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Skript zur Vorlesung Theoretische Physik III (Quantenmechanik) von Volker Meden Sommersemester 2016 RWTH Aachen 11. Februar 2016

Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

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Page 1: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Skript zur Vorlesung

Theoretische Physik III(Quantenmechanik)

von Volker MedenSommersemester 2016

RWTH Aachen

11. Februar 2016

Page 2: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

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Page 3: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Inhaltsverzeichnis

1 Zwei (Gedanken-) Experimente 51.1 Doppelspaltexperimente mit Licht und Elektronen . . . . . . . . . 61.2 Der Stern-Gerlach Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2 Der N-dimensionale unitare Raum 192.1 Grundlagen und die Dirac-Notation . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.2 Fortgeschrittene Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3 Nochmal die (Gedanken-)Experimente 333.1 Wahrscheinlichkeiten, Messwerte und Operatoren . . . . . . . . . 333.2 Weitere Konzepte der Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

4 Wellenpakete und Schrodingergleichung 474.1 Wellenpakete in der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . 494.2 Wellenpakete in der Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . 52

5 Der Hilbertraum 61

6 Die Postulate der Quantenmechanik 73

7 Schrodingergleichung in einer Dimension 777.1 Allgemeine Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797.2 Stationare Schrodingergleichung mit Potenzial . . . . . . . . . . . 85

8 Der harmonische Oszillator 101

9 Die Dynamik von Quantensystemen 1099.1 Das Schrodingerbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1099.2 Das Heisenbergbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

10 Elektromagnetische Felder 11710.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11710.2 Der Aharonov-Bohm-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12210.3 Weiteres Postulat: Komposition von Quantensystemen . . . . . . 128

3

Page 4: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

4 INHALTSVERZEICHNIS

10.4 Die Pauligleichung: Spin- und Bahnfreiheitsgrade . . . . . . . . . 129

11 Der Drehimpuls in der Quantenmechanik 13311.1 Drehimpulsoperatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13311.2 Rotationen und Translationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14411.3 Die Addition von Drehimpulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

12 Ein Teilchen im Zentralpotenzial 155

13 Das Wasserstoffatom 165

14 Naherungsmethoden 16714.1 Das Variationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16714.2 Zeitunabhangige Storungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17014.3 Zeitabhangige Storungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

15 Ununterscheidbare Teilchen 18715.1 Allgemeine Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18715.2 Zwei Elektronen im außeren Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . 19115.3 Das Periodensystem der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

16 Verschrankung und lokaler Realismus 19716.1 Zwei-Photonen-Zustande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19716.2 Verschrankte-Zustande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19916.3 Ein Test fur den lokalen Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

Page 5: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 1

Zwei (Gedanken-) Experimente

Als Einstieg in die QM Vorlesung, deren Gegenstand die Theorie der Bewegungs-gesetze nichtrelativistischer Mikroobjekte (m 6= 0, v � c) ist, werden wir zwei(Gedanken-) Experimente diskutieren, deren jeweiliger Ausgang sich nicht mitHilfe der Methoden der klassischen Mechanik erklaren lasst. Allgemeiner gilt,dass sich viele Experimente in der “Mikrowelt” nicht mit Hilfe der an Handunserer alltaglichen Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse verstehen lassen. Wirwerden auch einige Betrachtungen zu Photonen (mit Ruhemasse m = 0) anstel-len, soweit sich ihr Verhalten ahnlich behandeln lasst, wie das von Mikroteilchenmit endlicher Ruhemasse. Die beiden hier vorgestellten (Gedanken-) Experimen-te fuhren uns bereits darauf, dass in der “Mikrowelt” nur statistische Aussagenuber physikalische Messgroßen (Ort, Impuls,. . . eines Teilchens) moglich sind. ImGegensatz zur klassischen Mechanik, in der die Bewegung eines makroskopischenTeilchens durch die Bahnkurve gegeben ist, und damit der Ort zu einer gegebenZeit eindeutig festliegt, ist der Ort eines sich bewegenden Elektrons zu einer Zeitt “nur” durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt. Letztere kann abereindeutig festgelegt werden. Um uns nicht gleich am Anfang der Vorlesung inphilosophischen Exkursen zu verlieren, werden wir diese Ihnen sicherlich eigen-artig erscheinende allgemeine Diskussion zunachst abbrechen und zu gegebenerZeit fortsetzen.

Ahnlich zur klassischen Mechanik, die sich mit der Bewegung makroskopischerKorper beschaftigt, ohne sich um ihre innere Struktur zu kummern, wird auch inder Quantenmechanik nicht die Frage untersucht, was ein Elektron oder Proton“ist” und aus welchen Konstituenten diese Teilchen womoglich aufgebaut sind.

Die Diskussion der beiden (Gedanken-) Experimente soll zusatzlich den erstenmathematischen Einschub Kapitel 2 motivieren. Um die Quantenmechanik “zuverstehen” benotigt man Konzepte, die Ihnen zum Teil aus den Mathematikvor-lesungen bekannt sein sollten, die aber zum Teil uber die Standardvorlesungenhinaus gehen und daher im Rahmen der QMI eingefuhrt werden mussen.

Wir bezeichnen die Experimente als “(Gedanken-) Experimente” da sie zwareinerseits tatsachlich ausgefuhrt worden sind (und noch ausgefuhrt werden), wir

5

Page 6: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

6 KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE

aber andererseits idealisierte, zum Teil auf dem Computer ausgefuhrte Experi-mente beschreiben und dabei auch uber die experimentellen Grenzen hinausgehenwerden. Wir werden aber auch “reale” Messergebnisse betrachten.

Unser Einstieg in die Quantenmechanik folgt nicht der historischen Abfolge,die zu ihrer Entwicklung gefuhrt hat.

1.1 Doppelspaltexperimente mit Licht und Elek-

tronen

Das man Licht als elektromagnetische Welle beschreiben kann, wissen Sie bereitsaus der Schule. Andererseits haben Sie sicherlich schon vom Photoeffekt gehort,den Einstein 1905 durch seine “Lichtquantenhypothese” erklaren konnte. Im Ge-gensatz zu Beugungsexperimenten (z.B. Beugung am Doppelspalt oder Gitter),die den Wellencharakter von Licht zeigen, ist es zum Verstandnis des Photoeffektswichtig, dass die Energie in diskreten Einheiten (Quanten) eintrifft. Die sich mitder Lichtgeschwindigkeit c bewegenden Quanten nennt man Photonen. Sie solltensich daruber wundern, dass man zum Verstandnis von Experimenten mit Lichtmal das Wellen- und mal das Teilchenbild heranziehen muss. Am Ende dieserVorlesung werden Sie jedoch einen Formalismus gelernt haben, der eine gewisse“Vereinheitlichung” beider Bilder mit sich bringt. Dabei mochte ich nicht behaup-ten, dass man den Welle-Teilchen-Dualismus im Sinne unserer Alltagserfahrung“verstehen” kann - was eine Aussage darstellt, die bereits wieder eher philoso-phischer Natur ist. Einen Erklarungsansatz fur unser “nicht-Verstehen” liefertdie evolutionare Erkenntnistheorie, nach der der Intellekt an unserer Alltagsweltselektiert wurde, die keine offensichtlichen “statistischen” Quanteneffekte bein-haltet.

Wir wollen jetzt demonstrieren, dass sich im Doppelspaltexperiment mit Licht,welches Sie auch aus dem Praktikum kennen, sowohl der Wellen- als auch derTeilchencharakter von Licht untersuchen lasst. Wie in der Abbildung 1.1 darge-stellt soll das Licht der Wellenlange λ aus einem Laser auf einen Doppelspalt(technische Details wie Blenden usw. interessieren uns hier nicht) mit Spaltab-stand d und Spaltweite s fallen. Wir “beobachten” das sich ergebende “Bild”der Spalte in einem Abstand L � d hinter dem Doppelspalt. Nach einer zeitli-chen Mittelung uber eine Periode und fur1 λ � d2/L ergibt sich als Funktiondes Beugungswinkels θ gemaß dem Wellenbild die in Abbildung 1.2 dargestellteIntensitatsverteilung (bis auf einen hier unwichtigen Vorfaktor)

I(θ) ∼ [cos(θ)]2 {cos [kd sin(θ)/2]}2

{sin [ks sin(θ)/2]

ks sin(θ)/2

}2

(1.1)

1Unter den Annahmen L � d und λ � d2/L lasst sich die zeitlich gemittelte Intensitats-verteilung recht einfach herleiten; siehe Ubungen.

Page 7: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

1.1. DOPPELSPALTEXPERIMENTE MIT LICHT UND ELEKTRONEN 7

Abbildung 1.1: Skizze des Doppelspaltversuchs.

mit den bekannten Intensitatsminima und -maxima. Dabei bezeichnet k = 2π/λdie Komponente des Wellenvektors, die senkrecht zur Doppelspaltebene steht. Siewird auch als Wellenzahl bezeichnet. Das Interferenzbild lasst sich mit Hilfe desHuygensschen Prinzips verstehen, nach dem von jedem Punkt in den Offnungeneine “Elementarwelle” auslauft. Die Interferenz dieser Wellen fuhrt dann zu demBeugungsmuster. In der Ubung werden Sie die Intensitatsverteilung I(θ) “zurErinnerung” nocheinmal herleiten. Ist nur einer der beiden Spalte geoffnet, soergibt sich eine Intensitatsverteilung die aus Gl. (1.1) durch weglassen des zweitenFaktors folgt und in Abbildung 1.3 dargestellt ist.

Reduzieren wir jetzt die Intensitat der Lasers bei nur einem geoffneten Spalt,so wird das Bild Abbildung 1.3 auf dem Detektorschirm immer blasser. Um esweiterhin beobachten zu konnen, verwenden wir als Detektorflache eine Matrixvon einzelnen Detektoren, die in der Lage sind die pro Zeiteinheit eingetroffeneEnergie zu messen. Ist die Intensitat nun hinreichend gering, so zeigen fur ein kur-zes Zeitintervall nach Anschalten des Lasers nur einige wenige, scheinbar zufalligin der Matrix verteilte Detektoren, an, dass ein bei allen anzeigenden Detektorengleicher Energiebetrag eingetroffen ist. Diese Beobachtung lasst sich nur mit Hil-fe der “Lichtquantenhypothese” erklaren. Jedes einzelne Signal entspricht dem

Page 8: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

8 KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE

-0.06 -0.04 -0.02 0 0.02 0.04 0.06θ

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

I/I m

ax

Abbildung 1.2: Beugungsbild im Doppelspaltversuch mit ks = 100 und kd =1000.

-0.06 -0.04 -0.02 0 0.02 0.04 0.06θ

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

I/I m

ax

Abbildung 1.3: Beugungsbild wenn nur einer der Spalten geoffnet ist (ks = 100).

Eintreffen eines Lichtquantums, d.h. eines Photons. Licht hat damit (auch) Teil-cheneigenschaften. Variiert man die Frequenz ν des Lasers, so stellt man fest, dassdie Photonen eine Energie E = hν = ~ω, mit der Kreisfrequenz ω = 2πν haben.Dabei bezeichnet h = 6.6262 · 10−34Js das Plancksche Wirkungsquantum und ~die in der Quantenmechanik haufig auftretende Große ~ = h/(2π). Der Impulsder Photonen betragt p = ~k = h/λ. Warten wir nun eine langere Zeit und mes-sen kumulativ die an den Detektoren eintreffende Energie, so ergibt sich aus demzunachst zufallig erscheinenden Muster, langsam wieder die IntensitatsverteilungAbbildung 1.3. Diese konnte man dann im Rahmen der klassischen Mechanikals Ergebnis der Streuung von Teilchen mit unterschiedlichem Anfangsort undeventuell leicht variierendem Anfangsimpuls am Rand des Spalts zu erklaren ver-suchen. In einem nachsten Schritt offnen wir wieder beiden Spalte und reduzieren

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1.1. DOPPELSPALTEXPERIMENTE MIT LICHT UND ELEKTRONEN 9

die Intensitat des Lasers soweit, dass sich immer nur ein Photon in der Apparaturbefindet. Klassisch kann jedes Photon nur eine Trajektorie besitzen, die entwederdurch den einen oder den anderen Spalt fuhrt. Da sich immer nur ein Photonin der Apparatur befindet, kann es zu keinen Photon-Photon Stoßen kommen.Damit erwarten wir im Teilchenbild, dass sich nach langer Zeit ein Intensitats-muster ergibt, welches durch I1 +I2 gegeben ist, wobei Ij das Muster ist, was sichergibt, wenn nur der Spalt j geoffnet ist. Auf der Detektormatrix beobachten wirzunachst wieder ein raumlich scheinbar zufalliges Eintreffen einzelner Photonen.Warten wir aber lange genug und messen die Energie kumulativ, so ergibt sich im-mer scharfer, dass Interferenzmuster Abbildung 1.2. Das zeigt deutlich, dass dasBeugungsbild nicht als Ergebnis von klassischen Mehr-Photonen-Streuprozessenerklart werden kann - was bei hoher Laserintensitat eine mogliche alternativeErklarung (neben der obigen auf der Welleneigenschaft des Lichts beruhendenErklarung) fur das Auftreten des Interferenzbildes darstellen konnte. Die Beob-achtung des “Wellen-Interferenzbildes” Abbildung 1.2 ist unvereinbar damit, dassdie Photonen wohldefinierten klassischen Trajektorien folgen.

Das oben beschriebene sich langsame Aufbauen des Beugungsbildes ist in derersten in der Vorlesung gezeigten Computersimulation verdeutlicht.

Abbildung 1.4: Elektronenbeugungsbild bei der Beugung an einem und zwei Spal-ten (aus C. Jonsson, Zeitschrift fur Physik 161, 454 (1961)).

Wenn nun Licht sowohl Teilchen- als auch Wellencharakter besitzt, zeigendann Elektronen, Protonen, Atome und Molekule, also Objekte die man allge-meinhin als Teilchen bezeichnen wurde2 auch Welleneigenschaften? L. de Broglie(Nature 112, 540 (1923)) schlug 1923 vor, einem Teilchen mit Impuls p = |~p|eine Wellenzahl k = p/~ und damit eine Wellenlange λ = 2π/k (de Brogli-Wellenlange) zu zuordnen. Entsprechend sollte sich in einem Doppelspaltexperi-ment ein Interferenzbild wie fur Licht ergeben. Ersetzen wir in dem obigen Ex-periment den Laser durch eine Elektronenkanone, den Doppelspaltschirm durch

2Das Elektronen Teilcheneigenschaften haben, sieht man z.B. in der Ihnen bekannten Braun-schen Rohre oder dem oft schon in der Schule ausgefuhrten Millikanschen Oltropfchenversuch.

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10 KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE

einen elektronenundurchlassigen Schirm und die Detektoren durch solche, die inder Lage sind Elektronen nachzuweisen, so ergeben sich exakt die gleichen Be-obachtungen wie fur Licht.3 Erneut benotigen wir zur Beschreibung der einzelneintreffenden Elektronen das Teilchenbild, zum Verstandnis des nach langeremWarten sich ergebenden Beugungsbildes jedoch das Wellenbild. Auch konnen wirdas gezeigte Computerexperiment als eines fur Elektronen auffassen. Die zwei-te Simulation zeigt den dynamischen Vorgang des Durchtreten eines durch einWellenpaket beschriebenen Elektrons4 durch einen Doppelspalt. Das Interferenz-muster ist dabei hinter dem Doppelspalt deutlich erkennbar.5

Abbildung 1.5: Zeitliche Abfolge von Intensitatsbildern beim Doppelspaltexperi-ment mit einem verdunnten Heliumstrahl (λ = (4.6± 0.5) · 10−11m).

Abbildung 1.4 zeigt das Doppelspaltbeugungsbild eines Elektronenstrahls vonC. Jonsson (Zeitschrift fur Physik 161, 454 (1961)). Interferenzexperimente wur-den inzwischen auch mit Neutronen und kleinen Atomen wie z.B. Helium aus-gefuhrt. Die Abbildung 1.5 zeigt eine zeitliche Abfolge von Intensitatsbilderndie bei der Beugung eines sehr dunnen Heliumstrahls in der Gruppe von Mlynek

3Experimentell wurde der Wellencharakter von “Teilchen” erstmals in einem Beugungsex-periment mit Elektronen an einem Kristallgitter von Davisson und Germer gefunden.

4Sollten Ihnen nicht klar sein, was ein Wellenpaket ist, so mussen Sie nur noch einige Vor-lesungsstunden abwarten, bis der Begriff in dieser Vorlesung genau besprochen wird.

5Bis auf das erkennbare Auseinanderlaufen des Wellenpaketes, wurde die Beugung fur einLichtwellenpaket analog ablaufen.

Page 11: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

1.1. DOPPELSPALTEXPERIMENTE MIT LICHT UND ELEKTRONEN 11

gemessen worden sind. Die Neutronenbeugung dient heute als ein nicht mehr weg-zudenkendes Werkzeug zur Untersuchung der Struktur von Festkorpern, Flussig-keiten und (biologischen) Makromolekulen. Die schwersten Teilchen fur die Wel-leneigenschaften in einem Experiment mit vielen Spalten (Gitter) nachgewiesenwerden konnten, sind die “fußballartigen” (siehe Abbildung 1.6) C60- und C70-Molekule (M. Arndt et al., Nature 401, 680 (1999)). Ein experimentelles Inter-ferenzbild ist in Abbildung 1.7 gezeigt.

Abbildung 1.6: Struktur des C60-Molekuls. Der Durchmesser eines C60-Molekulsbetragt ca. 7 · 10−10m.

Abbildung 1.7: Interferenzbild von C60-Molekulen (aus O. Nairz, M. Arndt undA. Zeilinger, Am. J. Phys. 71, 319 (2003)) bei der Beugung an einem Gitter. Diedurchgezogene Linie zeigt die theoretische Vorhersage. Die relevanten Parametersind: m = 1.2 · 10−24 kg, mittlere Geschwindigkeit v = 117 m/s, L = 1.2 m,d = 1 · 10−7 m, s = (5.5± 0.5) · 10−8 m.

Um Interferenzexperimente mit immer schwereren Teilchen durchfuhren zukonnen, gilt es einige experimentelle Probleme zu uberwinden. Hier soll nur das

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12 KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE

offensichtlichste genannt werden: Wie man Gl. (1.1) entnimmt, rucken die Minimades Interferenzbildes fur kleiner werdende Wellenlange λ immer naher zusammen(siehe Ubung). Da nun λ = h/p gilt, nimmt die Wellenlange proportional zurMasse (und der Geschwindigkeit) der Teilchen ab. Die C60-Molekule aus demobigen Experiment hatten z.B. eine (mittlere) de Broglie-Wellenlange von ca.5 · 10−12 m. Um die Minima fur schwere Teilchen weiterhin auflosen zu konnen,benotigt man daher Detektoren mit einer extrem hohen raumlichen Auflosung.Auch wenn ein C60-Molekul Großenordnungen schwerer ist als ein Elektron, istes sicherlich noch kein makroskopisches Teilchen. Um Ihnen ein Gefuhl dafur zugeben, wie klein die de Brogli-Wellenlange eines makroskopischen Teilchens ist,betrachten wir als Beispiel ein 10−3 kg schweres Teilchen, welches sich mit 10−2

m/s bewegt. Die Wellenlange ist dann 10−29 m!! Fur jede vernunftige Kombina-tion der Spaltparameter s und d liegen die Minima im Interferenzbild so dicht,dass sie mit keinem Detektor aufgelost werden konnen.

Wir stellen somit fest, dass (zumindest) Photonen, Elektronen, Neutronen,Helium und C60-Molekule weder klassische Teilchen noch klassische Wellen sind,da ihre Bewegung und ihre Wechselwirkung mit Detektoren mit beiden Bildernunvereinbar ist. In dieser Hinsicht sind sie physikalische Objekte, die in der unsgewohnten Umwelt keine Analogien besitzen.

Aus dem Doppelspaltexperiment lasst sich bereits eine zentrale Eigenschaftder Theorie der Bewegung von Mikroobjekten erkennen. Trotz gleicher Anfangs-bedingung fur alle Elektronen bzw. Photonen und identischer Versuchsbedingun-gen beobachtet man (bei einem verdunnten Strahl) mal hier das Auftreffen einesElektrons auf dem Schirm und mal dort. Bei genugend langer Versuchsdauer (hin-reichend vielen Einzelereignissen) stellt man aber fest, dass auf jeder Teilflachedes Beobachtungsschirms im Mittel ein durch das Interferenzbild bestimmter An-teil an Elektronen bzw. Photonen aus der Gesamtzahl der auf dem Schirm auf-treffenden Teilchen eintrifft. Anders gesagt: Wir konnen eine Wahrscheinlichkeitdafur angeben, dass dieser oder jener Detektor bei der Wiederholung des Ver-suchs unter gleichen Bedingungen ein Teilchen anzeigen wird. Wir konnen abernicht mit Sicherheit voraussagen, welcher Detektor es im nachsten Augenblicktatsachlich sein wird. Die erste in der Vorlesung gezeigte Simulation beruht ex-akt auf diesem Wahrscheinlichkeitsprinzip. Das Interferenzmuster Gl. (1.1) ist dieWahrscheinlichkeitsverteilung gemaß der der Computer “auswurfelt” wo auf demBeobachtungsschirm das nachste Teilchen auftreffen wird. Damit stellt sich so-fort die Frage, ob wir “nur” eine Wahrscheinlichkeitsaussage treffen konnen, weilwir bestimmte Bedingungen der “Mikrowelt” (noch) nicht aufgedeckt haben. Diemeisten Theoretiker betrachten heute in den Aussagen der Quantenmechanik dieWahrscheinlichkeit als unmittelbar gegeben. Sie wird nicht durch die unvollstandi-ge Kenntnis objektiv vorhandener Informationen eingefuhrt. Der Wahrscheinlich-keitsbegriff konnte nicht durch die Zunahme oder Prazisierung unseres Wissensaus der Theorie eliminiert werden. Unabhangig davon, ob dieser Standpunkt ge-rechtfertigt ist oder nicht, konnen wir die Dynamik der Mikroobjekte mit Hilfe

Page 13: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

1.2. DER STERN-GERLACH VERSUCH 13

der zu entwickelnden “statistischen” Theorie im Vergleich mit Experimenten ex-trem erfolgreich beschreiben. Man konnte soweit gehen, die Quantenmechanik alsdie erfolgreichste aller Theorien der Physik zu bezeichnen. Die Quantenmechanikhat damit die Aufgabe, die fur jedes Experiment streng bestimmten Wahrschein-lichkeiten aus vorgegebenen Bedingungen zu berechnen. Wir werden parallel zumFormalismus die so genannte Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik ver-wenden. Sie fasst die statistischen Aussagen der Quantenmechanik zusammen.

Als letzten Aspekt des Doppelspaltexperimentes betrachten wir die Frage wasmit dem Interferenzmuster passiert, wenn man versucht mit einer zusatzlichen“Vorrichtung” zu bestimmen, durch welchen Spalt ein Elektron bzw. Photon hin-durch getreten ist. Wie wir spater genauer untersuchen werden, fuhrt eine solche“Lokalisierung” der Elektronen immer zum verschwinden des Interferenzbildes.Um Informationen uber das Verhalten von Mikroobjekten zu erhalten, muss manihren Zustand zwangslaufig storen. Die in der klassischen Physik ubliche Idealisie-rung, den Einfluss von Messapparaten beliebig klein machen zu konnen, erweistsich in der “Mikrowelt” als unhaltbar.

1.2 Der Stern-Gerlach Versuch

Das Stern-Gerlach Experiment wurde zum ersten Mal 1921 ausgefuhrt. Wie inAbbildung 1.8 dargestellt, treten aus einem Ofen durch eine kleine Offnung (unge-ladene) Atome (im ursprunglichen Experiment Silberatome) in ein angrenzendesVakuum aus. Durch eine Blende tritt der Atomstrahl in ein in der Querrich-tung (in der Skizze die z-Richtung; die Ausbreitungsrichtung des Strahls wird alsdie y-Richtung festgelegt) inhomogenes Magnetfeld ein, welches von geeignetenPolschuhen erzeugt wird. Man beobachtet nun folgendes: Wird das Magnetfeldeingeschaltet, so spaltet der Strahl (von Silberatomen) in zwei Strahlen (in etwa)gleicher Intensitat auf, die in entgegengesetzte Richtungen (entlang der z-Achse)abgelenkt werden, und die mit einem geeigneten Detektor nachgewiesen werdenkonnen. In Abbildung 1.9 ist das Ergebnis eines entsprechenden Experimentesdargestellt.

Konnen wir dieses Ergebnis mit Hilfe klassischer Methoden verstehen? Derklassischen Elektrodynamik folgend, hat ein Teilchen mit magnetischem Moment~µ eine Wechselwirkungsenergie −~µ · ~B mit einem Magnetfeld ~B. Die resultierendeKraft in z-Richtung betragt damit

Fz =∂

∂z

(~µ · ~B

)≈ µz

∂Bz

∂z, (1.2)

wobei wir die Terme proportional zu ∂Bx(y)/∂z vernachlassigt haben.6 In derklassischen Beschreibung gehen wir davon aus, dass die Atome einer Trajektorie

6Diese Naherung rechtfertigt sich wie folgt: Bis auf Randeffekte gilt ∂Bz

∂y = 0 (die Form der

Polschuhe hangt nicht von y ab) und damit wegen ~∇ × ~B = 0 auch∂By

∂z = 0. Aufgrund der

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14 KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE

Abbildung 1.8: Schematischer Aufbau des Stern-Gerlach Versuchs.

folgen. Spater werden wir mit Hilfe der Heisenbergschen Unscharferelation verste-hen konnen, dass fur das vorliegende Experiment auch unter Berucksichtigung derQuantenmechanik die “Naherung” einer klassischen Trajektorie zulassig ist. Umdie Ablenkung im Magnetfeld zu verstehen, nehmen wir an, dass die aus dem Ofenaustretenden (Silber-) Atome ein magnetisches Moment ~µ haben. Im Ofen sinddie magnetischen Momente der einzelnen Atome statistisch verteilt, wobei hierstatistisch im klassischen Sinne gemeint ist: Jedes Atom hat sein festes magne-tisches Moment. Aufgrund unzureichender Information kennen wir dieses jedochnicht. Also sollten im Strahl Atome mit µz > 0 und µz < 0 vorkommen und zwarmit einer kontinuierlichen Verteilung7 zwischen −|~µ| und |~µ|. Wir erwarten daherklassisch einen breiten Fleck und nicht zwei wie im Experiment. Unsere “klassi-sche” Erwartung und die ihr widersprechende experimentelle Beobachtung sindnoch einmal schematisch in Abbildung 1.10 dargestellt. Die Aufspaltung erfolgtsymmetrisch um die Null herum, die durch die Position der Strahlmitte gegebenist, d.h. µz = ±µ0. Aus dem Abstand der beiden Flecken kann µ0 bestimmt wer-den, da die Magnetfeldstarke bekannt ist. Auch wenn wir bisher nicht verstehenkonnen, welche quantenmechanische Eigenschaft zur “Quantisierung” des ma-gnetischen Moments, bzw. zu der Aufspaltung des Strahls fuhrt, werden wir jetzteinige Gedankenexperimente mit Stern-Gerlach Apparaturen (SG-Apparaturen)ausfuhren. Wir werden dabei “lernen” welche mathematischen Methoden wir zurBeschreibung des Experimentes und damit der noch unbekannten Eigenschaft desAtoms benotigen. Schematisch ist die Aufspaltung in zwei Strahlen in Abbildung1.11 dargestellt. Bei der Spezifikation der SG-Apparatur ist dabei zusatzlich ange-geben, dass die Polschuhe des Magneten so ausgerichtet sind, dass die Ablenkungin ±~e3-Richtung stattfindet. Wir werden folgend auch rotierte SG-Apparaturenbetrachten, die entlang einer beliebigen Richtung gegeben durch den Einheits-

Geometrie der Polschuhe hangt Bz in dem Bereich, in dem die Teilchen durch das Magnetfeldtreten, nur schwach von der x-Koordinate ab und damit folgt analog wie oben ∂Bx

∂z ≈ 0.7Es gibt keinen “klassischen” Grund, warum die Verteilung aus zwei Maxima bestehen sollte.

Page 15: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

1.2. DER STERN-GERLACH VERSUCH 15

Abbildung 1.9: Intensitatsverteilung in einem Stern-Gerlach Experiment (aus H.Kopfermann, Kernmomente). Die auf der durchgezogenen Linie liegenden Mess-punkte sind ohne das Magnetfeld aufgenommen worden.

vektor ~n = sin θ cosϕ~e1 + sin θ sinϕ~e2 + cos θ ~e3 aufspalten. Dabei bezeichnet θden Winkel zwischen ~n und ~e3, sowie ϕ den in der ~e1-~e2-Ebene gelegenen Winkelzwischen ~n und ~e1.

klassische Erwartung exp. Ergebnis

0

Abbildung 1.10: Idealisierter Ausgang eines Stern-Gerlach Versuchs.

Ofene ,+3

3e ,−SG, e3

Abbildung 1.11: Schema eines Stern-Gerlach Experiments.

Zunachst stellen wir uns die Frage was passiert, wenn man zwei gleichartigeSG-Apparaturen hintereinander aufstellt, wobei aber der “-” Strahl hinter derersten blockiert wird (siehe Abbildung 1.12). Hinter der zweiten zeigt sich indiesem Fall nur ein Fleck (bzw. ein Strahl). Die gesamte Intensitat bleibt imoberen Strahl. Verwenden wir statt der zwei ~e3 SG-Apparate zwei ~n Apparateerhalten wir ein analoges Ergebnis mit einer Ablenkung in ~n-Richtung.

Interessanter ist das in Abbildung 1.13 dargestellte Experiment, in dem derAtomstrahl zuerst auf einen ~e3 SG-Apparat trifft, hinter dem der ~e3,− Strahl ab-

Page 16: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

16 KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE

SG, e3 SG, e3

e ,+3

Ofenkein e ,−3

Abbildung 1.12: Schema zweier hintereinander ausgefuhrter Stern-Gerlach Expe-rimente.

SG, e3

e ,+1

Ofen SG, e11e ,−

Abbildung 1.13: Analog zu Abbildung 1.12 aber mit einer verdrehten zweitenSG-Apparatur.

sorbiert wird. Der verbleibende ~e3,+ Strahl trifft dann auf einen ~e1 SG-Apparat.Aus diesem treten dann zwei ~e1,± Strahlen gleicher Intensitat aus. Bedeutet das,dass der ~e3,+ Strahl aus Atomen besteht, die zu 50% durch ~e1,+ und zu 50%durch ~e1,− charakterisiert werden konnen? Es wird sich herausstellen, dass dieseVorstellung in die Irre fuhrt. Wir gehen einen Schritt weiter und betrachten denin Abbildung 1.14 skizzierten Aufbau. Er macht eine der uberraschenden Eigen-schaften der Quantenmechanik auf eindringliche Weise klar.8 Im Anschluss anden ~e1 SG-Apparat, wird der ~e1,− Strahl absorbiert und der ~e1,+ Strahl durcheinen ~e3 SG-Apparat geschickt. Experimentell beobachten wir hinter dem ~e3 SG-Apparat wieder zwei (!!) Strahlen mit jeweils halber Intensitat des ~e1,+ Strahls.Das ist eine große Uberraschung, falls wir unserem klassischen Konzept folgendannehmen wurden, dass die Atome des ~e1,+ Strahls durch die Eigenschaft ~e3,+und ~e1,+ charakterisiert sind. Aus einem nachfolgenden ~e3 SG-Apparat sollte al-so nur ein ~e3,+ Strahl austreten. Wie kommt es zur “Wiederbelebung” der ~e3,−Komponente? Damit erweist sich das Modell nach dem die Atome, die in den drit-ten SG-Apparat eintreten durch die Eigenschaft ~e3,+ und ~e1,+ charakterisiertwerden als unzulanglich.

SG, e3 SG, e3Ofen SG, e1

e ,+

e ,−

3

3

Abbildung 1.14: Analog zu Abbildung 1.13 aber mit einer dritten SG-Apparatur.

Da Ihnen die gerade diskutierte Situation wahrscheinlich neu erscheint, istes sinnvoll die Ihnen “bekanntere” Polarisation von Licht zu untersuchen. Beim

8Diese Eigenschaft ist uberraschend oder vielleicht sogar eigenartig, wenn man sie aus derPerspektive der klassischen Mechanik betrachtet. Am Ende dieser Vorlesung werde Effekte derhier diskutierten Art Sie nicht mehr uberraschen.

Page 17: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

1.2. DER STERN-GERLACH VERSUCH 17

Durchtritt von Licht durch eine Reihe von zu spezifizierenden Polarisatoren kommtes zu einem vollig analogen Effekt. Fur diesen Fall sind wir in der Lage denbeobachteten Effekt durch eine kleine Rechnung zu bestatigen. Wir betrachtendazu eine sich in y-Richtung ausbreitende, monochromatische, ebene Lichtwelle(alternativ ausgedruckt: einen Strahl von Photonen), die durch den Vektor deselektrischen Feldes9

~E(~r, t) = E1 cos (ky − ωt+ α1)~e1 + E3 cos (ky − ωt+ α3)~e3 (1.3)

gegeben ist. Komplex geschrieben ergibt sich

~E(~r, t) = (E1~e1 + E3~e3) ei(ky−ωt) , (1.4)

mit E1, E3 ∈ C.10 Das physikalische Feld ~E(~r, t) ist dabei als der Realteil von~E(~r, t) gegeben. Die Polarisation der Lichtwelle (die Polarisation der Photonen)wird durch E1 und E3 festgelegt und kann durch einen Vektor in einem zweidimen-sionalen, komplexen Vektorraum beschrieben werden. Neben den reinen x- undz-polarisierten Wellen, sind Wellen mit beliebiger Linearkombination E1~e1 +E3~e3

moglich (z.B. “45 grad” Polarisation, rechts- und links-zirkulare Polarisation).Wir haben dabei zur Charakterisierung der Polarisation die {~e1, ~e3} Basis in derEbene senkrecht zur Ausbreitungrichtung verwendet, konnten die Polarisationaber auch in jeder beliebigen anderen (orthonormalen) Basis der x-z-Ebene aus-drucken (siehe unten). Tritt eine durch E1~e1+E3~e3 beschriebene Welle durch einenx-Polarisator, so ist das Feld nach dem Polarisator durch E1~e1 gegeben. Schickenwir es anschließend durch einen z-Polarisator, so tritt kein Licht aus diesem aus.Betrachten wir nun zusatzlich einen Polarisator, der in die x′-Richtung polari-siert, wobei ~e

′1 und ~e1 innerhalb der x-z-Ebene um den Winkel ϕ gegeneinander

verdreht sind. Es gilt dann fur die entsprechenden Basisvektoren (Basiswechsel)

~e′

1 = cosϕ ~e1 + sinϕ ~e3

~e′

3 = − sinϕ ~e1 + cosϕ ~e3

(1.5)

bzw.

~e1 = cosϕ ~e′

1 − sinϕ ~e′

3

~e3 = sinϕ ~e′

1 + cosϕ ~e′

3 .(1.6)

Wir fuhren nun das folgende Experiment aus. Wir schicken die durch E1~e1 +E3~e3

charakterisierte Welle zunachst auf einen x-Polarisator. Die durchtretende Welleist durch E1~e1 = E1 cosϕ ~e

′1 − E1 sinϕ ~e

′3 beschrieben und besitzt keine Kompo-

nenten in z-Richtung. Wir schicken sie dann auf einen x′-Polarisator. Nach diesem

9Die Komponenten des Feldvektors erfullen die freie Wellengleichung ~∇2ψ = 1c2∂2ψ∂t2 , mit

ω = ck.10Da Ej = Ejeiαj haben die Ej eine Phase und einen Betrag.

Page 18: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

18 KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE

erhalten wir eine durch E1 cosϕ ~e′1 = E1 cos2 ϕ ~e1 +E1 sinϕ cosϕ ~e3 beschriebene

Welle, die fur ϕ 6= nπ/2 mit n ∈ Z, wieder eine z-Komponente besitzt. DieseBeobachtung ist vollig analog zu der aus der SG-Apparatur Abbildung 1.14,11

wobei sie Ihnen im Fall der hintereinandergeschalteten Polarisatoren vielleichtweniger eigenartig erscheint. Um die Analogie klar herauszustellen identifizierenwir

~e3,± Atom ↔ x, z polarisiertes Licht

~e1,± Atom ↔ x′, z′ polarisiertes Licht (mit ϕ = π/4) .

Entsprechend der gerade gefuhrten Diskussion vermittelt ein Polarisator einelineare Abbildung in einem zweidimensionalen komplexen Vektorraum.

Die Analogie verdeutlicht, dass es sinnvoll erscheint auch dem Atom im Stern-Gerlach Experiment eine durch einen zweidimensionalen komplexen Vektor be-schriebene Eigenschaft (analog der Polarisation des Photons) zu zusprechen, de-ren physikalischer Ursprung uns aber zunachst weiter unklar bleibt. Bezuglichder uns unbekannten Eigenschaft des Atoms ist dieses dann durch einen Vektor|ψ〉 = a |~e3,+〉+b |~e3,−〉 = a |~n,+〉+ b |~n,−〉 charakterisiert.12 Die SG-Apparaturmit einem geblockten Strahl vermittelt analog zum Polarisator eine lineare Ab-bildung in diesem Vektorraum.

Komplexe Vektorraume endlicher (und spater auch unendlicher) Dimensionspielen in der Quantenmechanik eine wichtige Rolle. Bevor wir daher nochein-mal auf das Stern-Gerlach bzw. Polarisations-Experiment zuruckkommen werden,wollen wir im folgenden Kapitel “zur Erinnerung” und um die gerade verwende-te Ihnen wahrscheinlich unbekannte Notation (|. . .〉) einzufuhren einige wichtigeEigenschaften komplexer endlichdimensionaler Vektorraume rekapitulieren.

11Die dort betrachtete Konstellation entspricht ϕ = π/4.12Dieser Vektor beschreibt nur die uns bisher unbekannte physikalische Eigenschaft des

Atoms, jedoch nicht den “Ort” und den “Impuls” des Atoms.

Page 19: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 2

Der N-dimensionale unitareRaum

Aus Ihren Mathematik Vorlesungen sollten Ihnen die Begriffe reeller und komple-xer, N -dimensionaler Vektorraum und Skalarprodukt bekannt sein. Daher wer-den wir uns hier nicht noch einmal mit der vollstandigen Axiomatik der Be-griffe beschaftigen. Wir wollen nur einige wichtige Eigenschaften rekapitulierenund werden dabei die Ihnen wahrscheinlich unbekannte, in der Quantenmechanikhaufig genutzte Dirac-Schreibweise verwenden. Da in der Quantenmechanik kom-plexe Vektorraume wichtig sind, werden wir uns mit diesen auseinandersetzen.

2.1 Grundlagen und die Dirac-Notation

Wir gehen davon aus, dass Ihnen die einen komplexer Vektorraum H definieren-den Eigenschaften bekannt sind. Die Elemente des Vektorraums bezeichnen wirmit |a〉, |b〉, . . .. Verglichen mit der Ihnen aus der Mechanik bekannten Notation

identifizieren wir also: |a〉 ↔ ~a, |b〉 ↔ ~b, . . . und “nennen” |a〉 einen “ket”-Vektor.Einen komplexen Vektorraum mit einem Skalarprodukt nennt man unitar. DasSkalarprodukt muss die folgenden Eigenschaften erfullen:

(1) 〈a |a〉 ≥ 0; Gleichheit, wenn |a〉 der Nullvektor ist

(2) 〈a |b〉 = 〈b |a〉∗

(3) sei |b〉 = λ |b1〉 + µ |b2〉; λ, µ ∈ C; so folgt 〈a |b〉 = λ 〈a |b1〉 + µ 〈a |b2〉(Linearitat im zweiten Argument)

Die mehr traditionelle Schreibweise fur das Skalarprodukt ist(~a,~b)

. Statt der

runden Klammern verwenden wir spitze und statt des Kommas einen senkrech-ten Strich. Aus (2) und (3) folgt, dass das Skalarprodukt “antilinear” im ersten

19

Page 20: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

20 KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM

Argument ist:

〈b |a〉 = 〈a |b〉∗

= (λ 〈a |b1〉+ µ 〈a |b2〉)∗

= λ∗ 〈b1 |a〉+ µ∗ 〈b2 |a〉 .

Zwei Vektoren heißen orthogonal falls 〈a |b〉 = 0. Wegen (1) gilt 〈a |a〉 ∈ R undman kann || |a〉 || :=

√〈a |a〉 als die Norm (Lange) des Vektors definieren.

Die Dimension des Vektorraums ist durch die maximale Zahl linearunabhangi-ger Vektoren gegeben. Einen Satz von N Basisvektoren {|e1〉 , |e2〉 , . . . , |eN〉} be-zeichnet man als Orthonormalbasis falls

〈ei |ej〉 = δi,j .

Bezuglich einer gegebenen Basis, kann man jedes Element aus H als Linearkom-bination

|a〉 =N∑j=1

aj |ej〉 , aj ∈ C

schreiben. Aus dieser Zerlegung folgt

〈a |b〉 =N∑

i,j=1

a∗i bj 〈ei |ej〉 =N∑j=1

a∗jbj .

Bisher haben wir dem zu |a〉 “umgekehrten” Objekt 〈a| noch keine eigeneBedeutung zugeschrieben, was wir in einem nachsten Schritt nachholen wollen.Dazu betrachten wir lineare Funktionen1 der Vektoren aus H. Wird durch ϕjedem |a〉 ∈ H eindeutig eine Zahl ϕ (|a〉) ∈ C zugeordnet, so heißt die Funktionϕ linear, falls fur beliebige |a〉 , |b〉 ∈ H und λ, µ ∈ C gilt

ϕ (λ |a〉+ µ |b〉) = λϕ (|a〉) + µϕ (|b〉) .

Die Funktion ϕ ist aufgrund der Linearitat durch Angabe ihrer Wirkung aufalle Basisvektoren {|e1〉 , |e2〉 , . . . , |eN〉} eindeutig festgelegt. Sei ϕ (|ej〉) = fj,

fj ∈ C, so ergibt sich fur |a〉 =∑N

j=1 aj |ej〉, ϕ (|a〉) =∑N

j=1 ajfj. Wir be-trachten als nachstes ein Beispiel fur lineare Funktionen. Sei eine orthonorma-le Basis {|e1〉 , |e2〉 , . . . , |eN〉} gegeben und |a〉 =

∑Nj=1 aj |ej〉 dann ist fur jedes

j = 1, 2, . . . , N durch

ϕ{|ei〉}j (|a〉) := aj

1Fur unendlich dimensionale Vektorraume, die wir spater benotigen werden, bezeichnet mandie analogen “Funktionen” als Funktionale und verwendet daher allgemein beide Begriffe syn-onym.

Page 21: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION 21

eine lineare Funktion auf H definiert. Es gilt ϕ{|ei〉}j (|ek〉) = δj,k. Seien ϕ und ψ

zwei lineare Funktionen, so ist auch λϕ + µψ (λ, µ ∈ C) eine lineare Funktion.Damit wird die Gesamtheit aller linearen Funktionen auf H selbst zu einem Vek-torraum, den man den dualen Raum nennt und mit H∗ bezeichnet. Die ϕ

{|ei〉}j

aus dem Beispiel bilden einen Basis in H∗: Sei eine beliebige lineare Funkti-on ϕ, mit ϕ (|ej〉) = fj gegeben. Es ist dann klar, dass die lineare Funktion∑N

j=1 fjϕ{|ei〉}j dieselbe Wirkung auf alle Basisvektoren |ek〉 hat wie ϕ. Damit gilt

ϕ =∑N

j=1 fjϕ{|ei〉}j . Wir konnen somit jede lineare Funktion aus H∗ eindeutig als

Linearkombination der ϕ{|ei〉}j , j = 1, 2, . . . , N , schreiben und die ϕ

{|ei〉}j bilden

eine Basis in H∗. Da die Basis N Elemente hat, hat der duale Raum H∗ dieselbeDimension wie H. In einem nachsten Schritt wollen wir zeigen, wie man mit Hil-fe des Skalarprodukts jedem ϕ ∈ H∗ eineindeutig ein Element aus H zuordnenkann. Wir betrachten dazu

〈ej |a〉 = 〈ej|

(N∑i=1

ai |ei〉

)

=N∑i=1

ai 〈ej |ei〉

= aj . (2.1)

Das Skalarprodukt von |ej〉mit |a〉 hat somit dieselbe Wirkung wie das Anwenden

von ϕ{|ei〉}j auf |a〉. Mit den obigen Resultaten lasst sich die Wirkung jedes ϕ =∑N

j=1 fjϕ{|ei〉}j auf ein beliebiges |a〉 mit Hilfe des Vektors |ϕ〉 :=

∑Nj=1 f

∗j |ej〉 als

Skalarprodukt schreiben

ϕ (|a〉) = 〈ϕ |a〉 .

Dabei treten in der Definition von |ϕ〉 komplexkonjugierte Koeffizienten f ∗j auf,da das Skalarprodukt antilinear im ersten Argument ist. Wir schreiben nun dieVektoren aus H∗, als 〈ϕ| und bezeichnen sie als “bra”-Vektoren. Jede lineareFunktion lasst sich als Skalarprodukt mit einem geeigneten “bra”-Vektor schrei-ben. Zusammen mit dem “ket”-Vektor |a〉 (unter Weglassen eines der senkrechtenStriche, was man immer dann macht, wenn zwei solcher Striche aufeinander tref-fen) ergibt sich so eine “bracket” 〈ϕ |a〉, was das englische Wort fur Klammerist. Das erklart die Bezeichnung der beiden Vektor-Typen. Die linearen Funk-tion ϕ

{|ei〉}j aus unserem Beispiel ist durch den “bra”-Vektor 〈ej| gegeben. Die

{〈e1| , 〈e2| , . . . , 〈eN |} bilden eine Basis in H∗. Wir ordnen jetzt also jedem Vektor|a〉 aus H uber das Skalarprodukt ein Element 〈a| aus H∗ zu. Da das Skalarpro-dukt antilinear im ersten Argument ist, ist diese Zuordnung ebenfalls antilinear.Es gilt also

|a〉 =∑i

λi |ai〉 ↔ 〈a| =∑i

λ∗i 〈ai| . (2.2)

Page 22: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

22 KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM

Wir betrachten in einem nachsten Schritt lineare Abbildungen A von H nachH. Eine lineare Selbstabbildung ist durch die Eigenschaft (|a〉, |b〉 ∈ H; λ, µ ∈ C)

A (λ |a〉+ µ |b〉) = λA |a〉+ µA |b〉

definiert. Sei eine (nicht unbedingt orthonormale) Basis {|g1〉 , |g2〉 , . . . , |gN〉} vor-gegeben, dann ist der Operator A vollstandig durch die Angabe aller Koeffizien-ten von A |gj〉, j = 1, 2, . . . , N festgelegt. Als Koeffizienten bezeichnen wir dabeidie komplexen Zahlen, die sich aus dem Anwenden der zu |gi〉, i = 1, 2, . . . , Ngehorenden linearen Funktion ergeben: 〈gi|A |gj〉. Man bezeichnet diese Großenauch als Matrixelemente bezuglich der Basis {|g1〉 , |g2〉 , . . . , |gN〉}.

Mit Hilfe der Rechenregeln fur das Skalarprodukt und der Linearitat von Azeigt man leicht, dass 〈a|A |b〉 linear im ket |b〉 ist. Damit kann man 〈c| := 〈a|Aals Vektor inH∗ auffassen. Um festzustellen, welcher ket |c〉 ∈ H dem bra 〈c| ∈ H∗zugeordnet ist, definieren wir den zu A adjungierten Operator A† durch

〈b|A† |a〉 := 〈a|A |b〉∗ (2.3)

fur alle |a〉, |b〉 ∈ H. Es gilt

〈b|(A†)† |a〉 = 〈a|A† |b〉∗ = 〈b|A |a〉

und damit(A†)†

= A, da fur jede komplexe Zahl z = (z∗)∗. Mit 〈c| := 〈a|A undder Eigenschaft (2) des Skalarprodukts ergibt sich

〈b|A† |a〉 = 〈a|A |b〉∗ = 〈c| b〉∗ = 〈b| c〉

und damit

〈c| = 〈a|A↔ |c〉 = A† |a〉 , (2.4)

oder auch

〈c| = 〈a|A† ↔ |c〉 = A |a〉 .

In Worten heißt das: Ein adjungierter Operator wirkt nach links (auf den bra-Vektor) so wie der Operator selbst nach rechts. Betrachten wir ein einfachesBeispiel zur Definition des adjungierten Operators. A sei der Operator, der jedes|b〉 ∈ H auf A |b〉 = α |b〉 abbildet (α ∈ C). Gemaß Gl. (2.3) gilt dann

〈b|A† |a〉 = 〈a|A |b〉∗ = (α 〈a| b〉)∗ = α∗ 〈b| a〉 = 〈b| (α∗ |a〉)

und damit A† |a〉 = α∗ |a〉, da |b〉 ein beliebiger Vektor aus H ist. Wir werdenspater auf den Begriff des adjungierten Operators zuruckkommen und ihn mitmehr Leben fullen.

Page 23: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION 23

In konkreten Rechnungen, wird ein Vektor |a〉 meist bezuglich einer orthonor-malen Basis {|e1〉 , |e2〉 , . . . , |eN〉} als (aj ∈ C)

|a〉 =N∑j=1

aj |ej〉

ausgedruckt. Um Schreibarbeit zu sparen, bezeichnen wir die |ej〉 im Folgendeneinfach als |j〉. Nach Gl. (2.1) gilt aj = 〈j |a〉 und damit

|a〉 =N∑j=1

〈j |a〉 |j〉 =N∑j=1

|j〉 〈j |a〉 .

Aus dieser Beziehung lesen wir ab, dass∑N

j=1 |j〉 〈j| wie der Identitatsoperator 1

(der |a〉 auf |a〉 abbildet) wirkt. Wir finden also2

1 =N∑j=1

|j〉 〈j| . (2.5)

Man bezeichnet diese Relation als Vollstandigkeitsrelation3 bzw. Zerlegung derEins. Sie wird sich als extrem nutzlich herausstellen.

Ein einzelner Term Pj := |j〉 〈j| aus der Summe Gl. (2.5) ist ein Beispiel fureinen Projektionsoperator. Angewandt auf ein |a〉 ∈ H liefert er die Projektionvon |a〉 auf |j〉4

Pj |a〉 = |j〉 〈j |a〉 = aj |j〉 .

Ausgedruckt durch die Pj lautet die Vollstandigkeitsrelation

1 =N∑j=1

Pj .

Fur das Produkt zweier solcher Operatoren folgt

PiPj = |i〉 〈i| j〉 〈j| = δi,jPi .

Fur das Adjungierte von Pj ergibt sich gemaß Gl. (2.3)

〈b|P†j |a〉 = 〈a|Pj |b〉∗ = (〈a| j〉 〈j |b〉)∗ = 〈a| j〉∗ 〈j |b〉∗ = 〈j| a〉 〈b |j〉= 〈b |j〉 〈j| a〉 = 〈b|Pj |a〉 ,

2Beim Auseinanderziehen, ersetzen wir | → ||.3Die Bedeutung dieses Begriffs wird erst im Fall unendlichdimensionaler Vektorraume

vollstandig klar werden.4Wir ersetzen dabei wieder zwei aufeinandertreffende | durch einen.

Page 24: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

24 KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM

also P†j = Pj. Die Eigenschaft A† = A definiert eine Klasse von Operatoren, dieman selbstadjungierte Operatoren nennt. Die obigen Projektionsoperatoren sindalso selbstadjungiert. Selbstadjungierte Operatoren sind in der Quantenmechanikvon zentraler Bedeutung und wir werden noch in diesem Kapitel genauer auf ihreEigenschaften eingehen.

Die Vollstandigkeitsrelation Gl. (2.5) ist hilfreich um zu sehen, wie der ab-strakte Operator A bezuglich einer festen Orthonormalbasis durch seine Matrix-elemente festgelegt ist (bzw. dargestellt wird)

A = 1A1 =N∑

i,j=1

|i〉 〈i|A |j〉 〈j| .

Je nach Wahl der Basis, wird der Operator A durch eine andere N ×N -MatrixA mit Matrixelementen Ai,j := 〈i|A |j〉 dargestellt. Bezuglich einer festen Basisschreiben wir

A.=

〈1|A |1〉 〈1|A |2〉 . . . 〈1|A |N〉〈2|A |1〉 〈2|A |2〉 . . . 〈2|A |N〉. . . . . . . . . . . .· · · ·· · · ·· · · ·. . . . . . . . . . . .

〈N |A |1〉 〈N |A |2〉 . . . 〈N |A |N〉

,

wobei das Symbol.= als “wird dargestellt durch” zu lesen ist. Um deutlich zu

machen, dass die Matrixdarstellung von der gewahlten Basis abhangt, betrachtenwir als Beispiel den Projektionsoperator P1 = |1〉 〈1|. Bezuglich der Orthonor-malbasis {|j〉} gilt

P1.=

1 0 . . . 00 0 . . . 0. . . . . . . . . . . .· · · ·· · · ·· · · ·. . . . . . . . . . . .0 0 . . . 0

.

Page 25: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION 25

In einer anderen Orthonormalbasis{∣∣j⟩} gilt dagegen

P1.=

〈1|1〉〈1|1〉 〈1|1〉〈1|2〉 . . . 〈1|1〉〈1|N〉〈2|1〉〈1|1〉 〈2|1〉〈1|2〉 . . . 〈2|1〉〈1|N〉

. . . . . . . . . . . .· · · ·· · · ·· · · ·. . . . . . . . . . . .

〈N |1〉〈1|1〉 〈N |1〉〈1|2〉 . . . 〈N |1〉〈1|N〉

.

Beide Matrizen unterscheiden sich offensichtlicherweise.Die Komponente des Vektors A |a〉 in die “Richtung” von |i〉 lasst sich mit

Hilfe von Gl. (2.5) durch

〈i|A |a〉 = 〈i|A1 |a〉 =N∑j=1

〈i|A |j〉 〈j| a〉

ausdrucken. Stellen wir nun die Komponenten 〈j| a〉 bezuglich der Basis {|j〉} alsSpaltenvektor dar

|a〉 .=

〈1 |a〉〈2 |a〉. . .···. . .〈N |a〉

,

so ergibt sich die ubliche Rechenregel zur Multiplikation eines Vektors mit einerMatrix. Fur die Matrixelemente des Produktes zweier Operatoren A und B folgtanalog die ubliche Rechenregel der Matrizenrechnung

〈i|AB |j〉 = 〈i|A1B |j〉 =N∑k=1

〈i|A |k〉 〈k|B |j〉 .

Nach Einschieben einer 1 folgt fur das Skalarprodukt

〈b| a〉 =N∑j=1

〈b| j〉 〈j| a〉 ,

woraus man sofort erkennt, dass ein bra-Vektor 〈b| im “Matrixformalismus” durcheinen Zeilenvektor

〈b| .= (〈b| 1〉 , 〈b| 1〉 , . . . , 〈b| N〉)

Page 26: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

26 KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM

dargestellt wird. So ergeben sich die ihnen bekannten Rechenregeln des Skalar-produkts.

Wir betrachten als nachstes die Matrixelemente eines selbstadjungierten Ope-rators

A† = A . (2.6)

Nach Gl. (2.3) gilt fur solche (|a〉, |b〉 ∈ H)

〈b|A |a〉 = 〈b|A† |a〉 = 〈a|A |b〉∗

und damit bezuglich einer Orthonormalbasis {|j〉}

Ai,j = 〈i|A |j〉 = 〈j|A |i〉∗ = A∗j,i ,

d.h. selbstadjungierte Operatoren werden durch hermitesche Matrizen dargestellt.In der Quantenmechanik sind selbstadjungierte Operatoren von zentraler Be-

deutung, da physikalische Observable (Energie, Ort, Impuls, Drehimpuls,. . . )durch solche Operatoren beschrieben werden. Mogliche experimentelle Messgroßensind die Eigenwerte dieser Operatoren. Wir betrachten daher das Eigenwertpro-blem eines zunachst nicht notwendigerweise selbstadjungierten Operators A. DerVektor |aν〉 ∈ H, wobei |aν〉 ungleich dem Nullvektor ist, heißt Eigenvektor (auchEigenzustand) zu A mit Eigenwert λν ∈ C falls5

A |aν〉 = λν |aν〉 . (2.7)

Zur Berechnung der |aν〉 und λν wahlt man eine spezielle Orthonormalbasis {|j〉}.Fur alle 〈i| muss dann gelten 〈i| (A− λν1) |aν〉 = 0 und damit nach Einschiebeneiner 1

N∑j=1

(〈i|A |j〉 − δi,j λν) 〈j| aν〉 = 0 .

Die Eigenwerte λν folgen daher, wie Ihnen bekannt sein sollte, aus der Gleichung

det (A− λν 1) = 0 ,

wobei die Matrix A die Darstellung des Operators A bezuglich der vorgegebenenBasis ist und 1 die Einheitsmatrix (die zum Operator 1 gehort). Da PN(λ) =det (A− λ 1) ein Polynom N -ten Grades ist, hat es N Nullstellen, d.h. es gibt NEigenwerte (M -fache Nullstellen, werden M -fach gezahlt). Man nennt PN(λ) dascharakteristische Polynom.

5Ist |aν〉 Eigenvektor zum Eigenwert λν , so ist auch |aν〉 := µ |aν〉, mit µ ∈ C Eigenvektorzum Eigenwert λν : A |aν〉 = Aµ |aν〉 = µA |aν〉 = λνµ |aν〉 = λν |aν〉.

Page 27: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION 27

Sei nun A wieder ein selbstadjungierter Operator. Aus A |aν〉 = λν |aν〉 folgtdann mit Gln. (2.2) und (2.4), dass

〈aν |A = λ∗ν 〈aν | = 〈aν |λ∗ν .

Multiplizieren wir diese Gleichung von rechts mit dem Eigenvektor |aµ〉 zumEigenwert λµ und beachten, dass 〈aν |A |aµ〉 = λµ 〈aν | aµ〉, so folgt

(λµ − λ∗ν) 〈aν | aµ〉 = 0 .

Fur µ = ν ergibt sich wegen 〈aν | aν〉 > 0

λν = λ∗ν ,

d.h. die Eigenwerte eines selbstadjungierten Operators sind reell. Fur λµ 6= λνfolgt

〈aν | aµ〉 = 0 .

Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal. Betrachten wirjetzt zunachst den Fall, dass alle N Eigenwerte verschieden sind, d.h. keinerder Eigenwerte entartet ist. Wir konnen die zugehorigen paarweise orthogonalenEigenvektoren dann normieren, so dass die normierten |aν〉 eine orthonormaleBasis bilden. Damit gilt dann die Zerlegung der Eins

1 =N∑ν=1

|aν〉 〈aν | .

Durch Anwenden von A auf beiden Seiten der Gleichung folgt

A =N∑ν=1

A |aν〉 〈aν | =N∑ν=1

λν |aν〉 〈aν | . (2.8)

Ein selbstadjungierter Operator mit N verschiedenen Eigenwerten lasst sich alsSumme von mit dem Eigenwert multiplizierten Projektoren auf die Eigenvekto-ren schreiben. Man nennt diese Schreibweise die Spektraldarstellung des Opera-tors. Wie wir folgend sehen werden, gilt sie auch im Fall entarteter Eigenwerte.Bezuglich der {|aν〉} Basis, wird A durch die Matrix

A.=

λ1 0 . . . 00 λ2 . . . 0. . . . . . . . . . . .· · · ·· · · ·· · · ·. . . . . . . . . . . .0 0 . . . λN

Page 28: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

28 KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM

dargestellt. Analysieren wir jetzt die Situation, in der entartete Eigenwerte vorlie-gen. Sei also z.B. |a1〉 Eigenvektor zum M > 1-fach entarteten Eigenwert λ1, d.h.das charakteristische Polynom PN(λ) hat eine M -fache Nullstelle λ1. Das ortho-gonal Komplement H1 zu |a1〉, d.h. die Menge der Vektoren |b〉 mit 〈a1 |b〉 = 0bildet einen N − 1-dimensionalen Unterraum zu H. Fur Vektoren aus H1 gilt〈a1|A |b〉 = λ∗1 〈a1| b〉 = 0. Damit ist A |b〉 ∈ H1 und A bildet einen selbstadjun-gierten Operator auf H1. A eingeschrankt auf H1 bezeichnen wir mit A1. NachVoraussetzung hat nun auch A1 mindestens einen Eigenwert λ1. Daher gibt eseinen zu |a1〉 orthogonalen Eigenvektor |a2〉 zum Eigenwert λ1. Diese Konstruk-tion kann man nun beliebig fortsetzen. Es zeigt sich also, dass sowohl die Spekt-raldarstellung Gl. (2.8) als auch die Zerlegung der Eins fur alle selbstadjungiertenOperatoren moglich sind.

Als letzten speziellen Typ von Operatoren betrachten wir hier noch unitareOperatoren U. Fur diese gilt, dass sie das Skalarprodukt erhalten (|a〉, |b〉 ∈ H)

〈a|U†U |b〉 = 〈a| b〉 ,

d.h., dass das adjungierte des Operators mit dem Inversen U−1 ubereinstimmt

U†U = 1 = U−1U . (2.9)

2.2 Fortgeschrittene Konzepte

Nach dieser mathematischen Auffrischung und der Einfuhrung der Dirac-Notation,wollen wir, bevor wir zur Physik zuruckkehren, noch vier fur Sie wahrscheinlichneue mathematische Konzepte diskutieren.

Den Begriff des Kommutators zweier Operatoren (zweier Matrizen) habenSie bereits in den Ubungen kennengelernt. Allgemein ist der Kommutator zweierOperatoren A und B durch

[A,B] := AB−BA (2.10)

gegeben und bildet daher selbst einen Operator. Kommutatoren spielen in derQuantenmechanik eine zentrale Rolle, z.B. in der Heisenbergschen Unscharfere-lation, die wir im nachsten Kapitel ableiten werden, und von der Sie sicherlichschon einmal gehort haben.

Mit Funktionen von Operatoren sind Sie in den Ubungsaufgaben in Kontaktgekommen. Wir wollen dieses Konzept etwas allgemeiner untersuchen. Betrachtenwir dazu eine Funktion f einer komplexen Variablen z. Wir werden uns dabei aufFunktionen beschranken, die in einer Potenzreihe entwickelbar sind6

f(z) =∞∑n=0

anzn .

6Uber Konvergenzradien machen wir uns zunachst keine Gedanken.

Page 29: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

2.2. FORTGESCHRITTENE KONZEPTE 29

Sein A nun ein Operator auf einem N -dimensionalen unitaren Raum. Die opera-torwertige Funktion f(A) definieren wir dann als

f(A) :=∞∑n=0

anAn ,

wobei An das n-fache Hintereinanderausfuhren des Operators A bezeichnet undA0 = 1 gilt. Wie im Fall der Funktionen von komplexen Zahlen, verwendenwir fur die “bekannten” Potenzreihen, wie z.B. die Exponentialreihe f(z) =∑∞

n=0 zn/n! = exp (z) = ez, die “bekannten” Bezeichnungen. Wie schreiben also

z.B.

f(A) =∞∑n=0

An

n!= exp (A) = eA .

Wie Sie in einer Ubungsaufgabe bereits exemplarisch gesehen haben, gilt es beimUmgang mit solchen operatorwertigen Potenzreihen zu beachten, dass zwei Ope-ratoren, im Gegensatz zu komplexen Zahlen, im Allgemeinen nicht kommutieren.

Nehmen wir an, dass der Operator A von einem Parameter p abhangt. Wirdefinieren dann die Differentation des Operators nach diesem Parameter durch

dA(p)

dp:= lim

∆p→0

A(p+ ∆p)−A(p)

∆p.

Wir betrachten das wichtige Beispiel, dass A(p) := epB, mit einem Operator Bgegeben ist. Uber die Potenzreihendarstellung von A(p) ist es leicht zu sehen,dass

dA(p)

dp= BepB = epBB = BA(p) = A(p)B

gilt.Wir wollen nun die Frage stellen, ob man fur zwei kommutierende, selbstadjun-

gierte Operatoren A und B mit [A,B] = 0 immer ein System von gemeinsamenEigenvektoren finden kann.7 Betrachten wir dazu zunachst das Problem, dass zu-mindest einer der Operatoren keine entarteten Eigenwerte besitzt. Nehmen wiran, es sei der Operator A. Wir konnen dann die Eigenvektoren zu A eindeutigdurch |aj〉 mit dem Eigenwert aj bezeichnen.8 Wir betrachten dann

BA |aj〉 = Baj |aj〉 = ajB |aj〉 .7Beachten Sie die etwas unsaubere Schreibweise, in der 0 den Nulloperator, der alle Elemente

des Vektorraums auf den Nullvektor abbildet, bezeichnet8Beachten Sie, dass das im Fall von Entartung nicht geht. Sei der Eigenwert aj M > 1-fach

entartet, dann bilden die moglichen Eigenvektoren zu aj einen M -dimensionalen Unterraum.

Page 30: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

30 KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM

Da [A,B] = 0 ergibt sich aus dieser Gleichung

AB |aj〉 = ajB |aj〉 .

Damit ist B |aj〉 ein Eigenvektor von A zum Eigenwert aj. Da der Eigenvektorzu aj aber nach Voraussetzung bis auf einen immer freien Vorfaktor eindeutig ist,folgt

B |aj〉 = bj |aj〉 ,

so dass |aj〉 auch Eigenvektor zu B ist. Den Eigenwert bezeichnen wir mit bj.9

Da diese Uberlegung fur jedes j = 1, 2, . . . , N gilt, bilden die |aj〉 ein System vongemeinsamen Eigenvektoren. Wir konnen also

A =N∑j=1

aj |aj〉 〈aj| ,

B =N∑j=1

bj |aj〉 〈aj| ,

1 =N∑j=1

|aj〉 〈aj|

schreiben. Analysieren wir als nachstes den Fall, dass beide Operatoren entar-tete Eigenwerte haben. Wir betrachten zunachst wieder das Eigenwertproblemdes Operators A. Sei Mj ∈ N der Entartungsgrad des Eigenwertes aj. Zu je-dem der n < N verschiedenen Eigenwerte aj, j = 1, 2, . . . , n, gibt es einen Mj-dimensionalen Unterraum Hj, der aus Eigenvektoren zum Eigenwert aj besteht.Wie wir in der Diskussion im Anschluss an Gl. (2.8) gelernt haben, konnen wireine orthonormale Basis von Eigenvektoren konstruieren. Diese bezeichnen wirmit |aj,mj〉, wobei mj = 1, 2, . . . ,Mj gilt. Es gilt dann die Spektraldarstellung

A =n∑j=1

Mj∑mj=1

aj |aj,mj〉 〈aj,mj| .

9Nur wenn auch die Eigenwerte von B nicht entartet sind, sind alle bj verschieden.

Page 31: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

2.2. FORTGESCHRITTENE KONZEPTE 31

In der {|aj,mj〉} Basis ergibt sich die Matrixdarstellung

A.=

a1 0 0 . . . . . . . . . . . . . . . 00 a1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . a1 . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . a2 . . . . . . . . . . . .· · · · · · · · ·· · · · · · · · ·· · · · · · · · ·0 0 0 . . . . . . . . . . . . . . . an

.

Wir wollen nun die Wirkung von B auf die |aj,mj〉 untersuchen. Dazu betrachtenwir

AB |aj,mj〉 = BA |aj,mj〉 = ajB |aj,mj〉 .

Damit liegt B |aj,mj〉 im Unterraum Hj zum Eigenwert aj. Da Vektoren ausUnterraumen zu unterschiedlichen Eigenwerten orthogonal sind, folgt fur j 6= k

〈ak,mk|B |aj,mj〉 = 0 .

In der {|aj,mj〉} Basis hat B somit eine blockdiagonale Struktur

B.=

B1 0 . . . 00 B2 . . . 0· · · ·0 0 . . . Bn

,

mit Mj ×Mj-Matrizen Bj. Da B selbstadjungiert ist, stellt Bj in jedem der nUnterraume Hj einen selbstadjungierten Operator Bj dar. Damit gibt es eineneue Basis in Hj die aus Eigenvektoren zu Bj gebildet wird. Gehen wir fur jedesj = 1, 2, . . . , n von der Basis {|aj, 1〉 , |aj, 2〉 , . . . , |aj,Mj〉} von Hj zu dieser neuenBasis uber, so sind die Darstellungen von A und B in dieser Basis Diagonalma-trizen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Darstellungen von A in der neuenBasis eine Diagonalmatrix bleibt, da die diagonale Struktur unabhangig von derWahl der Basis im Unterraum Hj ist. Hat Bj im Unterraum Hj keine entartetenEigenwerte, so ist die neue Basis eindeutig gegeben. Man kann die neue Basisdann eindeutig durch die Angabe der Eigenwerte aj zu A und bk zu B als |aj, bk〉bezeichnen. In diesem Fall ergeben sich die Spektraldarstellungen

A =∑j

∑k

aj |aj, bk〉 〈aj, bk| ,

B =∑j

∑k

bk |aj, bk〉 〈aj, bk|

Page 32: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

32 KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM

und die Zerlegung der Eins

1 =∑j

∑k

|aj, bk〉 〈aj, bk| .

Hat Bj im Unterraum Hj dagegen entartete Eigenwerte, so ergibt sich ein zumin-dest zweidimensionaler Unterraum Hj,k von Vektoren, die gleichzeitig Eigenvek-toren zu A mit Eigenwert aj und B mit Eigenwert bk sind. In diesem Fall ziehenwir einen dritten selbstadjungierten Operator C hinzu, der [A,C] = [B,C] = 0erfullt. Wir konstruieren dann wie oben eine Basis in Hj,k aus Eigenvektoren zuC mit Eigenwerten cl. Sind diese in Hj,k nicht entartet, so beschreibt {|aj, bk, cl〉}eindeutig eine Basis aus Eigenvektoren zu allen drei Operatoren und es gilt

A =∑j

∑k

∑l

aj |aj, bk, cl〉 〈aj, bk, cl| ,

B =∑j

∑k

∑l

bk |aj, bk, cl〉 〈aj, bk, cl| ,

C =∑j

∑k

∑l

cl |aj, bk, cl〉 〈aj, bk, cl| ,

1 =∑j

∑k

∑l

|aj, bk, cl〉 〈aj, bk, cl| .

Reicht auch der dritte selbstadjungierte Operator zur eindeutigen Charakterisie-rung der Basis aus Eigenvektoren nicht aus, so ziehen wir entsprechend weite-re selbstadjungierte Operatoren hinzu. Ein Satz von selbstadjungierten, paar-weise kommutierenden Operatoren {A,B,C, . . .}, der eine gemeinsame Basisaus Eigenvektoren {|aj, bk, cl, . . .〉} eindeutig festlegt, heißt “vollstandiger Satzvertauschbarer (kommutierender) Operatoren”. Solche Systeme von Operatorenspielen in der Quantenmechanik eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe gelingt esphysikalische Systeme eindeutig zu charakterisieren. In einer der in den Ubungendiskutierten Situationen sind die Eigenwerte der Matrix A fur t 6= 0 nicht entartet.Da A und B hermitesche Matrizen sind und [A,B] = 0, sind die Eigenvektorenvon A (fur t 6= 0) auch Eigenvektoren von B.

Page 33: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 3

Nochmal die(Gedanken-)Experimente

Wir wollen nun den gerade rekapitulierten Formalismus dazu nutzen, die Durch-gangswahrscheinlichkeiten von Photonen durch Polarisatoren bzw. von (Silber-)Atomen durch SG-Apparaturen auf elegante Weise zu berechnen.

3.1 Wahrscheinlichkeiten, Messwerte und Ope-

ratoren

Betrachten wir dazu zunachst nocheinmal die Polarisatoren aus Kapitel 1.2. Bis-her haben wir bei der Beschreibung primar die “Wellensprache” benutzt. Gehenwir nun zu der “Photonensprache” uber, so beschreiben wir den Polarisations-zustand eines Photons durch einen ket |ψ〉 in einem zweidimensionalen unitarenRaum. Die einfallende ebene Welle entspricht einem Strahl identisch praparierterPhotonen (alle sind im Zustand |ψ〉). Die Basisvektoren des “Wellenbildes” ~e1

und ~e3 ersetzen wir durch ket’s |1〉 bzw. |3〉 mit

〈1 |1〉 = 〈3 |3〉 = 1

〈1 |3〉 = 0 .

Ein x- bzw. z-polarisiertes Photon ist dann durch den auf 1 normierten1 Vektor|ψ〉 = |1〉 bzw. |ψ〉 = |3〉 beschrieben. Ein beliebig polarisiertes Photon beschrei-ben wir durch den ebenfalls normierten Zustand |ψ〉 = ψ1 |1〉 + ψ3 |3〉, mit ψ1,ψ3 ∈ C und |〈ψ |ψ〉|2 = 1, d.h. |ψ1|2 + |ψ3|2 = 1. Da, wie im Kapitel 1.2 diskutiert,die Welle durch E1~e1 + E3~e3 beschrieben wird, muss ψi = cEi, i = 1, 3; c ∈ Cgelten. Die Normiertheit bedingt dann |c| = (|E1|2 + |E3|2)

−1/2. Bis auf einem

Faktor eiφ mit der Phase φ ∈ R ist c damit eindeutig festgelegt. Der Wert der

1Im Folgenden werden wir mit “normiert” immer auf 1 normiert meinen.

33

Page 34: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

34 KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE

Phase spielt hier keine Rolle und wir wahlen daher φ = 0.2 Damit gilt

|ψ〉 = ψ1 |1〉+ ψ3 |3〉 =E1√

|E1|2 + |E3|2|1〉+

E3√|E1|2 + |E3|2

|3〉

Aus Uberlegungen zur Energiedichte ergibt sich fur eine durch E1~e1 + E3~e3

beschriebene Lichtwelle nach einem x- bzw. z-Polarisator, dass der Bruchteil|E1/3|2/(|E1|2 + |E3|2) der Energie wieder austritt. Im Photonenbild lasst sichdiese Beobachtung wie folgt interpretieren: Die Wahrscheinlichkeit wx(|ψ〉) bzw.wz(|ψ〉), dass ein durch den Vektor (Zustand) |ψ〉 beschriebenes Photon durchden x- bzw. z-Polarisator durchtritt, ist durch |ψ1/3|2 = |E1/3|2/(|E1|2 + |E3|2)gegeben. Die Wahrscheinlichkeit ist hier uber die relative Haufigkeit bei wie-derholter Ausfuhrung desselben Durchgangsexperiment im Limes “unendlicherWiederholung” definiert. Fur einen Strahl von sehr vielen identisch praparier-ten Photonen (jedes fur sich durch den Vektor |ψ〉 beschrieben) heißt das, dassein Bruchteil |ψ1/3|2 einen x- bzw. z-Polarisator durchtritt. Formal lasst sich dieDurchgangswahrscheinlichkeit durch

wx(|ψ〉) = |〈1 |ψ〉|2 , wz(|ψ〉) = |〈3 |ψ〉|2

bestimmen. Das Skalarprodukt 〈i |ψ〉, i = 1, 3 bezeichnet man als Wahrschein-lichkeitsamplitude.

Betrachten wir zu diesem Formalismus ein Beispiel. Wie groß ist die Wahr-scheinlichkeit, dass ein in x′-Richtung (die durch Gl. (1.5) festgelegt wird) linearpolarisiertes Photon durch einen x-Polarisator tritt? Der Zustand des x′ polari-sierten Photons ist nach Gl. (1.5) durch3

|ψ〉 = |1′〉 = cosϕ |1〉+ sinϕ |3〉

gegeben. Fur die Durchgangswahrscheinlichkeit ergibt sich somit

wx(|1′〉) = |〈1 |1′〉|2 = cos2 ϕ .

In den Ubungen werden Sie weitere Beispiele dieser Art rechnen.Wir konnen mit Hilfe dieses Formalismus die Wahrscheinlichkeit |〈P |ψ〉|2

angeben, dass ein sich im normierten Polarisationszustand |ψ〉 befindliches Pho-ton4 einen durch die Angabe des normierten Zustandes |P 〉 festgelegten Polari-sator durchtritt.5 Hinter dem Polarisator befindet sich das Photon dann (wenn

2Eine analoge Freiheit der Phase wird uns noch haufiger begegnen.3Neben |1〉 und |3〉 bilden z.B. auch die Vektoren |1′〉 und |3′〉, die linear in x′ bzw. z′

polarisierten Photonen entsprechen eine Orthonormalbasis.4Zur Erinnerung: Wir konzentrieren uns bei der Beschreibung des Photons immer noch aus-

schließlich auf die Polarisation. Andere Eigenschaften des Teilchens (Ort, Impuls, . . . ) werdennicht mit angegeben.

5Die Charakterisierung des Polarisators durch |P 〉 bedeutet, dass im Zustand |ψ〉 = |P 〉praparierte Photonen den Polarisator mit Wahrscheinlichkeit 1 durchlaufen.

Page 35: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN 35

es durchgegangen ist) im (normierten) Zustand |ψ′〉 = |P 〉, denn wir wissen ja,dass es einen nachfolgenden durch das gleiche |P 〉 beschriebenen Polarisator mitWahrscheinlichkeit 1 durchlaufen wurde.6 Der Ausdruck fur die “Ubergangswahr-scheinlichkeit” |〈. . . |. . .〉|2 wird sich als eines der zentralen Postulate der Quan-tenmechanik herausstellen. Wie im Fall der Beugung am Doppelspalt konnenwir erneut nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage uber den Ausgang eines Expe-rimentes treffen und das, obwohl uns der Anfangspolarisationszustand |ψ〉 desPhotons bekannt war. Wir konnen hier bereits verstehen, welche Eigenschaft imFall der Polarisation von Photonen (der Polarisation einer Lichtwelle) zu diesemstatistischen Verhalten fuhrt. Die Lichtwelle wird durch einen zweidimensionalenPolarisationsvektor beschrieben. Das heißt, dass die Welle sich allgemein in einemPolarisationszustand befindet, der durch eine Linearkombination der zwei Basis-vektoren beschrieben wird. In der “Teilchensprache” wird eine Lichtwelle durcheinen Strahl identisch praparierter Photonen gebildet. Um die Polarisationsex-perimente in der “Teilchensprache” erklaren zu konnen, muss sich somit jedesindividuelle Photon in einem Zustand befinden, der eine Linearkombination ist.7

In der {|1〉 , |3〉} Basis heißt das, dass ein durch den eindeutig festgelegten Zu-stand8 |ψ〉 = ψ1 |1〉+ ψ3 |3〉 beschriebenes Photon weder x noch z polarisiert ist.Diese Eigenschaft lauft unserer Erfahrung mit klassischen Teilchen vollig zuwider.

Wir kommen nun auf das Stern-Gerlach Experiment zuruck. Unserer Einsichtaus Kapitel 1.2 folgend, ordnen wir dem (Silber-)Atom eine innere Eigenschaft zu(analog der Polarisation), die durch einen zweidimensionalen Vektor beschriebenwird und ein magnetisches Moment ~µ bedingt. Wir ersetzen also |1〉 → |~e3,+〉und |3〉 → |~e3,−〉, bzw. allgemein |1′〉 → |~n,+〉 und |3′〉 → |~n,−〉, mit einemEinheitsvektor ~n, der die Richtung der Strahlaufspaltung im Stern-Gerlach Ex-periment festlegt. Bezuglich der uns unbekannten Eigenschaft wird das Atomdann durch einen normierten Zustand |ψ〉 = ψ+ |~n,+〉 + ψ− |~n,−〉 mit ψ± ∈ Cund |ψ+|2 + |ψ−|2 = 1 beschrieben. Das Experiment zeigt, dass die Energie −~µ · ~Bim Magnetfeld ~B = B~n nur zwei diskrete Werte ∓µ0B annehmen kann. Wir wer-den jetzt versuchen, die Energieaufspaltung mit Hilfe eines linearen Operatorsauf dem zweidimensionalen unitaren Raum zu beschreiben, der auf |ψ〉 wirkt. Da

dabei das Magnetfeld ~B weiterhin klassisch beschrieben werden soll, muss das,das Atom charakterisierende magnetische Moment ~µ zu einem Operator werden.

6Beachten Sie, dass es sich bei den Apparaturen in einigen der Ubungsaufgaben nicht umPolarisatoren in diesem Sinne handelt. Durch Polarisatoren im obigen Sinne wird eine spezifischePolarisation gemessen, was in den Apparaturen aus gewissen Ubungsaufgaben nicht geschieht.

7Wir haben hier naturlich nicht “bewiesen”, dass es zur Erklarung der Polarisationsexperi-mente in der “Teilchensprache” “nur” diese Moglichkeit der Beschreibung gibt.

8Wir wollen nocheinmal betonen, dass die Tatsache, dass wir nur Wahrscheinlichkeitsaussa-gen treffen konnen, nichts damit zu tun hat, dass wir, wie in der statistischen Mechanik, dierelevante Eigenschaft des Teilchens aufgrund ungenugender Informationen nicht genau kennen.Durch die Angabe von |ψ〉 sind die im betrachteten Experiment relevanten Eigenschaften desPhotons eindeutig festgelegt.

Page 36: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

36 KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE

Genauer heißt das, dass die Komponenten µi des dreidimensionalen Vektors ~µ zuOperatoren werden mussen.9 Bevor wir diese Operatoren explizit konstruieren,spalten wir den Faktor µ0 ab: ~µ = µ0~σ. Die Energie im Stern-Gerlach Experimentwird damit durch den Operator

H := −µ0B(σ1n1 + σ2n2 + σ3n3) =: −µ0Bσ~n (3.1)

beschrieben. In Anlehnung an die, die Energie eines klassischen Teilchens be-schreibende Hamiltonfunktion nennt man diesen Operator den Hamiltonopera-tor H. Die Operatoren σi auf dem zweidimensionalen Zustandsraum mussen wirnoch genauer spezifizieren. Als einen Schritt hin zu einer Charakterisierung for-dern wir, dass die Basiszustande |~n,±〉 Eigenzustande zu σ~n = σ1n1 +σ2n2 +σ3n3

mit Eigenwert ±1 sind

σ~n |~n,±〉 = ± |~n,±〉 .

Speziell gilt σi |~ei,±〉 = ± |~ei,±〉. Damit folgt

H |~n,±〉 = ∓µ0B |~n,±〉

und es ergibt sich die “Quantisierung” der Energie, wie sie sich in der Aufspal-tung des Atomstrahls manifestiert. Die moglichen Messwerte der Energie ∓µ0Bim Stern-Gerlach Experiment sind durch die Eigenwerte des Hamiltonoperatorsgegeben. Messen wir fur ein Atom (in einem stark verdunnten Strahl) die Energie−µ0B, d.h. befindet sich das Atom hinter der SG-Apparatur im oberen Strahl, soist es nach der Energiemessung (dem Durchgang durch die Apparatur) durch denZustand |ψ〉 = |~n,+〉 beschrieben. Letzteres wird dadurch offensichtlich, dass wirbei einer sofort nach der ersten Energiemessung erfolgenden zweiten Messung mitSicherheit −µ0B messen. Gleiches gilt bei der Messung von µ0B fur den Zustand|~n,−〉. Die Spektraldarstellung des Operators σ~n ergibt sich zu

σ~n = |~n,+〉 〈~n,+| − |~n,−〉 〈~n,−| , (3.2)

woraus fur den Hamiltonoperator

H = −µ0B (|~n,+〉 〈~n,+| − |~n,−〉 〈~n,−|) (3.3)

folgt. Mit Hilfe von Gl. (3.2) sieht man leicht, dass σ†~n = σ~n, σ~n also selbstadjun-giert ist. Aus Gl. (3.1) folgt das auch der Hamiltonoperator H selbstadjungiertist.

9In der folgenden Konstruktion, durfen die Vektoren im dreidimensionalen euklidischenRaum ~B, ~n und ~µ, nicht mit den zweidimensionalen Vektoren in dem die Eigenschaft desAtoms beschreibenden Zustandsraum verwechselt werden. Die Gefahr der Verwechslung wirddadurch gesteigert, dass die Komponenten µi des dreidimensionalen Vektors ~µ zu Operatorenwerden, die auf dem zweidimensionalen Zustandsraum operieren. ~µ ist ein operatorwertigerVektor (oder Vektoroperator).

Page 37: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN 37

Die gerade gemachten Beobachtungen sind allgemeingultige Prinzipien derQuantenmechanik. Die moglichen Messwerte der Energie eines Quantensystemssind die Eigenwerte eines selbstadjungierten Hamiltonoperators, den man nach ei-ner noch zu diskutierenden Vorschrift aus der Hamiltonfunktion des aquivalentenklassischen Problems gewinnt. Einen ersten Eindruck von dieser Konstruktions-vorschrift liefert das Beispiel des Stern-Gerlach Experiments. Nach einer Ener-giemessung, die den Energieeigenwert En geliefert hat, befindet sich das Quan-tensystem im normierten Eigenzustand |En〉 zu diesem Eigenwert.10

m m

x x21

Abbildung 3.1: Ein Beispiel aus der klassischen Mechanik: Das Problem gekop-pelter Massen.

Der Hamiltonoperator H legt uber seine Eigenwerte nicht nur die moglichenMesswerte der Energie fest, sondern bestimmt - ahnlich wie die Hamiltonfunk-tion in der klassischen Mechanik (Hamiltonsche Gleichungen) - auch die Dyna-mik des mit dem magnetischen Moment verbundenen (uns bisher unbekannten)Freiheitsgrad des (Silber-)Atoms.11 Von dieser Dynamik, d.h. der von einem An-fangszustand ausgehenden zeitlichen Entwicklung, haben wir bisher noch nichtgesprochen, da sie zum Verstandnis des Ausgangs des Stern-Gerlach Experimentsnicht relevant ist. In ihm messen wir nur die moglichen Energieeigenwerte. Wirwollen die Form der Bewegungsgleichung der Quantenmechanik durch ein Bei-spiel aus der klassischen Mechanik motivieren. Betrachten wir das in Abbildung3.1 dargestellte mechanische System. Zwei Korper gleicher Masse m sind uber Fe-dern gleicher Federkonstante k gekoppelt und mit den Wanden verbunden. DieAuslenkung aus der Ruhelage ist durch x1 und x2 bezeichnet. Die Bewegungs-gleichungen fur die xj ergeben sich zu

d2

dt2x1(t) = −2k

mx1(t) +

k

mx2(t)

d2

dt2x2(t) =

k

mx1(t)− 2k

mx2(t)

10Ist der Eigenwert entartet, so liegt der Zustand nach der Messung im Unterraum zumEigenwert En.

11Wie gerade beim Photon, konzentrieren wir uns bisher bei der Beschreibung der Eigen-schaften des (Silber-)Atoms auf den in einem zweidimensionalen Vektorraum beschreibbarenFreiheitsgrad. Uber andere das Atom beschreibende Eigenschaften, wie den Ort oder den Impulsmachen wir hier (noch) keine Aussagen.

Page 38: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

38 KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE

bzw. in Matrixschreibweise

d2

dt2

(x1(t)x2(t)

)=

(−2k

mkm

km

−2km

)(x1(t)x2(t)

).

Die Matrix auf der rechten Seite ist hermitesch, stellt also einen selbstadjungiertenOperator auf einem zweidimensionalen Vektorraum dar und der Losungsvektorist ein Element dieses Raums.12 In der Mechanik Vorlesung haben Sie gelernt,wie Sie Probleme dieser Art losen. Ein sehr wichtiger Schritt dabei, ist Berech-nung der Eigenwerte und Eigenvektoren der Matrix auf der rechten Seite, die zueiner Bestimmung der Eigenmoden fuhrt. Mit Hilfe der Eigenmoden lasst sichdas Differentialgleichungssytem unter Berucksichtigung der Anfangsbedingungeneinfach losen. In Analogie zu dieser Bewegungsgleichung, ist die Dynamik eineszur Zeit t durch den Zustand |ψ(t)〉 beschriebenen Quantensystems durch dieDifferentialgleichung

i~d

dt|ψ(t)〉 = H |ψ(t)〉 (3.4)

bestimmt. Das Problem besteht also darin mit Hilfe von Gl. (3.4) |ψ(t)〉 aus ei-nem vorgegebenen |ψ(0)〉 zu bestimmen. Legt man eine Basis fest, in unseremBeispiel z.B. die {|~e3,±〉} Basis, gilt es die zeitabhangigen Koeffizienten ψ±(t)der Entwicklung |ψ(t)〉 = ψ+(t) |~e3,+〉 + ψ−(t) |~e3,−〉 aus den ψ±(0) zu berech-nen. Wie im obigen Beispiel der klassischen Mechanik, ist die Zeit t bezuglichder Vektoreigenschaften von |ψ(t)〉 ein Parameter, im Allgemeinen gilt also furt1 6= t2, dass |ψ(t1)〉 6= |ψ(t2)〉. Ein entscheidender Unterschied zwischen der obi-gen Newtongleichung und der Schrodingergleichung (3.4) besteht darin, dass manin letzterer den Vektor auf der linken Seite nur einmal nach der Zeit differenziert.Daher besteht die Anfangsbedingung auch nur aus den vorgegeben ψ±(0). Imobigen klassischen Problem mussen neben den Anfangsauslenkungen auch dieGeschwindigkeiten vorgegeben werden, da es sich um ein Differentialgleichungs-system zweiter Ordnung handelt. Bei der Losung der Differentialgleichung (3.4)spielt die Bestimmung der Eigenwerte und Eigenvektoren eine ahnlich wichtigeRolle, wie im obigen klassischen Beispiel.

Die Gultigkeit der die Dynamik beschreibenden Schrodingergleichung (3.4) istnicht auf unser Beispiel des magnetischen Moments in einem inhomogenen Ma-gnetfeld beschrankt. Die Dynamik jedes Quantensystems wird durch die Schrodin-gergleichung gegeben, wobei der Hamiltonoperator, wie oben angedeutet, durcheine Konstruktionsvorschrift aus der Hamiltonfunktion des aquivalenten klassi-schen Problems bestimmt wird. Es ist verstandlich, wenn Ihnen die Schrodin-gergleichung etwas “vom Himmel zu fallen” scheint. Dieser Eindruck lasst sichjedoch in keinem mir bekannten Beispiel zur Motivation der Gleichung vermei-den. Nach diesem Ausflug in die Dynamik von Quantensystemen, kehren wir zu

12Der Vektorraum ist hier ein reeller.

Page 39: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN 39

unserem eigentlich Problem zuruck, den Ausgang des Stern-Gerlach Experimentszu beschreiben bzw. “zu verstehen”.

Wir verwenden als nachstes die Spektraldarstellung Gl. (3.2) um σ2~n zu be-

rechnen

σ2~n = (|~n,+〉 〈~n,+| − |~n,−〉 〈~n,−|) (|~n,+〉 〈~n,+| − |~n,−〉 〈~n,−|)

= |~n,+〉 〈~n,+|+ |~n,−〉 〈~n,−|= 1 .

Bestimmt man dagegen σ2~n mit Hilfe von σ~n = σ1n1 +σ2n2 +σ3n3 so ergibt sich13

σ2~n = σ2

1n21 + σ2

2n22 + σ2

3n23

+ (σ1σ2 + σ2σ1)n1n2 + (σ1σ3 + σ3σ1)n1n3 + (σ2σ3 + σ3σ2)n2n3 .

Damit die rechte Seite dieser Gleichung fur jeden beliebigen Einheitsvektor ~ngleich 1 ist, muss

σiσj + σjσi = 2δi,j1 (3.5)

gelten. Da die Eigenwerte der σi fur i = 1, 2, 3 gleich ±1 sind, folgt

Sp σi = 0 . (3.6)

Mit Hilfe der gerade gewonnenen Eigenschaften werden wir nun eine Ma-trixdarstellung der σi konstruieren. Wir wahlen dabei die Darstellung bezuglichder {|~e3,+〉 , |~e3,−〉} Basis. Damit ergibt sich sofort

σ3.=

(1 00 −1

).

Aus σ†j = σj und Sp σj = 0 ergibt sich fur j = 1, 2 die Darstellung

σj.=

(aj bjb∗j −aj

),

mit aj, bj ∈ C. Benutzen wir zusatzlich, dass σjσ3 + σ3σj = 0, d.h.(aj bjb∗j −aj

)(1 00 −1

)+

(1 00 −1

)(aj bjb∗j −aj

)=

(2aj 00 2aj

)=

(0 00 0

)so folgt aj = 0. Analog folgt aus σ2

j = 1(0 bjb∗j 0

)(0 bjb∗j 0

)=

(|bj|2 0

0 |bj|2)

=

(1 00 1

)13Da die σi Operatoren sind, mussen wir davon ausgehen, dass σiσj 6= σjσi gilt.

Page 40: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

40 KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE

und damit |bj|2 = 1, also bj = eiαj mit αj ∈ R. Verwenden wir abschließend nochσ1σ2 + σ2σ1 = 0, d.h.(

0 eiα1

e−iα1 0

)(0 eiα2

e−iα2 0

)+

(0 eiα2

e−iα2 0

)(0 eiα1

e−iα1 0

)=

(2 cos (α1 − α2) 0

0 2 cos (α1 − α2)

)=

(0 00 0

),

so ergibt sich α1 − α2 = π/2 + nπ, n ∈ Z. Damit ist auch die Phasendifferenzα1 − α2 festgelegt. Wir wahlen dann α1 = 0, so dass eiα2 = ∓i folgt. In einemletzten Schritt legen wir eiα2 = −i fest. Fur die {|~e3,+〉 , |~e3,−〉} Darstellung derσj ergibt sich so

σ1.=

(0 11 0

), σ2

.=

(0 −ii 0

), σ3

.=

(1 00 −1

). (3.7)

Man nennt diese Matrizen die Pauli-Spinmatrizen.14 Fur ein allgemeines ~n =sin θ cosϕ~e1 + sin θ sinϕ~e2 + cos θ ~e3 ergibt sich

σ~n = ~σ · ~n .=

(cos θ e−iϕ sin θeiϕ sin θ − cos θ

). (3.8)

In den Ubungen haben Sie die Darstellung der Eigenvektoren |~n,±〉 zu σ~n in der{|~e3,+〉 , |~e3,−〉} Basis

|~n,+〉 .=(

cos (θ/2)eiϕ sin (θ/2)

), |~n,−〉 .=

(− sin (θ/2)eiϕ cos (θ/2)

)(3.9)

bestimmt. Basisunabhangig gilt

|~n,+〉 = cos (θ/2) |~e3,+〉+ eiϕ sin (θ/2) |~e3,−〉|~n,−〉 = − sin (θ/2) |~e3,+〉+ eiϕ cos (θ/2) |~e3,−〉 ,

(3.10)

sowie

σ1 = |~e3,+〉 〈~e3,−|+ |~e3,−〉 〈~e3,+|σ2 = −i |~e3,+〉 〈~e3,−|+ i |~e3,−〉 〈~e3,+|σ3 = |~e3,+〉 〈~e3,+| − |~e3,−〉 〈~e3,−| .

(3.11)

Analog zum Experiment mit polarisiertem Licht konnen wir nun die Durch-gangswahrscheinlichkeit

w~n,±(|ψ〉) = |〈~n,± |ψ〉|2 (3.12)

14Die Bedeutung des Wortes “Spin” wird spater klar werden.

Page 41: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN 41

eines durch einen normierten Vektor |ψ〉 = ψ+ |~e3,+〉+ ψ− |~e3,−〉, mit ψ+, ψ− ∈C beschriebenen (Silber-)Atoms durch eine durch |~n,±〉 charakterisierte SG-Apparatur berechnen.15 Betrachten wir dazu ein Beispiel. Wir schicken die Atomeerst durch einen durch |~e3,+〉 charakterisierten SG-Apparat. Hinter diesem sindalle Atome des Strahls im Zustand |~e3,+〉. Wir schicken sie dann auf einen Ap-parat der in ~n-Richtung aufspaltet und fragen, wie groß die Wahrscheinlichkeitist, ein Atom im ~n,+ bzw. ~n,− Strahl zu finden. Nach unserer Rechenvorschriftergibt sich

w~n,+(|~e3,+〉) = |〈~n,+ |~e3,+〉|2

=∣∣[cos (θ/2) 〈~e3,+|+ e−iϕ sin (θ/2) 〈~e3,−|

]|~e3,+〉

∣∣2= cos2 (θ/2) ,

bzw.

w~n,−(|~e3,+〉) = |〈~n,− |~e3,+〉|2

=∣∣[− sin (θ/2) 〈~e3,+|+ e−iϕ cos (θ/2) 〈~e3,−|

]|~e3,+〉

∣∣2= sin2 (θ/2) .

Wie zu fordern ist, ergibt sich w~n,+(|~e3,+〉) + w~n,−(|~e3,+〉) = 1, da das Atomin einem der beiden Strahlen sein muss. Nach dem Durchgang befindet sich dasAtom dann im Zustand |~n,+〉, wenn es in +~n-Richtung abgelenkt wurde und imZustand |n,−〉 im Fall der Ablenkung in −~n-Richtung. In den Ubungen werdenSie als weiteres Beispiel die Durchgangswahrscheinlichkeiten der Abfolge von SG-Apparaturen aus Abbildung 1.14 berechnen.

Fur uns bleibt immer noch unklar, welche physikalischen Eigenschaft des Sil-beratoms wir mit Hilfe der Vektoren in einem zweidimensionalen unitaren Raumbeschreiben. Um dieses zu ergrunden betrachten wir den Kommutator der Opera-toren σj. In der Matrixdarstellung bezuglich der {|~e3,+〉 , |~e3,−〉} Basis haben Siedie Kommutatoren der σj bereits in den Ubungen bestimmt. Wir werden daherhier darstellungsunabhangig rechnen. Als Beispiel betrachten wir

[σ1, σ2] = (|~e3,+〉 〈~e3,−|+ |~e3,−〉 〈~e3,+|) (−i |~e3,+〉 〈~e3,−|+ i |~e3,−〉 〈~e3,+|)− (−i |~e3,+〉 〈~e3,−|+ i |~e3,−〉 〈~e3,+|) (|~e3,+〉 〈~e3,−|+ |~e3,−〉 〈~e3,+|)

= 2i (|~e3,+〉 〈~e3,+| − |~e3,−〉 〈~e3,−|)= 2iσ3 .

Vollig analog finden wir

[σ1, σ3] = −2iσ2 , [σ2, σ3] = 2iσ1 .

15|~n,+〉 bedeutet, dass der Strahl in die ~n-Richtung aufgespalten wird und der ~n,− Strahlnach der SG-Apparatur blockiert wird. Analog fur |~n,−〉.

Page 42: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

42 KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE

Diese Kommutatorrelationen lassen sich mit Hilfe des totalantisymmetrischen ε-Symbols εi,j,k, mit ε1,2,3 = ε2,3,1 = ε3,1,2 = 1, ε3,2,1 = ε2,1,3 = ε1,3,2 = −1 und furalle anderen Kombinationen von i, j, k ∈ {1, 2, 3}, εi,j,k = 0, kompakt schreiben

[σi, σj] = 2 i εi,j,k σk , (3.13)

wobei zusatzlich die Einsteinsche Summationskonvention benutzt wird. Diese Re-lation sollte Sie an die Poissonklammern von Komponenten des Drehimpulsvek-tors in der klassischen Mechanik erinnern. Definieren wir den operatorwertigenVektor (Vektoroperator)

~s :=~2~σ , (3.14)

so ergibt sich aus Gl. (3.13)

[si, sj] = i ~ εi,j,k sk . (3.15)

Bis auf den Faktor i~ entspricht diese Relation exakt den Poissonklammern vonKomponenten des klassischen Drehimpulsvektors. Diese Beobachtung suggeriert,dass es sich bei der uns noch unbekannten Eigenschaft des Silberatoms um eine“drehimpulsahnliche” Große handelt, die das entsprechende magnetische Momentnach sich zieht. Sie hangt mit der Summe der Spins (oder Eigendrehimpulse) derElektronen des Atoms zusammen.16 Der Name Eigendrehimpuls stammt vomklassischen Bild, dass ein magnetisches Moment durch eine rotierende Ladungs-verteilung zustande kommt. Diese Bild ist jedoch inkorrekt, da auch ungeladeneTeilchen einen Spin besitzen konnen. Strikt gesprochen besitzt der quantenme-chanische Spinfreiheitsgrad kein klassisches Analogon. Wir werden lernen, dassder Spin des Silberatoms tatsachlich vom Spin eines der 47 Elektronen stammt.Daher bezeichnet man den soeben konstruierten Operator ~s auch als Spinoperatordes Elektrons. Wie die σi sind die si selbstadjungiert. Die moglichen Messwerteder Komponenten des Elektronenspinoperators sind wie beim Hamiltonoperatordie zugehorigen Eigenwerte, die sich hier zu ±~/2 ergeben.

Es ist kein Zufall, dass sowohl Poissonklammern der klassischen Mechanik alsauch Kommutatoren der Quantenmechanik oft mit [. . . , . . .] bezeichnet werden.Auf die gerade benutzte Korrespondenz von Poissonklammern der klassischenMechanik und Kommutatorrelationen der Quantenmechanik werden wir nochhaufiger zuruck kommen.

3.2 Weitere Konzepte der Statistik

Anhand des Stern-Gerlach Versuchs wollen wir noch weitere grundlegende Kon-zepte der Quantenmechanik erlautern. Wir haben bereits gesehen, dass die mogli-chen Messwerte der Energie durch die Eigenwerte ∓µ0B des Hamiltonoperators

16Der Spin des Atomkerns kann hier vernachlassigt werden, da grob gesprochenµElek.

0 /µKern0 ∼ mKern/mElek..

Page 43: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

3.2. WEITERE KONZEPTE DER STATISTIK 43

gegeben sind. Schicken wir also einzelne Atome (verdunnter Strahl) die durchden normierten Zustand |ψ〉 6= |~n,±〉 charakterisiert sind durch einen durch ~nbeschriebenen SG-Apparat, so messen wir beide moglichen Eigenwerte - andersausgedruckt, es wird sowohl Atome geben, die in ~n-Richtung abgelenkt werdenals auch welche, die nach −~n gehen. Wir konnen dann den Erwartungswert oderMittelwert einer Messreihe definieren. Der Erwartungswert der Energie in einemExperiment mit einem ~n SG-Apparat und identisch praparierten Atomen, diedurch den normierten Zustand |ψ〉 beschrieben werden, ist

〈H〉|ψ〉 := −µ0B w~n,+(|ψ〉) + µ0B w~n,−(|ψ〉)= −µ0B (〈ψ| ~n,+〉 〈~n,+| ψ〉 − 〈ψ| ~n,−〉 〈~n,−| ψ〉)= 〈ψ|H |ψ〉 , (3.16)

wobei wir im Ubergang von der ersten auf die zweite Zeile Gl. (3.12) und imUbergang von der zweite auf die dritte Gl. (3.3) verwendet haben. Die Varianz (imZustand |ψ〉) ist definiert als der Erwartungswert der quadratischen Abweichungvom Mittelwert

Var |ψ〉 (H) :=(−µ0B − 〈H〉|ψ〉

)2

w~n,+(|ψ〉) +(µ0B − 〈H〉|ψ〉

)2

w~n,−(|ψ〉)

=⟨H2⟩|ψ〉 − 〈H〉

2|ψ〉

= 〈ψ|H2 |ψ〉 − 〈ψ|H |ψ〉2

= 〈ψ| (H − 〈ψ|H |ψ〉)2 |ψ〉 . (3.17)

Die Wurzel der Varianz bezeichnet man als Standardabweichung oder Unscharfe

∆|ψ〉(H) :=√

Var |ψ〉 (H) . (3.18)

Beispiele zum Erwartungswert, der Varianz und der Unscharfe werden sie in denUbungen rechnen. In der Quantenmechanik wird jede physikalische Observable(Messgroße) durch einen selbstadjungierten Operator A beschrieben. Der Erwar-tungswert, die Varianz und die Unscharfe in einem das betrachtete System be-schreibenden Zustand (Vektor) |ψ〉 sind dann analog definiert wenn H durch denallgemeinen selbstadjungierten Operator A ersetzt wird.17 Um moglichen Miss-verstandnissen vorzubeugen, wollen wir nocheinmal betonen, dass in einem Ex-periment an einem einzelnen quantenmechanischen Teilchen (System) das durchden Zustand |ψ〉 beschrieben wird, bei einer Messung immer ein eindeutiger Wertgemessen wird. Der statistisch Aspekt wird erst bei wiederholter Ausfuhrung desselben Experimentes mit identisch praparierten Teilchen (Systemen) offensicht-lich. Selbstverstandlich werden wir im Laufe der Vorlesung auf diesen Aspektnoch sehr viel genauer eingehen.

17Im Allgemeinen hat der dieser Beschreibung zugrunde liegende Vektorraum eine Dimensiongroßer als zwei.

Page 44: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

44 KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE

Die Heisenbergsche Unscharferelation ist eine Konsequenz des Formalismusder Quantenmechanik von der Sie sicherlich schon einmal gehort haben. Im Falleines endlichdimensionalen unitaren Raums konnen wir sie bereits jetzt herleitenund verstehen. Wir werden im ersten Schritt (zur Auffrischung) die SchwarzscheUngleichung beweisen. Betrachten wir dazu zwei Zustande |ψ〉 und |ϕ〉 die nichtgleich dem Nullvektor sind. Den Zustand |χ〉 definieren wir als |χ〉 := |ψ〉 −〈ϕ |ψ〉 |ϕ〉 / 〈ϕ |ϕ〉. Damit gilt 〈ϕ |χ〉 = 0, so dass

〈ψ |ψ〉 =|〈ψ |ϕ〉|2

|〈ϕ |ϕ〉|2〈ϕ |ϕ〉+ 〈χ |χ〉 ≥ |〈ψ |ϕ〉|

2

〈ϕ |ϕ〉.

Die Schwarze Ungleichung

〈ψ |ψ〉 〈ϕ |ϕ〉 ≥ |〈ψ |ϕ〉|2 (3.19)

folgt durch einfaches Umformen. Gleichheit gilt offensichtlich fur 〈χ |χ〉 = 0, d.h.wenn |χ〉 der Nullvektor ist. Damit sind dann aber |ψ〉 und |ϕ〉 linear abhangig.Um mit Hilfe der Schwarzen Ungleichung die Heisenbergsche Unscharferelation(in ihrer endlichdimensionalen Variante) zu beweisen, betrachten wir zwei selbst-adjungierte Operatoren A und B auf einem N -dimensionalen unitaren Raum.Wir nehmen an, dass A und B nicht kommutieren (vertauschen), d.h. [A,B] 6= 0.Wir definieren18

|ϕA〉 := (A− 〈ϕ|A |ϕ〉) |ϕ〉 =: δA |ϕ〉|ϕB〉 := (B − 〈ϕ|B |ϕ〉) |ϕ〉 =: δB |ϕ〉 .

Nach Gl. (3.17) gilt 〈ϕA |ϕA〉 = Var |ϕ〉 (A) und analog fur B. Es gilt

|〈ϕA |ϕB〉|2 = (Re 〈ϕA |ϕB〉)2 + (Im 〈ϕA |ϕB〉)2 ,

sowie

Im 〈ϕA |ϕB〉 =1

2i(〈ϕ| δAδB |ϕ〉 − 〈ϕ| δAδB |ϕ〉∗)

=1

2i

(〈ϕ| δAδB |ϕ〉 − 〈ϕ| (δAδB)† |ϕ〉

)=

1

2i

(〈ϕ| δAδB |ϕ〉 − 〈ϕ|

(δB†δA†

)|ϕ〉)

=1

2i(〈ϕ| δAδB |ϕ〉 − 〈ϕ| (δBδA) |ϕ〉)

=1

2i〈ϕ| [δA, δB] |ϕ〉

=1

2i〈ϕ| [A,B] |ϕ〉

18In der Definition mussten wir eigentlich A − 〈ϕ|A |ϕ〉1 schreiben, damit auch der zweiteSummand als Operator zu erkennen ist. Wir werden jedoch im Folgenden den 1-Operatorweglassen, wenn aus dem Kontext klar wird, dass es sich bei dem betrachteten Ausdruck umeine komplexe Zahl mal dem 1-Operator handelt.

Page 45: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

3.2. WEITERE KONZEPTE DER STATISTIK 45

und

Re 〈ϕA |ϕB〉 =1

2(〈ϕ| δAδB |ϕ〉+ 〈ϕ| δAδB |ϕ〉∗)

=1

2

[〈ϕ|(A− 〈A〉|ϕ〉

)(B− 〈B〉|ϕ〉

)+(B− 〈B〉|ϕ〉

)(A− 〈A〉|ϕ〉

)|ϕ〉]

=1

2〈ϕ| {A,B} |ϕ〉 − 〈A〉|ϕ〉 〈B〉|ϕ〉 .

Dabei haben wir den Antikommutator

{A,B} := AB + BA (3.20)

eingefuhrt. Mit Hilfe von Gl. (3.19) ergibt sich dann

Var |ϕ〉 (A) Var |ϕ〉 (B) ≥ 1

4|〈ϕ| [A,B] |ϕ〉|2 +

(1

2〈ϕ| {A,B} |ϕ〉 − 〈A〉|ϕ〉 〈B〉|ϕ〉

)2

und nach weglassen des zweiten Terms und Wurzelziehen folgt die HeisenbergscheUnscharferelation

∆|ϕ〉(A) ∆|ϕ〉(B) ≥ 1

2|〈ϕ| [A,B] |ϕ〉| . (3.21)

Um Gl. (3.21) einen physikalischen Sinn zu geben, nehmen wir an, dass A undB zwei Observable beschreibende Operatoren sind, die nicht kommutieren, alsoz.B. die x- und die y-Komponenten des Elektronenspins (siehe Gl. (3.15)). Messenwir nun an vielen identischen, durch |ϕ〉 beschriebenen Systemen, jeweils die zuA und B gehorenden Observablen, so ist das Produkt der Unscharfen in diesenMessungen großer gleich der Halfte des Erwartungswertes des Kommutators imZustand |ϕ〉.19 Da der Kommutator nicht verschwindet, heißt das, dass die zu Aund B gehorenden Observablen im Zustand |ϕ〉 nicht gleichzeitig (d.h. im gleichenZustand) scharf20 gemessen werden konnen. Fur unser Beispiel bedeutet das imFall |ϕ〉 = |~n,+〉

∆|~n,+〉(s1)∆|~n,+〉(s2) ≥ ~2|〈~n,+| s3 |~n,+〉| =

~2

4|〈~n,+|σ3 |~n,+〉| =

~2

4|cos θ| ,

wobei wir im letzten Schritt Gln. (3.10) und (3.11) verwendet haben. Um indiesem Beispiel fur den speziellen Fall θ = π/2 eine nicht-triviale Aussage zu be-kommen, darf man den zweiten Term (siehe die Gleichung vor Gl. (3.21)) bei der

19Damit Gl. (3.21) angewandt werden kann, muss die Messung der zu A und B gehorendenObservablen im gleichen Zustand |ϕ〉 vorgenommen werden.

20“Scharf” heißt hier, dass ∆|ϕ〉(A) = 0 und analog fur B.

Page 46: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

46 KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE

Herleitung nicht vernachlassigen. Werden die zu A und B gehorenden Observa-blen kurz hintereinander am selben System gemessen, so ergibt sich eine andereSituation, da sich das System vor der ersten Messung im Zustand |ϕ〉 befindetnach dieser jedoch in einem der normierten Eigenzustande |aν〉 von A.21 Das Pro-dukt der Unscharfen ist bei hintereinander folgender Messungen nicht bezuglichdes gleichen Zustandes zu bilden.

Fassen wir kurz zusammen, was wir bereits uber die Quantenmechanik gelernthaben:

• Ein Teilchen, oder allgemeiner ein System, wird durch einen normiertenVektor bzw. Zustand |ψ〉 in einem komplexen Vektorraum H (bisher, einemendlichdimensionalen Vektorraum) beschrieben.

• Observable werden durch lineare, selbstadjungierte Operatoren A aufH be-schrieben. Die moglichen Messwerte sind die (reellen) Eigenwerte λν . Nachder Messung befindet sich das Teilchen, bzw. das System, im normiertenZustand |ψ〉 = |aν〉, wobei |aν〉 der Eigenzustand zum Messwert λν ist.

• Die Wahrscheinlichkeit wλν (|ψ〉) im Zustand |ψ〉 bei einer Messung der zuA gehorenden Observablen den Eigenwert λν zu messen ist durch |〈aν |ψ〉|2gegeben.

• Der Erwartungswert bei wiederholter Ausfuhrung der Messung an identischpraparierten Teilchen, bzw. Systemen, (d.h. alle befinden sich im Zustand|ψ〉) ist durch 〈A〉|ψ〉 = 〈ψ|A |ψ〉 bestimmt. Die Unscharfe durch ∆|ψ〉(A) =√〈ψ|A2 |ψ〉 − 〈ψ|A |ψ〉2.

• Bei wiederholter Messung der zu A und B gehorenden Observablen imZustand |ψ〉 gilt die Heisenbergsche Unscharferelation ∆|ψ〉(A) ∆|ψ〉(B) ≥12|〈ψ| [A,B] |ψ〉|.

• Der zur Energie gehorende Operator ist der Hamiltonoperator H, der sichaus der Hamiltonfunktion des aquivalenten klassischen Problems ergibt.

• Die Dynamik eines Quantensystems ergibt sich aus der Schrodingerglei-chung i~ d

dt|ψ(t)〉 = H |ψ(t)〉 unter Berucksichtigung der vorgegebenen An-

fangsbedingung |ψ(0)〉

21In dem Eigenzustand zu dem gemessenen Eigenwert λν .

Page 47: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 4

Wellenpakete undSchrodingergleichung

Um die im Kapitel 1.1 diskutierten experimentell beobachteten Interferenzef-fekte bei Experimenten mit Objekten, die man gemeinhin als Teilchen auffasst,also Elektronen, Neutronen, Atomen und Molekulen besser zu verstehen, wol-len wir uns zunachst nocheinmal mit der Beschreibung von Licht bzw. Photonenbeschaftigen. Wie bereits angesprochen hat ein Photon die Energie E = ~ω (Pho-toeffekt), wenn die Kreisfrequenz (die man oft auch einfach als Frequenz bezeich-net) ω des (monochromatischen) Lichts vorgegeben ist. Der Betrag des Impulsesdes Photons ist durch p = ~k = h/λ mit der Wellenlange λ > 0 bzw. der Wellen-zahl k > 0 verknupft. Der Impuls eines Photons zeigt sich z.B. im Comptoneffekt(siehe z.B. Haken und Wolf, Atom- und Quantenphysik, Springer-Verlag). Um dieImpulsbilanz bei der Streuung von Licht (Photonen) an Elektronen zu verstehen,muss man dem Photon einen entsprechenden Impuls zu schreiben. Da die Bewe-gungsrichtung des Photons der Ausbreitungsrichtung der Lichtwelle entspricht,konnen wir zusatzlich die Vektorrelation ~p = ~~k, mit dem Wellenvektor ~k (es

gilt k = |~k|) angeben. Fur eine (monochromatische) Lichtwelle im Vakuum1 giltdie Ihnen bekannte Beziehung λν = c, mit der Lichtgeschwindigkeit c und derFrequenz ν. Aus ihr ergibt sich ω = ck. Damit konnen wir die Energie ~ω = E~pals Funktion des Impulses auffassen: E~p = ~ck = cp. Wir konnen so eine sich in~k/k-Richtung ausbreitende monochromatische, ebene Welle2

~E(~r, t) = ~Eei(~k·~r−ωt)

auch als

~E(~r, t) = ~Eei(~p·~r−E~pt)/~ (4.1)

1Wir gehen also davon aus, dass sich das Licht in einem materiefreien Volumen ausbreitet.2Wir schreiben sie wie in der Gl. (1.4) gleich komplex.

47

Page 48: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

48 KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG

schreiben.3 In der Elektrodynamik stellen ebene Wellen eine Idealisierung dar.Eine ebene Welle fallt weder in die drei Raumrichtungen (bei fester Zeit t) nochin der Zeit (bei festem Ort ~r) ab. Sie fuhrt zu einer unendlichen Feldenergie,4

was unphysikalisch ist. Das eine “mathematische” ebene Welle keine vollstandi-ge Beschreibung von sich ausbreitendem Licht darstellt, jedoch im Hinblick aufdie Erklarung von experimentellen Beobachtungen eine sehr gute Idealisierungdarstellen kann, sehen Sie z.B. im Doppelspaltexperiment mit Laserlicht. Es istoffensichtlich, dass der Laserstrahl bei Ausbreitung in die y-Richtung, in die x-und z-Richtung raumlich lokalisiert ist. Da der Laser zu einer Zeit t0 angeschaltetund bei t1 > t0 ausgeschaltet wird, ist der Strahl zu einer festen Zeit t auch in diey-Richtung raumlich lokalisiert. Betrachten wir aber eine Zeit t die t0 � t � t1erfullt und nehmen an, dass die Abmessungen der Locher und des Lochabstandesim Doppelspaltschirm so klein sind, dass man die sich aus der Beschrankung inder x-z-Ebene ergebende raumliche Variation des elektrischen Feldes uber diesenBereich vernachlassigen kann, so gelingt es, das Interferenzmuster mit Hilfe derIdealisierung einer ebenen Welle zu beschreiben.

-1 0 1 2 3 4 5k

0

1

2

3

4

f(k)

Abbildung 4.1: Die Funktion f(k) aus Gl. (4.3). Zur Vereinfachung vernachlassi-gen wir physikalische Einheiten. Die Parameter der durchgezogenen Kurve sindk0 = 3, σ = 1, die der gestrichelten k0 = 1, σ = 0.1.

3Im Gegensatz zum Polarisationsexperiment, geht es uns jetzt nicht um den die Polarisationfestlegenden komplexen zweidimensionalen Vektor ~E, sondern um die Orts- und Zeitabhangig-keit der Welle.

4Die Feldenergie ist als das raumliche Integral (uber den ganzen R3) von ~E2 + ~B2 gegeben.

Page 49: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

4.1. WELLENPAKETE IN DER ELEKTRODYNAMIK 49

4.1 Wellenpakete in der Elektrodynamik

Experimentell praparieren lassen sich nur so genannte Wellenpakete. Betrachtenwir hier exemplarisch nur die raumliche Lokalisierung in die Ausbreitungsrichtung(hier die +y-Richtung). Wie man die Welle in die beiden orthogonalen Richtungenraumlich beschrankt, sollte nach dieser Diskussion klar sein. Um ein zu fester Zeitin der y-Richtung beschranktes Wellenpaket zu erhalten, bilden wir eine konti-nuierliche Uberlagerung ebener Wellen gleicher Richtung, aber unterschiedlichenImpulses5

~E(y, t) = ~E

∫ ∞−∞

f(k)eik(y−ct)dk = ~E(y − ct) , (4.2)

wobei die (i.A. komplexwertige) Funktion f(k) sinnvollerweise in der Nahe ei-ner “mittleren Wellenzahl” k0 > 0 groß ist und von dieser aus “relativ schnell”abfallt.6 Es ist offensichtlich, dass das elektrische Feld nur eine Funktion vony − ct ist. Kennen wir also ~E(y − ct) zur Zeit t = 0, so folgt das Feld zu anderenZeiten durch Verschiebung. Das Wellenpaket ist somit forminvariant und bewegtsich mit Lichtgeschwindigkeit c nach rechts.

Ein haufig diskutiertes Beispiel ist das Gaußsche Wellenpaket mit

f(k) =1√2πσ

e−(k−k0)2/(2σ2) , (4.3)

wobei σ > 0 die Breite der Gaußkurve um die Wellenzahl k0 beschreibt.7 In Ab-bildung 4.1 ist f(k) fur zwei verschiedene Parametersatze dargestellt. Mit dieserForm von f(k) lasst sich das Integral in Gl. (4.2) leicht ausfuhren. Es ist allge-mein proportional zur Fourierrucktransformierten der Funktion f(k) an der Stelley − ct. Die Fouriertranformierte g(k) einer Funktion g(x) definieren wir als8

g(k) :=1√2π

∫ ∞−∞

g(x)e−ikxdx (4.4)

und die Rucktransformierte entsprechend als

g(x) =1√2π

∫ ∞−∞

g(k)eikxdk . (4.5)

5Wir vernachlassigen hier, dass ω = E~p/~ = ck immer positiv ist. Solange f(k) nur signi-fikante Beitrage fur k > 0 aufweißt, ist diese Vernachlassigung zulassig. Allgemeiner mussten

wir jedoch ~E(y, t) = ~E∫∞

0f(k)eik(y−ct)dk + ~E

∫ 0

−∞ f(k)eik(y+ct)dk schreiben. In diesem Fallhandelt es sich bei dem auszufuhrenden Integral nicht mehr um eine Fourierrucktransformation(siehe unten). In den hier betrachteten Beispielen ist die obige Bedingung an f(k) erfullt.

6Da k die Einheit “1/Lange” hat, hat f(k) die Einheit “Lange”.7Damit das Argument der Exponentialfunktion dimensionslos ist, hat σ die Einheit

“1/Lange”. Daraus ergibt sich ebenfalls, dass f(k) die geforderte Einheit “Lange” hat.8Wir gehen dabei davon aus, dass g(x) hinreichend “harmlos” ist, so dass das Integral

existiert.

Page 50: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

50 KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG

Wichtige Eigenschaften der Fouriertransformation werden Sie in den Ubungenkennenlernen. Die konkrete Berechnung des Integrals Gl. (4.2) mit f(k) aus Gl.(4.3) verschieben wir ebenfalls auf die Ubungen. Das Ergebnis lautet

~E(y, t) = ~Ee−σ2(y−ct)2/2eik0(y−ct) = ~E(y − ct) . (4.6)

Beschranken wir uns auf den Fall einer linear in x-Richtung polarisierten Welle,so ergibt sich fur das physikalische elektrische Feld durch bilden des Realteils

~E(y, t) = E1e−σ2(y−ct)2/2 cos (k0y − ω0t+ α1)~e1 , (4.7)

mit ω0 = ck0. Die Form des elektrischen Feldes ist fur die beiden Parametersatzeder Abbildung 4.1 in den Abbildungen 4.2 und 4.3 fur verschiedene Zeiten dar-gestellt. Wir beobachten, dass ein kleines σ zu einem ausgedehnten Wellenpaketfuhrt und umgekehrt ein großes σ zu einem lokalisierten Wellenpaket.9 DieseBeobachtung gibt eine allgemeine Beziehung zwischen Paaren von Fouriertrans-formierten wieder. Grob gesprochen gilt: Je ausgedehnter g(x), desto lokalisierterist g(k) und umgekehrt. Gl. (4.7) entnehmen wir zusatzlich, dass eine großere“mittlere Wellenzahl” k0 (kleinere “mittlere Wellenlange” λ0 = 2π/k0), zu einerschnelleren raumliche Oszillation des Feldes fuhrt.

Wir haben das f(k) in Gl. (4.3) so gewahlt, dass∫∞−∞ f(k)dk = 1 gilt. Damit

konnen wir f(k) in diesem Beispiel als eine Wahrscheinlichkeitsdichte der zumWellenpaket beitragenden Impulse (bis auf den Faktor ~) interpretieren. Um die-se Interpretation auch fur andere Wellepakete zur Verfugung zu haben, werdenwir

∫∞−∞ f(k)dk = 1 zur Forderung an die zulassigen Gewichtsfunktionen f(k) er-

heben. So gesehen ergibt sich fur den Erwartungswert im Beispiel des GaußschenWellenpakets

〈k〉 :=

∫ ∞−∞

kf(k)dk = k0

und fur die Unscharfe

∆k :=

[∫ ∞−∞

(k − 〈k〉)2 f(k)dk

]1/2

= σ .

Analog sind der Erwartungswert und die Unscharfe fur andere f(k) definiert.Um ein in alle Raumrichtungen lokalisiertes Wellenpaket zu erhalten, welches

eine endliche Feldenergie hat, mussen wir auch die anderen beiden Komponentenvon ~k “verschmieren”

~E(~r, t) =

∫R3

~E(~k)ei(~k·~r−ckt)d3k ,

wobei ~k · ~E(~k) = 0 gilt und uber den ganzen R3 integriert wird.Nach dieser Einfuhrung des Begriffs des Wellenpakets anhand der Ihnen be-

kannten Lichtwelle, wollen wir ihn jetzt auf “Materiewellen” anwenden.

9Im Limes σ → 0 ergibt sich aus Gln. (4.2) und (4.3) eine ebene Welle mit Wellenzahl k0,da f(k) zur Diracschen δ-Funktion (Distribution) δ(k − k0) wird (siehe Ubungen).

Page 51: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

4.1. WELLENPAKETE IN DER ELEKTRODYNAMIK 51

-5 0 5y

-0.5

0

0.5

1

ele

ktr

. F

eld

es

-5 0 5y

-0.5

0

0.5

1

x-K

om

ponente

des

Abbildung 4.2: Das sich fur k0 = 3, σ = 1, α1 = 0 ergebende elektrische Feldals Funktion des Ortes y fur verschiedene t. Links unten ist ct = 0 und imGegenuhrzeigersinn folgen ct = 2, ct = 4 und ct = 6.

-50 0 50y

-0.5

0

0.5

1

ele

ktr

. F

eld

es

-50 0 50y

-0.5

0

0.5

1

x-K

om

po

ne

nte

de

s

Abbildung 4.3: Das sich fur k0 = 1, σ = 0.1, α1 = 0 ergebende elektrische Feldals Funktion des Ortes y fur verschiedene ct. Links unten ist ct = 0 und imGegenuhrzeigersinn folgen ct = 10, ct = 20 und ct = 30.

Page 52: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

52 KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG

4.2 Wellenpakete in der Quantenmechanik

De Broglies Vorschlag folgend ordnen wir einem “Punktteilchen” mit Impulsbe-trag p = |~p| eine Wellenzahl k = p/~ zu. Da auch hier die Ausbreitungsrichtungder Welle und des Teilchens gleich sein sollen, konnen wir dem Teilchen aucheinen Wellenvektor ~k = ~p/~ zuordnen. Wir benutzen nun den Ausdruck Gl. (4.1)fur eine ebene, monochromatische Lichtwelle und verallgemeinern ihn auf einkraftefreies Teilchen (ohne innere Freiheitsgrade) endlicher Ruhemasse mit nicht-relativistischer Energie E~p = ~p 2/(2m). Dabei gilt es zu beachten, dass es sich beieiner ebenen “Materiewelle” nicht um ein Vektorfeld sondern ein skalares Feldhandelt

ψ~p(~r, t) := c ei(~p·~r−E~pt)/~

= c exp

[i

(~p · ~r − ~p 2

2mt

)/~]. (4.8)

Die Zahl c bezeichnet eine Konstante, die wir (zunachst willkurlich erscheinend- was es aber, wie sich spater herausstellen wird, nicht ist) gleich (1/

√2π~)3

wahlen.10

Max Born (1926) folgend interpretiert man allgemein w(~r, t) := |ψ(~r, t)|2[=:ρ(~r, t)] als die Wahrscheinlichkeitsdichte des Teilchens und bezeichnet ψ(~r, t)als die Wellenfunktion oder Wahrscheinlichkeitsamplitude. Fur ein vorgegebe-nes ψ(~r, t) beschreibt somit |ψ(~r, t)|2d3r die Wahrscheinlichkeit das Teilchen zurZeit t im Volumenelement d3r um den Punkt ~r herum anzutreffen. Damit mussaber ∫

R3

|ψ(~r, t)|2d3r = 1 (4.9)

gelten, denn die Wahrscheinlichkeit das Teilchen “irgendwo” anzutreffen mussgleich 1 sein. Dieser Interpretation folgend ist

〈~r 〉t :=

∫R3

~r |ψ(~r, t)|2d3r (4.10)

der Mittelwert (Erwartungswert) des Ortes des beschriebenen Teilchens und

(∆~r )t :=

[∫R3

(~r − 〈~r 〉t)2 |ψ(~r, t)|2d3r

]1/2

(4.11)

die Unscharfe des Ortes.Da die Bedingung Gl. (4.9) mit der ebenen Materiewelle Gl. (4.8) nicht erfull-

bar ist, bekommen wir mit dieser ein zu der ebenen Lichtwelle analoges Problem.

10In d Dimensionen wahlen wir c = (1/√

2π~)d.

Page 53: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK 53

Wir mussen also wie bei letzterer zu Wellenpaketen ubergehen. Wir betrachtenvereinfachend zunachst den Fall der eindimensionalen Bewegung (in x-Richtung)und bilden11

ψ(x, t) =

∫ ∞−∞

ψ(p)ψp(x, t)dp

=1√2π~

∫ ∞−∞

ψ(p) exp

[i

(px− p2

2mt

)/~]dp , (4.12)

mit der komplexwertigen Funktion ψ(p).12 Zur Zeit t = 0 haben wir

ψ(x, 0) =1√2π~

∫ ∞−∞

ψ(p)eipx/~dp

und bis auf Faktoren ~ ist ψ(x, 0) die Fouriertransformierte der Gewichtsfunktionψ(p).13 Wir wollen als nachstes untersuchen, welche Eigenschaften ψ(p) habenmuss, damit Gl. (4.9) erfullt ist∫ ∞

−∞|ψ(x, t)|2dx =

1

2π~

∫ ∞−∞

{∫ ∞−∞

ψ∗(p) exp

[−i(px− p2

2mt

)/~]dp

×∫ ∞−∞

ψ(p′) exp

[i

(p′x− p′2

2mt

)/~]dp′}dx

=1

2π~

∫ ∞−∞

∫ ∞−∞

ψ∗(p)ψ(p′) exp

[i

(p2

2mt− p′2

2mt

)/~]

×∫ ∞−∞

e−ix(p−p′)/~dx︸ ︷︷ ︸2πδ([p−p′]/~)=2π~δ(p−p′)

dp dp′

=

∫ ∞−∞|ψ(p)|2dp

= 1 . (4.13)

Wir haben somit gezeigt, dass das Integral uber alle Orte x der Wahrscheinlich-keitsdichte des Ortes |ψ(x, t)|2 gleich dem Integral uber alle Impulse p von |ψ(p)|2ist (und beide gleich 1 sind).14 Dabei haben wir benutzt, dass man die Diracsche

11Die Energie Ep ist aufgrund der quadratischen Impulsabhangigkeit immer positiv, so dasswir hier keine Probleme mit negativen p haben (siehe die Diskussion fur die Lichtwellenpakete).

12Es ist plausibel anzunehmen, dass sich der Beitrag den verschiedene Impulse zum Wel-lenpaket liefern zeitlich nicht andert, also ψ(p) nicht von der Zeit abhangt. Wurde ψ(p) vonder Zeit abhangen, wurde sich im Allgemeinen die Energie im Wellenpaket im Laufe der Zeitandern, was unphysikalisch ware.

13Wir werden nicht immer mathematisch genau bestimmen, welche Eigenschaften eine Ge-wichtsfunktion ψ(p) haben muss. Wir gehen stillschweigend davon aus, dass die Funktion so“vernunftig” ist, dass alle “Operationen” die wir mit ihr ausfuhren wollen auch zulassig sind.

14Fur t = 0 bilden ψ(x, 0) und ψ(p) ein Paar von Fouriertransformierten. Die obige Beziehung∫|g(x)|2dx =

∫|g(k)|2dk gilt allgemein fur Paare von Fouriertransformierten. Man nennt sie

das Parseval Theorem.

Page 54: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

54 KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG

δ-Funktion (Distribution) als Fourierintegral schreiben kann. Diese Relation undwichtige Eigenschaften der δ-Funktion werden Sie in den Ubungen kennenlernen.Hier wollen wir daher nur die grundlegende Eigenschaft der δ-Funktion∫ ∞

−∞f(x)δ(x− x0)dx = f(x0) ,

mit einer hinreichend “harmlosen”, komplexwertigen Funktion f(x), erwahnen.

Da ∫ ∞−∞|ψ(p)|2dp = 1

konnen wir |ψ(p)|2 als Wahrscheinlichkeitsverteilung der im Wellenpaket auftre-tenden Impulse interpretieren.

Betrachten wir nun wieder das Beispiel des Gaußschen Wellenpakets mit

ψ(p) =

(1√2πσ

)1/2

e−(p−p0)2/(4σ2)e−i(p−p0)x0/~ .

Die Form von ψ(p) ist so gewahlt, dass |ψ(p)|2 eine Gaußverteilung mit Mittelwertp0 und Unscharfe σ darstellt. Die Rolle des bei der Betragsbildung wegfallendenFaktors e−i(p−p0)x0/~ wird erst weiter unten klar werden. Mit Hilfe von Gl. (4.12)ergibt sich dann mit15 v0 := p0/m

ψ(x, t) =1√2π~

(1√2πσ

)1/2

exp

[i

(p0x−

p20

2mt

)/~]

×∫ ∞−∞

exp

[−p2

(1

4σ2+

it

2m~

)]exp [ip (x− v0t− x0) /~] dp

=

√π√

14σ2 + it

2m~

1√2π~

(1√2πσ

)1/2

exp

[i

(p0x−

p20

2mt

)/~]

× exp

[− σ

2

~2(x− v0t− x0)2 /

(1 +

2itσ2

m~

)].

Das explizite Ausfuhren der Integrale verschieben wir erneut auf die Ubungen.Betrachten wir jetzt |ψ(x, t)|2, so vereinfacht sich das Resultat

|ψ(x, t)|2 =1√

2πσ(t)e−(x−v0t−x0)2/[2σ2(t)]

15Diese Große wurde man intuitiv als mittlere Geschwindigkeit bezeichnen. Weiter untenwird sich herausstellen, dass diese Sichtweise richtig ist.

Page 55: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK 55

mit

σ(t) :=~2σ

√1 +

(2tσ2

~m

)2

= σ(0)

√1 +

(~t

2mσ2(0)

)2

.

Aus der gaußformigen Wahrscheinlichkeitsdichte des Impulses |ψ(p)|2 ergibt sichsomit auch eine gaußformige Wahrscheinlichkeitsdichte des Ortes |ψ(x, t)|2. DerMittelwert zur Zeit t liegt bei v0t+ x0. Diese Beobachtung rechtfertigt die Sicht-weise v0 als die mittlere Geschwindigkeit zu bezeichnen. Sie klart zusatzlich dieFunktion des Faktors e−i(p−p0)x0/~ in ψ(p). Der Erwartungswert des Ortes wachst(fur positives p0), wie man es fur ein kraftefreies Teilchen (klassisch) erwartet,linear mit der Zeit an. Der Erwartungswert des Ortes fur das Gaußsche Wellen-paket erfullt die Differentialgleichung

d 〈x〉tdt

=p0

m.

Da zusatzlich16 p0 = 〈p〉 gilt, ergibt sich die Relation

d 〈x〉tdt

=〈p〉m

.

Wie Sie in einer Ubungsaufgabe zeigen werden, gilt diese Beziehung fur allgemeineWellenpakete.17 Ort und Impuls erfullen also die klassische Differentialgleichungs-relation, wenn man sie durch ihre jeweiligen quantenmechanischen Erwartungs-werte ersetzt.

Die Unscharfe des Ortes σ(t) hangt im Gegensatz zu der Unscharfe von |ψ(p)|2von der Zeit ab. Zur Zeit t = 0 wird die minimale Unscharfe σ(0) = ~/(2σ) an-genommen. Diese ist, wie im Fall des Gaußpakets aus ebenen Lichtwellen, umge-kehrt proportional zur Breite der Impulsverteilung σ. Fur betragsmaßig anstei-gende Zeiten nimmt die Unscharfe im Ort zu. Der Wahrscheinlichkeitsinterpre-tation folgend ist das Teilchen fur betragsmaßig wachsende Zeiten also auf einenimmer großeren Raumbereich um v0t+ x0 herum “verschmiert”. Diese Beobach-tung widerspricht jeder klassischen Intuition zum Verhalten von Teilchen. Sieist jedoch verstandlich, wenn man bedenkt, dass das Wellenpaket aus verschie-denen Impulskomponenten p, mit verschiedenen klassischen Geschwindigkeitenp/m zusammengesetzt ist. Im Fall der Lichtwelle fuhren alle Impulskomponenten

16Zur Erinnerung:∣∣∣ψ(p)

∣∣∣2 kann als die Wahrscheinlichkeitsdichte des Impulses interpretiert

werden.17Wir gehen dabei davon aus, dass ψ(p) so “harmlos” ist, dass 〈p〉 existiert.

Page 56: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

56 KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG

-3 -2 -1 0 1 2 3t/t

0

0

1

2

3

4

σ(t

)/σ

(0)

Abbildung 4.4: Unscharfe des Ortes (∆x)t = σ(t) des Gaußschen Wellenpaketsals Funktion der Zeit t.

zu einer Geschwindigkeit c, so dass das Wellenpaket nicht auseinander lauft (ge-nauer forminvariant bleibt). Die funktionale Abhangigkeit von (∆x)t = σ(t) istin Abbildung 4.4 dargestellt. t0 := 2mσ2(0)/~ = m~/(2σ2) bezeichnet eine cha-rakteristische Zeit ab der das Wellenpaket zu “zerfließen” beginnt. Fur |t| � t0wachst σ(t) linear mit dem Betrag der Zeit an. Je kleiner also die Masse desdurch das Wellenpaket beschriebenen Teilchens und je kleiner die Unscharfe zurZeit t = 0 (je großer die Unscharfe σ im Impuls), desto schneller “zerfließt” dasTeilchen. Das lineare Verhalten der Unscharfe (∆x)t ∼ tσ/m fur t� t0 kann mananschaulich wie folgt verstehen: Teilchen der Masse m mit Impulsen p0 ± σ/2,sind nach einer Zeit t um tσ/m verschieden weit gelaufen.

Wir betrachten nun, analog zur Heisenbergschen Unscharferelation Gl. (3.21),das Produkt der Orts- und Impulsunscharfen fur das Gaußsche Wellenpaket. ZurZeit t = 0 gilt

(∆x)t=0(∆p) =~2σσ =

~2.

Fur beliebige Zeiten gilt entsprechend

(∆x)t(∆p) ≥~2. (4.14)

Wie wir sehr bald sehen werden, ergibt sich diese Ungleichung aus der Heisen-bergschen Unscharferelation Gl. (3.21), auch wenn der Zusammenhang noch sehrunklar erscheint. Fragen wie - Was sind in diesem Beispiel die Operatoren A undB? Auf was fur einem Vektorraum operieren diese Operatoren? - sind noch vollig

Page 57: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK 57

offen. Da die Ungleichung auf der allgemeinen Heisenbergschen Unscharferelationberuht, gilt sie fur alle Wellenpakete und nicht nur fur Gaußsche (siehe spater).Anschaulich bedeutet sie, dass man zu einer genauen raumlichen Lokalisierungeines Teilchens zu einer Zeit t0 eine breite Impulsverteilung benotigt. Diese be-dingt dann aber, wie oben exemplarisch gesehen, dass das Teilchen ausgehendvon t0 zeitlich sehr schnell zerfließt. Fur ein gegebenes Wellenpaket konnen derOrt und der Impuls nicht beliebig genau “lokalisiert” werden.

Die in der Vorlesung gezeigten Simulationen zeigen das Absolutbetragsqua-drat und die Phase von ψ(x, t) fur eindimensionale Gaußsche Wellenpakete mitverschiedenen Parametersatzen. |ψ(x, t)|2 ist dabei als der Funktionswert gege-ben und die Phase in der Farbung unter den Kurven kodiert. Abbildung 4.5 zeigtdie Funktion exp (ix), x ∈ R, gemaß dieser Kodierung. Aus ihr wird klar, welcheFarbe zu welcher Phase x gehort. Abbildung 4.6 zeigt ein Gaußsches Wellenpa-ket zu vier verschiedenen Zeiten. Zwei weitere Simulationen zeigen ψ(~r, t) in dergleichen Kodierung aber fur zweidimensionale Gaußsche Wellenpakete. Wie manein zweidimensionales Gaußsches Wellenpaket erhalt sollte aus der Diskussion deseindimensionalen Falls klar sein.

Abbildung 4.5: Die Funktion exp (ix), x ∈ R, in der in den Simulationen und derAbbildung 4.6 verwendeten Kodierung von Absolutbetragsquadrat (als Funkti-onswert, hier immer gleich 1) und Phase (als Farbung unter der Kurve).

Wir kehren nun nocheinmal zum allgemeinen Wellenpaket Gl. (4.12)

ψ(x, t) =1√2π~

∫ ∞−∞

ψ(p) exp

[i

(px− p2

2mt

)/~]dp

zuruck. Differenzieren wir diese Gleichung nach der Zeit (und multiplizieren miti~), so ergibt sich

i~∂

∂tψ(x, t) =

1√2π~

∫ ∞−∞

ψ(p)p2

2mexp

[i

(px− p2

2mt

)/~]dp .

Zweifache Differentation nach dem Ort und Multiplikation mit −~2/(2m) liefertdie selbe rechte Seite

− ~2

2m

∂2

∂x2ψ(x, t) =

1√2π~

∫ ∞−∞

ψ(p)p2

2mexp

[i

(px− p2

2mt

)/~]dp .

Page 58: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

58 KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG

Abbildung 4.6: Ein eindimensionales Gaußsches Wellenpaket zu vier verschiede-nen Zeiten. Physikalische Einheiten sind vernachlassigt. Die Mittlere Geschwin-digkeit betragt 2. Die Kodierung von Absolutbetragsquadrat und Phase erfolgenwie im Text und in Abbildung 4.5 beschrieben.

Ein allgemeines Wellenpaket zur Beschreibung der Dynamik eines freien Teilchensψ(x, t) ist daher Losung der partielle Differentialgleichung

i~∂

∂tψ(x, t) = − ~2

2m

∂2

∂x2ψ(x, t) . (4.15)

Die linke Seite dieser Gleichung erinnert uns an die Schrodingergleichung (3.4).Vergleichen wir Gln. (3.4) und (4.15) so mussen wir den abstrakten Vektor (Zu-stand) |ψ(t)〉 mit ψ(x, t) identifizieren und den Hamiltonoperator mit − ~2

2m∂2

∂x2 .Das diese Identifikation tatsachlich richtig ist, untersuchen wir im nachsten Ka-pitel. Zuvor wollen wir noch heuristisch eine zu Gl. (4.15) analoge partielle Dif-ferentialgleichung fur die eindimensionale Bewegung eines quantenmechanischenTeilchens in einem (zeitabhangigen) Potenzial V (x, t) “herleiten”. Wie die obigeAbleitung von Gl. (4.15) zeigt, liefert das Anwenden von i~ ∂

∂tauf die Wellen-

funktion einen Ausdruck, “der etwas mit der kinetischen Energie des Teilchensp2/(2m) zu tun hat.” Diesen kann man andererseits durch Anwenden von − ~2

2m∂2

∂x2

auf ψ(x, t) erhalten. Mussen wir nun neben der kinetischen Energie auch die po-tenzielle Energie berucksichtigen, so lautet die entsprechende partielle Differen-tialgleichung

i~∂

∂tψ(x, t) = − ~2

2m

∂2

∂x2ψ(x, t) + V (x, t)ψ(x, t) . (4.16)

Page 59: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK 59

Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei dieser Gleichung um eine konkre-te Form der allgemeinen Schrodingergleichung (3.4). Auch hier ist das Gefuhl,dass die Gleichung “vom Himmel fallt” nicht vollstandig zu vermeiden. Wir wer-den die Schrodingergleichung zur Beschreibung der Dynamik von Quantensyste-men daher spater als eines der Postulate der Quantenmechanik formulieren. Deruberwaltigende Erfolg der Schrodingergleichung bei der Erklarung von Experi-menten rechtfertigt dieses Vorgehen. Die dreidimensionale Verallgemeinerung derpartielle Differentialgleichung lautet

i~∂

∂tψ(~r, t) = − ~2

2m∆ψ(~r, t) + V (~r, t)ψ(~r, t) =

[− ~2

2m∆ + V (~r, t)

]ψ(~r, t) ,(4.17)

mit ∆ = ~∇ · ~∇ = ∂2

∂x2 + ∂2

∂y2 + ∂2

∂z2 .

Page 60: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

60 KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG

Page 61: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 5

Der Hilbertraum

Die “Ahnlichkeit” der Gl. (4.14) mit der allgemeinen Heisenbergschen Unscharfe-relation Gl. (3.21) und der Schrodingergleichung (3.4) mit Gl. (4.17) fuhrt unsdazu nach einer gemeinsamen Sprache fur die Resultate der Kapitel 3 und 4 zusuchen. Wie bereits angedeutet, mussen wir dazu einen Weg finden, die kom-plexwertige Wellenfunktion ψ(~x, t), als Element eines Vektorraums auffassen zukonnen.1 Die sich aus der Wahrscheinlichkeitsinterpretation ergebende Normie-rungsbedingung

∫R3 |ψ(~x, t)|2d3x = 1, fuhrt uns darauf, dass die Norm in dem

Vektorraum etwas mit dem Integral uber den ganzen Raum (bzw. einen Raum-bereich U ⊂ R3) zu tun haben sollte.

Betrachten wir eine komplexwertige, auf U ⊂ Rd definierte2 Funktion ϕ. Exis-tiert das Integral

∫U |ϕ(~x, t)|2 ddx uber U , so bezeichnet man ϕ als quadratin-

tegrabel (uber U).3 Wir haben leider keine Zeit auf mathematische Feinheiteneinzugehen, wollen aber kurz erwahnen, dass es sich bei dem Integral um das sogenannte Lebesgueintegral handelt (siehe z.B. S. Großmann, Funktionalanalysis,Aula-Verlag), dass sich in einigen Details, was z.B. die Existenzvorraussetzun-gen angeht, vom “gewohnlichen” Riemanintegral unterscheidet. In der konkretenBerechnung von Integralen, ergeben sich jedoch keine (relevanten) Unterschiede.Man kann sich nun leicht davon uberzeugen, dass die Summe aψ + bϕ, a, b ∈ C,zweier quadratintegrabler Funktionen ψ und ϕ wieder quadratintegrabel ist. Auchdie Definitionen eines neutralen Elements und eines Inversen machen keine Pro-bleme. Damit bilden die Funktionen einen Vektorrraum.4 Wir bezeichnen daher

1Wie in vielen Quantenmechanikbuchern ublich, bezeichnen wir den Ortsvektor ab jetzt mir~x statt ~r und die Komponenten mit xj , j = 1, 2, . . . , d.

2In Kapitel 4 haben wir nur Teilchen betrachtet, die sich im ganzen Rd aufhalten konnten.Spater werden wir jedoch auch Beispiele betrachten, in denen das Teilchen aufgrund einesaußeren Potenzials auf einen endlichen Raumbereich eingeschrankt ist.

3Wir gehen im Folgenden davon aus, dass sich der Begriff quadratintegrabel immer auf einenvorgegebenen Raumbereich U ⊂ Rd bezieht.

4Genauer gesagt besteht der Vektorraum aus Klassen aquivalenter Funktionen. Zwei qua-dratintegrable Funktionen ψ und ϕ heißen aquivalent falls sich die Funktionswerte ψ(~x) undϕ(~x) nur auf einer Menge von Punkten ~x vom Maß Null unterscheiden (siehe z.B. S. Großmann,

61

Page 62: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

62 KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM

die quadratintegrablen Funktionen ψ wieder mit ket-Vektoren |ψ〉. Als Skalarpro-dukt definieren wir das Integral

〈ϕ |ψ〉 :=

∫Uϕ∗(~x)ψ(~x)ddx . (5.1)

Man uberzeugt sich leicht davon, dass das Integral fur quadartintegrable Funk-tionen existiert und das so definierte Skalarprodukt alle Eigenschaften eines Ska-larprodukts (siehe Kapitel 2) erfullt.5 Mit dieser Definition wird

|| |ψ〉 || :=√〈ψ |ψ〉 =

[∫U|ψ(~x)|2ddx

]1/2

(5.2)

zur Norm auf dem Vektorraum. Daher ist eine quantenmechanische Wellenfunk-tion ψ(~x, t) ein auf Eins normiertes Elemente des Vektorraums. Die Zeit bildetdabei einen Parameter, d.h. fur jede Zeit t wird ein Element des Vektorraums|ψ(t)〉 festgelegt.

Es ist nicht moglich eine endliche Zahl von quadratintegrablen Funktionen|ϕ1〉 , |ϕ2〉 , . . . , |ϕN〉 vorzugeben und jede quadratintegrable Funktion |ψ〉 als Li-nearkombination dieser Funktionen zu schreiben. Eine analoge Situation solltenSie von der Fourierreihe einer auf dem Intervall [a, b] definierten und periodischfortgesetzten Funktion kennen. Beschranken wir uns hier auf den Fall a = 0 undb = 2π. Funktionen dieses Typs kann man als Linearkombination der Funktio-nen cos (nx) und sin (nx), mit n ∈ N0, schreiben. Man benotigt also abzahlbarunendlich viele “Basiselemente”. Eine analoge Aussage gilt auch fur die quadrat-integrablen Funktionen. Wir mussen daher den Begriff des unitaren Raums aufunendlichdimensionale Vektorraume erweitern.

In einem unendlichdimensionalen Vektorraum gibt es mehr Moglichkeiten wasdas Konvergenzverhalten von Folgen von Vektoren {|ϕn〉} angeht als in endlich-dimensionalen Vektorraumen. In letzteren ergibt sich das Konvergenzverhaltenunmittelbar aus dem der komplexen Zahlen (uber die Koeffizienten der Vekto-ren). Wir definieren daher den Begriff der Vollstandigkeit: Ein unitarer RaumH heißt vollstandig, wenn jede Cauchyfolge {|ϕn〉} aus H gegen ein Element|ϕ〉 ∈ H konvergiert. Zur Erinnerung: Unter einer Cauchyfolge versteht man eineFolge von Vektoren |ϕn〉 ∈ H, fur die es fur jedes ε > 0 ein N(ε) ∈ N gibt, sodass

|| |ϕn〉 − |ϕm〉 || =√

(〈ϕn| − 〈ϕm|) (|ϕn〉 − |ϕm〉) < ε ,

fur alle m,n ≥ N(ε).6 Einen vollstandigen, unitaren Raum H bezeichnet man alsHilbertraum.7 Wir spezifizieren weiter und bezeichnen einen Hilbertraum H in

Funktionalanalysis, Aula-Verlag).5Hierbei muss man beachten, dass die Funktionen Reprasentanten einer Aquivalenzklasse

von Funktionen sind (siehe oben)!6Jeder endlichdimensionale unitare Raum ist vollstandig. Der Beweis lasst sich sofort auf

die Vollstandigkeit der komplexen Zahlen zuruckfuhren.7Jeder endlichdimensionale unitare Raum ist ein Hilbertraum.

Page 63: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

63

dem es eine abzahlbare Folge von Vektoren {|ϕn〉} gibt, so dass sich jedes |ψ〉 ∈ Hals Linearkombination

|ψ〉 =∞∑n=1

cn |ϕn〉

schreiben lasst, als separablen Hilbertraum. Wir konnen die Folge {|ϕn〉} so mo-difizieren, dass sich eine Orthonormalbasis 〈ϕn |ϕm〉 = δn,m ergibt. Die Entwick-lungskoeffizienten ergeben sich dann aus cn = 〈ϕn |ψ〉. Wie man in der Literaturuber Funktionalanalysis nachlesen kann, ist der Raum der uber U quadratintegra-blen Funktionen (genauer der Aquivalenzklassen quadratintegrabler Funktionen),der haufig mit L2(U) bezeichnet wird, ein separabler Hilbertraum.

Nicht jedes Element aus L2(U) entspricht einer physikalischen Wellenfunk-tion. Quantensysteme beschreibende Wellenfunktionen sind auf Eins normiert,zumindest stetig und im Allgemeinen auch differenzierbar. Fur große |~x| fallensie weiterhin “schnell genug” ab.8

Vollig analog zum endlichdimensionalen Fall sind lineare Operatoren auf ei-nem Hilbertraum definiert. Dabei muss man allerdings mit dem Definitions-bereich DA ⊂ H des Operators A aufpassen. Im L2(R) kann z.B. die linea-re Operation ϕ(x) → xϕ(x) auf Funktionen fuhren, die nicht mehr im L2(R)liegen. Der kanonische Definitionsbereich des zugehorigen Operators ist somitD = {ϕ(x) ∈ L2(R)|xϕ(x) ∈ L2(R)}.9 Wir definieren den adjungierten OperatorA† zu einem Operator A wie gehabt durch

〈ψ|A† |ϕ〉 = 〈ϕ|A |ψ〉∗ .

Ein Operator, der A = A† erfullt heißt hermitesch. Gilt auch noch DA = DA† ,so bezeichnet man A als selbstadjungiert. Im folgenden werden wir meist nichtauf Definitionsbereiche eingehen. Wir gehen dann stillschweigend davon aus, dassder Definitionsbereich eines hermiteschen Operators soweit erweitert wurde, dasser auch selbstadjungiert ist. In allen hier relevanten praktischen Anwendungendes Formalismus gelingt das. Daher werden wir im Folgenden immer von selbst-adjungierten Operatoren sprechen.

Wir haben hier leider keine Zeit auf die mathematischen Feinheiten im Zusam-menhang mit linearen Operatoren auf Hilbertraumen einzugehen - was insofernkein sehr großes Problem darstellt, als dass sie fur die meisten Anwendungen des

8Fur physikalische Betrachtungen kann man sich meist auf den Schwarzschen Raum (dertemperierten Funktionen) beschranken. Eine Funktion f aus diesem Raum ist unendlich oftstetig differenzierbar und fallt so stark ab, dass das Produkt jedes Polynoms mit f immernoch abfallt. Leider sind jedoch weder der Schwarzsche Funktionenraum noch der Raum derstetigen, quadratintegrablen Funktionen vollstandig (im Sinne der durch das Skalarprodukt Gl.(5.1) gegebenen Norm Gl. (5.2)).

9Gut als Definitionsbereich eignet sich auch der Schwarzsche Funktionenraum.

Page 64: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

64 KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM

Formalismus keine Rolle spielen - und verweisen daher auf die Literatur uberFunktionalanalysis (z.B. S. Großmann, Funktionalanalysis, Aula-Verlag)).10

In einem nachsten Schritt betrachten wir die stetigen linearen Funktionen(Funktionale) auf einem Hilbertraum H. Sie sind vollig analog zum endlichdi-mensionalen Fall definiert und bilden einen Vektorraum, den Dualraum H∗. Nachdem Rieszschen Darstellungssatz kann man, wie im endlichdimensionalen Fall,die Wirkung jedes stetigen, linearen Funktionals ϕ, mit Hilfe des Skalarproduktsund eines |ϕ〉 ∈ H schreiben: ϕ(|ψ〉) = 〈ϕ |ψ〉. Wie im endlichdimensionalen Fallfuhren wir bra-Vektoren 〈ϕ| ein. Sei nun {|ϕn〉} eine orthonormale Basis in H.Wir erhalten dann wieder die Vollstandigkeitsrelation (Zerlegung der Eins)

1 =∞∑n=1

|ϕn〉 〈ϕn| .

Bevor wir weitere Betrachtungen zu linearen Funktionalen anstellen werden,wollen wir jetzt, da wir bra- und ket-Vektoren zur Verfugung haben, nocheinmalkurz zu den allgemeinen linearen Operatoren zuruckkehren. Betrachten wir denFall eines linearen Operators A auf einem separablen Hilbertraums mit einerorthonormalen Basis {|ϕn〉}. Durch Einschieben zweier 1 Operatoren, erhaltenwir

A =∞∑

n,m=1

|ϕn〉 〈ϕn|A |ϕm〉 〈ϕm| ,

mit den Matrixelementen An,m := 〈ϕn|A |ϕm〉. Dabei muss allerdings sicherge-stellt werden, dass alle Matrixelemente existieren, was wieder eine Frage im Zu-sammenhang mit dem Definitionsbereich des Operators ist. Bezuglich der Basiswird der Operator durch eine “unendlichdimensionale” Matrix dargestellt. DieDefinition des adjungierten Operators hat fur die Matrixelemente eines selbst-adjungierten Operators die gleichen Auswirkungen wie im endlichdimensionalenFall: An,m = A∗m,n. Im Zusammenhang mit den Matrixelementen bezuglich einerBasis wird auch klar, dass man die Spur nicht fur jeden linearen Operator aufdem separablen Hilbertraum definieren kann. Selbst wenn alle Matrixelemente〈ϕn|A |ϕm〉 eines Operators existieren heißt das noch nicht, dass auch

Sp A =∞∑n=1

〈ϕn|A |ϕn〉

konvergiert. Die im Kapitel 2 diskutierten Beweise dazu, dass (1) Eigenwerte reellsind, dass (2) Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten orthogonal sind und(3) dass es in einem Unterraum zu einem entarteten Eigenwert moglich ist eine

10Eine schone Einfuhrung in diese Feinheiten liefert auch der Artikel von F. Gieres, den Sieunter der zusatzlichen Literatur finden.

Page 65: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

65

orthonormale Basis von Eigenvektoren zu konstruieren, lassen sich auf selbstad-jungierte Operatoren auf separablen Hilbertraumen verallgemeinern. Wie dort,erhalten wir eine Zerlegung der Eins aus Eigenvektoren |aν〉 zu A

1 =∞∑ν=1

|aν〉 〈aν | .

Aus der Zerlegung der Eins folgt sofort die Spektraldarstellung

A =∞∑ν=1

A |aν〉 〈aν | =∞∑ν=1

λν |aν〉 〈aν | ,

mit den Eigenwerten λν . Spater werden wir sehen, dass fur gewisse selbstad-jungierte Operatoren, die (uneigentlichen) Eigenvektoren von einem kontinuier-lichen Index abhangen und wir die Summe in der Zerlegung der Eins und derSpektraldarstellung durch ein Integral ersetzen mussen. Wir werden im konkre-ten Kontext auf Spektraldarstellung wichtiger Operatoren des Quantenmechanikzuruckkommen. Auch die Konstruktion eines vollstandigen Systems vertauschba-rer (selbstadjungierter) Operatoren, das Konzept der Differentation eines Ope-rators nach einem Parameter und der Begriff von Funktionen von Operatoren(definiert uber eine Potenzreihe) lassen sich auf den Hilbertraum verallgemei-nern.

Kehren wir nun zu den linearen Funktionalen zuruck und betrachten explizitH = L2(U). Beschranken wir uns hier auf den Unterraum der stetige quadra-tintegrablen Funktionen11 L2(U) ⊂ L2(U) so konnen wir auch stetige, lineareFuntionale angeben, die nicht durch Elemente von L2(U) ausgedruckt werdenkonnen.12 Als erstes wichtiges Beispiel sei das als δ~x0 bezeichnete (~x0 ∈ U) unddurch

δ~x0(|ψ〉) := ψ(~x0) ,

fur alle |ψ〉 ∈ L2(U), definierte Funktional erwahnt. Das Funktional ordnet alsojeder (stetigen) Wellenfunktion seinen Funktionswert am festen Ort ~x0 zu. WieSie in den Ubungen gelernt haben,13 kann man dieses Funktional als

δ~x0(|ψ〉) =

∫Uδ(~x− ~x0)ψ(~x)ddx =

∫Uδ∗(~x− ~x0)ψ(~x)ddx = ψ(~x0) ,

11Dieser Unterraum ist nicht vollstandig und damit kein Hilbertraum.12Es gilt L2(U) ⊂ L2(U) ⊂ L∗2(U), wobei L∗2(U) den Dualraum zu L2(U) bezeichnet. Dabei

gilt es Fragen der Norm zu beachten (siehe Literatur). Man bezeichnet diese drei Raume auchals Gelfandsches Raumtripel.

13Die Verallgemeinerung des dort gelernten auf den d-dimensionalen Fall sollte kein großeresProblem darstellen.

Page 66: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

66 KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM

mit der Diracschen δ-Funktion schreiben. Wir bezeichnen dieses Funktional imfolgenden als

δ~x0(|ψ〉) =: 〈~x0 |ψ〉 ,

mit einem bra-Vektor 〈~x0|. Streng genommen entspricht diesem, nur auf einemUnterraum des Hilbertraums definierten, bra-Vektor kein ket-Vektor |~x0〉, da dieDiracsche δ-Funktion (die, wie gerade gesehen, das Funktional erzeugt) nichtquadratintegrabel ist (das Quadrat der “Funktion” ist nichteinmal definiert). Esist aber praktisch sehr nutzlich den Hilbertraum um solche “uneigentlichen” ket-Vektoren zu erweitern. Fur den Umgang mit diesen Vektoren soll die allgemeineRegel (|ψ〉 ∈ L2(U))

〈~x0 |ψ〉∗ = ψ∗(~x0) =: 〈ψ |~x0〉

weiterhin gelten. Damit kann man fur beliebige |ψ〉 , |ϕ〉 ∈ L2(U)

〈ϕ |ψ〉 =

∫Uϕ∗(~x)ψ(~x)ddx =

∫U〈ϕ |~x 〉 〈~x |ψ〉 ddx

schreiben und erhalt eine Zerlegung der Eins∫U|~x 〉 〈~x | ddx = 1 . (5.3)

Da die uneigentlichen Vektoren |~x〉 durch einen kontinuierlichen “Index” charak-terisiert sind, tritt dabei statt der Summe ein Integral auf (vergleiche mit Gl.(2.5)). Man nennt die uneigentlichen ket-Vektoren |~x〉 auch Ortszustande. DurchEinschieben einer Eins in Form von Gl. (5.3)

ψ(~x) = 〈~x |ψ〉 =

∫U〈~x |~x ′〉 〈~x ′ |ψ〉 ddx′ =

∫U〈~x |~x ′〉ψ(~x′ )ddx′

erhalt man die “Orthogonalitatsrelation”

〈~x |~x ′〉 = δ(~x− ~x ′) . (5.4)

Im Gegensatz zu der gewohnlichen Orthogonalitatsrelation von Elementen desHilbertraums steht auf der rechten Seite der Gleichung die δ-Funktion und nichtdas Kronecker δ. Man kann die Menge {|~x〉} der uneigentlichen ket-Vektorendamit auch als “orthonormale” Basis auffassen.14 Bezuglicher dieser Basis wirdder abstrakte Vektor |ψ〉 durch die Wellenfunktion ψ(~x) = 〈~x |ψ〉 dargestellt.15

Man spricht daher in diesem Zusammenhang auch von der Ortsdarstellung.

14Da der zugrundeliegende Hilbertraum ein separabler ist, muss diese Basis ubervollstandigsein.

15So, wie ein endlichdimensionaler Vektor |ϕ〉 bezuglich einer Basis {|ej〉} durch die Eintrage〈ej |ϕ〉 eines Spaltenvektors dargestellt wird (siehe Kapitel 2), wird das obige |ψ〉 durch dieFunktion ψ(~x) = 〈~x |ψ〉 dargestellt. Die ψ(~x) bilden also die “Eintrage” eines “kontinuierlichenSpaltenvektors”.

Page 67: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

67

Mit Hilfe der uneigentlichen ket-Vektoren |~x 〉 und der bra-Vektoren 〈~x | wollenwir nun einen Ortsoperator definieren. Dazu betrachten wir die auf Eins normierteWellenfunktion ψ(~x) (|ψ(~x)|2 ist die Wahrscheinlichkeitsdichte eines Teilchens zueiner festen Zeit t, die wir nicht mitschreiben). Der Erwartungswert des Ortes istdurch16

〈~x 〉 =

∫U~x |ψ(~x)|2ddx

=

∫U〈ψ |~x 〉 ~x 〈~x |ψ〉 ddx

= 〈ψ| ~x |ψ〉 =⟨~x⟩|ψ〉

gegeben. Dabei haben wir den Ortsoperator17

~x :=

∫U|~x 〉 ~x 〈~x | ddx (5.5)

uber seine Spektraldarstellung in den (uneigentlichen) Ortszustanden definiert.Analog zur Zerlegung der Eins tritt wieder ein Integral statt der Summe (verglei-che mit Gl. (2.8)) auf. Aus der Spektraldarstellung folgt sofort, dass

~x† = ~x ,

der Ortsoperator also selbstadjungiert ist. Die Ortszustande |~x 〉 sind die (unei-

gentlichen) Eigenzustande zu ~x, da

~x |~x ′ 〉 =

∫U|~x 〉 ~x 〈~x | ~x ′ 〉 ddx =

∫U|~x 〉 ~xδ(~x− ~x ′)ddx = ~x ′ |~x ′ 〉 .

Da 〈~x| ~x = ~x 〈~x| wirkt der Ortsoperator in der Ortsdarstellung wie die Multipli-kation mit dem Ortsvektor ~x

〈~x| ~x |ψ〉 = ~x 〈~x |ψ〉 = ~xψ(~x) .

Die Komponenten des Ortsoperators xj, j = 1, 2, . . . , d, vertauschen da

[xi, xj] =

∫Uxi |~x 〉 〈~x | ddx

∫Ux′j |~x ′ 〉 〈~x ′ | ddx′

−∫Ux′j |~x ′ 〉 〈~x ′ | ddx′

∫Uxi |~x 〉 〈~x | ddx

=

∫U

(xixj − xixj) |~x 〉 〈~x | ddx = 0 , (5.6)

16In der letzten Zeile gehen wir dabei von der “Wellenpaketnotation” fur den Erwartungswert

des Ortes 〈~x 〉 von Kapitel 4 zu der abstrakten “Operatornotation”⟨~x⟩|ψ〉

von Kapitel 3 uber.

17Der Hut auf dem Vektor ~x ist notwendig, um den Ortsoperator vom Ortsvektor zu unter-scheiden.

Page 68: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

68 KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM

wobei wir Gl. (5.4) verwendet haben.Ein weiteres wichtiges Beispiel von stetigen linearen Funktionalen die nicht

durch Zustande des L2(Rd) ausgedruckt werden konnen bilden die so genannten“Impulszustande”.18 Wir definieren

〈~p | ψ〉 := ψ(~p ) =

(1√2π~

)d ∫Rde−i~p·~x/~ψ(~x)ddx , (5.7)

so dass |〈~p | ψ〉|2 die Wahrscheinlichkeitsdichte des Impulses ist. Analog zum Be-griff der Ortsdarstellung spricht man hier von der Impulsdarstellung. Die Funkti-

on e−i~p·~x/~/√

2π~d die das Funktional erzeugt ist nicht quadratintegrable, gehortalso nicht zum Hilbertraum. Wie fur die Ortszustande definieren wir dennocheinen uneigentlichen ket-Vektor |~p 〉 gemaß

〈~p |ψ〉∗ = ψ∗(~p) =: 〈ψ |~p〉 .

Analog zur Rechnung Gl. (4.13) kann man zeigen, dass

〈ϕ |ψ〉 =

∫Rdϕ∗(~x)ψ(~x)ddx =

∫Rdϕ∗(~p)ψ(~p)ddp

=

∫Rd〈ϕ |~p 〉 〈~p |ψ〉 ddp

gilt. Wir erhalten damit wieder eine Zerlegung der Eins∫Rd|~p 〉 〈~p | ddp = 1 . (5.8)

Aus ihr ergibt sich wie oben

〈~p |~p ′〉 = δ(~p− ~p ′) . (5.9)

In Analogie zum Ortsoperator definieren wir den Impulsoperator

~p :=

∫Rd|~p 〉 ~p 〈~p | ddp (5.10)

und erhalten den Erwartungswert

〈~p 〉 =

∫Rd~p |ψ(~p )|2ddp

= 〈ψ| ~p |ψ〉 =⟨~p⟩|ψ〉

,

18Wir betrachten hier gleich U = Rd, da die Fouriertransformation fur Funktionen definiertist, die auf dem ganzen Rd gegeben sind. Eine Funktion auf U kann man durch geeignetesFortsetzen auf den ganzen Rd erweitern.

Page 69: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

69

die Selbstadjungiertheit

~p † = ~p ,

die Eigenvektorrelation

~p |~p ′ 〉 = ~p ′ |~p ′ 〉 ,

sowie die Kommutatorrelation

[pi, pj] = 0 . (5.11)

Ein Vergleich von

〈~p |ψ〉 =

∫Rd〈~p |~x〉 〈~x |ψ〉 ddx =

∫Rd〈~p |~x〉ψ(~x)ddx

mit der Definitionsgleichung (5.7) zeigt, dass

〈~p |~x〉 =

(1√2π~

)de−i~p·~x/~ ,

bzw.

〈~x |~p〉 =

(1√2π~

)dei~p·~x/~ , (5.12)

gilt. Aus der letzten Gleichung folgt19

~i

∂~x〈~x |~p〉 = ~p 〈~x |~p〉 .

Mit Hilfe dieser Relation kann man die Wirkung von ~p in der Ortsdarstellungbestimmen

〈~x| ~p |ψ〉 =

∫Rd〈~x |~p 〉 ~p 〈~p |ψ〉 ddp

=~i

∂~x

∫Rd〈~x |~p 〉 〈~p |ψ〉 ddp

=~i

∂~x〈~x |ψ〉 .

In der Ortsdarstellung wird der Impulsoperator ~p also durch den Differentations-operator ~

i∂∂~x

dargestellt.

19 ∂∂~x ist eine haufig benutzte, alternative Schreibweise fur den Gradienten ~∇~x.

Page 70: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

70 KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM

Mit dieser Einsicht lasst sich der wichtige Kommutator [xi, pj] berechnen. Wirbetrachten dazu

〈~x| [xi, pj] |ψ〉 = 〈~x| (xipj − pjxi) |ψ〉

=~i

(xi

∂xj〈~x |ψ〉 − ∂

∂xjxi 〈~x |ψ〉

)= i~ δi,j 〈~x |ψ〉 .

Da |ψ〉 ein beliebiges Element ist20 folgt nach Multiplikation mit |~x〉 von links,Integration uber alle ~x und weglassen einer 1 =

∫|~x〉 〈~x| ddx, die Heisenbergsche

Vertauschungsrelation

[xi, pj] = i~ δi,j1 . (5.13)

Zusammen mit den Kommutatoren Gln. (5.6) und (5.11), bildet Gl. (5.13) dieso genannten kanonischen Kommutatorrelationen. Wir wollen an dieser Stellenocheinmal auf die bereits im Zusammenhang mit Gl. (3.15) angesprochene Bezie-hung klassischer Poissonklammern und der Kommutatorrelationen hinweisen.21

Bis auf den Faktor i~ entspricht Gl. (5.13) den Poissonklammern von Koordinatenund Impulsen in der klassischen Mechanik.22

Wir konnen jetzt einen Zusammenhang zwischen der allgemeinen Heisenberg-schen Unscharferelation Gl. (3.21) und der Gl. (4.14) herstellen. Wahlen wir inGl. (3.21) A = xi und B = pi so folgt

∆|ψ〉(xi) ∆|ψ〉(pi) ≥1

2|〈ψ| [xi, pi] |ψ〉| =

~2,

d.h. Gl. (4.14).23

Zusatzlich konnen wir jetzt bereits die Beziehung von Gl. (4.15) zur Beschrei-bung der Dynamik eines kraftefreien Teilchens (bzw. die offensichtliche dreidimen-sionale Verallgemeinerung dieser Gleichung; siehe Gl. (4.17)) mit der allgemeinenSchrodingergleichung (3.4) verstehen. Dazu betrachten wir

〈~x| ~p 2 |ψ〉 =

∫Rd〈~x |~p 〉 ~p 2 〈~p |ψ〉 ddp

=

(~i

∂~x

)2 ∫Rd〈~x |~p 〉 〈~p |ψ〉 ddp

= −~2∆ 〈~x |ψ〉 .20Genauer ist |ψ〉 ein beliebiges Element aus der Schnittmenge der Definitionsbereiche von ~x

und ~p. Auf dieser Schnittmenge gilt dann die Kommutatorrelation.21Den “tiefen” Grund fur die Gleichheit (bis auf den Faktor i~) von Poissonklammern in

der klassischen Mechanik und den Kommutatoren in der Quantenmechanik werden Sie erst inder Quantenmechanik II kennenlernen. Er hangt mit Symmetrietransformationen wie z.B. derTranslation und der Rotation zusammen.

22Gleiches gilt fur die Gln. (5.6) und (5.11).23Wie fur die Erwartungswerte von Ort und Impuls, haben wir im Kapitel 4 auch fur die

Unscharfen bewusst eine andere Notation gewahlt, als im Kapitel 3.

Page 71: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

71

Wir haben dabei benutzt, dass fur einen selbstadjungierten Operator A mit Spek-traldarstellung

A =∑ν

λν |aν〉 〈aν | ,

f(A), mit einer hinreichend “harmlosen” Funktion f : R → C, die Spektraldar-stellung24

f(A) :=∑ν

f(λν) |aν〉 〈aν | (5.14)

hat.25 Gleiches gilt, wenn die diskrete Summe durch ein Integral ersetzt wird (wie

bei den Orts- und Impulszustanden). Wir erkennen somit, dass der Operator ~p 2

2min

der Ortsdarstellung durch − ~2

2m∆ gegeben ist. Wahlen wir also in der allgemeinen

Schrodingergleichung (3.4) H = ~p 2

2mso folgt

i~∂

∂tψ(~x, t) = i~

∂t〈~x |ψ(t)〉 = 〈~x| i~ ∂

∂t|ψ(t)〉 = 〈~x|H |ψ(t)〉

= 〈~x| ~p2

2m|ψ(t)〉 = − ~2

2m∆ 〈~x |ψ(t)〉 = − ~2

2m∆ψ(~x, t) ,

d.h. Gl. (4.15). Um also von der klassischen Hamiltonfunktion eines kraftefreien

Teilchens ~p 2

2mzum Hamiltonoperator zu gelangen, ersetzen wir den Impuls durch

den Impulsoperator. Gl. (4.15) ist die Schrodingergleichung fur solch ein Teil-chen in der Ortsdarstellung. Der Idee der Ersetzung einer Variablen durch denzugehorigen Operator folgend, ersetzen wir jetzt ein (hinreichend vernunftiges)Potenzial26 V (~x) durch

V (~x) =

∫R3

V (~x) |~x〉 〈~x| d3x ,

mit

〈~x|V (~x) |ψ〉 = V (~x) 〈~x| ψ〉 = V (~x)ψ(~x) .

Damit ergibt sich Gl. (4.17) als Ortsdarstellung der Schrodingergleichung

i~∂

∂t|ψ(t)〉 = H |ψ(t)〉 ,

24Im Gegensatz zur allgemeinen Definition der Funktion eines Operators uber die Potenzreihe,muss f nicht unbedingt in eine Potenzreihe entwickelbar sein.

25Das diese Definition sinnvoll ist, sieht man exemplarisch, wenn man f(y) = y2, y ∈ R, undA = xj =

∫|~x〉xj 〈~x| ddx betrachtet. Explizites berechnen von AA liefert dann dasselbe, wie

A2 nach der Definition.26Eine mogliche Zeitabhangigkeit des Potenzials schreiben wir hier nicht mit.

Page 72: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

72 KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM

mit dem spezifischen Hamiltonoperator

H =~p 2

2m+ V (~x) . (5.15)

Er beschreibt die Dynamik eines Teilchens der Masse m im externen PotenzialV (~x) und man gewinnt ihn aus der Hamiltonfunktion des aquivalenten klassischenProblems durch ersetzen der Koordinaten und Impulse durch die entsprechendenOperatoren. Man nennt diese Ersetzungsvorschrift das Korrespondenzprinzip. Da~p und ~x selbstadjungiert sind, ist auch H selbstadjungiert.27 Wir wollen die obigeAussage nocheinmal durch eine explizite Rechnung bestatigen. Starten wir dazumit Gl. (4.17):

i~∂

∂tψ(~x, t) = − ~2

2m∆ψ(~x, t) + V (~x)ψ(~x, t)

⇔ i~∂

∂t〈~x |ψ(t)〉 = − ~2

2m∆ 〈~x |ψ(t)〉+ V (~x) 〈~x |ψ(t)〉

⇔ 〈~x| i~ ∂∂t|ψ(t)〉 = 〈~x| ~p

2

2m|ψ(t)〉+ 〈~x|V (~x) |ψ(t)〉 .

Multiplikation von links mit dem uneigentlichen ket-Vektor |~x〉, Integration uber~x und das “Weglassen” einer 1 =

∫|~x〉 〈~x| d3x liefert dann die Behauptung.

Wir haben damit, wie angestrebt, eine gemeinsame Sprache fur die in denKapiteln 3 und 4 beschriebene Physik gefunden.

27Da im obigen Hamiltonoperator keine Produkte von pi und xj vorkommen, ist der Be-weis dieser Aussage trivial. Da pi und xi nicht vertauschen (siehe Gl. (5.13)) muss man beimBeweis der Selbstadjungiertheit etwas vorsichtiger sein, wenn solche Produkte auftreten. In die-sem Fall stellt aber das Korrespondenzprinzip sicher, dass man bei der “Quantisierung” einerHamiltonfunktion die Reihenfolge der Faktoren von pi und xi so wahlt, dass der resultierendeHamiltonoperator selbstadjungiert ist. Wir werden entsprechende Beispiele kennen lernen.

Page 73: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 6

Die Postulate derQuantenmechanik

Wir werden jetzt die fundamentalen physikalischen Einsichten, die wir in denvorangegangenen Kapitel gewonnen haben zu Postulaten erheben. Da wir siehinreichend motiviert haben sollten, werden wir hier nicht nocheinmal im Detailauf ihre Interpretation eingehen. Konsequenzen der Postulate werden Sie im Restdieser Vorlesung kennen lernen.

Postulat 1: Jedem abgeschlossenen Quantensystem ist ein Hilbertraum H zuge-ordnet. Der Zustand des Systems zu einer festen Zeit t0 wird durch ein Element|ψ(t0)〉 ∈ H beschrieben. |ψ(t0)〉 ist auf Eins normiert, d.h. 〈ψ(t0) |ψ(t0)〉 = 1.

Postulat 2: Jede messbare physikalische Große A wird durch einen linearen,selbstadjungierten Operator A aufH beschrieben. A hat ein vollstandiges Systemvon Eigenvektoren (es gibt eine Zerlegung der Eins und eine Spektraldarstellungdes Operators aus Eigenvektoren). Man nennt A eine Observable.

Postulat 3: Die moglichen Messwerte von A sind die Eigenwerte von A.

Postulat 4: Misst man die Observable A an einem System im Zustand |ψ〉, soist die Wahrscheinlichkeit den Eigenwert

i) an zu messen, wenn an nicht-entarteter und diskreter Eigenwert zum Ei-genvektor |an〉 ist, durch

wan(|ψ〉) = | 〈an |ψ〉 |2

gegeben.1

1Dieses Postulat impliziert, dass wenn ein gegebener Zustand |ψ〉 orthogonal zu einem odermehreren der Eigenvektoren zu A ist, die Wahrscheinlichkeit die zugehorigen Eigenwerte zu

73

Page 74: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

74 KAPITEL 6. DIE POSTULATE DER QUANTENMECHANIK

ii) an zu messen, wenn an entarteter und diskreter Eigenwert zum Eigenvektor|an, ν〉 ist, durch

wan(|ψ〉) =∑∫ν

| 〈an, ν |ψ〉 |2

gegeben. Dabei bezeichnet ν einen zusatzlichen diskreten (Summenzeichen)bzw. kontinuierlichen (Integralzeichen) Parameter.2

Ist der Eigenwert a Teil eines Kontinuums von Eigenwerten, so liefert3

wa,a+da(|ψ〉) =

(∑∫ν

| 〈a, ν |ψ〉 |2)da

die Wahrscheinlichkeit einen Wert aus dem Intervall [a, a+da] zu messen.4 Dabeifallt die Summe bzw. das Integral (uber ν) weg, wenn der Eigenzustand durchdie Angabe von a bereits eindeutig charakterisiert ist.

Aus Postulat 4 folgt der wichtige Zusammenhang zwischen dem Erwartungswertbzw. Mittelwert (bei wiederholter Messung an identisch praparierten Quantensys-temen) in einem Zustand |ψ〉 und dem Matrixelement 〈ψ|A |ψ〉. Wir wollen ihnfur den Fall von diskreten aber moglicherweise entarteten Eigenwerten beweisen:

〈A〉|ψ〉 :=∑n

anwan(|ψ〉) =∑n

an∑∫ν

| 〈an, ν |ψ〉 |2

=∑n

∑∫ν

〈ψ |an, ν〉 an 〈an, ν |ψ〉 = 〈ψ|A |ψ〉 ,

wobei wir die Spektraldarstellung

A =∑n

∑∫ν

an |an, ν〉 〈an, ν|

messen Null ist. Gleiches gilt, wenn der Eigenwert an entartet ist und |ψ〉 orthogonal zu allen|an, ν〉 ist, wobei ν die erlaubten Werte durchlauft. Aus ihm folgt weiterhin, dass die Zustande|ψ〉 und eiα |ψ〉, mit α ∈ R dieselben moglichen Messwerte mit denselben Wahrscheinlichkeitenliefern (fur alle Observable). Physikalisch spielt eine globale Phase damit keine Rolle. RelativePhasen in Linearkombinationen von Zustanden sind dagegen sehr wichtig.

2Das es eine kontinuierliche Parametrisierung geben kann, haben wir in den Beispielen derOrts- und Impulszustande kennengelernt. Wir werden im Folgenden haufiger das aus demIntegral- und dem Summenzeichen zusammengesetze Symbol verwenden, wenn wir Falle vondiskreter und kontinuierlicher Parameterabhangigkeit gleichzeitig diskutieren wollen.

3Achtung! Hier gehen die Summe bzw. das Integral uber ν. Das da hangt also nicht mit derSumme bzw. dem Integral zusammen.

4Als Beispiel betrachten wir hier A = x (in einer Raumdimension). Dann gilt fur die Wahr-scheinlichkeit bei einer Ortsmessung das durch |ψ〉 beschriebene Teilchen im Intervall [x, x+dx]zu finden wx,x+dx(|ψ〉) = | 〈x |ψ〉 |2dx = |ψ(x)|2dx. Dies entspricht der in Kapitel 4 diskutiertenBornschen Interpretation.

Page 75: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

75

verwendet haben. Ein analoges Resultat fur den Fall, dass es auch Eigenwerte agibt, die in einem Kontinuum liegen, kann man leicht herleiten.

Postulat 5: Ergibt die Messung einer Observablen A den Eigenwert5 an, sobefindet sich das System nach der Messung in einem Zustand, der durch dienormierte Projektion auf den entsprechenden Unterraum (zu an) gegeben ist6

|ψ〉 → Pn |ψ〉〈ψ|Pn |ψ〉1/2

.

Dabei gilt

Pn :=∑∫ν

|an, ν〉 〈an, ν| .

Postulat 6: Die zeitliche Entwicklung eines abgeschlossenen Quantensystems istdurch die Schrodingergleichung

i~d

dt|ψ(t)〉 = H |ψ(t)〉

gegeben, wobei H die Observable ist, die mit der Gesamtenergie des Systemsverknupft ist.

Um Observable aus ihrem klassischen Analogon zu konstruieren benotigen wirdas schon erwahnte Korrespondenzprinzip. Diesem folgend ersetzt man in einerklassischen physikalischen Messgroße A(~x, ~p) die Koordinaten und Impulse durch

die entsprechenden Operatoren ~x und ~p. Dabei wahlt man die Reihenfolge derxi und pj so, dass der resultierende Operator A(~x, ~p) selbstadjungiert ist. Formalist diese Konstruktionsvorschrift nicht eindeutig. Trotzdem lassen sich die prak-tisch wichtigen Falle eindeutig ubersetzen (fur Beispiele, siehe spater). Anhanddes Spinfreiheitsgrads des Elektrons haben wir bereits gesehen, dass es in derQuantenmechanik auch Freiheitsgrade gibt, die kein klassisches Analogon haben.In diesem Fall gibt es weder zur Konstruktion des Hilbertraums noch des Hamil-tonoperators (bzw. weiterer mit diesem Freiheitsgrad zusammenhangender Ope-ratoren) eine allgemeingultige Vorgehensweise. Der Theoretiker muss sich dahervom experimentellen Beobachtungen und allgemeinen Konzepten (wie Symme-trien und Einfachheitsargumenten) leiten lassen. Ein Beispiel dazu haben wir beider Analyse des Stern-Gerlach Experiments kennen gelernt.

5Der Einfachheit halber beschreiben wir nur den Fall eines diskreten Eigenwertes. Die Ver-allgemeinerung folgt jedoch unmittelbar.

6Ist an nicht entartet, so vereinfacht sich der Ausdruck zu |ψ〉 → |an〉. Der Zustand auf derrechten Seite des Pfeils ist nur bis auf eine Phase eindeutig bestimmt.

Page 76: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

76 KAPITEL 6. DIE POSTULATE DER QUANTENMECHANIK

Page 77: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 7

Die Schrodingergleichung in einerDimension

Um simultan ein besseres Verstandnis von “Quanteneffekten” bei der “Bewe-gung”1 eines Teilchens und des Formalismus der Quantenmechanik zu gewinnen,betrachten wir hier vereinfachend die Situation, in der das Teilchen sich nurentlang einer Raumrichtung “bewegen” kann und einem zeitunabhangigen Po-tenzial V (x) ausgesetzt ist. Ausgehend von einem z.B. durch die experimentellePraparation festgelegten2 Anfangszustand zur Zeit t = 0,3 |ψ(0)〉, ist die zeitlicheEntwicklung des Zustandes |ψ(t)〉 durch die Schrodingergleichung

i~d

dt|ψ(t)〉 = H |ψ(t)〉

gegeben. In der Ortsdarstellung ergibt sich, wie wir bereits gesehen haben, einepartielle Differentialgleichung

i~∂

∂tψ(x, t) = − ~2

2m

∂2

∂x2ψ(x, t) + V (x)ψ(x, t) . (7.1)

Fur allgemeine Potenziale V (x) kann diese Differentialgleichung ausgehend vonψ(x, 0) (selbst in einer Dimension!) meist nur numerisch gelost werden. Fur denFall der eindimensionalen Bewegung ist es relativ einfach einen numerisch ei-nigermaßen genauen und stabilen Algorithmus anzugeben mit deren Hilfe die

1Wir wollen hier die Orts- und Impulsfreiheitsgrade eines Teilchens untersuchen. Diese fas-sen wir mit dem Begriff “Bewegung” zusammen. Wie Sie sehen werden, diskutieren wir auchLosungen der Schrodingergleichung, bei denen die Zeitabhangigkeit nur durch eine Phase gege-ben ist, so dass die Wahscheinlichkeitsdichte des Ortes zeitlich konstant ist, also keine wirklicheBewegung stattfindet.

2Als Theoretiker kann man den Anfangszustand, unter Berucksichtigung moglicher, sich ausder konkreten Modellsituation ergebender, Einschrankungen, oft geeignet wahlen.

3Allgemeiner konnte man zur Zeit t0 starten. Der Anfangszustand ware dann durch einvorgegebenes |ψ(t0)〉 beschrieben. Wie wahlen meist zur Vereinfachung und o.B.d.A. t0 = 0.

77

Page 78: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

78 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

Differentialgleichung numerisch direkt gelost werden kann. Unter der zusatzli-chen Literatur finden Sie einige Seiten aus dem Buch Visual Quantum Mechanicsvon B. Thaller anhand derer es Ihnen leicht fallen sollte, ein entsprechendes Pro-gramm zu schreiben. Ein Teil der in der Vorlesung gezeigten “Filme” beruht aufder numerischen Losung der Schrodingergleichung in der Ortsdarstellung.

Da dies aber keine Vorlesung uber “Computational Physics”, sondern ubertheoretische Physik ist, mochten wir auch ein analytisches Verstandnis von phy-sikalisch relevanten Situationen gewinnen. Dazu stellen wir zwei zum Verstandnisder Physik und des Formalismus wichtige Fragen:

(1) Konnen wir den Ablauf von Streuexperimenten analytisch verstehen, indenen ein, durch ein (geeignet gewahltes) Wellenpaket4 beschriebenes Teilchenauf ein raumlich lokalisiertes, externes Potenzials V (x) trifft? Ein Beispiel dazuist in der gezeigten Simulation dargestellt. Ein Wellenpaket trifft auf einen loka-lisierten “Potenzialberg”. Klassisch erwarten wir, dass das Teilchen den Potenzi-alberg durchtritt (Transmission), wenn die kinetische Energie E = p2/(2m) > 0des Teilchens außerhalb des Einflussbereichs des Potenzials großer ist, als diemaximale Potenzialhohe Vmax = maxx∈RV (x). Gilt dagegen E < Vmax, so erwar-ten wir, dass das Teilchen reflektiert wir. Wie Sie in der numerischen Losungder Schrodingergleichung sehen, ergibt sich in der Quantenmechanik eine andereSituation. Ein Teil des mit mittlerem Impuls p0 einfallenden Wellenpakets wirdreflektiert, ein anderer durchtritt jedoch den Potenzialberg. In der Wahrschein-lichkeitsdichte des Impulses gibt es entsprechend nach der Streuung, d.h. wenndie beiden Teilwellenpakete außerhalb des Einflussbereichs des Potenzials sind,zwei scharfe Strukturen: Eine um p0 herum, die andere um −p0. Dieses Verhaltenwerden wir analytisch verstehen konnen. Es fuhrt uns unter anderem auf den sogenannten Tunneleffekt, von dem Sie sicherlich schoneinmal gehort haben. Einanaloges Verhalten in dem ein Wellenpaket auf eine Potenzialstufe trifft ist inAbbildung 7.1 dargestellt. Ein Verstandnis von Streuexperimenten der geschil-derten Art ist im Zusammenhang mit Experimenten sehr wichtig. Allgemeinequantenmechanische Streutheorie (in drei Raumdimensionen) ist Gegenstand derQuantenmechanik II Vorlesung.

(2) Gibt es quadratintegrable Losungen5 der Schrodingergleichung |ψ(t)〉 ineinem gegebenen Potenzial in denen sich die Wahrscheinlichkeitsdichte des Or-tes |〈x |ψ(t)〉|2 = |ψ(x, t)|2 zeitlich nicht andert? Mit dieser Forderung lassen

4Mit dem Begriff Wellenpaket bezeichnen wir hier ganz allgemein eine quadratintegrable,“vernunftige” Wellenfunktion, die hinreichend gut lokalisiert ist, aber in Abwesenheit einesPotenzials nicht allzuschnell zerfließt. Wenn das Teilchen auf das lokalisierte Potenzial trifft,sollte das Wellenpaket noch einigermaßen lokalisiert sein.

5Das wir die Quadratintegrabilitat fordern hat einen Grund! Wie Sie spater sehen werden,gibt es oft Losungen der Schrodingergleichung, deren Zeitabhangigkeit eine reine Phase ist, dieaber nicht quadratintegrabel sind (siehe z.B. die ebenen Wellen aus Gl. (4.12)). Die quadra-tintegrablen Funktionen haben jedoch eine besondere Bedeutung als so genannte gebundeneZustande.

Page 79: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.1. ALLGEMEINE KONZEPTE 79

Abbildung 7.1: Die Streuung eines Wellenpakets an einer Potenzialstufe. Die obereReihe zeigt |ψ(x, t)|2 und die untere |ψ(p, t)|2, jeweils zu drei verschiedenen Zeiten.

wir nur eine zeitabhangige Phase zu. Starten wir bei t = 0 in solch einem Zu-stand, so waren sowohl der Erwartungswert des Ortes als auch die Unscharfezeitunabhangig. Auch bei jeder anderen Messung von Observablen, waren dieErwartungswerte (und Unscharfen) zeitunabhangig.6

Die Beantwortung beider Fragen ist sehr wichtig zum Verstandnis einer Viel-zahl von Experimenten. Wir werden uns ihr in mehreren Schritten nahern. Essollte dabei klar werden, dass einige der wichtigen Schritte auch bei der Losungallgemeinerer Probleme von großer Bedeutung sind.

7.1 Allgemeine Konzepte

Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte: Die Interpretation von ρ(x, t) = |ψ(x, t)|2als Wahrscheinlichkeitsdichte des Ortes,7 wird durch den Begriff der Wahrschein-lichkeitsstromdichte komplettiert. Um dieses Konzept einzufuhren betrachten wirdie zeitliche Anderung von ρ(x, t). Unter der Annahme, dass V (x) reell ist, bildenwir das komplexkonjugierte der Schrodingergleichung (7.1) in der Ortsdarstellung

−i~ ∂∂tψ∗(x, t) = − ~2

2m

∂2

∂x2ψ∗(x, t) + V (x)ψ∗(x, t) . (7.2)

Multiplizieren wir jetzt Gl. (7.1) mit ψ∗(x, t) und Gl. (7.2) mit ψ(x, t) und sub-

6Siehe eine der Fußnoten im Postulat 4.7ψ(x, t) ist eine auf Eins normierte Wellenfunktion.

Page 80: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

80 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

trahieren die beiden resultierenden Gleichungen voneinander, so folgt

i~[ψ∗(x, t)

∂tψ(x, t) + ψ(x, t)

∂tψ∗(x, t)

]= i~

∂tρ(x, t)

= − ~2

2m

[ψ∗(x, t)

∂2

∂x2ψ(x, t)− ψ(x, t)

∂2

∂x2ψ∗(x, t)

]+ V (x)ρ(x, t)− V (x)ρ(x, t)

= − ~2

2m

[ψ∗(x, t)

∂2

∂x2ψ(x, t)− ψ(x, t)

∂2

∂x2ψ∗(x, t)

].

Mit der Definition

j(x, t) :=~

2mi

[ψ∗(x, t)

∂xψ(x, t)− ψ(x, t)

∂xψ∗(x, t)

](7.3)

fur die Wahrscheinlichkeitsstromdichte8 j(x, t) ergibt sich aus dieser Gleichungdie Kontinuitatsgleichung9

∂tρ(x, t) +

∂xj(x, t) = 0 . (7.4)

Das der Name “Wahrscheinlichkeitsstromdichte” gerechtfertigt ist, sehen wir anfolgender Uberlegung. Die Wahrscheinlichkeit das Teilchen zur Zeit t im Intervall[a, b] anzutreffen ist durch W[a,b](t) =

∫ baρ(x, t)dx gegeben. Eingesetzt in Gl. (7.4)

erhalten wir

∂tW[a,b](t) = j(a, t)− j(b, t) .

Die Wahrscheinlichkeit W[a,b](t) andert sich also dadurch, dass bei a “Wahrschein-lichkeit” in das Intervall hineinfließt10 und bei b hinaus. Mit der Zerlegung

ψ(x, t) =√ρ(x, t)eiP (x,t)/~

erhalt man aus Gl. (7.3)

j(x, t) = ρ(x, t)1

m

∂xP (x, t) . (7.5)

Dieser Ausdruck11 zeigt, dass die Wahrscheinlichkeitsstromdichte fur reelle Wel-lenfunktionen ψ(x, t) mit P (x, t) = 0, fur alle x und t, gleich Null ist. Aus der

8Die Definitionsgleichung der Wahrscheinlichkeitsstromdichte zeigt, dass j(x, t) reell ist.9Eine Gleichung dieses Typs sollten Sie aus der Elektrodynamik kennen. Dort steht ρ(x, t)

fur die Ladungsdichte und j(x, t) fur die Stromdichte.10Das “Hineinfließen” kann auch negativ sein. Dann nimmt W[a,b](t) entsprechend ab. Ana-

loges gilt fur ein “negatives” Hinausfließen bei b. In diesem Fall nimmt W[a,b](t) zu.11Man kann 1

m∂∂xP (x, t) als die Geschwindigkeit des Wahrscheinlichkeitsstroms interpretie-

ren. Der Wahrscheinlichkeitsstrom ergibt sich dann als “Dichte×Geschwindigkeit”.

Page 81: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.1. ALLGEMEINE KONZEPTE 81

Kontinuitatsgleichung (7.4) folgt fur diesen Fall eine zeitunabhangige Wahrschein-lichkeitsdichte (siehe unsere obige Frage (2)). Anhand dieser Uberlegung erkennenwir die Wichtigkeit der komplexen Zahlen in der Quantenmechanik.12 Gl. (7.5)zeigt zusatzlich, dass die Wahrscheinlichkeit fur eine allgemeine Wellenfunktionvon Gebieten kleinerer Phase zu Gebieten großerer Phase “fließt”. In der Ko-dierung von Abbildung 4.5 heißt das z.B., dass die Wahrscheinlichkeitsdichte ingelben Gebieten zunimmt und in roten Gebieten abnimmt. Eine solche Situationist in der gezeigten Simulation und fur zwei feste Zeiten in Abbildung 7.2 dar-gestellt. Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte und die Kontinuitatsgleichung sindformal wichtige Konzepte. Zusatzlich konnen sie oft dazu verwendet werden einbesseres anschauliches Verstandnis der in Rechnungen gewonnenen Ergebnisse zugewinnen und qualitative Vorhersagen der Zeitentwicklung einer Wellenfunktionzu machen ohne die Schrodingergleichung vollstandig zu losen.

Abbildung 7.2: Zeitliche Entwicklung einer Wellenfunktion. Der Fluss der Wahr-scheinlichkeit ist in Richtung der ansteigenden Phase. Die verwendete Kodierungder Wahrscheinlichkeitsdichte (als Funktionswert) und Phase (als Farbung unterder Kurve) ist in Abbildung 4.5 erklart.

Eine formale Losung der Schrodingergleichung: Ist das betrachtete Po-tenzial V (x) zeitunabhangig, so ist der Hamiltonoperator zeitunabhangig. In die-sem Fall lasst sich die Schrodingergleichung sofort formal losen

i~d

dt|ψ(t)〉 = H |ψ(t)〉

⇒ |ψ(t)〉 = e−iHt/~ |ψ(0)〉 .

Differenzieren entsprechend der Regeln fur die Differentation eines parameter-abhangigen Operators (hier exp (−iHt/~)) nach dem Parameter (hier t) zeigt,dass die rechte Seite der zweiten Zeile tatsachlich eine Losung der Schrodinger-gleichung mit der durch |ψ(0)〉 gegebenen Anfangsbedingung ist. Allgemein gilt,dass fur jedes zeitunabhangige H der obige Ausdruck eine formale Losung liefert.

12Ohne diese hatte man nur eine “Quantenstatik”.

Page 82: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

82 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

Wir bezeichnen die Losung als formal, da wir im Allgemeinen nicht in der Lagesein werden den Ausdruck

|ψ(t)〉 = e−iHt/~ |ψ(0)〉 =: U(t) |ψ(0)〉 . (7.6)

explizit auszuwerten. Dazu mussten wir alle Zustande |ϕn〉 := Hn |ψ(0)〉, n ∈ N0,bestimmen konnen, die sich durch n-faches Anwenden des Hamiltonoperators aufden Anfangszustand ergeben.13 Wir werden gleich sehen, wie uns in diesem Zu-sammenhang die Spektraldarstellung des Hamiltonoperators weiterhelfen kann.In Gl. (7.6) haben wir den Zeitentwicklungsoperator U(t) definiert. Da H selbst-adjungiert ist, ist U(t), wie man leicht nachrechnet, unitar:14 U †(t) = U−1(t).Aus der Unitaritat des Zeitentwicklungsoperators folgt sofort, dass ein zur Zeitt = 0 auf Eins normierter Zustand 〈ψ(0) |ψ(0)〉 = 1 (Wahrscheinlichkeitsinter-pretation!) auch zu Zeiten t 6= 0 auf Eins normiert ist15

〈ψ(t) |ψ(t)〉 = 〈ψ(0)| eiHt/~e−iHt/~ |ψ(0)〉 = 〈ψ(0) |ψ(0)〉 = 1 .

Im Kapitel 4 uber Wellenpakete hatten wir diese Eigenschaft die Normiertheit derWellenfunktion fur alle Zeiten explizit gefordert und daraus etwas uber die Fou-riertransformierte der Wellenfunktion gelernt. Eine alternative Formulierung derGl. (7.6) erhalten wir, wenn wir die Spektraldarstellung des Hamiltonoperatorsverwenden.

Die Spektraldarstellung des Zeitentwicklungsoperators: Die Eigen-zustande zum Hamiltonoperator H seien mit |E, ν〉 bezeichnet. Wie lassen dabeisowohl kontinuierliche als auch diskrete Eigenwerte E,16 und Entartung zu. Wirnehmen an, dass der zusatzliche Index ν zusammen mit E die Eigenvektoren ein-deutig charakterisiert, d.h. die |E, ν〉 eine Basis eindeutig festlegen. Reicht dazuein zusatzlicher diskreter oder kontinuierlicher Index ν nicht aus, so steht ν fureinen Multiindex. Die Spektraldarstellung des selbstadjungierten Hamiltonope-rators lautet dann

H =∑∫E

∑∫ν

E |E, ν〉 〈E, ν| .

Mit Gl. (5.14) ergibt sich daraus die Spektraldarstellung des Zeitentwicklungs-operators17 zu

U(t) =∑∫E

∑∫ν

e−iEt/~ |E, ν〉 〈E, ν| .

13Zur Erinnerung: exp (−iHt/~) =∑∞n=0H

n(−it/~)n/n!.14Bei der Definition der Unitaritat eines Operators auf einem unendlichdimensionalen Vek-

torraum muss man wie im Fall selbstadjungierter Operatoren auf den Definitionsbereich achten.Fur Details verweisen wir auf die Literatur uber Funktionalanalysis.

15Ohne diese Eigenschaft, wurde unsere Wahrscheinlichkeitsinterpretation wenig sinnvoll sein!16Womoglich sind sie sogar zum Teil diskret und zum Teil kontinuierlich.17Man kann sich sehr leicht davon uberzeugen, dass fur einen selbstadjungierten Operator

A und eine Funktion f : R → C, die in einer Taylorreihe entwickelbar ist, die Definitionender Funktion des Operators f(A) uber die Spektraldarstellung Gl. (5.14) und die Taylorreiheaquivalent sind.

Page 83: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.1. ALLGEMEINE KONZEPTE 83

Kennen wir alle Eigenvektoren |E, ν〉 und Eigenwerte E von H, so ergibt sich|ψ(t)〉 als eine Linearkombination der Basisvektoren |E, ν〉 mit Koeffizienten, diesich aus den Entwicklungskoeffizienten von |ψ(0)〉 nach der {|E, ν〉} Basis undPhasenfaktoren18 e−iEt/~ zusammensetzen

|ψ(t)〉 = U(t) |ψ(0)〉 =∑∫E

∑∫ν

e−iEt/~ 〈E, ν |ψ(0)〉 |E, ν〉 . (7.7)

Es stellt sich also heraus, dass die Kenntnis aller Eigenwerte und Eigenvektorendes Hamiltonoperators bei der Bestimmung der Zeitentwicklung eines Quanten-systems, d.h. der Losung der zugehorigen Schrodingergleichung, extrem hilfreichsein kann. Kennen wir alle Eigenwerte und Eigenvektoren des Hamiltonoperators,so benotigen wir zur Bestimmung von |ψ(t)〉 nur noch alle Eintrage 〈E, ν |ψ(0)〉des Spaltenvektors, der |ψ(0)〉 in der {|E, ν〉} Basis darstellt.

Die zeitunabhangige Schrodingergleichung: Starten wir bei t = 0 ineinem der Eigenzustande des Hamiltonoperators |ψ(0)〉 = |E, ν〉, so ergibt sichaus Gl. (7.7)

|ψ(t)〉 =∑∫E′

∑∫ν′e−iE

′t/~ 〈E ′, ν ′ |E, ν〉 |E ′, ν ′〉 = e−iEt/~ |E, ν〉 ,

da die Eigenzustande |E, ν〉 paarweise orthogonal sind.19 Die Zeitabhangigkeitvon Eigenzustanden reduziert sich somit auf eine reine Phase. Die Eigenwertglei-chung des Hamiltonoperators lautet

H |E, ν〉 = E |E, ν〉 . (7.8)

Sie ergibt sich aus der allgemeinen Schrodingergleichung

i~d

dt|ψ(t)〉 = H |ψ(t)〉

durch Einsetzen der obigen Losung |ψ(t)〉 = e−iEt/~ |E, ν〉, bei der das Systemso prapariert wird, dass es sich zur Zeit t = 0 in einem Eigenzustand zu Hbefindet. Man spricht im Zusammenhang mit der Eigenwertgleichung (7.8) furden Hamiltonoperator daher auch von der zeitunabhangigen (oder stationaren)Schrodingergleichung. Gl. (7.7) verschiebt das Problem der Losung einer partiel-len Differentialgleichung auf die Bestimmung aller Eigenwerte und Eigenvektorenvon H. Fur ein gegebenes Potenzial V (x) lassen sich auch diese im Allgemeinennicht vollstandig analytisch (sondern “nur” numerisch) angeben.

Ein Beispiel: Das kraftefreie Teilchen. Der Hamiltonoperator fur daskraftefreie Teilchen ist durch p2

2mgegeben. Aus der Spektraldarstellung des Im-

pulsoperators Gl. (5.10) kennen wir alle Eigenzustande dieses Operators. Es sind

18Hier bekommt jeder Summand eine unterschiedliche Phase. Im Gegensatz zu einer globalenPhase, die keinen Einfluss auf Messwerte hat, sind solche relativen Phasen extrem wichtig!

19Im diskreten Fall mit einem Kronecker-δ, im kontinuierlichen Fall mit einer δ-Funktion.

Page 84: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

84 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

die uneigentlichen Impulszustande |p〉, p ∈ R

H |p〉 =p2

2m|p〉 =

p2

2m|p〉 .

Die Eigenwerte p2/(2m) sind alle positiv, kontinuierlich (da p ∈ R) und zwei-fach entartet (±p liefern identische Eigenwerte zu H). Keiner der Eigenvektorenist quadratintegrabel.20 Wir haben hier somit die Situation eines rein kontinu-ierlichen Spektrums.21 Als zusatzlichen Index ν konnen wir die Richtung des

Impulses ν = ± wahlen. Wir definieren dann |E,+〉 :=∣∣∣pE = +

√2mE

⟩und

|E,−〉 :=∣∣∣pE = −

√2mE

⟩. Die Spektraldarstellung des Hamiltonoperators lau-

tet

H =

∫ ∞0

∑ν=±

E |E, ν〉 〈E, ν| dE =

∫ ∞−∞

p2

2m|p〉 〈p| dp

und die des Zeitentwicklungsoperators

U(t) =

∫ ∞0

∑ν=±

e−iEt/~ |E, ν〉 〈E, ν| dE =

∫ ∞−∞

exp

(−i p

2

2mt/~)|p〉 〈p| dp .

Starten wir jetzt bei t = 0 mit einem quadratintegrablen, auf Eins normiertenAnfangszustand |ψ(0)〉, so ergibt sich in der Ortsdarstellung

ψ(x, t) = 〈x |ψ(t)〉 = 〈x|U(t) |ψ(0)〉

=

∫ ∞0

∑ν=±

e−iEt/~ 〈E, ν |ψ(0)〉 〈x |E, ν〉 dE

=

∫ ∞−∞

exp

(−i p

2

2mt/~)〈p| ψ(0)〉 〈x |p〉 dp

=1√2π~

∫ ∞−∞

exp

(−i p

2

2mt/~)ψ(p) exp (ipx/~) dp ,

wobei wir Gln. (5.7) und (5.12) verwendet haben und ψ(p) die Fouriertransfor-mierte der Wellenfunktion zur Zeit t = 0 bezeichnet. Wir reproduzieren somitvollstandig unseren “Wellenpaketansatz” aus Gl. (4.12).

20Es handelt sich also nicht um die speziellen Losungen der Schrodingergleichung, nach denenwir im Punkt (2) oben gefragt haben.

21Wir bezeichnen die Menge der Eigenwerte als das Spektrum, auch wenn zu ihnen uneigent-liche (nicht-quadratintegrable) Eigenvektoren gehoren. Das ist mathematisch nicht sehr prazise,wie Sie der Literatur uber Funktionalanalysis entnehmen konnen.

Page 85: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 85

7.2 Stationare Schrodingergleichung mit Poten-

zial

Die zeitunabhangige Schrodingergleichung mit beschranktem V (x): Diezeitunabhangige Schrodingergleichung (d.h. das Eigenwertproblem) in Ortsdar-stellung (ψ′′E,ν(x) = d2

dx2ψE,ν(x))

− ~2

2mψ′′E,ν(x) + V (x)ψE,ν(x) = EψE,ν(x) ,

mit ψE,ν(x) := 〈x |E, ν〉 ist eine gewohnliche lineare Differentialgleichung 2. Ord-nung. Betrachten wir hier nur beschrankte Potenziale V (x), bei denen |V (x)| ≤ C,fur alle x ∈ R, die bis auf endlich viele Stellen (an denen ein Sprung endlicherHohe vorliegen kann, wie z.B. bei einem Kastenpotenzial) stetig sind und einenkompakten Trager haben. Aus der Theorie der gewohnlichen Differentialgleichun-gen folgt, dass es fur jedes E zwei linearunabhangige Losungen ψE,ν(x), ν = 1, 2,gibt. Sie sind stetig und besitzen eine stetige Ableitung. Letzteres gilt auch anPunkten, an denen V (x) einen endlichen Sprung macht. Um dieses zu zeigen,integrieren wir die Differentialgleichung formal um eine Sprungstelle x0 von V (x)∫ x0+ε

x0−εψ′′E,ν(x)dx = ψ′E,ν(x0 + ε)− ψ′E,ν(x0 − ε)

=2m

~2

∫ x0+ε

x0−ε[V (x)− E]ψE,ν(x)dx .

Da V (x) als beschrankt angenommen wurde, verschwindet die zweite Zeile derGleichung im Limes ε → 0 und wir finden ψ′E,ν(x0 + 0) = ψ′E,ν(x0 − 0), also dieStetigkeit der Ableitung selbst an Sprungstellen des Potenzials. Um zu zeigen,dass nicht jede mathematische Losung der Differentialgleichung eine physikalischsinnvolle Wellenfunktion liefert (nach Multiplikation mit exp (−iEt/~)) betrach-ten wir nocheinmal das Beispiel eines kraftefreien Teilchens mit V (x) = 0, furalle x ∈ R. Wie man sehr leicht durch Einsetzen zeigt, bilden die FunktionenψE,±(x) = c± exp (±αEx), mit αE :=

√2m(−E)/~, fur E < 0 die linearun-

abhangigen Losungen. c± ∈ C bezeichnet eine freie Konstante. Beide Losun-gen sind aufgrund ihres exponentiellen Anwachsens in x → ±∞ Richtung nichtquadratintegrabel.22 Da sie fur betragsmaßig große Argumente noch nichteinmalbeschrankt sind, bilden sie auch keine uneigentlichen Zustande (wie die Orts-und Impulszustande), um die wir den Hilbertraum L2(R) ja bereits erweiterthaben. Die beiden Losungen stellen also keine physikalisch sinnvollen Losungendar. Solche gibt es, wie wir bereits aus der obigen Diskussion des Beispiels wis-sen, nur fur positive Energien. Fur E > 0 bilden ψE,±(x) = c± exp (±ikEx),mit kE :=

√2mE/~ > 0, zwei linearunabhangige Losungen. Dieses sind die uns

22Die noch zu berucksichtigende reine Phase exp (−iEt/~) andert daran naturlich nichts!

Page 86: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

86 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

bereits bekannten uneigentlichen Impulszustande in der Ortsdarstellung (wennwir c± = 1/

√2π~ wahlen). Alternativ hatten wir auch die beiden reellen, li-

nearunabhangigen Losungen ψE,1(x) = c1 cos (kEx) und ψE,2(x) = c2 sin (kEx)wahlen konnen. Fur reelle Potenziale V (x) gilt, dass mit ψE(x) auch ψ∗E(x) eineLosung zur selben Energie ist. Damit sind, wie oben beispielhaft gesehen, we-gen der Linearitat der zeitunabhangigen Schrodingergleichung auch Re[ψE(x)]und Im[ψE(x)] Losungen zur Energie E. Wir konnen uns daher immer auf re-elle Losungen beschranken, es ist aber oft praktisch mit den komplexen ebenenWellen exp (±ikEx) zu rechnen.

min

Vmax

1 2 3

V(x)

x

V <0

a b

Abbildung 7.3: Ein beschranktes Potenzial V (x) mit kompaktem Trager, das bisauf endlich viele Sprungstellen stetig ist. Es bietet sich dabei an, die drei Bereiche1,2, und 3 zu unterscheiden.

Betrachten wir jetzt das Eigenwertproblem in einem Potenzial V (x) wie inAbbildung 7.3 skizziert. In den mit 1 und 3 bezeichneten Bereichen, soll dasPotenzial verschwinden.

(1) E < 0: Analysieren wir zunachst den Fall E < 0. Wir werden dabeiwie folgt vorgehen: Fur ein vorgegebenes E < 0 werden wir physikalische Losun-gen der zeitunabhangigen Schrodingergleichung in den drei Teilbereichen bestim-men.23 Aus der Theorie der gewohnlichen Differentialgleichungen wissen wir, dassdie aus den Losungen in den drei Teilgebieten zusammengesetzte Gesamtlosungstetig ist und eine stetige Ableitung besitzt. Dies gilt auch an den Anschlusspunk-ten bei x = a und x = b. Mit Hilfe der an diesen Punkten resultierenden An-schlussbedingungen, werden wir dann zeigen konnen, dass es nicht fur jedes E < 0eine physikalische Losung der zeitunabhangigen Schrodingergleichung im ganzen

23Aus der Theorie der gewohnlichen Differentialgleichungen folgt, dass es auch in den Teil-bereichen jeweils zwei linearunabhangige stetige Losungen, mit stetiger Ableitung gibt. Erneutkommen nicht unbedingt beide Losungen als physikalische Losungen in Frage.

Page 87: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 87

R gibt. Im Bereich 1 kommt aus physikalischen Grunden (siehe oben) nur die

Losung ψ(1)E (x) = c(1) exp (αEx) = c(1) exp (αE[x− a]), mit αE :=

√2m(−E)/~,

in Frage. O.b.d.A. wahlen wir c(1) > 0 und verwenden c(1) spater zur Normie-rung der Gesamtwellenfunktion.24 Im Gebiet 2 existieren zwei linearunabhangigeLosungen ψ

(2)E,±(x). Die beiden freien Konstanten c

(2)+ und c

(2)− in

ψ(2)E (x) = c

(2)+ ψ

(2)E,+(x) + c

(2)− ψ

(2)E,−(x)

wahlen wir so, dass die Gesamtwellenfunktion ψE(x) und ihre Ableitung ψ′E(x)bei x = a stetig sind

ψ(1)E (a) = ψ

(2)E (a) : c(1) = c

(2)+ ψ

(2)E,+(a) + c

(2)− ψ

(2)E,−(a)

ψ(1)′

E (a) = ψ(2)′

E (a) : c(1)αE = c(2)+ ψ

(2)′

E,+(a) + c(2)− ψ

(2)′

E,−(a) .

Aus diesen Forderungen ergeben sich zwei lineare Gleichungen fur c(2)+ und c

(2)− .

In Matrixschreibweise gilt(c(1)

αEc(1)

)=

(2)E,+(a) ψ

(2)E,−(a)

ψ(2)′

E,+(a) ψ(2)′

E,−(a)

)(c

(2)+

c(2)−

).

Dieses Gleichungssystem ist genau dann eindeutig losbar, wenn die Determinanteder Matrix auf der rechten Seite nicht verschwindet. Dieses wird durch einen Satzder allgemeinen Theorie linearer Differentialgleichungen sichergestellt. Nach ihmist die Wronskideterminante

W (x) := det

(ψ+(x) ψ−(x)ψ′+(x) ψ′−(x)

),

die aus zwei linearunabhangigen Losungen ψ±(x) einer allgemeinen linearen, ho-mogenen Differentialgleichung zweiter Ordnung gebildet wird, von x unabhangigund von Null verschieden.25 Somit liegen die beiden Konstanten c

(2)+ und c

(2)− ein-

deutig fest. Als Konsequenz liegen auch die Werte von ψ(2)E (x) und ψ

(2)′

E (x) beix = b eindeutig fest. Im Gebiet 3 gibt es wieder nur eine physikalisch sinnvolleLosung ψ

(3)E (x) = c(3) exp (−αEx) = c(3) exp (−αE[x− b]). Um einen stetigen An-

schluss von ψ(3)E (x) und ψ

(3)′

E (x) zu ermoglichen haben wir somit nur noch einefreie Konstante c(3) zur Verfugung. Daher wird der stetige Anschluss

ψ(2)E (b) = ψ

(3)E (b) : c

(2)+ ψ

(2)E,+(b) + c

(2)− ψ

(2)E,−(b) = c(3)

ψ(2)′

E (b) = ψ(3)′

E (b) : c(2)+ ψ

(2)′

E,+(b) + c(2)− ψ

(2)′

E,−(b) = −αEc(3)

24Damit ist c(1) nicht mehr frei wahlbar!25Das zeigt man in unserem Fall sehr leicht, in dem man die Determinante explizit durch die

ψE,±(x) ausdruckt, nach x differenziert und die zeitunabhangige Schrodingergleichung verwen-det.

Page 88: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

88 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

fur beliebige Energien E < 0 nicht moglich sein. Die Energien

E0 < E1 < . . . < EM < 0

fur die der stetige Anschluss gelingt, sind dann die diskreten Eigenwerte desHamiltonoperators. Die dazugehorigen Wellenfunktionen sind die Eigenvektorenin der Ortsdarstellung. Diese Funktionen bezeichnet man auch als Eigenfunk-tionen. Da die Wellenfunktionen in den Gebieten 1 und 3 exponentiell abfallen,sind sie im Wesentlichen auf das Potenzialgebiet 2 beschrankt und quadratin-tegrabel. Man spricht daher auch von gebundenen Zustanden. Im Beispiel ei-nes beschrankten Potenzials mit kompaktem Trager ist die Zahl der gebundenenZustande (diskreten Eigenwerte) endlich. Fur allgemeine Potenziale ist die Mengeder gebundenen Zustande zumindest abzahlbar (siehe das Beispiel des harmoni-schen Oszillators weiter unten bzw. in den Ubungen). Aus der Konstruktion desEigenvektors folgt, dass alle Ej nicht entartet sind. Den Eigenzustand zur kleins-ten Energie E0 bezeichnet man als Grundzustand, die zugehorige Energie alsGrundzustandsenergie. Der Eigenzustand zur Energie E1 heißt erster angereg-ter Zustand. Entsprechend setzt sich die Namensgebung fur die hoheren Ej fort.Ein klassisches Teilchen, welches sich in dem hier diskutierten Potenzial befindet,hat die minimale Gesamtenergie Vmin. Die quantenmechanische Grundzustand-senergie ist großer als die minimale klassische Energie. Anschaulich lasst sichdas durch die nicht verschwindenden Wahrscheinlichkeiten erklaren, das Teilchenin den klassisch energetisch verbotenen Bereichen zu finden. Die Energiediffe-renz E0 − Vmin > 0 bezeichnet man als Nullpunktsenergie. Um zu zeigen, dassE0 > Vmin gilt betrachten wir nocheinmal die Eigenwertgleichung

ψ′′E(x) =2m

~2[V (x)− E]ψE(x) .

Da ψE(a) = c(1) > 0 gilt, ist fur E ≤ Vmin die zweite Ableitung von ψE(x) imGebiet 2 uberall positiv oder Null. Ausgehend von x = a wird die Funktion nachrechts also immer steiler bzw. bleibt gleich steil. Die resultierende Gesamtfunktionkann dann keine uberall stetige Ableitung haben, da sie im Gebiet 3 exponentiellabfallt.26 Damit kann es keine physikalisch sinnvolle Losung fur E ≤ Vmin geben.Allgemein gilt der so genannte Knotensatz: Die n-te Eigenfunktion ψEn(x) hat nNullstellen, wobei die beiden “Nullstellen” bei x→ ±∞ nicht mitgezahlt werden.Wir werden diesen Satz hier nicht beweisen. Es gilt weiterhin die Aussage, dasses im hier betrachteten eindimensionalen Fall bereits fur ein beliebig schwaches(anziehendes) Potenzial mit Vmin < 0 mindestens einen gebundenen Zustand gibt.Den Beweis dieser Aussage verschieben wir auf die Ubungen.

26Anders ausgedruckt: Da ψE(a) = c(1) > 0 gilt, ist fur E ≤ Vmin die zweite Ableitungvon ψE(x) im Gebiet 2 uberall positiv oder Null. Um bei x = b einen stetigen Anschluss derAbleitung von ψE(x) hinzubekommen, musste die Krummung von ψE(x) aber irgendwo in [a, b]zur x-Achse hin erfolgen.

Page 89: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 89

3

V(x)

xb

21

0−V <0

Abbildung 7.4: Der Potenzialtopf endlicher Tiefe.

Die Beobachtung, dass es in Potenzialen quadratintegrable Eigenzustande zuH mit diskreten Eigenwerten (man nennt sie auch Eigenenergien) gibt, ist ex-trem wichtig zum Verstandnis einer Vielzahl experimenteller Beobachtungen.27

Zum Beispiel kann man die Spektren von Atomen und Molekulen durch “vonAußen” induzierte Ubergange28 zwischen diskreten Energieeigenwerten erklaren.Am Beispiel des Wasserstoffatoms werden wir dieses spater im Detail erlautern.

Als Anwendung des gerade entwickelten Formalismus zur Bestimmung dergebundenen Zustande in einem beschrankten, bis auf endlich viele Sprungstellenstetigen Potenzial V (x) mit kompaktem Trager, betrachten wir hier das Stan-dartbeispiel des in Abbildung 7.4 dargestellten “Potenzialtopfs” endlicher Tiefe

V (x) =

{−V0 < 0 fur 0 < x < b

0 sonst .

In den Gebieten 1 und 3 konnen wir die oben gegebenen exponentiell abfallendenLosungen ψ

(1)E (x) = c(1) exp (αEx) und ψ

(3)E (x) = c(3) exp (−αE[x− b]) verwenden.

Im Gebiet 2 lautet die zeitunabhangige Schrodingergleichung

− ~2

2mψ

(2)′′

E,ν (x) = (E + V0)ψ(2)E,ν(x) ,

mit den Losungen ψ(2)E,+(x) = cos (kEx) und ψ

(2)E,−(x) = sin (kEx), mit kE :=√

2m(E + V0)/~, fur E > −V0. Die Gleichung fur die Anschlussbedingungen beix = 0 lautet damit (

1 0

0 kE

)(c

(2)+

c(2)−

)= c(1)

(1αE

).

27Auch in drei Raumdimensionen gibt es solche gebundenen Zustande mit diskreten Eigen-werten.

28Wie werden spater genauer spezifizieren, was wir mit “von Außen” meinen.

Page 90: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

90 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

Als Losung ergibt sich (c

(2)+

c(2)−

)= c(1)

(1

αE/kE

).

Die Anschlussbedingungen bei x = b ergeben sich zu

(cos (kEb) sin (kEb)

−kE sin (kEb) kE cos (kEb)

)(c

(2)+

c(2)−

)= c(3)

(1−αE

)⇒

(cos (kEb) sin (kEb)

−kE sin (kEb) kE cos (kEb)

)c(1)

(1

αE/kE

)= c(3)

(1−αE

)⇔

(cos (kEb) + αE

kEsin (kEb) −1

−kE sin (kEb) + αE cos (kEb) αE

)(c(1)

c(3)

)=

(00

).

Eine Losung mit nicht verschwindenden c(1) und c(3) gibt es nur, wenn die Deter-minante der Matrix auf der linken Seite der letzten Zeile verschwindet, also[

cos (kEb) +αE

kEsin (kEb)

]αE +

[−kE sin (kEb) + αE cos (kEb)

]= 0

⇔(k2E − α2

E

)sin (kEb)− 2αE kE cos (kEb) = 0

gilt. Es sollte klar sein, dass diese Gleichung nicht fur jedes E < 0 erfullt ist.Sie bildet vielmehr eine (nichtlineare) Bestimmungsgleichung fur die diskretenEigenwerte En < 0, n = 0, 1, . . . ,M . In den Ubungen werden Sie diese Gleichungweiter analysieren und die En < 0 naherungsweise bestimmen.

(2) E > 0: Wir betrachten nocheinmal die Situation mit einem allgemei-nen beschrankten, bis auf endlich viele Sprungstellen stetigen Potenzial V (x) mitkompaktem Trager (siehe z.B. Abbildung 7.3) konzentrieren uns jetzt jedoch aufE > 0. Wie gehabt konstruieren wir die Losung in dem wir die zeitunabhangigeSchrodingergleichung in den drei Teilgebieten betrachten. In jedem der drei Gebie-te kann die allgemeine Losung als Linearkombination zweier linearunabhangigerreeller Funktionen geschrieben werden. In den Gebieten 1 und 3 gilt

ψ(1/3)E (x) = c

(1/3)+ cos (kEx) + c

(1/3)− sin (kEx) , (7.9)

mit kE =√

2mE/~. Dabei konnen die c(1/3)ν komplex sein. Im Gebiet 2 setzen wir

wie oben

ψ(2)E (x) = c

(2)+ ψ

(2)E,+(x) + c

(2)− ψ

(2)E,−(x) ,

Page 91: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 91

mit c(2)+ , c

(2)− ∈ C und den reellen linear unabhangigen Losungen ψ

(2)E,±(x) an. Die

Anschlussbedingung bei x = a ergibt sich zu(cos (kEa) sin (kEa)−kE sin (kEa) kE cos (kEa)

)(c

(1)+

c(1)−

)=

(2)E,+(a) ψ

(2)E,−(a)

ψ(2)′

E,+(a) ψ(2)′

E,−(a)

)(c

(2)+

c(2)−

)⇔ F (a)~c (1) = G(a)~c (2)

⇔ ~c (2) = G−1(a)F (a)~c (1) , (7.10)

wobei wir von der ersten zur zweiten Zeile die reellen Matrizen F und G unddie Vektoren ~c (1) und ~c (2) eingefuhrt haben. Es ist offensichtlich, wie sie definiertsind. Wir haben dabei angenommen, dass die Matrix G(x) bei x = a invertier-bar ist. Die Existenz der Inversen von G(a) wird dadurch sichergestellt, dass dieWronskideterminante (siehe oben) von Null verschieden ist. Aufgrund der Un-abhangigkeit der Wronskideterminanten von x sind die Matrizen F (x) und G(x)fur alle x ∈ R invertierbar. Bei x = b lautet die Anschlussbedingung(

cos (kEb) sin (kEb)−kE sin (kEb) kE cos (kEb)

)(c

(3)+

c(3)−

)=

(2)E,+(b) ψ

(2)E,−(b)

ψ(2)′

E,+(b) ψ(2)′

E,−(b)

)(c

(2)+

c(2)−

)⇔ F (b)~c (3) = G(b)~c (2) .

Setzen wir jetzt in die Gleichung der letzten Zeile ~c (2) aus Gl. (7.10) ein und losen

nach ~c (3) auf, so folgt eine Beziehung zwischen den c(1)ν und den c

(3)ν

~c (3) = F−1(b)G(b)G−1(a)F (a)~c (1) =: M~c (1) . (7.11)

Aus den Regeln im Umgang mit der Determinanten von Produkten von Matrizenund der Unabhangigkeit der Wronskideterminanten von x folgt

detM =detG(b)

detG(a)

detF (a)

detF (b)= 1 .

Damit gibt es fur jedes E > 0 und vorgegebene ~c (1) einen eindeutigen Vektor~c (3). Das Spektrum fur positive E ist also kontinuierlich. Bereits das Verhaltender allgemeinen Losung ψE(x) in den Gebieten 1 und 3 Gl. (7.9) zeigt, dassdie zugehorigen Eigenfunktionen des Hamiltonoperators nicht normierbar sind(ahnlich wie die Impulszustande - die ebenen Wellen). Wie bei der Konstrukti-on normierbarer Losungen der kraftefreien Schrodingergleichung, kann man siejedoch dazu verwenden normierbare Wellenpakete zu bilden, die die Schrodinger-gleichung losen.29

29Zur Erinnerung: Da die Schrodingergleichung linear ist, bildet jede Linearkombination vonLosungen ebenfalls eine Losung.

Page 92: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

92 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

Um die Streuung eines einfallenden Wellenpakets am Potenzialbereich zu be-schreiben ist es gunstiger die Losungen in den Gebieten 1 und 3 etwas anders alsin Gl. (7.9) anzusetzen30 (A, B ∈ C)

ψ(1)E (x) = eikEx + Ae−ikEx = (1 + A) cos (kEx) + i(1− A) sin (kEx)

ψ(3)E (x) = BeikEx = B cos (kEx) + iB sin (kEx) .

Dieser Ansatz ist an der Idee orientiert, dass eine Welle (ein Wellenpaket) vonlinks einfallt (exp [ikEx], kE > 0) und dann zum Teil reflektiert (A exp [−ikEx])und zum Teil transmittiert (B exp [ikEx]) wird. O.B.d.A. haben wir den Vorfaktorder einfallenden Welle auf Eins gesetzt. Damit sind A und B automatisch imVerhaltnis zum Vorfaktor der einfallenden Welle gemessen.31 Gl. (7.11) lautetdamit (

BiB

)=

(M1,1 M1,2

M2,1 M2,2

)(1 + Ai(1− A)

)⇔

(M2,2 −M1,2

−M2,1 M1,1

)(1i

)=

((1 + A)/Bi(1− A)/B

).

Bei der Invertierung von M haben wir dabei detM = 1 verwendet. Ausgeschrie-ben liefert diese Matrixrelation zwei Gleichungen. Addiert und subtrahiert mandiese, so folgen die Relationen

1

B=

1

2[M1,1 +M2,2 + i(M2,1 −M1,2)]

A

B=

1

2[M2,2 −M1,1 − i(M1,2 +M2,1)] .

Damit sindA undB durch die (unbekannten, vom Potenzial im Gebiet 2 abhangen-den) reellen Matrixelemente Mi,j bestimmt.32 Aus detM = 1 folgt∣∣∣∣ 1

B

∣∣∣∣2 − ∣∣∣∣AB∣∣∣∣2 = 1 .

Bezeichnet man R := |A|2 und T := |B|2, so folgt

R + T = 1 . (7.12)

30Ein Vergleich mit Gl. (7.9) zeigt, dass es sich bei diesem Ansatz nicht um den allgemeinstmoglichen handelt. Dieser wurde erst dadurch zustandekommen, dass man gleichzeitig eine vonrechts einfallenden Welle und ihre Streuwellen betrachtet.

31D.h. |A| und |B| sind im Verhaltnis zur Amplitude der einfallenden Welle gemessen unddie Phasen von A und B als Differenz zur Phase der einfallenden Welle.

32Beispiele dazu, wie A und B uber die Matrixelemente Mi,j von den Potenzialparameternabhangen, werden Sie in den Ubungen kennen lernen.

Page 93: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 93

Die Amplituden A und B hangen von der jeweils gewahlten Energie E bzw. kEab.33 Daher schreiben wir besser R = R(kE) und T = T (kE). R(kE) bezeichnetman als den Reflexionskoeffizienten und T (kE) als den Transmissionskoeffizienten(zu gegebener Wellenzahl kE). Wir konnen bereits erahnen, dass diese Nomen-klatur sinnvoll ist, werden es aber noch genauer verstehen konnen, wenn wirWellenpakete aus den “Streufunktionen”

ψ(l)E (x) =

eikEx + A(kE)e−ikEx x < a

ψ(2)E (x) a ≤ x ≤ b

B(kE)eikEx x > b

bilden.34 Den oberen Index l haben wir dabei eingefuhrt, um uns daran zu er-innern, dass wir eine von links einfallende Welle betrachten. Vollig analog kannman Wellenpakete aus von rechts einfallenden Wellen bilden. Wir bilden ein Wel-lenpaket

ψ(l)(x, t) :=

∫ ∞0

f(k)ψ(l)E(k)(x) exp

(−i~k

2

2mt

)dk ,

mit E(k) = ~2k2

2m. Die Funktion f(k) bezeichnet die Gewichtsfunktion. Sie muss

eine Normierungsbedingung erfullen (siehe auch Kapitel 4), die wir weiter untenbestimmen werden. Das Wellenpaket ist Losung der zeitabhangigen Schrodinger-gleichung, da die ψ

(l)E(k)(x) exp (−i~k2

2mt) Losungen sind. Wir nehmen wieder an,

dass die Gewichtsfunktion f(k) um einen Wert k0 > 0 herum konzentriert ist. Dermittlere Impuls des einfallenden Wellenpakets ergibt sich dann erneut zu p0 = ~k0

(siehe Kapitel 4 und unten). Fur k < 0 soll f(k) so klein sein, dass der Fehlerden wir machen wenn wir das k-Integral bis −∞ ausdehnen vernachlassigbar ist.Betrachten wir die resultierende Wellenfunktion zunachst links vom Potenzial,d.h. fur x < a

ψ(l)(x, t) = Θ(a− x)

∫ ∞−∞

f(k)[eikx + A(k)e−ikx

]exp

(−i~k

2

2mt

)dk

= Θ(a− x) [ψ1(x, t) + ψ2(x, t)] . (7.13)

Θ(x) bezeichnet die Stufenfunktion

Θ(x) :=

{0 fur x < 01 fur x ≥ 0

33Da jedes E > 0 eine Losung liefert, liefert auch jedes kE > 0 eine Losung. Dabei betrachtenwir hier nur kE > 0, da die Welle von links einfallen soll. Wir konnen daher statt kE aucheinfach k schreiben.

34Genau genommen konnen wir noch nicht von Transmission und Reflexion sprechen, dadie bisher bestimmten nicht normierbaren Losungen der Schrodingergleichung nur eine beider Erwartungswertbildung irrelevante Zeitabhangigkeit exp (−iEt/~) haben. Sie sind volligaquivalent zu den ebenen Wellen des kraftefreien Teilchens.

Page 94: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

94 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

und35

ψ1(x, t) :=

∫ ∞−∞

f(k)eikx exp

(−i~k

2

2mt

)dk

= exp

(i

[k0x−

~k20

2mt

])∫ ∞−∞

f(k + k0)eik(x−v0t) exp

(−i~k

2

2mt

)dk︸ ︷︷ ︸

=:φt(x−v0t)

,

ψ2(x, t) :=

∫ ∞−∞

f(k)A(k)e−ikx exp

(−i~k

2

2mt

)dk

= exp

(i

[−k0x−

~k20

2mt

])∫ ∞−∞

f(k + k0)A(k + k0)eik(−x−v0t) exp

(−i~k

2

2mt

)dk

≈ exp

(i

[−k0x−

~k20

2mt

])A(k0)

∫ ∞−∞

f(k + k0)eik(−x−v0t) exp

(−i~k

2

2mt

)dk .

Dabei gilt wieder v0 = ~k0/m, mit der mittleren Geschwindigkeit v0 (siehe Kapitel4 und unten) und wir haben die Funktion φt(y) definiert. Von der vorletzten zurletzten Zeile haben wir angenommen, dass A(k) sich uber das k-Intervall, in demf(k) nicht verschwindet nur sehr schwach verandert. Allgemeiner kann man A(k)in einer Taylorreihe um k0 herum entwickeln und weitere Terme der Entwicklungmitnehmen.36 Mit dieser Naherung erhalten wir

ψ1(x, t) = exp

(i

[k0x−

~k20

2mt

])φt(x− v0t)

ψ2(x, t) ≈ A(k0) exp

(i

[−k0x−

~k20

2mt

])φt(−x− v0t) .

Wahlt man die Funktion f(k) reell, so ist φt(y) um y = 0 herum lokalisiert.37 Furhinreichend negative Zeiten t � 0, sind somit ψ1 um x ≈ v0t � 0 und ψ2 umx ≈ −v0t� 0 herum lokalisiert. Fur die Wahrscheinlichkeitsdichte ergibt sich furx < a38

|ψ(l)(x, t)|2 = Θ(a− x)[|ψ1(x, t)|2 + |ψ2(x, t)|2 + ψ∗1(x, t)ψ2(x, t) + c.c.

].

Aufgrund der Θ-Funktion tragt ψ2(x, t) fur t � 0 praktisch nicht bei und dieWahrscheinlichkeitsdichte ist durch |ψ1(x, t)|2 gegeben. Es ergibt sich das von

35Damit beim Ubergang vom Integral uber k, zum Integral uber k keine Anderung der unterenIntegrationsgrenze auftritt, benotigen wir −∞ als untere Grenze.

36Hier berucksichtigen wir nur den fuhrenden Term dieser Entwicklung.37Siehe das Beispiel des Gaußschen Wellenpakets mit x0 = 0.38Wir fuhren dabei die Bezeichnung “c.c.” ein, die fur “complex conjugate”, also das Konju-

giertkomplexe, steht.

Page 95: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 95

links mit mittlerem Impuls ~k0 und mittlerer Geschwindigkeit v0 einlaufendeWellenpaket. Wenn das Wellenpaket den Potenzialbereich erreicht, beginnt auchψ2(x, t) einen signifikanten Beitrag fur x < a zu haben. Die Interferenztermeψ∗1(x, t)ψ2(x, t) und ψ1(x, t)ψ∗2(x, t) fuhren dann zu den in Abbildung 7.1 undder gezeigten Simulation sichtbaren starken Oszillationen in der Wahrscheinlich-keitsdichte. Fur sehr große Zeiten t� 0 ist ψ1(x, t) rechts vom Potenzialbereichlokalisiert und ψ2(x, t) links. In diesem Fall tragt praktisch nur ψ2(x, t) bei unddie Wahrscheinlichkeitsdichte fur x < a ist durch das reflektierte Wellenpaketbeschrieben. Eine vollig analoge Uberlegung konnen wir fur x > b anstellen

ψ(l)(x, t) = Θ(x− b)∫ ∞−∞

f(k)B(k)eikx exp

(−i~k

2

2mt

)dk

≈ Θ(x− b)B(k0)ψ1(x, t) .

Fur t� 0 ist |ψ(l)(x, t)|2 fur x > b praktisch Null. Fur t� 0 ist die Wahrschein-lichkeitsdichte rechts vom Potenzialbereich durch das ungestreute Wellenpaket|ψ1(x, t)|2 mit einer um |B(k0)|2 = T (k0) reduzierten Amplitude gegeben. Da esrechts vom Potenzialbereich auch direkt bei der Streuung keine Interferenzter-me gibt, treten fur x > b keine Oszillationen in der Wahrscheinlichkeitsdichteauf. Fur t � 0 ist die gesamte Wahrscheinlichkeitsdichte |ψ(l)(x, t)|2 durch dasvon links einfallende um x ≈ v0t zentrierte Wellenpaket mit Wahrscheinlich-keitsdichte |ψ1(x, t)|2 gegeben. Da ψ(l)(x, t) zu allen Zeiten auf Eins normiert ist(Wahrscheinlichkeitsinterpretation), folgt fur t� 0∫ ∞

−∞|ψ1(x, t)|2dx =

∫ ∞−∞|φt(x− v0t)|2dx

=

∫ ∞−∞|φt(y)|2dy = 1 ,

was eine Forderung an f(k) darstellt (siehe Kapitel 4) da

φt(y) =

∫ ∞−∞

f(k + k0)eiky exp

(−i~k

2

2mt

)dk .

In volliger Analogie zu Gl. (4.13) muss gelten∫ ∞−∞|f(k)|2dk =

1

2π.

Ist diese Bedingung erfullt, so gilt∫ ∞−∞|φt(y)|2dy = 1

Page 96: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

96 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

fur alle t ∈ R und nicht nur im Limes t→ −∞. Diese Eigenschaft werden wir imFolgenden benutzen. Die Wahrscheinlichkeit fur Reflexion ist durch

wR :=limt→∞

∫ a−∞ |ψ

(l)(x, t)|2dxlimt→−∞

∫ a−∞ |ψ(l)(x, t)|2dx

=limt→∞

∫∞−∞ |ψ2(x, t)|2dx

limt→−∞∫∞−∞ |ψ1(x, t)|2dx

≈ |A(k0)|2limt→∞

∫∞−∞ |φt(−x− v0t)|2dx

limt→−∞∫∞−∞ |φt(x− v0t)|2dx

= |A(k0)|2limt→∞

∫∞−∞ |φt(y)|2dy

limt→−∞∫∞−∞ |φt(y)|2dy

= |A(k0)|2 = R(k0)

gegeben. Diese Uberlegung rechtfertigt nun vollstandig den Begriff Reflexionsko-effizient fur R(k). Die Transmissionswahrscheinlichkeit ist entsprechend

wT :=limt→∞

∫∞b|ψ(l)(x, t)|2dx

limt→−∞∫ a−∞ |ψ(l)(x, t)|2dx

≈ |B(k0)|2limt→∞

∫∞−∞ |ψ1(x, t)|2dx

limt→−∞∫∞−∞ |ψ1(x, t)|2dx

= |B(k0)|2limt→∞

∫∞−∞ |φt(x− v0t)|2dx

limt→−∞∫∞−∞ |φt(x− v0t)|2dx

= |B(k0)|2limt→∞

∫∞−∞ |φt(y)|2dy

limt→−∞∫∞−∞ |φt(y)|2dy

= |B(k0)|2 = T (k0) ,

d.h. durch den Transmissionskoeffizienten gegeben. Gl. (7.12) ist dann ein Aus-druck fur die Erhaltung der Gesamtwahrscheinlichkeit.

Da T (kE) fur ein allgemeines V (x) auch fur Energien E < Vmax nicht exaktNull ist, gibt es eine nichtverschwindende Wahrscheinlichkeit, dass ein quanten-mechanisches Teilchen mit mittlerer kinetischer Energie E < Vmax einen klassischverbotenen Potenzialbereich durchtritt. Man spricht in diesem Fall vom Tun-neleffekt. Das Teilchen “durchtunnelt” den Potenzialberg. Analog gibt es auchfur E > Vmax eine nichtverschwindende Wahrscheinlichkeit, dass das Teilchenreflektiert wird. Interessant sind so genannte Resonanzen: Fur von den Potenzi-alparametern (z.B. der Breite und der Hohe eines Kastenpotenzials) abhangigeEnergien ist die Transmissionswahrscheinlichkeit gleich Eins. In den Ubungenwerden Sie T (kE) und R(kE) fur einen Potenzialtopf (mit V0 > 0 und V0 < 0)wie in Abbildung 7.4 dargestellt (dort nur fur V0 > 0) bestimmen und damitdie Streuung an diesem Potenzial genauer untersuchen. Dabei werden Sie diebeschriebenen Effekte explizit bestatigen.

Zusammenfassend halten wir fest, dass das Spektrum des Hamiltonoperatorsfur ein eindimensionales, beschranktes, bis auf endlich viele Sprungstellen stetigesPotenzial V (x) mit kompaktem Trager (siehe z.B. Abbildung 7.3) im Allgemeinenaus einem diskreten (E < 0) und einem kontinuierlichen (E > 0) Teil besteht.

Page 97: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 97

Die Eigenvektoren zu ersterem sind die normierbaren gebundenen Zustande, dieEigenvektoren zu letzterem die uneigentlichen Streuzustande, aus denen sich nor-mierbare Wellenpakete konstruieren lassen.

Die zeitunabhangige Schrodingergleichung mit V (x) = V0 δ(x − x0):Als nachstes wollen wir Losungen der zeitunabhangige Schrodingergleichung ineinem Potenzial betrachten, welches nicht beschrankt ist. Ein Beispiel das sichvollstandig analytisch untersuchen lasst ist das δ-Potenzial V (x) = V0δ(x − x0).Man kann sich vorstellen, dass es aus einem beschrankten um x0 zentrierten Kas-tenpotenzial (siehe Abbildung 7.4) endlicher Tiefe und endlicher Breite im LimesTiefe→∞ und Breite→ 0 mit Tiefe×Breite = const. entstanden ist.39 Bei die-sem Grenzprozess geht die Stetigkeit der Ableitung ψ′E(x) bei x = x0 verloren(fur x 6= x0 bleibt die Stetigkeit der Ableitung jedoch erhalten; siehe unten). Wirkonnen das einfach verstehen, indem wir die zeitunabhangige Schrodingerglei-chung von x0 − ε bis x0 + ε, mit ε > 0, integrieren

∫ x0+ε

x0−ε

[− ~2

2mψ′′E(x) + V0δ(x− x0)ψE(x)

]dx = E

∫ x0+ε

x0−εψE(x) dx

⇒ − ~2

2m[ψ′E(x0 + ε)− ψ′E(x0 − ε)] + V0ψE(x0) = E

∫ x0+ε

x0−εψE(x) dx .

Aus diesem Ausdruck ergibt sich fur ε→ 0 und unter der Annahme, dass ψE(x)bei x0 beschrankt bleibt (diese Annahme wird sich als konsistent herausstellen,was sie nachtraglich rechtfertigen wird; siehe unten)

limε→0

[ψ′E(x0 + ε)− ψ′E(x0 − ε)] =2mV0

~2ψE(x0) . (7.14)

Die erste Ableitung der Losungsfunktion springt somit bei x0. Bei der Losungder zeitunabhangige Schrodingergleichung fordern wir also, dass ψE(x) fur allex ∈ R stetig ist, die Ableitung ψ′E(x) fur alle x 6= x0 stetig ist und bei x0 gemaßGl. (7.14) springt. Damit bietet es sich an, die Losung fur die zwei Teilgebiete(Gebiete 1 und 2) x < x0 und x > x0 zu betrachten und bei x = x0 die Stetigkeitvon ψE(x) und die Sprungbedingung Gl. (7.14) von ψ′E(x) zu fordern. Betrachtenwir zunachst wieder den Fall E < 0. In den Gebieten 1 und 2 mussen wir diefreie stationare Schrodingergleichung losen. Die physikalischen Losungen lautendann wie gehabt ψ

(1/2)E (x) = c(1/2) exp (±αE[x− x0]), mit αE =

√2m(−E)/~,

wobei das obere Vorzeichen im Gebiet 1 und das untere in 2 zu wahlen ist. Ausder Stetigkeit der Gesamtlosung ψE(x) bei x0 folgt sofort c(1) = c(2) = c. Die

Ableitungen ergeben sich zu ψ(1/2)′

E (x) = ±αEc exp (±αE[x− x0]). Bei x = x0

39Allgemeiner ist die δ-Funktion das Limeselement einer δ-Folge, wie Sie sie beispielhaft inden Ubungen kennen gelernt haben.

Page 98: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

98 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

folgt somit

limε→0 [ψ′E(x0 + ε)− ψ′E(x0 − ε)]ψE(x0)

(2)′

E (x0)− ψ(1)′

E (x0)

ψE(x0)

= −2αE = −2√

2m(−E)/~ .

Aus der Sprungbedingung Gl. (7.14) ergibt sich dann die Forderung

mV0

~2= −

√2m(−E)/~ . (7.15)

Sie legt die Energie E < 0 fur die es bei einer gegebenen Potenzialstarke V0 < 0(anziehendes Potenzial) eine Losung gibt eindeutig zu

E0 = −mV2

0

2~2

fest. Wir finden somit fur V0 < 0 genau einen gebundenen Zustand mit EnergieE0 < 0. Es gibt keine weiteren gebundenen Zustande. Mit dem so bestimmtenE0 und dem obigen allgemeinen Ansatz fur die Losung der stationare Schrodin-gergleichung in den Bereichen 1 und 2 folgt

ψE0(x) = c exp

[−m|V0|

~2|x− x0|

].

Wir mussen dann noch die Normierungskonstante c bestimmen. Dazu betrachtenwir ∫ ∞

−∞|ψE0(x)|2 dx = |c|2

∫ ∞−∞

exp

[−2

m|V0|~2|x− x0|

]dx

= |c|2∫ ∞−∞

exp

[−2

m|V0|~2|x′|]dx′

= 2|c|2∫ ∞

0

exp

[−2

m|V0|~2

x

]dx

= −2|c|2[−2

m|V0|~2

]−1

= |c|2 ~2

m|V0|= 1 .

Damit ergibt sich, bis auf die wie ublich freie Phase, c =√m|V0|/~ und

ψE0(x) =

√m|V0|~

exp

[−m|V0|

~2|x− x0|

].

Page 99: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL 99

Fur V0 > 0 ist Gl. (7.15) nicht erfullbar und es gibt keinen gebundenen Zustandmit E < 0.

Mit Hilfe der Sprungbedingung Gl. (7.14) lassen sich auch die StreuzustandeψE(x) der Streuung an V (x) = V0δ(x − x0) mit E > 0 bestimmen. Wie bei derStreuung an einem beschrankten Potenzial gibt es zu jedem E > 0 eine Losungder stationaren Schrodingergleichung (dies gilt fur V0 < 0 und V0 > 0). Damitbesteht das vollstandige Spektrum des Hamiltonoperators fur V0 < 0 aus einemdiskreten Eigenwert E0 < 0 und einem Kontinuum von (uneigentlichen) Eigen-werten fur E > 0 und fur V0 > 0 aus einem Kontinuum von (uneigentlichen)Eigenwerten fur E > 0. In einer Ubungsaufgabe werden Sie die Transmissions-T (kE) und Reflexionskoeffizienten R(kE) fur dieses Problem bestimmen und da-mit das Streuproblem losen.

Fur das Beispiel des δ-Potenzials lasst sich recht einfach explizit die Vollstandig-keit der Eigenvektoren zum Hamiltonoperator zeigen.40 Dies ist in einem padago-gischen Artikel diskutiert, den Sie unter der zusatzlichen Literatur finden.

In zwei Ubungsaufgaben haben Sie zusatzlich die stationare Schrodingerglei-chung in den unbeschrankten Potenzialen des harmonischen Oszillators und desKasten mit unendlich hohen Wanden gelost. Das Spektrum des Hamiltonopera-tors ist in beiden Fallen rein diskret und abzahlbar41 und die zugehorigen Ei-genfunktionen sind quadratintegrabel (normierbar). Auf das Problem des har-monischen Oszillators werden wir nocheinmal ausfuhrlich im folgenden Kapitelzuruckkommen.

40Dabei mussen sowohl der mogliche (V0 < 0) gebundene Zustand mit E0 < 0, als auch dieStreuzustande mit E > 0 berucksichtigt werden.

41Wahlen wir, wie in den Ubungsaufgaben, als minimalen Wert der Potenziale jeweils Null,so gilt fur die Eigenwerte Ej > 0.

Page 100: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

100 KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION

Page 101: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 8

Der harmonische Oszillator

In einer Ubungsaufgabe haben Sie die Energieeigenwerte und die zugehorigen Ei-genfunktionen (die Eigenvektoren in Ortsdarstellung) des eindimensionalen har-monischen Oszillators mit dem Potenzial V (x) = 1

2mω2x2 bestimmt, indem Sie

die stationare Schrodingergleichung mit Hilfe eines Potenzreihenansatzes gelosthaben. Wir werden hier auf das Problem der Bestimmung der Eigenwerte undEigenvektoren von H zuruckkommen, jedoch eine elegantere Methode verwen-den, die auf das allgemeine Konzept von so genannten Leiteroperatoren fuhrt.Bevor wir dazu kommen, wollen wir jedoch begrunden, warum das harmoni-sche Oszillator-Problem nicht nur von padagogischem Interesse ist,1 sondern sehroft zum (zumindest) qualitativen Verstandnis von dynamischen Problemen her-angezogen werden kann. Wir werden hier zunachst im Rahmen der klassischenMechanik argumentieren. Betrachten wir ein Teilchen, welches einem allgemei-nen Potenzial V (x) ausgesetzt ist. Das Potenzial habe lokale Minima, von deneneines bei x0 liege. Wir nehmen nun an, dass wir die Bewegung eines Teilchensbeschreiben mochten, welches ein wenig aus der Gleichgewichtsposition x0 aus-gelenkt wurde. Dazu entwickeln wir das allgemeine Potenzial V (x) um x0 in eineTaylorreihe und erhalten

V (x) = V (x0) + (x− x0)V ′(x0) +1

2(x− x0)2V ′′(x0) +O

([x− x0]3

).

Da es sich bei x0 um ein lokales Minimum handelt gilt V ′(x0) = 0 und V ′′(x0) > 0.Verschieben wir nun zusatzlich unseren Nullpunkt der Energie um V (x0), so ergibtsich

V (x) =1

2(x− x0)2V ′′(x0) +O

([x− x0]3

).

1Im Laufe Ihres Physikstudiums sollten Sie bereits gemerkt haben, dass das harmonischeOszillator-Problem ein oft herangezogenes padagogisches Beispiel zur Verdeutlichung allgemei-ner Zusammenhange ist. In der klassischen Mechanik ist es z.B. wichtig bei der Beschreibungder Dynamik eines Pendels mit kleiner Auslenkung und der Hookschen Feder mit Masse.

101

Page 102: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

102 KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR

Ist die Auslenkung aus der Ruhelage x − x0 klein, so konnen wir die Terme derOrdnung [x− x0]3 und hoher vernachlassigen und das zu untersuchende Problemreduziert sich auf ein (um x0 verschobenes) harmonischer Oszillator-Problem mitω =

√V ′′(x0)/m. Auf diese Weise gelingt es viele Aspekte der Bewegung um

eine Ruhelage mit kleiner Auslenkung mit Hilfe des zugehorigen harmonischerOszillator-Problems zu untersuchen. Ahnlich lasst sich auch die dreidimensio-nale Bewegung um ein lokales Potenzialminimum mit kleiner Auslenkung aufdas Problem des dreidimensionalen harmonischen Oszillators abbilden. AnalogeUberlegungen kann man fur ein durch ein Wellenpaket beschriebenes quantenme-chanisches Teilchen anstellen. Dabei gilt es zusatzlich zu beachten, dass aufgrunddes Tunneleffekts ein Teil der Wahrscheinlichkeitsdichte aus dem Gebiet um x0

“entweicht”.Der Hamiltonoperator des eindimensionalen harmonischen Oszillators lautet

H =p2

2m+

1

2mω2x2 .

Wir definieren einen Operator

a :=

√mω

2~x+

i√2m~ω

p . (8.1)

Der dazu adjungierte Operator a† ergibt sich zu

a† =

√mω

2~x− i√

2m~ωp . (8.2)

Weiterhin definieren wir den selbstadjungierten Operator

N := a†a (8.3)

=

(√mω

2~x− i√

2m~ωp

)(√mω

2~x+

i√2m~ω

p

)=

2~x2 +

1

2m~ωp2 +

i

2~[x, p]

=1

~ωH − 1

21 .

Damit konnen wir den Hamiltonoperator wie folgt schreiben2

H = ~ω(N +

1

2

)= ~ω

(a†a+

1

2

).

Mit Hilfe der Heisenbergschen Vertauschungsrelation Gl. (5.13) konnen wir denKommutator [

a, a†]

=1

2~(−i [x, p] + i [p, x]) = 1 (8.4)

2Im zweiten Summanden lassen wir entsprechend unserer Gewohnheit wieder den Einsope-rator weg.

Page 103: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

103

bestimmen. In einer Ubungsaufgabe haben Sie gezeigt, dass fur allgemeine Ope-ratoren A,B und C die Relation

[A,BC] = ABC−BAC + BAC−BCA = [A,B] C + B [A,C]

gilt. Verwenden wir diese, so ergeben sich[a, N

]=[a, a†a

]=[a, a†

]a+ a† [a, a] = a

und [a†, N

]=[a†, a†a

]=[a†, a†

]a+ a†

[a†, a

]= −a† .

Um das Eigenwertproblem des Hamiltonoperators zu losen, untersuchen wir dasEigenwertproblem von N = N †. Dazu nehmen wir an, dass N einen normiertenEigenvektor |ϕν〉 zum Eigenwert ν ∈ R hat3

N |ϕν〉 = ν |ϕν〉 .

Betrachten wir nun zusatzlich die (nicht normierten) Zustande∣∣ϕ+ν

⟩:= a† |ϕν〉

und ∣∣ϕ−ν ⟩ := a |ϕν〉 .

Wir beweisen zunachst, dass ν ≥ 0 gilt:

ν = ν 〈ϕν |ϕν〉 = 〈ϕν | N |ϕν〉 = 〈ϕν | a†a |ϕν〉 =⟨ϕ−ν∣∣ϕ−ν ⟩ ≥ 0 . (8.5)

Dabei gilt die Gleichheit, wenn |ϕ−ν 〉 der Nullvektor ist. Als nachstes zeigen wir,dass |ϕ+

ν 〉 nicht der Nullvektor sein kann:⟨ϕ+ν

∣∣ϕ+ν

⟩= 〈ϕν | aa† |ϕν〉 = 〈ϕν |

(N +

[a, a†

])|ϕν〉 = 〈ϕν |

(N + 1

)|ϕν〉 = ν + 1 .

Der Vektor |ϕ+ν 〉 ist ebenfalls Eigenvektor zu N mit Eigenwert ν + 1:

N∣∣ϕ+

ν

⟩= Na† |ϕν〉 =

(a†N −

[a†, N

])|ϕν〉 = a†

(N + 1

)|ϕν〉 = (ν + 1)

∣∣ϕ+ν

⟩.

Aufgrund dieser Eigenschaft nennt man a† einen Aufsteigeoperator. Den Vektor|ϕ+ν 〉 konnen wir nun normieren und nennen den normierten Eigenvektor zum

Eigenwert ν + 1, |ϕν+1〉. Mit diesem verfahren wir analog wie fur |ϕν〉 und er-halten so die unendliche Folge von Eigenwerten ν, ν + 1, ν + 2, . . .. Mit ν > 0 ist

3Da N ein selbstadjungierter Operator ist, gibt es so einen Vektor.

Page 104: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

104 KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR

〈ϕ−ν |ϕ−ν 〉 > 0, was nach unser obigen Uberlegung Gl. (8.5) bedeutet, dass |ϕ−ν 〉nicht der Nullvektor ist. In diesem Fall gilt

N∣∣ϕ−ν ⟩ = Na |ϕν〉 =

(aN −

[a, N

])|ϕν〉 = a

(N − 1

)|ϕν〉 = (ν − 1)

∣∣ϕ−ν ⟩ .Nach Gl. (8.5) sind die Eigenwerte von N großer oder gleich Null, so dass |ϕ−ν 〉 furν ≥ 1 ein Eigenvektor zu N mit Eigenwert ν − 1 ist. Den normierten Eigenvek-tor bezeichnen wir mit |ϕν−1〉. Durch Anwenden von a wird der Eigenwert somitum Eins reduziert, weshalb a als Absteigeoperator bezeichnet wird. a† und a zu-sammen bezeichnet man als Leiteroperatoren. Da die Eigenwerte von N großeroder gleich Null sind, lasst sich die Absteigeprozedur im Gegensatz zur Aufstei-geprozedur nicht unendlich oft wiederholen. Unser ursprungliches ν kann immerals ν = M + λ, mit M ∈ N0 und 0 ≤ λ < 1 geschrieben werden. Wenden wira M -mal an, so erhalten wir die Eigenwerte ν − 1, ν − 2, . . . , ν −M = λ. DerEigenwert λ zum (nicht normierten) Eigenvektor

∣∣ϕMν ⟩ := aM |ϕν〉 liegt in [0, 1).Die erneute Anwendung von a muss daher den Nullvektor liefern a

∣∣ϕMν ⟩ = 0,d.h.

⟨ϕMν∣∣ a†a ∣∣ϕMν ⟩ = λ

⟨ϕMν

∣∣ϕMν ⟩ = 0. Da∣∣ϕMν ⟩ nicht der Nullvektor ist, folgt⟨

ϕMν∣∣ϕMν ⟩ > 0 und wir konnen λ = 0 folgern. Damit sind die Eigenwerte zu N

alle Zahlen n aus N0.4 Die normierten Eigenvektoren bezeichnen wir von nun anmit |n, i〉, wobei wir einen zusatzlichen Index i hinzunehmen mussen, da wir nochnicht sicher sein konnen, dass die Eigenvektoren nicht entartet sind. Es gilt somitN |n, i〉 = n |n, i〉 und damit auch

H |n, i〉 = ~ω(N +

1

2

)|n, i〉 = ~ω

(n+

1

2

)|n, i〉 .

Die Eigenzustande zu H sind identisch zu denen zu N mit Energieeigenwer-ten ~ω

(n+ 1

2

). Das Spektrum ist damit rein diskret und aquidistant. Die Null-

punktsenergie betragt ~ω/2. Wir wollen nun explizit den Grundzustand (bzw.die Grundzustande im Fall von Entartung), d.h. den Eigenvektor zum niedrigs-ten Eigenwert von H bestimmen. Nach der obigen Konstruktion muss fur ihngelten

a |n = 0, i〉 =

(√mω

2~x+

i√2m~ω

p

)|n = 0, i〉 = 0 .

In Ortsdarstellung ergibt sich somit die lineare Differentialgleichung erster Ord-nung

0 = 〈x| a |n = 0, i〉 =

(√mω

2~x+

i√2m~ω

~i

d

dx

)〈x |n = 0, i〉︸ ︷︷ ︸

=:ϕi0(x)

.

4Uber die Vollstandigkeit des Systems von zu diesen Eigenwerten gehorenden Eigenvektorenkonnen wir spater sehen, dass es keine weiteren Eigenwerte gibt.

Page 105: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

105

Nach der allgemeinen Theorie linearer Differentialgleichungen besitzt sie genaueine (linearunabhangige) normierte Losung ϕ0(x). Wie man leicht nachrechnetergibt sie sich zu

〈x |n = 0〉 = ϕ0(x) =(mωπ~

)1/4

exp(−mω

2~x2).

Der Grundzustand ist somit nicht entartet. Darauf aufbauend werden wir jetztinduktiv zeigen, dass alle Eigenzustande nicht entartet sind. Wir nehmen also an,dass es genau einen Zustand |n〉 mit N |n〉 = n |n〉, bzw. H |n〉 = ~ω (n+ 1/2) |n〉gibt. Betrachten wir dann den Eigenvektor |n+ 1, i〉 zum Eigenwert n+ 1 (bzw.~ω(n+3/2)). Wie wir wissen, bildet a |n+ 1, i〉 einen Eigenvektor mit Eigenwert n(bzw. ~ω(n+1/2)). Da dieser Eigenvektor aber nach Voraussetzung nicht entartetist, muss a |n+ 1, i〉 = ci |n〉 mit Konstanten ci ∈ C gelten. Wenden wir nun a†

an, so folgt

a†a |n+ 1, i〉 = cia† |n〉 = N |n+ 1, i〉 = (n+ 1) |n+ 1, i〉

⇒ |n+ 1, i〉 =ci

n+ 1a† |n〉 .

Damit sind jedoch alle Eigenvektoren zum Eigenwert n + 1 (bzw. ~ω(n + 3/2))proportional zum Vektor a† |n〉 und damit nicht linearunabhangig. Es folgt, dassalle Eigenvektoren nicht entartet sind.

Die normierten Eigenzustande |n〉 konstruiert man ausgehend vom Grundzu-stand |0〉 durch wiederholtes Anwenden von a†

|n〉 = cn(a†)n |0〉 = cna

† 1

cn−1

cn−1

(a†)n−1 |0〉 =

cncn−1

a† |n− 1〉 .

Damit ergibt sich

1 = 〈n |n〉 =|cn|2

|cn−1|2〈n− 1| aa† |n− 1〉 =

|cn|2

|cn−1|2〈n− 1|

(N + 1

)|n− 1〉

=|cn|2

|cn−1|2n ,

d.h. die Rekursionsgleichung |cn|2 = |cn−1|2/n. Mit |c0|2 = 1 folgt sofort |cn|2 = 1n!

.Wahlen wir cn als positiv und reell, so ergibt sich

|n〉 =1√n!

(a†)n |0〉 .

Fur den n-ten Eigenvektor gilt damit in der Ortsdarstellung

ϕn(x) := 〈x |n〉

=(mωπ~

)1/4 1√n!

(1√2

)n(√mω

~x− 1√

mω/~d

dx

)n

exp(−mω

2~x2)

=(mωπ~

)1/4 1√n! 2n

(q − d

dq

)nexp

(−1

2q2

),

Page 106: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

106 KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR

wobei wir die Variable

q :=

√mω

~x

eingefuhrt haben. In der Mathematik werden die so genannten HermitepolynomeHn, mit n ∈ N0, gemaß

Hn(q) := eq2/2

(q − d

dq

)ne−q

2/2

definiert.5 Mit dieser Definition ergibt sich

ϕn(x) =(mωπ~

)1/4 1√n! 2n

e−q2/2Hn(q) .

Fur die vier niedrigsten Hermitepolynome ergibt sich

H0(q) = 1 , H1(q) = 2q , H2(q) = 4q2 − 2 , H3(q) = 8q3 − 12q .

Die Ortsdarstellung einiger niedrigliegender Eigenzustande zu H und die zu-gehorigen Wahrscheinlichkeitsdichten sind in Abbildung 8.1 dargestellt. Da dieMenge der |n〉, mit n ∈ N0, die Eigenvektoren eines selbstadjungierten Operatorssind, bilden sie ein vollstandiges System. Wir haben also die Zerlegung der Einsauf dem L2(R)

1 =∞∑n=0

|n〉 〈n| .

Unter Verwendung der Eigenschaften der Hermitepolynome lasst sich die Vollstan-digkeit in diesem Beispiel auch explizit zeigen. Die Spektraldarstellung des Ha-miltonoperators lautet

H = ~ω∞∑n=0

(n+

1

2

)|n〉 〈n| .

Im Allgemeinen benotigt man zur Berechnung von Erwartungswerten in denEigenzustanden des harmonischen Oszillators nicht die explizite Form der Hermi-tepolynome. Exemplarisch wollen wir das fur die Erwartungswerte 〈m| x |n〉 und〈m| p |n〉, mit m,n ∈ N0, zeigen. Wir drucken dazu x und p mit Hilfe der Gln.(8.1) und (8.2) durch a und a† aus

x =

√~

2mω

(a+ a†

), p = i

√m~ω

2

(−a+ a†

).

5Man uberzeugt sich leicht davon, dass Hn ein Polynom n-ten Grades ist.

Page 107: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

107

Abbildung 8.1: Ortsdarstellung niedrigliegender Eigenzustande des eindimensio-nalen harmonischen Oszillators (a) und die zugehorigen Wahrscheinlichkeitsdich-ten (b). Die in der Abbildung angegebenen n ergeben sich aus den n des Textesdurch addieren von 1, d.h. n = 1 in der Abbildung indiziert den Grundzustand,n = 2 den ersten angeregten Zustand usw..

Aufgrund von a† |n〉 =√n+ 1 |n+ 1〉 und a |n〉 =

√n |n− 1〉 gilt

〈m| a |n〉 =√n δm,n−1

und

〈m| a† |n〉 =√n+ 1 δm,n+1 .

Damit ergibt sich

〈m| x |n〉 =

√~

2mω

(√n δm,n−1 +

√n+ 1 δm,n+1

)und

〈m| p |n〉 = i

√m~ω

2

(−√n δm,n−1 +

√n+ 1 δm,n+1

).

Page 108: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

108 KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR

Die zu x und p gehorenden unendlichdimensionalen Matrizen haben Tridiagonal-gestalt, mit verschwindender Hauptdiagonale. D.h. die Matrixelemente 〈n| x |n〉und 〈n| p |n〉 sind Null.

In Ubungsaufgaben haben Sie bereits einige dynamische Probleme im Po-tenzial des harmonischen Oszillators gelost. In den in der Vorlesung gezeigtenSimulationen werden weitere Beispiele veranschaulicht. Speziell wird auch diezeitliche Entwicklung so genannter koharenter Zustande dargestellt, die Sie ineiner weiteren Ubungsaufgabe analytisch genauer untersuchen werden.

Page 109: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 9

Die Dynamik vonQuantensystemen

9.1 Das Schrodingerbild

Bereits in Kapitel 7 haben wir einige allgemeine Konsequenzen des Postulat 6(die Dynamik eines Quantensystems ist durch die Schrodingergleichung gegeben)diskutiert. Wir haben den Zeitentwicklungsoperator U(t) eingefuhrt, gezeigt, dasser fur einen zeitunabhangigen Hamiltonoperator H durch U(t) = exp (−iHt/~)gegeben ist und diskutiert, wie wir in diesem Fall die Spektraldarstellung vonH dazu verwenden konnen, den Zustand |ψ(t)〉 zu bestimmen, der sich aus demvorgegebenen Anfangszustand |ψ(0)〉 gemaß |ψ(t)〉 = U(t) |ψ(0)〉 ergibt. Es gilt

|ψ(t)〉 = U(t) |ψ(0)〉 =∑∫E

∑∫ν

e−iEt/~ 〈E, ν |ψ(0)〉 |E, ν〉 ,

mit den Eigenzustanden |E, ν〉 und den Eigenwerten E zu H.

Wir wollen hier diese allgemeine Vorgehensweise nocheinmal anhand einesBeispiels zur Dynamik des Spinfreiheitsgrades eines Elektrons in einem zeitlichkonstanten, homogenen Magnetfeld ~B verdeutlichen.1 Den Hamiltonoperator zudiesem Problem haben wir bereits in Kapitel 3 Gl. (3.1) konstruiert. Er lautet

H = −µ0B(σ1n1 + σ2n2 + σ3n3) = −µ0Bσ~n ,

mit dem Einheitsvektor ~n der in die Richtung von ~B zeigt. Der zugrundeliegendeHilbertraum ist der C2. Die Eigenzustande zu diesem Hamiltonoperator bei festvorgegebenem ~n sind die |~n,±〉 aus Kapitel 3

H |~n,±〉 = ± (−µ0B) |~n,±〉 .

1Wir vernachlassigen dabei die Bahnfreiheitsgrade des Elektrons.

109

Page 110: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

110 KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN

Starten wir zur Zeit t = 0 in einem allgemeinen normierten Zustand |ψ(0)〉, denwir immer als |ψ(0)〉 = ψ+ |~n,+〉 + ψ− |~n,−〉, mit ψ± ∈ C schreiben konnen, sofolgt

|ψ(t)〉 = e−iω0t 〈~n,+ |ψ(0)〉 |~n,+〉+ eiω0t 〈~n,− |ψ(0)〉 |~n,−〉= e−iω0tψ+ |~n,+〉+ eiω0tψ− |~n,−〉 , (9.1)

mit ω0 := −µ0B/~. In diesem Beispiel gelingt es auch, U(t) direkt, d.h. ohneZuhilfenahme der Spektraldarstellung des Hamiltonoperators, zu berechnen. Da-zu erinnern wir uns, an die Matrixdarstellung (die Matrix sei mit A bezeichnet;siehe Ubungen) des Operators σ~n in der {|~e3,±〉} Basis, die wir in Gl. (3.8) an-gegeben haben. In einer Ubungsaufgabe haben Sie exp (iαA) bestimmt. Das dortgewonnene Ergebnis

exp (iαA) = cos (α) 1 + i sin (α) A

konnen wir verwenden und erhalten darstellungsunabhangig

U(t) = e−iHt/~ = e−iω0σ~nt = cos (ω0t) 1− i sin (ω0t) σ~n . (9.2)

Auch mit Hilfe dieses Ausdrucks konnen wir Gl. (9.1) gewinnen. Um Gl. (9.2)physikalisch interpretieren zu konnen, betrachten wir die Wirkung eines Opera-tors exp (−iασ~n/2) auf einen gegebenen Zustand |ψ〉 ∈ C2. Betrachten wir dazuzunachst ~n = ~e2. Wir benotigen dann σ~n = σ2 = −i |~e3,+〉 〈~e3,−|+i |~e3,−〉 〈~e3,+|(siehe Gl. (3.11)). Damit folgt

e−iθσ2/2 = cos (θ/2) 1− i sin (θ/2) (−i |~e3,+〉 〈~e3,−|+ i |~e3,−〉 〈~e3,+|) .

Angewandt auf den Zustand |~e3,+〉 ergibt sich

e−iθσ2/2 |~e3,+〉 = cos (θ/2) |~e3,+〉+ sin (θ/2) |~e3,−〉 = |~n(θ, 0),+〉

gemaß Gl. (3.10). Dabei haben wir die beiden Winkel θ und ϕ des Normalenvek-tors ~n = ~n(θ, ϕ) mit angegeben. Den Vektor ~n(θ, 0) erhalt man aus ~e3 durch eineDrehung um den Winkel θ um die ~e2 Achse. Der Operator e−iθσ2/2 vermittelt alsoeine spezielle Drehung: Aus einem Spinzustand, der mit Wahrscheinlichkeit Einsbeim Durchlaufen einer in ~e3-Richtung ausgerichtete Stern-Gerlach Apparaturim oberen Strahl liegt, wird einer fur den selbiges beim Durchlaufen einer in die~n(θ, 0)-Richtung rotierten Stern-Gerlach Apparatur gilt. Das legt die Vermutungnahe, dass man eine allgemeine Drehung durch den “Drehoperator”

exp (−i Drehwinkel ~σ · ~eDrehachse/2) (9.3)

generiert. Nach diesem Rezept sollten wir den allgemeinen Zustand |~n(θ, ϕ),+〉durch Anwenden von e−iϕσ3/2 auf |~n(θ, 0),+〉 erhalten. Um dieses zu zeigen be-trachten wir

e−iϕσ3/2 = cos (ϕ/2) 1− i sin (ϕ/2) (|~e3,+〉 〈~e3,+| − |~e3,−〉 〈~e3,−|)= e−iϕ/2 |~e3,+〉 〈~e3,+|+ eiϕ/2 |~e3,−〉 〈~e3,−| .

Page 111: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

9.1. DAS SCHRODINGERBILD 111

Damit folgt

e−iϕσ3/2 |~n(θ, 0),+〉 =(e−iϕ/2 |~e3,+〉 〈~e3,+|+ eiϕ/2 |~e3,−〉 〈~e3,−|

)(cos (θ/2) |~e3,+〉+ sin (θ/2) |~e3,−〉)

= e−iϕ/2 cos (θ/2) |~e3,+〉+ eiϕ/2 sin (θ/2) |~e3,−〉= e−iϕ/2 |~n(θ, ϕ),+〉 ,

wobei wir von der vorletzten zur letzten Zeile wieder Gl. (3.10) verwendet haben.Bis auf die Phase e−iϕ/2 hat sich somit unsere Erwartung bestatigt. Aufgrundder Isotropie des Raumes konnen wir das fur die speziellen Drehachse gewonneneErgebnis auf beliebige Achsen erweitern und Gl. (9.3) gilt allgemein. Ausgedrucktdurch den Vektoroperator ~s Gl. (3.14) gilt

exp (−i Drehwinkel ~s · ~eDrehachse/~) . (9.4)

Im Kapitel uber Drehimpulsoperatoren werden wir nocheinmal auf den Zusam-menhang zwischen Rotationen und Drehimpulsoperatoren zuruckkommen. In die-sem Kapitel werden wir zusatzlich kurz diskutieren, wie sich raumliche Translatio-nen mit Hilfe des Impulsoperators generieren lassen. Gemaß dem gerade gelerntenbeschreibt der obige Zeitentwicklungsoperator Gl. (9.2) eine Rotation mit Win-kel 2ω0t um die ~n-Achse. |ψ(t)〉 vollfuhrt somit eine Prazessionsbewegung mitder Frequenz 2ω0 um das Magnetfeld (genauer die Richtung des Magnetfeldes) inweitgehender Analogie zum Verhalten eines klassischen magnetischen Momentsin einem zeitunabhangigen, homogenen Magnetfeld.

Fur allgemeine zeitabhangige HamiltonoperatorenHt ist die Losung der Schrodin-gergleichung

i~d

dt|ψ(t)〉 = Ht |ψ(t)〉

i.A. viel komplizierter.2 Fur einen Spezialfall kann U(t) angegeben werden. Gilt[Ht, Ht′ ] = 0 fur alle t, t′, so folgt

|ψ(t)〉 = exp

(−i∫ t

0

Ht′dt′/~)

︸ ︷︷ ︸=U(t)

|ψ(0)〉 ,

wie man durch Differenzieren explizit nachrechnet. Ein Beispiel dafur, welchesSie ausfuhrlicher in einer Ubungsaufgabe untersuchen werden, ist der Spinfrei-heitsgrad eines Elektrons in einem homogenen Magnetfeld ~B(t) = B(t)~n, dessenStarke von der Zeit abhangt, dessen Richtung jedoch zeitlich konstant ist. Der

2H wird zeitabhangig, wenn z.B. bei der Diskussion der Bahnfreiheitsgrade das PotenzialV (~x, t) zeitabhangig ist, oder bei der Untersuchung der Dynamik der Spinfreiheitsgrades das

Magnetfeld ~B(t) von t abhangt.

Page 112: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

112 KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN

Hamiltonoperator lautet in diesem Fall Ht = −µ0B(t)σ~n, so dass aus [σ~n, σ~n] = 0,offensichtlich [Ht, Ht′ ] = 0 fur alle t, t′ folgt. Auch wenn [Ht, Ht′ ] 6= 0 gibt es einenunitaren Zeitentwicklungsoperator U(t) mit3

|ψ(t)〉 = U(t) |ψ(0)〉 . (9.5)

Die Unitaritat folgt aus der weiterhin gultigen Erhaltung der Wahrscheinlichkeit

d

dt〈ψ(t) |ψ(t)〉 = 〈ψ(t)|

(d

dt|ψ(t)〉

)+

(d

dt〈ψ(t)|

)|ψ(t)〉

=1

i~

(〈ψ(t)|Ht |ψ(t)〉 − 〈ψ(t)|H†t |ψ(t)〉

)= 0 ,

die sich aus der Selbstadjungiertheit des Hamiltonoperators ergibt. Das Skalarpro-dukt 〈ψ(t) |ψ(t)〉 ist zeitlich konstant und gleich 1, da fur t = 0, 〈ψ(0) |ψ(0)〉 = 1gilt. Fur alle t ∈ R folgt so

〈ψ(t) |ψ(t)〉 = 1

= 〈ψ(0)|U †(t)U(t) |ψ(0)〉

und damit U †(t) = U−1(t), da der Anfangszustand |ψ(0)〉 beliebig gewahlt werdenkann. Wir verwenden nun Gl. (9.5) als Ansatz zur Losung der Schrodingerglei-chung und erhalten

i~d

dtU(t) |ψ(0)〉 = HtU(t) |ψ(0)〉 .

Da der Anfangszustand |ψ(0)〉 ein beliebiger Zustand aus dem Hilbertraum Hist, gilt die Operatorgleichung

i~d

dtU(t) = HtU(t) , (9.6)

die zusammen mit U(0) = 1 den Zeitentwicklungsoperator eindeutig festlegt.Nur fur sehr wenige Probleme mit zeitabhangigem Ht lasst sich die Schrodin-

gergleichung analytisch losen. Ein Beispiel in dem dieses gelingt, ist das einfacheModell zur Spinresonanz, welches Sie in den Ubungen behandeln werden.

9.2 Das Heisenbergbild

Im Folgenden werden wir in der Frage der Zeitentwicklung eine neue Sichtwei-se einfuhren. Statt wie bisher den Vektoren aus H eine zeitliche Entwicklung

3Durch die Angabe einer Differentialgleichung, die U(t) eindeutig festlegt, werden wir gleichzeigen, dass es zu jedem Ht ein U(t) gibt.

Page 113: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

9.2. DAS HEISENBERGBILD 113

zu zusprechen, werden sich die Operatoren zeitlich entwickeln.4 Die physikalischwichtigen Großen sind die Erwartungswerte von Observablen (hier der Observa-blen A) im Zustand |ψ(t)〉

〈A〉|ψ(t)〉 = 〈ψ(t)|A |ψ(t)〉= 〈ψ(0)|U †(t)AU(t) |ψ(0)〉 .

Definiert man fur einen allgemeinen Operator A auf H (nicht nur fur Observable)

AH(t) := U †(t)AU(t)

so entspricht die obige Relation

〈A〉|ψ(0)〉t := 〈A〉|ψ(t)〉

= 〈ψ(0)|AH(t) |ψ(0)〉 .

Wir haben die Zeitabhangigkeit so vom Zustand auf den Operator geschoben.Man nennt diese Beschreibungsweise das Heisenbergbild, was den Index H anAH(t) erklart. Die bisherige Beschreibung der Dynamik nennt man im Gegensatzdazu das Schrodingerbild.5 Mit Hilfe des Zeitentwicklungsoperators werden wirjetzt eine Bewegungsgleichung fur AH(t) herleiten. Wir beschranken uns dabeizunachst auf den Fall, das sowohl A als auch H zeitunabhangig sind.6 Dann giltU(t) = exp (−iHt/~) und wir erhalten

AH(t) = eiHt/~Ae−iHt/~ .

Differenzieren wir diesen Ausdruck nach der Zeit und multiplizieren mit i~, sofolgt

i~d

dtAH(t) = i~

(d

dteiHt/~

)Ae−iHt/~ + i~eiHt/~A

(d

dte−iHt/~

)= AH(t)H −HAH(t)

= [AH(t), H] .

Die Anfangsbedingung bei t = 0 lautet AH(0) = A. Man spricht in diesemZusammenhang von der Heisenbergschen Bewegungsgleichung. Wegen

[AH(t), H] = eiHt/~Ae−iHt/~H −HeiHt/~Ae−iHt/~

= eiHt/~AHe−iHt/~ − eiHt/~HAe−iHt/~

= eiHt/~ [A, H] e−iHt/~

= ([A, H])H (t) ,

4Man muss dabei zwischen einer moglichen expliziten Zeitabhangigkeit von Operatoren undder durch den Hamiltonoperator generierten Dynamik unterscheiden.

5Auch im Schrodingerbild besitzen Operatoren ihre mogliche explizite Zeitabhangigkeit,nicht jedoch die durch den Hamiltonoperator generierte.

6Neben der durch das Heisenbergbild induzierten Zeitabhangigkeit, kann A i.A. auch explizitzeitabhangig sein.

Page 114: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

114 KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN

gilt auch

i~d

dtAH(t) = ([A, H])H (t)

was wichtig fur die praktische Berechnung des Kommutators ist. Gemaß dieserGleichung sind (explizit zeitunabhangige) Observable A, die mit H vertauschenzeitunabhangig, d.h. sie sind Erhaltungsgroßen. Nach den obigen Uberlegungenist dann auch der Erwartungswert 〈A〉|ψ(t)〉, unabhangig vom Anfangszustand,zeitunabhangig. Zum Beispiel ist der (zeitunabhangige) Hamiltonoperator selbsteine Erhaltungsgroße, was bedeutet, dass der Erwartungswert der Energie zeitlichkonstant ist. Wir werden spater weitere Erhaltungsgroßen kennenlernen.

Betrachten wir als Beispiel die Bewegung eines Teilchens der Masse m im

zeitunabhangigen Potenzial V (~x), mit dem Hamiltonoperator H = ~p2

2m+ V (~x).

Wir wollen dabei Bewegungsgleichungen fur ~xH(t) und ~pH(t) herleiten. Es gilt

i~d

dt~xH(t) = eiHt/~

[~x,H

]e−iHt/~

= eiHt/~

[~x,~p2

2m+ V (~x)

]e−iHt/~

= eiHt/~

[~x,~p2

2m

]e−iHt/~

= eiHt/~3∑j=1

(pj2m

[~x, pj

]+[~x, pj

] pj2m

)e−iHt/~

= i~1

m~pH(t) .

und damit

d

dt~xH(t) =

1

m~pH(t) . (9.7)

Bei der Bestimmung der Bewegungsgleichung fur pH(t) tritt der Kommutator[pi, V (~x)

]auf. In den Ubungen haben Sie gezeigt, dass fur diesen[

pi, V (~x)]

=~i

∂V

∂xi(~x)

gilt. Mit Hilfe dieser Relation erhalten wir

i~d

dt~pH(t) = eiHt/~

[~p,H

]e−iHt/~

= eiHt/~[~p, V (~x)

]e−iHt/~

= −i~∂V∂~x

(~xH(t))

Page 115: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

9.2. DAS HEISENBERGBILD 115

und damit

d

dt~pH(t) = −∂V

∂~x(~xH(t)) . (9.8)

Wir finden somit, dass die Bewegungsgleichungen fur ~xH(t) und ~pH(t) die gleicheForm haben, wie die fur ~x(t) und ~p(t) in der klassischen Mechanik.7 Wie man

leicht nachrechnet, erfullen ~xH(t) und ~pH(t) fur alle t ∈ R die HeisenbergscheVertauschungsrelation, was wir hier gleich fur ein allgemeines U(t) zeigen wollen

[xi,H(t), pj,H(t)] = U †(t)xi U(t)U †(t)︸ ︷︷ ︸=1

pjU(t)− U †(t)pj U(t)U †(t)︸ ︷︷ ︸=1

xiU(t)

= U †(t) [xi, pj]︸ ︷︷ ︸=i~δi,j1

U(t)

= i~δi,j1 .

Bildet man den Erwartungswert der Gln. (9.7) und (9.8) in einem beliebigenAnfangszustand |ψ(0)〉, so folgt

d

dt

⟨~x⟩|ψ(t)〉

=d

dt

⟨~x⟩|ψ(0)〉

t=

1

m

⟨~p⟩|ψ(0)〉

t=

1

m

⟨~p⟩|ψ(t)〉

(9.9)

d

dt

⟨~p⟩|ψ(t)〉

=d

dt

⟨~p⟩|ψ(0)〉

t= −〈ψ(t)| ∂V

∂~x(~x) |ψ(t)〉 . (9.10)

Man nennt diese Bewegungsgleichungen fur die Erwartungswerte von Ort undImpuls die Ehrenfestgleichungen. Fur den Fall, dass V (~x) nur lineare und qua-dratische Terme in ~x hat,8 lasst sich Gl. (9.10) weiter umformen9

d

dt

⟨~p⟩|ψ(t)〉

=d

dt

⟨~p⟩|ψ(0)〉

t= −〈ψ(t)| ∂V

∂~x(~x) |ψ(t)〉 = −∂V

∂~x

(〈ψ(t)| ~x |ψ(t)〉

).

In diesem Spezialfall reduzieren sich die beiden Ehrenfestgleichungen zu einer

md2

dt2

⟨~x⟩|ψ(t)〉

= −∂V∂~x

(⟨~x⟩|ψ(t)〉

).

Sie ist vollig analog zu der Bewegungsgleichung fur ~x(t) in der klassischen Me-chanik. Wir schließen somit, dass fur diese speziellen Potenziale der Mittelwertdes Ortes der klassischen Trajektorie folgt. Fur allgemeine Potenziale gilt diese

7Man bezeichnet diese Beobachtung als das Ehrenfestsche Theorem.8Dieses gilt fur den harmonischen Oszillator und die Bewegung in einem raumlich homogenen

Kraftfeld.9Es ist wichtig zu beachten, dass fur ein allgemeines V (~x), 〈ψ(t)| ∂V∂~x (~x) |ψ(t)〉 6=

∂V∂~x

(〈ψ(t)| ~x |ψ(t)〉

)gilt. Dies sieht man z.B. leicht fur V (x) = x4, da fur ein allgemeines

|ψ(t)〉 ∈ H, 〈ψ(t)| x3 |ψ(t)〉 6= 〈ψ(t)| x |ψ(t)〉3 gilt.

Page 116: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

116 KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN

Aussage jedoch nicht, wie wir explizit im Beispiel des Tunnelprozesses gesehenhaben.

Sind im allgemeinen Fall der Hamiltonoperator Ht und der betrachtete Opera-tor At (spezieller die betrachtete Observable At) explizit zeitabhangig, so ergibtsich die Bewegungsgleichung

i~d

dtAH(t) = i~

(d

dtU †(t)

)AtU(t) + i~U †(t)At

(d

dtU(t)

)+ i~U †(t)

∂At

∂tU(t)

= −U †(t)HtAtU(t) + U †(t)AtHtU(t) + i~U †(t)∂At

∂tU(t)

= U †(t)

([At, Ht] + i~

∂At

∂t

)U(t)

=

([At, Ht] + i~

∂At

∂t

)H

(t) ,

mit der Anfangsbedingung AH(0) = At=0. In den Ubungen werden Sie das Bei-spiel des eindimensionalen harmonischen Oszillators in einem zusatzlichen raum-lich homogenen, zeitabhangigen Kraftfeld untersuchen, in dem der Hamiltonope-rator zeitabhangig ist.

Auch wenn es Ihnen auf den ersten Blick fremdartig erscheinen mag, dass imHeisenbergbild der Operator zeitabhangig ist und der Zustand dagegen zeitun-abhangig, so ist dieses Vorgehen verglichen mit dem der klassischen Mechanik“naturlicher”. Wie dort, ist im Heisenbergbild die Observable, die ein klassischesAnalogon besitzt (z.B. der Ort und der Impuls), zeitabhangig und gehorcht ei-ner Bewegungsgleichung. Nach der obigen Diskussion sollte klar sein, dass beideBilder aquivalent sind. Neben dem Schrodinger- und dem Heisenbergbild, ist furpraktische Rechnungen oft das Diracbild (auch Wechselwirkungsbild genannt)sehr nutzlich.10 Es wird speziell dann eingesetzt, wenn man den zu einem Ha-miltonoperartor gehorenden Zeitentwicklungsoperator nicht analytisch angebenkann und bei der analytischen Diskussion auf Naherungsmethoden angewiesenist (Storungstheorie). Wir werden darauf zuruck kommen.

10In gewissem Sinne kann man das Diracbild als Mischung aus dem Schrodinger- und demHeisenbergbild ansehen.

Page 117: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 10

Elektromagnetische Felder

Bisher haben wir noch nicht davon gesprochen, dass viele der Teilchen (Elek-tronen, Protonen, Ionen, . . . ), deren Dynamik durch die Quantenmechanik be-schrieben wird, geladen sind. Unsere bisherigen Uberlegungen zur Bewegung einesTeilchens in einem externen (moglicherweise zeitabhangigen) Potenzial V (~x, t)konnen wir sofort auf geladene Teilchen anwenden, solange das VektorpotenzialA(~x, t) verschwindet. In diesem Fall gilt V (~x, t) = qφ(~x, t), wobei q die Ladungdes betrachteten Teilchens bezeichnet und φ(~x, t) das skalare Potenzial.

10.1 Grundlagen

In diesem Kapitel wollen wir die Dynamik in allgemeinen externen elektroma-gnetischen Feldern untersuchen. Wir rekapitulieren dazu zunachst die wichtigstenGleichungen der Elektrodynamik. Die Kraft die auf ein klassisches Teilchen derLadung q wirkt ist die Lorentzkraft

~F (~x, t) = q

(~E(~x, t) +

1

c~x(t)× ~B(~x, t)

),

mit dem elektrischen Feld ~E, dem Magnetfeld ~B und der Lichtgeschwindigkeit c.Diese Felder erhalt man in der Elektrodynamik aus dem Vektorpotenzial ~A(~x, t)und dem skalaren Potenzial φ(~x, t) gemaß

~E(~x, t) = −1

c

∂ ~A

∂t(~x, t)− ∂φ

∂~x(~x, t)

~B(~x, t) =∂

∂~x× ~A(~x, t) .

Wie Sie wissen, ist die klassische, die Energie beschreibende, HamiltonfunktionHklass fur die Bewegung eines Teilchens der Masse m und Ladung q in einemelektromagnetischen Feld durch

Hklass(~x, ~p; t) =1

2m

(~p− q

c~A(~x, t)

)2

+ qφ(~x, t)

117

Page 118: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

118 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

gegeben. Aus ihr konstruieren wir den quantenmechanischen Hamiltonoperatordurch Anwenden des Korrespondenzprinzips (siehe die Diskussion in Anschluss an

Postulat 6).1 Da ~A und φ nicht vom Impuls ~p, sondern nur vom Ort ~x abhangen,mussen wir bei der Anwendung des Korrespondenzprinzips nicht auf die Reihen-folge von Operatoren achten. Wir ersetzen also einfach ~x → ~x und ~p → ~p underhalten den (moglicherweise explizit zeitabhangigen) Hamiltonoperator

Ht =1

2m

(~p− q

c~A(~x, t)

)2

+ qφ(~x, t)

=1

2m~π2t + qφ(~x, t) .

Beim Ubergang von der ersten zur zweiten Zeile haben wir den kinematischenImpulsoperator

~πt := ~p− q

c~A(~x, t)

eingefuhrt. Wie wir weiter unten sehen werden ist es - wie der Name nahelegt -der fur die Kinematik relevante Impulsoperator. In diesem Zusammenhang be-zeichnet man ~p auch als den kanonischen Impulsoperator, da seine Komponentenuntereinander die kanonischen Vertauschungsrelationen erfullen. Bei der Kon-struktion des obigen Hamiltonoperators sind wir davon ausgegangen, dass daszu beschreibende Teilchen keinen Spinfreiheitsgrad besitzt. Andernfalls musstenwir die bereits mehrfach diskutierte Kopplung des Spinfreiheitsgrades an das ex-terne Magnetfeld berucksichtigen. Wir werden weiter unten auf dieses Problemzuruckkommen, wenn wir untersuchen, wie man die Bahnfreiheitsgrade und denSpin eines Teilchens gleichzeitig beschreibt. Zunachst werden wir aber weiter nurspinlose Teilchen untersuchen.

Im Gegensatz zu den Komponenten des kanonischen Impulsoperators, vertau-schen die des kinematischen Impulsoperators i.A. nicht. Es gilt z.B.

[πt,1, πt,2] =[p1 −

q

cA1(~x, t), p2 −

q

cA2(~x, t)

]= −q

c

([p1, A2(~x, t)

]−[p2, A1(~x, t)

])=

i~qc

(∂A2

∂x1

(~x, t)− ∂A1

∂x2

(~x, t)

)=

i~qcB3(~x, t) ,

1Es ist zu beachten, dass das elektromagnetisch Feld weiterhin klassisch behandelt wird. Furalle hier behandelten Probleme ist die Annahme eines klassischen Feldes zulassig. Im Rahmender Quantenoptik und der Quantenfeldtheorie, muss man auch das elektromagnetische Feldquantisieren.

Page 119: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

10.1. GRUNDLAGEN 119

wobei wir ein Ergebnis aus den Ubungen verwendet haben. Allgemein gilt

[πt,i, πt,j] =i~qc

3∑k=1

εi,j,kBk(~x, t) .

Weitere wichtige Kommutatoren sind

[xi, πt,j] = [xi, pj] = i~δi,j1

und [πt,i, f(~x)

]=[pi, f(~x)

]=

~i

∂f

∂xi(~x) .

Wir wollen nun Bewegungsgleichungen fur ~xH(t) und ~πH(t) herleiten. Es gilt

i~d

dt~xH(t) = U †(t)

[~x,Ht

]U(t)

=1

2mU †(t)

3∑j=1

[~x, π2

t,j

]U(t)

=1

2mU †(t)

3∑j=1

(πt,j

[~x, πt,j

]+[~x, πt,j

]πt,j

)U(t)

=i~mU †(t)~πtU(t)

und damit

d

dt~xH(t) =

1

m~πH(t) .

Diese Gleichung zeigt, dass der “Geschwindigkeitsoperator” fur das Teilchen ineinem elektromagnetischen Feld nicht durch ~pH(t)/m, sondern ~πH(t)/m gegeben

ist. Zur Bestimmung der Bewegungsgleichung fur ~πH(t) benotigen wir

[πt,i, Ht] =1

2m

3∑j=1

[πt,i, π

2t,j

]+ q

[πt,i, φ(~x, t)

]=

1

2m

3∑j=1

(πt,j [πt,i, πt,j] + [πt,i, πt,j] πt,j) + q~i

∂φ

∂xi(~x, t)

=i~q2mc

3∑j=1

3∑k=1

(πt,jεi,j,kBk(~x, t) + εi,j,kBk(~x, t)πt,j

)+ q

~i

∂φ

∂xi(~x, t)

=i~q2mc

3∑j=1

3∑k=1

(εi,j,kπt,jBk(~x, t)− εi,k,jBk(~x, t)πt,j

)+ q

~i

∂φ

∂xi(~x, t) .

Page 120: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

120 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

Damit ergibt sich

i~d

dt~πH(t) = U †(t)

([~πt, Ht

]+ i~

∂~πt∂t

)U(t)

= U †(t)

{i~q2mc

(~πt × ~B(~x, t)− ~B(~x, t)× ~πt

)+i~q

(−1

c

∂ ~A

∂t(~x, t)− ∂φ

∂~x(~x, t)

)}U(t)

bzw.

d

dt~πH(t) = q

{~E(~xH(t), t) +

1

2mc

(~πH(t)× ~B(~xH(t), t)− ~B(~xH(t), t)× ~πH(t)

)}.

Die Bewegungsgleichungen fur ~xH(t) und ~πH(t) lassen sich zu einer Differential-

gleichung zweiter Ordnung fur ~xH(t) zusammenfassen

d2

dt2~xH(t) =

q

m

{~E(~xH(t), t) +

1

2c

([d

dt~xH(t)

]× ~B(~xH(t), t)

− ~B(~xH(t), t)×[d

dt~xH(t)

])}.

Diese Gleichung besitzt nahezu2 die klassische Form

m~x = ~F (~x, t) = q

(~E(~x, t) +

1

c~x(t)× ~B(~x, t)

)und stellt eine Verallgemeinerung des Ehrenfestschen Theorems dar. Fur raumlichhomogene Felder vereinfacht sich die Operatorgleichung zu

md2

dt2~xH(t) = q

(~E(t)1 +

1

c

[d

dt~xH(t)

]× ~B(t)

).

In diesem Fall folgt der Erwartungswert des Ortes wieder der klassischen Trajek-torie.

Wie im klassischen Fall treten in den Bewegungsgleichungen nur die Felder~E und ~B, nicht jedoch die Potenziale φ und ~A auf. Die Dynamik ist damit un-abhangig von der fur φ und ~A verwendeten Eichung. Wie Sie wissen sollten, kannman in der (klassischen) Elektrodynamik von Potenzialen φ(~x, t) und ~A(~x, t) im-mer zu anderen Potenzialen (man nennt den Vorgang eine Eichtransformation)

φ(~x, t) → φ′(~x, t) = φ(~x, t)− 1

c

∂χ

∂t(~x, t) (10.1)

~A(~x, t) → ~A′(~x, t) = ~A(~x, t) +∂χ

∂~x(~x, t) , (10.2)

2Sie besitzt nur nahezu die klassische Form, da ~πH(t) und ~B(~xH(t), t) i.A. nicht vertauschen.

Page 121: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

10.1. GRUNDLAGEN 121

mit einer (hinreichend vernunftigen) Funktion χ(~x, t) ubergehen, wobei die Dy-namik des Problems invariant bleibt. Letzteres liegt daran, dass die in der klas-sischen Bewegungsgleichung auftretenden Felder ~E und ~B invariant unter derEichtransformation sind.3 Im Gegensatz dazu hangt der Hamiltonoperator, ana-log zur Hamiltonfunktion im klassischen Fall, von φ und ~A und damit von dergewahlten Eichung ab. Damit hangen auch die Losungen der zeitabhangigenSchrodingergleichung von der Eichung ab. Wie Sie in einer Ubungsaufgabe zeigenwerden, lost

〈~x |ψ′(t)〉 = ψ′(~x, t) = exp(iq

~cχ(~x, t)

)ψ(~x, t)

die Schrodingergleichung zum Hamiltonoperator

H ′t =1

2m

(~p− q

c~A′(~x, t)

)2

+ qφ′(~x, t)

wenn 〈~x |ψ(t)〉 = ψ(~x, t) eine Losung zu

Ht =1

2m

(~p− q

c~A(~x, t)

)2

+ qφ(~x, t)

ist. Die physikalisch relevante Wahrscheinlichkeitsdichte

|ψ′(~x, t)|2 =∣∣∣exp

(iq

~cχ(~x, t)

)ψ(~x, t)

∣∣∣2 = |ψ(~x, t)|2

ist daher invariant unter der Eichtransformation. Der beim Ubergang von ψ nachψ′ auftretende Phasenfaktor hangt i.A. explizit vom Ort und von der Zeit abund ist kein globaler Phasenfaktor (deren Bedeutung - oder genauer Unwich-tigkeit - wir bereits kennen gelernt haben). Man spricht daher auch von einerlokalen Symmetrie. In der Vorlesung Quantenmechanik II werden Sie mehr uberden Zusammenhang zwischen Symmetrien und Invarianzen lernen.4 Die ~x- undt-Abhangigkeit des Phasenfaktors macht es auch etwas komplizierter einzuse-hen, dass alle physikalischen Vorhersagen (kurz: die Physik) von der Eichungunabhangig sind (im Fall einer globalen Phase ist das evident). Wir wollen dashier nicht im Detail weiterverfolgen und verweisen an dieser Stelle auf die Lite-ratur. An Beispielen werden wir die Eichinvarianz im folgenden explizit sehen.

Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte, die die dreidimensionale Verallgemeine-rung

∂tρ(~x, t) +

∂~x·~j(~x, t) = 0

3Sie sollten die Invarianz der Felder nocheinmal explizit nachrechnen!4Man kann aus der Forderung der lokalen Symmetrie der Quantenmechanik die Existenz der

elektromagnetischen Felder “vorhersagen”.

Page 122: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

122 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

der Kontiunitatsgleichung (7.4) erfullt, ist in Gegenwart eines elektromagneti-schen Feldes durch

~j(x, t) :=1

2m

[ψ∗(~x, t)

(~i

∂~x− q

c~A(~x, t)

)ψ(~x, t) + c.c.

]gegeben. Dieses Ergebnis ergibt sich aus einer Verallgemeinerung der Schritte, dieuns auf Gl. (7.3) gefuhrt haben. Sie ist, wie physikalisch zu erwarten, durch denkinematischen und nicht den kanonischen Impulsoperator bestimmt. Schreibenwir die Wellenfunktion wieder in der Form

ψ(~x, t) =√ρ(~x, t)eiP (~x,t)/~

(mit reellen Funktionen√ρ(~x, t) und P (~x, t)), so folgt

~j(~x, t) =ρ(~x, t)

m

[∂P (~x, t)

∂~x− q

c~A(~x, t)

].

Umeichung ~A→ ~A+∂χ/∂~x liefert fur die Phase P → P+qχ/c. Damit hat ~j(x, t)eine eichinvariante Form.

In einer Ubungsaufgabe werden Sie die Eigenzustande des physikalisch wich-tigen Problems eines Teilchens der Ladung q und Masse m in einem raumlich ho-mogenen, zeitlich konstanten Magnetfeld in ~e3-Richtung bestimmen. Man nenntsie die Landauniveaus. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Erklarung des ganz-zahligen und fraktionalen Quanten-Hall-Effekts.

10.2 Der Aharonov-Bohm-Effekt

Fur zeitunabhangige Potenziale φ und ~A kann man die Eichtransformation (10.1)und (10.2) auch fur die zeitunabhangige Schrodingergleichung betrachten. Ist

dann ψE,ν(~x) Eigenfunktion (in Ortsdarstellung) zu H = H(φ, ~A) (mit EigenwertE und zusatzlichen Quantenzahlen ν), so ist

ψ′E,ν(~x) = exp[iq

~cχ(~x)

]ψE,ν(~x)

Eigenfunktion zu H ′ = H(φ, ~A + ∂χ/∂~x) mit Eigenwert E. Die Eigenwerte Ehangen nicht von der gewahlten Eichung ab was erneut illustriert, dass alle phy-sikalisch relevanten Großen (d.h. die Physik) unabhangig von der gewahlten Ei-chung sind. Es ist wichtig anzumerken, dass der Hamiltonoperator fur verschiede-ne Wahlen der Eichung verschiedene Symmetrien aufweisen wird. Entsprechendsind die “naturlichen” zusatzlichen Quantenzahlen von der Eichung abhangigund die Eigenfunktion exp

[i q~cχ(~x)

]ψE,ν(~x) (in Ortsdarstellung) von H ′ (die sich

direkt aus der Eigenfunktion von H ergibt) wird i.A. eine komplizierte Uberlage-rung der Eigenzustande von H ′ zu den “naturlichen” zusatzlichen Quantenzahlensein.

Page 123: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

10.2. DER AHARONOV-BOHM-EFFEKT 123

Wie die klassische Mechnanik ist die Quantenmechanik wie oben angedeutetunempfindlich gegenuber Eichtransformationen, jedoch spielen die elektromagne-tischen Potenziale in letzterer eine andere Rolle als in der klassischen Mechanik.Dieses lasst sich sehr schon anhand des Aharonov-Bohm Effekts illustrieren, derein reiner Quanteneffekt ist. Er dient gleichzeitig dazu das Konzept der Eichin-varianz (im zeitunabhangigen Fall) in einer Anwedung besser zu verstehen.

Wir betrachten ein Teilchen mit Ladung q welches sich nur in einem Raum-bereich G aufhalten kann in dem ~B(~x) = 0 gelten soll. Außerhalb von G soll esBereiche mit nichtverschwindendem stationaren Magnetfeld geben. Dabei kanndie Grenze zu G durch “unendlich hohe” Potenzialbarrieren realisiert werden.Unter diesen Voraussetzungen gilt in G zwar

~B(~x) =∂

∂~x× ~A(~x) = 0 ,

aber i.A. nicht ~A(~x) = 0 und ein ~A 6= 0 tritt in der zu losenden Schrodingerglei-

chung auf. Da ~B inG verschwindet ist es naturlich nach einer von ~A unabhangigenLosung der Schrodingergleichung zu suchen. Wir stellen also die Frage, ob maneine Eichtransformation finden kann, so dass ~A′(~x) = 0 in G gilt. Man kann siemathematisch als Differentialgleichung formulieren. Gesucht ist χ(~x), so dass

~A′(~x) = ~A(~x) +∂χ

∂~x(~x) = 0 (10.3)

in G gilt. Die Antwort auf diese Frage von der Topologie von G ab.

B G

(a) (b) G

x

x0

C

Abbildung 10.1: Skizze fur den Fall, dass das Gebiet G in dem wir das Vektor-potential ~A “weg-eichen” wollen einfach zusammenhangend ist.

In einfach zusammenhangenden Gebieten, wie z.B. in Abbildung 10.1(a), kanndie Differentialgleichung (10.3) nach dem Stokesschen Satz (Vektoranalysis) durcheine vom Weg C unabhangige Stammfunktion (siehe Abbildung 10.1(b)) gelost

Page 124: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

124 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

werden, da die Rotation von ~A in G verschwindet. Fur die Funktion χ(~x) folgtsomit

χ(~x) = −∫ ~x

~x0

~A(~y) · d~y .

Damit folgt fur die Eigenfunktion ψ( ~A)E,ν(~x) (in Ortsdarstellung) mit einer Eichung,

bei der ~A in G nicht verschwindet

ψ( ~A)E,ν(~x) = exp

{iq

~c

∫ ~x

~x0

~A(~y) · d~y}ψ′E,ν(~x) ,

mit der Eigenfunktion ψ′E,ν(~x) (in Ortsdarstellung) zur neuen Eichung, bei der~A′ = 0 in G. Dieses Ergebnis zeigt zusatzlich, dass die Energieeigenwerte E nichtvon der Feldstarke ~B außerhalb von G abhangen, da ja die stationare Schrodin-gergleichung mit ~A′ = 0 fur ψ′E,ν in G keine Information uber das Magnetfeldenthalt und die Energieeigenwerte unabhangig von der Eichung sind.

G(a)

B

G(b)

x0+x −

0

Abbildung 10.2: Skizze fur den Fall, dass das Gebiet G in dem wir das Vektor-potential ~A “weg-eichen” wollen nicht mehr einfach zusammenhangend ist.

Betrachten wir nun ein GebietG welches nicht mehr einfach zusammenhangendist, wie z.B. in Abbildung 10.2 skizziert (da ein Weg, welcher das Magnetfeld um-schließt, nicht mehr kontinuierlich auf einen Punkt zusammengezogen werdenkann). Fur einen geschlossenen Integrationsweg wie in Abbildung 10.2(b) (dortblau) gilt nach dem Satz von Stokes∮

~A(~y) · d~y =

∫∫ (∂

∂~y× ~A(~y)

)· d~f =

∫∫~B · d~f =: φ( ~B) ,

Page 125: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

10.2. DER AHARONOV-BOHM-EFFEKT 125

mit dem magnetischen Fluss φ( ~B) durch die Querschnittsflache. Fuhrt man nuneine Trennwand in den G beschreibenden Zylinder ein (rot in Abbildung 10.2(b)),so erhalt man wieder ein einfach zusammenhangendes Gebiet G. Wahlen wirals Startpunkt unseres Wegintegrals einen Ort ~x+

0 infinitesimal rechts von derTrennwand und als Endpunkt einen Ort ~x−0 infinitesimal links von der Wand, sogelten die folgenden zwei Relationen

ψ( ~A)E,ν(~x

+0 ) = ψ′E,ν(~x

+0 ) ,

ψ( ~A)E,ν(~x

−0 ) = exp

{iq

~c

∫ ~x−0

~x+0

~A(~y) · d~y

}ψ′E,ν(~x

−0 ) ,

mit der Eigenfunktion ψ′E,ν(~x) (in Ortsdarstellung), ~x ∈ G, bei verschwindendemVektorpotential (aber mit Trennwand). Im Gebiet G ohne Trennwand ist die

Wellenfunktion (bestimmt in Gegenwart von ~A 6= 0) ψ( ~A)E,ν(~x) eindeutig, so dass

im Limes ~x+0 → ~x−0

ψ( ~A)E,ν(~x

+0 )− ψ( ~A)

E,ν(~x−0 ) = 0

gilt. Fur das ~A-Feld freie System mit Trennwand folgt dann nach den obigenGleichungen die Randbedingung

0 = ψ′E,ν(~x+0 )− exp

{iq

~c

∫ ~x−0

~x+0

~A(~y) · d~y

}ψ′E,ν(~x

−0 )

= ψ′E,ν(~x+0 )− exp

{iq

~cφ( ~B)

}ψ′E,ν(~x

−0 ) (10.4)

auf der Trennwand. Betrachten wir nun den Fall eines Elektrons mit q = −e.Dann gilt

ψ′E,ν(~x+0 ) = e−i2πφ( ~B)/φ0 ψ′E,ν(~x

−0 ) ,

mit dem magnetischen Flussquantum

φ0 :=hc

e≈ 1.24× 10−6 Tesla m2

Somit folgt, dass der magnetische Fluss φ( ~B) modulo dem Flussquantum φ0 –

und damit das Magnetfeld ~B – in die Randbedingung der Eigenfunktionen (inOrtsdarstellung) eingeht.

Bevor wir die Konsequenzen unser obigen Uberlegungen diskutieren, wol-len wir unser bisheriges Vorgehen fur nicht einfach zusammenhangende Gebietenocheinmal zusammenfassen: Wir haben das System mit ~A 6= 0 ohne Trenn-wand auf ein System mit Trennwand, ~A′ = 0 und der Randbedingung Gl. (10.4)abgebildet.

Page 126: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

126 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

Es ergeben sich die folgenden Konsequenzen: Da in die Randbedingung ~Bund nicht ~A eingeht, sind die Eigenwerte eichinvariant. Weiterhin folgt das Theo-rem von Byers und Young, das besagt, dass die Eigenwerte in der betrachtetenGeometrie periodische Funktionen von φ( ~B)/φ0 sind.

Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass die Energieeigenwerte uber-haupt von φ und damit ~B abhangen (da ja ~B = 0 in G). Diese Tatsache wirdjedoch plausibel, wenn man sich uberlegt, was passiert, wenn man die Magnet-feldstarke andert. In diesem Fall wird aufgrund des Faradayschen Gesetzes inG ei-ne elektrische Ringspannung induziert, die die Energie der Elektronen verandert.

Eine beeindruckende Manifestation dieser Uberlegungen ist der Aharonov-Bohm Effekt (1959) – der eigentlich Ehrenberg-Siday Effekt heißen mußte, daer erstmals von Ehrenberg und Siday 1949 vorhergesagt wurde. Eine Realisati-on dieses Effekts, die von Aharonov und Bohm diskutiert wurde, ergibt sich imuns bereits bekannten Doppelspaltexperiment mit Elektronen. Eine Skizze desAufbaus ist in Abbildung 10.3 gezeigt. Im Unterschied zum bisher beschriebeneDoppelspaltexperiment umschließt die Vereinigung der beiden “Elektonenpfade”eine Spule mit deren Hilfe ein (veranderliches) Magnetfeld erzeugt wird. Die Spuleist durch eine “unendlich” hohe Potenzialwand abgeschirmt, so dass die Elektro-nen sich nur im magnetfeldfreien Raum aufhalten konnen. Nach Aharonov undBohm erwartet man nun, dass sich das Interferenzbild auf dem Schirm periodischmit φ( ~B)/φ0 verandert. Diese Erwartung wurde, wie in Abbildung 10.4 gezeigt,experimentell bestatigt.

Abbildung 10.3: Skizze zum Aharonov-Bohm Effekt im Doppelspalt Experiment

Aufgrund der komplexen Geometrie ist eine genaue Beschreibung des Ex-perimentes recht aufwendig. Wir wollen uns daher hier auf eine naherunsweiseBeschreibung beschranken, die die Beobachtung plausibel macht. Sei zunachst derzweite Spalt geschlossen, so ist das feldfreie Gebiet einfach zusammenhangend.Dann gilt

ψ( ~A)1 (~x) = exp

{−i e

~c

∫Pfad1

~A(~y) · d~y}ψ′1(~x) ,

Page 127: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

10.2. DER AHARONOV-BOHM-EFFEKT 127

Abbildung 10.4: Interferenzmuster im Dopplespalt mit eingeschlossenem magne-tischem Fluss.

wobei ψ′1 fur ~A′ = 0 bestimmt ist. Analog folgt im Fall eines geschlossenen erstenSpalts

ψ( ~A)2 (~x) = exp

{−i e

~c

∫Pfad2

~A(~y) · d~y}ψ′2(~x) .

Sind beide Spalte geoffnet so setzten wie naherungsweise fur die Gesamtwellen-funktion

ψ( ~A)tot (~x) ≈ ψ

( ~A)1 (~x) + ψ

( ~A)2 (~x)

=[ψ′1(~x) + e−i2πφ/φ0ψ′2(~x)

]exp

{−i e

~c

∫Pfad1

~A(~y) · d~y}.

Fur die Wahrscheinlichkeitsdichte gilt dann∣∣∣ψ( ~A)tot (~x)

∣∣∣2 ≈ ∣∣ψ′1(~x) + e−i2πφ/φ0ψ′2(~x)∣∣2 .

Die Phasenrelation zwischen den fur ~A′ = 0 bestimmten Wellenfunktionen ψ′1/2wird somit periodisch mit φ/φ0 geandert, was zu einer periodischen Verschiebungdes Interferenzmusters fuhrt.

Heutzutage ist der Aharonov-Bohm Effekt von großem Interesse in der meso-skopischen Physik. Mesoskopische Systeme sind dadurch charakterisiert, dass ihreraumliche Ausdehnung kleiner ist als die typische Langenskala, auf der durch dieWechselwirkung mit der “Umgebung”, die Phase einer Wellenfunktion zerstort

Page 128: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

128 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

wird. Das verdeutlicht, dass den Phasen im Elektronentransport durch mesosko-pische Systeme eine wichtige Rolle zukommt. Ein typischer Aufbau zur Untersu-chung des Aharonov-Bohm Effekts in mesoskopischen Systemen ist in Abbildung10.5 gezeigt. Zu sehen ist ein kontaktierter Goldring mit einem Durchmesser vonca. 800 nm.

Abbildung 10.5: Goldring zur Realisierung des Aharonov-Bohm Effekts in einemmesoskopischen System.

10.3 Weiteres Postulat: Komposition von Quan-

tensystemen

Wir wollen nun untersuchen, wie sich die Spin- und Bahnfreiheitsgrade einesquantenmechanischen Teilchens gleichzeitig beschreiben lassen. Dabei beschran-ken wir uns auf den Fall des Elektrons, dessen Spinfreiheitsgrad wir in Kapitel 3untersucht haben.5 Von einer allgemeineren Warte aus betrachtet sind wir daraninteressiert zwei kinematisch getrennte Quantensysteme mit Hilbertraumen H1

und H2 zu einem zusammenzufassen. Eine Vorschrift dafur legen wir in einemweiteren Postulat fest:Postulat 7: Der Hilbertraum des Gesamtsystems ist durch das Tensorprodukt6

der Hilbertraume Hi gegeben

H = H1 ⊗H2 .

5Zur Erinnerung: Unser Startpunkt in Kapitel 3 waren experimentelle Untersuchungen anSilberatomen. Wie am Ende des Kapitels erwahnt, stammt der Spinfreiheitsgrad des Silbera-toms jedoch von dem Spinfreiheitsgrad eines der 47 Elektronen des Silberatoms.

6Wenn Sie das Tensorprodukt nicht kennen, so sollten Sie etwas weiter unten in der Lagesein, zu verstehen, wie der Tensorproduktraum durch die Basen von H1 und H2 aufgespanntwird.

Page 129: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

10.4. DIE PAULIGLEICHUNG: SPIN- UND BAHNFREIHEITSGRADE 129

Die Konsequenzen dieses Postulats und die Wirkung von Operatoren auf demTensorproduktraum, wollen wir uns gleich fur das uns aktuell interessierendeProblem der Komposition der Spin- und Bahnfreiheitsgrade uberlegen.

10.4 Die Pauligleichung: Spin- und Bahnfreiheits-

grade

Im konkreten Beispiel gilt fur den Hilbertraum des Gesamtsystems H = HBahn⊗HSpin, also fur die Bewegung eines Elektrons im dreidimensionalen Raum H =L2(R3)⊗C2. Bezeichnen wir die Eigenzustande zu einem Hamiltonoperator, dernur die Bahnfreiheitsgrade berucksichtigt, wie gehabt mit |E, ν〉, so bilden dieZustande {|E, ν〉} eine Basis in HBahn.7 Als eine der moglichen Basen in HSpin =C2 wahlen wir die Zustande {|~e3,±〉}.8 Die Tensorproduktzustande

|E, ν;±〉 := |E, ν〉 ⊗ |~e3,±〉

bilden eine Basis in H = HBahn ⊗ HSpin. Ein beliebiger Zustand |ψ〉 ∈ H kanndamit immer als

|ψ〉 =∑∫E

∑∫ν

∑µ=±

cE,ν,µ |E, ν;µ〉 =∑∫E

∑∫ν

∑µ=±

cE,ν,µ |E, ν〉 ⊗ |~e3, µ〉 ,

mit cE,ν,µ ∈ C, geschrieben werden. Uber die Skalarprodukte in HBahn und HSpin

ist eindeutig ein Skalarprodukt auf H = HBahn⊗HSpin festgelegt. Betrachten wirneben |ψ〉 den Zustand |ϕ〉 mit (aE,ν,µ ∈ C)

|ϕ〉 =∑∫E

∑∫ν

∑µ=±

aE,ν,µ |E, ν;µ〉 =∑∫E

∑∫ν

∑µ=±

aE,ν,µ |E, ν〉 ⊗ |~e3, µ〉 ,

so gilt

〈ϕ |ψ〉 =∑∫E,E′

∑∫ν,ν′

∑µ,µ′=±

a∗E,ν,µcE′,ν′,µ′ (〈E, ν| ⊗ 〈~e3, µ|) (|E ′, ν ′〉 ⊗ |~e3, µ′〉)

=∑∫E,E′

∑∫ν,ν′

∑µ,µ′=±

a∗E,ν,µcE′,ν′,µ′ 〈E, ν |E ′, ν ′〉 〈~e3, µ |~e3, µ′〉

=∑∫E

∑∫ν

∑µ=±

a∗E,ν,µcE,ν,µ ,

wobei wir ausgenutzt haben, dass fur Tensorproduktvektoren

|χi〉 =∣∣∣χ(i)

Bahn

⟩⊗∣∣∣χ(i)

Spin

⟩,

7Fur das Folgende konnten wir auch jede beliebige andere Basis in HBahn wahlen.8Fur das Folgende konnten wir auch jede beliebige andere Basis {|~n,±〉} in HSpin wahlen.

Page 130: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

130 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

mit ∣∣∣χ(i)Bahn

⟩∈ HBahn ,

∣∣∣χ(i)Spin

⟩∈ HSpin ,

〈χ1| χ2〉 =(⟨χ

(1)Bahn

∣∣∣⊗ ⟨χ(1)Spin

∣∣∣) (∣∣∣χ(2)Bahn

⟩⊗∣∣∣χ(2)

Spin

⟩)=

⟨χ

(1)Bahn

∣∣∣χ(2)Bahn

⟩⟨χ

(1)Spin

∣∣∣χ(2)Spin

⟩gilt. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jedes Element aus H als solch einTensorproduktvektor schreibbar ist.

Wir betrachten nun lineare Operatoren A auf HBahn und B auf HSpin. Wirwollen beide Operatoren auf H = HBahn ⊗ HSpin erweitern. Dazu definieren wirA := A⊗ 1Spin und B := 1Bahn⊗B. Um die Wirkung von A und B festzulegen,reicht es anzugeben, wie die beiden Operatoren auf einen beliebigen Tensorpro-duktzustand |χ〉 = |χBahn〉 ⊗ |χSpin〉 ∈ H wirken

A |χ〉 = A |χBahn〉 ⊗ |χSpin〉B |χ〉 = |χBahn〉 ⊗B |χSpin〉 .

Die Wirkung auf einen beliebigen Zustand aus H ergibt sich durch Anwendendieser Regel auf die Zerlegung des Zustandes in der obigen Basis die aus Tensor-produktzustanden besteht. Oft schreibt man fur die Operatoren A ⊗ 1Spin bzw.1Bahn⊗B auf H kurz A bzw. B. Man unterdruckt also den jeweiligen 1 Operator.Neben den Operatoren aufH die durch die Erweiterung von Operatoren aufHBahn

bzw. HSpin entstehen, kann es solche geben, die eine Wechselwirkung zwischenden Bahn- und Spinfreiheitsgraden beschreiben und die Form A = ABahn⊗ASpin

haben. Ihre Wirkung auf einen Tensorproduktzustand ist durch

A |χ〉 = ABahn |χBahn〉 ⊗ASpin |χSpin〉

gegeben.Eine vollig analoge Tensorproduktkonstruktion benotigt man, wenn man meh-

rere quantenmechanische Teilchen gleichzeitig betrachtet. Fur zwei Teilchen konn-ten dies z.B. das Elektron und das Proton eines Wasserstoffatoms sein. In diesemFall ersetzen wir in unseren obigen Uberlegungen die Indizes “Bahn” und “Spin”durch “Elektron” und “Proton”. Eine Basis in H = HElektron⊗HProton ergibt sichwie oben durch das Bilden aller Tensorproduktvektoren aus Basisvektoren ausHElektron und HProton. Wir werden weiter unten auf das Wasserstoffatom zuruck-kommen.

Betrachten wir zunachst den Fall, dass das außere Magnetfeld ~B verschwindet.Damit ist die Energie unabhangig von der Richtung des Spins.9 Der Hamilton-operator fur ein Elektron mit Ladung q = −e, wobei e die Elementarladung

9Wir vernachlassigen hier die Spin-Bahn-Kopplung zwischen dem Spinoperator und demOperator des Bahndrehimpulses (siehe unten).

Page 131: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

10.4. DIE PAULIGLEICHUNG: SPIN- UND BAHNFREIHEITSGRADE 131

bezeichnet, ergibt sich zu

Ht =1

2m~p 2 ⊗ 1Spin − eφ(~x, t)⊗ 1Spin .

Die zeitabhangige Schrodingergleichung lautet

i~d

dt|ψ(t)〉 =

[1

2m~p 2 ⊗ 1Spin − eφ(~x, t)⊗ 1Spin

]|ψ(t)〉 .

In der Orts-Spin-Darstellung mit Basisvektoren

|~x,±〉 := |~x〉 ⊗ |~e3,±〉

lasst sich die Schrodingergleichung in die Matrixform

i~∂

∂t

(ψ+(~x, t)ψ−(~x, t)

)=

(− ~2

2m∆− eφ(~x, t) 0

0 − ~2

2m∆− eφ(~x, t)

)(ψ+(~x, t)ψ−(~x, t)

),

mit

ψ±(~x, t) := 〈~x,± |ψ(t)〉 ,

bringen. Fur ~B = 0 erhalten wir zwei unabhangige, identische Schrodingerglei-chungen, jeweils eine fur die beiden moglichen Spinstellungen des Elektrons. Indiesem Fall konnen wir somit bei der Diskussion des Bahnfreiheitsgrads zunachstden Spinfreiheitsgrad vernachlassigen und ihn am Ende leicht hinzufugen. Dasbisher zur quantenmechanischen Beschreibung von Bahnfreiheitsgraden gelerntelasst sich somit leicht auf den Fall des Elektrons mit Spinfreiheitsgrad verallge-meinern.10 Der Spinfreiheitsgrad fuhrt bei ~B = 0 zu einer zusatzlichen zweifachenEntartung der Eigenwerte E (diskret oder kontinuierlich) des Hamiltonoperatorsmit den Eigenvektoren |E, ν,+〉 und |E, ν,−〉.11

Zur Beschreibung eines Elektrons in einem externen Magnetfeld muss manneben der Kopplung des Bahnfreiheitsgrades an das Magnetfeld auch die bereitsin Kapitel 3 untersuchte Kopplung −µ0

~B(~x, t) · ~σ zwischen dem Spin und demMagnetfeld berucksichtigen. Der Hamiltonoperator auf H = HBahn⊗HSpin lautetdaher

Ht =1

2m

(~p⊗ 1Spin +

e

c~A(~x, t)⊗ 1Spin

)2

− eφ(~x, t)⊗ 1Spin

−µ0

3∑j=1

Bj(~x, t)⊗ σj .

10Fur andere Teilchen mit einem Spinfreiheitsgrad kann man analog verfahren.11Das Elektron ist ein so genanntes Spin-1/2 Teilchen. Sein Spinfreiheitsgrad lasst sich durch

Vektoren aus C2 beschreiben. Auch andere quantenmechanische Teilchen haben Spinfreiheits-grade von diesem Typ. Es gibt jedoch auch Teilchen mit Spinfreiheitsgraden, die eine Beschrei-bung in einem hoherdimensionalen Raum erfordert. Sie werden in der Vorlesung Quantenme-chanik II auf dieses Thema zuruckkommen.

Page 132: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

132 KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER

In der Vorlesung Quantenmechanik II werden Sie lernen, wie man µ0 durch dieLadung −e, die Masse m, die Lichtgeschwindigkeit c und den so genannten g-Faktor ausdruckt. In dieser Vorlesung werden Sie auch die Spin-Bahn-Kopplungzwischen dem Spin und dem Bahndrehimpuls diskutieren, die einen Zusatztermzu diesem Hamiltonoperator darstellt. Die zeitabhangige Schrodingergleichung inder Orts-Spin-Darstellung ergibt sich zu

i~∂

∂t

(ψ+(~x, t)ψ−(~x, t)

)=

(1

2m

[~i

∂~x+e

c~A(~x, t)

]2

− eφ(~x, t)

)(1 00 1

)(ψ+(~x, t)ψ−(~x, t)

)−µ0

(B3(~x, t) B1(~x, t)− iB2(~x, t)

B1(~x, t) + iB2(~x, t) −B3(~x, t)

)(ψ+(~x, t)ψ−(~x, t)

).

Man nennt sie die Pauligleichung. Dabei haben wir die Darstellung der σj, j =1, 2, 3, in der |~e3,±〉 Basis, d.h. die Pauli-Spinmatrizen, Gl. (3.7) verwendet. Die

Gleichungen fur ψ±(~x, t) sind durch das ~B-Feld gekoppelt.

Page 133: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 11

Der Drehimpuls in derQuantenmechanik

11.1 Drehimpulsoperatoren

Der Bahndrehimpuls eines Punktteilchens ist in der klassischen Mechanik durch~l = ~x × ~p gegeben. Dem Korrespondenzprinzip folgend definieren wir den quan-tenmechanischen Bahndrehimpulsoperator

~l = ~x× ~p .

Fur die z-Komponente ergibt sich beispielsweise l3 = x1p2 − x2p1. Da die ver-schiedenen in lj auftretenden Komponenten von ~x und ~p vertauschen, sieht man

sofort, dass ~l selbstadjungiert ist.Wir wollen das Eigenwertspektrum der lj bestimmen. Da der Raum isotrop ist,

reicht es das Spektrum von l3 zu berechnen. Der Drehimpuls hat die Dimensioneiner Wirkung und wir geben die Eigenwerte als Vielfache von ~ an

l3 |m, ν〉 = ~m |m, ν〉 ,

mit m ∈ R und den zusatzlichen “Quantenzahlen” ν, die die Entartung derEigenzustande charakterisieren.1 Das Entartung vorliegt, sieht man explizit inder Ortsdarstellung2

〈~x| l3 |ψ〉 =~i

(x1

∂x2

− x2∂

∂x1

)〈~x |ψ〉 .

1Die Zahl m bezeichnet hier nicht die Masse des Teilchens. Da die Eigenwerte zu l3 abermeist mit m~ bezeichnet werden, wollen wir dieser Konvention hier folgen. Aus dem Kontextsollte stets klar werden, ob mit m die Masse oder der (durch ~ dividierte) Eigenwert zu l3gemeint ist.

2Wir vernachlassigen jetzt wieder den moglichen Spinfreiheitsgrad.

133

Page 134: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

134 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

Die Funktion 〈~x |ψG〉 := c exp (−α [x21 + x2

2 + x23]), mit α > 0, liefert

〈~x| l3 |ψG〉 =~i

(x1

∂x2

− x2∂

∂x1

)ce−α[x

21+x2

2+x23]

=~i(−2α) (x1x2 − x2x1) 〈~x |ψ〉

= 0 .

Damit gilt l3 |ψG〉 = 0 und |ψG〉 ist Eigenvektor zum Eigenwert m = 0.3 DerEigenwert m = 0 ist unendlichfach entartet, da jede Funktion vom Typ 〈~x |ψ〉 =f(x2

1 + x22, x3) einen Eigenvektor |ψ〉 zu l3 mit Eigenwert 0 liefert.

Ahnlich wie beim Hamiltonoperator des harmonischen Oszillator gibt es einrein algebraisches Verfahren die Eigenwerte zu bestimmen auf das wir spaterzuruckkommen werden. Zunachsteinmal werden wir expliziten gebrauch von derDifferentialgleichung in der Ortsdarstellung machen. Dazu gehen wir auf Kugel-koordinaten

x1 = r sin θ cosϕ

x2 = r sin θ sinϕ

x3 = r cos θ

bzw. Zylinderkoordinaten

x1 = ρ cosϕ

x2 = ρ sinϕ

x3 = z

uber. Es gilt

〈~x |ψ〉 = ψ(x1, x2, x3) = ψ(r, θ, ϕ) = ψ(ρ, ϕ, z) .

Differentiation nach ϕ liefert

∂ϕ〈~x |ψ〉 =

∂ 〈~x |ψ〉∂x1

∂x1

∂ϕ+∂ 〈~x |ψ〉∂x2

∂x2

∂ϕ

=

(x1

∂x2

− x2∂

∂x1

)〈~x |ψ〉

und damit

〈~x| l3 |ψ〉 =~i

∂ϕ〈~x |ψ〉 . (11.1)

3Wir werden auch m als den Eigenwert von l3 bezeichnen, obwohl es naturlich korrekt ~mheißen musste.

Page 135: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.1. DREHIMPULSOPERATOREN 135

In Kugelkoordinaten lautet das Eigenwertproblem dann

∂ϕψ(r, θ, ϕ) = im ψ(r, θ, ϕ) .

Die Eigenfunktionen 〈~x |m, ν〉 = ψm,ν(r, θ, ϕ) haben damit die Form

ψm,ν(r, θ, ϕ) = eimϕfm,ν(r, θ) .

Da die Eigenfunktion wohldefiniert und stetig sein muss folgt

ψ(r, θ, ϕ+ 2π) = ψ(r, θ, ϕ) (11.2)

und damit m ∈ Z. Das Spektrum ist weder nach oben noch nach unten be-schrankt.

Um die Eigenvektoren |m, ν〉 weiter zu charakterisieren, wollen wir selbstad-jungierte Operatoren finden, die mit l3 vertauschen und damit einen gemeinsamenSatz von Eigenvektoren mit l3 haben (siehe das Ende von Kapitel 2). Wie manunter der Verwendung von [A,BC] = [A,B] C+B [A,C] leicht nachrechnet, gilt(Einsteinsche Summationskonvention)[

li, lj

]= i~ εi,j,k lk .

Vollig analoge Vertauschungsregeln haben wir fur die Komponenten des Spin-operators in Gl. (3.15) hergeleitet. Bereits in diesem Zusammenhang hatten wirauf die strukturelle Ahnlichkeit zu den Poissonklammern von Drehimpulskom-ponenten in der klassischen Mechanik hingewiesen. Allgemein nennt man einen

Vektoroperator ~j mit Vertauschungsrelationen[ji, jj

]= i~ εi,j,k jk (11.3)

einen Drehimpulsoperator. Wir werden die Diskussion mit solch einem allgemei-nen Drehimpulsoperator, der nur uber die Vertauschungsrelationen seiner Kom-ponenten festgelegt ist, fortsetzen. Dabei gilt es zu beachten, dass wir fur ein

allgemeines ~j noch keine Information uber die Eigenwerte zu j3 haben, was ja fur

l3 bereits der Fall ist. Da die verschiedenen Komponenten von ~j nicht miteinan-der vertauschen, konnen j1 und j2 nicht zur eindeutigen Charakterisierung derEigenvektoren von j3 verwendet werden (man kann die ji nicht simultan “diago-

nalisieren”). Fur den Operator ~j 2 = j21 + j2

2 + j23 erhalten wir[

j3,~j2]

=[j3, j

21

]+[j3, j

22

]= j1

[j3, j1

]+[j3, j1

]j1 + j2

[j3, j2

]+[j3, j2

]j2

= i~(j1j2 + j2j1 − j2j1 − j1j2

)= 0

Page 136: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

136 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

und analog fur i = 1, 2, [ji,~j

2]

= 0 .

Man kann somit gemeinsame Eigenzustande zu einer Komponente ji (also z.B.

j3) und ~j 2 finden. ~j 2 ist ein (so genannter) positiver Operator, d.h. es gilt

〈ψ| ~j 2 |ψ〉 ≥ 0 fur alle |ψ〉 ∈ H. Damit sind die Eigenwerte von ~j 2 großer odergleich Null. Sie haben die Dimension Wirkung2. Aufgrund dieser beiden Beob-

achtungen konnen wir fur die Eigenwerte von ~j 2, ~2j(j + 1), mit j ∈ R und

j ≥ 0, schreiben. Die gemeinsamen Eigenvektoren zu ~j 2 und j3 bezeichnen wirmit |j,m, ν〉. Es gilt (m ∈ R)

~j 2 |j,m, ν〉 = ~2j(j + 1) |j,m, ν〉j3 |j,m, ν〉 = ~m |j,m, ν〉 .

Da auch ~j 2 − j23 = j2

1 + j22 ein positiver Operator ist, gilt fur die zugehorigen

Eigenwerte ~2 [j(j + 1)−m2] ≥ 0 und damit

m2 ≤ j(j + 1) .

Wir definieren Auf- und Absteigeoperatoren4

j+ := j1 + ij2

j− := j1 − ij2 ,

mit j†+ = j−. Sie erfullen die Vertauschungsrelationen[j3, j±

]=

[j3, j1 ± ij2

]= i~j2 ± i(−i~)j1

= ±~j±

und[~j 2, j±

]=

[j2

1 , j1 ± ij2

]+[j2

2 , j1 ± ij2

]+[j2

3 , j1 ± ij2

]= ±ij1

[j1, j2

]± i[j1, j2

]j1 + j2

[j2, j1

]+[j2, j1

]j2

+j3

[j3, j1

]± ij3

[j3, j2

]+[j3, j1

]j3 ± i

[j3, j2

]j3

= ∓~j1j3 ∓ ~j3j1 − i~j2j3 − i~j3j2 + i~j3j2 + i~j2j3 ± ~j3j1 ± ~j1j3

= 0 ,

4Wir werden sehr bald sehen, dass diese Namensgebung gerechtfertigt ist.

Page 137: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.1. DREHIMPULSOPERATOREN 137

sowie die Gleichung

j±j∓ = j21 + j2

2 ∓ i[j1, j2

]= ~j 2 − j2

3 ± ~j3 .

Falls es sich bei j± |j,m, ν〉 nicht um den Nullvektor handelt, dann sind diese

Zustande ebenfalls Eigenvektoren zu ~j 2 und j3

~j 2j± |j,m, ν〉 = j±~j2 |j,m, ν〉 = ~2j(j + 1)j± |j,m, ν〉

j3j± |j,m, ν〉 = j±

(j3 ± ~1

)|j,m, ν〉 = ~(m± 1)j± |j,m, ν〉 ,

wobei sich der Eigenwert von ~j 2 nicht andert und der von j3 um ~ erhoht bzw.erniedrigt wird. Da m2 ≤ j(j + 1) gilt, gibt es zu einem vorgegebenem j einminimales mmin und ein maximales mmax. Fur m = mmax muss

j+ |j,mmax, ν〉 = 0

gelten. Aus dieser Forderung folgt

j−j+ |j,mmax, ν〉 =(~j 2 − j2

3 − ~j3

)|j,mmax, ν〉

= ~2 [j(j + 1)−mmax(mmax + 1)] |j,mmax, ν〉= 0

und damit mmax = j. Analog gilt

j+j− |j,mmin, ν〉 =(~j 2 − j2

3 + ~j3

)|j,mmin, ν〉

= ~2 [j(j + 1)− (−mmin)(−mmin + 1)] |j,mmin, ν〉= 0

also mmin = −j. Fur ein fest vorgegebenes j ergibt sich damit die Folge m =−j,−j+1,−j+2, . . . , j−1, j von moglichen Eigenwerten von j3. In ganzzahligenSchritten gelangt man von −j nach j nur dann, wenn j ganz- oder halbzahligist, also j = 0, 1/2, 1, 3/2, 2, . . .. Fur die moglichen Werte von m und j ergibtsich das in Abbildung 11.1 dargestellte Diagramm. Um zu sehen, welche Wertevon j fur einen Drehimpulsoperator angenommen werden, benotigt man uber dieallgemeinen Vertauschungsregeln Gl. (11.3) hinausgehende Informationen. Aus

unserer Diskussion des Bahndrehimpulses ~l = ~x × ~p wissen wir, dass in diesemFall die Werte von m ganzzahlig sind und j ∈ N0 gilt. Da wir weiterhin m ∈ Zgefunden haben, m jedoch nur in [−j,−j + 1, . . . , j − 1, j] liegen kann, muss jbeliebig groß werden konnen. Fur den Spin des Elektrons gilt m = ±1/2 unddamit j = s = 1/2. Letzteres kann man auch direkt folgern, da nach Gl. (3.5),~σ2 = 3 1, und damit nach der Definition von ~s Gl. (3.14) ~s 2 = ~2 1

2

(12

+ 1)

1 gilt.

Page 138: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

138 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

1 2 3−1−3 −2

2

3

1

m

j

0

Abbildung 11.1: Die sich aus der Kommutatorrelation fur einen allgemeinen Dre-himpulsoperator ergebenden moglichen Werte von j und m.

In der Natur sind auch andere j Werte fur den Spin von “Elementarteilchen”verwirklicht.

Aufgrund der Orthogonalitat der |j,m, ν〉 gilt

〈j,m, ν| j1 |j,m, ν〉 =1

2〈j,m, ν|

(j+ + j−

)|j,m, ν〉 = 0

〈j,m, ν| j2 |j,m, ν〉 = − i2〈j,m, ν|

(j+ − j−

)|j,m, ν〉 = 0 .

Die Eigenzustande |j,m, ν〉 zu j3 und ~j2 sind keine Eigenzustande zu j21 und j2

2 ,d.h. die Quadrate der x- und y-Komponenten des Drehimpulses konnen in diesenZustanden nicht scharf gemessen werden. Im Gegensatz dazu sind die |j,m, ν〉 Ei-

genzustande des Operators j21 + j2

2 = ~j2− j23 mit Eigenwert ~2 [j(j + 1)−m2] und

die Summe der Quadrate der x- und y-Komponenten des Drehimpulses nimmt indiesen Zustanden einen scharfen Wert an. Diese Beobachtungen fuhren auf dasanschauliche Bild Abbildung 11.2, welches in vielen Buchern der Experimental-physik zu finden ist, aber mit großer Vorsicht zu gebrauchen ist. Es suggerierteinerseits, dass die x- und y-Komponenten des Drehimpulses gleichzeitig scharfeWerte annehmen konnen, was nicht der Fall ist, da j1 und j2 nicht vertauschen.Außerdem ignoriert diese Darstellung, dass auch die Eigenwerte von j1 und j2

quantisiert sind und eine Messung von j1 bzw. j2 in dem Zustand |j,m, ν〉 einenWert ~m mit m ∈ [−j,−j + 1, . . . , j − 1, j] ergibt. Eine detailliertere Diskussiondazu finden Sie in einem padagogischen Artikel von Herrn Schonhammer, den Sieunter der erganzenden Literatur finden.

Solange m < mmax (bzw. m > mmin) liefert die Anwendung von j+ (bzw. j−)auf |j,m, ν〉 wieder einen Eigenzustand

j± |j,m, ν〉 = c j,m± |j,m± 1, ν〉 .

Page 139: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.1. DREHIMPULSOPERATOREN 139

h[j(j+1)]

e3

j

1/2

hm

h[j(j+1)−m ]2 1/2

Abbildung 11.2: Anschauliche Darstellung des Drehimpulses wie man sie in vie-len Buchern der Experimentalphysik findet. Sie ist jedoch in zweierlei Hinsichtirrefuhrend (siehe Text).

Es gilt ∣∣c j,m+

∣∣2 = 〈j,m, ν| j†+j+ |j,m, ν〉= 〈j,m, ν| j−j+ |j,m, ν〉

= 〈j,m, ν|(~j 2 − j2

3 − ~j3

)|j,m, ν〉

= ~2 [j(j + 1)−m(m+ 1)]

und damit

c j,m+ = ~√j(j + 1)−m(m+ 1) .

Analog folgt

c j,m− = ~√j(j + 1)−m(m− 1) .

Die Proportionalitatskonstanten c j,m± liefern dann (wie beim harmonischen Oszil-lator)

j+ |j,mmax, ν〉 = 0

j− |j,mmin, ν〉 = 0 .

Page 140: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

140 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

Wir kehren nun zum Bahndrehimpulsoperator ~l = ~x× ~p zuruck. Die Eigenvek-toren bezeichnen wir in diesem Fall mit |l,m, ν〉. Zur Bestimmung der Eigenfunk-

tionen von ~l2 und l3 verwendet man vorteilhafterweise Kugelkoordinaten. Fur siegilt

∂r=

1

r~x · ∂

∂~x∂

∂θ= x3 cosϕ

∂x1

+ x3 sinϕ∂

∂x2

− r sin θ∂

∂x3

∂ϕ= x1

∂x2

− x2∂

∂x1

.

Die dritte dieser Relationen haben wir bereits verwendet um in Gl. (11.1) l3 inder Ortsdarstellung durch die partielle Ableitung nach ϕ auszudrucken. Um auchl1 und l2 durch partielle Ableitungen nach r, θ und ϕ auszudrucken, mussen wirdie obigen Relationen nach den ∂/∂xi auflosen. Damit erhalten wir

〈~x| l± |ψ〉 =~i

(x2

∂x3

− x3∂

∂x2

± i[x3

∂x1

− x1∂

∂x3

])〈~x |ψ〉

= ~e±iϕ(± ∂

∂θ+ i cot θ

∂ϕ

)〈~x |ψ〉 .

Mit ~l 2 = l23 +(l+l− + l−l+

)/2 folgt daraus

〈~x| ~l 2 |ψ〉 = −~2

(1

sin θ

∂θsin θ

∂θ+

1

sin2 θ

∂2

∂ϕ2

)〈~x |ψ〉 . (11.4)

In 〈~x| ~l 2 |ψ〉 treten nur Ableitungen nach den Winkeln θ und ϕ auf. Die Eigen-wertgleichung

~l 2 |l,m, ν〉 = ~2l(l + 1) |l,m, ν〉

kann somit in der Ortsdarstellung mit Hilfe eines Separationsansatzes

〈~x |l,m, ν〉 = Yl,m(θ, ϕ) Rl,m,ν(r) (11.5)

gelost werden. Die Yl,m(θ, ϕ) sind Losungen der Differentialgleichung

−(

1

sin θ

∂θsin θ

∂θ+

1

sin2 θ

∂2

∂ϕ2

)Yl,m(θ, ϕ) = l(l + 1)Yl,m(θ, ϕ) .

Man nennt sie die Kugelflachenfunktionen. Nach Konstruktion sind sie eben-falls Eigenfunktionen zu l3, so dass nach unseren obigen Uberlegungen ihre ϕ-Abhangigkeit durch exp (imϕ), mit m ∈ Z, gegeben ist. In Analogie zum Vor-gehen beim harmonischen Oszillator bestimmt man die Yl,l(θ, ϕ) am einfachsten

Page 141: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.1. DREHIMPULSOPERATOREN 141

aus den Abbruchbedingungen l+ |l, l, ν〉 = 0, d.h. aus(∂

∂θ+ i cot θ

∂ϕ

)Yl,l(θ, ϕ) =

(∂

∂θ+ i cot θ

∂ϕ

)eilϕYl,l(θ) = 0 .

Aus dieser Beziehung erhalt man die Differentialgleichung(∂

∂θ− l cot θ

)Yl,l(θ) = 0 .

fur Yl,l(θ) mit der Losung

Yl,l(θ) = cl sinl θ .

Damit gilt

Yl,l(θ, ϕ) = cleilϕ sinl θ .

Die Normierungskonstante wir im Allgemeinen so gewahlt, dass der hier betrach-tete Winkelanteil fur sich normiert ist, also gemaß der Forderung

1 =

∫ 2π

0

∫ π

0

Y ∗l,l(θ, ϕ)Yl,l(θ, ϕ) sin θ dθ dϕ

= |cl|2∫ 2π

0

∫ π

0

sin2l θ sin θ dθ dϕ .

Integration liefert cl bis auf einen Phasenfaktor, den wir hier so wahlen, dass

cl =(−1)l

2l l!

√(2l + 1)!

4π.

Die weiteren Yl,m erhalt man durch sukzessives Anwenden des Absteigeoperators

l−, d.h. unter Verwendung von

l− |l,m, ν〉 = ~√l(l + 1)−m(m− 1) |l,m− 1, ν〉 .

Diese Relation liefert die Rekursionsgleichung

Yl,m−1(θ, ϕ) =1√

(l −m+ 1)(l +m)e−iϕ

(− ∂

∂θ−m cot θ

)Yl,m(θ, ϕ)

=1√

(l −m+ 1)(l +m)

e−iϕ

sinm−1 θ

∂ (cos θ)[sinm θ Yl,m(θ, ϕ)] .

Aus diesen Uberlegungen ergibt sich

Yl,m(θ, ϕ) =(−1)l

2l l!

√2l + 1

√(l +m)!

(l −m)!

eimϕ

sinm θ

(d

d cos θ

)l−msin2l θ .

Page 142: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

142 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

Man bezeichnet die Kugelflachenfunktionen mit l = 0, 1, 2, 3, 4, . . . der Reihenach als s-, p-, d-, f -, g-,. . . Funktionen. Bei festem l kann m jeweils 2l + 1 Wer-te annehmen, so dass es eine s-Funktion, drei p-Funktionen, funf d-Funktionen,sieben f -Funktionen,. . . gibt. Fur bis zu l = 2 lauten sie explizit

Y0,0(θ, ϕ) =

√1

4π,

Y1,0(θ, ϕ) =

√3

4πcos θ

Y1,±1(θ, ϕ) = ∓√

3

8πe±iϕ sin θ ,

Y2,0(θ, ϕ) =

√5

16π

(3 cos2 θ − 1

)Y2,±1(θ, ϕ) = ∓

√15

8πe±iϕ sin θ cos θ

Y2,±2(θ, ϕ) =

√15

32πe±2iϕ sin2 θ .

Da die ϕ-Abhangigkeit nur durch die exp (imϕ) gegeben ist hangt |Yl,m(θ, ϕ)|2nicht von ϕ ab. Weiterhin gilt |Yl,m(θ, ϕ)|2 = |Yl,−m(θ, ϕ)|2. Das Betragsquadratvon Kugelflachenfunktionen niedriger Ordnung ist in Abbildung 11.3 dargestellt.

Ohne Beweise5 wollen wir zwei wichtige Eigenschaften der Kugelflachenfunk-tionen angeben. Sie erfullen die Orthogonalitatsrelation∫ 2π

0

∫ π

0

Y ∗l,m(θ, ϕ)Yl′,m′(θ, ϕ) sin θ dθ dϕ = δl,l′ δm,m′ . (11.6)

Diese ist Ausdruck von 〈l,m, ν |l′,m′, ν ′〉 = δl,l′ δm,m′δ(ν, ν′), wobei δ(ν, ν ′) die

δ-Funktion δ(ν − ν ′) bezeichnet, wenn ν kontinuierlich ist und das Kronecker-δδν,ν′ , falls ν diskret ist.6

5Sie finden diese in vielen Buchern zur Quantenmechanik.6Wir werden sehen, dass in den hier untersuchten Problemen ν immer nur fur eine weitere

Quantenzahl steht.

Page 143: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.1. DREHIMPULSOPERATOREN 143

Abbildung 11.3: Darstellung von |Yl,m(θ, ϕ)|2.

Page 144: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

144 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

Zusatzlich gilt die Vollstandigkeitsrelation

∞∑l=0

l∑m=−l

Y ∗l,m(θ, ϕ)Yl,m(θ′, ϕ′) = δ(ϕ− ϕ′)δ(θ − θ′) 1

sin θ.

Sie ergibt sich aus

∑∫ν

∞∑l=0

l∑m=−l

|l,m, ν〉 〈l,m, ν| = 1 ,

dem Separationsansatz fur 〈~x |l,m, ν〉 und

δ(~x− ~x ′) =1

r2 sin θδ(r − r′) δ(ϕ− ϕ′) δ(θ − θ′) .

Gemaß der Vollstandigkeitsrelation lasst sich jede hinreichend vernunftige Funk-tion f(θ, ϕ) nach den Kugelflachenfunktionen entwickeln

f(θ, ϕ) =∞∑l=0

l∑m=−l

fl,mY (θ, ϕ) ,

mit Koeffizienten

fl,m =

∫ 2π

0

∫ π

0

Y ∗l,m(θ, ϕ)f(θ, ϕ) sin θ dθ dϕ .

11.2 Rotationen und Translationen

Bevor wir im ubernachsten Kapitel das uber den Bahndrehimpuls gelernte da-zu einsetzen werden das Problem eines quantenmechanischen Teilchens in einemZentralpotenzial zu behandeln (und darauf aufbauend das Spektrum des Wasser-stoffatoms bestimmen werden), wollen wir, wie angekundigt, nocheinmal auf denZusammenhang zwischen Rotationen und dem Drehimpulsoperator, bzw. Trans-lationen und dem Impulsoperator eingehen. Beginnen wir mit dem Letzteren.Wir definieren einen Operator T~a uber seine Wirkung auf den uneigentlichenOrtzustand

T~a |~x〉 := |~x+ ~a〉 .

Page 145: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.2. ROTATIONEN UND TRANSLATIONEN 145

Aus dieser Definitionsgleichung erhalten wir durch Multiplikation mit 1 von links

T~a |~x〉 = 1 |~x+ ~a〉

=

∫Rd|~p 〉 〈~p |~x+ ~a〉 ddp

=

(1√2π~

)d ∫Rd|~p 〉 e−i~p·(~x+~a)/~ddp

=

∫Rd|~p 〉 e−i~p·~a/~ 〈~p |~x〉 ddp

= e−i~p·~a/~∫Rd|~p 〉 〈~p |~x〉 ddp

= e−i~p·~a/~ |~x〉 .

Da die |~x〉 (uber-)vollstandig sind und eine Basis bilden, konnen wir allgemeinfolgern, dass

T~a = e−i~p·~a/~

gilt. Um zu bestimmen, wie T~a auf einen allgemeinen Zustand |ψ〉 ∈ H, mitOrtsdarstellung 〈~x |ψ〉 = ψ(~x), wirkt, betrachten wir

|ψ~a〉 := T~a |ψ〉

und erhalten in der Ortsdarstellung

〈~x |ψ~a〉 = 〈~x|T~a |ψ〉

= 〈~x| exp(−i~p · ~a/~

)|ψ〉

= 〈~x− ~a |ψ〉= ψ(~x− ~a) .

T~a |ψ〉 ist der um ~a verschobene Zustand. Wir haben damit gefunden, dass derOperator

exp(−i~p · Translationsvektor/~

).

eine allgemeine Translation generiert. Es besteht eine strukturelle Ahnlichkeit zurRotation im Spinraum Gl. (9.4).

Vollig analog konnen wir nun einen Operator T~e3,α definieren, der eine Rota-tion (mathematisch positiv) um die ~e3-Achse mit Winkel α vermittelt

|ψ~e3,α〉 := T~e3,α |ψ〉 ,

Page 146: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

146 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

mit

ψ~e3,α(r, θ, ϕ) = 〈~x|T~e3,α |ψ〉 := ψ(r, θ, ϕ− α) .

Um T~e3,α explizit zu bestimmen, konnte man, wie im Fall der Translation, eine 1einschieben, die hier aus den Zustanden |l,m, ν〉 besteht. Wir werden aber andersverfahren. Differentiation der obigen Gleichung nach α liefert

〈~x| ddαT~e3,α |ψ〉 = − ∂

∂ϕψ(r, θ, ϕ− α)

= − ∂

∂ϕ〈~x|T~e3,α |ψ〉

= − i~〈~x| l3 T~e3,α |ψ〉 .

Da die Zustande |ψ〉 und |~x〉 beliebig sind, folgt die Operatorgleichung

d

dαT~e3,α = − i

~l3 T~e3,α .

Die Anfangsbedingung lautet T~e3,α=0 = 1. Die Losung der Differentialgleichungist

T~e3,α = exp(−i α l3/~

).

Aufgrund der Isotropie des Raumes erhalten wir fur eine allgemeine Rotation umdie Achse ~n mit Winkel α

T~n,α = exp(−i α ~l · ~n/~

),

bzw. erneut die Struktur (siehe Gl. (9.4))

exp(−i Drehwinkel ~l · ~eDrehachse/~

).

Wir wollen nun kurz den Zusammenhang zwischen Operatoren dieser Art(Rotationen sowohl des Bahnfreiheitsgrads als auch des Spins und Translationen),also Symmetrietransformationen und Erhaltungsgroßen beleuchten. Mehr dazulernt man in der Quantenmechanik II Vorlesung. Wie man leicht zeigt, sind dieobigen Operatoren unitar und haben die Form

T (ν) = e−iGν/~

mit einem selbstadjungierten Operator G (hier Impuls- bzw. Drehimpulsoperator)den man in diesem Kontext auch als den Generator bezeichnet. Es ist physika-lisch plausibel die Invarianz eines durch den Hamiltonoperator H beschriebenenSystems unter einer Translation oder Rotation uber die Gleichung

〈ψ|H |ψ〉 = 〈ψν |H |ψν〉 (11.7)

Page 147: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN 147

mit

|ψν〉 = T (ν) |ψ〉

fur alle |ψ〉 aus dem zugrundeliegenden Hilbertraum zu definieren. Aquivalentgilt

H = T †(ν)HT (ν) .

Betrachten wir nun infinitesimale Translationen oder Rotationen so konnen wirden Operator T (ν) in fuhrender Ordnung in ν entwickeln

T (ν) = 1− i

~νG+O(ν2) .

Eingesetzt in Gl. (11.7) liefert das

〈ψ|H |ψ〉 = 〈ψν |H |ψν〉= 〈ψ|T †(ν)HT (ν) |ψ〉= 〈ψ| (1 + iνG/~)H(1− iνG/~) |ψ〉+O(ν2)

= 〈ψ|H |ψ〉+iν

~〈ψ| [G,H] |ψ〉+O(ν2) .

Da der Zustand |ψ〉 beliebig ist, bedeutet das

[G,H] = 0 .

Wir konnen somit schließen, dass ein System invariant unter einer Symmetrie-transformation (hier Translation und Rotation) ist, wenn der zugehorige Genera-tor (hier Impuls- und Drehimpulsoperator) eine Erhaltungsgroße ist. Ein analo-ger Zusammenhang zwischen Erhaltungsgroßen und Symmetrietransformationensollte ihnen aus der klassischen Mechanik bekannt sein. Genauer bedeutet das,dass ein System translationsinvariant in eine spezifische (alle) Richtung(en) deseuklidischen Raums ist, wenn der Impulsoperator in diese (alle) Richtung(en)eine Erhaltungsgroße ist (Beispiel: freies Teilchen). Rotationsinvarianz bezuglicheiner gewahlten Achse (z.B. der z-Richtung) ergibt sich, wenn die Komponentedes Drehimpulsoperators in diese Richtung (z.B. l3) mit dem Hamiltonoperatorvertauscht.

11.3 Die Addition von Drehimpulsen

Zum Einstieg in dieses Kapitel betrachten wir das einfache Beispiel zweier Spin-1/2 Teilchen, deren orbitale Freiheitsgrade wir vernachlassigen. Dem Postulat 7

Page 148: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

148 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

folgend ist der Hilbertraum des zusammengesetzten Systems durch das Tensor-produkt der Einteilchen-Hilbertraume gegeben, also H = H1⊗H2. Er wird durchdie Zustande

|s1,m1; s2,m2〉 := |s1,m1〉 ⊗ |s1,m2〉

aufgespannt, wobei die |si,mi〉, mit i = 1, 2, die Drehimpulseigenzustande furjeweils einen der Spins sind und si = 1/2, mi = ±1/2 gilt. Fur die Tensorpro-duktzustande folgt somit

~si2 |s1,m1; s2,m2〉 = ~2si(si + 1) |s1,m1; s2,m2〉 ,

si,3 |s1,m1; s2,m2〉 = ~mi |s1,m1; s2,m2〉 ,

wobei wir s1,k = s(1)1,k ⊗ 1(2), mit k = 1, 2, 3 und dem Operator s

(1)1,k der auf den

Einteilchen-Raum des ersten Teilchens wirkt, definiert haben (und analog fur i =2; siehe Kapitel 10.4). Da si = 1/2 gilt, konnen wir die Tensorproduktzustandeetwas einfacher schreiben: |+,+〉, |+,−〉, |−,+〉 und |−,−〉. Die neue Notationergibt sich aus

|s1 = 1/2,m1 = 1/2; s2 = 1/2,m2 = −1/2〉 = |+,−〉

usw.. Diese Produktzustande formen eine Basis von Vektoren mit definiertenLangen und definierten z-Komponenten der individuellen Spins (Eigenzustandezu den entsprechenden Spinoperatoren).

Wir stellen nun die Frage, ob wir nicht auch Zustande in H finden konnen,die Eigenzustande zum Quadrat des totalen Spin-(Drehimpuls-)operators sind.Wenn ja, welches sind die sich ergebenden Werte fur die Lange des totalen Spinsund seiner z-Komponente? Dazu betrachten wir den Operator

~S := ~s1 + ~s2 := ~s(1)1 ⊗ 1(2) + 1(1) ⊗ ~s(2)

2 ,

den wir den totalen Spin-(Drehimpuls-)operator nennen. Wir konnen mehrereGrunde angeben, warum der so definierte Operator tatsachlich den totalen Spindes zusammengesetzten Systems beschreibt. Zunachsteinmal wird die Konstruk-tion durch unsere Intuition suggeriert. Zweitens kann man sich uberlegen, dassman mit Hilfe dieses Operators die Rotationen der Produktzustande (und damitdes ganzen Systems) generieren kann (siehe das letzte Kapitel). Drittens erfullendie Komponenten die Kommutatorrelation Gl. (11.3). Unser Ziel ist es nun die

Eigenwerte und die (gemeinsamen) Eigenvektoren zu ~S 2 und S3 zu bestimmen.Wir beginnen mit der z-Komponente S3 = s1,3 + s2,3. Man sieht sofort, dass

S3 |+,+〉 = (~/2 + ~/2) |+,+〉 = ~ |+,+〉 ,S3 |+,−〉 = 0 |+,−〉S3 |−,+〉 = 0 |−,+〉S3 |−,−〉 = −~ |−,−〉

Page 149: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN 149

gilt. Die erlaubten Werte der z-Komponente des totalen Drehimpulses sind somit~, 0 und −~. Durch Ausnutzen der Orthonormaltat der Tensorproduktzustandeergibt sich dann leicht die Matrixdarstellung des Operators S3 in der Produktbasis

S3.= ~

1 0 0 00 0 0 00 0 0 00 0 0 −1

.

Der Eigenraum zum Eigenwert 0 ist zweifach entartet und wird durch die Vekto-ren |+,−〉 und |−,+〉 aufgespannt. Innerhalb dieses Unterraums konnen wir nunLinearkombinationen bilden, die weiterhin Eigenzustande zu S3 aber nicht mehrzu den z-Komponenten der individuellen Spins sind.

Wir betrachten im nachsten Schritt die Lange des totalen Spins, d.h. den

Operator ~S 2. Diesen schreiben wir wie folgt um

~S 2 =(~s1 + ~s2

)2

= ~s12 + ~s2

2 + 2~s1 · ~s2 .

Dabei haben wir ausgenutzt, dass die Operatoren ~s1 und ~s2 vertauschen (da ~siTensorprduktoperatoren sind, dessen nicht trivialer Teil nur auf das Teilchen i

wirkt). Der Operator ~S2 vertauscht mit den ~si2, wegen des ~s1 · ~s2 Terms (der

die si,1/2 enthalt) jedoch nicht mit den si,3. Wie man leicht nachrechnet ist die

Matrixdarstellung von ~S2 in der Produktbasis durch

~S 2 .= ~2

2 0 0 00 1 1 00 1 1 00 0 0 2

gegeben. Wir sehen somit, dass die Zustande |++〉 und |−−〉 Eigenzustande von

~S 2, mit Eigenwert ~2s(s + 1) = ~21(1 + 1) = 2~2, sind, nicht jedoch die beidenProduktzustande |±,∓〉 mit Eigenwert Null zu S3. In diesem Unterraum lassen

sich sehr einfach Eigenvektoren zu ~S2 angeben. Sie haben die Form

1√2

(|+−〉+ |−+〉) ,

1√2

(|+−〉 − |−+〉)

und die Eigenwerte ~2s(s+1) = ~21(1+1) = 2~2 bzw. ~2s(s+1) = ~20(0+1) = 0.Damit haben wir unsere anfangs gestellte Frage beantwortet. Die Erlaubten Werte

fur den totalen Spin ~S 2 sind s = 0 und 1, wahrend die Eigenwerte von S3 durch

Page 150: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

150 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

~, 0 und −~ fur s = 1 bzw. 0 fur s = 0 gegeben sind. In der Produktbasisgeschrieben ergibt sich fur die Eigenvektoren

|s = 1,m = 1, s1 = 1/2, s2 = 1/2〉 = |++〉 ,

|s = 1,m = 0, s1 = 1/2, s2 = 1/2〉 =1√2

(|+−〉+ |−+〉) ,

|s = 1,m = −1, s1 = 1/2, s2 = 1/2〉 = |−−〉 ,

|s = 0,m = 0, s1 = 1/2, s2 = 1/2〉 =1√2

(|+−〉 − |−+〉) . (11.8)

Die drei Zustande mit Spin s = 1 bezeichnet man als Triplettzustande wahrendman den s = 0 Zustand ein Singulett nennt.

Das Addieren von Drehimpulsen ist somit das Problem eines Basiswechselsvon einer, in der die Operatoren (~s1

2, ~s22, s1,3, s1,3) diagonal sind, zu einer in

der ( ~S 2, S3, ~s12, ~s2

2) diagonal sind. Symbolisch geschrieben haben wir somit dasResultat

1/2⊗ 1/2 = 1⊕ 0

erhalten, was bedeutet, dass man das Tensorprodukt zweier Spin-1/2 Hilber-traume als direkte Summe eines Spin-1 und eines Spin-0 Raumes schreiben kann.

Die Eigenzustande zum totalen Spin haben eine Eigenschaft, die fur unserespateren Uberlegungen zu Systemen mehrere ununterscheidbarer Teilchen essen-tiell sein werden. Vertauscht man in den Triplettzustanden die beiden Teilchen, soist der Zustand symmetrisch, d.h. der Zustand reproduziert sich. Der Singulettzu-stand ist dagegen antisymmetrisch unter der Vertauschung der beiden Teilchen,d.h. der Zustand reproduziert sich bis auf ein Minuszeichen.

Da wir nun zwei mogliche Basen fur das Problem zweier Spin-1/2 Teilchenkonstruiert haben, stellt sich die Frage welche der beiden wir verwenden sollten.Die Antwort hangt vom zu untersuchenden Problem ab. Befinden sich die beidenSpins ausschließlich in einem außeren Magnetfeld (z.B. in z-Richtung), d.h. istder Hamiltonoperator durch

H = −(γ1~s1 + γ2~s2

)· ~B = −B (γ1s1,3 + γ2s2,3)

gegeben, so ist die offensichtliche Wahl, die H diagonalisiert, die Produktbasis.Gilt jedoch γ1 = γ2, so folgt H ∝ S3 und wir hatten ebenfalls die Singulett-Triplett-Basis wahlen konnen. Wenn die beiden Spins dagegen uber ihre magne-tischen Momente wechselwirken (und kein außeres Magnetfeld vorliegt), ist derHamiltonoperator durch

H = γ~s1 · ~s2 = γ(~S 2 − ~s1

2 − ~s22)/2

gegeben, der durch die Singulett-Triplett-Basis diagonalisiert wird.

Page 151: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN 151

Nach diesem einfuhrenden Beispiel wollen wir das allgemeine Problem der

Addition zweier Drehimpulse ~j1 und ~j2 betrachten. Die Frage ist, welches die

Eigenwerte und Eigenvektoren zu ~J 2 und J3 mit

~J := ~j1 + ~j2 := ~j(1)1 ⊗ 1(2) + 1(1) ⊗ ~j(2)

2

sind (diese Operatoren erfullen die ublichen Drehimpulsvertauschungsrelationen),wobei wir letztere in der Produktbasis mit Zustanden |j1,m1; j2,m2〉 ausdruckenwollen. Um sie zu beantworten konnten wir dem einfuhrenden Beispiel folgend

die (2j1 + 1)(2j2 + 1)-dimensionalen Matrizendarstellungen der Operatoren ~J 2

und J3 bezuglich der Produktbasis konstruieren und diese diagonalisieren. DerOperator J3 ist in dieser Basis bereits diagonal da

J3 |j1,m1; j2,m2〉 = ~(m1 +m2) |j1,m1; j2,m2〉 .

Der Unterraum zum Eigenwert ~m := ~(m1+m2) wird dabei im Allgemeinen eineDimension großer als 1 aufweisen, da es mehrere Moglichkeiten gibt, m in zweiZahlen mi zu zerlegen. Ausnahmen bilden dabei die Falle m = ±(j1 + j2) wennbeide Impulse eine maximale Projektion in die z-Richtung haben. Da die explizite

Diagonalisierung von ~J 2 in den Unterraumen mit Eigenvektoren zu J3 muhsamsein kann, werden wir diesen Gedanken hier nicht weiterverfolgen. Stattdessenbeschranken wir uns zunachst darauf nur zu untersuchen, was die erlaubten Wertej sind.

Unsere Erfahrung aus dem Beispiel zweier Spin-1/2 Teilchen und zusatzlichunsere Intuition sagt uns, dass j die Werte j1+j2, j1+j2−1, . . . , |j1−j2| annehmenkann. Wir konnen zunachst uberprufen, dass die Zahl der neuen Basiszustandegleich der in der Produktbasis (2j1 + 1)(2j2 + 1) ist. Es gilt (o.B.d.A nehmen wiran, dass j1 ≥ j2)

j1+j2∑j=j1−j2

(2j + 1) =

j1+j2∑j=0

(2j + 1)−j1−j2−1∑j=0

(2j + 1) = (2j1 + 1)(2j2 + 1) ,

wobei wir

N∑n=0

n =N(N + 1)

2

benutzt haben. Aus Zeitgrunden sind wir an dieser Stelle lax und nehmen diesesbereits als den Beweis unserer Vermutung zu den moglichen Werten von j. Esgilt also

j1 ⊗ j2 = (j1 + j2)⊕ (j1 + j2 − 1)⊕ . . .⊕ |j1 − j2| .

Page 152: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

152 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

Damit sind die Eigenzustande zu ~J 2 und J3 durch |j,m, j1, j2〉 mit j1 + j2 ≥j ≥ |j1− j2| und j ≥ m ≥ −j gegeben. Um sie zu bestimmen ordnen wir diese ineiner Matrixstruktur so an, dass die Spalten durch von j1 + j2 nach |j1 − j2| ab-steigende j-Werte und die Zeilen durch von j nach −j absteigende m-Werte indi-ziert sind. Der Zustand in der linken oberen Ecke |j = j1 + j2,m = j1 + j2, j1, j2〉ist aufgrund des maximalen Wertes der z-Komponente des Drehimpulses pro-portional zum Produktzustand |j1, j1; j2, j2〉 (siehe das Beispiel zweier Spin-1/2Teilchen). Den wegen der Normierung nur noch freien Phasenfaktor wahlen wirzu 1. Damit gilt

|j1 + j2, j1 + j2, j1, j2〉 = |j1, j1; j2, j2〉 .

Zum Zustand in der zweiten Zeile der ersten Spalte mit m = j1 + j2− 1 gelangenwir durch Anwenden des Absteigeoperators J− := j1,− + j2,−:

J− |j1 + j2, j1 + j2, j1, j2〉 = ~ [2(j1 + j2)]1/2 |j1 + j2, j1 + j2 − 1, j1, j2〉= (j1,− + j2,−) |j1 + j2, j1 + j2, j1, j2〉= (j1,− + j2,−) |j1, j1; j2, j2〉= ~[2j1]1/2 |j1, j1 − 1; j2, j2〉

+~[2j2]1/2 |j1, j1; j2, j2 − 1〉

oder nach |j1 + j2, j1 + j2 − 1, j1, j2〉 aufgelost

|j1 + j2, j1 + j2 − 1, j1, j2〉 =

(j1

j1 + j2

)1/2

|j1, j1 − 1; j2, j2〉

+

(j2

j1 + j2

)1/2

|j1, j1; j2, j2 − 1〉 . (11.9)

Diesem Schema folgend konnen wir uns bis zum Element in der letzte Zeile derersten Spalte vorarbeiten.

Im nachsten Schritt betrachten wir das Element in der ersten Zeile der zwei-ten Spalte mit j = j1 + j2 − 1 und m = j1 + j2 − 1. Dieser Zustand kanndurch eine Linearkombination der beiden Produktzustande |j1, j1; j2, j2 − 1〉 und|j1, j1 − 1; j2, j2〉 gebildet werden (siehe das Beispiel der zwei Spin-1/2 Teilchen).Er muss auf 1 normiert sein und senkrecht auf der anderen durch diese beiden Pro-duktzustande gebildeten Linearkombination Gl. (11.9) |j1 + j2, j1 + j2 − 1, j1, j2〉stehen. Man zeigt leicht, dass der Zustand

|j1 + j2 − 1, j1 + j2 − 1, j1, j2〉 =

(j2

j1 + j2

)1/2

|j1, j1 − 1; j2, j2〉

−(

j1

j1 + j2

)1/2

|j1, j1; j2, j2 − 1〉

Page 153: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN 153

diese Eigenschaften hat. Die anderen Elemente der zweiten Spalte mit m = j1 +j2 − 2, . . . ,−(j1 + j2 − 1) folgen dann erneut durch wiederholtes Anwenden desAbsteigeoperators J−. Das erste Element der dritten Spalte mit j = j1+j2−2 undm = j1 + j2 − 2 ist eine Linearkombination von drei Produktzustanden. Die dreiEntwicklungskoeffizienten folgen aus den drei Bedingungen der Orthogonalitat zu

den zwei (bereits konstruierten) Eigenzustanden zu ~J 2 mit gleichem m und derNormiertheit. Aus diesen Uberlegungen sollte klar sein, dass es immer genugendBedingungen gibt den jeweils ersten Zustand einer Spalte zu bestimmen und zuden anderen Elementen dieser Spalte durch Anwenden des Absteigeoperators zugelangen.

Aufgrund der Vollstandigkeit der beiden Basen kann man die Eigenzustande

zu ~J 2 und J3 bei festem j1 und j2 (genauer zu ~J 2, J3 und ~j21 , ~j2

1) als Linearkom-bination

|j,m, j1, j2〉 =

j1∑m1=−j1

j2∑m2=−j2

〈j1,m1; j2,m2| j,m, j1, j2〉 |j1,m1; j2,m2〉

schreiben. Die Entwicklungskoeffizienten 〈j1,m1; j2,m2| j,m, j1, j2〉 bezeichnet manals Clebsch-Gordon-Koeffizienten. Sie haben Eigenschaften, die sich direkt ausden Eigenschaften von Drehimpulseigenzustanden ergeben (siehe z.B. R. Shan-kar, Principles of Quantum Mechanics).

Als ein weiteres wichtiges Beispiel werden sie in den Ubungen das Beispielder Addition des Spins eines Spin-1/2 Teilchens (z.B. eines Elektrons) mit demzugehorigen Bahndrehimpuls untersuchen. In Analogie zum Beispiel der Additionvon zwei Spin-1/2 Freiheitsgraden mit einer ~s1 ·~s2-Kopplung, ist die sich ergebeneBasis von besonderem Nutzen wenn man die so genannte Spin-Bahn-Kopplung,die durch den Hamiltonoperator

H = γ ~l · ~s = γ(~J 2 − ~l 2 − ~s 2

)/2 (11.10)

gegeben ist, betrachtet. Sie ist eine relativistische Korrektur zur Quantenmecha-nik, die von Bedeutung fur den Aufbau von Atomen ist (siehe Vorlesungen zurQuantenfeldtheorie und zur Atomphysik).

Page 154: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

154 KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK

Page 155: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 12

Ein Teilchen im Zentralpotenzial

Wir wollen nun das wichtige Problem des Teilchens in einem ZentralpotenzialV (~x) = V (|~x|) mit dem Hamiltonoperator

H =~p 2

2m+ V (|~x|)

untersuchen. Da das Potenzial nur vom Abstand zum Ursprung abhangt, ist dasProblem invariant unter einer beliebigen Rotation, deren Achse durch den Ur-sprung geht.1 Aus diesem allgemeine Argument ergibt sich, dass die Komponen-ten des Bahndrehimpulsoperators li mit H vertauschen, was wir aber nocheinmalexemplarisch fur l3 nachrechnen wollen. Es gilt[

l3, H]

=

[x1p2 − x2p2,

~p 2

2m+ V (|~x|)

]

= x1

[p2, V (|~x|)

]+

[x1,

~p 2

2m

]p2 − x2

[p1, V (|~x|)

]−

[x2,

~p 2

2m

]p1

= x1~i

∂V

∂x2

(|~x|)− x2~i

∂V

∂x1

(|~x|) +1

2m

[x1, p

21

]p2 −

1

2m

[x2, p

22

]p1

= x1~i

∂V

∂x2

(|~x|)− x2~i

∂V

∂x1

(|~x|) +i~mp1p2 −

i~2m

p2p1

= x1~i

∂V

∂x2

(|~x|)− x2~i

∂V

∂x1

(|~x|)

= 0 ,

da V nur eine Funktion von |~x| ist. Analog lassen sich leicht auch die Kom-mutatoren von H mit den anderen Komponenten des Bahndrehimpulsoperatorsberechnen. Man findet [

li, H]

= 0

1Letzteres stellt keine Einschrankung dar, da auch der Drehimpuls Bezug auf den Koordi-natenursprung nimmt.

155

Page 156: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

156 KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL

und damit auch [~l 2, H

]= 0 .

Aufgrund dieser Kommutatorrelationen kann man gemeinsame Eigenvektoren zu

~l 2, l3 und H konstruieren, die wir mit |l,m,E〉 bezeichnen.2 Die Bezeichnungsuggeriert bereits, das keine weiteren Quantenzahlen zur eindeutigen Charakte-risierung der Eigenzustande notig sind, was wir spater explizit sehen werden. Die

Operatoren ~l 2, l3 und H bilden daher ein vollstandiges System kommutieren-der Operatoren (siehe das Ende von Kapitel 2). Die drei Eigenwertgleichungenergeben sich zu

~l 2 |l,m,E〉 = ~2l(l + 1) |l,m,E〉l3 |l,m,E〉 = ~m |l,m,E〉H |l,m,E〉 = E |l,m,E〉 .

Da[H, l±

]= 0 folgt

Hl± |l,m,E〉 = l±H |l,m,E〉 = El± |l,m,E〉 .

Somit ist neben |l,m,E〉 auch |l,m± 1, E〉 Eigenvektor von H zum gleichenEigenwert E. Fur festes l haben die 2l + 1 Eigenzustande zu verschiedenen malle den gleichen Energieeigenwert, d.h. der Energieeigenwert E ist mindestens2l + 1-fach entartet.

In Ortsdarstellung lautet die zeitunabhangige Schrodingergleichung(− ~2

2m∆ + V (|~x|)

)〈~x |l,m,E〉 = E 〈~x |l,m,E〉 .

Aufgrund der Symmetrie des Problems bietet es sich an Kugelkoordinaten zuverwenden. Der Laplaceoperator ∆ ergibt sich in diesen zu3

∆ =1

r

∂2

∂r2r +

1

r2

[1

sin θ

∂θsin θ

∂θ+

1

sin2 θ

∂2

∂ϕ2

].

Der Winkelanteil [. . .] hat bis auf den Vorfaktor dieselbe Form wie 〈~x| ~l 2 |ψ〉 in

Gl. (11.4). Verwenden wir ~l 2 |l,m,E〉 = ~2l(l + 1) |l,m,E〉, so ergibt sich(− ~2

2m

1

r

∂2

∂r2r +

~2l(l + 1)

2mr2+ V (r)

)〈~x |l,m,E〉 = E 〈~x |l,m,E〉 .

2Wir spezifizieren also die im letzten Kapitel eingefuhrten Eigenzustande |l,m, ν〉 zu ~l 2 und

l3 durch hinzufugen der Quantenzahl E.3Aus Zeitgrunden verzichten wir auf eine Herleitung. Sie finden diese in Buchern der Me-

chanik, Elektrodynamik oder Quantenmechanik.

Page 157: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

157

Setzen wir fur 〈~x |l,m,E〉 den Separationsansatz Gl. (11.5) ein, so erhalten wireine Gleichung fur den Radialanteil der Wellenfunktion Rl,m,E(r)(

− ~2

2m

1

r

d2

dr2r +

~2l(l + 1)

2mr2+ V (r)

)Rl,m,E(r) = E Rl,m,E(r) .

Gemaß dieser Gleichung ist Rl,m,E(r) unabhangig von m (m kommt in ihr nichtvor) und wir schreiben von nun an Rl,E(r). Mit

ul,E(r) := rRl,E(r)

folgt (− ~2

2m

d2

dr2+ V l

eff(r)

)ul,E(r) = E ul,E(r) , (12.1)

mit

V leff(r) := V (r) +

~2l(l + 1)

2mr2

d.h. ul,E(r) erfullt eine eindimensionale Schrodingergleichung auf dem halbun-endlichen Intervall r ≥ 0. Wie im klassischen Fall besteht das effektive PotenzialV l

eff(r) aus der Summe von V (r) und der Drehimpulsbarriere ~2l(l+1)2mr2 . Fur l =

0, 1, 2 ist das effektive Potenzial fur das Coulombpotenzial V (r) = −e2/r inAbbildung 12.1 dargestellt.

Wir werden uns nun daran machen, die Differentialgleichung fur ul,E(r) zulosen. Dies wird uns die fur E erlaubten Werte liefern. Die Ortsdarstellung der

Eigenfunktionen zu ~l 2, l3 und H ergibt sich dann gemaß

〈~x |l,m,E〉 = Yl,m(θ, ϕ)ul,E(r)

r.

Wir beschranken uns hier auf Potenziale V (r) die fur r → 0 schwacher als die

Drehimpulsbarriere ~2l(l+1)2mr2 divergieren. Das physikalisch wichtige Coulombpoten-

zial V (r) ∼ 1/r ist damit nicht ausgeschlossen. In diesem Fall kann man fur l ≥ 1und r → 0 den Term [V (r)− E]r2 in der Differentialgleichung vernachlassigen.4

Sie vereinfacht sich somit zu

l ≥ 1, r → 0 :

[−r2 d

2

dr2+ l(l + 1)

]ul,E(r) = 0 .

Machen wir fur r → 0 den Ansatz ul,E(r) ∼ rβ, so folgt β(β − 1) = l(l + 1)und damit β1 = l + 1 und β2 = −l. Die Losung mit β2 ist aus physikalischen

4Die folgende Diskussion ist mathematisch nicht ganz sauber, da man den Limes r → 0 nichtin der Differentialgleichung, sondern der Losung ul,E(r) diskutieren sollte.

Page 158: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

158 KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL

Abbildung 12.1: Das effektive Potenzial fur V (r) = −e2/r und l = 0, 1, 2. Es gilta0 := ~2

me2(siehe unten).

Grunden auszuschließen da |Rl,E(r)|2 = |ul,E(r)|2 /r2 ∼ r−2(l+1) fur r → 0 nichtintegrierbar ist (man beachte, dass l ≥ 1).5 Damit folgt

l ≥ 1, r → 0 : Rl,E(r) ∼ rl . (12.2)

Je großer der Eigenwert des Drehimpulsoperators ~l 2 ist (d.h. je großer l ist), destoschneller verschwindet |Rl,E(r)|2 fur r → 0 und damit die Wahrscheinlichkeit dasTeilchen in der Nahe des Ursprungs zu finden. Dies entspricht der klassischenErwartung. Fur den bisher ausgeschlossenen Fall l = 0 mussen wir

l = 0 : limr→0

ul=0,E(r) = 0 (12.3)

fordern, da sonst Rl=0,E(r) ∼ 1/r was keine Losung der Schrodingergleichung ist.6

5Das gilt auch nach Multiplikation mit dem Faktor r2, der beim Ubergang in Kugelkoordi-naten auftritt.

6Da ∆ 1r = −4πδ(r), kann Rl=0,E(r) ∼ 1/r nur dann eine Losung sein, wenn die Schrodin-

gergleichung ein δ-Potenzial enthalt, was nicht der Fall ist.

Page 159: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

159

Es gilt somit ul,E(0) = 0 fur alle l ∈ N0 und man kann die Gleichung fur ul,E(r)als eine eindimensionale Schrodingergleichung in dem Potenzial V l

eff(r) + V∞(r)mit V∞(r) =∞, fur r < 0 und V∞(r) = 0, sonst, auffassen.

Die Funktion ul,E(r) gehorcht einer Differentialgleichung zweiter Ordnung.Durch die Forderung ul,E(0) = 0 reduziert man die Zahl der linearunabhangigenLosungen von zweien auf eine. Damit benotigt man, wie oben bereits angekundigt,zur eindeutigen Charakterisierung der Eigenvektoren |l,m,E〉 keine zusatzlichen

Quantenzahlen. Diese Uberlegung zeigt, dass die Operatoren ~l 2, l3 und H einvollstandiges System vom kommutierenden Operatoren bilden.

Aus der Diskussion in Kapitel 7 wissen wir bereits, dass die eindimensiona-le Schrodingergleichung (12.1), fur Potenziale die einen anziehenden Bereich mitV l

eff(r) < 0 haben7 und fur r → ∞ verschwinden, kontinuierliche Eigenwertefur E > 0 hat und diskrete Eigenwerten En fur E < 0 (gebundene Zustande)aufweist. Im Gegensatz zum echt eindimensionalen Fall ist hier jedoch die Bedin-gung V l

eff(r) < 0 in einem endlichen r-Intervall nicht hinreichend, um die Existenzzumindest eines gebundenen Zustandes zu garantieren. In der echt eindimensio-nalen Situation ist unter obiger Bedingung nur die Existenz eines gebundenenZustandes gesichert der keine Knoten hat (siehe Ubungen). Aufgrund der Bedin-gung ul,E(0) = 0 fur die Losung der hier vorliegenden effektiven eindimensionalenSchrodingergleichung (12.1) hat ul,E(r) fur E < 0 jedoch mindestens einen Kno-ten. Die Funktion entspricht einer Losung auf dem Intervall (−∞,∞) mit un-gerader Paritat. Die Existenz gebundener Zustande dieser Art ist jedoch durchdas in einer Ubungsaufgabe bewiesene Theorem nicht gesichert, sie existieren nurunter Zusatzbedingungen (siehe Ubungen).

Im Folgenden werden wir die Situation E > 0, d.h. die Streuzustande, nichtweiter betrachten. Sie werden sie in dem Kapitel uber Streutheorie der Quanten-mechanik II Vorlesung im Detail diskutieren. Dabei wird sich herausstellen, dassdie Beschreibung der Streuung am physikalisch besonders relevanten Coulomb-potenzial V (r) ∼ 1/r spezielle Komplikationen mit sich bringt.

Unter der Annahme, dass V leff(r) fur r → ∞ verschwindet, was fur das hier

interessierende Coulombpotenzial V (r) ∼ 1/r der Fall ist, lautet Gl. (12.1) furr →∞

r →∞ :d2ul,En(r)

dr2− α2

nul,En(r) = 0 ,

mit αn =√

2m(−En)/~. Die Losungen ∼ exp (±αnr) dieser Differentialgleichungsind uns bereits mehrfach begegnet. Nur die exponentiell abfallende Losung fuhrt

7Es ist zu beachten, dass V leff(r) aus der Summe der Potenziale V (r) und der repulsiven(positiven) Drehimpulsbarriere besteht. Fur l ≥ 1 folgt somit aus V (r) < 0 nicht unbedingtV leff(r) < 0.

Page 160: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

160 KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL

auf normierbare Eigenfunktionen, so dass8

r →∞ : ul,n(r) → cl,ne−αnr

⇒ Rl,n(r) → cl,ne−αnr/r . (12.4)

Mit den Gln. (12.2), (12.3) und (12.4) haben wir das Verhalten der FunktionenRl,n(r) in den Limites r → 0 und r → ∞ fur eine große Klasse von Potenzialenbestimmt.

Wir wollen nun die gebundenen Zustande fur das physikalisch wichtige Cou-lombpotenzial V (r) = −e2/r bestimmen,9 d.h. die Energieeigenwerte En < 0 undden zugehorigen Radialanteil Rl,n(r) der Eigenfunktionen angeben (der Winke-lanteil Yl,m(θ, ϕ) ist uns bereits bekannt). Dazu ist es nutzlich r und E durchdimensionslose Großen ρ := r/a0 und ε := E/ER, mit dem Bohrradius

a0 :=~2

me2

und der Rydbergenergie

ER :=e2

2a0

,

zu ersetzen. Die Gleichung fur ul,E(r) = ul,ε(ρ) lautet dann

d2ul,ε(ρ)

dρ2+

[ε+

2

ρ− l(l + 1)

ρ2

]ul,ε(ρ) = 0 . (12.5)

Zur Losung dieser Differentialgleichung machen wir einen Potenzreihenansatz,wobei wir das in den Gln. (12.2), (12.3) und (12.4) bestimmte Verhalten furr → 0 und r →∞ abspalten

ul,ε(ρ) = ρl+1

(∞∑ν=0

c(l,ε)ν ρν

)e−λρ ,

mit λ :=√−ε. Mit diesem Ansatz geht man in Gl. (12.5) und gewinnt durch

Koeffizientenvergleich wie bei der analytischen Losung des eindimensionalen har-monischer Oszillatorproblems (siehe Ubungen) nach einiger Rechnung eine Re-

kursionsgleichung fur die c(l,ε)ν

c(l,ε)ν+1 = 2

λ(ν + l + 1)− 1

(ν + l + 2)(ν + l + 1)− l(l + 1)c(l,ε)ν . (12.6)

8Wir bezeichnen die Funktion ul,En(r) von jetzt an auch mit ul,n(r).

9Es ergibt sich z.B. in der Situation, in der sich ein negativ geladenes Elektron (mit Ladung−e) im Feld einer positiven, elementaren Punktladung (spater ein Proton mit Ladung e) dieim Ursprung festsitzt befindet.

Page 161: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

161

Damit konnen alle c(l,ε)ν aus c

(l,ε)0 bestimmt werden, welches wiederum durch die

Normierungsbedingung der Eigenfunktion festgelegt ist. Wie beim harmonischenOszillator gibt es die beiden Moglichkeiten, dass die Potenzreihe entweder ab-bricht oder nicht abbricht. Betrachten wir zunachst den letzteren Fall. Fur festesl und λ gilt im Limes großer ν

ν →∞ : c(l,ε)ν+1 ≈

ν + 1c(l,ε)ν

und damit

ρ→∞ :∞∑ν=0

c(l,ε)ν ρν ∼ e2λρ ,

so dass ul,ε(ρ) fur ρ → ∞ wie exp (λρ) geht und nicht normierbar (quadratin-tegrabel) ist. Damit liefert nur der Fall in dem die Potenzreihe abbricht einephysikalische Losung der Differentialgleichung. Gilt

λ =1

k + l + 1,

mit k ∈ N0, so folgt c(l,ε)ν = 0 fur ν ≥ k + 1 und die Potenzreihe bricht ab.10 Fur

festes l gibt es somit die Energieeigenwerte

εl,k = − 1

(l + k + 1)2mit k = 0, 1, 2, . . .

=: − 1

n2mit n = l + 1, l + 2, l + 3. . . . .

In der letzten Zeile haben wir die so genannte Hauptquantenzahl n definiert. Dain εl,k nur die Summe l + k eingeht, treten fur verschiedene l dieselben Energie-eigenwerte auf. Die El,n hangen daher nur von n ab und es gilt

En = −ERn2

= − e2

2a0

1

n2mit n ∈ N und n ≥ l + 1 .

Die Energieeigenwerte En < 0 sind fur bis zu n = 4 und l = 3 in Abbildung 12.2dargestellt. Die Unabhangigkeit der En von l ist eine Spezialitat des Coulombpo-tenzial und gilt nicht fur allgemeine Zentralpotenziale. Sie ergibt sich aus einerspeziellen Symmetrie (die es auch in der klassischen Mechanik gibt) des Problems.Aus Zeitgrunden konnen wir nicht weiter auf diese Problematik eingehen. Die lEntartung wird aufgehoben, wenn im Hamiltonoperator zusatzliche “Storterme”berucksichtigt werden. Um einen quantitativen Vergleich mit Experimenten (z.B.

10Das sieht man leicht durch Einsetzen von λ = 1/(k + l + 1) in Gl. (12.6). Die rechte Seitedieser Gleichung verschwindet dann fur (ν+ l+ 1)/(k+ l+ 1) = 1, was die Bedingung ν ≥ k+ 1liefert.

Page 162: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

162 KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL

am Wasserstoffatom) anstellen zu konnen, mussen zusatzliche Wechselwirkungs-terme, z.B. die bereits erwahnte Spin-Bahn-Kopplung, berucksichtigt werden.Ohne solche Zusatzterme betragt die Entartung gn des Eigenwertes En

gn =n−1∑l=0

(2l + 1) = n2 ,

wobei wir die 2l+1-fache m Entartung berucksichtigt haben. Man bezeichnet dieEnergieniveaus mit 1s, 2s, 3s, 4s . . . ; 2p, 3p, 4p. . . ; 3d, 4d, . . . ; usw..

Abbildung 12.2: Energieeigenwerte En, n = 1, 2, 3, 4 fur das Teilchen im Cou-lombpotenzial.

Nachdem wir die Energieeigenwerte bestimmt haben, wollen wir nun die si-

multanen Eigenfunktionen zu den Operatoren ~l 2, l3 und H herleiten. In derBezeichnung ersetzen wir dabei die Energie E durch die Hauptquantenzahl n:|l,m, n〉. Die im Radialanteil der Eigenfunktionen auftretenden Polynome sinddie so genannten zugeordneten Laguerrepolynome Lqp(ρ)

Lqp(ρ) :=dq

dρqLp(ρ)

Page 163: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

163

mit den Laguerrepolynomen Lp(ρ)

Lp(ρ) := eρdp

dρp(ρpe−ρ

).

Die gemaß ∫ ∞0

|Rl,n(r)|2 r2 dr = 1 (12.7)

normierten Radialfunktionen ergeben sich zu

Rl,n(r) = −

√(2

na0

)3(n− l − 1)!

2n [(n+ l)!]3e−r/(na0)

(2r

na0

)lL2l+1n+l

(2r

na0

),

mit

L2l+1n+l (ρ) = −

n−l−1∑k=0

(−1)k[(n+ l)!]2ρk

(n− l − 1− k)!(2l + 1 + k)!.

Fur n = 1 und l = 0 gilt

R0,1(r) =2

a3/20

e−r/a0

und fur n = 2 und l = 0, 1

R0,2(r) =1

(2a0)3/2

(2− r

a0

)e−r/(2a0)

R1,2(r) =1

(2a0)3/2

r

a0

√3e−r/(2a0) .

Nachdem wir nun die Rl,n(r) bestimmt haben, sind uns auch die Eigenfunktionen

ψl,m,n(~x) := 〈~x |l,m, n〉 = Yl,m(θ, ϕ)Rl,n(r) zu ~l 2, l3 und H bekannt. Da sowohldie Yl,m(θ, ϕ) gemaß Gl. (11.6) als auch die Rl,n(r) gemaß Gl. (12.7) normiertsind, folgt∫

R3

|ψl,m,n(~x)|2 d3x =

∫ 2π

0

∫ π

0

|Yl,m(θ, ϕ)|2 sin θ dθ dϕ

∫ ∞0

|Rl,n(r)|2 r2 dr

= 1

Die Wahrscheinlichkeitsdichte fur den Ort des Teilchens ist in den gebundenenZustanden wie ublich durch |ψl,m,n(~x)|2 gegeben. Aus diesen Uberlegungen folgt,dass |Rl,n(r)|2 r2 dr die Wahrscheinlichkeit dafur ist, das Teilchen in einer Ku-gelschale mit Abstand r vom Ursprung und Dicke dr zu finden. Die zugehorigeWahrscheinlichkeitsdichte wl,n(r) := |Rl,n(r)|2 r2 ist fur n = 1, 2, 3 in Abbildung

Page 164: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

164 KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL

12.3 dargestellt. Die absoluten Maxima dieser Funktionen rucken fur zunehmen-des n immer weiter nach außen. Besonders einfach ist die Situation fur l = n− 1.In diesem Fall gilt

Rn−1,n(r) ∼(r

a0

)n−1

e−r/(na0)

wn−1,n(r) = ∼(r

a0

)2n

e−2r/(na0) .

Die Funktion wn−1,n(r) hat nur ein Maximum und dieses bei rmax = n2a0. Furgroße n ist die relative Breite des Maximums (Breite/Position) klein. Wie mander Abbildung 11.3 fur Yl,m(θ, ϕ) entnimmt, liegt Yl,l(θ, ϕ) fur große l nahezuin der x-y-Ebene. Daher sind die Zustande |l = n− 1,m = n− 1, n〉 fur n � 1(Rydbergzustande) den Bohrschen Kreisbahnen, die Sie wahrscheinlich aus derExperimentalphysik kennen, sehr ahnlich.11

0 5 10 15 20r/a

0

0

0.2

0.4

0.6

wl,n

1s

2p 2s

3d 3p 3s

Abbildung 12.3: Radiale Wahrscheinlichkeitsdichte der gebundenen Zustande imCoulombpotenzial.

11Dabei gilt es zu beachten, dass ein klassisches Teilchen mit Drehimpuls l3 6= 0 und l1 =l2 = 0 eine Bewegung in der x-y-Ebene ausfuhrt.

Page 165: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 13

Das Wasserstoffatom

Wir betrachten nun das Problem zweier unterscheidbaren1 Teilchen, also z.B. desElektrons und des Protons im Wasserstoffatom, mit den Massen m1 und m2, dieuber ein Zweiteilchenpotenzial V (|~x1 − ~x2|) wechselwirken. Der Hamiltonopera-tor lautet im Tensorproduktraum H = H1 ⊗H2

H =~p1

2

2m1

⊗ 12 + 11 ⊗~p2

2

2m2

+ V(∣∣∣~x1 ⊗ 12 − 11 ⊗ ~x2

∣∣∣) .

Die zeitunabhangige Schrodingergleichung in der Ortsdarstellung ψE(~x1, ~x2) =〈~x1, ~x2 |ψE〉, mit |~x1, ~x2〉 = |~x1〉 ⊗ |~x2〉, lautet[

− ~2

2m1

∆1 −~2

2m2

∆2 + V (|~x1 − ~x2|)]ψE(~x1, ~x2) = E ψE(~x1, ~x2) .

Wie in der klassischen Mechanik fuhren wir Schwerpunkts- und Relativkoordina-ten

~R :=m1~x1 +m2~x2

M~x := ~x1 − ~x2 ,

und die Massen M := m1 +m2 und 1/µ := 1/m1 + 1/m2 (reduzierte Masse) ein.Unter Verwendung der Kettenregel folgt

∂~x1

=∂

∂~x+m1

M

∂ ~R∂

∂~x2

= − ∂

∂~x+m2

M

∂ ~R.

1Es wird Ihnen wahrscheinlich komisch vorkommen, dass wir hier betonen, dass die Teil-chen unterscheidbar sein mussen. Sehr bald werden Sie lernen, dass man bei der Behandlungununterscheidbarer Teilchen, also z.B. zweier Elektronen, anders vorgehen muss.

165

Page 166: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

166 KAPITEL 13. DAS WASSERSTOFFATOM

Mit ψE(~x, ~R) = ψE(~x1, ~x2) ergibt sich fur die Schrodingergleichung[− ~2

∂~x· ∂∂~x− ~2

2M

∂ ~R· ∂∂ ~R

+ V (|~x|)]ψE(~x, ~R) = E ψE(~x, ~R) .

Sie lasst sich mit dem Separationsansatz

ψE(~x, ~R) =:1

(2π~)3/2ei~P ·~R/~ ψE(~x)

losen. Eingesetzt liefert das eine Gleichung fur ψE(~x)[− ~2

2µ∆ + V (|~x|)

]ψE(~x) = E ψE(~x) ,

mit der Energie E = E − ~P 2

2M. Damit haben wir das Problem auf die Bewegung

eines fiktiven Teilchens der Masse µ in einem Zentralpotenzial V (|~x|) = V (r)zuruckgefuhrt, welches wir mit den Methoden des vorhergehenden Kapitels losenkonnen. Die Gesamtenergie E setzt sich aus der “relativen” Energie E und der

kinetischen Energie der Schwerpunktbewegung~P 2

2Mzusammen.

Fur das Problem des Wasserstoffatoms folgt im Speziellen V (r) = −e2/r, sodass wir fur die Energien En der gebundenen Zustande das Ergebnis des letztenKapitels verwenden konnen. Dabei mussen wir in a0 fur m die reduzierte Mas-se µ = mElek.mProt./(mElek. + mProt.) einsetzen und erhalten a0 = ~2/(µe2) ≈~2/(mElek.e

2). Letzteres gilt, da die Protonenmasse mProt. ungefahr einen Faktor1000 großer ist, als die Elektronenmasse mElek.. Die Zahlenwerte fur a0 und dieRydbergenergie ER betragen dann a0 ≈ 0.53 A= 5.3 · 10−11m und ER ≈ 13.6eV.Bis auf Feinstrukturen, die man nur durch Hinzufugen weiterer Terme (z.B.die schon ofter erwahnte Spin-Bahn-Kopplung) zum Hamiltonoperator erklarenkann, ergeben sich die experimentellen Spektrallinien des Wasserstoffatoms ausden Energieunterschieden En − En′ .2

Im letzten Kapitel dieser Vorlesung werden wir uns mit komplizierteren Ato-men und damit dem Problem ununterscheidbarer Teilchen beschaftigen. In diesemwerden wir weitere Grundprinzipien des Aufbaus der Atome und des Periodensys-tems der Elemente kennen lernen. Zuvor wollen wir jedoch wichtige Naherungs-verfahren einfuhren.

2Fur n′ = 1 erhalt man die so genannte Lymanreihe, fur n′ = 2 die Balmerreihe und furn′ = 3 die Paschenreihe.

Page 167: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 14

Naherungsmethoden

Die wenigsten physikalischen Probleme von praktischem Interesse lassen sich ex-akt losen. Dieses gilt speziell in der Quantenmechanik, so dass man nahezu im-mer auf die Verwendung von Naherungsmethoden angewiesen ist. Bei der Be-handlung realistischer Probleme (insbesondere, wenn es um Vielteilchenproble-me geht) erfordern selbst solche meist einen grossen Computeraufwand, jedenfallsdann, wenn man an quantitativen Ergebnissen interessiert ist. Die wesentlichenIdeen der Naherungsverfahren kann man jedoch bereits in ihrer Anwendung aufeinfache quantenmechanische Probleme klar machen.

In einer großen Klasse von Problemen gibt es einen kleinen Parameter λ, wo-bei das Problem fur λ = 0 exakt losbar sein soll. Solche Systeme konnen dannstorungstheoretisch behandelt werden, in dem man Observable und Zustandenach λ entwickelt und die Potenzreihe bei einer kleinen Ordnung abbricht. Es sollbereits jetzt erwahnt werden, dass die Konvergenz der Potenzreihe in λ keinesfallssichergestellt ist. Konvergenz ist jedoch von einem praktischen Standpunkt ausauch betrachtet nicht das entscheidende Kriterium fur eine erfolgreiche storungs-theoretische Behandlung eines Problems, da man meist sowieso nur die Termeniedrigster Ordnung bestimmen kann. Wir werden auf diesen Aspekt zuruckkom-men.

Ein weitere, haufig mit großem Erfolg eingesetzte Methode, ist ein Variati-onsansatz bei dem Eigenenergien durch die Minimierung nach Parametern einesAnsatzes fur die Eigenfunktionen bestimmt werden. Unsere Diskussion von Nahe-rungsverfahren werden wir mit dieser Methode beginnen.

14.1 Das Variationsprinzip

Die Grundlage fur die Berechnung der Grundzustandsenergie in diesem Nahe-rungszugang ist das Rayleigh-Ritzsche-Variationsprinzip. Es besagt, dass der Er-wartungswert des Hamiltonoperators H in jedem Zustand |ψ〉 6= 0 großer oder

167

Page 168: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

168 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

gleich der Grundzustandsenergie E0 ist, also

〈ψ|H |ψ〉〈ψ| ψ〉

≥ E0 . (14.1)

Gleichheit gilt nur, wenn |ψ〉 der Grundzustand (oder ein Element des Unter-raums der Grundzustande im Fall von Entartung) zu H ist. Durch Bestimmenvon 〈ψ|H |ψ〉 / 〈ψ| ψ〉 kann man somit eine obere Schranke fur die Grundzustand-senergie angeben. Wie gut diese ist, hangt vom gewahlten Zustand |ψ〉 ab. Es isti.A. sehr viel schwieriger eine gute untere Schranke anzugeben. Der Beweis desVariationsprinzips ist sehr einfach. Dazu schreiben wir H in seiner Spektraldar-stellung

〈ψ|H |ψ〉〈ψ| ψ〉

=∑∫E,ν

(E0 + E − E0) 〈ψ| E, ν〉 〈E, ν| ψ〉 / 〈ψ| ψ〉

= E0 +∑∫E,ν

(E − E0) |〈ψ| E, ν〉|2 / 〈ψ| ψ〉

≥ E0 ,

da alle Terme in der Summe (bzw. dem Integral) auf der rechten Seite der zweitenZeile großer oder gleich Null sind (bis auf den Nenner, der fur |ψ〉 6= 0 echtgroßer Null ist). Gleichheit, gilt falls 〈ψ| E, ν〉 = 0 fur alle Zustande |E, ν〉 dienicht zur Grundzustandsmanigfaltigkeit gehoren. Aufgrund der Vollstandigkeitder Eigenzustande und der Orthogonalitat, liegt |ψ〉 dann im Unterraum vonGrundzustanden.

Liegen Symmetrien vor, z.B. im Fall eines Teilchens im Zentralpotential, solasst sich das Verfahren auf energetisch hoherliegende Zustande erweitern. Sokann man z.B. im Zentralpotential fur jeweils den niedrigsten Energieeigenwertbei gegebenem Wert von l eine analoge Ungleichung angeben.

Der praktische Erfolg des auf dem Variantionsprinzip beruhenden Verfahrenhangt bei gegebenem Hamiltonoperator sehr stark von der physikalischen Intuiti-on ab. Praktisch geht man wie folgt vor. Man wahlt einen Zustand |ψα〉, der voneinem oder mehreren Parametern αi abhangt, und von dem man vermutet, dasser wesentliche Zuge des exakten Grundzustandes tragt. Man berechnet dann

E({αi}) :=〈ψα|H |ψα〉〈ψα| ψα〉

und wahlt die αi so, dass E({αi}) minimal wird. Der resultierende minimale WertE({α0

i }) stellt dann eine mehr oder weniger gute Naherung fur E0 dar. Hat derexakte Grundzustand zufalligerweise die in |ψα〉 zugelassene Form, so erhalt manauf diese Weise die exakte Grundzustandsenergie. Im Allgemeinen ist es so, dassselbst fur eine guten Naherung von E0 der Zustand |ψα0〉 eine nicht besonders guteNaherung fur den exakten Grundzustand darstellt (wobei letzterer nicht entartet

Page 169: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.1. DAS VARIATIONSPRINZIP 169

sei). Dies impliziert oft, dass die Berechnung von 〈ψα0|O |ψα0〉 eine schlechteNaherung fur den Grundzustandserwartungswert anderer Observablen O liefert.Wir wollen zum Variationsprinzip zwei Beispiele betrachten.

Der eindimensionale harmonische Oszillator: In diesem Beispiel sinduns die Grundzustandswellenfunktion und die zugehorige Energie naturlich be-reits bekannt. Wir werden sehen, wie in diesem Fall fur einen Ansatz, der dierichtige Form hat aus dem Variationsverfahren die exakte Losung folgt. Wir set-zen also an

〈x| ψα〉 = ψα(x) =(απ

)1/4

e−αx2/2 , α > 0 .

Fur diesen Ansatz gilt 〈ψα| ψα〉 = 1. Damit folgt

E(α) =

∫ ∞−∞

ψ∗α(x)

(− ~2

2m

d2

dx2+

1

2mω2x2

)ψα(x) dx .

Einfache Differentiation und Integration liefert

E(α) =~2

2m

α

2+

1

2mω2 1

2α.

Um das Minimum dieser Funktion bezuglich α zu bestimmen differenzieren wirnach α und setzen das Ergebnis gleich Null

d

dαE(α)

∣∣∣∣α0

= 0 ,

was α0 = mω/~ und E(α0) = ~ω/2 liefert – also, dass exakte Ergebnis fur dieGrundzustandsenergie und -wellenfunktion.

Als eine zweite Variationswellenfunktion fur den eindimensionalen harmoni-schen Oszillator verwenden wir statt einer Gaußkurve eine Lorentzkurve

〈x| ψα〉 = ψα(x) =1

x2 + α2.

Diesmal ist ψα(x) nicht normiert. Es gilt

〈ψα| ψα〉 =

∫ ∞−∞

1

(x2 + α2)2 dx =π

2α3/2.

Das fuhrt dann auf

E(α) =~2

4m

1

α+

1

2mω2α .

Das Minimum dieser Funktion liegt bei α0 = ~/(mω√

2) mit

E(α0) =1√2~ω =

√2

1

2~ω = 1.4142 . . .

1

2~ω >

1

2~ω .

Page 170: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

170 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

Wir machen somit einen recht großen Fehler von ca. 40 %.Das Coulombpotential mit gaußschem Variationsansatz: Fur den Grund-

zustand im Coulombpotential V (r) = −e2/r verwenden wir zur Illustration einenAnsatz mit falscher Form

〈~x| ψα〉 = ψα(~x) =(απ

)3/4

e−α (x21+x2

2+x23)/2 , α > 0 ,

der erneut bereits normiert ist: 〈ψα| ψα〉 = 1. Die kinetische Energie in diesemZustand ist das Dreifache der kinetischen Energie aus dem ersten Beispiel

〈Hkin〉α = 3~2

2m

α

2.

Fur die potentielle Energie ergibt sich

〈Hpot〉α = −e2

∫R3

1

rψ2α(~x)d3x = −4πe2

(απ

)3/2∫ ∞

0

re−αr2

dr

= −2e2

√πα1/2

und zusammengenommen

E(α) = 3~2

2m

α

2− 2e2

√πα1/2 .

Differentiation und Nullsetzen liefert

α0 =16m2e4

9π~4

und

E(α0) = −4e4m

3π~2=

8

3π(−ER) = 0.8488 . . . (−ER) > (−ER) ,

mit der exakten Grundzustandsenergie −ER. Fur die Grundzustandsenergie ma-chen wir mit diesem Ansatz also einen Fehler von ca. 15%. Da man die Erwar-tungswerte von kinetischer und potentieller Energie in gaußschen Variationswel-lenfunktionen recht leicht bestimmen kann, werden in der Quantenchemie haufigLinearkombinationen von Gaußorbitalen als Variationsansatz verwendet.

14.2 Zeitunabhangige Storungstheorie

Als nachstes wollen wir das Konzept der Storungstheorie im Fall eines zeitu-nabhangigen Hamiltonoperators H einfuhren (stationare Storungstheorie). Wirgehen dabei davon aus, dass H in der Form

H(λ) = H0 + λW ,

Page 171: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 171

mit λ ≥ 0, geschrieben werden kann. Wir nehmen an, dass wir das Eigenwertpro-blem zum “ungestorten” Hamiltonoperator H0 exakt gelost haben und die Eigen-werte diskret sind. Die Eigenvektoren bezeichnen wir mit

∣∣ϕνp⟩ und die Energienmit E0

p . Dabei ist ν der mogliche Entartungsindex. Wir haben also

H0

∣∣ϕνp⟩ = E0p

∣∣ϕνp⟩ ,mit ⟨

ϕν′

p′

∣∣ϕνp⟩ = δp,p′δν,ν′ ,∑p

∑ν

∣∣ϕνp⟩ ⟨ϕνp∣∣ = 1 .

Wir sind daran interessiert, wie die “Storung” λW die Eigenwerte und Eigen-funktionen verandert wenn λ klein ist. Das soll heißen, dass die Matrixelementevon λW sehr viel kleiner als die von H0 sind.1 Das typische Verhalten der Ei-genwerte E(λ) von H(λ) ist in Abbildung 14.1 dargestellt. Die Eigenzustande zuH(λ) bezeichnen wir mit |ψ(λ)〉.

0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5

λ

E1

0

E2

0

E3

0

E4

0

Abbildung 14.1: Typische λ-Abhangigkeit der Eigenwerte von H(λ).

Wir werden nun wie folgt vorgehen. In der Gleichung

H(λ) |ψ(λ)〉 = E(λ) |ψ(λ)〉1Genauer wird sich nachher herausstellen, dass die Matrixelemente von λW sehr viel kleiner

als die Differenz der Energieeigenwerte von H0 sein mussen.

Page 172: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

172 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

entwickeln wir sowohl E(λ) als auch |ψ(λ)〉 in einer Potenzreihe nach λ

E(λ) = ε0 + λε1 + λ2ε2 + . . . ,

|ψ(λ)〉 = |0〉+ λ |1〉+ λ2 |2〉+ . . . .

Von einem mathematischen Standpunkt aus betrachtet ist es alles andere alsoffensichtlich, dass diese Potenzreihen konvergieren – generisch ist der Konver-genzradius der Reihen tatsachlich Null. Dies interessiert uns hier aber nicht, dai.A. sowieso nur die ersten paar Koeffizienten bzw. Zustande berechnet werdenkonnen. Zum Verstandnis der Reihenentwicklung ist das mathematische Kon-zept der asymptotischen Reihe wichtig (siehe die mathematische Literatur). Dieentwickelte Eigenwertgleichung ergibt sich zu

(H0 + λW )

[∞∑q=0

λq |q〉

]=

[∞∑q′=0

λq′εq′

] [∞∑q=0

λq |q〉

].

Wir vergleichen nun Potenzen von λ auf der linken und der rechten Seite dieserGleichung, was

(H0 − ε0) |0〉 = 0 (14.2)

(H0 − ε0) |1〉+ (W − ε1) |0〉 = 0 (14.3)

(H0 − ε0) |2〉+ (W − ε1) |1〉 − ε2 |0〉 = 0 (14.4)

usw. liefert.O.B.d.A. konnen wir annehmen, dass |ψ(λ)〉 normiert ist und 〈0 |ψ(λ)〉 reell

ist (letzteres durch Wahl der Phase von |ψ(λ)〉. Fur λ = 0 (mit |ψ(λ = 0)〉 = |0〉)folgt so

〈0 |0〉 = 1 ,

wobei jedoch die Phase von |0〉 unbestimmt bleibt. In erster Ordnung in λ ergibtsich das Quadrat der Norm von |ψ(λ)〉 zu

〈ψ(λ) |ψ(λ)〉 = [〈0|+ λ 〈1|] [|0〉+ λ |1〉] +O(λ2)

= 〈0 |0〉+ λ [〈1 |0〉+ 〈0 |1〉] +O(λ2).

Dieser Ausdruck ist 1 falls der Term proportional zu λ verschwindet. Da nun〈0 |ψ(λ)〉 reell ist, muss auch 〈0 |1〉 reell sein und wir konnen

〈0 |1〉 = 〈1 |0〉 = 0 (14.5)

folgern. Wenn man analog bis zur Ordnung λ2 entwickelt ergibt sich

〈0 |2〉 = 〈2 |0〉 = −1

2〈1 |1〉 ,

Page 173: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 173

was jedoch fur hohere Ordnungen in Storungstheorie wichtig wird, die wir hiernicht betrachten werden.

Nach Gl. (14.2) ist ε0 einer der Eigenwerte von H0 und |0〉 ein zugehorigerEigenzustand. Wir legen nun ε0 als einen spezifischen Eigenwert E0

p fest undnehmen zunachst an, dass E0

p nicht entartet ist. Damit entfallt im zugehorigenEigenzustand |ϕp〉 zu H0 der Entartungsindex ν.

Stationare Storungstheorie fur nicht-entartete Zustande

Wir haben damit

ε0 = E0p

und wahlen die Phase von |0〉 so, dass

|0〉 = |ϕp〉 .

Da wir das Spektrum von H0 als diskret angenommen haben, folgt, das fur hin-reichend kleines λ auch der zu E0

p gehorende “gestorte” Zustand |ψ(λ)〉 nichtentartet ist. Die Korrektur erster Ordnung in λ zur Energie ergibt sich durchMultiplikation von links von |ϕp〉 auf beiden Seiten von Gl. (14.3)

〈ϕp| (H0 − ε0) |1〉+ 〈ϕp| (W − ε1) |0〉 = 0

zu

ε1 = 〈ϕp|W |ϕp〉 ,

wobei wir im ersten Summanden H0 nach links angewandt haben und im zweitenTerm |0〉 = |ϕp〉 eingesetzt haben. Damit gilt in erster Ordnung in λ fur denEigenwert Ep(λ) zu H(λ)

Ep(λ) = E0p + λ 〈ϕp|W |ϕp〉+O

(λ2)

oder in Worten: Die Korrektur zur Energie E0p zu erster Ordnung in λ ist durch

den Erwartungswert der Storung im ungestorten Zustand |ϕp〉 gegeben.Gl. (14.3) konnen wir weitere Informationen entlocken, in dem wir jetzt mit

den Zustande |ϕνn〉 mit n 6= p von links multiplizieren

〈ϕνn| (H0 − ε0) |1〉+ 〈ϕνn| (W − ε1) |0〉 = 0 .

Mit der Orthogonalitat der Eigenvektoren von H0 liefert das(E0n − E0

p

)〈ϕνn |1〉+ 〈ϕνn|W |ϕp〉 = 0 ,

Page 174: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

174 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

was uns alle bis auf einen Entwicklungkoeffizienten von |1〉 in der Basis der Ei-genzustande zu H0 liefert

〈ϕνn |1〉 =〈ϕνn|W |ϕp〉E0p − E0

n

, n 6= p.

Der noch fehlende Entwicklungskoeffizient⟨ϕνp |1〉 = 〈0 |1〉 ist aufgrund von

Gl. (14.5) Null. Damit ergibt sich

|1〉 =∑n6=p

∑ν

〈ϕνn|W |ϕp〉E0p − E0

n

|ϕνn〉

und

|ψp(λ)〉 = |ϕp〉+ λ∑n6=p

∑ν

〈ϕνn|W |ϕp〉E0p − E0

n

|ϕνn〉+O(λ2).

Um ε2 zu bestimmen multiplizieren wir |ϕp〉 von links an Gl. (14.4)

〈ϕp| (H0 − ε0) |2〉+ 〈ϕp| (W − ε1) |1〉 − ε2 〈ϕp |0〉 = 0

⇒ 〈ϕp| (H0 − E0p) |2〉 − ε1 〈0 |1〉+ 〈ϕp|W |1〉 − ε2 〈ϕp |ϕp〉 = 0

⇒ ε2 = 〈ϕp|W |1〉

⇒ ε2 =∑n6=p

∑ν

|〈ϕνn|W |ϕp〉|2

E0p − E0

n

.

Wir konnen damit Ep(λ) bis zur zweiten Ordnung in λ angeben

Ep(λ) = E0p + λ 〈ϕp|W |ϕp〉+ λ2

∑n6=p

∑ν

|〈ϕνn|W |ϕp〉|2

E0p − E0

n

+O(λ3).

Fur den Zustand verzichten wir hier darauf den Ausdruck in zweiter Ordnungherzuleiten.

Ziehen wir nun den Parameter λ in λW mit in den Operator, d.h. definierenwir V := λW so folgt

Ep(λ) = E0p + 〈ϕp|V |ϕp〉+

∑n6=p

∑ν

|〈ϕνn|V |ϕp〉|2

E0p − E0

n

+O(λ3)

(14.6)

und

|ψp(λ)〉 = |ϕp〉+∑n6=p

∑ν

〈ϕνn|V |ϕp〉E0p − E0

n

|ϕνn〉+O(λ2). (14.7)

Page 175: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 175

Diese beiden Ausdrucke sind “naturlicher” da H normalerweise in der FormH0 + V und nicht H0 + λW gegeben ist. An beiden Ausdrucken erkennt man,dass die Korrekturen klein sind, wenn die Matrixelemente der Storung in denungestorten Eigenzustanden klein gegenuber den ungestorten Energieunterschie-den sind (wie oben angedeutet). Bevor wir zwei Beispiele zur stationaren nicht-entarteten Storungstheorie betrachten, wollen wir eine weitere Sprechweise ein-fuhren. Aufgrund der Gl. (14.7) spricht man davon, dass die Storung dem un-gestorten Eigenzustand |ϕp〉 andere Eigenzustande von H0 beimischt.

Als erstes Beispiel betrachten wir eine kubische Anharmonizitat

V = λ~ω(mω

~

)3/2

x3

zum eindimensionalen harmonischen Oszillator

H0 =p2

2m+

1

2mω2x2 .

Alle Eigenzustande |n〉 zu H0 sind nicht-entartet, so dass wir die gerade her-geleiteten Ausdrucke verwenden konnen. Um die relevanten Matrixelemente derStorung V einfach bestimmen zu konnen, drucken wir diese durch die Leiterope-ratoren und den Operator N = a†a aus. Eine einfache Rechnung gibt

V =λ~ω23/2

(a†3 + a3 + 3Na† + 3[N + 1]a

).

Die einzigen nicht-verschwindenden Matrixelemente sind damit

〈n+ 3|V |n〉 = λ

[(n+ 3)(n+ 2)(n+ 1)

8

]1/2

~ω ,

〈n− 3|V |n〉 = λ

[n(n− 1)(n− 2)

8

]1/2

~ω ,

〈n+ 1|V |n〉 = 3λ

[n+ 1

2

]3/2

~ω ,

〈n− 1|V |n〉 = 3λ[n

2

]3/2

~ω ,

wobei wir intensiv die Resultate aus Kapitel 8 verwendet haben.Setzen wir diese Ergebnisse in Gln. (14.6) und (14.7) ein, so fallt zunachst

auf, dass es keine Korrektur erster Ordnung zur Energie E0n = ~ω(n+ 1/2) gibt.

Bis zur zweiten Ordnung ergibt sich

En = ~ω(n+

1

2

)− 15

4λ2~ω

(n+

1

2

)2

− 7

16λ2~ω +O

(λ3).

Page 176: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

176 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

Die kubische Anharmonizitat fuhrt damit zu einer Absenkung aller Eigenenergi-en. Fur die Differenz zweier aufeinander folgenden Energien ergibt sich

En − En−1 = ~ω(

1− 15

2λ2n

)+O

(λ3),

so dass das Spektrum nicht mehr langer aquidistant ist. Fur den gestorten Ei-genzustand ergibt sich in erster Ordnung in λ

|ψn〉 = |n〉 − 3λ

[n+ 1

2

]3/2

|n+ 1〉+ 3λ[n

2

]3/2

|n− 1〉

−λ3

[(n+ 3)(n+ 2)(n+ 1)

8

]1/2

|n+ 3〉

3

[n(n− 1)(n− 2)

8

]1/2

|n− 3〉+O(λ2),

d.h. die Storung mischt die Zustande |n± 1〉 und |n± 3〉 bei.In vielen physikalischen Probleme gibt es Abweichungen von der rein quadra-

tischen Abhangigkeit des Potentials vom Ort. Daher spielt die gerade betrachtetequartische Storung eine wichtige Rolle in einer Vielzahl von physikalischen An-wendungen.

Als zweites Beispiel betrachten wir den Starkeffekt eines Wasserstoffatoms im1s Zustand (n = 1, l = 0 und m = 0) in einem homogenen elektrischen Feld

( ~E = E~e3)

H =~p2

2m− e2

|~x|+ eE x3 = H0 + VE .

Der 1s Zustand ist nicht entartet, so dass wir die obigen Ausdrucke verwen-den konnen. Nachdem wir weiter unten entartete Storungstheorie betrachtet ha-ben werden wir auch den Fall n = 2 mit vierfacher Entartung diskutieren. Da〈~x |l = 0,m = 0, n = 1〉 eine gerade Funktion bezuglich aller xi ist, folgt, dass

〈l = 0,m = 0, n = 1| x3 |l = 0,m = 0, n = 1〉 = 0

und die Korrektur erster Ordnung zur Energie E0 verschwindet. Da wir die Streu-zustande (mit kontinuierlichem Spektrum) zum Wasserstoffproblem nicht unter-sucht haben, konnen wir die Korrektur zweiter Ordnung nicht angeben. Es istjedoch klar, dass sie einen negativen Vorfaktor hat, da fur alle n der Energienen-ner in Gl. (14.6) negativ ist. Wir haben somit

E0 − E00 ∼ −E2 .

Wir wollen nun den Fall betrachten, dass der Eigenwert E0p zu H0 dessen Kor-

rekturen wir bestimmen wollen gp-fach entartet ist.

Page 177: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 177

Stationare Storungstheorie fur entartete Zustande

In diesem Fall legt die Wahl ε0 = E0p den Vektor |0〉 in Gl. (14.2) nicht

eindeutig fest, da jede Linearkombination der gp Vektoren aus dem UnterraumH0p (des zugrundeliegenden Hilbertraums H) von Eigenzustanden von H0 mit

Eigenwert E0p diese Relation erfullt. Wir wissen damit nur, dass |0〉 ∈ H0

p. Wirbeschranken uns hier auf die erste Ordnung fur die Energie und nullte Ordnungfur den Zustand. Wie wir sehen werden, fuhrt die Storung generischerweise dazu,dass die gp-fache Entartung in fp Subniveaus aufgehoben wird. Sollte fp < gpgelten, so ist eines oder sind mehrere der Subniveaus weiterhin entartet.

Um ε1 und |0〉 zu bestimmen projizieren wir Gl. (14.3) auf die gp Vektoren∣∣ϕνp⟩ des Eigenraums H0p⟨ϕνp∣∣ (H0 − ε0) |1〉+

⟨ϕνp∣∣ (W − ε1) |0〉 = 0

⇒⟨ϕνp∣∣W |0〉 = ε1

⟨ϕνp∣∣ 0〉 .

Auf der linken Seite dieser Gleichung schieben wir nun den Identitatsoperator inder {|ϕνn〉} Basis ein∑

n

∑ν′

⟨ϕνp∣∣W ∣∣∣ϕν′n ⟩⟨ϕν′n ∣∣∣ 0〉 = ε1 〈ϕνn| 0〉 .

Da der Vektor |0〉 zum Eigenraum des Eigenwerts E0p gehort, ist

⟨ϕν′n

∣∣ 0〉 = 0 furalle n 6= p. Damit folgt∑

ν′

⟨ϕνp∣∣W ∣∣∣ϕν′p ⟩⟨ϕν′p ∣∣∣ 0〉 = ε1

⟨ϕνp∣∣ 0〉 .

Diese Gleichung stellt ein Matrixeigenwertproblem im gp-dimensionalen Unter-raum H0

p dar, welches wir losen mussen um die verschiedenen ε1 und zugehorigenVektoren |0〉 zu bestimmen. Letztere bekommen wir in ihrer Darstellung bezuglichder Basis von H0

p. Es gibt keine Komponenten von |0〉 die außerhalb dieses Un-terraums liegen.

Im Fall von gp-facher Entartung gehen wir also wie folgt vor. Wir bestimmenalle Matrixelemente der Storung W (bzw. V ) im gp-dimensionalen Unterraum derdurch die Eigenzustande

∣∣ϕνp⟩ zu H0 mit Eigenwert E0p aufgespannt wird. Im An-

schluss losen wir das gp-dimensionale Martrixeigenwertproblem. Wir bestimmenso die verschiedenen Eigenwerte εj1 mit j = 1, 2, . . . , fp ≤ gp und Eigenvektoren.Die Energien bis lineare Ordnung in λ sind dann durch

Ep,j(λ) = E0p + λεj1 +O

(λ2)

Page 178: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

178 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

gegeben. Die Eigenvektoren bis in nullter Ordnung in λ sind

|ψp,j(λ)〉 =∑ν

aνp,j∣∣ϕνp⟩

mit den Koeffizienten aνp,j =⟨ϕνp∣∣ 0〉 zum Matrixeigenwert εj1.

Wir wollen das gerade gelernte fur den Fall des Starkeffekts in den n = 2Zustanden des Wasserstoffproblems bestimmen. Fur n = 2 sind l = 0 bzw. 1zugelassen und damit m = 0 bzw. m = −1, 0, 1. Der Eigenwert ist somit vierfachentartet. Um die 4 × 4-Matrix der Storung im Unterraum zu E2 zu bestimmenordnen wir die Zustande wie folgt an: |l = 0,m = 0, n = 2〉, |l = 1,m = 0, n = 2〉,|l = 1,m = 1, n = 2〉, |l = 1,m = −1, n = 2〉. Wir mussen nun die Matrixelemen-te dieser Zustande mit dem Operator x3 berechnen. Da alle |〈~x |l,m, n〉|2 geradeFunktionen sind folgt

〈l,m, n| x3 |l,m, n〉 = 0

fur die diagonalen Matrixelemente. Wir konnen weiterhin verwenden, dass der

Kommutator[l3, x3

]= 0 und somit

〈l,m, n| x3 |l′,m′, n′〉 = δm,m′ 〈l,m, n| x3 |l′,m, n′〉 .

Dies folgt aus

〈l,m, n| l3x3 |l′,m′, n′〉 = ~m 〈l,m, n| x3 |l′,m′, n′〉= 〈l,m, n| x3l3 |l′,m′, n′〉= ~m′ 〈l,m, n| x3 |l′,m′, n′〉

und damit

〈l,m, n| x3 |l′,m′, n′〉 = 0

fur m 6= m′. Damit hat die zu bestimmende Matrix V die folgende Form

V = eE

0 〈0, 0, 2| x3 |1, 0, 2〉 0 0

〈1, 0, 2| x3 |0, 0, 2〉 0 0 00 0 0 00 0 0 0

.

Die beiden nichtverschwindenden Matrixelemente ergeben sich wie man leichtnachrechnet zu 〈0, 0, 2| x3 |1, 0, 2〉 = 〈1, 0, 2| x3 |0, 0, 2〉 = −3a0. Die 4 × 4-Matrixhat die vier Eigenwerte

V1,2 = ±3eEa0 , V3,4 = 0 .

Page 179: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 179

Somit ergibt sich das folgende Bild. Aus dem vierfach entarteten Zustand erge-ben sich zwei nicht-entartete Zustande mit Energiekorrekturen ±3eEa0 und einzweifach entarteter Eigenwert der keine Korrektur zur Ordnung E aufweist. DieZugehorigen Zustande im Unterraum zu E2 sind

1√2

(|0, 0, 2〉 ± |1, 0, 2〉) , |1, 1, 2〉 , |1,−1, 2〉 .

Der Starkeffekt fur die Eigenwerte E1 und E2 ist in Abbildung 14.2 zusam-mengefasst. Wir mussen allerdings auf ein grundsatzliches Problem hinweisen.Aufgrund des linear anwachsenden elektrischen Feldes gibt es strikt genommenkeine gebundenen Zustande mehr, da das Elektron das Atom durch Tunneln ver-lassen kann. Wenn das Feld hinreichend klein ist, ist jedoch die Wahrscheinlichkeitdes Tunnelns sehr klein, so dass unsere Uberlegungen durchaus sinnvoll waren.

elektrisches Feld

-ER

-ER/4

Abbildung 14.2: Der Starkeffekt fur die ersten beiden Eigenenergien im Wasser-stoffproblem.

14.3 Zeitabhangige Storungstheorie

Zum Abschluss wollen wir den Fall untersuchen, dass eine zeitabhangige Storungvorliegt. Dafur fuhren wir zunachst ein weiteres “Bild” fur die Zeitentwicklung(neben dem Schrodinger- und dem Heisenbergbild aus Kapitel 9) ein. Man be-zeichnet es als das Wechselwirkungs- oder Diracbild. Dazu betrachten wir den

Page 180: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

180 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

Hamiltonoperator

Ht = H0 + Vt

mit einem zeitunabhangigen Term H0 und einer moglicherweise zeitabhangigenStorung Vt. Die Schrodingergleichung lautet dann

i~d

dt|ψ(t)〉 = (H0 + Vt) |ψ(t)〉 .

Von der Zeitabhangigkeit des Zustandes |ψ(t)〉 spalten wir den Teil ab der vonH0 stammt

|ψ(t)〉 =: e−iH0t/~ |ψt〉 , |ψt〉 = eiH0t/~ |ψ(t)〉 .

was den Zustand |ψt〉 definiert. Zur (willkurlichen) Zeit t = 0 gilt |ψt=0〉 =|ψ(t = 0)〉. Der Zustand |ψt〉 im Wechselwirkungsbild gehorcht einer modifiziertenSchrodingergleichung

i~d

dt|ψt〉 = −H0 |ψt〉+ eiH0t/~(H0 + Vt) |ψ(t)〉

= eiH0t/~Vte−iH0t/~ |ψt〉 .

Definiert man nun allgemein zu jedem Operator Ot im Schrodingerbild einenOperator

OD(t) := eiH0t/~Ote−iH0t/~ ,

so folgt

i~d

dt|ψt〉 = VD(t) |ψt〉 .

Definiert man uber

|ψt〉 =: UD(t, t′) |ψt′〉

den unitaren Zeitentwicklungsoperator im Wechselwirkungsbild, so ergibt sichaus diesem mit Hilfe der Schrodingergleichung

i~d

dtUD(t, t′) = VD(t)UD(t, t′) ,

mit der Anfangsbedingung UD(t′, t′) = 1. Durch Integration uberfuhren wir dieseDifferentialgleichung in eine Integralgleichung

UD(t, t′) = 1− i

~

∫ t

t′VD(t1)UD(t1, t

′) dt1 .

Page 181: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 181

Iteration dieser Gleichung liefert die sehr wichtige Dyson-Reihe

UD(t, t′) = 1− i

~

∫ t

t′VD(t1) dt1 +

(i

~

)2 ∫ t

t′

∫ t1

t′VD(t1)VD(t2) dt2 dt1 + . . . .

Wir betrachten nun das folgende Anfangswertproblem. Zur Zeit t0 befindesich das System (Teilchen) im Eigenzustand |m〉 zu H0, d.h.

H0 |m〉 = Em |m〉

und damit |ψ(t0)〉 = |m〉 bzw. |ψt0〉 = exp (iEmt0/~) |m〉. Wir sind daran inter-essiert die Wahrscheinlichkeit Pm→n(t, t0) zu bestimmen, dass sich das System(Teilchen) zur Zeit t im Eigenzustand |n〉 von H0 befindet

Pm→n(t, t0) = |〈n| ψ(t)〉|2

=∣∣〈n| e−iH0t/~ |ψt〉

∣∣2=

∣∣e−iEnt/~ 〈n|UD(t, t0) |m〉 eiEmt0/~∣∣2

= |〈n|UD(t, t0) |m〉|2 ,

wobei wir ausgenutzt haben, dass auch |n〉 Eigenvektor zu H0 ist. Um diesenAusdruck weiter auszuwerten verwenden wir die Dyson-Reihe fur UD(t, t0). Furn 6= m erhalten wir

〈n|UD(t, t0) |m〉 = − i~

∫ t

t0

〈n|VD(t′) |m〉 dt′ + . . .

= − i~

∫ t

t0

〈n| eiH0t′~Vt′e−iH0t′/~ |m〉 dt′ + . . .

= − i~

∫ t

t0

ei(En−Em)t′/~ 〈n|Vt′ |m〉 dt′ + . . . .

In fuhrender Ordnung (d.h. zur Ordnung V 2) gilt damit

Pm→n(t, t0) =1

~2

∣∣∣∣∫ t

t0

〈n|Vt′ |m〉 ei(En−Em)t′/~ dt′∣∣∣∣2 . (14.8)

Um auch Pm→m(t, t0) bis zur Ordnung V 2 zu bestimmen, muss man den qua-dratischen Term in der Dyson-Reihe auswerten. Das Ergebnis erhalt man vieleinfacher aus der Erhaltung der Wahrscheinlichkeit∑

n

Pm→n(t, t0) = 1

und damit

Pm→m(t, t0) = 1−∑n6=m

Pm→n(t, t0) (14.9)

= 1−∑n6=m

1

~2

∣∣∣∣∫ t

t0

〈n|Vt′ |m〉 ei(En−Em)t′/~ dt′∣∣∣∣2 . (14.10)

Page 182: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

182 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

Die Gln. (14.8) und (14.9) sind gute Naherungen, solange

1− Pm→m(t, t0)� 1

gilt, da wir nur die Terme niedrigster Ordnung berucksichtigt haben.Als sehr wichtiges Beispiel betrachten wir die Situation, dass Vt periodisch

von der Zeit abhangt

Vt = V cos (ωt) =1

2V(eiωt + e−iωt

).

In diesem Fall lasst sich die Zeitintegration in Gl. (14.8) leicht ausfuhren. Wirdefinieren die Ubergangsfrequenz ωn,m := (En − Em)/~. Damit ergibt sich

Pm→n(t, t0) =1

4~2|〈n|V |m〉|2

∣∣∣∣ei(ωn,m−ω)t − ei(ωn,m−ω)t0

ωn,m − ω

+ei(ωn,m+ω)t − ei(ωn,m+ω)t0

ωn,m + ω

∣∣∣∣2 .Fur den Fall einer statischen Storung, d.h. fur ω → 0, folgt mit t = t− t0

Pm→n(t) =1

~2|〈n|V |m〉|2

(sin (ωn,mt/2)

ωn,m/2

)2

.

Diese Funktion ist in Abbildung 14.3 dargestellt. Fur t→∞ ergibt sich

limt→∞

Pm→n(t) =2π

~t |〈n|V |m〉|2 δ(En − Em) .

Man nennt diesen Ausdruck “Fermis Goldene Regel”. Wir sehen dabei, dass dieNaherung fur große Zeiten t zusammenbricht, da die Ubergangswahrscheinlichkeitlinear mit t anwachst. Fur große t ergibt sich im allgemeinen Fall mit endlicherFrequenz

limt→∞

Pm→n(t) =2π

4~t |〈n|V |m〉|2 [δ(En − Em − ~ω) + δ(En − Em + ~ω)] .

Eine weiter Vereinfachung ergibt sich im Fall der Resonanz ω ≈ ωn,m

Pm→n(t) =1

4~2|〈n|V |m〉|2

(sin [(ωn,m − ω)t/2]

(ωn,m − ω)/2

)2

da man nur den ersten Term im obigen allgemeinen Ausdruck mitzunehmenbraucht. Tragt man ωn,m − ω statt ωn,m auf so ergibt sich eine zu Abbildung14.3 analoge Skizze wobei jedoch die Hohe um einen Faktor 1/4 reduziert ist.

Als Beispiel zur Anwendung der zeitabhangigen Storungstheorie betrachtenwir das Wasserstoffatom in einem Strahlungsfeld. Ziel ist es die Absorbtion und

Page 183: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 183

ωn,m

4π/t~

|Vn,m

|2 t

2/h

2~ -

Abbildung 14.3: Ubergangswahrscheinlichkeit im statischen Limes.

die induzierte Emission zu verstehen. Die Kopplung des Elektronenspins ver-nachlassigen wir da sie fur die interessierenden Wellenlangen nur eine kleine Kor-rektur darstellt. Das außere Strahlungsfeld habe die Form einer ebenen Welle inx2-Richtung. Wir verwenden die Coulombeichung mit

∂~x· ~A(~x, t) = 0 , φ(~x, t) = 0 .

Dann gilt

~A(~x, t) =(A0e

i(kx2−ωkt) + A∗0e−i(kx2−ωkt)

)~e3 ,

mit ωk = ck. Die ~E- und ~B-Felder ergeben sich zu

~E(~x, t) = −1

c

∂ ~A

∂t= k

(iA0e

i(kx2−ωkt) − iA∗0e−i(kx2−ωkt))~e3 ,

~B(~x, t) =∂

∂~x× ~A = k

(iA0e

i(kx2−ωkt) − iA∗0e−i(kx2−ωkt))~e1 .

Der Hamiltonoperator des “spinlosen” Elektrons im Zentralpotential und imStrahlungsfeld lautet dann

H =1

2m

[~p+

e

c~A(~x, t)

]2

+ V (|~x|)

≈ ~p2

2m+ V (|~x|) +

e

mc~p · ~A(~x, t)

= H0 + Vt ,

Page 184: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

184 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

wobei wir den Term quadratisch in ~A vernachlassigt haben, da das Vektorpoten-tial als “klein” angenommen wird, und ~p · ~A = ~A · ~p verwendet haben (wegen∂∂~x· ~A = 0). Der zeitabhangige Storhamiltonoperator lautet damit

Vt =e

mcp3

(A0e

i(kx2−ωkt) + A∗0e−i(kx2−ωkt)

).

Fur sichtbares Licht gilt ka0 � 1, mit dem Bohrradius a0, und man kann dieExponentialfunktion entwickeln (Multipolentwicklung)

e±ikx2 = 1± ikx2 −1

2k2x2

2 + . . . .

Nimmt man nur den ersten Term mit, so spricht man von der Dipolnaherung.Fur reelle A0 folgt fur den Storhamiltonoperator in der Dipolnaherung

Vt =eE0

mωp3 cos (ωkt) ,

wobei E0 := 2kA0.Zur Berechnung der Ubergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Eigenzu-

standen des Wasserstoffatoms benotigen wir also Matrixelemente der Form

〈l′,m′, n′| p3 |l,m, n〉 .

Aus [x3, H0] = i~p3/m und

〈l′,m′, n′| [x3, H0] |l,m, n〉 = −(En′ − En) 〈l′,m′, n′| x3 |l,m, n〉

folgt, dass man die gesuchten Matrixelemente durch solche des Ortsoperators(genauer der x3-Komponente) ausdrucken kann. Es gilt (Achtung! Man beachtedas m sowohl die Masse wie auch die Drehimpulsquantenzahl bezeichnet!!)

〈l′,m′, n′| p3 |l,m, n〉 = imωn′,n 〈l′,m′, n′| x3 |l,m, n〉 .

Matrixelemente dieser Form haben wir bereits weiter oben diskutiert. Dort habenwir gezeigt, dass m = m′ gelten muss. Eine weiter “Auswahlregel” ergibt sich zul′ − l = ±1. Dieses sieht man wie folgt. Es gilt x3 = r cos θ ∼ Y1,0(θ, ϕ) und

Y1,0(θ, ϕ)Yl,m(θ, ϕ) = aYl+1,m(θ, ϕ) + bYl−1,m(θ, ϕ) .

Aus der Orthogonalitatsrelation der Kugelflachenfunktionen folgt dann sofort∆l := l′ − l = ±1. Damit sind im betrachteten Fall eines ~E-Feldes in die ~e3-Richtung und in der Dipolnaherung nur Matrixelemente von Zustande diem = m′

und l′ − l = ±1 erfullen nicht Null. D.h. ein solches Strahlungfeld kann nurUbergange (in Diplonaherung) zwischen Eigenzustanden des ungestorten Wasser-

stoffatoms induzieren, die diese Bedingungen erfullen. Fur ein ~E-Feld in ~e1- oder~e2-Richtung muss ∆m = ±1 gelten.

Page 185: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE 185

Mit den gerade angestellten Betrachtungen beschreiben wir die Absorption(En − Em > 0) und die induzierte Emission (En − Em < 0) eines Wasserstoff-atoms in einem elektro-magnetischen Wechselfeld. Wir stellen fest, dass wegen|〈n|V |m〉| = |〈m|V |n〉| die Wahrscheinlichkeiten fur beide Prozesse gleich großist. Die ebenfalls wichtige (und Ihnen sicherlich bekannte) spontane Emissioneines angeregten Atoms, kann man mit unseren bisherigen Uberlegungen nichtverstehen, da die Zustande fur V = 0 stabil sind. Um diese zu beschreiben mussman das Strahlungsfeld quantisieren, was in der Vorlesung Quantenmechanik IIdiskutiert wird.

Page 186: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

186 KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN

Page 187: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 15

Ununterscheidbare Teilchen

15.1 Allgemeine Prinzipien

Im Alltag konnen wir zwei Objekte entweder dadurch unterscheiden, dass sie sichin einer “unveranderbaren” (im entsprechenden Kontext unveranderbar reichtdabei) Eigenschaft unterscheiden, oder in dem wir identische Objekte—d.h. Ob-jekte die in allen ihren Eigenschaften ubereinstimmen—bei ihrer Bewegung “mitden Augen verfolgen”.

Die klassische Hamiltonfunktion zweier identischer (Masse m), geladener (La-dung q) Teilchen (spinlos) in einem außeren Potenzial φ ist durch

H(~x1, ~p1; ~x2, ~p2) =~p1

2

2m+~p2

2

2m+

q2

|~x1 − ~x2|+ qφ(~x1) + qφ(~x2) (15.1)

= H(~x2, ~p2; ~x1, ~p1)

gegeben. Wie oben angedeutet, konnen wir die klassischen Punktteilchen trotzidentischer Eigenschaften zu allen Zeiten t unterscheiden, in dem wir zur beliebi-gen Zeit t0 ihre Koordinaten notieren. Wenn wir nun die Bahnen der zwei Teilchenim Raum verfolgen, oder zusatzlich die Anfangsgeschwindigkeiten (-impulse) mes-sen und die Bahnen berechnen, so konnen wir sicher sein, das Teilchen n = 1, 2(und nicht n = 2, 1) zur Zeit t an einem bestimmten Ort anzutreffen. In der Quan-tenmechanik ist der Bahnbegriff durch die Unscharferelation eingeschrankt, wo-durch sich bei der Beschreibung von Teilchen mit identischen Eigenschaften (Mas-se, Ladung, Spin) vollig neue Effekte ergeben. Dabei muss festgehalten werden,dass es in der Mikrowelt im Gegensatz zur Makrowelt prinzipiell nicht moglichist “Markierungen” an die Teilchen anzubringen ohne den Charakter der Teil-chen zu andern. So haben z.B. verschiedene Isotope eines Atoms unterschiedlicheEigenschaften, wie Masse und Spin.

Wir diskutieren zunachst den Fall von N = 2 identischen quantenmechani-schen Teilchen. Wie im Fall zweier verschiedener Teilchen (z.B. Elektron undProton eines Wasserstoffatoms) fuhren wir den Produktraum H12 := H1 ⊗ H2

187

Page 188: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

188 KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN

ein. Sei {|i〉} eine Orthonormalbasis fur ein Teilchen der betrachteten Sorte, sokann man jeden Zustand |ψ〉 ∈ H12 in der Form

|ψ〉 =∑i,j

cij |i〉(1) ⊗ |j〉(2)

schreiben. Das Korrespondenzprinzip liefert uns aus Gl. (15.1) den Hamiltonope-rator

H =~p1

2

2m⊗ 12 + 11 ⊗

~p22

2m+

q2

|~x1 ⊗ 12 − 11 ⊗ ~x2|+qφ(~x1)⊗ 12 + 11 ⊗ qφ(~x2) , (15.2)

bzw. nach Weglassen der 1-Operatoren (meist verwendete kurzere Schreibweise)

H =~p1

2

2m+ qφ(~x1) +

~p22

2m+ qφ(~x2) +

q2

|~x1 − ~x2|=: h1 + h2 + v12 . (15.3)

Durch seine Wirkung auf beliebige Zustande |ψ〉 ∈ H12 definieren wir denPermutationsoperator P12, der die Zustande von Teilchen 1 und 2 vertauscht

P12 |ψ〉 = P12

∑i,j

cij |i〉(1) ⊗ |j〉(2)

=∑i,j

cij |j〉(1) ⊗ |i〉(2) .

Es ist offensichtlich, dass P 212 = 1 gilt. Da weiterhin die Norm unter der Wirkung

von P12 erhalten bleibt, gilt P †12P12 = 1 (Unitaritat). Die Multiplikation von rechtsmit P12 liefert dann die Selbstadjungiertheit P †12 = P12. Als selbstadjungierter,unitarer Operator hat P12 die Eigenwerte ±1.

Fur die Wellenfunktion (Zustand im Produkt-Ortsraum) erhalt man durchAnwenden von P12 nach links

〈~x1, σ1; ~x2, σ2|P12 |ψ〉 = 〈~x2, σ2; ~x1, σ1| ψ〉 = ψ(~x2, σ2; ~x1, σ1)

falls

〈~x1, σ1; ~x2, σ2| ψ〉 = ψ(~x1, σ1; ~x2, σ2) .

Wir untersuchen nun, wie der Permutationoperator Observable transformiert.Eine beliebige Observable auf H12 lasst sich als Summe (oder Integral) von Pro-dukten der Form A⊗B schreiben fur die

(A⊗B)(|i〉(1) ⊗ |j〉(2)) = A |i〉(1) ⊗B |j〉(2) =: |iA〉(1) ⊗ |jB〉(2)

Page 189: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

15.1. ALLGEMEINE PRINZIPIEN 189

gilt. Wir berechnen darauf aufbauend P12(A⊗B)P †12

P12(A⊗B)P †12(|i〉(1) ⊗ |j〉(2)) = P12(A⊗B)(|j〉(1) ⊗ |i〉(2))

= P12(|jA〉(1) ⊗ |iB〉(2))

= |iB〉(1) ⊗ |jA〉(2)

= (B ⊗ A)(|i〉(1) ⊗ |j〉(2)) .

Da die Zustande |i〉 und |j〉 beliebig sind, folgt die Operatoridentitat

P12(A⊗B)P †12 = B ⊗ A .

Der Permutationsoperator vertauscht somit die Teilchen 1 und 2 und allgemeingilt

P12O(1, 2)P †12 = O(2, 1) . (15.4)

Fur den Hamiltonoperator Gl. (15.2) gilt H(1, 2) = H(2, 1) und mit Gl. (15.4)folgt

[P12, H] = 0 .

Somit ist P12 eine Erhaltungsgroße (Konstante der Bewegung) und gleichzeitigmit H diagonalisierbar. Aus einem beliebigen Zustand |ψ〉 ∈ H12 erhalt manEigenzustande zu P12 durch Anwenden der Projektionsoperatoren

S2 :=1

2(1 + P12) .

A2 :=1

2(1− P12) .

Die Bezeichnungen S2 und A2 stehen dabei fur symmetrisch und antisymme-trisch (und die Tatsache, dass wir zurzeit mit nur zwei Teilchen arbeiten). Dieresultierenden Zustande haben die Eigenschaft

|ψs〉 := S2 |ψ〉 → P12 |ψs〉 = |ψs〉

und

|ψa〉 := A2 |ψ〉 → P12 |ψa〉 = − |ψa〉 .

Dabei gilt es zu beachten, dass die Zustande selbst wenn |ψ〉 normiert war, nichtnotwendigerweise normiert sind. Fur die Wellenfunktionen gilt

〈~x1, σ1; ~x2, σ2| ψs〉 =1

2[ψ(~x1, σ1; ~x2, σ2) + ψ(~x2, σ2; ~x1, σ1)] ,

〈~x1, σ1; ~x2, σ2| ψa〉 =1

2[ψ(~x1, σ1; ~x2, σ2)− ψ(~x2, σ2; ~x1, σ1)] .

Page 190: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

190 KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN

Misst man experimentelle Konsequenzen der Symmetrie der Wellenfunkti-on so stellt man fest, dass ununterscheidbare Teilchen immer nur in Zustandenvorkommen, die Eigenzustande zu P12 sind, wobei der Eigenwert (±1) nur vonder Teilchensorte abhangt (experimentelle Tatsache). Die Wellenfunktion zweierElektronen ist z.B. immer antisymmetrisch. Teilchen mit symmetrischen Wellen-funktionen nennt man Bosonen, Teilchen mit antisymmetrischen Wellenfunktio-nen Fermionen. Die Erfahrung zeigt, dass Bosonen Teilchen mit ganzzahligemSpin sind, wahrend Fermionen einen halbzahligen Spin haben. Diesen Zusam-menhang zwischen “Spin und Statistik” konnte Wolfgang Pauli 1940 im Rahmender relativistischen Quantenfeldtheorie theoretisch begrunden.

Da die Symmetrie der Wellenfunktion durch keinen Apparat geandert wer-den kann, sind nur Observable zugelassen, die (wie der Hamiltonoperator) beideTeilchen symmetrisch beschreiben, d.h. fur die

O(1, 2) = O(2, 1)

und damit

P12O∣∣ψs/a⟩ = ±O

∣∣ψs/a⟩gilt. Beispiele sind der Gesamtimpuls

~p := ~p1 ⊗ 12 + 11 ⊗ ~p2

und der Operator der Teilchendichte

ρ(~x) := δ(~x− ~x1)⊗ 12 + 11 ⊗ δ(~x− ~x2) .

In einer verkurzenden Schreibweise (siehe oben) lasst man die Identitatsoperato-ren 1 in Ausdrucken dieser Art haufig einfach weg.

Fur Fermionen gilt wegen der Antisymmetrie das Pauliprinzip: Zwei ununter-scheidbare Fermionen konnen sich nicht im selben Einteilchenzustand befinden.Mit |b, b〉 := |b〉 ⊗ |b〉 gilt fur jeden antisymmetrischen Zustand |ψa〉

〈b, b |ψa〉 =1

2〈b, b| (1− P12) |ψ〉

=1

2(〈b, b |ψ〉 − 〈b, b |ψ〉)

= 0

und damit ist die Wahrscheinlichkiet in dem antisymmetrischen Zustand |ψa〉einen Anteil in Richtung |b, b〉 fur beliebige b zu finden gleich Null.

Eine Besonderheit des bisher diskutierten Falls zweier ununterscheidbarerTeilchen N = 2 ist, dass der gesamte Hilbertraum H12 in den symmetrischenTeil Hs und den antisymmetrischen Teil Ha zerfallt, da

S2 +A2 = 1

Page 191: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

15.2. ZWEI ELEKTRONEN IM AUSSEREN POTENZIAL 191

gilt. Im Fall N ≥ 3 ergibt die Summe einer analogen Zerlegung des Produkthilber-traumsH12...N = H1⊗H2⊗. . .⊗HN in die Teilraume der totalsymmetrischen undder totalantisymmetrischen Zustande (Definition siehe gleich) nicht den ganzenRaum.

Definiert man analog zum Fall N = 2 allgemeine PermutationsoperatorenPmn mit der Eigenschaft den Zustand des m-ten und des n-ten Teilchens zuvertauschen

Pmn |i1〉(1) ⊗ . . .⊗ |im〉(m) ⊗ . . .⊗ |in〉(n) ⊗ . . .⊗ |iN〉(N)

= |i1〉(1) ⊗ . . .⊗ |in〉(m) ⊗ . . .⊗ |im〉(n) ⊗ . . .⊗ |iN〉(N) ,

so nennt man einen Zustand |ψs〉 totalsymmetrisch falls fur alle Paare (m,n)

Pmn |ψs〉 = |ψs〉

gilt. Analog nennt man einen Zustand totalantisymmetrisch falls fur alle Paare(m,n)

Pmn |ψa〉 = − |ψa〉

gilt. Fur die Wellenfunktionen (im Ortsraum) gilt entsprechend (der Spin ist mitin ~x enthalten)

ψs(~x1, . . . , ~xm, . . . , ~xn, . . . , ~xN) = ψs(~x1, . . . , ~xn, . . . , ~xm, . . . , ~xN) ,

ψa(~x1, . . . , ~xm, . . . , ~xn, . . . , ~xN) = −ψa(~x1, . . . , ~xn, . . . , ~xm, . . . , ~xN) .

Die Verallgemeinerung der oben zitierten experimentellen Tatsache zur Sym-metrie von Wellenfunktionen unter Zustandsvertauschung fassen wir in einemweiteren Postulat zusammen:

Postulat 8: Mikroobjekte mit identischen Eigenschaften (wie Masse, Ladung,Spin,. . . ) werden entweder durch totalsymmetrische (Bosonen) oder total anti-symmetrische (Fermionen) Zustandsvektoren beschrieben. Fermionen haben halb-zahligen und Bosonen ganzzahligen Spin.

Eine allgemeine Diskussion des Falls von mehr als zwei ununterscheidbarenTeilchen wird in der Vorlesung Quantenmechanik II gegeben. Wir wollen uns hierin einem nachsten Schritt die Situation zweier Elektronen in einem vorgegebenenaußeren Potential genauer anschauen. Er ist von Relevanz bei der Beschreibungdes Helium Atoms und des Wasserstoff Molekuls H2.

15.2 Zwei Elektronen im außeren Potenzial

Aufgrund der repulsiven Coulombwechselwirkung e2/|~x1 − ~x2| ist bereits diesesrecht einfache “Viel”teilchenproblem nicht mehr exakt losbar. In nullter Naherung

Page 192: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

192 KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN

vernachlassigen wir zunachst die Elektron-Elektron-Wechselwirkung und bestim-men die (gebundenen) Eigenzustande |ϕ0〉, |ϕ1〉, . . . eines Elektrons im gegebenenaußeren Potenzial mit Energie ε0, ε1, . . .. Nach dem Pauliprinzip kann man diebeiden Elektronen nur dann im Zustand |ϕ0〉 vorfinden, wenn sie unterschied-

lichen Spin haben. Der Produktzustand |ϕ0〉(1) ⊗ |σ〉(1) ⊗ |ϕ0〉(2) ⊗ |−σ〉(2) istbei Vernachlassigung der Elektron-Elektron-Wechselwirkung somit Eigenzustandzum Hamiltonoperator mit Energie 2ε0. Er hat aber noch nicht die geforderteAntisymmetrie. Anwenden des Antisymmetrisierungsoperators A2 = (1− P12)/2auf den Produktzustand liefert

|ψ0〉(0) := A2

(|ϕ0〉(1) ⊗ |σ〉(1) ⊗ |ϕ0〉(2) ⊗ |−σ〉(2)

)=

1√2|ϕ0〉(1) |ϕ0〉(2) 1√

2

(|σ〉(1) |−σ〉(2) − |−σ〉(1) |σ〉(2)

).

Der Ortsanteil des resultierenden Zustandes ist symmetrisch, wahrend der Spi-nanteil antisymmetrisch ist. Ein Vergleich mit Gl. (11.8) zeigt, dass der Spinanteildas Singulett mit s = 0 und m = 0 darstellt, also Eigenvektor zum Gesamtspinund zur z-Komponente des Gesamtspins ist.

Um den Bahnanteil des Grundzustandes eines Heliumatoms |ϕ0〉(n), n = 1, 2naherungsweise zu bestimmen verwenden wir den Variationszustand

〈~x |ϕ0〉 =Z

3/2eff

πa3/20

e−Zeffr/a0 ,

mit der zu bestimmenden “effektiven” auf ein Elektron wirkenden KernladungZeff (die echte Kernladung wird durch das andere Elektron abgeschirmt). Ei-ne langliche Variationsrechnung (unter Berucksichtigung der Elektron-Elektron-Wechselwirkung) zeigt, dass Z0

eff = 2 − 5/16 ≈ 1.69 woraus die Grundzustands-energie E0(Z0

eff) ≈ −77.5eV folgt. Der experimentelle Wert ist Eexp0 ≈ −78.8eV.

Fur die Wahl Zeff = 2, was der exakten Losung fur das He+-Atom entspricht,ergibt sich E0(Zeff = 2) ≈ −74.8eV. Wir sehen also, dass die Variationsrechnung,welche die Abschirmung berucksichtigt, zu einem deutlich besseren Wert fur dieGrundzustandsenergie fuhrt.

Zur Bestimmung des Bahnanteils des Grundzustandes des H2-Molekuls kannman den Variationsansatz

〈~x |ϕ0〉 = c(e−Zeff |~x−~R1|/a0 + e−Zeff |~x−~R2|/a0

)machen, wobei ~R1/2 die Koordinaten der festgehaltenen (Born-Oppenheimer-Naherung) Protonen sind. Dies ist das einfachste Beispiel der in der Quanten-chemie haufig benutzten LCAO-Methode (linear combination of atomic orbitals)die von Hund und Mullikan entwickelt wurde.

Wir wollen hiermit die Versuche der naherungsweisen Bestimmung des Grund-zustandes eines zwei-Elektronensystems im außeren Potenzial abschließen und

Page 193: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

15.2. ZWEI ELEKTRONEN IM AUSSEREN POTENZIAL 193

uns den angeregten Zustanden zuwenden. Wir starten wieder mit Uberlegungenzum Helium Atom. Befinden sich die Elektronen in verschiedenen Ortszustanden|ϕ0〉 und |ϕ1〉 (z.B. in den 1s und 2s Zustanden), so darf der Spinzustand beiderElektronen gleich sein. Der entsprechende antisymmetrische Zustand lautet

|ψ10,σσ〉 =1√2

(|ϕ0〉(1) |ϕ1〉(2) − |ϕ1〉(1) |ϕ0〉(2)

)|σ〉(1) |σ〉(2) .

Er ist ein Spin-Triplett Zustand (Eigenzustand zum Gesamtspin) mit s = 1und m = ±1. Der Erwartungswert des spinunabhangigen Hamiltonoperators Gl.(15.3) in diesem Zustand lautet

〈ψ10,σσ|H |ψ10,σσ〉 =1

2[〈ϕ0, ϕ1|H |ϕ0, ϕ1〉+ 〈ϕ1, ϕ0|H |ϕ1, ϕ0〉

− 〈ϕ0, ϕ1|H |ϕ1, ϕ0〉 − 〈ϕ1, ϕ0|H |ϕ0, ϕ1〉]= 〈ϕ0|h |ϕ0〉+ 〈ϕ1|h |ϕ1〉

+ 〈ϕ0, ϕ1| v12 |ϕ0, ϕ1〉︸ ︷︷ ︸=:I

−〈ϕ0, ϕ1| v12 |ϕ1, ϕ0〉︸ ︷︷ ︸=:J

.

Dabei haben wir die Orthogonalitat der Einteilcheneigenzustande, h1 = h2 =: hund v12 = v21 ausgenutzt. Sind die |ϕj〉 die Eigenzustande zu h, so ergebendie ersten beiden Terme die Summe der zugehorigen Einteilcheneigenwerte ε0 +ε0. Die beiden auftretenden Matrixelemente der Elektron-Elektron(-Coulomb)-Wechselwirkung bezeichnet man als Coulombintegral I und Austauschintegral J .Deren physikalische Bedeutung erfasst man am leichtesten in der Ortsdarstellung

I = e2

∫ ∫|ϕ0(~x1)|2 1

|~x1 − ~x2||ϕ1(~x2)|2 d3x1d

3x2

J = e2

∫ ∫ϕ∗0(~x1)ϕ∗1(~x2)

1

|~x1 − ~x2|ϕ1(~x1)ϕ0(~x2) d3x1d

3x2 .

Das Integral I ist die elektrostatische Energie der beiden Ladungsdichten e |ϕj(~x)|2.Das Austauschintegral J hat kein direktes klassisches Analogon. Das Minuszei-chen vor dem J ergibt sich aufgrund der Antisymmetrie des Bahnanteils desZustandes. Ein entsprechender Zustand zweier Bosonen hatte an dieser Stelle einPluszeichen.

Der antisymmetrische Zustand zum Gesamtspin s = 0 in dem die Einteil-chenzustande |ϕ0〉 und |ϕ1〉 besetzt sind hat einen symmetrischen Bahnanteilund einen antisymmetrischen Spinanteil und lautet

|ψ10,s=0〉 =1√2

(|ϕ0〉(1) |ϕ1〉(2) + |ϕ1〉(1) |ϕ0〉(2)

) 1√2

(|↑, ↓〉 − |↓, ↑〉) .

Der Erwartungswert von H in diesem Zustand ergibt sich damit zu

〈ψ10,s=0|H |ψ10,s=0〉 = 〈ϕ0|h |ϕ0〉+ 〈ϕ1|h |ϕ1〉+ I + J .

Page 194: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

194 KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN

Man kann zeigen, dass I und J positiv sind und daher hat der Zustand zumGesamtspin s = 1 eine niedrigere Gesamtenergie. Anschaulich lasst sich diese Be-obachtung wie folgt verstehen. Der Zustand mit s = 1 hat eine antisymmetrischeOrtswellenfunktion, die fur ~x1 = ~x2 verschwindet. Im s = 0 Zustand dagegenkonnen sich die beiden Elektronen beliebig nahe kommen, was zu einer erhohtenElektron-Elektron-Wechselwirkung fuhrt. Obwohl der Hamiltonoperator spinu-nabhangig ist, fuhrt die Elektron-Elektron-Wechselwirkung zusammen mit derAntisymmetrie zu einer Spinabhangigkeit der Energie.

15.3 Das Periodensystem der Elemente

Das Pauliprinzip bildet die Grundlage zum Verstandnis des Periodensystems derElemente. Zwar sind die im letzten Kapitel verwendeten antisymmetrisierten Pro-duktzustande nicht gut genug zur quantitativen Berechnung der Energieeigenwer-te des Hamiltonoperators

H =Z∑i=1

(~pi

2

2m− e2Z

|~xi|

)+

1

2

∑i 6=j

e2

|~xi − ~xj|,

man kann aber den Vielteilchengrundzustand und die angeregten Zustande durchAngabe der besetzten Einteilchenzustande klassifizieren. Der Grundzustand desKohlenstoffs wird dann z.B. durch die Angabe (1s)2,(2s)2,(2p)2 charakterisiert.Ein Anregungszustand ist z.B. durch (1s)2,(2s)2,(2p),(3s) gegeben. Aufgrund derElektron-Elektron-Wechselwirkung und anderer bisher nicht berucksichtigter Ter-me (z.B. der Spin-Bahn-Kopplung Gl. (11.10)) spalten die Zustande 1s, 2s, 2p,. . . energetisch auf. Sie bilden Multipletts. Die Energieabstande zwischen den ver-schiedenen Multipletts sind groß verglichen mit den Energieabstanden innerhalbder Multipletts. Die Aufspaltungsenergien hangen von den Werten des Gesamt-drehimpulses L und des Gesamtspins S ab. Den Grundzustand findet man uberdie empirischen Hundschen Regeln:

1) Das LS-Multiplett mit maximalem S hat die niedrigste Energie.

2) Sind bei maximalem S mehrere L-Werte moglich, so fuhrt der großte L-Wert zur niedrigsten Energie.

Bildet man den Gesamtdrehimpuls ~J = ~L+ ~S, so hangt die Grundzustandenergieauch noch von J ab, falls die Spin-Bahn-Kopplung berucksichtigt wird. Es ergibtsich die dritte Regel:

3) Eine nicht mehr als halbgefullte Schale hat den kleinsten moglichen WertJ = |L− S|. Eine mehr als halb gefullte Schale hat den großten moglichenWert J = L+ S.

Page 195: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

15.3. DAS PERIODENSYSTEM DER ELEMENTE 195

Fur das Beispiel des Kohlenstoffatom ergibt sich nach diesen Regeln, dass imGrundzustand die 1s und 2s Niveaus mit jeweils einem “spinrauf” und einem“spinrunter” Elektron vollstandig besetzt sind und vom 2p Niveau die Zustandemit m = 1 und m = 0 mit jeweils einem “spinrauf” Elektron besetzt sind. Das lie-fert S = 1, L = 1 und J = 0 (weniger als halbgefullte Schale). Aus Zeitgrundenwerden wir es bei diesen recht groben Betrachtungen zum Periodensystem derElemente belassen und verweisen auf die Atomphysik Vorlesung in der experi-mentellen Physik.

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196 KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN

Page 197: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

Kapitel 16

Verschrankung und lokalerRealismus

16.1 Zwei-Photonen-Zustande

In den letzten Kapiteln haben wir wiederholt diskutiert, wie man Mehrteilchen-systeme beschreibt. Hier wollen wir den Themenkreis dieser Vorlesung schließenund zu der quantenmechanischen Beschreibung der Polarisation von Photonenaus Kapitel 1.2 zuruckkehren; diesmal jedoch mit dem Ziel die Quantenmecha-nik von Zwei-Photonen-Zustanden zu verstehen. Wir werden sehen, dass solcheZustande das Potenzial einer quantenmechanischen Eigenschaft in sich tragen,die wir bisher nicht ausfuhrlich untersucht haben: Verschrankung (oder englisch“entanglement”). Schon jetzt soll betont werden, dass diese kein klassisches Ana-logon besitzt und uberraschende Konsequenzen nach sich zieht. Wie zu Beginnder Vorlesung beziehen wir unsere Uberlegungen auf Gedanken-Experimente. Inweniger idealer Form sind diese aber auch ausfuhrbar.

In einem Experiment fallt ein einzelnes Photon eines Pumplasers auf einenspeziellen Kristall. In diesem werden durch den Prozess der spontanen, para-meterischen “downconversion” zwei Photonen erzeugt, die zur gleichen Zeit denKristall verlassen. Die Frequenzen und Impulse des “signal” and “idler” Photonssind korreliert. In dem Typ des “downconversion” Prozesses auf den wir uns be-schranken, sind die Polarisationen des Photonenpaars gleich und senkrecht zu derdes Pump-Photons. Wenn das Pump-Photon also bezuglich seiner Polarisation imZustand |1〉 (zur Notation siehe Kapitel 3.1) ist, ist das Photonenpaar im Zustand|3, 3〉 = |3〉s ⊗ |3〉i. Wir werden im Folgenden 1→ V (vertikale Polarisation) und3→ H (horizontale Polarisation) ersetzen. Wie Sie in den Ubungen kennengelernthaben, gibt es optische Elemente, die die Polarisationsebene drehen konnen. Wirbetrachten hier eine Rotation um π/4 (mathematisch positiv). Bringen wir einsolches Element in den optischen Pfad des Signal-Photons – das Photonenpaarist nach der “downconversion” raumlich getrennt – so ist das System im Zustand

197

Page 198: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

198 KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS

(in selbsterklarender Notation)

|+π/4, H〉 = |+π/4〉s ⊗ |H〉i=

1√2

(|H〉s + |V 〉s)⊗ |H〉i

=1√2

(|H〉s ⊗ |H〉i + |V 〉s ⊗ |H〉i)

=1√2

(|H,H〉+ |V,H〉) .

Wenn wir zusatzlich ein optisches Element in der Pfad des “idler”-Photons brin-gen, welches |H〉i → |R〉i uberfuhrt (rechts-zirkular), so ergibt sich

|+π/4, R〉 = |+π/4〉s ⊗ |R〉i=

1√2

(|H〉s + |V 〉s)⊗1√2

(|H〉i − i |V 〉i)

=1

2(|H,H〉 − i |H,V 〉+ |V,H〉 − i |V, V 〉) .

Dieser Zustand ist eine Linearkombination aller vier Produktbasiszustande.Wir wollen nun berechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist zu messen,

dass im Zustand |+π/4, R〉, dass Signal-Photon vertikal und dass “idler”-Photonhorizontal polarisiert sind1

w(Vs, Hi) = |〈V,H |+π/4, R〉|2

= 〈+π/4, R |V,H〉 〈V,H |+π/4, R〉= 〈+π/4, R| (|V,H〉 〈V,H|) |+π/4, R〉= 〈+π/4, R| (|V 〉s s〈V | ⊗ |H〉i i〈H|) |+π/4, R〉= |s〈V |+π/4〉s i〈H |R〉i|

2

=1

4.

Man kann fur den Zwei-Photonen-Zustand naturlich auch die altenative Fra-ge stellen, wie große die Wahrscheinlichkeit ist, bei einer Messung das “idler”-Photon horizontal polarisiert vorzufinden, ohne uberhaupt nach dem Polarisati-onszustand des Signal-Photons zu fragen (ohne diesen zu messen)

w(Hi) = 〈+π/4, R| (1s ⊗ |H〉i i〈H|) |+π/4, R〉= |i〈R |H〉i|

2s〈+π/4 |+π/4〉s

=1

2.

1Im Gegensatz zu der Notation die wir zuvor haufig verwendet haben, kommt der Zustand imSymbol fur die Wahrscheinlichkeit nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit hangt aber selbstverstand-lich vom Zustand ab!

Page 199: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

16.2. VERSCHRANKTE-ZUSTANDE 199

Eine weitere Frage die man stellen kann ist, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit,dass das Signal-Photon vertikal polarisiert gemessen wird unter der Bedingung,dass das “idler”-Photon horizontal Polarisiert gemessen wird. Es handelt sichhierbei um eine bedingte Wahrscheinlichkeit. Die “Wahrscheinlichkeitslogik” sagteinem, dass die bedingte Wahrscheinlichkeit w(Vs|Hi) durch

w(Vs, Hi) = w(Vs|Hi)w(Hi)⇒ w(Vs|Hi) =w(Vs, Hi)

w(Hi)

von den bereits berechneten Wahrscheinlichkeiten festgelegt wird. Es gilt also imBeispiel

w(Vs|Hi) =w(Vs, Hi)

w(Hi)=

1/4

1/2=

1

2.

16.2 Verschrankte-Zustande

Wir betrachten nun einen “downconversion”-Prozess, bei dem ein Photonen aufeinen Doppelkristall trifft, wobei die beiden Kristallachsen um π/2 gegeneinanderrotiert sind. Damit konvertiert das eine Kristall ein vertikal polarisiertes Pump-Photon in ein Paar von Signal- und “idler”-Photonen die jeweils horizontal pola-risiert sind und das andere Kristall ein horizontal polarisiertes Pump-Photon inein vertikal polarisiertes Paar. Wenn die Kristalle idealisiert unendlich dunn sindund das Pump-Photon eine +π/4-Polarisation hat, kann man keine Informationdaruber gewinnen, in welchem der beiden Kristalle das Photonen-Paar erzeugtwurde. Der Zustand ist daher durch∣∣φ+

⟩=

1√2

(|H,H〉+ |V, V 〉) ,

also eine Linearkombination, beschrieben.2 In Worten bedeutet das, dass dasPhotonen-Paar in beiden (Basis-)Zustanden “zur gleichen Zeit” ist, nicht, dasses entweder in dem einen oder dem anderen (Basis-)Zustand ist. Mathematischgesprochen, ist dieses der Unterschied zwischen einer Linearkombination und ei-nem sogenannten gemischten Zustand. In letzterem ist das Photonen-Paar miteiner klassischen Wahrscheinlichkeit zu 50% im Zustand |H,H〉 und zu 50%in |V, V 〉. Sie werden das Konzept der gemischten Zustande und der zugehori-gen Dichtematrix (dem statistischen Operator) im Kapitel uber Quantenstatistikin der Vorlesung Theoretische Physik IV genauer kennenlernen. Wir betonen

2Ob dieses Gedanken-Experiment jenseits des Limits verschwindender Dicke besonders ge-eignet ist zu illustrieren, wie ein Zwei-Photonen-System in einer entsprechende Linearkombi-nation prapariert werden kann, mochte ich dahingestellt lassen. Wichtig fur unseren Zweckist nur, dass man durch geeignete Manipulationen solche Linearkombinationen experimentell“herstellen” kann.

Page 200: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

200 KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS

nocheinmal (zum Schluss der Vorlesung), dass die mathematische Formulierungdeutlich praziser ist, als die (Alltags-)Sprache. Die (alltags-)sprachliche Formulie-rung quantenmechanischer Phanomene erscheint ja z.B. im Fall des Doppelspalt-Experiments mit “Teilchen”, wo jedes, um die Interferenz zu erklaren, sowohldurch den oberen, wie durch den unteren Spalt “gehen” muss, nahezu “absurd”.Der obige Zustand |φ+〉 kann nicht als Produktzustand geschrieben werden. Da-mit macht es keinen Sinn mehr davon zu sprechen, dass das Signal- oder das“idler”-Photon fur sich genommen in einem bestimmten Zustand sind. Man nenntsolche Zustande verschrankt. Sie sind inharent Zustande des Gesamtsystems. Wirhaben ohne explizit darauf hinzuweisen bereits zuvor mit solchen Zustanden zutun gehabt.

Am Besten versteht man die Eigenschaften von |φ+〉 in dem man sich Ge-danken uber die Messwahrscheinlichkeiten macht. Zunachst wollen wir die Wahr-scheinlichkeit bestimmen, das Signal-Photon horizontal polarisiert vorzufinden

w(Hs) =⟨φ+∣∣ (|H〉s s〈H| ⊗ 1i)

∣∣φ+⟩

=1√2

(〈H,H|+ 〈V, V |) (|H〉s s〈H| ⊗ 1i)1√2

(|H,H〉+ |V, V 〉)

=1

2(〈H,H|+ 〈V, V |) |H,H〉

=1

2. (16.1)

Im nachsten Schritt berechnen wir die (bedingte) Wahrscheinlickeit, dass Signal-Photon horizontal polarisiert vorzufinden, unter der Bedingung, dass das “idler”-Photon ebenfalls diese Polarisation hat

w(Hs|Hi) =w(Hs, Hi)

w(Hi).

Vollig analog zur Rechnung Gl. (16.1) gilt w(Hi) = 1/2. Mit

w(Hs, Hi) =⟨φ+∣∣ (|H,H〉 〈H,H|) ∣∣φ+

⟩=

1

2

ergibt sich

w(Hs|Hi) =w(Hs, Hi)

w(Hi)=

1/2

1/2= 1 .

Die Ergebniss w(Hs) = 1/2 und damit w(Vs) = 1/2 sagt uns, dass die Messungder Polarisation des Signal-Photon vollstandig “zufallige” Ergebnisse liefert: Beieiner Halfte der Messungen wird man es horizontal Polarisiert vorfinden, beider anderen vertikal. Wenn jedoch das “idler”-Photon horizontal gemessen wird,

Page 201: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

16.2. VERSCHRANKTE-ZUSTANDE 201

dann wird in 100% der Falle wegen w(Hs|Hi) = 1 das Signal-Photon ebenfallshorizontal gemessen. Wir haben diese Art von “Zufalligkeit” und Korrelation in|φ+〉 bisher nur bei der Messung von V - und H-Polarisation gezeigt. Sie ist aberauch bei anderen Polarisationsmessungen gegeben. Um sich davon zu uberzeugensollten Sie z.B. w(+π/4s) = w(+π/4i) = 1/2 und w(+π/4s| + π/4i) = 1 in|φ+〉 zeigen. Schon jetzt wollen wir festhalten, dass die klassische Physik diebeobachtete starke Korrelation nicht erklaren kann.

Ein “scharfer Blick” auf den Zustand kann einen zu den obigen Wahrschein-lichkeiten fuhren, es ist aber ratsam, dieses explizit durch die hier angestelltenRechnungen zu bestatigen. Wir lernen aus diesen Rechnungen, dass die indivi-duellen Polarisierungen vollstandig zufallig sind, die Ergebnisse der Messungenaber vollstandig korreliert sind. Keines der Photonen hat eine wohldefinierte Po-larisation, wenn jedoch die Polarisation des einen Partners bekannt ist (gemessenwurde), ist die des anderen Photons eindeutig festgelegt.

Wie wollen nun nocheinmal den Unterschied zwischen einer Linearkombina-tion und einem gemischten Zustand, der Elemente klassischer, aus mangelnderInformation resultierender, Wahrscheinlichkeit enthalt beleuchten. Betrachten wirdazu die Situation, dass das Pump-Photon vor der “downconversion” an einemeinfachen (!!) Kristall einen Polarisator durchlauft, der (klassisch) zufallig auf V -oder H-Durchlass gestellt wird (z.B. durch Auswurfeln). Entsprechend ist dasPaar (klassisch) zufallig in |H,H〉 oder |V, V 〉. Die (klassische) Wahrscheinlich-keit, dass |H,H〉 vorliegt, bezeichnen wir mit w (|H,H〉) und analog fur |V, V 〉.Die (quantenmechanische) Wahrscheinlichkeit die Polarisation as und bi bei vor-liegendem |H,H〉 zu messen, bezeichnen wir mit w(as, bi| |H,H〉) (bedingt!!) undanalog fur |V, V 〉.

Wir wollen nun zeigen, dass im gemischten Zustand mit w (|H,H〉) = 1/2 =w (|V, V 〉) die Korrelation anders als im verschrankten Zustand sind. Dazu be-rechnen wir zunachst

w(+π/4s,+π/4i) = w(+π/4s,+π/4i| |H,H〉)w (|H,H〉)+w(+π/4s,+π/4i| |V, V 〉)w (|V, V 〉)

=1

2〈H,H| +π/4,+π/4〉 〈+π/4,+π/4| H,H〉

+1

2〈V, V | +π/4,+π/4〉 〈+π/4,+π/4| V, V 〉

=1

2

(1√2

1√2

1√2

1√2

+1√2

1√2

1√2

1√2

)=

1

4.

Page 202: Theoretische Physik III (Quantenmechanik)

202 KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS

Wir betrachten dann

w(+π/4i) = w(+π/4i| |H,H〉)w (|H,H〉) + w(+π/4i| |V, V 〉)w (|V, V 〉)

=1

2i〈H| +π/4〉i i〈+π/4| H〉i +

1

2i〈V | +π/4〉i i 〈+π/4| V 〉i

=1

2

(1√2

1√2

+1√2

1√2

)=

1

2.

Damit folgt

w(+π/4s |+π/4i ) =1/4

1/2=

1

2

was offensichtlich verschieden ist vom Ergebnis fur den verschrankten Zustand(wo die bedingte Wahrscheinlichkeit 1, d.h. die Korrelation “perfekt” ist!). Es istwichtig festzuhalten, dass die bedingte Wahrscheinlichkeit w(Hs |Hi ) im gemisch-ten Zustand 1 ist (rechnen Sie das nach!) und sich damit der verschrankte undder gemischte Zustand nicht bei jedem Typ von Messung unterscheiden lassen.Es gibt aber immer Messungen, bei denen der Unterschied offensichtlich wird.

16.3 Ein Test fur den lokalen Realismus

Wir betrachten einen experimentellen Aufbau ahnlich zu dem, den wir beschrie-ben habe um verschrankte Photonenpaare “zu erzeugen”. Die notwendigen Un-terschiede zu diesem, werden wir weiter unten erwahnen. Die Signal-Photonenwerden zu Alice gesandt, die “idler”-Photonen zu Bob. Alice und Bob sind raum-lich weit voneinader getrennt und fuhren unabhangig voneinander (ohne mitein-ander zu kommunizieren) Messungen an ihren Photonen durch. Die Quelle derPhotonen-Paare ist in der Mitte zwischen beiden, so dass die Photonen gleich-zeitig bei Alice und Bob eintreffen. Alice Photonen gehen durch einen Polari-sationsanalysator in Richtung ΘA. Sie findet ihr Photon mit Wahrscheinlichkeitw(ΘA) paralllel zu ΘA polarisiert und mit Wahrscheinlichkeit w(Θ⊥A) senkrechtzu ΘA. Bob geht analog vor mit dem Winkel ΘB. Alice und Bob konnen ihre Po-larisationsanalysatoren jeweils rotieren. Alice misst also entweder bezuglich ΘA1

oder ΘA2 wobei ΘA1 oder ΘA2 jeweils zufallig gewahlt wird. Bob geht analog vor,wobei die Wahl der Winkel zwischen Alice und Bob nicht abgesprochen wird. Furjedes Photon notieren Alice und Bob die Ankunftzeit, den gewahlten Winkel unddie gemessene Polarisation.

Nach dem Abschluss aller Messungen treffen sich Alice und Bob und verglei-chen fur jedes Photonen-Paar (eindeutig durch die Ankuftzeit zu identifizieren)die Ergebnisse. Dabei bestimmen sie Wahrscheinlichkeiten wie z.B. w(ΘA1,ΘB2).Sie stellen folgendes fest:

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16.3. EIN TEST FUR DEN LOKALEN REALISMUS 203

1. Wenn Alice ΘA1 wahlt und Bob ΘB1, messen sie die Polarization in diesesRichtungen in 9% aller Falle: w(ΘA1,ΘB1) = 0.09.

2. In den Versuchen, in denen Alice ΘA1 wahlt und Bob ΘB2, misst Bob unterder Bedingung, dass Alice die Polarisation in Richtung ΘA1 misst, immerdie Polarisation in Richtung ΘB2: w(ΘB2 |ΘA1 ) = 1.

3. In den Versuchen, in denen Alice ΘA2 wahlt und Bob ΘB1, misst Alice unterder Bedingung, dass Bob die Polarisation in Richtung ΘB1 misst, immer diePolarisation in Richtung ΘA2: w(ΘA2 |ΘB1 ) = 1.

Neben den jetzt diskutierten drei Wahlen der Winkel, gibt es eine vierte. Wirwollen nun versuchen, aus den obigen drei Beobachtungen Ruckschlusse auf Er-gebnisse bei der vierten Winkelwahl zu ziehen. Wir betrachten die Versuche ausBeobachtung 1. Was passiert, wenn Bob seine Meinung andert und die Polarisa-tion in Richtung ΘB2 misst? Da Alice ja die Polarization ΘA1 misst, sagt uns dieBeobachtung 2., dass Bob immer die Polarisation ΘB2 vorfindet. Augfrund derBeobachtung 3. gilt eine analoge Uberlegung, wenn Bob weiterhin in RichtungΘB1 misst, aber Alice ihre Meinung andert und den Polarisationsmesser auf ΘA2

stellt. Sie wird mit Wahrscheinlichkeit 1 die Polarisation in Richtung ΘA2 messen(und mit Wahrscheinlichkeit 0 in Richtung Θ⊥A2). Was passiert nun, wenn beideihre Meinung andern und die Polarisatoren auf ΘA2 und ΘB2 drehen? In diesemFall wird Alice ihr Photon in Richtung ΘA2 polarisiert messen und Bob seins inRichtung ΘB2. Damit gilt

w(ΘA2,ΘB2) ≥ w(ΘA1,ΘB1) = 0.09 . (16.2)

Die Messung ergibt aber w(ΘA2,ΘB2) = 0! Bevor wir uns uber diesen Wider-spruch wundern, mussen wir naturlich sicherstellen, dass es einen Zustand gibt,der die obigen Wahrscheinlichkeiten inklusive w(ΘA2,ΘB2) = 0 liefert. Sie konnennachrechnen, dass |ψ〉 =

√0.2 |H,H〉+

√0.8 |V, V 〉 diese liefert, falls ΘA1 = 19o,

ΘA2 = −35o, ΘB1 = −19o und ΘB2 = 35o. Mit entsprechenden Modifikationenan der Photon-Paar-Quelle, laßt sich dieser Zustand tatsachlich realisieren. Waskann sonst nicht stimmen? Es sind zwei Annahmen in die obigen Uberlegungeneingeflossen, die womoglich falsch sind.

1. Lokalitat: Wir sind in unseren Uberlegungen davon ausgegangen, dass eineMessung an einem Ort (bei Alice) diejenige am anderen (bei Bob) nichtbeeinflussen kann.

2. Realitat: Wir sind ebenfalls davon ausgegangen, dass die physikalisch mess-baren Großen definierte Werte haben bevor sie uberhaupt gemessen werden.

In der Tat verletzt die Quantenmechanik diese beiden Annahmen.3 Aus Zeit-grunden konnen wir nicht weiter auf diese Fragen eingehen. Ungleichungen von

3Die gefuhrte Diskussion zeigt naturlich nur, dass zumindest eine der Annahmen falsch seinmuss. Es gibt andere Experimente, die dieses getrennt belegen.

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204 KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS

dem Typ Gl. (16.2) bezeichnet man als Bellsche Ungleichungen. Es wurden meh-rere experimentelle Nachweise der Ungultigkeit von Ungleichungen dieses Typserbracht.