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Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

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Page 1: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser
Page 2: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

1. DAS WICHTIGSTE AUF EINEN BLICK – 6

SCHNELLÜBERSICHT

2. BERNHARD SCHLINK: LEBEN UND WERK 10

2.1 Biografi e 10

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund 13

Der Vorleser als literarische Verarbeitung

des Holocaust 13

Weitere literarische Verarbeitungen des Themas und

Einordnung des Romans 19

2.3 Angaben und Erläuterungen

zu wesentlichen Werken 25

Wesentliche Werke 25

Lebens- und schaffensprägende Einfl üsse 29

3. TEXTANALYSE UND -INTERPRETATION 32

3.1 Entstehung und Quellen 32

3.2 Inhaltsangabe 33

I. Teil 34

II. Teil 38

III. Teil 42

Chronologie der Ereignisse 45

3.3 Aufbau 48

INHALT

Page 3: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken 52

Michael 52

Hanna 57

Das Verhältnis zwischen Michael und Hanna 60

3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen 63

3.6 Stil und Sprache 66

Erzählweise 67

Teil I 67

Teil II 69

Teil III 71

Das Leitmotivgefl echt 72

1. Die Odyssee 72

2. Orte und Räume 78

3. Körper, Sexualität und Zuhause-Sein 80

4. Weitere Leitmotive 83

3.7 Interpretationsansätze 84

Bedingungen der Kommunikation 86

Das Problem des Analphabetismus 92

Lesen, Vorlesen und Schreiben 95

Liste der im Roman auftauchenden

Texte und Autoren 101

Zur Frage der Schuld 102

INHALT

Page 4: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

4. REZEPTIONSGESCHICHTE 106

5. MATERIALEN 112

Ausschnitt aus Peter Weiss: Die Ermittlung 112

Aussage einer Zeugin im Prozess gegen

Hermine Braunsteiner 113

Defi nition von Schuld 114

6. PRÜFUNGSAUFGABEN 115

MIT MUSTERLÖSUNGEN

LITERATUR 127

STICHWORTVERZEICHNIS 131

Page 5: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Zeitliche Einordnung, Personen und Thema in Schlinks Der Vorleser

3. Phase der literarischen Verarbeitung des Holocaust alle drei Generationen, die direkt oder indirekt von der

NS-Zeit betroffen sind, sind im Roman vertreten; unter-schiedlicher Umgang der Menschen mit dem Holocaust

zeitliche Distanz zum Holocaust wirkt sich auf Stil und Darstellung aus: Leichtigkeit des Tons, Erzeugung von Betroffenheit auf allgemeinerer Ebene, Einbeziehen von Vorkenntnissen und dem Leser vertrauten Bildern sowie Dokumenten aus der NS-Zeit

Verzicht auf eindeutige Verurteilungen und Urteile, statt-dessen Aufzeigen von Umständen der Verstrickung in Schuld

Weitere literarische und filmische Verarbeitungen des Themas, literaturgeschichtliche Einordnung des Romans (nach 1945, 60er Jahre, 90er Jahre)

Der Vorleser als literarische Verarbeitung des Holocaust

Die Entstehung von Der Vorleser fällt in eine dritte Phase der Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Thema Holocaust auf verschiedenen Ebenen. Das als bahnbrechend be-zeichnete Schuldbekenntnis der katholischen Kirche in Hinblick auf Verfehlungen im vergangenen Jahrtausend bezog auch Ver-säumnisse gegenüber den Juden ein. Entscheidungen hinsichtlich der Entschädigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich mussten gefällt werden. Im Fernsehen, in Ausstellungen, in Filmen, in an-

ZUSAMMEN-

FASSUNG

Weltweites

Interesse am

Zweiten Welt-

krieg und an den

Geschehnissen

des Holocaust

4 REZEPTIONS-

GESCHICHTE

5 MATERIALIEN 6 PRÜFUNGS-

AUFGABEN

DER VORLESER 13

Page 6: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

deren Medien, auch in der Literatur wurde und wird dieses The-ma behandelt. Dieses weltweite Interesse hing unter anderem mit dem hohen Alter der letzten Zeitzeugen und Opfer zusammen. Authentische Berichte, Befragungen von Betroffenen, Schuldbe-kenntnisse und vor allem Entschädigungen von Opfern waren nur noch begrenzt möglich. Gleichzeitig ist feststellbar, dass durch die gewachsene zeitliche Distanz zu den Geschehnissen sich auch der Umgang damit änderte. Auch in der Literatur ist erkennbar, dass sich diese Generation der „Nachgeborenen“ in einer anderen Weise als bisher dem Stoff nähert. Es sind nicht mehr der Massen-mord und die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges selbst, um die es unmittelbar geht, vielmehr wird die Verarbeitung dieser Ge-schehnisse von Seiten der Täter- und Opferkinder bzw. der Enkel beschrieben.

Schlink selbst weist darauf hin, dass schon drei Generationen mit der Schuld des Dritten Reiches und des Holocaust umgehen müssen. Alle drei Generationen tauchen in seinem Roman auf:

Unterschiedliche

Formen der Aus-

einandersetzung

mit dem

Holocaust in den

drei Generationen

Vertreter der ersten Generation (unmittelbar in die Ereignisse verstrickt):

Hanna Täter

die Eltern und unmittelbaren Verwandten von Michael Widerstand Leistende

passiv Duldende

die überlebende Mutter mit ihrer Tochter Opfer

Vertreter der zweiten Generation (Kinder, haben Holocaust selbst nicht erlebt):

Michael und seine Mitschüler, Kommilitonen kritisch Fragende

Anklagende

in Generationskonfl ikt Verstrickte

2 BERNHARD SCHLINK:

LEBEN UND WERK

3 TEXTANALYSE UND

-INTERPRETATION

1 SCHNELLÜBERSICHT

BERNHARD SCHLINK14

Page 7: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Die dieser dritten Generation angehörenden oder zumindest in ihrer Zeit schreibenden Schriftsteller gehen schwerpunktmäßig anders als die vorangegangenen mit den schrecklichen Ereignis-sen um.

Schlink beschreibt in seiner Rede zur Verleihung des Falla-da-Preises die Auseinandersetzung der 1. Generation mit der Vergangenheit als durch einerseits Verdrängung, andererseits Offenlegung geprägt. Sie ist seiner Ansicht nach weitgehend dokumentarischer Art. Diese Form der Bewältigung bezieht er in seinen Roman ein, wenn er von dem Buch der überlebenden Tochter spricht. Auch die 2. Generation, die der Söhne und Töch-ter, kommt in seinem Roman zu Wort. Es ist die Generation der-jenigen, die sich als „Avantgarde der Aufarbeitung“ (S. 87) sehen. Zu ihr gehört Michael. Selbstkritisch erinnert dieser sich später an den fast fanatischen Eifer und die festen Vorstellungen von Schuld und Sühne, die ihre Haltung prägte. Hier deckt sich die Einstellung des Protagonisten und Erzählers mit der des Autors. Schlink sieht in dem moralischen „Anklagen, Verurteilen und Ausstoßen der Täter, Mittäter und Zuschauer der ersten Generation“ 1 den Ver-such der 68er-Generation, sich aus der eigenen individuellen und kollektiven Verstrickung zu befreien. Michael ist vor allem

1 In Bernhard Schlinks Rede zur Verleihung des Fallada-Preises der Stadt Neumünster 1997, S. 44

1. Generation

2. Generation

Vertreter der dritten Generation

(Enkel, kennen Holocaust nur aus Filmen, Dokumentationen, Berichten):

Leser des Romans aufgeklärte Zeitgenossen

aufgeklärte Zeitgenossen Bewohner des neuen, erst in den siebziger oder

achtziger Jahren gebauten Hauses in der Bahnhofstraße

(vgl. Der Vorleser, S. 142)

4 REZEPTIONS-

GESCHICHTE

5 MATERIALIEN 6 PRÜFUNGS-

AUFGABEN

DER VORLESER 15

Page 8: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

durch seine Beziehung zu Hanna persönlich mit der ersten Gene-ration verstrickt. Seine Form der Auseinandersetzung ist die der rückblickend kritischen Aufarbeitung in Form eines Buches. Für die 3. Generation konstatiert Schlink das Ende eines Schuldzu-sammenhanges auf einer solchen persönlichen Ebene. Gleich-wohl „gibt es ein Vermächtnis der Furchtbarkeiten des Dritten Reiches auch für die dritte und die folgenden Generationen“ 2 und gleichermaßen drängende Fragen.

Literatur muss Schlinks Meinung zufolge den individuellen Zugang dazu immer wieder neu herstellen und dabei zugleich universeller sein. Mit seinem Roman gelingt ihm offenbar genau dies. In seiner „Liebesgeschichte“ mit der jähen Wende entsteht ein verblüffender und überraschender Bezug zum Holocaust, dem sich kaum ein Leser, gleich welcher Generation, entziehen kann. Die Betroffenheit der Leser drückt sich nicht nur in den Zahlen der weltweit verkauften Exemplare seines Romans und in der Fülle von Kommentaren und anderen Dokumenten der Beschäftigung damit aus. Schlink vermeidet eindeutige Festschreibungen von Schuld und Unschuld , Täter und Opfer, Böse und Gut. Eindeutige Wert-urteile und Verurteilungen lassen sich nicht vornehmen. So ist beispielsweise Hanna einerseits brutal und herrisch, sie kann an-dererseits aber auch zart und einfühlsam, empfi ndlich sein. Ihre Schwäche, ihr Analphabetismus , liefert die Erklärungsmöglichkeit für eine Vielzahl von Entscheidungen und Verhaltensweisen. So vollzieht der Leser nach, wie durch überraschende Erkenntnisse und Zusatzinformationen das Bild von einem Menschen ständig neu überdacht und revidiert werden muss. Er wird genötigt, sich über die Verbrechen und das eigene Verhältnis dazu Gedan-ken zu machen. Und er lernt, dass sowohl individuelle Geschichte

2 Ebd.

3. Generation

Aufgabe der

Literatur:

Herstellung eines

individuellen

Zugangs zu den

Geschehnissen,

persönliche Aus-

einandersetzung

des Lesers damit

2 BERNHARD SCHLINK:

LEBEN UND WERK

3 TEXTANALYSE UND

-INTERPRETATION

1 SCHNELLÜBERSICHT

BERNHARD SCHLINK16

Page 9: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

als auch historische Vergangenheit, in die er durch Gruppenzu-gehörigkeit verwickelt ist, Teile seines Lebens sind. Sie lassen sich nicht abschütteln, verdrängen oder ignorieren.

Im Vorleser handeln die Menschen auf verschiedene Weise. Da ist die Tätergeneration, deren Motive für ihr Handeln im Verber-gen von Defi ziten (Hanna), in der Ausführung von Befehlen und Erledigen von Alltagsaufgaben (Autofahrer auf dem Weg ins Kon-zentrationslager) und in gedankenlosem Mitläufertum begründet sind. Es sind im weitesten Sinne der Egoismus und die fehlende Bereitschaft zur bewussten aktiven Auseinandersetzung oder zum Widerstand, die dem Tun zu Grunde liegen. Eine weitere, für Betroffene und Beobachter übereinstimmende Haltung ist die der Betäubung . Fühllosigkeit, innerliches Unbeteiligtsein, Erstarrtheit in einem Zustand der Betäubung angesichts der ertragenen oder geschilderten Gräueltaten lähmt alle. Diese Haltung wird einerseits als notwendiger Mechanismus zum Überleben des Schreckens dargestellt, gleichzeitig wird aber am Beispiel Michaels und der Tochter verdeutlicht, wie wichtig es ist, nicht in dieser Betäubung zu verharren, sondern zu registrieren, zu analysieren, literarisch zu gestalten und damit persönliche Betroffenheit zu erreichen und eine selbstkritische Einstellung zu ermöglichen. Am Beispiel Hannas, die erst mit der Überwindung ihres Analphabetismus in die Phase der Aufarbeitung gehen kann, wird die wichtige Funk-tion der Literatur noch einmal herausgestrichen.

Alle Menschen, gleich welcher Generation sie angehören, sind in eine individuelle Lebenssituation eingebunden, die ihre indivi-duellen Wünsche und Ziele bestimmt. Alle gehören in einen zu bewältigenden Alltag. Innerhalb dieses „Alltags“ werden einige Menschen zu Mördern, andere sind Richter oder Aufklärer. Es scheint eine Frage des Zufalls, des Glückes der späten Geburt, von einer Vielzahl von Konstellationen abhängig, ob ein Mensch

Unterschiedlicher

Umgang der

Menschen mit

dem Holocaust

im Roman

Gründe für

schuldhafte

Verstrickung

4 REZEPTIONS-

GESCHICHTE

5 MATERIALIEN 6 PRÜFUNGS-

AUFGABEN

DER VORLESER 17

Page 10: Textanalyse und Interpretation zu Bernhard Schlink, Der Vorleser

STICHWORTVERZEICHNIS

STICHWORTVERZEICHNIS

Ambivalenz 54, 57, 124

Analphabetismus 16, 41, 58 f.,

79, 84, 87, 92 ff., 101, 124

Betäubung 17, 39, 75, 83,

99 f., 105

Bindungs-, Beziehungs-

unfähigkeit 8, 54, 59, 125

Dokumentartheater 20 f., 112

Heimkehrmotiv 6, 28, 72 f.,

78, 117

Hypotaxe 66, 71

Ich-Botschaft 91

Ich-Erzähler 8, 34, 44

Initiation 66, 123

Leitmotiv(gefl echt) 9, 29, 49,

66, 68, 72, 74, 77, 83

Lektürekanon 98

Machtkampf 123

Machtspiel 36, 53, 57, 59

NS-Vergangenheit 25 f., 42,

60, 71

NS-Zeit 6, 9, 13, 29, 32, 104,

107, 110

Odyssee 28 f., 63, 66, 72 ff.,

77, 101

Parataxe 66, 71

Pferd 37, 83

Politisierung der Literatur 20

Rituale 28 f., 33, 35, 60, 84,

90, 126

Scham 18, 34, 43, 54, 82,

104, 108, 124

Schuld und Unschuld 6, 9,

13 f., 16, 18, 23, 26, 30,

43 f., 52, 58, 61, 82, 85,

102–105, 110, 114, 124

Trümmerliteratur 19

Vorlesen 33, 41, 60, 84, 90,

95 f., 116

Weltvergessenheit 34, 81 f.,

123

Zeitdeckendes Erzählen 67,

69, 71

131