voraussetzungen zur Errei-chung kurzer Zykluszeiten bietet, sondern ebenso die sehr schnelle Erstarrung, die sich aus dem guten Wärmeübergang zum

Bild 8: Die Prozessschritte des Feingießverfahrens – in einigen Fällen wird der Prozess unter Vakuumbedingungen in einer schmelzkammer ausgeführt.

Bild 9: schalenmodellierung mit der Casting simulation suite von esi – mehrere Kera-mikschalen können mit speziell angepasstem Vernetzer detailliert dargestellt werden.

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Druckgießwerkzeug ergibt und ein fein-körniges Gefüge mit guten mechanischen Eigenschaften liefert.

Die potentielle Gefahr, durch ein stark turbulentes Füllen eine hohe Anzahl von Lufteinschlüssen in die Schmelze einzu-bringen, kann durch Auswahl angemesse-ner Betriebsbedingungen während des Ein-schießvorgangs reduziert werden. Der Ein-schießvorgang wird im Wesentlichen durch das Geschwindigkeitsprofil der Kol-benbewegung sowie durch die Abmessun-gen und das initiale Füllen der Füllkam-mer bestimmt. Einer der zentralen Vortei-le der Casting Simulation Suite ist die Möglichkeit, die Dosierungssequenz der Füllkammer modellieren zu können und so ein realistisches Füllverhalten für die Kavität vorherzusagen. Da eine falsche Auswahl von Parametern in diesem Be-reich einen großen Einfluss auf die Bau-teilqualität hat, ist es besonders wichtig zu verstehen, welche Auswirkungen De- signparameter und Prozessbedingungen dabei auf die Abläufe in der Füllkammer haben. Angesichts der Schwierigkeiten, Temperaturen im Bereich der Füllkammer im laufenden Fertigungsprozess zu mes-sen, ist die Simulation hier nicht nur eine nützliche Methode, Fehler zu verstehen und vorherzusagen, sondern ebenso ein Werkzeug für das Design der Füllkammer und der zugehörigen Betriebsparameter.

In dem hier geschilderten Anwendungs-fall weist das Bauteil in seinen konvexen Regionen eine Lamellenstruktur auf (Bil-der 5 und 6), die in die feste Formhälfte eingepasst ist. Generell sind Gussteile mit einem hohen Oberfläche/Volumen-Verhält-nis empfindlicher in Bezug auf Spannun-gen und Verzug, die im Allgemeinen eng mit der Temperaturführung der Form und des Erstarrungsprozesses verknüpft sind. Die ESI-Softwarelösung Casting Simulati-on Suite ermöglicht es, Wärmeübertragung, Spannungen und Verformungen im Verlauf des Druckgusszyklus detailliert zu unter-suchen und so zu kontrollieren (Bild 7).

Die Simulationen im vorliegenden An-wendungsfall haben bestätigt, dass ein un-nötig hoher Kühleffekt der Sprühflüssig-keit, hauptsächlich durch die zu lange Sprühsequenz, für die beobachteten Ab-weichungen verantwortlich war, was eine leichte Korrektur ermöglichte. Die Analy-se des Formfüllens lieferte weitere wert-volle Informationen, um den Lauf und das Gießsystem zu optimieren und die Bauteil-qualität zu verbessern.

Ein zweiter typischer Anwen-dungsfall – Einsatz im Feingieß-prozess

Das Feingießen ist ein industrieller Pro-zess, bei dem in der Hauptsache ein Wachs-

ausschmelzmodell in Verbindung mit ke-ramischer Schlichte eingesetzt wird. Das Verfahren stellt die beste Möglichkeit dar, Gussteile mit einer hervorragenden Detail-genauigkeit herzustellen. Der englische Ausdruck für das Feingießen – investment casting – leitet sich aus der ursprünglichen Verwendung eines zähen Schlamms – im englischen auch investment – ab, mit dem extrem glatte Oberflächen hergestellt wer-

den können, welche die Negativform des Gussteiles darstellen (Bild 8).

Die ESI-Softwarelösung Casting Simulati-on Suite berücksichtigt die außerordent-lich hohe Komplexität der zugrunde lie-genden metallurgischen Mechanismen die-ses Prozesses und gibt dem Gießingenieur die geeigneten Werkzeuge an die Hand, die einzelnen Stadien der Produkt- und Pro-

Bild 10: schnittansicht des Bauteils mit Darstellung der Temperaturverteilung – De-tail: spaltbildung.

Bild 11: Prozentuale Darstellung der nodularen Konzentration bei einem Motorblock aus Gusseisen mit Vermiculargraphit (Legende: 0 % bis 26,67 %).

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zessentwicklung mit Hilfe der Simulation mitzuverfolgen.

Die neuesten Entwicklungen von der Casting Simulation Suite bieten dabei er-weiterte Indikatoren und Visualisierungs-möglichkeiten, um das Füllverhalten bes-ser quantifizieren und bewerten zu kön-nen, wie beispielsweise die Anzeige der Füllfehler, des Materialalters, der Poren-

bildung beim Füllen, der Fließlänge, von Turbulenzen, Einschlüssen, Partikelspuren etc. Potentielle Fülldefekte lassen sich mit dem so genannten „Fluid Front Tracking Indicator“ untersuchen, bei dem die Dyna-mik der freien Oberfläche beim Füllen un-tersucht wird, um Bereiche mit möglichen Oxiden oder Verunreinigungen zu identi-fizieren.

Die aus der Simulation abgeleiteten Vor-hersagen hängen stark von der Fähigkeit des Simulationsprogramms ab, den Wär-meverlust in der Gießform realistisch zu simulieren und zu analysieren. Da die Formkühlung in einem Feingießprozess vorrangig durch Strahlung erfolgt, müssen Formfaktorenberechnungen zuverlässig die sich gegenseitig beeinflussenden Strah-

Bild 12: Anteil von Ausferrit nach der Wärmebehandlung eines ADi-rad-trägers und einer Kurbelwelle (Legen-de: 0 % bis 100 %).

Bild 13: Dehnung (links) und Zugfestigkeit (rechts) einer T6-wärmebehandelten Felge aus einer Al-Legierung. Nach Aushärtung und Kühlung wurden die Gussteile einer T6-Warmebehandlung unterzogen (lösungsgeglüht, abgeschreckt und warmausgelagert).

Bild 14: Darstellung einer vollständigen gekoppelten Prozesskette (Gießprozess und Wärmebehandlung) bei der Produktion eines gegossenen stahlblocks. Thermischer und strömungssolver sind mit der Mikrostruktur und der Defekt-Vorhersage gekoppelt. Wie in der realität wurden die Daten des Gussteils – eigenspannungen, Mikrostruktur und Defekte – an die simulation der Wärme-behandlung übertragen. Die Vorhersage der endgültigen Form und der eigenspannungen schließt die effekte der Mikrostruktur und Porosität ein.

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lungseffekte in allen Bereichen der Gieß-anordnung ausweisen. Der Guss erstarrt, indem er an die Keramikform Wärme ab-gibt. Als Kriterium dient hier der Wärme-übergangskoeffizient. Er variiert nicht nur in Abhängigkeit von der Geometrie, son-dern auch von der Zeit, da mit der Erstar-rung eine Schrumpfung verbunden ist, die zu einer Spaltbildung zwischen Form und Gussteil führt. Die Casting Simulation Sui-te von ESI bildet diesen Prozess genau ab und liefert somit dem Gießingenieur eine

exakte Darstellung des Temperaturfeldes, die Voraussetzung dafür ist, realistische Simulationsergebnisse zu erhalten und auf vorhergesagte Gussfehler mit entsprechen-den Gegenmaßnahmen zu reagieren. In den Bildern 9 und 10 sind einige Illustratio-nen einer Feingießsimulation dargestellt. Unter Einsatz der Casting Simulation Sui-te wurden hier Analysen durchgeführt, um die bestehende Konstruktion zu modifizie-ren, stabile Gießprozesse zu erzielen und den Teiledurchsatz zu steigern.

Die Leistungscharakteristika des Bauteils

Der Hauptfokus der Anbieter von Syste-men zur Gießsimulation lag traditionell auf den erstarrungs- und formfüllungsbezoge-nen Fehlstellen, wie der Makroschrump-fung bzw. der Vorhersage der Oxid- oder Luftporenbildung. In jüngster Zeit sind je-doch zunehmend Bemühungen zu verzeich-nen, auch die Mikrostruktur sowie lokale mechanische Eigenschaften vorherzusa-

Bild 15: a) Die Qualität des im Druckgießverfahren unter einsatz von ProCAsT hergestellten Lenkradrahmens aus Magnesium (Hersteller: Takata-Petri AG) wird anhand von FsTe beurteilt; b) Vergleich der experimentell ermittelten Daten aus dem Defor-mationstest mit durch PAM-Crash ermittelte Daten.

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gen, und zwar nicht nur nach dem Gieß-vorgang, sondern auch nach der Wärme-behandlung.

Mikrostruktur und mechanische eigenschaftenWährend der Erstarrung und der Abküh-lung von Legierungen ist die Bildung der Mikrostruktur ein wichtiges Phänomen, da sie nachhaltig die endgültigen Eigen-schaften eines Gussteils und damit letzt-lich ihre Qualität beeinflusst. Die Mikro-struktur ist spezifisch für jede Legierung. Die Art der vorhandenen Phasen, deren Volumenanteile, die Korngröße und die Korngestalt bestimmen die mechanischen Eigenschaften, sodass unter diesen Ge-sichtspunkten der Auswahl einer passen-den Legierung eine zentrale Bedeutung zu-fällt. Die Casting Simulation Suite ermög-licht die Modellierung der Mikrostruktur und bietet für die Anwender von Gussei-sen passende Materialmodelle u. a. für Gusseisen mit Lamellengraphit, Gusseisen mit Kugelgraphit und Gusseisen mit Ver-miculargraphit (CGI – Compacted Graphi-te Iron) bis hin zu Ni-Resist (Bild 11). Ty-pische Ergebnisse der Simulation sind die Volumenanteile der unterschiedlichen Pha-sen (Ferrit, Perlit, Graphit, Ledeburit) und deren Eigenschaften (Anzahl der Graphit-kugel, Nodularität, Dehnung, SDAS (sekun-därer Dendritenarmabstand), Härte, Streckgrenze, Zugfestigkeit).

WärmebehandlungViele Gussteile werden nachträglich einer Wärmebehandlung unterzogen, um so die lokalen mechanischen Eigenschaften zu verbessern. Es ist deshalb notwendig, zu-vor mit der Gießsimulation ermittelte Ei-genschaften an die Simulation der Wär-mebehandlung zu übermitteln, um eine verlässliche Vorhersage bezüglich der end-gültigen Geometrie und der entsprechen-den mechanischen Eigenschaften treffen zu können. Diese Möglichkeit unterstützt die industriellen Anwender darin, die ge-samte Prozesskette zu modellieren, wel-che das Teil bis zum fertigen Produkt durchläuft, um entsprechend die Fertig-teilqualität zu kontrollieren und zu steu-ern. Zeit-Temperatur-Umwandlung (ZTU)- oder Continuous Cooling Transformation (CCT)-Diagramme können genutzt werden, um die Phasenumwandlung während des Wärmebehandlungsprozesses zu model-lieren.

Die Wärmebehandlungssimulation (HT – Heat Treament) innerhalb der Casting Si-mulation Suite erlaubt nicht nur die Mo-dellierung der Wärmebehandlung nach den bekannten Grundprinzipien, sondern bietet darüber hinaus auch einen HT-Ad-visor, spezifisch für Wärmebehandlungen gemäß T4 bis T6 und T7. Der HT-Advisor

basiert auf einer Variation des Mg-Anteils und der Alterungsparameter für die ge-bräuchlichste Gussaluminium-Legierung A356/357 und liefert wichtige mechani-sche Eigenschaften wie Streckgrenze, Zug-festigkeit, Dehnung und Härte (Bilder 12 und 13).

Prozesskette Gießen und Wärmebehandlung

Neben den zuvor genannten Fakten kann die Veränderung der Mikrostruktur wäh-rend des Gieß- und Wärmebehandlungs-prozesses einen bedeutenden Effekt auf die Eigenspannungen und die endgültige Bauteilgestalt haben. Spannungsberech-nungen werden üblicherweise mit mecha-nischen Eigenschaften durchgeführt, die lediglich temperaturabhängig sind. Die Casting Simulation Suite von ESI ermög-licht darüber hinaus die Kopplung von Temperatur- und Spannungsberechnun-gen, einhergehend mit der Vorhersage von Mikrostruktur und Defekten, und kann so den Einfluss von Mikrostrukturen, Po-rosität und Warmrissen auf die thermo-mechanischen Eigenschaften berücksich-tigen. Eine verlässliche Aussage über die Qualität eines Produktes, das diese Ferti-

gungsstufen durchläuft, kann ausschließ-lich durch solch eine detaillierte mehr-stufige Simulation erreicht werden, die den gesamten Umfang der im Prozess auf-tretenden physikalischen Phänomene be-rücksichtigt. Bild 14 zeigt das Schema ei-ner vollständig gekoppelten Prozesskette (Gießprozess und Wärmebehandlung) bei der Produktion eines gegossenen Stahl-blocks. Thermischer und Strömungssol-ver sind mit der Mikrostruktur und der Defektvorhersage gekoppelt. Wie in der Realität wurden die Daten des Gussteils – Eigenspannungen, Mikrostruktur und Defekte – an die Simulation der Wärme-behandlung übertragen. Die Vorhersage der endgültigen Form und der Eigenspan-nungen schließt die Effekte der Mikro-struktur und Porosität ein.

Prozesskette Gießen und Crash

Über den Fertigungsprozess hinaus ist es möglich, einen Schritt weiter zu gehen, um das Verhalten des Produkts im Einsatz vor-herzusagen – Konstrukteure werden so da-bei unterstützt, Produkte nicht nur ferti-gungsgerecht zu gestalten, sondern auch ihre Leistung im Einsatz zu testen. Ein typisches Beispiel ist die Performance von

Bild 16: Design des Gießsystems – die entwicklung wurde durch salsa-3D und die Gießsimulation unterstützt. Die schnelle verlässliche Untersuchung unterschiedlicher Designs kann schon vor Fertigung des Gießwerkzeugs erfolgen.

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Page 12: TeCHNOLOGie & TreNDs Gießsimulation als Antwort auf ... · PDF fileProCAST in die neue Visual-Umgebung ein - gebettet, die als gemeinsame Plattform für alle ESI-Lösungen dient

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gegossenen und wärmebehandelten Teilen in Fahrzeugen. Ein bedeutender Schwer-punkt für die Automobilproduzenten liegt dabei heute im Crash-Test, um die Sicher-heit des Fahrzeuginsassen zu gewährleis-ten. Um so einen Test simulationstechnisch durchzuführen, ist es wichtig, die korrek-ten Eigenschaften der gefertigten Teile zu kennen – ob abgeleitet aus dem Prozess oder der Realität –, anstatt einheitliche Ei-genschaften unter Vernachlässigung loka-ler Eigenschaften anzunehmen, was das Crash-Verhalten erheblich verfälschen kann. Die Casting Simulation Suite ermög-licht es, die Daten der Teile im Gusszustand bzw. im wärmebehandelten Zustand mit allen relevanten Eigenschaften aus dem Simulationsbereich an eine Crash-Simula-tion-Software wie PAM-Crash von ESI wei-terzuleiten, um verlässliche Eingabedaten für die Crash-Simulation zu erzeugen. Bild 15a zeigt einen im Druckgießverfah-ren unter Einsatz von ProCAST hergestell-ten Lenkradrahmen aus Magnesium. Ein auf dem Free Surface Time Exposure (FS-TE) basierendes vorgegebenes Qualitäts-kriterium wird genutzt, um die Qualität des gegossenen Rahmens zu bestimmen. Lokale mechanische Eigenschaften wur-den, basierend auf diesen Kriterien, abge-leitet, in einem Crashtest mit PAM-Crash ermittelt und mit einem experimentellen Deformationstest verglichen (Bild 15b). Es zeigt sich, dass die Gießsimulation in der Lage ist, die mechanischen Eigenschaften korrekt vorherzusagen.

Ausblick

Die Produktionskosten von Gießereien wer-den in erster Linie von Stundensätzen und Produktionsraten bestimmt. So verhält sich beispielsweise beim Druckgießverfahren (HPDC) der Stundensatz proportional zur eingesetzten Maschine. Es ist deshalb wich-tig, zu verstehen, wie die Bauteilkonstruk-tion die Maschinenauswahl beeinflussen kann. Die Produktionsrate wiederum hängt von der Zykluszeit und der Anzahl der Tei-le pro Schuss ab. Beide Faktoren zusam-men bilden einen starken Anreiz für den Formenbauer, Formen mit mehreren Ka-

vitäten zu entwickeln, um so die Produk-tivität deutlich zu steigern. Als Folge da-von werden jedoch die Gießformen zu-nehmend komplexer, was in zweifacher Hinsicht ein Risiko für die Gießer dar-stellt: das Werkzeug ist mit großer Wahr-scheinlichkeit teurer und die Optimie-rungskosten können steigen, besonders auch wegen der Komplexität des erfor-derlichen Gießsystems.

Zusammenfassend ist es offensichtlich notwendig, bei der Simulation des HPDC-Prozesses Variablen wie Maschinentyp, Zykluszeit und Anordnungsmuster der Teile in der Form zu berücksichtigen. Letztlich müsste die im Hintergrund ar-beitende Software ein optimales Gießsys-tem bereitstellen, das alle vorgegebenen Randbedingungen erfüllt.

Diesen Sachverhalt beschreibt man als so genannte Prozessentwurfsfähigkeit. Das Programm Salsa-3D, ursprünglich ent-wickelt vom CTIF (Centre Technique des Industries de la Fonderie, Sevres Cedex, Frankreich) und über Jahre im prakti-schen Einsatz in Gießereien validiert, ist auf diese Problemstellung ausgerichtet und eines der neuesten Module der Cas-ting Simulation Suite von ESI (Bild 16). Die genaue Dimensionierung des Füllsys-tems erfolgt dabei über eine anwender-freundliche Bedienoberfläche. Das Pro-gramm ermöglicht:> ein Design zu entwickeln, das den Aus-

gleich des Druckabfalls für jeden Spei-ser zulässt, um einen Materialfluss zu erzielen, der für jede Kavität die glei-che Füllzeit sichert;

> die Positionierung des Gießsystems und der Überläufe;

> das Erzielen eines optimalen Versprü-hens der Schmelze;

> die Übertragung des optimalen Sys-temdesigns an die nächste Simulati-onsstufe und nach Validierung an die Fertigung.

Zukünftig wird es die computergestützte Simulation ermöglichen müssen, autonom die Planung, die Konzeption, das Testen und die Validierung neuer Gusskonstruk-tionen durchzuführen. Das Gussteil mit

der optimalen Form, den dünnsten Wän-den und den notwendigen mechanischen Eigenschaften muss, um den erwarteten Belastungen standzuhalten, bereits in den frühen Stufen der Produktion entwickelt werden. Die Gießsimulation spielt eindeu-tig eine wesentliche Rolle dabei, solche He-rausforderungen zu bewältigen.

Schlussbemerkung

Die stetig steigende Forderung von Gie-ßereikunden nach niedrigen Preisen bei gleichzeitig gestiegener Leistung und Qua-lität erfordert die Entwicklung von Guss-teilen, die ihr volles Potential ausschöp-fen. Die der Casting Simulation Suite von ESI zugrunde liegende Strategie erfüllt ge-nau diese Forderungen. Der vorliegende Beitrag erläutert die Anforderungen der Gießerei-Industrie und gibt einen Über-blick über typische Merkmale eines mo-dernen Programms für die Gießsimulati-on, wobei deren Zielsetzung eindeutig von bloßen vorhersagenden Prozessuntersu-chungen hin zu einer umfassenden Unter-stützung des gesamten Gießprozesses geht. Dabei steht nicht mehr nur die Pro-blemanalyse existierender Gussteile und Prozesse sowie die Behebung der Proble-me im Vordergrund, sondern es geht da-rum, neue Gussteile ohne kostspielige und zeitaufwendige Verfahren zu entwickeln, wobei die aus dem Einsatz des Bauteils abgeleiteten Anforderungen berücksich-tigt werden. Die Gießsimulation muss des-halb über den Fertigungsprozess selbst hinausgehen, um die Leistung eines Bau-teils vorherzusagen. Dies geschieht durch verkettete Simulationen mit der Wärme-behandlung, dem Schweißen oder Crash-Tests, die in diesem Artikel anhand von industriellen Beispielen vorgestellt wur-den. Sie bilden die Basis einer im Rahmen von PLM (Product Life Cycle Management) einsetzbaren virtuellen Prozesskette.

Dipl.-Ing. Badarinath Kalkunte, Diplom Physiker Ole Köser, Dipl.-Ing. Claude-Alain Rolle, ESI Group, Paris, Frankreich, Dipl.-Ing. Michael Günzel, ESI GmbH, München, Deutschland

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