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Thermische Analyse Grundlagen und Praktikumsanleitung Otto-Schott-Institut für Glaschemie Materialkundliches Praktikum Teil 1 Marek Patschger

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Thermische Analyse

Grundlagen und Praktikumsanleitung

Otto-Schott-Institut für Glaschemie

Materialkundliches Praktikum Teil 1

Marek Patschger

Inhalt

1 Einleitung 1

2 Methoden der thermischen Analyse 1

2.1 Thermodynamische Grundlagen 2

2.2 Messmethodische Grundlagen: die Temperaturerfassung 4

2.3 Überblick über die Methoden der thermischen Analyse 6

2.4 Differenzthermoanalyse (DTA) 7

2.4.1 Das Grundprinzip der DTA 8

2.4.2 Beeinflussung von thermischen Effekten: apparative Faktoren 9

2.4.3 Beeinflussung von thermischen Effekten: Probenbehandlung 11

2.4.4 Auswertung thermischer Effekte 12

2.5 Differential Scanning Calorimetry (DSC) 14

2.6 Dilatometrie (DIL) 17

2.7 Erhitzungsmikroskop (EHM) 21

2.8 Simultane Thermoanalyse (STA) 22

2.9 Fazit 24

3 Durchführung des Praktikums 25

4 Quellen 26

1

1 Einleitung

Die thermische Analyse ist eine der grundlegenden Methoden der Festkörperanalytik und damit für die

Natur- und Ingenieurswissenschaften von großer Relevanz. Die Vorteile dieser Methode liegen vor

allem in dem geringen technischen Aufwand und den niedrigen Anforderungen an die Beschaffenheit

der Probe (z.B. Korngröße, Kornverteilung, Kristallinität, Textur). Trotzdem stellt die Thermoanalyse

eine leistungsfähige und ökonomische Meßmethode dar, mit der sich vielfältige Aussagen über einen

Werkstoff erzielen lassen. Dazu zählen unter anderem Analysen zu Phasenbestand, Reinheit,

Synthesebedingungen, physikalischen Stoffkonstanten und Reaktionskinetik. Auch die Erstellung von

Zustandsdiagrammen ist mit Hilfe der Thermischen Analyse möglich [1]. Dem gegenüber stehen die

mit Hilfe der Thermoanalyse nicht allgemeingültig zu beantwortenden Fragen nach dem zugrunde-

liegende physikalische Effekt einer detektierten Eigenschaftsänderung und welche Methode für die

Lösung eines spezifischen Messproblems am geeignetsten ist.

Der Begriff der Thermoanalyse ist sehr weit gefasst. Eine mögliche Definition lautet: „Die thermische

Analyse ist eine Gruppe von Methoden, bei denen physikalische und chemische Eigenschaften einer

Substanz bzw. eines Substanz-und/oder Reaktionsgemisches als Funktion der Temperatur oder Zeit

gemessen werden, während die Substanz einem geregelten Temperaturprogramm unterworfen wird“

[2]. Die thermische Analyse ist somit eine Methode zur Charakterisierung eines Stoffes als Funktion

von Temperatur und Zeit. Da die meisten Substanzen ihre chemische Zusammensetzung und/oder ihre

Struktur bei Variation der Temperatur ändern und solche Vorgänge mit Veränderungen der

spezifischen Wärme oder auch der Masse verbunden sind, können während einer Temperatur-

behandlung thermische Effekte detektiert werden. Je nach zu untersuchender Eigenschaften werden

dabei besondere Anforderungen an den apparativen Aufbau gestellt. Somit wurden im Laufe der Zeit

sehr diffizile experimentelle Aufbauten zur thermischen Analyse entwickelt: die Methoden der

Thermoanalyse.

2 Methoden der thermischen Analyse

Zur thermischen Analyse sind im Allgemeinen alle physikalischen Eigenschaften geeignet, die sich

temperaturabhängig signifikant ändern, ebenso wie chemische Reaktionen, die sich als Funktion der

Temperatur detektieren lassen. Hier sind sowohl Änderungen der spezifischen Wärme als auch

Masseänderungen geeignete Eigenschaften, mit deren Hilfe man mögliche temperaturabhängige

Reaktionen und Reaktionsketten erfassen und deuten kann.

Für die Auswertung derartiger Messungen ist das Grundwissen des Chemikers, Physikers oder

Materialwissenschaftlers normalerweise ausreichend. Dem Anwender muss jedoch bewusst sein, dass

2

bei der thermischen Analyse neben den reinen Probeneigenschaften eine Vielzahl von Faktoren wie

z.B. der apparativer Aufbau des Analysegerätes oder der Ablauf des Messvorganges eine nicht

vernachlässigbare Rolle spielen. Kenntnisse über thermodynamische und messmethodische

Grundlagen werden also vor allem im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Messungen an

unterschiedlichen Geräten und die Reproduzierbarkeit von Einzelmessungen wichtig. Im gesteigerten

Maße gilt dies bei der Deutung von Messergebnissen, denen komplexe Vorgänge zugrunde liegen. An

dieser Stelle sind vor allem dynamisch-mechanische Prozesse anzuführen, die neben einem

komplizierten mathematischen Rüstzeug umfangreiche Spezialkenntnisse zum rheologischen

Verhalten von viskoelastischen Körpern und den möglichen Wechselwirkungen aller Einflussgrößen

untereinander erfordern.

2.1 Thermodynamische Grundlagen

Im Rahmen dieser Versuchsanleitung sollen lediglich die entscheidenden Zusammenhänge der

thermodynamischen Grundlagen der Thermoanalyse dargestellt werden. Für eine detailliertere

Charakterisierung sei auf die folgende Literatur verwiesen:

- ATKINS, P.W., DE PAULA , J. (2006): Physikalische Chemie, 4. vollständig überarbeitete

Auflage. Wiley-VCH Verlag Weinheim.

- HEIDE, K. (1979): Dynamische thermische Analysemethoden, 1. Auflage. VEB Deutscher

Verlag für Grundstoffindustrie Leipzig.

- HEMMINGER, W.F., CAMMENGA, H.K. (1989): Methoden der thermischen Analyse, 1.

Auflage. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo.

Das grundlegende Ziel der Thermoanalyse besteht darin, die Eigenschaften eines Stoffes bzw. deren

Änderungen während einer vorgegebenen Temperaturänderung zu analysieren. Es gilt also, eine

bestimmte Menge einer Substanz zu erwärmen, wofür eine stoffspezifische Wärmemenge zugeführt

werden muss, die Wärmekapazität C:

� = ����

(2-1) C - Wärmekapazität dQ - zugeführte Wärmemenge dT - Temperaturänderung

Zwar lässt sich diese Wärmemenge experimentell relativ leicht bestimmen, die erhaltenen Messwerte

sind jedoch wesentlich von der Versuchsdurchführung und von Zustandsvariablen wie Druck und

Temperatur abhängig [1]. Für die Charakterisierung von Stoffsystemen im thermodynamischen

Gleichgewicht nutzt man aus diesem Grund thermodynamische Potentiale, die sich aus der

GIBBS‘schen Fundamentalgleichung und den daraus abgeleiteten Differentialgleichungen ergeben.

3

Hier bietet sich vor allem die freie Enthalpie g an, da im Gleichgewicht die Variablen Druck und

Temperatur für das gesamte System gleich sind und ihre Messung relativ leicht möglich ist [1]:

���, , �� = − ��

(2-2)

G - freie Enthalpie T - Temperatur p - Druck ni - Stoffmenge H - Enthalpie S - Entropie

Über die Ableitung der kalorischen und thermischen Zustandsgleichung, die sich für die speziellen

Messprobleme der thermischen Analyse besonders eignen, lässt sich schließlich die molare

Wärmekapazität bei isobarer Prozessführung cp formulieren:

�� = �� ����

(2-3)

cp - molare Wärmekapazität eines isobaren Prozesses H - Enthalpie T - Temperatur p - Druck

Die Temperaturabhängigkeit der molaren Wärmekapazität ist dadurch gekennzeichnet, dass bei

Phasenumwandlungen des Stoffes sprunghafte Änderungen mit charakteristischer Form auftreten

(Abbildung 2.1). Eine Klassifizierung der verschiedenen Phasenübergänge ist über die Umwandlungs-

ordnung X möglich, die über eine Unendlichkeitsstelle in der X-ten Ableitung der Enthalpie nach der

Temperatur definiert ist [3]. Die Reaktionsenthalpie kann folglich aus der Unstetigkeit der ersten

Ableitung der freien Enthalpie am Umwandlungspunkt berechnet werden.

Abbildung 2.1: Temperaturabhängigkeit der molaren Wärmekapazität cp für verschiedene Phasenumwandlungen

(Quelle: verändert nach [4]).

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Typische Phasenumwandlungen erster Ordnung sind z.B. Kristallisations- und Schmelzprozesse,

Übergänge zweiter Ordnungen sind dagegen häufig Ordnungs-Unordnungs-Umwandlungen in

Mischkristallen wie z.B. das Verhalten ferromagnetischer Stoffe im Bereich der Curie-Temperatur.

Auch die Glastransformation stellt eine Umwandlung 2. Ordnung dar, wobei hier die kinetische

Komponente (Abkühlgeschwindigkeit) häufig die entscheidende Rolle spielt. Theoretisch sind auch

Umwandlungen mit dritter und höherer Ordnungen denkbar, aufgrund der sich schwierig gestaltenden

Messung von kleinen ∆H-Werten sind hier jedoch oft keine eindeutigen Zuordnungen möglich.

Die Thermodynamik liefert an dieser Stelle eine grundlegende Erkenntnis: aus der Temperatur-

abhängigkeit der spezifischen Wärme können wichtige Informationen über einen Phasenumwand-

lungsvorgang gewonnen werden. Um dies experimentell detektieren zu können, ist zunächst erst

einmal eine möglichst genaue Temperaturerfassung nötig.

2.2 Messmethodische Grundlagen: die Temperaturerfassung

Im Bereich bis 2000 °C werden für die Temperaturerfassung im Rahmen der thermischen Analyse

üblicherweise Thermoelemente verwendet. Diese bestehen aus zwei unterschiedlichen Metalldrähten,

die an einem Ende z.B. durch eine Schweißperle elektrisch leitend miteinander verbunden sind

(Thermopaar). Aufgrund des SEEBECK-Effektes, der das Auftreten einer Spannung zwischen zwei

Stellen unterschiedlicher Temperatur eines Leiters beschreibt, kommt es an den freien Enden zu einer

elektrischen Spannung, wenn sich Mess- und Vergleichstemperatur voneinander unterscheiden

(Abbildung 2.2). Eine Kontaktstelle des Thermopaares wird auf konstanter Temperatur gehalten

(Vergleichstemperatur), mit der anderen wird gemessen (Messtemperatur). Die aufgezeichnete

Potentialdifferenz ist dann annähernd proportional zur Temperaturdifferenz.

Die Auswahl einer geeigneten Metallpaarung für das Thermoelement muss an das spezifische

Analyseproblem angepasst werden, wobei verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Grundsätzlich

strebt man in dem für die Messung entscheidenden Temperaturbereich eine möglichst hohe

Thermospannung an, da bei hohen Messwerten der absolute Fehler des Thermoelements nur eine

untergeordnete Rolle spielt. Dieser liegt bei handelsüblichen Thermoelementen im Bereich von 2 bis 8

K. Daneben ist ein hoher Grad an Linearität im Verhältnis von Temperatur und Thermospannung vor

allem für die dynamischen Methoden der thermischen Analyse (vgl. Kapitel 2.3) nötig, die mit einer

konstanten Aufheizrate arbeiten.

Zusätzlich spielen insbesondere im Hochtemperaturbereich die chemische Beständigkeit (Korrosions-

festigkeit, Oxidationsverhalten) und das Rekristallisationsverhalten der Metalle eine wichtige Rolle.

Beide Aspekte können zur Veränderung des Drahtwiderstandes führen und damit zu einer

Verfälschung der aufgezeichneten Werte der Thermospannung. Ferner sollte man sich vor dem Einsatz

5

vergewissern, ob im angestrebten Temperaturbereich der Messung einzelne Bestandteile der Probe

verdampfen und diese Eutektika mit den Metallen des Thermoelementes bilden können. Bei Platin und

Phosphor kann das bereits ab 590 °C der Fall sein.

Abbildung 2.2: Schematische Darstellung eines Thermoelementes (Quelle: verändert nach [5]).

Bezüglich des spezifischen Widerstandes der Metalldrähte spielt neben der Technologie der

Drahtherstellung (Grad an Verunreinigungen, Texturen) auch das Eindiffundieren von Verunreini-

gungen während der Anwendung eine wichtige Rolle. Dieses stellt einen irreversiblen Prozess dar und

ist maßgeblich für die Lebensdauer des Thermoelementes verantwortlich, was sich wiederum auf die

Kostenstruktur des Einsatzes auswirkt.

Diese Vielzahl an Faktoren ist für unterschiedliche Analyseprobleme naturgemäß nicht in einer

einzigen Metallkombination zu vereinigen. Dementsprechend werden je nach Einsatzbereich

unterschiedliche Materialpaarungen verwendet, von denen die gebräuchlichsten in Tabelle 2-1

aufgeführt sind. Eine Systematisierung der verschiedenen Metallpaarungen findet über die sogenannte

Klasse statt, die neben entsprechenden Grundwerten auch zulässige Abweichungen definiert.

Die Problematik einer korrekten Temperaturerfassung im Rahmen der thermischen Analyse ist mit der

Auswahl eines geeigneten Thermoelementes nicht abgeschlossen. Vor allem apparative Einflüsse auf

die Differenz zwischen den realen Temperaturverhältnissen innerhalb der Probe und den vom

Thermoelement aufgezeichneten Temperaturen spielen eine wichtige Rolle. Diese werden am Beispiel

der Differenzthermoanalyse in Abschnitt 2.4 erläutert.

Kann die Temperatur zuverlässig bestimmt werden, ist ein kontrolliertes Aufheizprogramm

realisierbar und damit auch die temperaturabhängige Beobachtung von Eigenschaftsänderungen. Je

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nach zu untersuchender Eigenschaft werden verschiedene experimentelle Aufbauten benötigt: die

einzelnen Methoden der thermischen Analyse.

Tabelle 2-1: Thermoelemente für die thermische Analyse

Metallpaarung

Klasse

Temperatur-bereich [°C]

Vorteile

Fe-CuNi

J

-200 - 700

günstig

NiCr-Ni

K

-250 - 1000

bei hohen Temperaturen mechanisch und chemisch stabiler als Pt und J-Klasse

Cu-CuNi

T

-250 - 400

korrosionsbeständig

NiCr-CuNi

E

-250 - 800

hohe Thermospannung

Pt(10%)Rh-Pt

S

-50 - 1300

größerer Temperaturbereich als K-Klasse, größere Thermospannung als B-Klasse

Pt(30%)Rh-Pt(6%)Rh

B

60 - 1500

größerer Temperaturbereich und mechanisch und chemisch stabiler als S-Klasse

W-W(20%)Re

W

bis 2300

hohe Temperaturen möglich

2.3 Überblick über die Methoden der thermischen Analyse

Thermische Analysemethoden lassen sich prinzipiell in zweierlei Art durchführen: als statische oder

dynamische Messung. Bei der statischen Variante wird die Temperatur diskontinuierlich erhöht und

jeweils die Einstellung des Gleichgewichts des Systems abgewartet, bevor die Registrierung der

Eigenschaftswerte erfolgt. Dies hat zwar den Vorteil, für Systeme mit stark zeitabhängigen

Eigenschaften (wie z.B. Gläser) geeignet zu sein, der zusätzliche Zeitaufwand gegenüber den

jeweiligen dynamischen Methoden ist jedoch erheblich. Bei diesen wird die Messung der Eigen-

schaftswerte kontinuierlich bei stetig steigender Temperatur oder Abkühlung vorgenommen.

Verändert man die Temperatur nur langsam, kann von quasi statischen Bedingungen ausgegangen und

die Untersuchungsergebnisse in einer relativ kurzen Zeit erhalten werden, wodurch die dynamischen

Methoden in den meisten Fällen vorherrschen. Die jeweilige Messgröße wird also als Funktion von

Temperatur und Zeit detektiert: f(T,t).

In Tabelle 2-2 sind die gebräuchlichsten Methoden der thermischen Analyse verzeichnet. Darüber

hinaus existieren zahlreiche diffizile und hochempfindliche Varianten der thermischen Analyse, wie

z.B. die Thermoemanationsanalyse (ETA). Bei diesem Verfahren wird die Diffusionsgeschwindigkeit

eingeführter radioaktiver Edelgase im Festkörper mit Hilfe von Aktivitätsmessungen bestimmt. Aus

diesen Daten lassen sich dann Rückschlüsse auf die Struktur der Oberfläche und Gitterdefekte im

7

Volumen des Probenkörpers ziehen, die unter anderem einen Einfluss auf die Geschwindigkeit von

Festkörperreaktionen haben.

Tabelle 2-2: Die wichtigsten Methoden der thermischen Analyse

Bezeichnung

Abkürzung

Messgrößen als f(T,t)

Thermogravimetrie

TGA

Masseänderung und deren Ableitung nach der Temperatur

Differenzthermoanalyse

DTA

Wärmetönung

Differential Scanning Calorimetrie

DSC

Wärmefluss

Thermooptische Analyse

TOA

optische Veränderung

Dilatometrie

DIL

Ausdehnung

Viskosimetrie

-

Viskosität

Erhitzungsmikroskop

EHM

Gestaltänderung

Thermisch simulierter Strom

TSC

Relaxationsspektrum

Thermisch-mechanische Analyse

TMA

Längenänderung bei Belastung (z.B. Zug- und Scherbelastung)

Simultane Thermoanalyse

STA

mehrere Messgrößen

Thermo-Gasanalyse

EGA

Gasabspaltungsreaktionen

Dynamisch-mechanische-thermische Spektroskopie

DMTS

Elastizitäts-, Scher-, Verlust- und

Speichermodul, tanδ

Hochtemperatur-Röntgenbeugung

-

Gitterparameter, Symmetrie, Atompositionen

Thermoakustische Analyse

TSA

Schallgeschwindigkeit

Im Rahmen des Praktikums soll der Fokus auf die im Otto-Schott-Institut vorhandenen Methoden der

thermischen Analyse gerichtet werden: die Differenzthermoanalyse, die Differential-Scanning-

Calometry, die Dilatometrie, die Erhitzungsmikroskopie und eine Anlage zur simultanen Thermo-

analyse. Im Folgenden werden die Besonderheiten des jeweiligen experimentellen Aufbaus, die

Auswertung der Messkurven und dabei zu beachtende Faktoren erläutert.

2.4 Differenzthermoanalyse (DTA)

Die gebräuchlichste Methode der thermischen Analyse ist die Differenzthermoanalyse (DTA). Dies

begründet sich zum einen durch die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Es sind z.B. quantitative

Aussagen über die relative Änderung von Energie, Masse, Gitterparametern, optischen Parametern,

Dampfdruck, Volumen, Leitfähigkeit, magnetischen Eigenschaften und Diffusionsgeschwindigkeiten

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möglich. Zum anderen wirkt die DTA dem messmethodischen Problem der klassischen thermischen

Analyse, dem Nachweis geringer Differenzen großer Messwerte, entgegen, indem keine absoluten

Temperaturen gemessen werden, sondern nur Differenzen.

2.4.1 Das Grundprinzip der DTA

Die Messanordnung der DTA besteht aus zwei Tiegeln (meist aus Platin), in deren unmittelbarer Nähe

zwei Thermoelemente angebracht sind (Abbildung 2.3). Ein Tiegel enthält die Analysesubstanz, der

andere eine Inertsubstanz, die in dem zu untersuchenden Temperaturbereich keinerlei thermische

Effekte zeigt. Wie in Abschnitt 2.2 erläutert, produzieren beide Thermoelemente eine temperatur-

abhängige Spannung, die den jeweiligen Temperaturen entspricht. Da die Thermoelemente gegen-

einander geschaltet sind, kann eine Differenzspannung abgegriffen werden, die mit der Differenz der

Temperaturen übereinstimmt. Diese Apparatur befindet sich auf einer isothermen Fläche innerhalb des

Ofens, der mit kontrollierten Aufheizprogrammen betrieben werden kann.

Abbildung 2.3: Schematische Darstellung einer Differenzthermoanalyse (Quelle: verändert nach [1]).

Wird dem Ofen eine lineare Temperatur-Zeit-Funktion vorgegeben, zeigt die Inertsubstanz

entsprechend eine lineare Aufheizkurve TI (t) (Abbildung 2.4). Diese wird mit der Aufheizkurve der

Analysesubstanz TPR (t) verglichen, der die gleiche Wärmemenge zugeführt wird. Findet in der Probe

ein thermischer Effekt wie z.B. eine chemische Reaktion oder eine Kristallisation statt, der im

dargestellten Fall Energie verbraucht (endotherm), kann die zugeführte Wärmemenge nicht vollständig

zur Erhöhung der Temperatur genutzt werden. Die Aufheizkurve der Probe verzögert sich also im

Vergleich zur linearen Temperatur-Zeit-Kurve der Inertsubstanz, woraus sich die aufgezeichnete

Differenzkurve ∆T (t) ergibt. Mit Hilfe der DTA lässt sich also die sog. Wärmetönung registrieren, die

9

der bei einer Reaktion entwickelten oder absorbierten Wärmemenge entspricht. Diese bringt eine

Erwärmung oder Abkühlung des reagierenden Systems hervor.

Abbildung 2.4: Entstehung einer DTA-Kurve (Quelle: eigene Grafik).

Ein derartiger DTA-Effekt wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst und in seiner Gestalt

mitbestimmt. Dazu zählen Parameter des experimentellen Aufbaus, die Probeneigenschaften und das

thermische Verhalten der Inertsubstanz. Die Berücksichtigung von apparativen Aspekten ist vor allem

im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Messungen an unterschiedlichen Geräten und die

Reproduzierbarkeit von Einzelmessungen wichtig. Aus diesem Grund sollen im Folgenden die zwei

wichtigsten dieser Faktoren näher erläutert werden: die Probenhalterung und die Anordnung der

Thermoelemente in der Nähe der Tiegel.

2.4.2 Beeinflussung von thermischen Effekten: apparative Faktoren

Bei der Auswahl eines für das spezifische Messproblem geeigneten Probenhalters geht es in erster

Linie um die Positionierung der Analyse- und Inertsubstanz im gemeinsamen Ofenraum. Dabei

spielen die Faktoren Empfindlichkeit und Auflösungsvermögen die entscheidende Rolle. Unter

Empfindlichkeit versteht man in diesem Zusammenhang, wie genau die Temperatur, die an der Probe

bzw. der Inertsubstanz vom jeweiligen Thermoelement aufgezeichnet wird, mit den tatsächlichen

Temperaturverhältnissen im Inneren der Substanzen übereinstimmen. Das Auflösungsvermögen

beschreibt die Differenz zwischen der tatsächlichen Temperatur innerhalb der Substanzen und der

programmierten Aufheizung. Die Darstellung erfolgt über die sog. Temperaturdifferenzkurve, die

letztendlich Auskunft darüber gibt, wie schnell der Temperaturausgleich zwischen Ofenraum und

Substanz erfolgt.

10

Abbildung 2.5 zeigt zwei Realisierungsmöglichkeiten einer DTA-Probenhalterung. Variante 1 besteht

aus einem Metallblock mit zwei Bohrungen, in die Probe und Inertsubstanz eingeführt werden. Das

Metall zwischen beiden Tiegeln führt zu einem schnellen Temperaturausgleich und sorgt für ein

entsprechend hohes Auflösungsvermögen. Mit einer solchen Probenanordnung können zwar

benachbarte thermische Effekte gut voneinander getrennt werden, die Empfindlichkeit ist jedoch

relativ gering. Variante 2 besteht dagegen aus einem Metallblock mit nur einer Bohrung. Der

Temperaturausgleich zwischen den Tiegeln ist hier im Wesentlichen auf Konvektion beschränkt und

entsprechend verlangsamt. Der hohen Empfindlichkeit steht ein relativ schlechtes Auflösungs-

vermögen gegenüber.

Abbildung 2.5: Verschiedene Probenhalter für die DTA (Quelle: verändert nach [1]).

Die Verwendung eines Probenhalters sollte stets an das konkrete Messproblem angepasst werden, je

nachdem ob das Hauptaugenmerk auf dem Auflösungsvermögen oder der Empfindlichkeit liegt.

Dennoch hat sich für die meisten DTA-Analysen die Variante 1 durchgesetzt, wobei man den Nachteil

des geringen Auflösungsvermögens durch eine kleine Einwaage (wenig Probensubstanz) und einer

Verbesserung der Wärmeleitung zwischen den Tiegeln zu kompensieren versucht.

Die Anordnung des Temperaturmessfühlers wird zwar zwangsläufig durch den Aufbau der Proben-

halterung mitbestimmt, sie kann aber in gewissen Grenzen variiert werden. Vor allem hinsichtlich der

Optimierung der Empfindlichkeit der Meßanordnung stellt sie einen wichtigen Aspekt dar. Auch hier

existieren wieder verschiedene Faktoren, die zu beachten und gegeneinander abzuwägen sind: die

geometrische Anordnung der Heizelemente im Ofenraum, die Art der verwendeten Thermoelemente

und die Reproduzierbarkeit der räumlichen Ausrichtung der Thermoelemente. Abbildung 2.6 zeigt

verschiedene Varianten, wobei für die meisten Messungen Variante 2 zu bevorzugen ist, da diese die

höchste Reproduzierbarkeit aufweist. Die Bedeutung dieses Faktors wird deutlich, wenn man bedenkt,

11

dass eine Veränderung der räumlichen Lage des Thermoelements einen viel größeren Fehler

verursacht als die angegebenen absoluten Fehlergrenzen des Thermoelements selbst.

Abbildung 2.6: Verschiedene Realisierungsmöglichkeiten der Thermoelement-Anordnung (Quelle: verändert

nach [1]).

2.4.3 Beeinflussung von thermischen Effekten: Probenbehandlung

Neben den vorgestellten gerätespezifischen Anlageparametern spielen das Temperaturprogramm und

die Probenpräparation die zweite wichtige Rolle in Bezug auf die Beeinflussung der Gestalt von

thermischen Effekten. Wird die Aufheizgeschwindigkeit einer DTA-Messung verändert, nimmt man

Einfluss auf die Temperaturdifferenzkurve (vgl. Kapitel 2.4.2), wodurch es zur Verschiebung des

Temperaturbereiches von thermischen Effekten kommen kann (Abbildung 2.7). Der Zusammenhang

zwischen Aufheizrate und der Temperatur des DTA-Maximums eines thermischen Effektes ist

grundsätzlich stoffspezifisch, wobei häufig ein linearer Zusammenhang beobachtet werden kann. Aus

diesem Grund gestaltet sich die Formulierung genereller Bedingungen für optimale Aufheizgeschwin-

digkeiten schwierig, da auch hier wieder mehrere Faktoren eine Rolle spielen.

Abbildung 2.7: Thermischer Effekt (Kristallisationspeak eines Fresnoit-Glases) in Abhängigkeit der Aufheizrate

(Quelle: [6]).

12

Bei einer Reihe von Methoden der thermischen Analyse (z.B. DTA, DSC, TGA) wird die Proben-

substanz zerkleinert und in Pulverform in den Probenhalter eingebracht. Je nach Korngröße dieses

Pulvers ergeben sich Verschiebungen im Temperaturbereich von thermischen Effekten bzw. deren

Ausprägung (Abbildung 2.8). So kann sich z.B. der Kristallisationspeak eines Glases (in Abbildung

2.8 im Bereich von 450 bis 600 °C) bei einem feineren Pulver zu niedrigeren Temperaturen

verschieben, da sich das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen vergrößert und damit Effekte an der

Oberfläche stärker zur Geltung kommen. Aus energetischen Gründen kann die Kristallisation an der

Oberfläche bereits bei niedrigeren Temperaturen ablaufen als im Volumen.

Abbildung 2.8: Thermische Effekte in Abhängigkeit der Korngröße der Analysesubstanz (Quelle: [7]).

2.4.4 Auswertung thermischer Effekte

Die vorgestellten Faktoren zur Beeinflussung von thermischen Effekten sind zwar im Einzelnen

theoretisch zu beschreiben, experimentell jedoch nur unter hohem Aufwand zu trennen. Konkrete

thermodynamische und kinetische Daten sind aus diesem Grund nur in Spezialfällen aus Messkurven

der Thermoanalyse zu gewinnen. Da die aufgenommenen Kurven zusätzlich von Größen wie z.B. der

Vorgeschichte der Probe abhängen, existieren keine allgemeingültigen Vorschriften zur Auswertung.

Stattdessen beschränkt man sich auf die Bestimmung einzelner charakteristischer Punkte, die sich in

einigen Fällen mit Messwerten andere analytischer Methoden vergleichen lassen.

Abbildung 2.9 zeigt die üblichste Variante der Auswertung thermischer Effekte: das Tangenten-

verfahren. Auf der linken Seite ist eine reversible Festkörperumwandlung (α-β-Umwandlung)

dargestellt. Bei derartigen thermischen Effekten wird zunächst eine Tangente angelegt, die den

Normalverlauf ohne thermischen Effekt beschreibt. Die Schnittpunkte dieser Tangente mit dem

tatsächlichen Kurvenverlauf werden als Onset bzw. Offset bezeichnet und kennzeichnen den Beginn

und das Ende des thermischen Effektes, also den Temperaturbereich. Die größte Ausdehnung des

13

Effektes in Bezug auf die Tangente wird mit Tmax bezeichnet. Die eingeschlossene Fläche ist

proportional zur Reaktionswärme.

Abbildung 2.9: Auswertung thermischer Effekte (Quelle: verändert nach [1]).

Die Auswertung des Glasübergangsbereiches (Tg) erfolgt in einer leicht abgewandelten Form. Da hier

der thermische Effekt mit einer Änderung der molaren Wärmekapazität ∆cp verbunden ist, verläuft die

Messkurve üblicherweise auf einem niedrigeren Niveau weiter und es müssen drei Tangenten angelegt

werden. Wieder werden drei charakteristische Temperaturen bestimmt, wobei T2 in den meisten Fällen

am besten mit Tg des Glases übereinstimmt. Auch Abbildung 2.10 zeigt die Auswertung einer

typischen DTA-Messung eines Glases mit dem Tangentenverfahren. Der Transformationsbereich (Tg),

der Kristallisationspeak (Tc) und die Schmelze werden jeweils mit drei Temperaturen charakterisiert.

14

Abbildung 2.10: DTA-Messung eines Glases (Quelle: [7]).

Zur Erhöhung des Informationsgehaltes derartiger Messkurven und der Absicherung der festgelegten

Temperaturbereiche sollte stets die Kombination mit einer weiteren Methode der thermischen Analyse

angestrebt werden. Dies gilt im Falle der DTA im besonderen Maße, da die Inertsubstanz

kontinuierlich aufgeheizt wird, die Probe jedoch aufgrund von thermischen Effekten diskontinuierlich.

Aus diesem Grund können Schwierigkeiten bei Berechnungen von thermodynamischen Größen

auftreten, die es nicht gestatten, quantitativ Aussagen zu treffen. Vorteilhafter ist deshalb eine

Versuchsanordnung, bei der Inertsubstanz und Probe trotz möglicher Reaktionen stets die gleiche

Temperatur aufweisen: die Differential Scanning Calometry (DSC).

2.5 Differential Scanning Calorimetry (DSC)

Bei der Differential Scanning Calometry (DSC) werden Probe und Inertsubstanz mit zwei

Heizelementen geringer Wärmekapazität getrennt voneinander beheizt (Abbildung 2.11), wobei die

Vergleichssubstanz wieder einer linearen Aufheizkurve unterzogen ist. Der in kurzen Zeitabständen

(„scanning“) stattfindende Temperaturvergleich zwischen beiden Tiegeln dient als Führungsgröße

eines elektronischen Regelkreises, der durch Änderung der Heizleistung für einen ständigen

Temperaturausgleich sorgt. Probe und Inertsubstanz werden also mit Hilfe regel- und messbarer

Wärmeströme stets auf der gleichen Temperatur gehalten: ∆T = TPr - TI = 0. Die DSC ist deshalb ein

Energiemessverfahren und trägt quantitativen Charakter.

15

Abbildung 2.11: Schematische Darstellung einer Differential-Scanning-Calometry (Quelle: verändert nach [1]).

Dieses Grundprinzip lässt sich mit verschiedenen experimentellen Varianten umsetzen, von denen im

Folgenden zwei vorgestellt werden sollen: Heat-Flux und Power-Compensation. Bei der Heat-Flux-

DSC befinden sich Probe und Inertsubstanz in einem gemeinsamen Ofenraum bzw. sind sogar auf

einer gemeinsamen Metallscheibe angeordnet (Abbildung 2.12). Ausgewertet wird hier die ∆T-TI-

Kurve, aus der sich durch Integration die Enthalpieänderung (Wärmestrom) berechnen lässt, über die

dann das Temperaturmanagement der Anlage geregelt wird.

Abbildung 2.12: Schematische Darstellung einer Heat-Flux-DSC (Quelle: verändert nach [8]).

Beim Prinzip der Power-Compensation-DSC befinden sich Probe und Referenz in thermisch isolierten

Öfen (Abbildung 2.13). Hier wird das Ziel der gleichmäßigen Aufheizung über die Regulierung der

Leistung beider Öfen erreicht. Die dafür notwendige elektrische Leistung wird als Funktion der

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Temperatur aufgezeichnet. Bei der Entscheidung für eine dieser Varianten stehen sich wieder die

Faktoren Empfindlichkeit und Auflösungsvermögen gegenüber (vgl. Abschnitt 2.4.2).

Abbildung 2.13: Schematische Darstellung einer Power-Compensation-DSC (Quelle: verändert nach [8]).

Die Auswertung einer DSC-Messung erfolgt analog zur DTA mit dem Tangentenverfahren (vgl.

Abschnitt 2.4.4). Abbildung 2.14 zeigt die Auswertung einer typischen DSC-Messung eines Glases,

wobei hier bereits eine Basislinienkorrektur durchgeführt wurde.

Abbildung 2.14: Auswertung einer DSC-Messung eines Glases mit dem Tangentenverfahren (Quelle: [7]).

Die Basislinie ist der sich ergebende Kurvenverlauf, wenn beide Tiegel der Anlage leer sind. Sie wird

hauptsächlich von den in Abschnitt 2.4.2 diskutierten gerätespezifischen Parametern bedingt und kann

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zur Minimierung derartiger Einflüsse von der Messkurve abgezogen werden. Die Gefahr einer

Fehlinterpretation von gerätespezifischen Kurvenverläufen kann somit reduziert werden.

2.6 Dilatometrie (DIL)

Die Längenänderung eines Festkörpers bei Temperaturänderung wird über den thermischen

Ausdehnungskoeffizienten charakterisiert. Dieser ist ein relativer Wert, der angibt, um den wievielten

Teil seiner Länge sich ein Stoff ändert, wenn die Temperatur von einem beliebigen Ausgangswert um

einen Kelvin steigt:

� = 1∆� ∗

∆���

(2-4)

α - Längenausdehnungskoeffizient ∆T - Temperaturdifferenz ∆l - Längenänderung l0 - Ausgangslänge

Unter dem Volumenausdehnungskoeffizient ß versteht man (bei Annahme von isotropen

Eigenschaften) den dreifachen Wert des Längenausdehnungskoeffizienten (ß = 3α). Eine anisotrope

Ausdehnung kann jedoch nur als Tensor beschrieben werden [9].

Die thermische Ausdehnung von festen Körpern ist bei gleicher Temperaturerhöhung weitaus geringer

als bei einer Flüssigkeit oder eines Gases gleicher Zusammensetzung, da die Teilchen (Atome, Ionen,

Molekülverbände) an feste Gitterplätze gebunden sind. Die Absolutwerte der thermischen

Ausdehnung von Feststoffen liegen daher in aller Regel lediglich bei 10-5 bis 10-7 K-1. Wird die

Auslenkung in einem Festkörper größer als die maximale Bindungslänge, werden die Teilchen von

ihrer Gleichgewichtslage entfernt und der Stoff schmilzt.

Die Messung der thermischen Ausdehnung erfolgt mit Dilatometern. Da sich die Erfassung des

Volumens von Festkörpern in Abhängigkeit von der Temperatur sehr aufwendig gestaltet, wird unter

Annahme isotroper Eigenschaften nur die Längenänderung gemessen und als repräsentativ angesehen.

Handelsübliches Kalknatronsilikatglas hat einen thermischen Ausdehnungskoeffizienten im Bereich

von 7 ∗ 10-6 K-1. Bei einer gängigen Probenlänge von 25 mm und einer Temperaturdifferenz von 10 K

müssen also Längenänderungen von 1,75 µm registriert werden. Dies kann mit mechanischen,

optischen, elektrischen oder röntgenographischen Methoden erfolgen. Bei der Auswahl der Mess-

technik spielen die Faktoren Probenbeschaffenheit, Messgenauigkeit und Temperaturbereich die

wichtigste Rolle.

In einem Dilatometer wird eine stabförmige Probe in ein Messystem bekannter thermischer

Ausdehnung eingespannt und in einem Ofen aufgeheizt (Abbildung 2.15). Die Aufzeichnung der

Längenänderung als Funktion der Temperatur f(T) erfolgt bei modernen Dilatometern über die

Einkopplung in ein mechanisches Sensorsystem (engl. Linear Variable Differential Transformer

18

LVDT), dass über das Prinzip des Differentialtransformators funktioniert (Abbildung 2.16). Ein

LVDT besteht in der Regel aus einer Primärspule und zwei Sekundärspulen, wobei sich die

resultierende Spannungen in den Spulen in der Ausgangslage des Weicheisenkerns zu null addieren.

Erfährt das System eine Verschiebung, verändert dies die Kopplungsfaktoren zwischen beiden Spulen,

womit an den Sekundärspulen eine Spannung abgegriffen werden kann.

Abbildung 2.15: Schematische Darstellung eines mechanischen Einzelprobendilatometers. (Quelle: verändert

nach [10]).

Abbildung 2.16: Schematische Darstellung eines Linear Variable Differential Transformer (LVDT). (Quelle:

verändert nach [11]).

Der Temperaturbereich für den Einsatz mechanischer Dilatometer wird im Wesentlichen durch die

thermische Stabilität des Probenhaltermaterials bestimmt, wofür im Regelfall Kieselglas verwendet

19

wird (bis ca. 1000 °C temperaturstabil). Zusätzlich geht die (nicht völlig lineare) Temperaturabhängig-

keit der Ausdehnung des Probenhaltermaterials als zu beachtende Größe ein. Aus diesen Gründen

verwendet man im Bereich von Präzisions- und Hochtemperaturmessungen optische Interferenz-

längenmessyteme (ca. 30 nm Genauigkeit).

Die Methode der Interferenzdilatometrie nutzt das Prinzip des Interferenzkomparators. Hierbei werden

Lichtwegdifferenzen gemessen, die sich durch Interferenz des Lichtes zwischen einer definierten

Wegstrecke (Referenz) und der zu messenden Strecke ergeben. Diese entsprechen dem Abstand bzw.

der Dicke der Probe in der Messanordnung. Das Licht kann dabei sowohl weiß (polychromatisch) als

auch monochromatisch sein (Laser).

Im Folgenden sind verschiedene dilatometrische Messkurven von Gläsern aufgezeigt. Dabei lassen

sich mit Hilfe des Tangentenverfahrens (vgl. Abschnitt 2.4.4) drei charakteristische Größen ermitteln

(Abbildung 2.17): der lineare Ausdehnungskoeffizient α, der Transformationsbereich Tg und der

dilatometrische Erweichungspunkt Td (η = 1011,3 dPas). Ab dieser Viskosität fängt die Probe unter dem

Druck des Stempels an zu fließen und wird entsprechend deformiert, womit die Dilatometer-Kurve

wieder abfällt.

Abbildung 2.17: Auswertung einer Dilatometrie-Messung eines typischen Glases (Quelle: [7]).

Probleme bzgl. Dilatometrie-Messungen von Glas treten vor allem aufgrund von unzureichenden oder

fehlerhaften Kühlprozessen während der Glasherstellung auf. Diese führen zu Spannungen im Glas,

die wiederum eine stark pendelnde Aufheizkurve verursachen (Abbildung 2.18). Zusätzlich können

dabei während der Erwärmung Risse in der Probe entstehen, die sich unter Umständen bis zum Bruch

ausbreiten können (Abbildung 2.19). In beiden Fällen ist eine zuverlässige Bestimmung des

thermischen Ausdehnungskoeffizienten α nicht mehr möglich.

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Abbildung 2.18: Auswertung einer Dilatometrie-Messung eines Glases mit Spannungen (Quelle: [7]).

Abbildung 2.19: Auswertung einer Dilatometrie-Messung einer Probe mit Rissen (Quelle: [7]).

Der genaue Temperaturbereich des Transformationspunktes Tg eines Glases hängt (unter Anderem)

von der Abkühlgeschwindigkeit der Schmelze im Verlauf der Glasherstellung ab. So wird bei einer

hohen Unterkühlungsrate eine Struktur eingefroren und fixiert, die weitlumiger ist als von einem

Glaskörper, der langsamer abgekühlt wurde. Erfolgt im Zuge einer Dilatometrie-Messung die

Wiederaufheizung des Glases, kann es im Transformationsbereich, in dem entscheidende Struktur-

und Eigenschaftsänderungen möglich werden, zur Umordnung von Strukturelementen des Glases in

energieärmere Zustände kommen. Aus diesem Grund kann es im Tg-Bereich zu abweichenden

Kurvenverläufen kommen (SALMANG -Kurven), wenn die Geschwindigkeit des Abkühlens und

21

Wiederaufheizens nicht übereinstimmen (Abbildung 2.20). Für eine detaillierte Betrachtung sei auf

folgende Literatur verwiesen:

- VOGEL, W. (1992): Glaschemie, 3., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Springer-

Verlag Berlin Heidelberg New York.

Abbildung 2.20: SALMANG -Kurven für das gleiche Glas nach unterschiedlicher Unterkühlung der Schmelze: A:

langsam abgekühlt; B: schnell; C: sehr schnell; S: Gleichgewichtsgerade der unterkühlten Schmelze (Quelle:

verändert nach [12]).

2.7 Erhitzungsmikroskop (EHM)

Die Messappartur des Erhitzungsmikroskops besteht im Wesentlichen aus einer optischen Bank

(Stativ), auf der eine Lichtquelle, ein Rohrofen und ein Mikroskop mit angekoppelter CCD-Kamera

im direkten Strahlengang angeordnet sind (Abbildung 2.21). Das Ziel der quantitativen thermo-

optischen Analyse wird mit Hilfe der kontrollierten Aufheizung des Probekörpers und der

temperaturabhängigen Aufnahme von Schattenbildern erreicht.

Damit lassen sich charakteristische Temperaturen wie die Schmelztemperatur und der Temperatur-

bereich von Sinterprozessen bestimmen. Neben einem visuellen Eindruck von Umwandlungs-

vorgängen kann weiterhin über eine Kontaktwinkelmessung an der geschmolzenen Probe die Ober-

flächenspannung berechnet werden. Unter diesen Gesichtspunkten stellt das Erhitzungsmikroskop eine

wesentliche Ergänzung und Erweiterung derjenigen thermischen Analysemethoden dar, die auf die

entsprechenden kalorischen Effekte beschränkt sind. Abbildung 2.22 zeigt eine typische Auswertung

einer EHM-Messung, wobei die Grundlinie, also die Länge der Auflage der Probe auf dem Proben-

halter des Ofens, die Probenhöhe und das Verhältnis aus beiden aufgetragen wurden.

22

Abbildung 2.21: Schematische Darstellung eines Erhitzungsmikroskops (EHM) (Quelle: eigene Grafik).

Abbildung 2.22: Auswertung einer Erhitzungsmikroskopie-Messung (Quelle: [7]).

2. 8 Simultane Thermoanalyse (STA)

Die Kombination mehrerer Methoden der thermischen Analyse in einem experimentellen Aufbau ist

möglich und birgt einige wesentliche Vorteile. Da sämtliche Analysen an nur einer Probe durchgeführt

werden, können (oftmals unbewusste) systematische Fehler bzgl. der Probenpräparation und den

Messbedingungen (z.B. Temperaturmanagement, Empfindlichkeit, Auflösungsvermögen) ausge-

schlossen werden. Die Einzelergebnisse werden damit direkt vergleichbar, was die Aussagekraft

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einzelner thermischer Effekte deutlich erhöht. Zusätzlich kann Probenmaterial eingespart und der

zeitliche Aufwand der Messung entsprechend reduziert werden.

Das üblichste Prinzip der STA ist die Verknüpfung von Thermogravimetrie (TGA) und DSC (vgl.

Abschnitt 2.5), da für eine genaue Enthalpiebestimmung mittels DSC auch immer die zugehörige

Probenmasse erforderlich ist. Das Grundprinzip der TGA besteht in der kontinuierlichen temperatur-

abhängigen Bestimmung der Probenmasse, wobei die messtechnische Ausführung sehr komplex ist.

Zum Einen sind bei der Auswahl einer dem spezifischen Messproblem angepassten Präzisionswaage

(hauptsächlich Balken-, Torsions, oder Federwaagen) die Faktoren Wägebereich, Genauigkeit und

Empfindlichkeit zu berücksichtigen. Zum Anderen spielen weitere Gesichtspunkte wie durch die

Temperaturabhängigkeit der Gasdichte verursachte Auftriebseffekte und die Temperaturmessung am

beweglichen Probentiegel eine wichtige Rolle.

Abbildung 2.23 zeigt die schematische Darstellung einer STA-Anlage, die TGA und DSC kombiniert.

Die Spülung des Probenraumes mit Inertgas verhindert dabei die Korrosion von Tiegel- und

Waagematerial, wenn während der Temperaturbehandlung aggressive Gase freigesetzt werden. Neben

dem hier dargestellten Prinzip sind im Bereich der STA vor allem speziell entwickelte Laboraufbauten

verbreitet, die auf bestimmte Messprobleme zugeschnitten sind. Die STA am Otto-Schott-Institut stellt

z.B. eine Kombination aus DTA, Dilatometrie und der Messung der Ultraschallaufzeit an einer

kompakten Glasprobe dar. Zusätzlich kann über eine Punktmasse eine mechanische Anregung

(Zugkraft) des Prüfkörpers erfolgen, die eine Bestimmung von viskoelastischen Stoffkonstanten

ermöglicht. Eine typische STA-Messung ist in Abbildung 2.24 dargestellt.

Abbildung 2.23: Schematische Darstellung einer STA (TGA + DSC) (Quelle: verändert nach [13]).

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Abbildung 2.24: STA-Messung eines Gelbtones (Quelle: [7]).

2. 9 Fazit

Die Problematik im Umgang mit Messergebnissen der thermischen Analyse besteht darin, dass neben

der Analysesubstanz eine Vielzahl von apparativen Faktoren einen nicht vernachlässigbaren Einfluss

haben. Dies gilt im besonderen Maße, wenn Ergebnisse unterschiedlicher Methoden der Thermo-

analyse oder verschiedener experimenteller Aufbauten miteinander korreliert werden sollen. Eine

Weiterverwendung thermoanalytischer Messungen ist daher nur bei genauer Kenntnis und detaillierter

Dokumentation der Analyseparameter sinnvoll. Aus diesem Grund sind im Folgenden alle sinnvollen

Angaben noch einmal zusammengefasst [1]:

Angaben zur Analysen- und Vergleichssubstanz:

- Name, chemische Formel, chemische Zusammensetzung

- Herkunft der Substanzen, Vorbehandlung, Bildungsbedingungen, chemische Reinheit

- Charakterisierung der Zwischen- und Endprodukte

- Probenmasse

Angaben zum Analysegerät:

- Probenhalter und Anordnung der Messfühler

- Messtelle zur absoluten Temperaturmessung

- Ofenkonstruktion und Temperaturprogrammierung

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- Art und Eichung der Thermoelemente

- Form und Material der Tiegel

- Empfindlichkeit des elektronischen ∆T-Verstärkers

Angaben zum Messvorgang:

- Aufheiz- oder Abkühlgeschwindigkeit

- Beschreibung der Gasatmosphäre (Druck, Zusammensetzung; statisch oder dynamisch)

- Packungsdichte

Angaben zur Auswertung der Messungen:

- Methoden zur Identifizierung eines thermischen Effektes

- Maßstab von Abszisse und Ordinate

- Nullinie des Analysengerätes

- Registriermethode (Originaldiagramm)

3 Durchführung des Praktikums

Zum Praktikumstermin werden die im Otto-Schott-Institut vorhanden Geräte zur thermischen Analyse

vorgestellt und Besonderheiten der experimentellen Aufbauten erläutert. Anschließend bekommt jede

Praktikumsgruppe Messkurven, die mit den vorhandenen Geräten aufgenommen wurden. Diese sind

mit Hilfe des erläuterten Tangentenverfahrens auszuwerten. Neben der Bestimmung charakteristischer

Temperaturen ist der Kurvenverlauf hinsichtlich ablaufender Reaktionen zu interpretieren. Die Diskus-

sion sollte weiterhin mögliche Abweichungen vom theoretischen Kurvenverlauf und anderweitige

gerätespezifische Fehlereinflüsse beinhalten. Das Protokoll ist auf die Auswertung und Diskussion zu

beschränken.

Das Praktikum zur thermischen Analyse endet mit einem Abtestat. Neben einer Diskussion über das

vorgelegte Protokoll sollen messmethodische Grundlagen und zu berücksichtigende Faktoren bei der

Kurvenauswertung erörtert werden. Eine Terminvereinbarung findet nach Protokollabgabe statt.

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4 Quellen

[1] HEIDE, K. (1979): Dynamische thermische Analysemethoden, 1. Auflage. VEB Deutscher

Verlag für Grundstoffindustrie Leipzig.

[2] DIN EN 51005-08 (2005): Thermische Analyse (TA) - Begriffe. Beuth Verlag GmbH, Berlin.

[3] RÜSSEL, C. (2009): Skript zur Vorlesung Glas - Grundlagen.

[4] MÜNSTER, A. (1956): Statistische Thermodynamik, 1. Auflage. Springer-Verlag Berlin,

Heidelberg, New York.

[5] JÄNSCH, D. (2009): Thermoelektrik - Eine Chance für die Automobilindustrie, 1. Auflage.

expert-Verlag, Renningen.

[6] NAGEL, M. (2011): Phasen- und Texturanalyse gerichteter durch elektrochemisch induzierte

Keimbildung hergestellter Fresnoit-Glaskeramiken. Dissertation, Friedrich-Schiller-Universi-

tät, Jena.

[7] ohne Autor (2010): Messungen am Otto-Schott-Institut, Friedrich-Schiller-Universi-tät, Jena.

[8] HÖHNE, G., HEMMINGER, W., FLAMMERSHEIM, H.-J. (1996): Differential Scanning

Calorimetry - An Introduction for Practitioners, 1. Auflage. Springer-Verlag Berlin, Heidel-

berg, New York, Barcelona, Budapest, Hong Kong, London, Mailand, Paris, Santa Clara,

Singapur, Tokyo.

[9] KLEBER, W., BAUTSCH, H.J., BOHM, J. (1998): Einführung in die Kristallographie, 18., stark

bearbeitete Auflage. Verlag Technik GmbH, Berlin.

[10] ohne Autor (2011): Produktprospekt Dilatometer DIL 402 PC. Netzsch-Gerätebau GmbH,

Selb.

[11] http://de.wikipedia.org/wiki/Differentialtransformator; aufgerufen am 18.11.2011, Stand:

10.11.2011.

[12] VOGEL, W. (1992): Glaschemie, 3., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Springer-

Verlag Berlin Heidelberg New York.

[13] ohne Autor (2011): Produktprospekt STA 409. Netzsch-Gerätebau GmbH, Selb.