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tele tele-akademie akademie MEDIENDIDAKTIK 2. Studienbrief Autor: Thomas Jechle Lehr- Lerntheoretische Ansätze Expertin/Experte für Neue Lerntechnologien (ENLT) Wer Medien für Bildungszwecke einsetzen will, sollte eine klare Vorstellung davon haben, wie Lernen funktioniert. In diesem Studienbrief werden deshalb lerntheoretische Grund- lagenkenntnisse vermittelt und ihre Anwendung beim Lehren und Lernen mit Medien beschrieben. Es werden behavioristische, kognitive und konstruktivistische Positionen mit ihren Konsequenzen für das Lehren mit Medien vorgestellt. fachhochschule furtwangen akademie tele

tele akademie tele-akademie und... · Reiz respondentes Verhalten operantes Verstärker beeinflusst Wahrscheinlichkeit signalisiert Abbildung 1: Prinzip des instrumentellen Konditionierens

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teletele--akademieakademie M E D I E N D I D A K T I K

2. Studienbrief Autor: Thomas Jechle

Lehr- Lerntheoretische Ansätze

Expertin/Experte für Neue Lerntechnologien (ENLT)

Wer Medien für Bildungszwecke einsetzen will, sollte eine klare Vorstellung davon haben, wie Lernen funktioniert. In diesem Studienbrief werden deshalb lerntheoretische Grund-lagenkenntnisse vermittelt und ihre Anwendung beim Lehren und Lernen mit Medien beschrieben. Es werden behavioristische, kognitive und konstruktivistische Positionen mit ihren Konsequenzen für das Lehren mit Medien vorgestellt.

f a c h h o c h s c h u l e f u r t w a n g e n

akademie tele

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 1

E I N F Ü H R U N G

Soll der Lernprozess durch den Einsatz von Medien unterstützt werden, so

müssen grundlegende Mechanismen des Lernprozesses bekannt sein und

berücksichtigt werden. Solche Mechanismen zu entdecken, ist das Ziel

lernpsychologischer Untersuchungen. Innerhalb der Lernpsychologie gab

und gibt es unterschiedliche Strömungen, die ihre Erkenntnisse jeweils in

Lerntheorien zusammengefasst haben, die dann als Grundlage für

Lehrtheorien herangezogen werden können.

In diesem Studienbrief werden drei lerntheoretische Richtungen vorgestellt,

die das Lehren und Lernen mit neuen Medien entscheidend geprägt haben.

Es sind:

• die behavioristische,

• die kognitive und

• die konstruktivistische Lerntheorie.

Diese drei Richtungen dominierten jeweils zu bestimmten Zeitabschnitten in

diesem Jahrhundert die Diskussion um Lernen und Lehren: der

Behaviorismus in den 20er bis 50er Jahren, der Kognitivismus in den 60er bis

80er Jahren und der Konstruktivismus seit Ende der 80er Jahre.

Kennzeichnend für diese drei Richtungen sind jeweils unterschiedliche

Erklärungen für Lernen und entsprechend unterschiedliche Empfehlungen

für das Lehren. Gemeinsam ist allen drei Ansätzen, dass sie die didaktische

Diskussion und besonders das Lehren und Lernen mit Medien entscheidend

beeinflusst haben bzw. beeinflussen.

Die Darstellung der drei Ansätze erfolgt hier chronologisch. Es wird zunächst

die behavioristische Lerntheorie mit ihren Implikationen für das Lehren und

Lernen mit Medien beschrieben. Daran anschließend werden kognitive und

konstruktivistische Lerntheorien sowie ihre Umsetzung in Lehrverfahren und

mediengestützte Lernmaterialien dargestellt.

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 2

I N H A L T

1 Behavioristische Lehr-Lerntheorien .......................................................... 4 1.1 Zur Entwicklung der behavioristischen Lehr-Lerntheorien ......................4 1.2 Das instrumentelle Lernen ...........................................................................5

1.2.1 Das Prinzip des instrumentellen Lernens...........................................5 1.2.2 Lehrprinzipien beim Instrumentellen Lernen ...................................6

1.3 Neue Bildungsmedien und behavioristische Lerntheorien.......................7 1.3.1 Programmierte Instruktion ..................................................................7 1.3.2 Practice & Drill Programme .................................................................9

2 Kognitive Lerntheorien ............................................................................. 11 2.1 Lernen als Informationsverarbeitungsprozess .........................................11

2.1.1 Sensorischer Speicher und selektive Wahrnehmung ......................11 2.1.2 Kurzzeitgedächtnis: Verstehen und Verarbeiten von

Information..........................................................................................13 2.1.3 Langzeitgedächtnis: Speichern und Nutzen von Information .......15

2.2 Lernen als emotionaler und motivierter Prozess......................................17 2.2.1 Emotion und Lernen...........................................................................18 2.2.2 Motivation und Lernen.......................................................................19

2.3 Lernen als kontrollierter Prozess................................................................22 2.3.1 Volitionale Kontrolle...........................................................................23 2.3.2 Metakognition .....................................................................................23

2.4 Neue Bildungsmedien und Kognitive Lehr-Lern-Theorien ....................24 2.4.1 expositorisches Lehrverfahren und tutorielle Programme .............25 2.4.2 gelenktes Entdecken und Simulation................................................27

3 Konstruktivistische Ansätze zum Lehren und Lernen.............................. 30 3.1 was versteht man unter Konstruktivismus?...............................................30 3.2 Der Ausgangspunkt für konstruktivistische Lehrkonzepte: Träges

Wissen und Situierte Kognition ..................................................................31 3.3 Die kognitiv-konstruktivistische Auffassung von Lernen ........................32 3.4 Konstruktivistische Ansätze zum Lehren...................................................33

3.4.1 Der Anchored-Instruction-Ansatz.....................................................33 3.4.2 Der Cognitive Flexibility Ansatz.........................................................33 3.4.3 Der Cognitive Apprenticeship Ansatz ...............................................34

3.5 Neue Bildungsmedien und konstruktivistische Ansätze..........................36

4 Zusammenfassung.................................................................................... 38

5 Literatur und Material .............................................................................. 40

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 3

5.1 Literatur ........................................................................................................40 5.2 Weiterführende Literatur ............................................................................40 5.3 Sonstige Materialien....................................................................................41

6 Glossar....................................................................................................... 43

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 4

1 B E H A V I O R I S T I S C H E

L E H R - L E R N T H E O R I E N

1.1 ZUR ENTWICKLUNG DER BEHAVIORISTISCHEN LEHR-LERNTHEORIEN

Im Jahr 1913 begründete JOHN B. WATSON die sogenannte →„behavioristische

Wende“. Er richtete sich mit seinem Ansatz vor allem gegen psychologische

Ansätze, die mit dem Mittel der →Introspektion (‘in sich hinein horchen’)

versuchten, menschliches Verhalten zu erklären. An die Stelle der

Introspektion setzte WATSON die Beobachtung.

„Watson stellte die Behauptung auf, eigentlicher

Untersuchungsgegenstand der Psychologie sei nicht die

Funktionsweise des Geistes, sondern vielmehr die Erforschung des

objektiven, beobachtbaren Verhaltens“ [Gardner 1989, S. 122].

Damit ist der Begriff gefallen, der dieser lernpsychologischen Richtung zu

Programm und Namen verhalf: Verhalten (behavior, →Behaviorismus).

Die Forderung, sich am Beobachtbaren zu orientieren, bedeutet für die

Didaktik, dass die äußeren Merkmale der Lernumgebung, die beobachtbaren

Lernaktivitäten und Lernleistungen in den Vordergrund gestellt werden.

Lernen besteht damit im Erwerb bestimmter beobachtbarer

Verhaltensweisen, also von Lernleistungen.

Das Ziel der behavioristisch orientierten Lernpsychologie ist es deshalb,

Gesetzmäßigkeiten aufzudecken, unter welchen Umgebungsbedingungen

welche Verhaltensweisen ‘aufgebaut’ werden können. Ersetzt man den Begriff

‘Umgebungsbedingungen’ durch den Begriff ‘Reize’ und den Begriff

‘Verhaltensweisen’ durch den Begriff ‘Reaktionen’, ergibt sich das zentrale →Forschungsparadigma des frühen Behaviorismus: das Reiz-Reaktions-

Schema. Die zentrale Frage des Behaviorismus lautet also: Aufgrund welcher

Gesetzmäßigkeiten entstehen Reiz-Reaktions-Verbindungen, oder - mit der

hier verwendeten Terminologie - aufgrund welcher Gesetzmäßigkeiten

fördern bestimmte Lernumgebungen bestimmte Lernleistungen.

WATSON selbst entwickelte die Theorie des klassischen Konditionierens. Der

berühmteste experimentelle Beleg für diese Theorie stammt allerdings nicht

von WATSON selbst, sondern von dem russischen Neurophysiologen PAWLOW.

In diesem Experiment lernte ein Hund, auf ein Glockensignal mit

Speichelfluss zu reagieren. Das Geheimnis dieses Lernerfolgs bestand darin,

dass der Glockenschlag zunächst immer dann ertönte, wenn dem Hund

Der Ursprung des

Behaviorismus

Die Rolle des

Beobachtbaren

Das Anliegen des

Behaviorismus

Klassisches

Konditionieren

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 5

Futter gegeben wurde, was als natürliche Reaktion den Speichelfluss nach

sich zieht. Mit der Zeit erfolgte diese an sich natürliche Reaktion auch dann,

wenn nur die Glocke ertönte; der natürliche Reiz ‘Futter’ wurde durch den

künstlichen Reiz ‘Glockenschlag’ ersetzt.

WATSONS Theorie des klassischen Konditionierens wurde schließlich von

seinem Schüler B.F. SKINNER [1938] zur Theorie des instrumentellen Lernens

(auch: operantes Konditionieren) weiterentwickelt. Da die mit dieser Theorie

verbundenen Vorstellungen zum Lehren und Lernen einen ganz

entscheidenden Einfluss auf das mediengestützte Lernen hatten, werden sie

im folgenden Abschnitt genauer beschrieben.

1.2 DAS INSTRUMENTELLE LERNEN

1.2.1 DAS PRINZIP DES INSTRUMENTELLEN LERNENS

Verhalten kann nicht ausschließlich auf Reize zurückgeführt werden

Ausgangspunkt für SKINNERs Theorie des instrumentellen Lernens ist die

Beobachtung, dass die überwiegende Zahl menschlicher Verhaltensweisen

nicht allein auf klar definierte Reize hin erfolgt - wie beim klassischen

Konditionieren unterstellt -, sondern durch eine Vielzahl unterschiedlicher

Reize ausgelöst werden kann. Ein Verhalten, das eindeutig eine Reaktion auf

einen bestimmten Reiz darstellt, nennt SKINNER respondentes Verhalten und

unterscheidet davon das operante Verhalten, das nicht auf einen speziellen

Reiz zurückgeführt werden kann. Die Frage, mit der sich SKINNER beschäftigte,

lautet also: Wie kann erreicht werden, dass ein bestimmtes Verhalten

(unabhängig von einer bestimmten Reizkonstellation) gezeigt wird. Hierzu

zunächst ein Beispiel:

Experiment zum verbalen Konditionieren Eine Versuchsperson (kein

Psychologe!) wird aufgefordert, zu Begriffen, die ein Versuchsleiter

vorgibt, jeweils ein Wort zu assoziieren (z.B. Blume - Rose; Kaffee -

trinken). Jedesmal, wenn die Versuchsperson ein Verb assoziiert, nickt

der Versuchsleiter freundlich; wird ein Substantiv oder Adjektiv

assoziiert, verhält sich der Versuchsleiter neutral. Der Versuch besteht

aus mehreren Durchgängen mit jeweils 20 vorgegebenen Begriffen.

Anschließend wird ausgewertet, wie häufig in den einzelnen

Durchgängen Verben assoziiert wurden. Das Ergebnis ist in der Regel

sehr eindeutig: In den späteren Versuchsdurchgängen werden von

den Versuchspersonen mehr Verben assoziiert als in den früheren.

Den meisten Versuchspersonen ist hinterher weder bewusst, dass sie

ihr Verhalten verändert haben, noch dass der Versuchsleiter nach

einer bestimmten Systematik auf ihre Assoziationen reagiert hat.

Das grundlegende Prinzip dafür, dass ein bestimmtes Verhalten (im Beispiel

das Assoziieren von Verben) aufgebaut wird, ist hier nicht ein bestimmter

Grundprinzip:

Verstärkung

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 6

Reiz, der dem Verhalten vorausgeht, sondern die Konsequenz, die dem

Verhalten folgt (freundlich nickender Versuchsleiter). Da diese Konsequenz

von den Versuchspersonen als positiv empfunden wird, erhöht sich die

Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten, das diese Konsequenz auslöst,

wiederholt wird (auch wenn das den Versuchspersonen selbst gar nicht

bewusst ist). Die Konsequenz wirkt als Verstärker (reinforcer) auf das

Verhalten.

Reiz respondentesVerhalten

operantesVerstärker

beeinflusst Wahrscheinlichkeit

signalisiert

Abbildung 1: Prinzip des instrumentellen Konditionierens

Kontingenz als Bedingung für die Wirksamkeit von Verstärkern

Entscheidend für die Wirksamkeit von Verstärkern ist, wie regelmäßig und

verlässlich sie auf das zu verstärkende Verhalten folgen. Diesen

Zusammenhang zwischen Verhalten und Verstärker bezeichnet man als

Kontingenz.

Verhalten ist hier übrigens sehr weit gefasst. Es bezieht sich nicht nur auf

Handlungen im motorischen Sinne, sondern beispielsweise auch auf verbales

Verhalten.

1.2.2 LEHRPRINZIPIEN BEIM INSTRUMENTELLEN LERNEN

Aus dem Prinzip der Verstärkung können verschiedene Lehrprinzipien

abgeleitet werden.

Damit der Aufbau oder Abbau von Verhalten durch Verstärkung beeinflusst

werden kann, muss das Verhalten, das verstärkt werden soll, überhaupt

auftreten. Eine Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten zu provozieren, ist das

sogenannte prompting. Ein Prompt ist ein Hinweis, welches Verhalten gezeigt

werden soll. Beispielsweise durch verbale Umschreibung des gewünschten

Verhaltens, das Vorführen des Verhaltens oder auch die Vorgabe einiger

Buchstaben des Lösungswortes in einem →Lückentext. Wird das gewünschte

Ver_ _ _ _en gezeigt und kann es entsprechend verstärkt werden, können die

Hinweisreize schrittweise zurückgenommen werden, und das Verhalten

damit von diesen Hinweisreizen unabhängig gemacht werden. Man

bezeichnet diesen Vorgang als fading.

Selten werden in Lehr-Lernsituationen gleich zu Beginn Verhaltensweisen in

der Weise gezeigt, wie sie angestrebt werden. Um ein erwünschtes Verhalten

schrittweise zu erreichen, wird jede Änderung im Verhalten, die dem

gewünschten Endverhalten einen Schritt näher kommt, verstärkt. Dieser oft

Verschiedene Lehr-

prinzipien

Prompting und fading

shaping

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 11

2 K O G N I T I V E L E R N T H E O R I E N

Bereits in den 40er Jahren deutete sich in verschiedenen Disziplinen eine

Abkehr vom →behavioristischen Paradigma an. Kritisiert wurde vor allem die

Auffassung, menschliches Verhalten sei ausschließlich durch

Umweltgegebenheiten (z.B. Reiz, Verstärkung) bestimmt. Die selbstauferlegte

Beschränkung, Aussagen und Hypothesen nur bezogen auf beobachtbare

Phänomene aufstellen zu können, wurde als unzureichend empfunden.

Hinzu kam, dass verschiedene Disziplinen wie Philosophie, Psychologie,

Informatik, Linguistik, Anthropologie und Neurowissenschaften begannen

zusammenzuarbeiten, um menschliches Denken zu erklären. Auf dieser

Grundlage entwickelte sich in den 50er und 60er Jahren die sogenannte →kognitive Wende in der Beschreibung menschlichen Wissens, Denkens und

Handelns. Erklärtes Ziel war es, diejenigen internen Prozesse des Denkens

aufzuklären, über die zu spekulieren in der behavioristischen Tradition

verpönt war, weil sie nicht beobachtbar sind.

Die folgenden Kapitel geben einen Überblick zum aktuellen Kenntnisstand,

was diese internen Prozesse betrifft. Lernen wird dabei unter drei

Gesichtspunkten betrachtet:

• als Informationsverarbeitungsprozess,

• als emotionaler und motivierter Prozess und

• als kontrollierter Prozess.

2.1 LERNEN ALS INFORMATIONSVERARBEITUNGSPROZESS

Ende der 60er Jahre entwickelten die beiden amerikanischen Psychologen

RICHARD ATKINSON und RICHARD SHIFFRIN ein Gedächtnismodell, in dem

verschiedene Speicher als Grundbestandteile des Gedächtnisses enthalten

sind. In seinen Grundzügen wird dieses Modell bis heute als Orientierung

herangezogen, um menschliche Informationsverarbeitung zu erklären.

Abbildung 5 zeigt ein erweitertes Speichermodell der Informations-

verarbeitung.

2.1.1 SENSORISCHER SPEICHER UND SELEKTIVE WAHRNEHMUNG

Im sensorischen Speicher werden Informationen von den Sinnesorganen

Sekundenbruchteile für höhere Verarbeitungsprozesse verfügbar gehalten.

Man kann sich diesen sensorischen Speicher etwa folgendermaßen vorstellen:

Von den Sinnesorganen

in das Gedächtnis

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 12

Wenn in einem völlig abgedunkelten Raum Licht eingeschaltet und sofort

wieder abgeschaltet wird, hat man den Eindruck, dass für Sekundenbruchteile

das eben gesehene Bild ‘nachhallt’. Es ist möglich, einzelne Objekte, die längst

nicht mehr sichtbar sind, zu beschreiben.

UMWELT

Sinnes-organe

SensorischerSpeicher

Kurzzeit-gedächtnis

Langzeit-gedächtnis

semantischeKodierung

selektiveWahrnehmung

Motivation/Emotion

MetakognitionVolition

rehearsal/chunking

Repräsen-tation

Erinnern/Vergessen

Abbildung 5: Modell der Informationsverarbeitung

Aus der Gesamtheit der Informationen im sensorischen Speicher wird immer

nur ein kleiner Teil weiterverarbeitet. Um welche Informationen es sich dabei

handelt, hängt davon ab, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet wird. Man

bezeichnet diesen Auswahlprozess als selektive Wahrnehmung.

Die Aufmerksamkeit ist allerdings begrenzt und kann mit der Zeit nachlassen.

Beispielsweise ist es nur sehr schwer möglich, zwei Unterhaltungen

gleichzeitig zu führen, da Kommunikationsprozesse im allgemeinen einen

hohen Grad an Aufmerksamkeit verlangen. Andererseits ist es durchaus

möglich, während einer weitgehend automatisierten Aktivität - beispielsweise

dem Auto fahren - eine Unterhaltung zu führen. Je stärker eine Tätigkeit

automatisiert ist, um so weniger Aufmerksamkeit wird durch sie beansprucht

(weitere Informationen zum Thema Aufmerksamkeit bei ANDERSON, 1988, 51).

Wichtig für einen Lernprozess ist es demnach, dass es gelingt, die

Aufmerksamkeit auf die relevante Information, das Lernmaterial, zu lenken.

Je nach Lernsituation kommen hierfür verschiedene Möglichkeiten in Frage:

Außer durch explizite sprachliche Hinweise („Wir kommen nun zum

wichtigsten Punkt...“) kann bei Vorträgen die Aufmerksamkeit der Zuhörer

durch Variation der Lautstärke, der Sprachmelodie, des Sprechtempos oder

durch Sprechpausen erregt werden. Bei Texten werden grafische Formen der

Hervorhebung benutzt (Kursiv- und Fettdruck, Unterstreichung, gesperrter

Aufmerksamkeit und

selektive Wahrnehmung

Entlastung durch

Automatisierung

Konsequenzen für das

Lehren:

...Aufmerksamkeit lenken

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 13

Druck). Bei multimedialen Materialien kommen zu den genannten

Möglichkeiten noch Farben, Töne, Animationen, Videosequenzen und

Kombinationen dieser Signalelemente hinzu.

Während eines Lernprozesses ist es wichtig, die Aufmerksamkeit aufrecht zu

erhalten bzw. natürliche Ermüdungseffekte einzukalkulieren. Aus diesem

Grund wird oft gefordert, einzelne Lernschritte zeitlich zu begrenzen. So

empfiehlt beispielsweise DÖRING [1992, S. 46] die „20-Minuten-Regel“, d.h.

Vermittlungsteile sollten nicht länger als 20 Minuten sein, Lerneraktivitäten

dagegen nicht kürzer als 20 Minuten.

2.1.2 KURZZEITGEDÄCHTNIS: VERSTEHEN UND VERARBEITEN VON INFORMATION

Im Kurzzeitgedächtnis (KZG; auch Arbeitsgedächtnis) findet die eigentliche

Verarbeitung von Informationen statt. Auch in diesem Speicher ist die

Lebensdauer von Informationen begrenzt. Zu der zeitlichen Begrenzung

kommt eine Kapazitätsbegrenzung hinzu, d.h. es können nur wenige

Informationseinheiten gleichzeitig aktiv gehalten werden.

Allerdings gibt es Möglichkeiten, sowohl die zeitliche als auch die

Kapazitätsbegrenzung des KZG zu überwinden. Der zeitgebundene Zerfall

kann umgangen werden, indem die Elemente im KZG immer wieder

‘aufgefrischt’ werden. Vermutlich benutzen auch Sie diese Technik, wenn Sie

sich eine Telefonnummer so lange merken wollen, bis Sie sie gewählt haben:

Die einzelnen Ziffern werden der Reihe nach so lange wiederholt, bis sie nicht

mehr gebraucht werden. Diese Technik wird als rehearsal bezeichnet.

Die Kapazitätsbeschränkung lässt sich dadurch erweitern, dass isolierte

Einheiten zu zusammenhängenden Einheiten verschmolzen werden.

Beispielsweise ist es scheinbar unmöglich, sich nach einmaliger Darbietung

die 13 Silben

TÄT-ZI-PA-KA-TUNGS-BEI-AR-VER-ONS-TI-MA-FOR-IN

zu merken. Wenn man die Silben aber anstatt von links nach rechts

umgekehrt von rechts nach links liest, ergeben sich keine Probleme.

Verarbeitungsstrategie ‘Chunking’ und ‘Semantische Kodierung’

Zwei einfache Erklärungen bieten sich an: Zum einen ergeben die 13 Silben

nun ein Wort. Es ist also nicht nötig, sich 13 isolierte Einheiten zu merken,

sondern nur eine einzige zusammenhängende Einheit. Man bezeichnet

diesen Vorgang als chunking. Zum anderen handelt es sich bei dem Wort um

eine Einheit, die bereits eine Entsprechung im Langzeitgedächtnis hat und

insofern ‘bedeutungshaltig’ ist. Wenn bei der Verarbeitung von Informationen

auf Inhalte des Langzeitgedächtnisses zurückgegriffen wird, spricht man von

einer semantischen (bedeutungshaltigen) Kodierung; umgangssprachlich

könnte man auch von ‘Verstehen’ sprechen.

...Aufmerksamkeit

aufrecht erhalten.

Begrenzungen des KZG

Verarbeitungsstrategie

rehearsal

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 14

Die semantische Kodierung im KZG setzt ein Wechselspiel zwischen

Informationen, die über das sensorische Register aus der Umwelt

aufgenommen wurden und Informationen, die aus dem Langzeitgedächtnis

reaktiviert wurden voraus. In der Kognitionspsychologie spricht man von

einem Zusammenspiel von bottom up und top down Prozessen.

Informationen werden dabei auf dem Hintergrund bereits bestehender

Gedächtnisinhalte interpretiert und dadurch verstanden. Andererseits

können auf diese Weise aber auch bestehende Gedächtnisinhalte ergänzt oder

umstrukturiert werden

Das Zusammenwirken von neuen Informationen mit bereits vorhandenem

Wissen spielt eine zentrale Rolle beim Lernen. Je intensiver und vielfältiger

neue Informationen auf bereits vorhandene Gedächtnisinhalte bezogen

werden, um so eher können die neuen Inhalte in das Langzeitgedächtnis

integriert und damit langfristig behalten werden. CRAIK/LOKHART [1972]

sprechen in diesem Zusammenhang von der Verarbeitungstiefe (levels of

processing bzw. depth of processing).

Beispiel: Verarbeitungstiefe und Lernen mit Texten Beim Lernen mit

Texten gibt es verschiedene Strategien. Eine vergleichsweise

oberflächliche Strategie besteht darin, den Text ‘nur’ zu lesen. In der

Regel wird die Textinformation dabei semantisch kodiert, die

Verknüpfung mit bereits vorhandenem Wissen erfolgt aber eher

unsystematisch. Eine höhere Verarbeitungstiefe wird dann erreicht,

wenn man versucht, Textabschnitte nach der Lektüre in eigenen

Worten wiederzugeben, da hierbei vorhandenes Wissen und neue

Informationen eher miteinander verknüpft werden. In der Literatur

zum Textlernen wird eine Strategie empfohlen, durch die solche

Verknüpfungen systematisch ausgelöst werden, die PQ4R-Strategie

[THOMAS/ROBINSON 1972]. Das Akronym PQ4R steht dabei für Preview

(Vorschau), Questions (Fragen), Read (Lesen), Reflect (Nachdenken),

Recite (Wiedergeben) und Review (Rückblick). Ein anderer Vorschlag

findet sich in FRIEDRICH u.a. [1997, S. 203-222]. Hier die wichtigsten

Schritte dieser Technik:

1. Das Vorwissen nutzen (z.B. Was weiß ich schon über das Thema?)

2. Die zentralen Aussagen zusammenfassen

3. Das Wissen aktiv organisieren (z.B. zentrale Begriffe in einem

Schaubild anordnen)

Um die Kapazität des KZG nicht zu überlasten, sollten nicht zu viele

Informationen gleichzeitig dargeboten werden. Außerdem sollte die

Gelegenheit bestehen, Einzelheiten zu größeren Informationseinheiten

(chunks) zusammenzufassen. Die Gliederung multimedialer Lernmaterialien

in kleine, übersichtliche Einheiten trägt dieser Forderung Rechnung.

SensorischerSpeicher

UMWELT

Verstehen

Langzeit-gedächtnis

top down(Hintergrund für Verstehen)

bottom up(Daten aus der Umwelt)

Qualität der

Semantischen Kodierung:

Tiefe der Verarbeitung

Konsequenzen für das

Lehren:

... Überlastung vermeiden

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 15

Um die Verknüpfung von neuen Informationen mit bereits bestehendem

Wissen (semantische Kodierung, bottom up and down Verarbeitung) zu

ermöglichen, muss das relevante Vorwissen der Lernenden bei der Planung

berücksichtigt (z.B. im Rahmen einer Analyse der Lernvoraussetzungen) und

bei der Durchführung aktiviert werden (z.B. durch explizite Hinweise). Aus

diesem Grund werden größeren Abschnitten in Lernmaterialien oft

Einführungen vorangestellt, die an Alltagswissen oder zuvor vermittelte

Inhalte anknüpfen.

Um eine tiefere Verarbeitung zu erreichen, sollte zu unterschiedlichen

Lernaktivitäten angeregt werden bzw. sollten ggf. erforderliche Lerntechniken

vermittelt werden. In die Lernmaterialien eingebettete Aufgaben können

Lernende zu einer tieferen Verarbeitung anregen.

2.1.3 LANGZEITGEDÄCHTNIS: SPEICHERN UND NUTZEN VON INFORMATION

Wie gesehen setzt die semantische Kodierung im KZG voraus, dass

Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Das

Langzeitgedächtnis funktioniert also als eine Art Speicher, der als Grundlage

für das Verstehen von Information herangezogen werden kann.

Bei dem Versuch zu erklären, wie Wissen im LZG aufgebaut wird, wurden

innerhalb der Lernpsychologie verschiedene Vorstellungen dazu entwickelt,

wie Wissen gespeichert (repräsentiert) ist. Manche Vorstellungen gehen von

einer verbalen Kodierung von Information aus, während andere von

bildhafter und/oder handlungsbezogener Repräsentation von Wissen

sprechen. Eine Veranschaulichung dieser einzelnen Auffassungen finden Sie

auf der Ergänzungsseite zu diesem Studienbrief unter dem Link

„Repräsentation von Wissen im Gedächtnis”.

Gemeinsam ist all diesen Vorstellungen, dass die jeweiligen

Gedächtnisinhalte miteinander vernetzt sind. Je engmaschiger dieses Netz

geknüpft ist, d.h., je mehr Verknüpfungen zwischen den einzelnen

Bestandteilen vorhanden sind, um so resistenter sind die Bestandteile gegen

Vergessen und um so leichter können sie erinnert werden.

Vergessen

Für das Vergessen sind verschiedene Erklärungen denkbar:

• das ‘Zerfallen’ von Gedächtnisinhalten und deren Verbindungen,

• Interferenz mit anderen Gedächtnisinhalten und

• Zugangsprobleme aufgrund mangelnder Verknüpfung.

In Laborexperimenten konnte beobachtet werden, dass im Lauf der Zeit von

zuvor erlernten Elementen immer weniger erinnert werden können. Zugleich

können diese ‘zerfallenen Gedächtnisspuren’ aber schneller wieder erlernt

werden als gänzlich neue Inhalte. Diese Beobachtung lässt vermuten, dass

Gedächtnisinhalte möglicherweise zu schwach werden können, um erneut

aktiviert zu werden, dass sie aber nicht vollständig verschwinden.

...an Vorwissen

anknüpfen

... verschiedene Lernwege

anbieten

Vergessen als

Spurenzerfall

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 16

Erinnern kann auch dann erschwert sein, wenn zu einem bekannten

Inhaltsbereich neue Informationen hinzugelernt werden. Die Verbindungen

zu den neuen Gedächtnisinhalten können so stark sein, dass die alten

Verbindungen nicht mehr aktiviert werden können. In diesem Fall spricht

man von einer Interferenz der neuen mit den vorhandenen

Gedächtnisinhalten [vgl. Anderson 1988, S. 145ff].

Eine dritte Erklärung für das Vergessen ist besonders im Hinblick auf das

Lernen interessant. Angenommen Gedächtnisinhalte verschwinden nicht aus

dem Gedächtnis und angenommen das Erinnern entspricht einer Art Suche,

die von einem bestimmen Gedächtnisinhalt ausgehend den Verknüpfungen

zu anderen Gedächtnisinhalten folgt, so könnte es sein, dass (1) eine

notwendige Verbindung zu einem Gedächtnisinhalt nicht besteht bzw. nicht

gefunden wird, oder (2) der Gedächtnisinhalt zwar gefunden aber nicht als

relevant erkannt wird. Beide Fälle werden besonders im Zusammenhang mit

der kognitiv-konstruktivistischen Lernpsychologie unter der Bezeichnung

‘träges Wissen’ diskutiert. Der erste Fall ergibt sich typischerweise dann, wenn

entweder auf uneffektive Weise nach Gedächtnisinhalten gesucht wird oder

Gedächtnisinhalte nicht genügend miteinander verknüpft sind, d.h., wenn

Wissen eher mechanisch und ‘inselartig’ aufgebaut wurde. Der zweite Fall

liegt häufig dann vor, wenn einmal Gelerntes in völlig anderen

Zusammenhängen genutzt werden könnte (Transfersituationen), aber kein

Gebrauch davon gemacht wird.

Es versteht sich von selbst, dass in der Didaktik besonders intensiv nach

geeigneten Maßnahmen gesucht wird, die Ursachen von Vergessen

auszuschalten (vgl. Tabelle 1).

Ursache für Vergessen Didaktische Gegenmaßnahmen

Spurenzerfall Wiederholen des Lernstoffes in

unterschiedlichen Abständen

Interferenz Explizit auf Unterschiede zwischen

bereits bestehendem Wissen und neuen

Inhalten hinweisen.

mangelhafter Zugang Auf vielfältige Vernetzung des Lernstoffes

beim Lernen achten. Erlerntes in

verschiedenen Situationen anwenden

lassen.

Tabelle 1: Ursachen für und Maßnahmen gegen Vergessen

Nutzung von Wissen

Wird erlernte Information in Anwendungssituationen oder späteren

Lernsituationen genutzt, spricht man von Transfer. Bereits in der

Lernsituation können Bedingungen geschaffen werden, die sich günstig auf

den späteren Transfer auswirken [vgl. Steiner 1996, S. 286ff]

Vergessen durch

Interferenz

Vergessen durch

mangelhaften Zugang

Nutzung und Transfer

von Wissen

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 23

daran, dass Lernende durch die Fülle der Anforderungen nicht überwältigt

werden, haben Kontrollprozesse.

Was wird während des Lernens kontrolliert? Grob kann man zwischen zwei

Bereichen der Handlungskontrolle unterscheiden: der Volition, die sich vor

allem auf die emotionale und motivationale Seite des Lernens bezieht, und

der Metakognition, die sich auf die kognitive Seite bezieht.

2.3.1 VOLITIONALE KONTROLLE

In dem Abschnitt über Lernen als emotionaler und motivierter Prozess wurde

Motivation als eine aktuelle Absicht definiert, eine Handlung aufzunehmen.

Die Frage ist, wie kommt es von der Absicht zu handeln zur Ausführung dieser

Handlung. Der Übergang wird durch Mechanismen der sogenannten

volitionalen Kontrolle ermöglicht. Darunter versteht man Strategien, die dazu

dienen, eine einmal gefasste Absicht (z.B. die zu lernen) vor konkurrierenden

Absichten abzuschirmen. Dies kann geschehen, indem

• Lernende die Wahrnehmung ablenkender Informationen ausblenden und

ihre Konzentration auf Dinge richten, die unmittelbar für das Lernen

wichtig sind ,

• Motive, die das Lernen fördern, aktiviert werden (z.B. an Belohnung

denken)

• störende Umweltbedingungen beseitigt, fördernde Umweltbedingungen

hergestellt werden.

Bei der volitionalen Kontrolle geht es also um den bewussten Einsatz von

Strategien, um Absichten in die Tat umzusetzen und eine einmal begonnene

Handlung auch zu Ende zu führen. Man könnte auch sagen, es geht um

Möglichkeiten der Selbstdisziplinierung.

2.3.2 METAKOGNITION

Der Begriff „Meta“-Kognition deutet darauf hin, dass es um eine Form der

Kognition auf höherer Ebene geht. Dabei wird unterschieden zwischen

metakognitivem Wissen und metakognitiven Strategien.

Metakognitives Wissen setzt sich aus drei Elementen zusammen [vgl. Flavell

1979]:

1. Wissen über die eigene Person, d.h. über das eigene Wissen und die eigenen

Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen (z.B. Mathematik, Schreiben,

Kunst).

2. Wissen über Aufgaben, d.h. welche Anforderungen eine Aufgabe stellt und

wie deren Schwierigkeit einzuschätzen ist.

3. Wissen über verschiedene Lernstrategien und deren Ausführung (z.B. zum

Bearbeiten, Strukturieren, Behalten und Überprüfen von Lernstoff).

Zwei Bereiche der

Handlungskontrolle

Vom „Wollen“ zum

„Handeln“

Formen der volitionalen

Kontrolle

Elemente metakognitiven

Wissens

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 24

Metakognitive Strategien beziehen sich demgegenüber auf die bewusste

Steuerung von Verarbeitungsprozessen. Auch hier können verschiedene

Komponenten unterschieden werden. BROWN U.A. [1983] nennen drei

Komponenten:

1. Planung von Lernhandlungen: Das Setzen individueller Lernziele, das

Formulieren von Fragen, die durch das Lernen beantwortet werden sollen,

das Feststellen von Anforderungen, die das Lernen stellt und das

Aktivieren erforderlichen Vorwissens. Aufgrund dieser

Planungsüberlegungen ergeben sich Hinweise, welche Lernstrategien in

der jeweiligen Lernsituation sinnvoll sind.

2. Überwachung von Lernhandlungen: das bewusste Lenken der

Aufmerksamkeit auf relevante Teile des Lernstoffs und die Aktivierung von

Lernstrategien zur Verarbeitung, Speicherung von Lerninhalten sowie zur

Kontrolle des Lernerfolgs.

3. Regulation von Lernhandlungen: Anpassung von Lernhandlungen, wenn

im Verlauf der Überwachung Schwierigkeiten oder Probleme erkannt

werden (z.B. grafische Veranschaulichung von Sachverhalten, wenn beim

Lesen Verständnisschwierigkeiten auftauchen).

Neben der vorwiegend auf die emotionale und motivationale Seite des

Lernens gerichteten Kontrolle (Volition) und der auf die kognitive Seite

gerichteten Kontrolle (Metakognition) wäre noch eine dritte Ebene der

Kontrolle zu erwähnen [vgl. hierzu Schiefele/Pekrun 1996, S. 263]: den

Umgang mit Ressourcen. Die wichtigsten Ressourcen beim Lernen sind Zeit

und Anstrengung. Beide Ressourcen stehen nur in begrenztem Umfang zur

Verfügung und gerade deshalb ist der sorgfältige Umgang damit besonders

wichtig.

Versucht man, Lernen als (selbst-)kontrollierten Prozess mit

computergestütztem Lernen in Verbindung zu bringen, so stellt sich die

folgende, prinzipielle Frage: In welchem Maße soll computergestütztes

Lernen vom Lernenden selbst oder durch das Programm gesteuert werden.

Die im Kapitel 1.3.1 beschriebene programmierte Instruktion ist ein Beispiel

für ein stark programmgesteuertes Lernen. Aktuelle multimediale

Lernprogramme räumen dagegen den Lernenden einen größeren Spielraum

bei der Kontrolle des eigenen Lernprozesses ein, beispielsweise indem den

Lernenden die Möglichkeit gegeben wird, selbst über ihren Lernweg zu

entscheiden. Dies setzt voraus, dass in die Lernmaterialien Hilfestellungen

integriert werden, die den Lernenden die Orientierung und Navigation im

Lernangebot erleichtern sowie die Dokumentation bereits absolvierter

Lernwege ermöglichen.

2.4 NEUE BILDUNGSMEDIEN UND KOGNITIVE LEHR-LERN-THEORIEN

In den vorangegangenen Kapiteln wurde Lernen als

• Prozess der Informationsverarbeitung, als

• Emotionaler und motivierter Prozess und als

• Kontrollierter Prozess beschrieben.

Komponenten

metakognitiver Strategien

Ressourcenmanagement

Ressourcenmanagement

und computergestütztes

Lernen

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 38

4 Z U S A M M E N F A S S U N G

1. Behavioristische Lerntheorien konzentrieren sich bei der Erklärung von

Lernen auf beobachtbare Größen. Lernen wird als Aufbau von Reiz-

Reaktions-Verbindungen beschrieben.

2. SKINNER geht in seiner Theorie des instrumentellen Lernens davon aus,

dass Verstärker, die einem Verhalten (Reaktion) folgen, entscheidenden

Einfluss auf die Ausbildung von Reiz-Reaktions-Verbindungen haben.

3. Bei der programmierten Instruktion werden Prinzipien des

instrumentellen Lernens konsequent umgesetzt, um Lehrstoff z.B. mittels

Computerprogrammen zu vermitteln.

4. In Practice & Drill-Programmen wird ebenfalls das Prinzip der Verstärkung

genutzt, um zuvor vermittelten Lehrstoff einzuüben.

5. Kognitive Lerntheorien versuchen, mentale Prozesse aufzuklären, die dem

Lernen zugrunde liegen. Insbesondere handelt es sich um Prozesse der

Informationsverarbeitung, der Motivation und Kontrolle.

6. Beim Prozess der Informationsverarbeitung wirken verschiedene Speicher

(sensorischer Speicher, Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis)

zusammen.

7. Unter Motivation versteht man die aktuelle Absicht, eine bestimmte

Handlung auszuführen. Die Folgen einer Handlung, insbesondere die

subjektive Zuschreibung von Ursachen für Erfolg oder Misserfolg einer

Handlung, haben Rückwirkungen auf die Motivation.

8. Beim Lernen sind verschiedene Kontrollprozesse beteiligt. Kontrolle

bezieht sich auf die Realisierung beabsichtigter Handlungen (volitionale

Kontrolle), auf die Einschätzung der Lernsituation und der eigenen

Möglichkeiten (metakognitives Wissen) sowie auf die Planung,

Überwachung und Steuerung des Lernprozesses insgesamt

(metakognitive Strategien).

9. Elemente kognitiver Lerntheorien bilden die Grundlage sowohl für das

expositorische Lehrverfahren als auch das gelenkte Entdecken.

10. Das expositorische Lehrverfahren gründet auf der Annahme, dass Wissen

im Langzeitgedächtnis hierarchisch organisiert ist.

11. Beim gelenkten Entdecken steht die Fähigkeit zum selbständigen Erwerb

von Wissen und Lösen von Problemen im Vordergrund.

12. Der Grundgedanke des Konstruktivismus besteht darin, dass Wissen stets

individuell konstruiert wird und mit der Situation verknüpft ist, in der es

erworben wurde (Situiertheit). Probleme können sich bei der Übertragung

des Wissens auf neueartige ‚Situationen ergeben (träges Wissen).

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 39

13. Aus konstruktivistischer Perspektive wird Lernen als aktiver, situativer und

sozialer Prozess gesehen, bei dem Wissen selbstgesteuert konstruiert wird.

14. Neue Bildungsmedien werden aus der Perpektive des Konstruktivismus als

kognitive Werkzeuge betrachtet, die Denken und Lernen stimulieren

sollen.

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 40

5 L I T E R A T U R U N D M A T E R I A L

5.1 LITERATUR

1. ANDERSON, J.R. (1988): Kognitive Psychologie. Eine Einführung.

Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft.

2. AUSUBEL, D.P. (1968): Educational psychology - A cognitive view. New York

(deutsch: Psychologie des Unterrichts, 2 Bde., Weinheim: Beltz, 1974).

3. BRUNER, J.S. (1970): Der Prozess der Erziehung. Düsseldorf: Schwann.

4. BRUNER, J.S. (1973): Relevanz der Erziehung. Ravensburg: Maier

5. EDELMANN, W. (1996): Lernpsychologie. 5. Aufl., Weinheim: Psychologie

Verlags Union.

6. FRIEDRICH, H.F.; EIGLER, G.; MANDL, H.; SCHNOTZ, W.; SCHOTT, F.; SEEL, N.M.

(1997): Multimediale Lernumgebungen in der betrieblichen

Weiterbildung. Gestaltung, Lernstrategien und Qualitätssicherung.

Neuwied: Luchterhand.

7. GARDNER, H. (1989): Dem Denken auf der Spur: Der Weg der

Kognitionswissenschaft. Stuttgart: Klett-Cotta.

8. GERSTENMAIER, J.; MANDL, H. (1993): Wissenserwerb unter

konstruktivistischer Perspektive. In: Zeitschrift für Pädagogik, 41, 867-888.

9. HECKHAUSEN, H. (1989): Motivation und Handeln. Berlin: Springer.

10. JONASSEN, D.H. (1992): What are cognitive tools? In: KOMMERS, P.A.M.;

JONASSEN, D.H.; MAYES, J.T. (Eds.): Cognitive tools for learning (pp. 1-6).

Berlin: Springer.

11. KOMMERS, P.A.M.; JONASSEN, D.H.; MAYES, J.T. (Eds.)(1992): Cognitive tools

for learning. Berlin: Springer.

12. MÜLLER, K. (1996): Wege konstruktivistischer Lernkultur. In: Müller, K.

(Hrsg.): Konstruktivismus. Lehren. Lernen - Ästhetische Prozesse (S. 71-

115). Neuwied: Luchterhand.

13. SCHANDA, F. (1995): Computer-Lernprogramme. Weinheim: Beltz.

5.2 WEITERFÜHRENDE LITERATUR

3. ATKINSON, R.L.; SHIFFRIN, R.M. (1968): Human Memory: A proposed system

and its control process. In: Spence, K.W.; Spence, J.T. (eds.): The

psychology of learning and motivation: Advances in research and theory

(Vol. 2). New York.

4. BODENDORF, F. (1990): Computer in der fachlichen und universitären

Ausbildung. München: Oldenburg.

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 41

5. BROWN, J.S.; COLLINS, A.; DUGUID, P. (1989): Situated cognition and the

culture of learning. Educational Researcher , 17, S. 32-41.

6. CoLLINS, A.M.; BROWN, J.S.; NEWMAN, S.E. (1989): Cognitive apprenticeship;

Teaching the crafts of reading, writing and mathematics. In RESNICK, L.B.

(Ed.): Knowing, learning and instruction (pp. 453-494). Hillsdale, NJ:

Erlbaum

7. DECI, E:L.; RYAN, R.M. (1993): Die Selbsbestimmungstheorie der

Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für

Pädagogik, 39 (2), 223-238.

8. DÖRING, K.W. (1992): Lehren in der Weiterbildung. Ein Dozentenleitfaden.

4. Auflage, Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

9. Flavell, J.H. (1979): Metacognition and cognitive monitoring. A new area

of cognitive-developmental inquiry. American Psychologies, 34, S. 906-

911.

10.

11. REINMANN-ROTHMEIER, G.; MANDL, H. (1997): Lernen mit Multimedia.

(Forschungsberichte Nr. 77). München: Ludwig-Maximilians-Universität.

12. SCHIEFELE, U.; PEKRUN, R. (1996): Psychologische Modelle des

fremdgesteuerten und selbstgesteuerten Lernens. In: Weinert F.E. (Hrsg.):

Psychologie des Lernens und der Instruktion (Enzyklopädie der

Psychologie, Themenbereich D, Serie I, Band 2). Göttingen: Hogrefe, S.

247-278.

13. SKINNER, B.F. (1938): The behavior of organisms. New York: Appleton

Century Crofts.

14. STEINER, G. (1996): Lernverhalten, Lernleistung und

Instruktionsmethoden. In: Weinert F.E. (Hrsg.): Psychologie des Lernens

und der Instruktion (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D,

Serie I, Band 2). Göttingen: Hogrefe, S. 279-317.

15. THOMAS, E.L.; ROBINSON, H.A. (1972): Improving reading in every class: A

sourcebook for teachers. Boston: Allyn &Bacon

5.3 SONSTIGE MATERIALIEN

1. WWW-Seite zum Thema programmierte Instruktion mit

Beispielprogrammen.

URL: http://www.coedu.usf.edu/cybertutorial/ [Stand 10/2001]

2. COGNITION AND TECHNOLOGY GROUP AT VANDERBILT UNIVERSITY:

The Adventures of Jasper Woodbury:

http://www.peabody.vanderbilt.edu/ctrs/ltc/Research/jasper.html [Stand

10.2001]

3. SPIRO, RAND J., PAUL J. FELTOVICH, MICHAEL J. JACOBSON AND RICHARD L.

COULSON (1991): Cognitive Flexibility, Constructivism and Hypertext:

Random Access Instruction for Advanced Knowledge Acquisition in Ill-

Structured Domains http://www.ilt.columbia.edu/ilt/papers/Spiro.html

.[Stand 10.2001]

4. Programm „Mind Man“ auf der WWW-Seite http://www.mindjet.com/

[Stand 10.2001]

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 42

5. Beispiele für Practice & Drill-Programme auf der WWW-Seite http://top-

download.de/lernsoftware.shtml [Stand 10.2001]

MD2 Lehr- Lerntheoretische Ansätze 43

6 G L O S S A R

behavioristisch, Behaviorismus Zu Beginn des 20 Jh. in den USA entstandene

Richtung der Psychologie, die ihre Theorien ausschließlich auf der Grundlage

des beobachtbaren Verhaltens entwickelt.

Forschungsparadigma Grundkonzeption für die Ermittlung und Beurteilung

wissenschaftlicher Erkenntnisse. Forschungsparadigmen lassen sich u.a. nach

dem typischen Forschungsinteresse und bevorzugten Forschungsmethoden

voneinander unterscheiden (z.B. empirisches Forschungsparadigma:

Ursache-Wirkungszusammenhänge, Experiment; geisteswissenschaftliches

Forschungsparadigma: Verstehen, Hermeneutik).

horizontaler Transfer Die Übertragung der Lernergebnisse aus der

Lernsituation in eine (z.B. berufliche) Anwendungssituation. (vgl. Studienbrief

1 „Didaktik und Medien, Grundbegriffe“)

Introspektion Selbstbeobachtung (auch interner, mentaler Vorgänge) als

Methode, um zu Erkenntnissen über Denkprozesse und menschliches

Verhalten zu gelangen.

kognitiv (lat. cognoscere erkennen, wahrnehmen) auf mentale Prozesse wie

Wahrnehmen, Denken, Speichern, Erinnern bezogen.

Lernleistung Unter einer Lernleistung versteht man ein sichtbares Verhalten,

durch das dokumentiert wird, dass ein Lernprozess erfolgreich abgeschlossen

wurde.(vgl. Studienbrief 1 „Didaktik und Medien, Grundbegriffe“)

Lückentext Übungs- oder Testaufgabe, bei der einzelne Worte in einem

Sinnzusammenhang durch Platzhalter ersetzt werden (Lücken), damit sie

durch die Lernenden ergänzt werden.

Metaanalyse Bei einer Metaanalyse werden die Ergebnisberichte vorliegender

empirischer Untersuchungen zu demselben oder einem ähnlichen

Phänomen miteinander verglichen. Auf diese Weise kann ermittelt werden,

inwieweit Untersuchungsergebnisse zu demselben bzw. abweichenden

Ergebnissen kommen.

Metakognition Wissen über das eigene Wissen und die eigenen Fähigkeiten.

(vgl. Studienbrief 1 „Didaktik und Medien, Grundbegriffe“)

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