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LEGALIZE IT Thyssenkrupp hat das erste Karbonrad mit Zulassung entwickelt. Damit kön- nen megaleichte Felgen jetzt legal auf die Straße. Zunächst für Supersportler gedacht, dürfte sich der Kohlenstoff bald unter vielen Bike-Typen drehen. Text: Uwe Seitz; Fotos: Christian Köhler SERVICE KARBONRÄDER K arbon hat den Nimbus des Exklusiven und vor allem des Stoffs für Racing schlechthin. Lange galt Karbon außerdem als nicht ganz unproblematisch in sei- nen Eigenschaften und Racing-Fans er- innern sich sicher noch, dass die ersten Karbonräder, die im MotoGP auftauch- ten, schnell brachen. Daraufhin wurden sie in der Topliga bis heute verboten. Aber das ist Kohlenstaub von ges- tern, wie wir bei unserem Besuch in Kesseldorf bei Dresden feststellen konnten. Dort hat der Karbon-Ableger des Thyssenkrupp-Konzerns buchstäb- lich das Rad neu erfunden und Felgen für die Supersportler von Aprilia und BMW bis Yamaha entwickelt, die nicht nur Performance-Vorteile für den Ein- satz auf der Rennstrecke bieten, son- dern nun auch mit Straßenzulassung 64 PS 12/2018 WWW.PS-ONLINE.DE PS 12/2018 65

Text: Uwe Seitz; Fotos: Christian Köhler · 2020. 7. 1. · BMW bis Yamaha entwickelt, die nicht nur Performance-Vorteile ... dern nun auch mit Straßenzulassung 64 PS 12/2018 PS

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Page 1: Text: Uwe Seitz; Fotos: Christian Köhler · 2020. 7. 1. · BMW bis Yamaha entwickelt, die nicht nur Performance-Vorteile ... dern nun auch mit Straßenzulassung 64 PS 12/2018 PS

LEGALIZE ITThyssenkrupp hat das erste Karbonrad mit Zulassung entwickelt. Damit kön-nen megaleichte Felgen jetzt legal auf die Straße. Zunächst für Supersportler gedacht, dürfte sich der Kohlenstoff bald unter vielen Bike-Typen drehen.Text: Uwe Seitz; Fotos: Christian Köhler

SERVICEKARBONRÄDER

Karbon hat den Nimbus des Exklusiven und vor allem des Stoffs für Racing schlechthin. Lange galt Karbon außerdem

als nicht ganz unproblematisch in sei-nen Eigenschaften und Racing-Fans er-innern sich sicher noch, dass die ersten Karbonräder, die im MotoGP auftauch-ten, schnell brachen. Daraufhin wurden sie in der Topliga bis heute verboten.

Aber das ist Kohlenstaub von ges-tern, wie wir bei unserem Besuch in Kesseldorf bei Dresden feststellen konnten. Dort hat der Karbon-Ableger des Thyssenkrupp-Konzerns buchstäb-lich das Rad neu erfunden und Felgen für die Supersportler von Aprilia und BMW bis Yamaha entwickelt, die nicht nur Performance-Vorteile für den Ein-satz auf der Rennstrecke bieten, son-dern nun auch mit Straßenzulassung

64 PS 12/2018 WWW.PS-ONLINE.DE PS 12/2018 65

Page 2: Text: Uwe Seitz; Fotos: Christian Köhler · 2020. 7. 1. · BMW bis Yamaha entwickelt, die nicht nur Performance-Vorteile ... dern nun auch mit Straßenzulassung 64 PS 12/2018 PS

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01 Mit der HP4 Race (Mitte) fing es für Thyssenkrupp an, aber jetzt gibt es die Kar-bonfelgen unter anderem auch für die BMW S 1000 RR und die Aprilia RSV4 – mit Straßenzulassung02 Die Karbonfasern auf den unzähligen Spulen der Flechtmaschine kosten zirka 20 Euro pro Spule. In naher Zukunft könnten die Preise jedoch purzeln03 Ein immer gleiches, hochfestes Gewebe entsteht während des patentierten Flechtprozesses und garan-tiert die hohe Qualität – Vor-aussetzung für die Zulas-sung durch das Kraftfahrt-bundesamt (KBA)04 Zwei „Stylings“ hat Thys-senkrupp im Online-Angebot (www.thyssenkrupp-carbon-components.com). Die etwas verspieltere Version sehen wir bei diesem Satz, der je nach Motorrad bei rund 4000 Euro liegt

17-Zoll-Superbike-Felge flechten – voll-kommen automatisiert.

Maximale Sicherheit ist die oberste Prämisse

Und schließlich müssen die noch wei-chen Fasern dann in Kombination mit speziellen Kunststoffen ausgehärtet werden, was in speziellen Backöfen ebenfalls erstaunlich schnell geht.

„Handarbeit“, so Dr. Werner weiter, „ist dennoch nötig, auch wenn wir die im direkten Fertigungsprozess aus Qua-litätsgründen so gering wie möglich halten.“ Der Zusammenbau von Felgen-band, Speichen und Nabe mit den Alu-Aufnahmen für die einzelnen Motorrä-der erfordert aber Menschenhand und damit größte Disziplin, denn jeder di-rekte Kontakt mit menschlicher Haut, Cremes, Seifen oder anderen Fremd-stoffen während der Fertigung, sabo-tiert die hohe Festigkeit von Karbon.

Dass das ausgelieferte Produkt trotzdem maximal sicher ist, garantiert die komplexe Endkontrolle, bei der die Felge nicht nur komplett computerge-steuert auf Toleranzen im Zehntelmilli-meter-Bereich vermessen, sondern je-des Rad per Röntgengerät auf noch so

feine Risse durchleuchtet wird. Wäh-rend des ganzen Herstellungsprozesses speichert ein Chip in jedem Rad alle Daten. Thyssenkrupp archiviert diese Infos, wodurch später exakt nachgewie-sen werden kann – etwa nach einem Unfall –, dass die Felge in einwandfrei-em Zustand ausgeliefert wurde.

Zwei Modelle bietet Thyssenkrupp mittlerweile an. Ein an der Nabe etwas gedrehteres Design und einen etwas „muskulöseren“ Style, der dazu etwas günstiger ist. Knapp 4000 Euro kostet ein Satz mit Straßenzulassung aktuell. „Wir verwenden nur Luft- und Raum-fahrt-zertifizierte Karbonfasern“, so Jens Werner. „Die kommen aus Japan und Deutschland und sind entspre-chend teuer.“ Aber der promovierte Maschinenbauer ist sich sicher, dass schon in absehbarer Zeit die Preise fal-len werden, was auch die Karbonfelgen entsprechend günstiger macht. „Die Chinesen erreichen schon sehr hohe Qualitäten, und wenn sie mit ihrer Mas-senproduktion erst mal die Zertifizie-rung schaffen, werden die Fasern wesentlich preiswerter.“ Jens Werner prognostiziert, dass bis in zehn Jahren Karbonfelgen die Alu-Schmiedefelgen

komplett ablösen werden und sich preislich auf deren aktuellem Niveau (ca. 2500 bis 3000 Euro) oder gar leicht darunter bewegen dürften.

Die Argumente für das Karbonrad liegen auf der Hand: Karbon ist deut-lich stabiler als Aluminium. Außerdem ist die Felge aus Kesseldorf erstaunlich flexibel gerade im Vergleich zu Alu. Ein simulierter Aufschlag auf einen Rand-stein belegt, dass sie das deutlich bes-ser wegsteckt als eine Schmiedefelge.

Der größte Vorteil einer Karbonfel-ge liegt freilich im Gewicht. Während ein Satz aus Alu bei knapp sieben Kilo-gramm liegt, wiegt der Satz von Thys-senkrupp knapp unter fünf Kilo.

Der gewaltige Gewichtsvorteil rührt bei einem komplexen Bauteil wie einer Motorradfelge nicht allein von der Kar-bonfaser her. Bei den Speichen kommt beispielsweise ein spezieller, hochstei-fer Schaum im Innern zum Einsatz, der dem Rad die nötige Stabilität verleiht, gleichzeitig aber selbst extrem leicht ist und daher dünne Wandstärken des Karbons erlaubt. Außerdem reduziert er Eigenschwingungen im Rad.

Und an rotierenden Massen bedeu-tet jedes eingesparte Gramm bereits

massive Vorteile beim Handling. Darauf werden wir in einer der nächsten Aus-gaben dann im Detail eingehen können, wenn wir einen Satz Testfelgen gegen die originalen Felgen eines Serien-Su-perbikes testen werden. Die Vorteile betreffen neben dem Kurveneingang etwa auch die Bremsstabilität und an-dere Punkte. Aber gerade beim Einlen-ken ist der Unterschied verblüffend. Und dank der Entwicklung in Kessel-

dorf können das nun auch Straßenfe-ger ganz legal auf der Landstraße ge-nießen. „Als nächsten Schritt werden wir das Angebot nach und nach auf weitere Modelle ausweiten“, erklärt Marketing-Chef Oliver Böhme, während wir dem Mann vom TÜV bei den letzten Freigabe-Testfahrten für die ZX-10R am Lausitzring zuschauen. Dann werden die Karbonspulen in Kesseldorf noch gewaltig mehr tanzen dürfen.

ohne „Eintragungs-Marathon“ beim TÜV einfach auf Bikes wie RSV4, S 1000 RR, ZX-10R oder R1, aber auch schon die Aprilia Tuono oder die nack-te S 1000 R montiert werden können.

„Voraussetzung dafür ist ein hoher Fertigungsstandard, der minimalste To-leranzen garantiert und so alle Werte der langen Tests für die Freigabe durch das Kraftfahrtbundesamt für jedes ein-zelne Rad erreicht“, erläutert Geschäfts-führer Dr. Jens Werner. Der Experte für Verbundtechnik hat mit seinen Mitar-beitern dieses Verfahren entwickelt. Pa-te stand dabei die Textilindustrie, denn wie bei Kleiderstoffen können die Koh-lefasern so präzise und reißfest verwo-ben werden, dass die so entstandenen Produkte nicht wie früher häufig bei Karbon-Bauteilen brechen oder zu gro-ße Toleranzen aufweisen.

Eine gigantische Webmaschine steht deshalb in Kesseldorf, es ist die größte Radialflechtanlage der Welt. Fast zehn Meter Durchmesser misst der Kranz, auf dem 300 Spulen mit den Karbonfasern sitzen, die in einem weni-ger als 15-minütigen Tänzchen um den Radius dann ein feingewobenes, noch aber weiches Felgenbett für eine

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