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Thoras Flucht

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Nr. 22Thoras FluchtPerry Rhodan verfolgt einen Flüchtling - und wird zum Gefangenen der Venusvon Clark Darlton

Die dritte Macht, die das große Erbe der arkonidischen Technik besitzt, wäre zweifellos in der Lage, binnenkurzer Zeit eine politische Einigung der Erde durch Zwang herbeizuführen.Ein solches Tun hält Perry Rhodan jedoch für unklug, denn er inzwischen unsterblich geworden - betrachtet dieDinge bereits von einem anderen Gesichtswinkel als z. B. Thora.Sie, die Arkonidin, hat keine Geduld mehr. Sie will unbedingt wieder Arkon erreichen - und da Perry Rhodan,der erst eine geeinte Erde hinter sich wissen will, bevor er mit Arkon Verbindung aufnimmt, ihr die Heimkehrverweigert, ergreift sie die FLUCHT ...

Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Er ist unsterblich geworden aber auch Unsterbliche sind nicht gegen Kugeln gefeit.Reginald Bull - Perry Rhodans engster Freund und Vertrauter.Thora - Sie hat es satt, noch länger auf die versprochene Rückkehr nach Arkon zu warten.R-17 - Logik ist die Grundlage seiner Existenz.Adams - Der Funker auf Raumstation TERRA II.Son Okura - Sein »Gesichtssinn« macht die Nacht zum Tage.John Marshall - Er entdeckt, daß auch ein Stegosaurus denken kann.Sergeant Rabow - Er hat das Soldatenleben satt.General Tomisenkow - Ein Kommandeur, der Unmögliches erreichen will.

1.

Drei silberblitzende Metallungeheuer reckten sichdrohend in den ewig blauen Himmel des asiatischenFestlandes und schienen mit ihren konischenBugnasen zu den Sternen greifen zu wollen. Sieglichen äußerlich den ersten Raumschiffen, die vonder Erde zum Mond flogen und damit ein neuesZeitalter einleiteten. Aber auch nur äußerlich. Diedrei Schiffe waren in der Raumschiffswerft derDritten Macht entstanden und gehörten zum neuenTyp der »Zerstörer«, vergrößerte Raumjäger mit dreiMann Besatzung. Sie erreichten einfacheLichtgeschwindigkeit, waren mit weitreichendenStrahlgeschützen ausgerüstet und konnten sich inEnergieschirme einhüllen, die keine Macht der Erdedurchbrach.

Die drei Zerstörer waren die ersten Exemplareihrer Gattung und hatten erst einen Probeflug Hintersich. Da keine Mängel festgestellt worden waren,würde die Serienproduktion in der größten Werft derErde bald anlaufen.

Das weite Versuchsgelände der Dritten Macht lageinsam unter der brütenden Hitze derNachmittagssonne. In der Ferne schimmerten dieHochhauskonstruktionen von Terrania, ehemalsGalacto-City genannt, der künftigen Hauptstadt einervereinten Erde. Links lag die Werft, ein riesiger undunübersichtlicher Komplex aus langgestrecktenHallen und einzelnen Kuppelbauten.

Mechanisch und regelmäßig patrouillierten die

Wachen um die drei Zerstörer. Sie sahen nicht nachrechts oder links, so als wüßten sie, wie sinnlos ihrDienst hier sei. Niemand konnte unbemerkt bishierher vordringen. Auf dem Gebiet dieser Werft gabes keine Unbefugten, dafür sorgten schon dieelektronischen Absperranlagen.

Die Wachen trugen keine Uniform. IhreBekleidung bestand aus einem merkwürdigmetallischen Stoff, der in der Sonne silbern blitzte.Und ihre Augen waren keine organischen Augen,sondern Kristallinsen. Sie waren keine Menschen,sondern Roboter.

Ohne gefühlsmäßige Reaktion befolgten sie denBefehl, die drei neuen Raumschiffe zu bewachen.Niemand hätte zu sagen vermocht, ob in ihrenpositronischen Gehirnen Verwunderung darüberherrschte, daß sie auf jemand aufpassen sollten, derniemals kommen konnte.

Nach rechts erstreckte sich bis zum Horizont diespiegelglatte Fläche des Goshun-Salzsees. Von dieserSeite aus drohte die geringste Gefahr, denn der Seelag inmitten des Sperrgebietes.

Und doch war die Ruhe trügerisch. Während sichdie gesamte Menschheit darauf vorbereitete, denzehnten Jahrestag des ersten Mondfluges zu begehenund es kaum einen Menschen gab, der jetzt nicht wiegebannt auf den Bildschirm seines Fernsehgerätesstarrte, hatte sich jemand anderer entschlossen, nunendlich gewissen Versprechungen keinen Glaubenmehr zu schenken und zu handeln.

Vom Süden her näherte sich dem Versuchsgeländeein Wagen.

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Die glatte Betonpiste war staubfrei und sauber.Das Fahrzeug glitt mit hundert Stundenkilometerndahin und verringerte seine Geschwindigkeit auchnicht, als die erste Sperre in Sicht kam. DieElektronenabtaster überprüften das Fahrzeug undseine Insassen - und gaben die Fahrt frei.

Die zweite und dritte Sperre reagierten genauso.Das Auto, ein schnittiges Sportmodell, hielt

geradewegs auf die drei Raketen zu undverlangsamte sein Tempo. Zwei der Robotwachenhatten den Kurs ihrer mechanischen Rundgängeverändert und näherten sich dem Wagen. Ihre linkenArme waren merkwürdig angewinkelt, aber niemandhätte die darin verborgene Strahlenwaffe erkennenkönnen. Der geringste Impuls würde genügen, diescheinbar harmlosen Metallgeschöpfe inenergiespeiende Todesmaschinen zu verwandeln.

Aber der Impuls kam nicht.Die elektronischen Abtaster erfaßten das

Gehirnmuster des Menschen, der dem Autoentstiegen war, und registrierten es als »genehmigt«.Es hatte die geforderten Befugnisse. Die beidenRoboter ließen ihre Arme sinken und gaben den Wegfrei. Mit einem spöttischen Lächeln, so wenigstensschien es, schritt der Unbekannte an denMaschinenmenschen vorbei und blieb wenige Metervon ihnen entfernt stehen.

Da standen sie, die drei startbereitenKleinraumschiffe. Mit ihrer Höhe von dreißig Meternwaren sie immer noch Giganten - mit irdischenMaßen gemessen. In ihrem Innern ruhten gewaltigeEnergiereserven und phantastische Triebwerke, diekein menschliches Gehirn erdacht hatte. Mit diesenSchiffen konnte man das Sonnensystem in wenigenStunden durchkreuzen, und wenn man wollte, konnteman damit auch in viereinhalb Jahren den nächstenStern erreichen.

Die Roboter nahmen ihre unterbrocheneWachrunde wieder auf. Der Unbekannte - seinGehirnmuster - bedeutete keine Gefahr improgrammgemäßen Sinn. Er durfte passieren. Ja, erdurfte sogar noch viel mehr, ohne dieGefahrenimpulse der positronischen Gehirneauszulösen.

Lange stand die hochgewachsene Gestalt desMenschen in der Einsamkeit der Wüste undbetrachtete sinnend die drei Schiffe. Dieenggearbeitete Uniform betonte die schlanke Figur,und wenn man genauer hinsah, konnte man erkennen,daß der Unbekannte - eine Frau war. Eine Mützeverbarg das lange, helle Haar, das in der Sonne fastweiß schimmerte. Die rötlichen Augen verrietenEntschlossenheit.

Aber auch eine leicht verhüllte Trauer.Mit einem letzten Blick umfaßte die Frau ihre

Umgebung - den nahen Salzsee, die riesige Werft

und die ferne Stadt Terrania -, ehe sie sich erneut inBewegung setzte und langsam auf das nächste derdrei Raumschiffe zuschritt.

Es war der Zerstörer C, kurz ZC genannt.Die Einstiegsluke von ZC war geschlossen, aber

eine schmale Metalleiter führte zu ihr hinauf. AmFuße dieser Leiter stand einer der Roboter. Er rührtesich nicht, als die Frau näherkam und vor ihmanhielt. Der linke Arm hing reglos nach unten. In denLinsen aus Kristall war ein totes Blinken.

»Begib dich an deinen Platz, R-17«, sagte die Frauin einer harten, unbekannten Sprache und las dieBezeichnung des Roboters von dem kleinen Schildauf der Brust ab. »Wir starten zu einem Probeflug.«

Der Roboter rührte sich immer noch nicht.»Es liegt kein Befehl zu einem solchen Probeflug

vor«, antwortete er statt dessen in der gleichenSprache.

Die Frau machte eine unwillige Bewegung.»Ich befehle es dir, ich, Thora von Arkon.«R-17 reagierte nicht in der gewünschten Form.»Der Befehl Perry Rhodans steht höher, Thora.«In den Augen der Frau funkelte Ärger. Es war, als

schossen die roten Pupillen feurige Blitze gegen denwiderspenstigen Roboter ab.

»Perry Rhodan ist ein Mensch, R-siebzehn, ich bineine Arkonidin. Mein Befehl gilt mehr als derRhodans.«

»Auch mehr als der Crests?« Für einen Augenblickzögerte die Frau, dann warf sie unwillig den Kopf inden Nacken. »Crest steht unter dem Einfluß Rhodans- er zählt also nicht. Warum fragst du?«

»Weil Crests Anordnung lautet, daß wir uns allenBefehlen Rhodans zu unterwerfen haben, wie immersie auch lauten. Wir können daher nicht gegen seineBefehle handeln. Das ist doch logisch, oder?«

Die Frau überlegte einige Sekunden, dann nicktesie langsam.

»Ja, das klingt logisch. Du handelst immer logisch,R-siebzehn?«

»Logik ist die Grundlage meiner Existenz.«»Gut«, sagte die Frau und betrachtete sinnend die

fast menschlichen Züge des Roboters. »Dannbeantworte mir einige Fragen.«

»Gern, Thora von Arkon.«»Hat Perry Rhodan einen weiteren Probeflug von

ZC ausdrücklich verboten?«»Nein.«»Hat er weiter verboten, daß ich einen solchen

Probeflug unternehme?«»Nein.« Sie nickte befriedigt. »Handelst du also

gegen ein Verbot, wenn du dieses Schiff zur Venussteuerst - um ein Beispiel zu nennen?«

»Bedingt - nein.«»Na also«, atmete Thora befreit auf. »Dann brichst

du auch keine Regel, wenn du tust, was ich dir sage.«

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Es schien, als mache R-17 ein bedenklichesGesicht.

»Ich habe aber keinen Befehl von Rhodan zudiesem Flug erhalten.«

»Ist das notwendig?« Thora war offensichtlicherstaunt. »Du erhältst ihn ja jetzt von mir. Und es istdir doch nicht verboten worden, Befehle von miranzunehmen - oder doch?«

»Nein.«Thora lächelte. Das Lächeln hatte keinen Einfluß

auf die Psychoregionen des Roboters, wohl aber diezwingende Logik ihrer Frage. »Nein, es ist nichtverboten.«

»Dann können wir also starten?« R-17 zögerteimmer noch. Soweit es überhaupt möglich war,konnte ihm nicht besonders wohl in seinermetallischen Haut sein. Aber er fand auch keinlogisches Gegenargument, um Thoras Forderungrundweg abzulehnen. Die Frau war eine Angehörigejener Zivilisation, die ihn erbaut hatte. Rhodan warnur ein Bewohner dieses Planeten, den man Terranannte - wenn auch ein besonders ausgezeichnetesExemplar dieser Bewohner. Thora stand R-17 näherals Rhodan, wenn er auch durch CrestsKonditionierung gezwungen worden war, ihm zugehorchen. Und er würde diesen Befehl zumGehorsam niemals mißachten. Er würde es auch nichtkönnen, ohne einen ihn völlig vernichtendenKurzschluß herbeizuführen.

Wenn er jedoch Thora gehorchte, handelte er nichtdirekt gegen Rhodans Befehle. Er begab sich alsonicht in Gefahr. Er nickte.

»Ja, wir können starten. Die Anordnung lautet, daßkein Fremder sich diesem Schiff nähern darf. Thoravon Arkon ist kein Fremder.«

»Gut, dann wollen wir keine Zeit verlieren. Setzeden Kurs auf den Planeten Venus und starte, soschnell es dir möglich ist. Ich möchte erproben, wieschnell man von hier im Notfall unseren Stützpunktauf dem zweiten Planeten dieses Systems erreichenkann.« Sie wartete ungeduldig, bis der Roboter einwenig schwerfällig an der Leiter emporkletterte undden Einstieg öffnete. Erst als er in der Luftschleuseverschwunden war, folgte sie hastig. Ein Knopfdruckließ die schwere Außenluke zuschwenken. DerAntigravlift brachte R-17 und sie in wenigenSekunden zum Bug des Zerstörers hoch, wo dieZentrale lag.

Die Schwenksitze nahmen sie auf. Noch währendder Roboter den Kurs errechnete, summte der Antriebauf und erwärmte sich. Irgendwo im Innern von ZCbegann der Reaktor zu arbeiten und erzeugte dieunvorstellbaren Energien, die dazu nötig waren, dasSchiff gegen die Schwerkraft von der Erdeabzuheben und später mit Lichtgeschwindigkeitdurch den Raum zu treiben. Automatisch schalteten

sich die künstlichen Schwerkraftfelder ein, die jedenAndruck neutralisierten. Der ganze komplizierteMechanismus einer unvorstellbaren Technik lief an.

Thora wartete. Sie wußte, daß sie es geschaffthatte. Es konnte nur noch Minuten dauern, dannwürde sie diesen verhaßten Planeten als blaue Kugelim Meer der Unendlichkeit versinken sehen. DieVenus würde nur eine Zwischenstation sein, denn eswar heller Wahnsinn, mit einem nur lichtschnellenSchiff die Heimat erreichen zu wollen, die mehr als30000 Lichtjahre entfernt war. Auf der Venus abergab es die Hyperfunkstation, und es würde sicherlichmöglich sein, mit ihrer Hilfe eines der Schiffe vonArkon herbeizurufen.

R-17 nickte ihr zu. »Es ist soweit, wir starten.Achten Sie auf den Bildschirm, damit Sie dieFähigkeiten von ZC kennenlernen. Rhodan hat dieAnwendung der Maximalgeschwindigkeitenausdrücklich verboten und nur für den Notfallerlaubt, trotzdem werden wir die Venus im Verlaufvon knapp anderthalb Stunden erreichen können. Siesteht auf der anderen Seite der Sonne.«

»Entfernung?«»Zweihundertachtunddreißig Millionen

Kilometer.«»Wie schnell dürfen wir fliegen?«»Dreiviertel der Lichtgeschwindigkeit.«Sie gab keine Antwort und wartete. R-17 griff

nach einem Hebel und zog ihn vor. Nichts schien zugeschehen, aber das Bild auf dem Schirm verändertesich rapide.

ZC startete ohne Verwendung desImpulstriebwerks. Die Antigravprojektoren hoben dieErdanziehung auf, und Abstoßfelder bewegten dieschwerelos gewordene Masse des Raumschiffes.

Der Boden sackte urplötzlich unter dem Schiffweg und fiel in eine Unendlichkeit hinein. Rasendschnell flogen scheinbar von allen Seitengleichmäßig Gebäude, Straßen, Flüsse, Gebirge undWüsten dem Zentrum des Startplatzes zu, und dasBlickfeld erweiterte sich, bis das Gelände plötzlichabsank und eine dunkelviolette Fläche sichtbarwurde.

Das Weltall!In weniger als zwei Minuten hatte der Zerstörer die

Atmosphäre der Erde durchstoßen. Unaufhaltsamjagte er in den Raum.

Für einen Augenblick glaubte Thora rechts in derEcke des Schirmes einen blitzenden Punkt zuerkennen, der aber sofort wieder verschwunden war,ehe sie sich Gedanken darüber machen konnte. Dannerblickte sie die durch Filter stark abgeschwächteSonne fast in Flugrichtung.

Die Erde selbst wurde zu einem Globus, der sichfriedlich durch den Sternenhimmel drehte, kleinerund kleiner wurde, bis er nur noch ein sehr hell

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leuchtender Stern war.Thora seufzte auf. Sie sah hinüber zu dem

Robotpiloten. R-17 erwiderte den Blick.»Ein feines Schiff«, sagte er anerkennend.»Ja, ein feines Schiff - aber nicht fein genug für

das, was ich plane, R-17.«Der Roboter stellte keine Fragen. Schweigend

richtete er den Kurs ein, korrigierte und berechnete.Die Sonne war bedrohlich nahe ...

*

Seit Jahren bereits kreiste die bemannteRaumstation um die Erde.

Zusammen mit zwei anderen hatte sie die Aufgabe,ein weltweites Televisionsnetz zu erhalten. Alle dreiStationen schwebten in einer solchen Höhe, daß ihreUmkreisungsgeschwindigkeit der Erdrotation genauglich, so, daß sie ständig über dem gleichen Punktder Oberfläche standen.

Funker Adams war sich seiner Verantwortungdurchaus bewußt, als er die Verbindung mit denanderen beiden Stationen herstellte, um die Sendungvon »Terra-Television« einzuleiten.

Heute vor zehn Jahren war von Amerika aus dieerste bemannte Raumschiffexpedition unter demKommando des bis dahin völlig unbekannten MajorsPerry Rhodan gestartet. Die STARDUST - so hießjenes erste Raumschiff, landete auf dem Mond, fanddort die gescheiterte Raumexpedition der Arkonidenund kehrte mit deren Kommandanten, Crest, zur Erdezurück. Damit, das wußte auch Adams, hatte dieganze Geschichte begonnen.

Er wußte aber auch, daß sie noch lange nicht zuEnde sein würde.

Der Kollege auf Station II bestätigte Kontakt.Station 1 folgte Sekunden später. Adams rief dieErde. Die große Funkstation in Terrania meldete sich.Die Sendung, die von der ganzen Welt gehört undgesehen werden sollte, konnte beginnen.

Funker Adams lehnte sich bequem in seinen Sesselzurück. Er hatte nicht mehr viel zu tun, denn alle?weitere erfolgte automatisch. Immerhin würde er sichdiese Sendung nicht entgehen lassen. Perry Rhodanselbst würde zur Menschheit sprechen.

Auf dem Monitor erschien ein wirbelnderSternhaufen und formte sich zu dem bekannten Bildder Milchstraße, das langsam rotierend im Nichtsschwebte.

Das Erkennungsbild von Terrania, Hauptstadt derDritten Macht.

Dann erschien das Gesicht eines Mannes. Es warscharf und markant. Die tiefen Falten in seinemGesicht und um den Mund ließen ihn ältererscheinen, als er sein mochte.

»Hier spricht Oberst Michael Freyt aus Terrania.

Anläßlich unseres Nationalfeiertages derzehnjährigen Wiederkehr des ersten bemanntenFluges zum Mond spricht zu Ihnen: Perry Rhodan,Präsident der Dritten Macht und Freund derArkoniden. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.«

Das Gesicht verschwand und wurde durch einanderes ersetzt. Die Simultanübersetzungsanlagenschalteten sich knackend ein. Perry Rhodans Wortewürden, noch während sie ausgesprochen wurden, injede Sprache der Welt übersetzt werden.

Eigentlich seltsam, dachte Funker Adamsnachdenklich, wie groß die Ähnlichkeit zwischendiesem Freyt und Rhodan ist. Sie könnten fast Brüdersein. Die gleiche hagere Gestalt, die gleichenstahlgrauen Augen und scharfen Falten um Mundund Nase. Sogar der gleiche, zielbewußte Blick!Aber Rhodan ist jünger - oder täusche ich mich? Ermüßte doch schon 45 Jahre alt sein, er sieht aus wie38. Möchte wissen, wie er das macht. Die Uniformsteht ihm gut. Nun ist es bald zehn Jahre her, daß ersie mit der Uniform des amerikanischenRisikopiloten vertauscht hat. Ziemlich turbulenteGeschichte war das damals ...

Aber Adams versäumte leider die ersten WortePerry Rhodans, denn eine Alarmglocke schrilltedurch die Funksteuerzentrale und schreckte ihn ausseinen Erinnerungen hoch. Mit einem Satz war er ausdem Sessel und raste zur Tür.

Alarm auf der Station bedeutete stets eine Gefahr.Aber es war nicht so schlimm. Der wachhabende

Beobachtungsfunker hatte mit Hilfe der Radaranlageein nicht gemeldetes Objekt bemerkt, das mitungeheuerlicher Geschwindigkeit dicht an der Stationvorbeigeflogen und in Richtung Mond verschwundenwar. Offensichtlich war es von der Erde gekommen.

»Nicht gemeldet?,« dehnte Adams seine Wortezweifelnd. »Haben Sie in Terrania angefragt?«

»Noch nicht.«»Dann aber dalli!« empfahl Adams und tröstete

sich damit, daß auch die interessantesten Vorträgestets mit langweiligen Einleitungen begännen. Erwürde sicher nicht viel versäumen, wenn er nochwartete.

Die Antwort von Terrania kam sofort.»Hier ist kein Schiff gestartet. Geben Sie Daten.«Daten geben war gut. Das Schiff, wenn es ein

solches gewesen war, war so schnell vorbeigehuscht,daß nicht viel festzustellen war. Der automatischlaufende Film konnte vielleicht helfen. Er kamgerade aus dem Entwickler.

Die Aufnahme ergab ein Schiff von dreißig MeterLänge und geringem Durchmesser. Etwa wie einTorpedo sah es aus. Geschwindigkeit; nichtfeststellbar, aber sicher mehr als 100 sek/km.

Adams schüttelte den Kopf, während sein Kollegedie Daten durchgab. Wenn es überhaupt ein solches

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Schiff gab, dann konnte es nur in dengeheimnisvollen Werften Perry Rhodans entstandensein, von denen man nur wenig wußte. Man wußtehöchstens, daß...

Die Antwort aus Terrania war überraschend:»Versuchen Sie sofort, von der Mondstation weitereDaten zu erhalten. Wichtig ist der voraussichtlicheKurs des Schiffes. Auch sind wir an der Feststellungder Geschwindigkeit interessiert, die es in der Nähedes Mondes aufwies. Danke für Ihre Hilfe. Wirwarten auf weitere Meldungen und stellenunsererseits Nachforschungen an.« Das war alles.Der Radarfunker sah Adams an. »Nun, was sagen Siedazu? Merkwürdige Sache, nicht wahr?« Adamsnickte langsam. »Alles, was mit diesem Rhodanzusammenhängt, ist merkwürdig. Ich möchte wissen,ob das Schiff gegen seinen Willen gestartet ist.«

Er wandte sich um und kehrte in seinenDienstraum zurück, ohne sich weiter um daserstaunte Gesicht seines Kollegen zu kümmern.

Er kam gerade richtig, um Perry Rhodan auf demBildschirm sagen zu hören: »... schufen wir also mitHilfe der Arkoniden die Dritte Macht, der es bisherstets gelungen ist, alle Konflikte zwischen denMachtblöcken der Erde zu schlichten. Nach denVorkommnissen des letzten Jahres können wir denöstlichen Block nicht mehr als Weltmacht zählen undmüssen damit rechnen, daß er kurz über lang von derAsiatischen Föderation annektiert wird. Da die AFjedoch mit dem Westblock in gutem politischenEinvernehmen steht, dürfte damit der Gedanke einergemeinsamen Weltregierung näherrücken.

Sie alle wissen, meine Mit-Terraner, daß dieWeltregierung zu meinen politischen Zielen gehört.Als die auf dem Mond gestrandeten Arkoniden trotzihrer ungeheueren technischen Mittel auf die Hilfeder Erde angewiesen waren und sich mit unsverbündeten, erhielt ich die Macht in die Hände, eineWeltregierung auch mit Gewalt durchzusetzen. Ichhalte diese Methode jedoch für falsch. Freiwillig undorganisch gewachsen soll sich diese Weltregierungbilden und Sie können mir glauben, es wird inabsehbarer Zeit geschehen. So wie die einzelnenNationen ihren kleinlichen Stolz ablegen mußten, umsich der östlichen oder westlichen Föderationanzuschließen, so werden eines Tages die beidengroßen Machtblöcke einsehen müssen, daß nur einegeeinte Erde eine geschichtliche Rolle in der Galaxisspielen kann.

In den vergangenen zehn Jahren wurde vielerreicht. Dank der technischen Unterstützung derArkoniden, selbst Herrscher über ein gewaltigesSternenimperium, mehr als dreißigtausend Lichtjahreentfernt, ist es uns gelungen, im Rahmen der DrittenMacht eine Raumflotte aufzubauen, die unserenPlaneten gegen Angriffe von außen verteidigen kann.

Wir unterhalten bereits mit einer außerirdischenKultur wirtschaftliche Beziehungen. Es ist vor Jahrenschon gelungen, eine Invasion aus dem Weltallabzuwehren. In der Wüste Gobi entstand diemodernste Metropole der Welt: Terrania, vorherGalacto-City genannt. Die Erde ist somit aus ihreralten Isolierung herausgerückt und zu einem Faktorgeworden, den selbst die Arkoniden nicht übersehenkönnen wenn sie die Erde erst einmal entdecken.

Damit komme ich zu einem Punkt, den ich in allerÖffentlichkeit erwähnen möchte. Es gibt nur zweiArkoniden, die von der Existenz der Erde wissen:Crest, der ehemalige wissenschaftliche Leiter der nunals verschollen geltenden Expedition, die wir auf demMond fanden, und die Kommandantin jenerExpedition - Thora. Ich habe es bis heute erfolgreichverhindern können, daß diese beiden ArkonidenVerbindung mit ihrem Heimatstern Arkonaufnahmen. Und zwar aus einem ganz einfachenGrund: Wenn die Arkoniden auf Arkon von der Erdeerführen, würden sie größten Wert darauf legen,unseren Planeten ihrem Imperium einzuverleiben,denn in ihren Augen sind wir unterentwickelt undbedürfen politischer und technischer Unterstützung.

Crest und Thora versprachen, so lange mit derRückkehr nach Arkon zu warten, bis die Erde bereitsei, die Arkoniden zu empfangen. Das aber kann nurdann der Fall sein, wenn die Abordnung desarkonidischen Reiches eine starke und geeinte Erdevorfindet. Die Erde kann aber nur dann geeint sein,wenn es eine Weltregierung gibt. Sie werden alsoverstehen, wenn ich diesem Problem meinebesondere Aufmerksamkeit zuwende.

Die Dritte Macht ist seit Jahren damit beschäftigt,alle Vorbereitungen zur Errichtung derWeltregierung zu treffen. Unsere unvorstellbareArkonidentechnik wird eines Tages allen Nationender Erde zur Verfügung gestellt werden. Die von mirgegründete General Cosmic Company ist zweifelloszum größten wirtschaftspolitischen Machtfaktorunserer Welt geworden. Die GCC kontrolliert dieProduktion der Erde, wenn ich so sagen darf. Wirbestimmen die Währungen. Und ich darf andeuten,daß die GCC eines Tages auch die neueWeltwährung einführen wird - sie hat die Mitteldazu.

Es wird nur an Ihnen und Ihren Regierungenliegen, wann es soweit ist. Der Tag X darf nicht mehrfern sein, aber ich werde es vermeiden, Gewaltanzuwenden, wenn es mir auch leichtfallen würde -und ich wiederhole es noch einmal - dieWeltregierung durchzusetzen.

Lange aber kann ich nicht mehr warten, aus demganz einfachen Grund, weil Crest und Thora drängen,ihre Heimat wiederzusehen. Ich kann mich nichtmehr lange diesem berechtigten Wunsch widersetzen,

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denn ich bin den Arkoniden im Namen derMenschheit zu Dank verpflichtet. Ohne sie stündenwir noch heute an der Schwelle zur Raumfahrt undmüßten froh sein, wenn wir zehn Jahre nach demersten Mondflug die ersten Raketen zur Venusgeschickt hätten. Ihnen steht also nur noch eine sehrbeschränkte Zeit zur Verfügung, sich einig zuwerden. Sobald aber die Weltregierung gebildet ist,werden wir Arkon begegnen können - und damiteiner Herausforderung, die eine ganze Milchstraße anuns herantragen wird.

Lassen Sie mich nun schildern, wie ich mir eineWeltregierung vorstelle ...«

Funker Adams streckte die Füße weiter von sich.Die Einzelheiten dieser geplanten Weltregierunginteressierten ihn weniger. Sicher, der Gedanke warnicht übel, aber ob die Politiker der beidenMachtblöcke damit einverstanden waren, blieb eineandere Frage. Nur allzu gut hatte der Aufstand desOstblocks gegen Rhodan bewiesen, wie wenig mandamit zufrieden war, die technische Überlegenheitder Dritten Macht anerkennen zu müssen. Nun, dieMilitärs des Ostblocks hatten auf der Venus eineentscheidende Niederlage erlitten. Die dortgelandeten Armeen hatten sich in den Sümpfen undDschungeln des jungfräulichen Planeten verirrt undwaren verschollen. Rhodans Stützpunkt aber hattejeden Angreifer automatisch mit positronischgesteuerten Waffen zurückgewiesen.

Adams seufzte. Vielleicht wußte sein Radarkollegeschon etwas Neues über das geheimnisvolle Schiff.Er hörte einen Augenblick zu und stellte fest, daßRhodan gerade die Verteilung der bestehendenRaumjägerflotte an die Weltregierung projektierte,stand auf und begab sich in die Radarzentrale. Erkam gerade richtig. Auf dem Verbindungsbildschirmmit Terrania war das aufgeregte Gesicht eines etwaskorpulenten Mannes zu sehen, der nach Luftschnappte. Wie ein Fisch auf dem Trockenen,konstatierte Adams flüchtig. Dann aber überlegte er,wo er den Mann schon mal gesehen hatte. Ja, zumDonnerwetter, war das nicht Reginald Bull, RhodansFreund und Begleiter auf dem ersten Mondflug vorzehn Jahren, jetziger Sicherheitsminister der DrittenMacht?

Er betrachtete das Gesicht näher, als er die Türhinter sich zuzog.

Der Bildschirm gab es naturgetreu,dreidimensional und farbig wieder.

»Beeilen Sie sich gefälligst, Sie lahme Ente!«keuchte Bull wütend. »Ich benötige den Kurs desSchiffes, das Sie beobachten konnten. Hat denn dieMondstation noch nicht geantwortet?«

»Traf eben ein«, knurrte Adams Kollege gelassenund zog einen Zettel zu sich heran, um einen Blickdarauf zu werfen. »Warum ist denn die Aufregung so

groß? Durfte das Schiff etwa nicht starten?«»Das geht Sie einen ...« Reginald Bull

verschluckte sich fast, als er seinen sovielversprechenden Satz abrupt abbrach. Sachlichsagte er: »Sie werden das noch früh genug erfahren.Die Angaben, wenn ich bitten darf.«

»Das Schiff wurde von den Anlagen auf demMond ertastet und geortet, obwohl dieGeschwindigkeit bereits beträchtlich war. Der Kurswar keiner Änderung unterworfen. Das Schiff hältungefähr auf die Sonne zu.«

»Auf die Sonne?« japste der Mann auf demBildschirm, den seine Freunde meist nur Bullynannten. »Was will das verrückte Weib denn auf oderin der Sonne?«

»Wer?« horchte der Radarfunker auf. Bully winkteab. »Soll sie meinetwegen dort braten, bis sie endlichgenießbar wird, dieser Eisblock! Sonne!« DerRadarfunker grinste. »Darf ich Sie daraufaufmerksam machen«, sagte er, »daß in RichtungSonne nicht nur die Sonne ist.«

»Wie meinen Sie das?« brüllte Bully erbost, umden Bruchteil einer Sekunde darauf plötzlich sehrblaß zu werden. Wie durch ein Wunder verflüchtigtesich seine rote Gesichtsfarbe und wurde zu einemetwas schmutzigen Grau. »Nicht nur die Sonne ...?Verdammt, Sie haben recht! Warum haben Sie dasnicht gleich gesagt. Danke für Ihre Nachricht - ichwerde mich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen.«

»Sagen Sie mir, was los ist!« flehte derRadarfunker verzweifelt, aber der Schirm war schonwieder dunkel geworden. Bully hatte sich auf seineWeise empfohlen. Adams zuckte die Achseln.»Nimm es nicht so tragisch, John. Dieser ReginaldBull soll ein ganz merkwürdiger Vogel sein.«

Der Radarfunker ging nicht darauf ein.»Was mag das nur für ein Schiff gewesen sein, das

ich sah? Sein Start muß allerhand Staub aufgewirbelthaben.«

»Weniger das Schiff«, spielte Adams denPropheten. »Ich glaube, es war wohl mehr diese Frau,von der Bull sprach, die den Staub aufgewirbelt hat.Kein Wunder, das Schiff ist ja auch in der Gobigestartet.«

»Blöder Witz!« kommentierte der Radarfunkerwütend. »Wenn ich die Wirklichkeit nur ahnenkönnte, wäre eine Menge Geld zu verdienen. Ichwüßte da eine Zeitung ...«

Adams zog die Stirn kraus und kehrte in seineeigene Zentrale zurück. Die Übertragungfunktionierte noch einwandfrei, und er ließ sichberuhigt in seinem Sessel nieder. Perry Rhodansprach noch immer.

»... leben wir heute, am 19. Juni 1981, nicht mehrin dem Irrtum, die einzigen Intelligenzen imUniversum zu sein. Wir sind nicht allein, im

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Gegenteil. Wir befinden uns in der Lage vonBewohnern einer einsamen Insel im Pazifik, die sichbisher für die einzigen Bewohner der Erde hieltenund nun feststellen müssen, daß sie von riesigenKontinenten mit Millionen von Menschen umgeben,ja eingeschlossen sind. Was wäre natürlicher fürdiese Menschen, als sich zusammenzuschließen, ihrekleinlichen Streitereien zu vergessen und geeint demUnbekannten entgegenzutreten?«

Perry Rhodan machte eine Pause. KeinemZuschauer auf der ganzen Erde fiel diese Pause auf,denn kein Mensch spricht ununterbrochen. AberAdams weilte ja nicht auf der Erde, sondern in derRaumstation Nr. III. Außerdem wußte er von demgeheimnisvollen Schiff, das so große Aufregungbeim Sicherheitsminister der Dritten Machthervorgerufen hatte. Und schließlich und endlichwußte er auch, daß Rhodan über ein Mutantenkorpsverfügte, in dem sich unter anderem vorzüglicheTelepathen befanden.

Zu all diesem kam, daß Adams über eineausgezeichnete Kombinationsgabe verfügte.

Man würde Rhodan nicht so einfach von denFernsehkameras wegholen können, wenn er zu derWelt sprach. Aber man mußte ihn von demVorgefallenen unterrichten, wenn es wichtig war.Und, daß es wichtig war, hatte Bulls Benehmenbewiesen. Also ...

Nein, es war wahrhaftig nicht schwer für FunkerAdams, die Zusammenhänge der Geschehnisse zubegreifen, die sich vor ihm auf dem Bildschirmabspielten.

Perry Rhodan schwieg und schien zu überlegen. Ersah auf einen imaginären Punkt vor sich und kniff dieAugen ein wenig zusammen. Es war, als höre er aufeine Stimme, die aus dem Unsichtbaren zu ihmsprach. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. Füreinen Augenblick blitzte in seinen Augen der Unmutauf, aber dann kehrte das freie und offene Lächelnzurück. Erneut blickte er in die Kameras und damit indas Angesicht der Welt. Sein Tonfall warunverändert, als er sprach: »Aber noch sind vielProbleme zu lösen und ich kann Sie alle nur bitten,Vertrauen zu mir zu haben. Haben Sie auchVertrauen zu den Arkoniden, was immer auchgeschehen möge. Wenn sich einer von ihnenentschließen sollte, Verbindung mit Arkonaufzunehmen und eine der vielen kriegerischenSpezies des Universums erführe - wenn auch nurdurch Zufall - von der Existenz der Erde, so stiegedie Gefahr einer Entdeckung ins Ungeheuerliche. Siewissen alle, was das zu bedeuten hätte, so lange dieErde ungeeint ist.

In diesem Sinne möchte ich Sie alle noch einmaldaran erinnern, daß wir heute nicht nur den zehntenJahrestag des Beginns der wirklichen Raumfahrt

feiern, sondern zugleich auch die endgültigeHerstellung des Friedens. Die Dritte Macht ist derFreund des Friedens, aber sie schlägt hart underbarmungslos zu, wenn dieser Friede irgendwo inder Welt gefährdet wird.«

Nach diesem etwas abrupten Abschluß seiner Redeverneigte sich Rhodan leicht gegen sein unsichtbaresAuditorium und schritt dann eilig auf eine Tür zu,durch die er verschwand. Auf dem Bildschirm warnoch eine Zeitlang diese Tür zu sehen, ehe OberstFreyt erschien und ankündigte, daß in Kürze derSicherheitsminister der Dritten Macht, Reginald Bull,zu Verteidigungsfragen im Falle einer Invasionsprechen würde.

Er bat um eine kleine Pause, da Bull durch einigeinterne Angelegenheiten aufgehalten worden sei.

Funker Adams nahm die notwendigen Schaltungenvor und wartete. Er hatte das Gefühl, Zeuge sehrwichtiger und nachhaltig wirkender Ereignissegeworden zu sein.

*

Die Sonne war ein glühender Gasball geworden,der schnell links am Raumschiff vorbeizog. RiesigeProtuberanzen griffen ins Weltall und schienenZerstörer C zu sich herabziehen zu wollen, aber dasSchiff war viel zu schnell. Mit halberLichtgeschwindigkeit schoß es an der Sonne vorbeiund konnte von den wirbelnden Gasmassen nichtmehr eingeholt werden.

Roboter R-17 saß reglos hinter seinen Kontrollen,die er zum größten Teil der Automatik überlassenhatte. Nur hin und wieder nahm er eine geringfügigeKurskorrektur vor, die infolge der mächtigenSonnengravitation notwendig wurde. Er bliebschweigsam und abwartend.

Thora hatte ihn veranlaßt, bei Passieren derMondstation ihren Namen als Kommandantin desZerstörers zu nennen. Aber ehe die Station antwortenkonnte, war sie bereits im Dunkel des Nichtsversunken.

Diesmal würde sie sich nicht abhalten lassen, ihrenWillen durchzusetzen. Zehn Jahre lang - wenn manden merkwürdigen Zeitsprung auf Wanderer, demPlaneten des ewigen Lebens, einkalkulierte - hatte siesich dem eisernen Willen Rhodans unterworfen. Abernun sah sie ein, daß er mit keinem Gedanken darandachte, ihr und Crest die Heimkehr nach Arkon zuerlauben.

Zuerst wollte er seine irdische Weltregierungdurchsetzen, um sich vor den Arkoniden nicht zublamieren. Natürlich, er nahm als billigen Vorwanddie ewig drohende Invasionsgefahr.

Nun gut, wenn Rhodan ihr nicht die Erlaubnis gab,so nahm sie sich eben ihr Recht. Auf der Venus gab

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es indirekt das Schiff in die Heimat, und zwar inForm des Hypersenders, der ihre Worte mitÜberlichtgeschwindigkeit durch das All zum fernenArkon tragen würde. Man würde ein Schiffentsenden. Ihre Gefangenschaft hätte ein Ende.

Sie war an diesem Punkt ihrer Überlegungenangelangt, als ihr Bedenken kamen. Crest hatte sienichts von ihren Absichten mitgeteilt, obwohl er einRecht darauf gehabt hätte. Aber Crest hielt zuRhodan. Er würde sie nicht verstehen. Also mußte sieohne ihn handeln. Immerhin ...

Die Sekunden wurden zu Minuten. Schon längstwar die Sonne hinter dem Heck kleiner geworden,wenn sie auch immer noch viel größer war, als vonder Erde aus gesehen. Dafür tauchte aus demGewimmel der Sterne die Venus als hell strahlenderPunkt auf, wurde rasend schnell zu einer Scheibe unddann zu einem weißen Globus.

Mit brennenden Augen starrte Thora auf den sichnähernden Planeten. Dort lag das Ziel ihrer Wünsche- die gigantische Sternenfunkstation der vorzehntausend Jahren verschollenen Arkonidensiedler,die auf der Venus einen Stützpunkt errichtet hatten,deren ungeheuerliche Automatik auch heute nochfunktionierte.

Genauso wie die schrecklichen Abwehrwaffeneiner unvorstellbaren Technik, die Funkstation undPositronik beschützten.

Thora kannte die Position des Stützpunktes genau.Der Zerstörer war nach arkonidischen Plänenkonstruiert worden und hatte somit alleVoraussetzungen, als Schiff der Arkoniden von denSperrstrahlen der Festung erfaßt und erkannt zuwerden. Man würde seiner Landung keineHindernisse entgegensetzen. Thora wüßte, wie starkdiese Festung bewaffnet war und mit welchenMitteln sich das gewaltige Positronensystem zuverteidigen wußte.

Sie wischte alle Bedenken beiseite und sagte zuR-17: »Wir müssen verlangsamen.«

»Das geschieht bereits«, sagte der Roboter. »Siebemerken es nur nicht. Die Kraftfelder heben jedeVeränderung auf. Aber sehen Sie - die Venus wirdlangsam größer.« Es stimmte.

Der helle Ball war sehr nahe gekommen, aber erwurde nur allmählich größer. Die dichteWolkendecke gestattete keinen Blick auf dieOberfläche, von der Thora nur zu gut wußte, daß sieeiner Urwelt glich. Riesige Wasserflächenurzeitlicher Meere bedeckten einen großen Teil desPlaneten Venus und machten ihn somit für denMenschen zu einem Irrgarten von Wasser, Sümpfenund gigantischen Dschungeln. In diesenunübersehbaren Sümpfen lebten die riesigen Saurier,große Echsen, die erst vor wenigen Jahrhunderten dasLand erobert hatten.

Der Urwald war so gut wie undurchdringlich.Selbst mit den Mitteln modernster Technik war esfast unmöglich, größere Strecken auf der Venus zuFuß zurückzulegen. Wer in diesen Dschungel geriet,war verloren. Saurier, Sümpfe und fleischfressendePflanzen, würden ihm bald den Garaus machen.

Die Atmosphäre war für den Menschen atembar.Trotz des hohen Gehaltes an Kohlendioxyd genügteder vorhandene Sauerstoff, dem Blut frische Nahrungzuzuführen. In den höheren Schichte nahmenvulkanische Verunreinigungen und Edelgaseerheblich zu. Die mittlere Tagestemperatur lag beifünfzig Grad Celsius. Die fast ständig in großer Höhelagernde Wolkenschicht machten die Venus zu einemeinzigen Treibhaus, in dem die Vegetation üppigwucherte.

Ein voller Tag auf der Venus dauerte zehnErdentage. Es war also 120 Stunden hintereinanderhell, dann kam die Nacht für die gleiche Zeitspanne.Die Länge des planetarischen Jahres dauerte 224,7Erdentage.

Schwerkraft und Fluchtgeschwindigkeit warenetwas geringer als bei der Erde. Die Sonne stand in108 Millionen Kilometer Entfernung und spendeteübermäßige Wärme.

Keine sehr erfreuliche Welt, aber die Erde hattevor Jahrmillionen nicht viel anders ausgesehen. EinesTages würde die Venus intelligentes Leben tragen;vielleicht waren es sogar die Nachkommen derMenschen, die aus diesem fruchtbaren Planeten inferner Zukunft ein Paradies machten.

Im Augenblick jedoch war die Venus alles andereals ein solches Paradies. Planet der Hölle, so hatteBully früher einmal die Venus genannt, als Thorasich mit ihm darüber unterhielt. An dieseBezeichnung mußte sie jetzt wieder denken, als derZerstörer in die obersten Schichten der Atmosphäreeindrang und langsam tiefer sank.

Die Geschwindigkeit war nur noch gering.Langsam strichen die hellen Wolkenstreifen an denSichtluken vorbei und stiegen scheinbar nach oben.

Auf dem Radarschirm zeichneten sich hoheGebirge ab. Auf dem Plateau eines solchen Gebirgeslag die Sternenstation der alten Arkoniden und damitdas Positronensystem und die Hyperfunkstation.

Roboter R-17 übernahm nun wieder die Kontrolleüber das Schiff. Er richtete sich nach denInstrumenten und stellte die Position des gesuchtenZieles fest. In seinem Gehirn war kein Verbotverankert worden, das die Landung bei derVenusbasis untersagte.

Die Wolkendecke hörte plötzlich auf. Es war, alshabe ZC den Grund eines gasförmigen Meereserreicht und schwebe nun dicht darüber hinweg. DieSonne leuchtete nur noch in Form eines hellen Flecksdurch die Gasmassen und erzeugte in ihnen heftige

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Wirbelstürme, die jedoch selten bis zur Oberflächedes Planeten hinabdrangen.

Thora sah nach unten und erschauerte.Sie hatten einen Ozean überquert und näherten

sich der Küste. Die Sicht war erstaunlich klar, undfern am Horizont türmten sich hohe Gebirge mitabgeflachten Gipfeln. Bis zur Hälfte hinauf warendiese Gebirge noch bewachsen. In dunklen Spaltenschimmerte es weiß. Thora wußte, daß gewaltigeWasserfälle dort in die Tiefe stürzten und denSümpfen in den Urwäldern neue Nahrungverschafften. Die Urwälder ...

Außer den Gebirgen und den Meeren schien es nurdiese Urwälder zu geben. Sie erstreckten sich unterZC nach allen Seiten hin - ein grüner Teppich mitvereinzelt aufragenden Felsen und dazwischenweiten Wasserflächen, die grün und tückischschimmerten. Hier und da wirbelte diese giftigscheinende Oberfläche auf, ein riesiger Kopferschien, pendelte an einem langen, schlanken Halsunschlüssig hin und her und verschwand dann wiederunter der Wasseroberfläche. Das Schiff ging nochtiefer. »Das Ziel ist achthundert Kilometer entfernt«,sagte R-17 ruhig und ohne Gemütsbewegung:»Sollen wir landen oder kehren wir um?«

»Wir landen - selbstverständlich«, entgegneteThora. Auch ihre Stimme klang ruhig, obwohl inihrem Innern ein Sturm tobte, der sich kaumberuhigen ließ. In wenigen Sekunden würde sichentscheiden, ob sie stärker und klüger als Rhodanwar oder ob nicht.

»Bemerkst du schon etwas von den Taststrahlender Station?«

R-17 warf einen Blick auf die Instrumente.»Nein.«

Die Entfernung ist noch zu groß, sagte sich Thora.Sie entsann sich, daß die Sperrzone fünfhundert

Kilometer im Umkreis betrug. Das Positronensystemder Station verbot jedem Unbefugten, innerhalb derSperrzone zu landen und eröffnete bei völligFremden ohne Warnung das Feuer. Thora wußte, daßsie dieser Gefahr dank ihrer Gehirnwellenmuster, diesie als Arkonidin auswiesen, nicht ausgesetzt war.Aber entscheidend war die Tatsache, daß derZerstörer ein Schiff arkonidischer Bauart war. Dereingebaute Kodesender würde schon dafür sorgen,daß die Anfragen der Positronik entsprechendbeantwortet wurden.

»Noch sechshundert Kilometer«, sagte R-17mechanisch.

Thoras Blick streifte den eingebauten Wandkastenin der Zentrale. Er enthielt alle notwendigenHandfeuerwaffen für den Fall einer Notlandung aufunbekanntem Gebiet. Lässig zuckte sie die Achseln.Eine Waffe würde nicht nötig sein. Wozu auch?

»Wir nähern uns der Sperrzone«, warf R-17 ein.

Thora richtete sich im Sessel auf und starrte wiegebannt durch die Luken hinab auf die Oberflächeder dampfenden Venushölle. Nichts hatte sich dortgeändert, seit sie das letztemal hier gewesen war. Eingrößerer See glitt unter ihnen hinweg. Steile Felsenrahmten ihn ein, fast bis zum Gipfel bewachsen.

Dahinter lag eine der vielen Felseninseln, riesigePlateaus, die sich über das Niveau der Sümpfeerhoben. Hier war das Leben einigermaßenerträglich.

»Tiefer gehen«, sagte Thora, aber sie wußte nicht,warum sie es sagte.

Wortlos gehorchte der Roboter. Auf dieTaststrahlen der Station aber hatte die Höhe keinenEinfluß. Sie erfaßten das für sie fremde Schiff,forderten den Erkennungskode - und erhielten keineAntwort. Das alles geschah völlig automatisch undunbemerkt. Die Instrumente von ZC zeigten nur an,daß sie geortet wurden. Mehr nicht. Daher kam esvöllig überraschend. Unten am Rand des Plateausschob sich ein Stück des Felsens beiseite. Aus demschwarzen Spalt glitt ein schimmerndes Rohr, dasvon glitzernden Spiralen umwunden schien. Esrichtete sich auf, reckte sich drohend dem tieffliegenden Schiff entgegen. Fünfhundert Kilometerentfernt jagten Impulsströme durch komplizierteApparaturen, lösten und schlossen Kontakte,betätigten Relais und verursachten schließlich einenpositronischen Befehl. Drahtlos wurde dieserweitergeleitet und erreichte das feuerbereiteDesintegrator-Geschütz an der Sperrzone.

Weder R-17 noch Thora waren auf denwarnungslosen Direktabschuß gefaßt gewesen. Dervernichtende Energiestrahl löste das kristallineStrukturfeld des Schiffes auf und vergaste jedeMaterie.

Automatisch drückte R-17 auf denAussteigeknopf.

Der Bug von ZC war so glatt abrasiert worden, daßdie Zentrale dahinter praktisch frei lag. DieEnergiezufuhr funktionierte noch wie durch einWunder. Aber der Mechanismus klemmte.

Thora klammerte sich verzweifelt an den Lehnenihres Sessels fest. Das Schiff lag schräg und taumelteder grünen Hölle entgegen. Unter ihr war dieSichtluke. Thora erkannte, daß sie noch auf demPlateau landen würden - wenn man diesen jähenAbsturz als Landung bezeichnen wollte.

Vielleicht würden die Baumwipfel den Aufschlagmildern.

Warum, fragte sich Thora in den letzten Sekundenbewußten Denkens, hat das Robotgehirn unsabschießen lassen? Warum?

Dann spürte sie, wie ein heftiger Stoß ihr die Beinefast in den Körper trieb. Der Schmerz zuckte bis zuihrem Gehirn hoch, ehe sie endgültig das Bewußtsein

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verlor.Roboter R-17 sank mit der Stirn gegen, die

Kontrollinstrumente ...

2.

Reginald Bull saß im Zentrum desVerteidigungsministeriums der Dritten Macht undhielt gleich einer Spinne im Netz alle Fäden in seinerHand. Um ihn herum flackerten die Lämpchen undBildschirme, Visiphone summten unaufhörlich, undMeldung auf Meldung traf ein.

Sie betrafen alle die unerwartete Flucht Thoras.Neben Bully stand John Marshall, der Telepath des

Mutantenkorps. Er hatte soeben seine gedanklicheMeldung an Rhodan abgegeben und den Empfangbestätigt erhalten. Mit einer fahrigen Bewegungwischte er sich den Schweiß von der Stirn.

John Marshall war Australier und hatte erstziemlich spät seine Fähigkeit des Gedankenlesensentdeckt. Automatisch war er zu Perry Rhodangestoßen und einer seiner wichtigsten Mitarbeitergeworden. Die Ursache seiner außersinnlichenBefähigung lag in der Einwirkung der steigendenRadioaktivität in der Atmosphäre der Erde begründet.Es gab bereits viele Mutanten, aber nur wenigewußten darum. Selbst bei den Mutanten dauerte esoft recht lange, bis sie ihre eigenen Gabenentdeckten.

»Er wird gleich kommen«, sagte John Marshall zuBully.

Crest, der Arkonide, stand ein wenig imHintergrund. Seine hohe Gestalt überragte dieBildschirme, und sein weißes Haar hob sich von dendunklen Kontrollwänden kontrastreich ab. Rötlichschimmerten seine Albinoaugen.

Der Vorfall mit Thora war ihm mehr als peinlich.Innerlich konnte er ihre Motive natürlich begreifen,trotzdem hielt er es für unverzeihlich, daß sie sounüberlegt handelte. Sie gefährdete das Projekt Terrain unverantwortlicher Weise.

Das Volk der Arkoniden war auf dem Höhepunktseiner Entwicklung angelangt und hatte ihnüberschritten. Das in Jahrtausenden aufgebauteImperium zerfiel, wenn nichts geschah. Dekadentund von Natur aus überheblich, würden dieArkoniden eines Tages das Opfer ihrer eigenenMacht werden.

Crest hatte das klar erkannt. Er sah in denentschlossenen und vor nichts zurückschreckendenErdbewohnern die einstigen Erben des arkonidischenImperiums - und er wußte, daß es in ihren Händenam besten aufgehoben war. Besser jedenfalls als beijenen Wesen, die ebenfalls zum Kolonialreich derArkoniden gehörten, aber trotz ihrer Intelligenznichts mehr mit einem Menschen gemein hatten.

Besser auch als in den Schwimmflossen derPlejadenbewohner oder den Schwingen derVogelechsen im Rigelsystem. Ganz zu schweigenetwa von den Topsidern.

Crest suchte die Nachfolger für die Arkoniden, undin den Terranern glaubte er, sie gefunden zu haben.Er hatte Perry Rhodan und Bully einerHypnoschulung unterzogen und ihnen das Wissendes Universums vermittelt. Systematisch bereitete erRhodan auf sein Aufgabe vor. Tief in seinem Herzennannte Crest seinen Plan »Projekt Terra«.

Und Thora hatte diesen Plan nun in Gefahrgebracht.

Die Tür öffnete sich, und Perry Rhodan betrat dieZentrale. Er nickte Crest und Marshall flüchtig zuund wandte sich an Bully: »Was Neues?«

»Eine ganze Menge, Perry, ich weiß nicht, wo ichbeginnen soll.«

»Beim Anfang, meine ich. Aber kurz, wir habennicht viel Zeit.«

»Thora startete vor einer Stunde mit ZC, passierteden Mond in Richtung Venus und gab überall dasErkennungszeichen. Sie muß den Robotpiloten anBord haben. Sie wurde nicht aufgehalten. Wenn sieihre Geschwindigkeit entsprechend steigert, dürfte siejetzt schon auf der Venus gelandet sein.«

Rhodan kniff die Augen zusammen.»Ich kann sie begreifen, Bully. Wir haben zu lange

gewartet, unser Versprechen zu erfüllen. Es muß nurihr Verlangen gewesen sein, Arkon wiederzusehen.«

Crest räusperte sich. »Sie sind edelmütig, Thoraentschuldigen zu wollen, Rhodan, aber wir müssenden Tatsachen ins Auge sehen. Was immer auch ihreMotive sein mögen, sie hat unrecht getan. Wenn siein die Station eindringen kann, wird sie denHypersender in Betrieb nehmen. Als ehemaligeKommandantin unserer Expedition kann sie das.Malen Sie sich die Folgen selbst aus.«

Rhodan dachte an die abgeschlagene Invasion derIndividualverformer und erschauerte. Wenn derFunkspruch, den Thora von der Venus absendenwollte und der sich ohne Zeitverlust im ganzenUniversum ausbreiten würde, von fremden undkriegerischen Intelligenzen aufgefangen wurde,bestand in der Tat größte Gefahr. Man würde dieRichtung feststellen und neugierig sein, wo in diesementlegenen Teil der Milchstraße ein bewohntesSystem stand. Man würde die Erde vorfinden,unvorbereitet und uneinig, reif zur Kolonisation iminterstellaren Sinne.

Die Folgen waren unabsehbar. »Wie mag sie nurdie Robotwachen überlistet haben?« sann Rhodan vorsich hin. »Liegen die Berichte schon vor?«

»Ja«, fauchte Bully wütend und klopfte auf einigeZettel. »Die Wachen sagen aus, daß sie ganz offiziellherankam, mit dem Piloten von ZC sprach und dann

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mit ihm startete. Es lagen keine Befehle vor, Thoradaran zu hindern.«

»Natürlich nicht!« knurrte Rhodan. »Wer hätteauch daran gedacht, daß Thora ihr Wort brechenwürde.«

Diesmal war es Crest, der sie verteidigte.»Sie mußte vielleicht annehmen, daß sie Arkon nie

mehr wiedersehen würde, wenn sie nicht sohandelte.«

»Ich glaube«, sagte Rhodan mit einem feinenLächeln, »daß noch andere Gründe mitspielen.Denken Sie nur an den Planeten des ewigen Lebens.Der Unsterbliche gab mir die Erlaubnis, er gab mirdie Möglichkeit, eine Lebensverlängerung zuerhalten und sie jedem Terraner zu geben, den ich fürwürdig halte. Die Arkoniden waren nichteingeschlossen, weil Ihr Volk den Höhepunkterreicht und überschritten hatte. Die Terraner alsobefinden sich noch auf dem aufsteigenden Ast. Thoraist stolz und überheblich, Crest. Sie konnte dieseDemütigung nicht ertragen und wollte sich auf ihreArt rächen. Sie wollte mir zeigen, daß sie stärker istals ich. Was sie damit anrichtet, ahnt sie nicht. IhrWunsch, nach Arkon zurückzukehren, istverständlich, ihre Dummheit jedoch unverzeihlich.«

»Was werden Sie tun, Rhodan?« Bully hob denKopf. Er wartete gespannt auf die Antwort,mindestens ebenso gespannt wie Crest. Rhodan sagtelangsam: »Ich werde Thora mit Zerstörer A folgen,und zwar sofort. Mit mir kommen John Marshall undSon Okura. Bully, bestelle einen Wagen. AllesNotwendige finde ich ja an Bord des Schiffes.«

Crest machte eine abwehrende Handbewegung,aber dann schüttelte er resignierend den Kopf. Erhatte sich bei Rhodan schon an allerhand gewöhnenmüssen. Diese Terraner besaßen ein Tempo - es warunglaublich.

Bully hielt den Kopf ganz schief. »Und ich?«machte er mit der Miene eines Kindes, das man zuWeihnachten vergessen hatte. »Soll ich vielleichthierbleiben und die Däumchen drehen?«

»Kein schlechter Gedanke«, nahm Rhodan dieAnregung dankbar auf. »Aber beruhige dich, du wirstmit ZB so bald wie möglich folgen. Leider könnenwir die angekündigten Feierlichkeiten nicht grundlosabsagen, also mußt du für mich einspringen. Wennich nicht irre, hat Oberst Freyt bereits deineFernsehrede angesagt. Ich hoffe, du hast dichgenügend vorbereitet.«

»Eine Rede soll ich halten?« empörte sich Bullyund wurde rot im. Gesicht. »Worüber?«

»Worüber schon? Über dieVerteidigungsmöglichkeiten der Erde im Falle einerinterstellaren Invasion. Ein sehr aktuelles Thema.Sobald die Feierlichkeiten vorbei sind, startest du. Istdas klar, Bully?« Bully nickte düster. »Ist klar.« Er

setzte sich aufrecht hin und sah Rhodan in diestahlgrauen Augen. »Aber das sage ich dir, wenn ichzu spät komme, und der ganze Rummel ist dannschon vorbei, dann kannst du etwas erleben!«

»Benachrichtige Son Okura«, warf Rhodan ein,ohne auf Bullys Drohung zu reagieren.

»Warum ausgerechnet Okura?« fragte Bully,während er die Verbindung zur Kommandostelle desMutantenkorps herstellte. »Was soll er dabei?«

»Er ist unser >Frequenzseher<, wie du weißt. Daer mit seinen Augen alle unsichtbaren Wellenwahrnimmt und besonders die infraroten Strahlensehen kann, ist er in der Dunkelheit einunentbehrlicher Helfer. Bedenke, daß auf der Venusfünf Tage lang Nacht ist. Hinzu kommt seineseltsame Fähigkeit, Wärmestrahlung regelrecht sehenzu können. Damit erkennt er noch denWärmeabdruck eines Gegenstandes, der schonStunden vorher entfernt wurde. Für dieses Abenteuerkommt kein besserer Mitarbeiter als Son Okura inFrage.«

Bully gab über Funk seine Anweisungen, dannnickte er.

»Ja, das stimmt. Aber laufen kann er nicht sehrgut. Da wäre ein Teleporter besser.«

»Den bringst du dann mit. Die Zerstörer haben nurPlatz für drei Mann Besatzung. Ich werde sogar denRobotpiloten zurücklassen müssen.«

»Warum nimmst du nicht ein größeres Schiff?«Rhodan überlegte einen Augenblick.»Du bringst mich auf einen guten Gedanken. Folge

du mir nicht mit einem Zerstörer, sondern mit einemBeiboot der GOOD HOPE-Klasse. Bringe genugMutanten mit. Aber ich nehme fest an, es wird nichtnotwendig sein.« Rhodan lächelte. »Bis du kommst,ist alles vorbei.«

Bully schnappte nach Luft, aber dann überlegte eres sich anders. Er warf Crest einen abschätzendenBlick zu und entsann sich wohl, daß der Arkonide fürseine merkwürdigen Spaße noch niemals besonderesVerständnis gezeigt hatte. Also verzichtete er aufeine Antwort. Er zuckte lediglich die Achseln undmeinte sarkastisch: »Hoffen wir es.«

*

Noch während Bully vor den Fernsehkamerasstand und seine Ansprache hielt, raste Zerstörer A inden Raum hinaus. Die Automatik würde das Schiffder Lichtgeschwindigkeit entgegentreiben und dannebenso stark wieder abbremsen. Der Kurs stand fest.

Rhodan saß im Sessel des Piloten. Rechts von ihmhatte Marshall Platz genommen, links hockte derschmächtige Japaner. Allen Kontaktlinsen undNeuerungsfanatikern zum Trotz trug er eineschmalrandige Brille. Es war eine Ironie des

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Schicksals, daß gerade der Mann, der alleunsichtbaren Lichtwellen sehen konnte, zumErkennen der von normalem Licht angestrahltenGegenstände eine Brille tragen mußte. Aber OkurasAugen waren in der Tat nicht besonders gut. Er hattefrüher als Optiker in einem Kamerawerk gearbeitet,bis Bullys Suchtrupp ihn entdeckte und er demMutantenkorps Rhodans beitrat. Nun endlich war dieStunde seines Einsatzes gekommen.

»Ob Thora direkt bei der Station landet?« fragteMarshall.

»Es ist anzunehmen«, entgegnete Rhodan ernst.»Es ist ihr Ziel, Arkon von der Existenz der Erde zuunterrichten, damit man sie abholt Der Sender stehtin der Station. Also wird sie auch dort landen.«

»Ich habe auf der Venus meineMutantenausbildung erhalten«, sagte Son Okura inseiner ruhigen und zurückhaltenden Art. »Keinschöner Ort, wenn ich so sagen darf.«

»Wir haben keine Wahl, Okura«, nickte Rhodan.»Aber auf der anderen Seite ist nicht zu befürchten,daß wir viel mit dem Urwald in Berührung kommen.Sobald wir bei der Station landen, erhält dasPositronensystem meinen Gegenbefehl. Falls Thoranoch nicht bis zum Sender vorgedrungen ist, wird sieaufgehalten.«

»Wenn wir nur nicht zu spät kommen«, murmelteMarshall und biß die Zähne aufeinander. »Es wärenicht auszudenken, was alles geschehen könnte.«

Rhodan sah starr geradeaus, wo die Venus sichbereits als helle Scheibe abzuzeichnen begann.

»Ja«, stellte er sachlich fest. »Es wäre wahrhaftignicht auszudenken.« Dann schwiegen sie. Es gingalles sehr schnell. Die Venus wurde größer, und dannsank der Zerstörer in die Atmosphäre ein. Die Stationwurde angepeilt, und man mußte feststellen, daß dieNacht bald anbrechen würde. Bald würde es dunkelwerden - fünf Tage lang.

Im Augenblick war das weiter nicht beunruhigend,aber Rhodan war doch froh, Okura mitgenommen zuhaben. Jetzt würde sich seine Umsicht als günstigerweisen. Er sah auf die Instrumente.»Fünfzehnhundert Kilometer westlich. Wir gehentiefer, damit wir etwas sehen. Wenn ich nur wüßte,wie weit Thora ist.«

Unter dem Schiff glitt die Dschungeldecke schnellnach Osten, wo es bereits stark dunkelte. Sieüberquerten ein kleineres Urmeer, dann ein höheresGebirge und schließlich wieder Dschungel undSümpfe. Nur undeutlich noch erkannten sie die unter,ihnen liegende Landschaft. »Noch achthundertKilometer.« Weit vor ihnen verschwamm derHorizont und mischte sich mit der Wolkendecke.Dahinter schwebte ein dunkelroter Fleck in dermilchigen Masse - die untergehende Sonne. In fünfTagen erst würde sie im Osten wieder aufgehen.

»Noch sechshundert Kilometer«, sagte Rhodan.»Wir erreichen in fünf Minuten die Sperrzone.«Marshall nickte automatisch. »Uns kann ja nicht vielpassieren.« Er irrte sich.

Er irrte sich genauso wie vor ihm Thora.Wieder erwachte weit vor dem Schiff in der

Arkonidenstation die elektronische Wachanlage zumLeben. Wieder erfaßten die Abtaster denNeuankömmling und überprüften ihn. DieAufforderung, das Erkennungssignal zu beantworten,blieb unbeachtet. Die Aufforderung wurdewiederholt, aber Zerstörer A antwortete nicht.

Rhodan hatte vergessen, daß die entsprechendenKodeanlagen der drei Zerstörer noch nichtpositronisch vorbereitet worden waren. In der Hastder Verfolgung ein verständliches Versehen, aber inseinen Folgen unverzeihlich, wenn auch die gleicheTatsache verhinderte, daß Thora ihr Ziel erreichte.

Das Schiff konnte keine einzige Abwehrbewegungausführen, denn der aufblitzende Desintegratorstrahlblendete Rhodan. Er spürte, wie eine starkeErschütterung durch den Metalleib ging und fühltesich halb aus dem Sitz gerissen. Vor der Sichtlukeschwenkte der Horizont herum, dann begann dasSchiff zu stürzen.

Der Strahl hatte zum Glück nur das Heck getroffenund den Antrieb vernichtet. Bug und Zentrale bliebenunverletzt.

Rhodans Faust hieb automatisch auf denAussteigeknopf.

Im Gegensatz zu ZC funktionierte hier die Anlage.Die gesamte Zentrale wurde aus dem Zerstörergeschleudert und stellte sich dank der eingebautenAntigrav-Projektoren waagerecht. Die Notdüsenbegannen sofort zu arbeiten und ließen dieZentralekabine seitwärts aus der Sperrzonehinausgleiten. Darum erfolgte auch kein weitererBeschuß.

Langsam nur kam das Dschungeldach näher.Trügerisch schimmerten Sumpflachen zu ihnen

herauf. In die plötzliche Stille hinein drang durcheinen Riß in der Hinterwand der Kabine das dumpfeGebrüll eines Sauriers. Unten im Sumpf war eineschwerfällige Bewegung. Okura schaudertezusammen.

»Diese Bestien!« stöhnte er auf. »Sie haben dieBeute schon gewittert.«

»Ich nehme an«, warf Marshall ein, »Sie meinendas nur symbolisch.«

Der Japaner gab keine Antwort. Er kannte dieVenus.

Das Notaggregat der nun vom Schiff getrenntenZentrale ließ die kleinen Arkonidenreaktorenpausenlos arbeiten, die genügend Korpuskelströmeerzeugten, den Fall stark abzubremsen. Viellangsamer als an einem Fallschirm schwebte die

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Kabine nach unten.Seitwärts sah Rhodan, wie der restliche Zerstörer

taumelnd in die Tiefe stürzte. Er hatte nicht dasGlück, außerhalb der Zone geraten zu sein. Einzweiter Schuß traf ihn genau in der Mitte. DieMaterie wurde sofort vergast. Zwei Teile waren es,die endlich eine Lücke in das Urwalddach rissen undderen Fall durch die starken Äste soweit abgemildertwurde, bis sie schließlich in geringer Höhe über demverfilzten Boden hängenblieben.

»Wenn wir nur nicht ausgerechnet in einem Seelanden«, murmelte Okura besorgt. Er mußte eineschreckliche Angst vor den Sauriern haben.

»Die Kabine ist schwimmfähig«, beruhigte ihnRhodan und sah sich forschend um. »Ich hoffe nur,daß die Waffen im Schrank vollständig sind. DerZerstörer war noch nicht einsatzfähig. Das beweistunser Absturz zur Genüge. Die Kodeanlage warunvollständig. Wenn es die Waffen auch sind ...«

»Einen Sender haben wir ebenfalls nicht.«»Nur die Geräte im Allzweckarmband. Aber sie

sind zu schwach, die Erde zu erreichen.«Sie befanden sich nun in etwa hundert Meter Höhe

und konnten ihren voraussichtlichen Landeplatzbereits ausmachen. Es gab keine aufregendenUnterschiede in der Landschaft. Tückisch glitzerndeSumpfseen waren nicht in Sicht, nur dasunregelmäßig hohe Dach des jungfräulichenUrwaldes.

»Viel kann uns nicht passieren wenigstens nichtbei der Landung«, stellte Rhodan beruhigend fest.»Was danach allerdings geschieht ...«

Er ließ die verschiedenen Möglichkeiten offen.Immer näher kamen die obersten Baumwipfel.

Rhodan wußte nur zu gut, daß damit der eigentlicheBoden noch lange nicht erreicht war. Die Stämme derriesigen Urbäume maßen oft bis zu fünfzehn Meterim Durchmesser und konnten bis zueinhundertfünfzig Meter hoch werden - wahrhaftigeGiganten. Dazwischen wucherten die Parasiten destropischen Dschungels, ebenfalls wesentlichgewaltiger als ihre Artgenossen auf der heimatlichenErde.

Der Boden der Kabine berührte die ersten Äste undsackte langsam in das verhältnismäßig weiche Bettder Wipfel ein. Immer noch arbeiteten die Reaktorenund bremsten den Fall.

Und dann fiel die Kabine nicht mehr.Ein wenig schräg lag sie inmitten des grünen

Meeres, in das sie eingesunken war. Von oben senktesich die Dämmerung bereits herab und färbte dieewigen Wolken schwarz. Von Westen herschimmerte das Abendrot wie glühende Feuer, und essah so aus, als wolle die Welt abbrennen.

Rhodan wartete nicht mehr länger; er schaltete dieAggregate aus.

Mit einem Schlag kehrte das Normalgewicht derKabine zurück und belastete die Aste, auf denen sielag. Einige von ihnen hielten den plötzlichen Drucknicht aus und brachen. Die anderen gaben nach. DieKabine begann nachzurutschen.

Ehe Rhodan Gegenmaßnahmen ergreifen konnte,stürzte die gesamte Kabine sich überschlagend in dieTiefe, schlug an mehreren Stellen heftig und hart auf,bis sie endlich nach langen Sekunden ziemlichgerade zwischen einigen mannsdicken Ästen zurRuhe kam.

Nun erst waren sie auf der Venus gelandet. AlsJohn Marshall Minuten später aus seineroberflächlichen Bewußtlosigkeit erwachte und denSchmerz an der Stirn spürte, begann er zu ahnen, daßihre Suche nach Thora noch lange nicht beendet war.Er richtete sich auf und sah, wie Okura sich geradeüber Rhodan beugte und seinen Kopf abtastete. Erfing die Gedanken des Japaners auf und wußte, wasgeschehen war.

Okura drehte sich um. »Es muß ihn hart erwischthaben. Genau mit dem Gesicht aufgeschlagen. Allesvoller Blut. Hoffentlich nichts Ernsthaftes ...«

Marshall war schnell wieder auf den Beinen. Erschüttelte die Benommenheit ab und hielt sich an derWand fest, während er zu Okura ging. Rhodan lagausgestreckt auf dem Kabinenboden und atmete nurschwach. Er mußte einen harten Schlag erhaltenhaben.

Der Japaner taumelte ein wenig, als er aufstand.Der Boden war schräg. Man mußte sich erst darangewöhnen. Im Wandschrank fand er Verbandszeugund Arzneien. Rhodan erhielt eine belebendeInjektion und ein Mittel gegen Fieber. Als er tiefer zuatmen begann, legten die beiden Männer ihn auf dasvon den Sesseln zusammengeschobene Bett undüberließen ihn dem heilenden Schlaf.

Okura verband auch Marshalls Wunde, ehe er ansich selbst dachte.

»Natürlich wieder meine Beine«, resignierte er.»Ich habe es immer mit den Beinen, wo ich dochsowieso nur schlecht gehen kann. Ich fürchte, beieinem Marsch durch den Urwald werde ich nur eineLast bedeuten.« Marshall wurde blaß. »Sie denkendoch wohl nicht im Ernst daran, daß wir dort untenhinab müssen? In die Hölle zu den Sauriern undRiesenspinnen- und wer weiß, was sonst noch indiesem Dickicht lebt? Nein, keine zehn Pferdebekommen mich von diesem Baum herunter. Hiersind wir einigermaßen sicher.«

»Das stimmt«, lächelte der Japaner höflich, »aberauch im Zuchthaus ist man sicher, abgesehen davon,daß man dort wenigstens nicht verhungert und nichtsversäumt.«

John Marshall wußte keine Antwort.Er nahm den Blick von Rhodan und schaute durch

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die Luke hinab in die Ungewisse grüne Dämmerung.Ihm war, als habe er tief unten einen riesigen

Schatten vorbeiziehen sehen. Irgendwo war einröhrendes Brüllen.

Trotz der Hitze begann Marshall plötzlich zufrieren.

*

Als Perry Rhodan Stunden später in den Spiegelschaute, erschrak er.

Quer über seine Stirn zog sich eine blutigeSchramme hinweg, die nur schwer verkrustete. Eswürde Wochen dauern, bis sie ohne das speziellearkonidische Organplasma verheilte. Das rechteAuge war stark geschwollen und entstellte ihn fastbis zur Unkenntlichkeit.

Mit einem Seufzer lehnte er sich zurück und ließzu, daß der Japaner den Verband neu anlegte.

»Meine besten Freunde würden mich nichtwiedererkennen«, murmelte er. »Wenigstens hatBully dann etwas, womit er mich aufziehen kann.«

»Ich breche ihm die Knochen, wenn er das tut«,drohte Marshall. Rhodan grinste schwach. »Das wirdIhnen schwerfallen, denn dazu sind sie zu stark inFett gepolstert.« Er wartete, bis der Verband saß,dann fügte er hinzu: »Wie ist die Lage, und waswerden wir tun?«

Son Okura trat einen halben Schritt zurück undbegutachtete sein Samariterwerk.

»Ihre Verletzung ist nicht gefährlich. AberTatsache ist, daß wir mitten im venusianischenDschungel festsitzen, ohneVerbindungsmöglichkeiten mit der Erde. DasRaumschiff haben wir verloren, damit auch jedesMittel, Kontakt mit der >Strahlenden Kuppel< derVenusstation zu erhalten. Somit sind wir auf unsganz allein angewiesen. Unsere einzige Chancebesteht darin, die Station zu erreichen - oder daraufzu warten, bis Bully uns rein zufällig findet.«

»Wir haben unsere Kleinstsender«, warf Marshallein.

»Sie nützen uns nicht viel, denn ihre Reichweite istbeschränkt. Durch die Herauslösung der Zentrale ausdem Schiff wurden wir von den Funkgerätengetrennt. Das soll uns eine Lehre sein. Künftig mußdarauf geachtet werden, daß die herausgeschleuderteRettungskabine eine eigene Funkanlage besitzt. WasBully angeht, so können wir natürlich Verbindung zuihm aufnehmen, wenn sein Schiff zufällig inReichweite gerät. Sollen wir darauf warten, währendThora alle Schrecken des Universums mobilisiert?«Rhodan nickte.

»Okura hat recht, Marshall. Es gibt nur eine.Alternative: Wir müssen versuchen, Thorazuvorzukommen. Wir müssen versuchen, sie am

Betreten der Station zu hindern. Aber ich sehe keineVeranlassung, zu glauben, daß es ihr anders ergangenist als uns. Sie benutzte einen Zerstörer im gleichenKonstruktionsstadium. Auch in ihrem Schiff gab esnoch keine ausgerichtete Kodeanlage. Wir könnennur hoffen, daß sie den Absturz überlebt hat.«

Marshall knurrte wütend: »Von mir aus kann siesich den Hals gebrochen haben.«

»Ich würde das nicht sagen«, entgegnete Rhodanmit leichtem Vorwurf. »Man soll keinem Menschenetwas Böses wünschen, man soll ihn nur daranhindern, selbst etwas Böses zu tun. Gewalt läßt sichnur scheinbar bekämpfen. Und außerdem: WennThora sich den Hals bricht, ist uns auch nichtgeholfen.

Wir sitzen dann trotzdem hier fest.«»Ich habe es nicht so gemeint«, schwächte

Marshall seinen unüberlegten Ausspruch ab. »Ichwollte nur sagen, daß ich eine Wut auf dasaußerirdische Weibsbild habe.« Okura grinste milde.»Aber sicher doch nur auf das außerirdische, was?«

Rhodan stand zögernd auf und hielt sich an derWand fest. Er war noch benommen von seiner langenBewußtlosigkeit. Langsam tastete er sich unter denbeobachtenden Blicken seiner beiden Kameraden biszur Sichtluke und sah hinaus in die schwarzeFinsternis der inzwischen angebrochenenVenusnacht. Aber selbst wenn es Tag gewesen wäre,hätte Rhodan jetzt nicht an ein Verlassen der Kabinedenken können. Ganz abgesehen von den drohendenGefahren der fast unerforschten Wildnis fühlte ersich noch viel zu schwach, die Strapazen einesMarsches durch die Urwelt auf sich zu nehmen.

Und doch - jede Stunde des Wartens vergrößertedie Gefahr eines absoluten Zusammenbruchs alldessen, was er bisher geschaffen hatte. Oberst Freytwürde ihn vertreten können, sicher; aber wenn es ersteinmal bekannt wurde, daß Rhodan, Präsident derDritten Macht, von einem Flug zur Venus nichtzurückgekehrt war und, daß damit zu rechnen war,daß die Saurier ihn verspeisten - nein, die Folgenwaren nicht auszudenken. Der noch nicht gebändigteNationalismus ehrgeiziger Politiker würde schondafür sorgen, daß mit den »geretteten Vaterländern«die Terraner wieder zu Menschen wurden. Und daswar genau das Schlimmste, was ihnen passierenkonnte. Sie würden in das Stadium engstirnigenNationaldenkens zurückfallen und einer InvasionFremder aus dem All ausgeliefert sein.

Diese Erkenntnis ließ nur einen Entschluß zu.Rhodan sprach ihn aus:

»Wir müssen also versuchen, die Station zuerreichen. Wir werden noch einmal eineSchlafperiode einlegen, um unsere Kräftezurückzuerlangen - dann marschieren wir.Einsatzanzüge haben wir nicht, ebenso keine

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genügenden Lebensmittelvorräte. Wie steht es mitder Bewaffnung?«

Okura öffnete den Wandschrank. Fein säuberlichhingen drei handliche Impulsstrahler in denHaltegurten. Sonst war der Schrank leer.

»Immerhin etwas«, knurrte Marshall. »Saurier sinddamit leicht zu erledigen.«

Für Rhodan schien das jedoch nicht dasHauptproblem zu sein.

»Keine Maschinenpistolen? Keine Gewehre?« Ersah sich um. »Was ist an Lebensmitteln und Wasservorhanden?«

Okura machte ein bedauerndes Gesicht.»Ein paar Konzentrate und einige Liter Wasser.

Für zwei oder drei Tage wird es reichen. Wir könnenvon der Jagd leben.«

»Irrtum!« Rhodan schüttelte den Kopf. »DerEnergiestrahl einer positronischen Impulspistoleverbrennt und verdampft sofort jegliche Materie.Selbst von einem Saurier bleibt bei genügenderBestrahlung nicht viel übrig.«

»Dann müssen wir eben darauf achten«, sagteMarshall, »daß wir ihn nur töten und den Beschußrechtzeitig einstellen. Außerdem habe ich ja, wieimmer, meinen altmodischen Trommelrevolverdabei.« Er klopfte vielsagend auf seine Tasche.»Bully hat mich oft genug deswegen ausgelacht.«

»Ich tue es auch«, knurrte Rhodan. »Wollen Sievielleicht mit dem Spielzeug einen Saurierumlegen?«

»Das weniger. Aber es gibt ja auch kleinere Tiereauf der Venus. Vielleicht sind die schmackhafter.«Okura lachte zufrieden. »Marshall hat nicht unrecht,Sir. Ich glaube schon, daß wir Fleisch finden.Vielleicht gibt es auch Früchte hier. Als ich damalsmeine Ausbildung erhielt, bekamen wir oft Obst. Icherkenne es bestimmt wieder, wenn es irgendwowächst. Meine Sorge gilt mehr dem Wasser. Wirkönnen doch das Zeug aus den Sümpfen nichttrinken. Wer weiß, welche Bakterien sich darinaufhalten.«

»Dagegen gibt es im Medizinschrank ein Mittel.Es ersetzt das Abkochen.« Rhodan machte eineentsprechende Handbewegung. »Man schüttet dasPulver einfach in einen Kessel Wasser, und schonsind die Bakterien erledigt. Natürlich müssen wirnoch filtern, um alle eventuell giftigenVerunreinigungen zu entfernen. Es ersetzt sogar dasDestillieren, denn Abkochen können wir zur Not ja.Holz gibt es genug auf dem Grund des Waldes.«

»Ja, naß und feucht. Wir werden damit nicht vielanfangen können.«

Okura griff in den Vorratsschrank und hob einPäckchen in die Höhe.

»Wer redet immerzu von Holz? Sehen Sie her,Marshall. Was ist das? Energieton! Hundertmal

ausgiebiger als Trockenspiritus. Damit können wiruns drei Monate lang täglich drei Mahlzeitenbereiten. Fehlen nur die Saurierschnitzel.«

Marshall verzog das Gesicht. »Ich habe noch nieSaurier gegessen«, beklagte er sich.

»Dann wird es höchste Zeit«, eröffnete ihmRhodan und setzte sich wieder in seinen Liegesitz.»Packt alles ein, was uns von Nutzen sein könnte,und dann legt euch schlafen. Wer weiß, wann wirwieder Gelegenheit haben werden, in Ruhe zuschlafen.«

Er schloß die Augen, und bald verkündetenregelmäßige Atemzüge, daß Perry Rhodanentschlossen war, seine Kräfte für das kommendeAbenteuer zu sammeln.

Ein Abenteuer, das ihn von einer Sekunde zuranderen aus einer Ära modernster Technik in dieUrzeit zurückversetzt hatte.

*

Sie hingen in den dicken Ästen eines riesigenBaumes, mehr als fünfzig Meter über demtrügerischen Boden des Dschungels. ArmdickeSchlingpflanzen erleichterten das Klettern.

Rhodan warf einen letzten Blick in dieGeborgenheit der Kabine, die sie nun für immerverließen. Seiner Schätzung nach mußte dieArkonidenstation mit der Roboterbesatzung etwa 520Kilometer westlich liegen. Eine Entfernung, dieinfolge der urweltlichen Fauna und Flora zu einemfast unüberwindlichen Hindernis wurde.

Er überprüfte den Sitz des Impulsstrahlers imGürtel, hängte sich den kleinen Beutel mit seinemAnteil an Wasser und Lebensmittelkonzentraten umden Hals und suchte nach dem nächsten Ast.Marshall war bereits einige Meter tiefer gestiegen.Okura starrte angestrengt nach unten.

»Wir haben Glück. Eine kleine Lichtung. VonTieren ist nichts zu bemerken.«

Es war selbst für Rhodan immer wiederunheimlich festzustellen, wie gut der Mutant in fastvölliger Finsternis zu sehen vermochte. Dabei warkaum die Hand vor den Augen zu erkennen.Irgendwo in weiter Ferne mußte ein Vulkanausgebrochen sein; vielleicht im nächsten Gebirge.Ein schwacher, rötlicher Schein drang durch denUrwald und verlieh allen Gegenständen einen rosaSchimmer. Man konnte diesen Zustand jedoch nichtals »sehen« bezeichnen.

»Von hier aus geht es weiter«, rief Marshall vonunten herauf. »Diese Lianen bilden eine regelrechteStrickleiter.«

Rhodan tastete mit den Füßen nach einem Halt,fand ihn und ließ sich dann langsam nach unten. Fastkam es ihm so vor, sie könnten hier auf den Bäumen

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schneller vorankommen, als dort unten auf demtrügerischen Grund des Urwaldes. Aber das würdeerst die Praxis erweisen. Vielleicht konnte man beiTageslicht die Methode wechseln.

Es dauerte drei Stunden, ehe sie auf festem Bodenstanden. Okura sah auf seinen Armkompaß. »Nachdort - wenn sich kein Hindernis in den Weg stellt.Soweit ich erkennen kann, gibt es hier keinen Sumpf.Auch der Boden ist verhältnismäßig trocken.«

Rhodan verspürte starke Kopfschmerzen, eineFolge seiner Verletzung. Selbst ein Unsterblicher,dachte er bitter, kann also Kopfschmerzen haben.Und er kann auch sterben, wenn er Pech hat.

Während er hinter Okura herging, liefen dieEreignisse auf dem Planeten des ewigen Lebens nocheinmal wie ein Film vor ihm ab, schnell und flüchtig.Sie hatten die Spur verfolgt, die durch die Galaxisund durch die Zeit führte und Wanderer, deneinsamen Planeten gefunden, und auf ihm lebte dasunsterbliche Wesen aus der Vergangenheit. Es hatteihm, Rhodan, das Geheimnis der immerwährendenZellerhaltung teilweise erklärt und ihm Gelegenheitgegeben, die sogenannte »Zelldusche« zu besuchen.Damit wurde der Prozeß des Alterns für eine gewissePeriode zum Stillstand gebracht - genau 62 Jahrenach irdischer Zeitrechnung. Es hatte bestimmt, daßnur Terraner die Zelldusche benutzen durften, wennRhodan es erlaubte.

Nur noch Bully hatte eine Lebensverlängerungerhalten.

In 62 Jahren würde Rhodan mit Hilfe des großenPositronengehirns die genauen Raumkoordinaten deswandernden Planeten errechnen und ihn wiederaufsuchen. Aber sechs Jahrzehnte sind eine langeZeit. Was würde bis dahin alles noch geschehenkönnen ...? Okura blieb plötzlich stehen. Er sahangestrengt in das Dunkel und streckte den Armzurück, um Rhodan zu spüren. Marshall war gegenRhodan geprallt und fluchte unterdrückt. »Was istdenn los?« Okura flüsterte. »Da vorn bewegt sichetwas, ein großer Schatten. Ich kann es nicht genauerkennen. Zu hören ist nichts.«

»Dann ist es auch kein Saurier, die hört mankilometerweit.«

Rhodan schwieg. Er lauschte aufmerksam. SeineHand tastete unwillkürlich zum Pistolengriff.

Der Japaner atmete erleichtert auf.»Vielleicht ein anderes Tier. Jedenfalls sieht es

nicht so gut wie ich, denn es hat uns nicht bemerkt.Es wendet und dringt nach rechts in den Urwald ein.Den Umrissen nach zu urteilen, ist es so groß wie einGorilla und sieht auch so ähnlich aus. Vielleicht gibtes auf der Venus schon Affen.«

»Um Himmels willen«, knurrte Marshall leise.Rhodan wandte sich um. »Wieso? Haben Sie etwasgegen Affen?«

»Das weniger, aber wenn es hier wirklich Affengibt, haben unsere Kolonisten in hunderttausendJahren Ärger mit den Venusianern meine ichwenigstens.« Rhodan lachte kaum hörbar. »Sie habenvielleicht Sorgen, Marshall! Andere haben Sienicht?«

Marshall knurrte etwas Unverständliches, gab aberkeine Antwort. Okura ging weiter. Rhodan hieltwieder die Hände schützend vors Gesicht und schritthinter ihm her.

Die Nacht würde noch vier Erdtage dauern, undwenn es in diesem günstigen Gelände keineunvorhergesehenen Aufenthalte gab, würden sie biszum Sonnenaufgang vielleicht einhundert Kilometerzurückgelegt haben.

Wahrhaftig rosige Aussichten. Nach fünf Stundengriff Rhodan nach vorn und hielt den Japaner bei derSchulter fest.

»Wir müssen eine Pause einlegen, Okura. Wennwir unsere Kräfte weiter so vergeuden, werden wirunser Ziel niemals erreichen. Sobald Sie einengünstigen Lagerplatz entdecken, wird angehalten.Vielleicht finden wir eine Lichtung.«

»Darf ich etwas anderes vorschlagen?« DerJapaner blieb stehen. »Wie wäre es, wenn wir einigeMeter in die Bäume klettern? Wir finden bestimmteinen breiten Ast, auf dem wir alle Platz haben. Hierunten müßte ich ständig aufpassen, denn überall kanneine Gefahr lauern. In den Bäumen halte ich es fürrelativ sicher.«

»Ich bin erstaunt, daß wir noch nicht in sumpfigesGebiet geraten sind«, wunderte sich Marshall. »Wirmüssen ein unverschämtes Glück gehabt haben.«

»Wir sind erst fünf Kilometer gelaufen«, sagteRhodan.

Okura fand einen günstigen Baum und stieg voran.In zehn Meter Höhe befand sich ein breiter,waagrechter Ast, der in einem Nest vonSchlingpflanzen eingebettet war. Dadurch entstandeine Art Höhle, in der sich die Männer sofort sicherfühlten.

Marshall übernahm das Amt des Kochs.Als die aufgelösten Konzentrate in der Suppe

schwammen und das farblose Feuer unter dem Topfflackerte, begannen sie sich sogar heimisch zufühlen.

»Ich denke, es ist alles halb so schlimm«, meinteder Australier fröhlich und rührte in der Brühe.»Wenn es erst einmal Tag wird, marschieren wir wiedie Wandervögel.«

Niemand konnte das bedenkliche Gesicht Rhodanssehen - wenigstens Marshall nicht. In das Schweigenhinein sagte Okura:

»Es ist aber noch nicht Tag.« Wortlos rührteMarshall in seinem Topf.

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3.

Viele Stunden vorher ...Die verschleierte Venussonne bereitete sich auf

den Untergang vor. Der verwaschene Fleck hinter derDunstschicht schien an Leuchtkraft zu verlieren undwurde dafür farbiger. Die durch die Wolkenschleierverursachte Lichtbrechung verwandelte dieWassersonne in ein farbenprächtiges spektralesSchauspiel am sonst eintönigen Venushimmel.

Allmählich begann das Rot überhand zu nehmen.Die Urwelt wurde von einem rosa Schimmerüberzogen, und die grüne Hölle schien zu einemParadies der überwältigenden Farben werden zuwollen. Sogar die tückisch schillerndenSumpfflächen glichen der bunten Palette einesgöttlichen Malers, der unsichtbar über seinem sichständig verändernden Werk wachte.

Die Welt der Venus hielt den Atem an, wenn dielange Nacht anbrach. Es war wie eine Wachablösung.Die mächtigen Saurier kehrten aus den Wäldernzurück und begaben sich in die Sicherheit ihreseinstigen Elementes. Ganze Scharen von ihnenwälzten sich durch das überhohe Uferschilf undließen die Farbenpracht des Sumpfes zu einemwirbelnden Riesenspektrum werden, das an bunteGalaxien erinnerte, die auf ihrer endlosen Bahn durchdas Nichts ziehen, sich dabei ewig drehen undsinnlos nach einem Ziel suchen.

In der Ferne glühten die nackten Felsen derGebirge. Sie sahen aus, als seien sie von flüssigemFeuer übergossen. Dazwischen funkelten silberhelleWasserfälle. Wenn sie tief unten auf dem Dach desUrwaldes zerstäubten, sah es genau so aus, alsverteile sich ein Regenbogen und wolle die Welt mitseinen durchsichtigen Farben bedecken.

Während die Saurier sich zur langen Nachtruhebegaben, erwachten die Lebewesen der Finsternis.Die kurze Ruhepause des Übergangs wurde jähabgebrochen, als die Sonne am dunstigen undbrennenden Horizont versank. Mit lautlosem Flug,aber schrillem Krächzen, zogen riesenhafte Vögeldurch die Dämmerung über Sümpfe und Wälderdahin und suchten Beute. Gigantische Nachtfaltertaumelten der sinkenden Sonne entgegen undversuchten vergeblich, sie einzuholen.

Am Rand des Felsenplateaus, das wie eine Inselaus dem grünen Meer des Urwaldes herausragte,standen einige Männer und betrachteten ergriffen dasgewaltige Naturschauspiel. Es war nichts Neues fürsie, aber sie konnten sich niemals ganz seinem Bannentziehen.

Sie trugen eine einheitliche Kleidung - oder besser:sie hatten einmal eine getragen. Die Uniformenwaren nun zerfetzt und fast unkenntlich geworden.

Nur die Gürtel hielten sie noch einigermaßenzusammen. Die Hosen steckten in zerrissenenStiefeln, und einige der Männer hatten die Schulternin roh bearbeitete Felle eingehüllt. Denn mit deruntergehenden Sonne wurde es auch kühler.

Die Haare waren lang, ebenso wie die verfilztenBärte. Aber wenn die Männer auch seltsam aussahen,so waren sie doch mit Sicherheit Menschen von derfernen Erde.

Der eine von ihnen, ein kräftig gebauter,untersetzter Bursche mit einem breitflächigenGesicht hielt die Hand schützend vor die Augen.

»Es ist schöner als auf der Erde«, sagte er in einerSprache, die wie Russisch klang. »Vielleicht hat dasdie anderen dazu verführt, hierbleiben zu wollen.«

»Wahrscheinlich, General Tomisenkow. Es gibtkeine andere Erklärung. Sie haben den Verstandverloren.«

Der ehemalige Kommandant der östlichenLuftlandedivision, die von Rhodan zerschlagenworden war, schüttelte entschieden den Kopf.

»Ich glaube nicht, daß ihre Haltung so einfach zuerklären ist. Es mag andere, komplizierte Gründegeben. Die Venus ist eine wilde, aber eine freie Welt...«

»Sind wir nicht auch frei?« fragte einer derMänner lauernd.

»Freiheit und Freiheit - gibt es nicht Unterschiede?Ist Freiheit nicht ein Begriff der Relativität und despolitischen Dogmas? Freiheit kann befohlen werden,man kann sie aber auch erringen.«

»Sie sagen merkwürdige Dinge, General«, warf einanderer Mann nachdenklich ein und schaute hinüberin die weite Ebene, die nach Westen lag. Auch dorterhoben sich kleine Felseninseln, und von einer stiegder Rauch eines Feuers in die Dämmerung empor.»Waren es nicht die Rebellen, die genau die gleichenDinge sagten?«

»Sie taten es, aber sie taten auch noch etwasanderes; sie trennten sich von uns, weil sie nach demZusammenbruch unserer Invasion nicht mehr in dieHeimat zurückkehren wollten. Unser Befehl lautete,Rhodans Venusstützpunkt zu erobern. Es ist uns nichtgelungen. Rhodan zerstörte unsere Schiffe und ließuns hilflos in der Wildnis zurück. Er wußte, daß derMensch hier überleben kann. Die Rebellen wissen esauch. Darauf ist ihr Plan fundiert. Darinunterscheiden wir uns von ihnen. Wir wollen auf dieErde zurückkehren, um einen neuen Versuchvorzubereiten. Die Rebellen aber haben beschlossen,auf der Venus zu bleiben und sie zu kolonisieren.Wie sinnlos der Versuch mit den kärglichen Mittelnist, scheinen sie nicht zu begreifen.«

»Immerhin haben sie ihre Insel bereits gerodet unddas Land bebaut. Die Venus ist sehr fruchtbar. Siewäre Neuland für Siedler.«

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»Der Standpunkt der Rebellen ist genau so gut wiejeder andere«, gab der General widerwillig zu. »Abersie sind trotzdem Meuterer, die sich dem Befehlwidersetzen. Und Meuterer werden gehängt.«

Der verwilderte Soldat neben Tomisenkow griffsich unwillkürlich an den Hals und überzeugte sichdavon, daß der Kopf noch fest darauf saß. Seinerechte Hand lag auf dem Kolben der Strahlenwaffeim Gürtel. Mit zusammengekniffenen Augen sah erin Richtung des Rebellenlagers. Es war noch hellgenug, um mit einem Feldstecher alle Einzelheitenerkennen zu können. Auch dort drüben standen dieWachtposten und schauten herüber. Sie waren dieeinzigen Menschen auf der Venus, gehörtendemselben Machtblock an und doch waren sieTodfeinde und bekämpften sich mit allen Mitteln.General Tomisenkow wollte sich gerade abwenden,um in seine Hütte zurückzukehren, als ein grellerLichtschein die Dämmerung zerriß. Es war, als habein der Mitte des Planeten, auf dem die geschlagenenund schiffbrüchigen Invasionstruppen sichniedergelassen hatten, ein Blitz eingeschlagen.Gewitter waren auf der Venus nicht gerade selten,aber im Augenblick war nicht die rechte Zeit dazu.

Mit einem donnernden Rauschen fegte derLuftdruck über die Männer dahin und warf einigevon ihnen zu Boden. Tomisenkow gelang es, sich aneinen Baum zu klammern. Mit aufgerissenen Augenstarrte er in den verblassenden Himmel undversuchte, den glühenden Punkt zu erkennen, derlangsam wie ein riesiger Meteor in die Tiefe sank.

Bei allen Höllengeistern - ein Raumschiff!

*

Aber es konnte keins von Rhodans Schiffen sein,denn die teuflischen Abwehrwaffen dieseraußerirdischen Festung hatten es angegriffen undabgeschossen. Nachschub der Heimat? Natürlich, esgab kaum eine andere Erklärung.

Ehe Tomisenkow einen Entschluß fassen konnte,blitzte es erneut auf. Das abstürzende Schiff wurdeaber nicht mehr getroffen, sondern verschwand hinterden Wipfeln der hohen Bäume.

Als der Luftdruck über ihn hinweggebraust war,rannte der General zu seinen Männern zurück.

»Sergeant Rabow, nehmen Sie sich einige Leuteund versuchen Sie, das abgestürzte Schiff zu finden.Wenn auch vielleicht niemand mehr lebt, so könnenwir Lebensmittel und Waffen sehr gut gebrauchen.Beeilen Sie sich, ehe es ganz dunkel wird.«

Der Sergeant, ein kleiner, dunkelhaariger Burschemit flinken Augen, nickte eifrig.

»Ich nehme den Scheinwerfer mit, General. Wirwerden das Schiff finden, verlassen Sie sich darauf.Wollen Sie nicht mitkommen?«

Tomisenkow runzelte die Brauen. Es war wirklicheine Schande, wie sehr die Disziplin schonnachgelassen hatte. Es wurde Zeit, sich dieseplumpen Vertraulichkeiten allmählich zu verbitten.

»Ich habe Wichtigeres zu tun«, grunzte er wütendund schritt davon, den Hütten am Fuß eines kleinenFelsenkegels zu. Er begann, sich unter seinenMännern einsam zu fühlen.

Sergeant Rabow sah ihm unbewegt nach. SeineAugen waren zu engen Schlitzen geworden, und fastsah er wie ein Mongole aus. Aber er war keinMongole, sondern ein drahtiger Ukrainer. Und vieleseiner Kameraden weilten im Lager der Rebellen. Beider nächsten Gelegenheit ...

Er schob die unerfreulichen Gedanken beiseite undging in großem Abstand hinter dem General her. DieWachtposten blieben am Rande des Plateaus zurückund warteten auf den nächsten Abschußblitz. Aber eskam keiner mehr.

*

Thora erwachte, als es völlig dunkel gewordenwar. Ihre Beine schmerzten immer noch und ließensich nur mühsam bewegen. In den Hüften war einscharfes Stechen, aber es blieb erträglich.

Vorsichtig versuchte Thora, sich zu erheben. Mitden Armen stützte sie sich auf die Lehnen des Sessels- und dann stand sie. Der Boden unter ihren Füßenwar stark geneigt, und sie mußte aufpassen, damit sienicht abrutschte.

Sie schaltete die Beleuchtung ein, aber es bliebfinster. Mit einem harten Ruck riß sie den Hebel derNotbatterie nach unten. Sofort flammten die Lampenauf. Ihr Blick fiel auf Roboter R-17.

Er hing immer noch in der gleichen Stellung inseinem Sessel, die Stirn gegen die Instrumentegelegt. Der rechte Arm lag angewinkelt auf demschmalen Tisch, vor den Kontrollen, der linke hingschlaff nach unten.

Thora fühlte sich auf einmal sehr einsam, als siedaran dachte, daß R-17 »tot« sein könne. Eine kleineReparatur konnte sie schon selbst durchführen, aberwenn eines der komplizierten positronischenInnenteile beschädigt war, würde R-17 für immer imvenusianischen Urwald bleiben und im Verlauf derJahrtausende verrosten - wenn er nicht vorhergefunden wurde.

Vor der Sichtluke war es dunkel. Nur fern amHorizont war noch ein rötlicher Schimmer der schonlange versunkenen Sonne zu sehen. Scharf hobensich dagegen die Schatten von einzelnen Felsen undBäumen ab.

Thora konnte feststellen, daß sie nicht mitten imUrwald gelandet war. Das zerstörte Schiff lag aufebener Erde. Wie durch ein Wunder mußte es von

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den Baumwipfeln, die den Aufprall abgeschwächthatten, bis auf den Boden abgeglitten sein. Erst derletzte Fall war hart gewesen, er hatte ihr die Beineverstaucht und R-17 zur Bewegungslosigkeitverdammt.

Sie streckte die Glieder und kam zu derAuffassung, daß sie alle heil geblieben waren. Danngalt ihre erste Sorge dem Roboter. Mit geübtenGriffen löste sie das Brustteil und leuchtete mit einerTaschenlampe in das Gewirr von Transistoren,Leitungen und anderen elektronischen Teilchen.Soweit sie feststellen konnte, war nichts unbrauchbargeworden. Nachdenklich legte sie die Brustplattewieder auf und ließ die Magnethafter einschnappen.Es gab keinen Zweifel. Das mußte es sein. R-17 warmit der Stirn gegen die Instrumententafel geprallt.

Die Kopfplatte ließ sich ebenso leicht abheben,und da sah Thora auch schon, daß sie ein fastunglaubliches Glück gehabt hatte. Eine derHauptleitungen war gelöst worden und hing nutzlosinmitten der winzigen Arkonitröhren.

Im Ersatzkasten fand sie Lötzeug und hatte denSchaden innerhalb weniger Minuten behoben. R-17erwachte. Er hob den Kopf, sah Thora an und fragte:

»Was ist geschehen? Ich war desaktiviert worden.«»Ein Kabel, mehr nicht. Wir sind von den

Wachgeschützen der Station abgeschossen worden.Wahrscheinlich klappte was mit dem Kodeausgebernicht. Die Station müßte in knapp fünfhundertKilometer Entfernung liegen. Was nun?«

»Warten«, entgegnete R-17. Für ihn war das dieeinzig richtige Erkenntnis. Er hatte Zeit.

»Warten - worauf? Bis man uns findet? Die Venusist unbewohnt. Rhodan wird, wenn er mich suchensollte, zur Station fliegen. Er wird kaum auf denGedanken kommen, daß ich abgeschossen wurde.Was ist mit unseren Funkgeräten?«

R-17 stand auf und schritt merkwürdig vorgeneigtauf die Tür des Funkraumes zu. Seine schrägeHaltung war eine Wirkung der nun wiederarbeitenden Stabilisierungskreisel. Er paßte sich derschiefen Bodenebene an und war nicht vomGravitationsmittelpunkt abhängig. Thora bliebzurück und versuchte, die Gegenstände vor derSichtluke zu erkennen. Aber draußen wurde es nichtheller, sondern von Minute zu Minute dunkler. DieDämmerung dauerte auf der Venus fünfmal so langewie auf der Erde, das war ihr Glück. So konnteThora, deren Augen sich allmählich an dieUmgebung gewöhnten, immer mehr erkennen.

Das Schiff lag schräg auf einer mit Felsenbedeckten Lichtung. Nur vereinzelte Bäume bildeteneinen lichten Waldrand, der nicht viel mit demsumpfigen Dschungel der Niederungen zu tun hatte.Das war immerhin eine tröstliche Tatsache, mit derThora sich nur allzugern abfand. R-17 kam in die

Zentrale zurück. »Die Funkgeräte sind außer Betriebund können auch nicht repariert werden«, stellte ersachlich fest. »Damit können wir nicht auf Hilferechnen, es sei denn, wir werden bald vermißt.Rhodan weiß doch von unserem Probeflug, nehmeich an.«

»Nein, Rhodan weiß nichts davon wenigstenswußte er nichts bis zum Augenblick unseres Starts.Ich bin ohne Erlaubnis gestartet, um von derVenusstation aus Verbindung mit Arkonaufzunehmen. Rhodan wollte nicht, daß Crest und ichnach Arkon zurückkehren.«

Der Roboter blieb mitten im Raum stehen. Er sahdie Frau starr an.

»Sie haben gegen Rhodans Befehle gehandelt? Siewissen, daß ich darauf konditioniert bin, nur Rhodanzu gehorchen. Sie sind somit meine Gegnerin.«

»Wir sind beide in der gleichen Lage.«»Trotzdem müssen Sie bestraft werden.«Thoras Stolz wurde hart getroffen. Sie, die

Angehörige einer beherrschenden Kultur, mußte sichvon ihrer eigenen Schöpfung sagen lassen, daß sieeine Strafe verdiente. Der Terraner Rhodan hatte denArkoniden auch die Macht über die Roboter aus derHand genommen.

»Ja, Rhodan müßte mich strafen«, gab sie zu undvermied es, unlogisch zu klingen. »Aber er kannmich nur dann bestrafen, wenn er mich lebendig vorsich sieht. Es ist also deine Pflicht, mich zu Rhodanzu bringen zur Venusstation. Denn dort nur werdenwir ihn treffen.«

Roboter R-17 erkannte, daß sie recht hatte. Ernickte, denn die arkonidischen Konstrukteure hattennicht darauf verzichtet, ihren Robotern menschliche,beziehungsweise arkonidische Reaktionenmitzugeben.

»Also gut, gehen wir zur Venusstation und wartendort auf Rhodan.«

Das - selbstverständlich - war leichter gesagt alsgetan.

»Ich bin von nun an für Ihre Sicherheit, für IhrLeben verantwortlich«, stellte R-17 nüchtern fest.»Sie haben das Gesetz Rhodans gebrochen und sindsomit meine Gefangene. Das Schiff ist unbrauchbar,wir werden also baldmöglichst aufbrechen, um keineZeit zu versäumen.«

»Was ist mit Lebensmitteln?« fiel es Thorabrennendheiß ein.

Der Roboter zeigte gegen die Wand.»Dort sind Waffen, Medikamente, Wasser und

Konzentrate - alles für drei Personen berechnet. Siewerden damit gut zwei Wochen auskommen. Icherlaube Ihnen eine Handwaffe, weil das meinem Zieldient.«

Thora schluckte auch das. Ein Roboter erlaubteihr, einer Arkonidin, das Tragen einer Waffe! Sie

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beschloß insgeheim, R-17 später einmal vorzeitigverschrotten zu lassen.

Sie nahm den Impulsstrahler und schob ihn in denGürtel. Dann verpackte sie die Konzentrate in einenkleinen Sack, reichte ihn dem Roboter und nahmselbst die Medikamente. Ein Wasserbehälter wurdevon R-17 freiwillig übernommen.

»Ich nehme den Scheinwerfer mit«, entschloß sichThora und schauderte zusammen, als sie vor derSichtluke die finstere Mauer der Wildnis erahnte.Wenn nicht der Gedanke, unter allen Umständen dieStation erreichen zu wollen, ihr ganzes Tun undDenken beeinflußte, hätte sie den Anbruch des neuenVenustages abgewartet. Aber sie wußte, daß mitjeder versäumten Minute ihre Chancen geringerwurden, mit Arkon in Verbindung zu treten. Rhodanwürde nicht untätig auf der Erde sitzen bleiben, umden Erfolg ihrer Aktion abzuwarten.

»Wenn ich meine Infrarotanlage einschalte, kannich im Dunkeln sehen«, beruhigte sie R-17. »Undfalls feindliche Lebewesen auftauchen, so habe ichmeinen Neutronenstrahler.« Er hob den linken Arm.»Ich werde Sie sicher zur Festung bringen.«

Erst jetzt fiel Thora ein, daß die Venus in derHauptsache von riesigen Sauriern bewohnt war. IhrMut sank erheblich. Dann aber siegte ihr fanatischerWille, ihren Entschluß durchzusetzen und Rhodandie Stirn zu bieten. Keine. Bestien sollten sie davonabhalten können.

Sie warf einen letzten Blick durch die Luke undöffnete dann entschlossen die Notausstiegtür. Sieklemmte ein wenig, aber als R-17 seinen mächtigenKörper dagegen stemmte, sprang sie mit einemschrillen Quietschen auf. Die immer noch schwüleVenusatmosphäre drang in die Kabine, und mit ihrder Geruch der Natur - Erde, Pflanzen, Leben.

R-17 stieg als erster die schmale Leiter hinab undstand dann wartend auf dem harten, trockenenBoden. Mit seinen künstlichen Augen durchdrang erdie Finsternis und sah alles, als stünde die Sonne amdunklen Himmel und beleuchtete die Landschafttaghell.

Das konnten Rabow und seine Leute natürlichnicht wissen.

Die Ostblockleute nahmen die Dunkelheit alsDeckung und pirschten sich an das abgestürzteRaumschiff heran, von dem sie nicht genau wußten,wer es zur Venus gebracht hatte. Es konntengenausogut Angehörige des Westblocks oder derAsiatischen Föderation sein. Aus der Sichtluke drangLicht. In ihm waren die Schatten von zwei Personen.Mehr war nicht zu erkennen. Dann sprang die Türauf, und zwei Gestalten verließen das Schiff, oderdas, was von ihm übriggeblieben war.

Das Licht in der Zentrale ließen sie brennen.Sergeant Rabow gab seinen Leuten ein Zeichen.

Die drei Männer umklammerten ihre Waffen undversuchten, die Dunkelheit mit ihren Augen zudurchdringen. Das Licht im Raumschiff gab ihneneinen Anhaltspunkt, aber von den beiden Männern,die es verlassen hätten, war nicht viel zu sehen. Siemußten unter dem Schiff stehengeblieben sein, dennsie bewegten sich nicht mehr, sie verharrten reglos.

R-17 wandte sich ohne jede Erregung an Thora:»Wir haben ungemeines Glück dort vorn sind

Menschen. Ich kann sie deutlich erkennen. Vierbewaffnete Männer. Sie nähern sich uns. Wenn ichwill, kann ich sie töten.«

Thora überwand ihre Überraschung ungemeinschnell. »Nein, wozu? Sind es Feinde?«

»Ihre Haltung läßt kaum auf friedliche Absichtenschließen. Sie haben das Schiff abstürzen sehen undkommen, um sich die Beute zu holen. Vielleichtwaren sogar sie es, die uns beschossen.«

»Du weißt genau, daß die Wachelektronik derStation uns abschoß«, schüttelte Thora den Kopf.»Wer sind diese vier Männer? Kannst du sieerkennen?«

»Sie sehen aus, als lebten sie schon Jahre imDschungel.«

Die Erkenntnis durchzuckte Thora wie ein Blitz:die verschollenen Raumlandetruppen des Ostblocks.Das hieß: potentielle Feinde.

Auch hier in den Dschungeln der Venus, wo einerauf den anderen angewiesen war?

Sie zückte die Schultern. »Sie sind uns nichtfreundlich gesonnen, R-17, aber wir wollen ersteinmal wissen, was sie von uns wollen. Halte dichbereit, notfalls einzugreifen. Ich will mit ihnensprechen. Lassen wir sie herankommen, sie wissen janicht, daß du sie siehst.«

Schweigend warteten der Roboter und die Frau, bisRabow und seine Leute nur noch wenige Schritteentfernt waren. Dann sagte Thora in englischerSprache, die ihr am geläufigsten war: »Was wollenSie von uns?« Der Sergeant mußte sich so erschreckthaben, als plötzlich die weibliche Stimme aus derDunkelheit zu ihm sprach, daß er völlig die Fassungverlor. Er stolperte und fiel der Länge nach hin.Krachend flog seine Waffe gegen die Felsen. Er gabeinen blumenreichen russischen Fluch von sich.Immer noch liegend sagte Rabow: »Wir wolltenIhnen helfen. Wer sind Sie?«

R-17, der den Sergeanten genau sehen konnte,antwortete:

»Wir sind für jede Hilfe dankbar. Ich darfannehmen, daß Sie zu den Truppen des GeneralsTomisenkow gehören.«

Rabow hatte sich langsam wieder aufgerappelt.Die Stimme des Mannes im Dunkel klangmerkwürdig hart und mechanisch, wenn das Englischauch einwandfrei war. Der Sergeant verstand

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Englisch sehr gut. Es waren also Leute desWestblocks, die abgeschossen worden waren.

»Ja, wir gehören zu Tomisenkows Leuten. Wirsind im gleichen Boot.«

»Ich verstehe Sie nicht«, stellte R-17 sachlich fest.Für idiomatische Ausdrücke war er nicht zuständig.Thora sagte schnell:

»Natürlich müssen wir zusammenhalten, wenn wirüberleben wollen. Wie haben Sie uns so schnellgefunden?«

Rabow war langsam nähergekommen und geriet inden Lichtschein, der aus der Kabine fiel. In seinemverwilderten Aufzug machte er nicht gerade einensehr vertrauenerweckenden Eindruck. Thora dachtemit Schaudern daran, was alles geschehen könnte,wenn sie so rauhen Burschen in die Hände fiel. AberR-17 war ja bei ihr, und der Roboter würde sie schonschützen. Rabow achtete im ersten Augenblickweniger auf die weißen Haare und die rotenAlbinoaugen. Er sah nur die Frau. Und er hatte,genau wie seine Kameraden, seit vielen Monatenkeine Frau gesehen. Er war ein harter und tapfererMann, aber der ungewohnte Anblick ließ ihnverlegen werden. Unsicher trat er von einem Fuß aufden anderen und stammelte schließlich:

»Wir sahen Sie abstürzen. Unser Lager ist nichtweit von hier entfernt. General Tomisenkow schicktuns.«

»Na gut«, nickte Thora, die instinktiv ihren Vorteilerfaßte. »Dann führen Sie uns zu Ihrem General. Wirhaben mit ihm zu reden.«

Rabow nickte. Ihm fiel ein, daß es ja noch andereund wichtigere Fragen zu stellen gab.

»Sind Sie die einzigen, die den Absturzüberlebten?«

»Wir waren die einzigen Passagiere«, erwiderteThora, ohne auf die Überraschung Rabows zu achten.»Gehen wir. Ich habe keine Lust, die ganze Nachthier herumzustehen.«

Sergeant Rabow begann zu ahnen, daß hier dieRollen vertauscht worden waren, aber instinktivwehrte er sich dagegen, es mit dieser Frau zuverscherzen. Er gab daher seinen drei Männern denBefehl, den Rückweg anzutreten und die Waffenumzuhängen. Er selbst zog es vor, neben Thora zugehen. Auf den anderen Überlebenden achtete erkaum. Seiner Meinung nach mußte er derKommandant des abgeschossenen Schiffes sein.Mehr aus reiner Höflichkeit sagte er zu R-17, derbisher im Dunkeln geblieben war:

»Ich hoffe. Sie haben keine Verletzungenerlitten?« Der Roboter entgegnete sachlich: »Es löstesich lediglich ein Kabel, aber wir konnten esreparieren. Mit dem Schiff wird sich allerdings nichtmehr viel anfangen lassen.«

Sergeant Rabow benötigte etliche Sekunden, ehe

er das scheinbar Sinnlose der Antwort bemerkte.»Ein Kabel?« murmelte er verständnislos. »Wo hat

sich ein Kabel gelöst?«»Bei mir, sagte ich es nicht?« Rabow blieb stehen.

R-17, der nicht schnell genug reagierte, prallte gegenihn. Fast wäre Rabow gestürzt, denn es war, alswürde er von einem leichten Panzer gerammt. Inseiner Überraschung klammerte er sich an Thora, diezum Glück schnell einen Baum fand, an dem sie sichfesthalten konnte.

Der linke Arm von R-17 kam drohend hoch.»Wer sind Sie?« fragte Rabow fassungslos.Thora machte sich von dem Sergeanten frei und

schüttelte unwillig den Kopf.»Seien Sie nicht so impulsiv, mein Freund. Mein

Begleiter ist ein Roboter. Was ist daran soerstaunlich?«

Rabow kannte natürlich keine arkonidischenRoboter, aber er wußte, daß auf der Erde nurRhodans Dritte Macht Roboter besaß. Wie kamen dieLeute des Westblocks an diese Roboter? Oder - einneuer Gedanke durchzuckte ihn - gehörten diesebeiden nicht zum Westblock? Warum aber waren siedann abgeschossen worden?

Irgend etwas stimmte da doch nicht? Er beschloß,direkt zu fragen. »Sie gehören zur Dritten Macht?«

»Zweifelten Sie daran?« gab Thora zurück undmachte eine unwillige Handbewegung, die außerR-17 niemand zu sehen vermochte. »Wollen wirewig hier stehenbleiben?«

Rabow warf einen scheuen Blick in die Richtung,in der er den Roboter vermutete, und setzte sicherneut in Bewegung. Eine Frau und ein Roboter ... Soeinen merkwürdigen Fang hatten weder er nochGeneral Tomisenkow je in ihrem Leben gemacht.

4.

Son Okura erwachte von einem Geräusch.Im ersten Augenblick hätte er nicht zu sagen

vermocht, was gewesen war oder wer es verursachthaben könnte. Es dauerte sogar lange Sekunden, biser sich entsann, wo er war.

Richtig, zusammen mit John Marshall und PerryRhodan hockte er auf einem breiten Ast, zehn Meterhoch über dem Venusboden, mitten im Urwald desjungfräulichen Planeten. Es war stockdunkel.Irgendwo im Westen lag die Arkonidenstation aufdem Hochplateau eines Gebirges. Irgendwo hinterihnen im Osten waren die Trümmer ihresRaumschiffes verglüht.

Da war das Geräusch wieder. Okuras Beineschmerzten, aber das störte ihn im Augenblick nicht.Er aktivierte den mutierten Teil seines Gehirns - unddie Nacht wurde für ihn plötzlich taghell. Er konntesehen.

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Rhodan lag halb sitzend keine zwei Meter von ihmentfernt. Der Rücken war gegen einen dünnen Astgelehnt. Neben ihm hockte Marshall mithalbgeöffnetem Mund und schnarchte. Seine rechteHand war in der Tasche, und Okura hätte seineWasserration verwettet, daß sie auch im Schlaf denKolben des altmodischen Trommelrevolversumklammerte.

Es war ein schleifendes Geräusch, und es kam vonlinks, wo der gewaltige Stamm des Riesenbaumes indie Höhe strebte, mehr als hundert Meter hoch,hinauf zum Dach des Urwaldes.

Okura blieb regungslos sitzen und versuchte, dieUrsache des Geräusches zu erkennen. Und als er eserkannte, blieb er ebenso regungslos sitzen. SeinHerzschlag setzte für einen Augenblick aus, dannaber drängte das Blut zum Kopf und drohte, ihn zuzersprengen.

Langsam schob sich das gelbe Etwas über dieAstgabelung und kroch in regelmäßigen Wellen aufdie drei Männer zu.

Okura hatte noch nie in seinem Leben einenvenusianischen Schneckenwurm gesehen. Es warsogar wahrscheinlich, daß nie ein Mensch zuvordieses Tier erblickt hatte. Er lebte verborgen in denTiefen der unermeßlichen Urwälder, verkroch sichbei Tage in die Höhlungen faulender Baumriesen undwagte sich nur bei Nacht hervor. Seine Nahrungwaren alle organischen Stoffe - Pflanzen, weichesHolz - und Fleisch. Alles, was selbst langsam odergar unbeweglich war, fiel ihm zum Opfer.

Dabei konnte der Schneckenwurm nicht alsRaubtier bezeichnet werden, wenn man sich daruntereine reißende Bestie vorstellte.

Immerhin genügte sein bloßer Anblick, Okura sovor Schreck erstarren zu lassen, daß er keinerBewegung mehr fähig war. Mit aufgerissenen Augensah er dem unheimlichen Wesen entgegen, daslangsam auf ihn zukroch.

Es erinnerte in der Tat an eine Schnecke,wenigstens was den Kopf anging. Lange Fühlerstreckten sich vibrierend vor und suchten nach einemHindernis. Auf den Fühlern, so erkannte Okura,saßen die kleinen Augen. Der andere Teil des Tiereswar der Wärm. Ein langgestreckter und biegsamerKörper ohne sichtbare Beine. Die Bewegungen dereinzelnen Ringglieder ließen den Schneckenwurmvorangleiten.

Erschreckend war der gefräßige Mund mit den dreihintereinander liegenden Zahnreihen. Diese spitzenFreßwerkzeuge konnten so ziemlich alles zerkleinern,was zwischen sie geriet. Ganz bestimmt auchKnochen.

Soweit war Okura mit seinen Überlegungengekommen, als das Tier in seinen Bewegungeninnehielt. Die langen Stielaugen richteten sich auf

den Japaner, als könnten auch sie im Dunkeln sehen.Vielleicht konnten sie es sogar. Jedenfalls mußte esdie Beute gewittert haben und überlegte nun, ob sielangsam genug war, ihm nicht mehr zu entwischen.

Okura sah, daß der Wurm mindestens fünf Meterlang war. Er gelangte zu der Auffassung, daß seinInneres Platz genug bot, ihn und noch mindestenseinen der Kameraden in sich aufzunehmen,besonders dann, wenn zuvor ein ordentlicherZerkleinerungsprozeß stattfand. Der unangenehmeGedanke, unter Umständen hier oben in allerGemütsruhe verspeist zu werden, ließ seineLebensgeister und seine Entschlußkraftzurückkehren.

Mit einem schnellen Griff riß er seinen Strahleraus dem Gürtel und entsicherte ihn. Er überzeugtesich davon, daß die Kontrollampe aufleuchtete undwußte, daß die vorhandene Energie genügte, zehnvon diesen gräßlichen Schlangenbiestern zuerledigen. Mit der Waffe in der Hand verschwand derletzte Rest von. Angst, die sich in Okuras Herzeingenistet hatte. Kein Lebewesen auf der Venuswürde einem modernen Impulsstrahler der Arkonidenwiderstehen können.

Der Schneckenwurm schien entschieden zu haben,daß ein Versuch sich immerhin lohnen würde. DieKörperringe bewegten sich wieder, und dasschleifende Geräusch, das Okura geweckt hatte, warerneut zu hören. Der Japaner warf einen besorgtenBlick auf seine schlafenden Kameraden, dann zuckteer die Achseln. Sie würden wohl schon vor Schrecknicht gleich vom Baum fallen, wenn das Zischen derEntladung sie aus dem wohlverdientenSchlummerriß.

Er nahm genaues Ziel, was bei der geringenEntfernung nicht schwer war, und drückte auf denFeuerknopf. Der feine Energiestrahl erwischte dasseltsame, aber so gefährliche Geschöpf genau amKopf. Die Fühler, die Augen, das gefräßige Maul unddie obere Hälfte des gelben Körpers verschwanden inder aufzuckenden Energieflamme und vergastenaugenblicklich. Der Rest des Schneckenwurmsbäumte sich wild auf, rutschte dann seitwärts überden Ast ab und fiel in die Tiefe.

Rhodan war auf der Stelle hellwach. Er richtetesich auf und sah, wie Okura mit dem Fuß dieaufzüngelnden Flammen auslöschte, ehe sie aufvertrocknete Blätter und Schlingpflanzen übergreifenkonnten.

»Was ist passiert, Okura?«»Eine Art Schlange. Sie schlich sich heran, aber

ich wurde rechtzeitig wach. Ich denke, es ist ohnehinZeit an den Weitermarsch zu denken.«

Marshall drehte sich schwerfällig auf die andereSeite.

»Was soll der Lärm?« beschwerte er sich

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verschlafen. »Es ist ja noch stockfinster. Kann mandenn nie seine Ruhe haben?«

»Sie hätten sie bald für ewig gehabt«, eröffneteihm Rhodan in aller Ruhe und setzte sich endgültighin. »Wäre Okura nicht rechtzeitig aufgewacht, hätteuns der Tatzelwurm gefressen.«

»Der - was?«Marshall war noch viel zu müde, um in den

Gedanken des Japaners nach dem wahrenSachverhalt zu forschen.

»Irgendein Ungeheuer. Eine Art Schlange, wennman will. Okura erblickte sie im letzten Augenblickund tötete sie. Haben Sie denn nichts gehört?«

Marshall setzte sich neben Rhodan. Er schüttelteden Kopf.

»Wie kann ich denn etwas gehört haben? Ichschlief doch.«

Nach dieser sehr logisch, klingenden Feststellungmachte er sich daran, die Vorbereitungen für dasFrühstück zu treffen. Die Stelle des Astes, wo derSchneckenwurm sein Leben ausgehaucht hatte,glühte noch immer und gab genügend Licht.

Eine halbe Stunde später marschierten sie wiederdurch den Urwald. Okura schritt voran, den Strahlerschußbereit in der Hand, und sondierte das Gelände.Der Boden war immer noch trocken. Da es aberständig fast unmerklich abwärts ging, konnte derAugenblick nicht mehr fern sein, in dem man aufSumpf stieß. Alle drei Männer sahen diesemAugenblick mit den gleichen Bedenken entgegen.

Irgendwo rechts raschelte es im Dickicht.Marshall, der den Abschluß machte, hob die Waffe,fand aber kein Ziel in der Dunkelheit. Er hörte dieSchritte, die keine zehn Meter vor ihm entfernt durchdas dichte Unterholz stapften. In seinem Gehirn warein geringfügiger Druck. »Jemand« dachte. Ohnesich ein Ergebnis zu erhoffen, aktivierte er seinentelepathischen Empfangsteil - und esperte.

Wahrhaftig, er empfing die Gedanken einesUnbekannten. Es waren sehr primitive undoberflächliche Gedanken, die sich in der Hauptsacheum Beute und Fressen drehten, aber immerhin warenes Gedanken.

»Rechts ist jemand«, flüsterte er laut genug, daßOkura und Rhodan es hören konnten. »Sehen Sieihn?«

Der Japaner sah in die angedeutete Richtung undnickte.

»Wieder der gorillahafte Schatten, den wir schongestern bemerkten. Garantiert eine Affenart. Solangeer uns nicht angreift, brauchen wir uns nicht um ihnzu kümmern. Ich wundere mich, daß er uns nichtbeachtet. Er hat uns doch bestimmt bemerkt.«

»Vielleicht hält er uns auch für Affen«, murmelteRhodan und dachte an die fünfhundert Kilometer, dienoch vor ihnen lagen. Er begann sich allmählich zu

verfluchen, daß er so unvorbereitet und ohneSicherheitsvorkehrungen hinter Thora hergeflogenwar. Warum hatte er kein erprobtes und zuverlässigesSchiff genommen?

Sie kümmerten sich nicht weiter um ihrenunsichtbaren Begleiter, sondern schritten rüstigweiter, bis sie an den Ufern eines kleinen Sees dienächste Rast einlegten. Weiter vor ihnen in derFinsternis war ein fernes, gedämpftes Rauschen.Rhodan fragte Okura, ob er etwas erkennen könne.

»Ich bin nicht sicher«, gab der Japaner zögerndzurück, »aber wenn meine Augen mich nichttäuschen, liegt vor uns nur eine schmale Senke miteinigen Sümpfen und einem Flußlauf. Dahinterbeginnt ein Gebirge. Ich kann größere Wasserfällesehen. Oben auf dem Plateau ist der Wald lichter.Wir werden dort schneller vorankommen. Schließlichwird es auch einmal für Sie hell werden.«

Sie hatten ein richtiges Feuer angezündet. DerBoden war bereits feucht, aber in wenigen. MeternHöhe gab es genügend trockenes Holz. Hell lodertendie Flammen und warfen groteske Schatten gegenden Vorhang der Nacht. Okura hielt ständig nachallen Seiten Ausschau, aber seine Sorge warunbegründet. Die Tiere der Venus kannten das Feuernur in Form ausbrechender Vulkane - und hütetensich entsprechend davor.

Das Wasser des Sees war ungenießbar. Marshallkochte und bemerkte mißmutig, daß man bald auf dieJagd gehen müsse, wenn man nicht verhungernwollte. Auch sei das Wasser bald zu Ende. Rhodanberuhigte ihn und vertröstete ihn auf den Tag und dieWassert alle.

Während dieser Ruheperiode hielt einer von ihnenständig Wache.

*

Gegen Mitternacht erreichten sie die steileFelswand.

In sechzig Stunden erst würde die Sonne aufgehen,und sie hatten keine Zeit, so lange zu warten. Aufdem Marsch vom See durch die Sumpfniederung wares Okura gelungen, mit Marshalls Revolver einkleineres Tier zu erlegen. Damit hatten sie für dienächsten Mahlzeiten genügend zu essen. Und jetzt,als sie vor der Felswand standen, war neben ihnendas Dröhnen eines gewaltigen Wasserfalls, der ausgroßer Höhe herabstürzte.

»Wir lagern hier und ruhen uns richtig aus«,entschied Rhodan. »Wir können ein Feuer machenund aus einigen Felsblöcken eine Art Wall errichten.Das gibt uns genügend Sicherheit für eine Pause.Und dann werden wir auf das Plateauhinaufklettern.«

Okura sah hinauf in das ewige Dunkel der

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Venusnacht Es war stark abgekühlt, wenn es imVergleich zu einer irdischen Sommernacht auch nochrecht warm war.

»Die Plateauebene liegt mindestens dreihundertMeter über der Niederung«, stellte er fest. »So genaukann ich das nicht erkennen.«

»Wir haben keine Seile«, gab Marshall zubedenken.

Rhodan wischte beide Einwände beiseite.»Wir haben keine andere Wahl. Außerdem bitte

ich zu bedenken, daß ein Marsch über das Plateauwesentlich einfacher und ungefährlicher sein wird alsjede Wanderung durch Urwald oder Sumpf. Wennauf der Venus jemals Menschen leben werden, dannnur auf diesen Felseninseln. So, und nun wollen wiruns einmal unseren Braten näher ansehen. Marshall,machen Sie Feuer. Okura, packen Sie Ihren Rehbockaus.«

Als die Flammen aufloderten, sahen sie, daß daserlegte Tier nur wenig Ähnlichkeit mit einemRehbock hatte. Zwar besaß es ebenfalls nur vierBeine, aber die waren so kurz, daß Okura allmählichzu der Auffassung gelangte, er habe einen etwas großgeratenen Dackel erschossen. An einen Hunderinnerte auch die enge, spitze Schnauze,wohingegen die aufgestellten Ohren nicht viel miteinem reinrassigen Dackel zu tun hatten. EinSchwanz war überhaupt nicht vorhanden. Statt einesFelles gab es nur eine glatte, schlüpfrige Haut.

»Sieht aus wie ein rasiertes Warzenschwein«,knurrte Marshall und leckte sich verstohlen über dieLippen. »Ich bin zwar ein Tierfreund, aber so einkomisches möchte ich auch nicht zu Hause im Bettliegen haben. Essen wir es lieber.«

»Besser als die Konzentrate ist es allemal«, meinteRhodan und sah interessiert zu, wie Okura die Beutezu zerlegen begann.

Zwei Stunden später lehnten sie sich gesättigtgegen die angewärmte Felswand und verschränktendie Hände über ihren gefüllten Mägen.

»Ausgezeichnet!« lobte Marshall seine eigeneKochkunst. »Das werden wir uns merken müssen.«

»Das Salz fehlte«, murmelte Rhodan und spürte,wie er müde wurde.

»Nennen wir es Dackelschwein«, schlug Okuraschläfrig vor. Sie schwiegen. Und in diesesSchweigen hinein fiel plötzlich ein Schuß.

Das Ungewöhnliche eines Schusses auf einemmenschenleeren Planeten war so überraschend, daßdie Tatsache nicht sofort von den Gehirnen registriertwurde. Marshall starrte gedankenverloren in dielodernden Flammen, und für einen unbefangenenBeobachter wäre es interessant gewesen, seineReaktion mitzuerleben.

Marshall nickte mehrmals vor sich hin, lauschteangestrengt und sagte dann:

»Da hat sicher jemand ein Dackelschweingeschossen, und er muß beim erstenmal getroffenhaben!« Er stocherte in der Glut herum, sah dann dieaufgerissenen Augen seiner beiden Kameraden undwurde plötzlich schneeweiß im Gesicht. »LieberHimmel, es hat jemand geschossen!«

Okura sprang mit einem Satz auf die Füße.»Unmöglich! Wer sollte das gewesen sein?«

Rhodan war genau so verblüfft wie die anderen,aber sein Verstand arbeitete schneller undfolgerichtiger. Im Bruchteil einer Sekunde registrierteer die Tatsache des Schusses, fand, daß nur einMensch ihn abgegeben haben konnte, stellte fest, daßes durchaus Menschen auf der Venus geben mußteund wußte auch schon, um welche Art von Menschenes sich handelte. Gleichzeitig entsann er sich dergeographischen Lage, in der die TruppenTomisenkows damals gelandet und zerschlagenworden waren, rief sich die eigene Position insGedächtnis zurück und kam zum gleichen Schluß.

Oben auf dem Plateau hausten die verschollenenRaumfahrer. Er nickte Okura zu. »Warum sollte esunmöglich sein? Wir sind nicht die einzigenMenschen auf der Venus. Außerdem - es könnte jaauch Thora gewesen sein.«

»Die Arkonidin gibt sich nicht mit irdischenSchießgewehren ab«, sagte der Japanerkopfschüttelnd.

»Dann also - doch Tomisenkows Leute«, meinteRhodan.

»Die Ostblockler?« Marshall hielt den Kopf immernoch schief. »Was tun denn die hier?«

»Jagen.«Er wurde unterbrochen. Ein weiterer Schuß fiel,

und dann krachte eine ganze Salve. Aus eineranderen Richtung kam die Antwort, unregelmäßigesGewehrfeuer. Zweifellos lagen sich zweiverschiedene Gruppen gegenüber und beschossensich. Das änderte die Situation.

Rhodan betrachtete nachdenklich die Felswand.»Es wird nur wenig Sinn haben, wenn wir zu ihnengehen. Wenn sie mich erkennen, lebe ich keine fünfMinuten mehr. Ich bin es ja, dem sie ihr jetziges Loszu verdanken haben - meinen sie wenigstens. Auf deranderen Seite haben sie Gewehre, mit denen manWild erlegen kann. Auf die Dauer wird uns IhrRevolver auch nicht retten, Marshall. Also mußjemand von uns versuchen, Verbindung mit ihnenaufzunehmen.«

»Ein verdammtes Risiko«, murmelte Okura. »Aberich könnte es wagen, weil ich sie eher sehe als siemich.«

»In der Nacht schon, aber nicht bei Tage. Ichdenke, wir steigen gemeinsam zu dem Plateau hochund überlegen dann weiter.«

Immer noch fielen vereinzelte Schüsse, während

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sie ihre Sachen zusammenpackten, den Rest Fleischin frische Blätter wickelten und ebenfalls verstauten,Wasser nachfüllten und schließlich das Feuerverkleinerten, aber brennen ließen.

»Könnten wir nicht wenigstens noch ein paarStunden schlafen?« wollte Marshall wissen. »So eilighaben wir es doch wohl nicht.«

Rhodan lauschte nach oben. Es war still geworden.Er nickte.

»Wir brechen in fünf Stunden auf, das solltegenügen. Viel versäumen wir sicherlich nicht. Ichbegreife nur nicht, warum sie sich gegenseitigbekämpfen. Um was eigentlich könnten sie sichstreiten?«

Okura streckte sich unter einem überhängendenFelsen aus.

»Um die Venus, um was sonst? Und wie ich siekenne, kriegten sie sich in die Haare, weil sie sichüber die künftige Gesellschaftsform der Venusiernicht einig werden konnten.« Rhodan nickte ernst.»Sie könnten recht haben, Okura. Aber da streiten siesich um etwas, das sie niemals zu entscheiden habenwerden.«

»Wer tut das nicht?« grunzte Marshall und schloßdie Augen. Seinem Gesicht nach zu urteilen wollte erjetzt von Dackelschweinschnitzel träumen, nicht aberüber politische Unsinnigkeiten nachdenken.

Das Feuer erlosch allmählich. Es wurde dunkel.Und es blieb dunkel, bis ein jäher Lichtschein die

Finsternis zerriß und aufhellte. Das aber geschah erstStunden später.

*

Sergeant Rabow hatte Thora und den Roboter imHauptquartier General Tomisenkows abgeliefert, sichheimlich über die tiefe Befriedigung seines oberstenKriegsherrn gewundert und war dann mit zwanzigMann auf die befohlene Patrouille gegangen. Es galt,die Felseninsel der Rebellen zu erkunden und - wennmöglich - einige Gefangene zu machen. Tomisenkowwollte erfahren, ob man gegen ihn einen Angriffplante.

Es war ein weiter Weg durch Sümpfe,Niederungen und Urwald, aber Rabow ging ihn nichtzum erstenmal. Er kannte die Markierungen, die zurFelseninsel des »Feindes« führten, und er würde ihnauch eines Tages, wenn er die Zeit für gekommenhielt, allein finden. Noch aber war es dazu zu früh.Die Patrouille Rabows war nicht die einzige, die indieser Nacht unterwegs war. Von einer anderen Seiteher näherte sich eine kleine Armee von mindestenszweihundert Mann der Felseninsel, auf der dieRebellen hausten. Sie gehörten einer weiterenGruppe von Tomisenkows Armee an, die sichebenfalls selbständig gemacht hatte. Aus rein

weltanschaulichen Gründen wollte sie weder mit dereinen noch der anderen Partei etwas zu tun haben,sondern vertrat den absoluten Pazifismus. Vondiesem Pazifismus wollte man nun die Rebellenüberzeugen, wenn es sein mußte - mit Gewalt. Eingewisser Leutnant Wallerinski führte die Abteilungan.

Wallerinski erreichte die Insel zuerst, erklomm siemit seinen Männern und überraschte die Wachtpostender Rebellen. Seinen pazifistischen Grundsätzen treubleibend, tötete er sie nicht, sondern nahm siegefangen. Das konnte ihn jedoch nicht daran hindern,sie nach allen Regeln der Kunst auszufragen, um dasVersteck der Rebellen zu erfahren.

Eine Stunde später stießen Wallerinski und seineLeute auf den Vorposten der Rebellen. Der Mannschlief nicht, und es gelang ihm, einen Warnschußabzugeben, der das Lager aufweckte. Zehn Minutenspäter begann das Feuergefecht.

Rabow und seine zwanzig Mann waren nocheinige Kilometer von dem Rebellenplateau entfernt,als sie die Schüsse hörten. Sie hielten einen kurzenKriegsrat ab und kamen zu dem Ergebnis, daß in derNähe noch weitere Gruppen der versprengten Armeeexistieren mußten, die sich gegenseitig das Lebenschwermachten. Wie sollte man sich in dieserWildnis noch kennen oder gar Verbindungmiteinander pflegen?

Schon wollte Rabow den Befehl zumWeitermarsch geben, als einer seiner Leute aufgeregtzu ihm gelaufen kam.

»Licht!« keuchte er atemlos. »Dort vorn am Randedes Plateaus ist ein Feuer. Es ist deutlich zuerkennen.«

»Unten?« wollte Rabow wissen. »Ja, am Fuß derFelsen. Vielleicht haben die Rebellen dort einenVorposten eingerichtet.«

»Ja, mit einem Feuer, damit man sie kilometerweitsehen kann«, nickte Rabow ironisch und wußte, daßdie Antwort ganz anders aussehen würde. Wieallerdings, davon konnte er sich kein Bild machen. Erhätte sich seinen Befehl sicherlich reiflicher überlegt.»Wir sehen nach, wer es ist« Und so sah er zweiStunden später auf die schlafenden drei Männerhinab, die von den Scheinwerfern angestrahlt wurdenund jäh erwachten.

*

Da sie sehr gepflegt aussahen und nicht dieUniform der versprengten Armee trugen, sprachRabow Englisch. Er hatte die Ungewisse Ahnung,daß die Frau gelogen hatte, die mit dem Raumschiffabgeschossen worden war. Sie war also doch nichtallein gekommen.

»Lassen Sie die Finger von den Pistolen«, warnte

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er eindringlich. »Es sind zwanzig Gewehre auf Siegerichtet. Ein Mann wird nun zu Ihnen kommen undIhnen die Waffen abnehmen. Wenn Sieeinverstanden sind, nicken Sie.«

Perry Rhodan sah ein, daß er einen fatalen Fehlerbegangen hatte. In einem Gelände, in demgeschossen wird, legt man sich nicht einfach zurRuhe nieder. Nun hatte er die Konsequenzen zutragen. Leise flüsterte er Okura zu: »Können Sieetwas erkennen?«

»Der Kerl lügt nicht«, flüsterte der Japaner zurück.»Sie haben uns eingekreist und halten Gewehre aufuns gerichtet. Wir könnten einige von ihnenausschalten ...«

»Unsere Chancen?«»Hm - ich würde sagen: eins zu zehn.«»Zu wenig«, flüsterte Rhodan und rief dann: »Ihr

Mann soll kommen und sich die Waffen holen. Werseid ihr?«

»Sie werden das noch rechtzeitig erfahren. HabenSie eben geschossen?«

»Wenn Sie das Feuergefecht meinen, muß ich Sieenttäuschen. Es fand oben auf dem Plateau statt.«

Rhodan ließ sich widerstandslos den Strahler ausdem Gürtel ziehen und stellte befriedigt fest, daßMarshall seinen Trommelrevolver in der tiefenTasche behielt. Vielleicht konnte er ihn behalten.Okura sah nicht sehr glücklich aus, als man ihm dieWaffe nahm. Zum erstenmal lächelte er nicht mehr.»So«, sagte der Mann hinter dem Scheinwerfer, »undnun werden wir uns ein willig unterhalten.«

Als er aus dem Dunkel in die Helligkeit vortrat,konnte Rhodan ihn endlich sehen. Kein sehrermutigender Anblick, stellte er bei sich fest undhoffte, daß der andere ihn nicht erkannte. DerGedanke, jenen Männern in die Hände gefallen zusein, die er praktisch auf der Venus ausgesetzt hatte,war nicht gerade erfreulich.

»Ich bin Sergeant Rabow von der Armee GeneralTomisenkows«, stellte Rabow sich vor. »Und wersind Sie?«

Das war so gut wie eine Gretchenfrage, und sieerforderte eine klare Antwort. Wenigstens eineAntwort, dachte Rhodan, die so klar wie möglichklang.

»Ich gehöre zu einer Expedition«, sagte ervorsichtig, »die den Auftrag erhielt, die Wachsamkeitvon Rhodans Venusfestung zu erkunden.«

»Wer schickt Sie?«»Nun, wer schon?«»Die Amerikaner?«»Möglich.«Rabow hielt das für eine positive Antwort. Er

konnte sich nur nicht erklären, wieso das Mädchenoben auf dem Plateau gelogen und warum sich dieseDreiergruppe von ihm und dem Roboter getrennt

hatte.»Sie sind allein, nehme ich an. Abgestürzt?«»Erraten.«»Hm.« Rabow überlegte. Er wollte noch nicht alle

seine Trümpfe aus der Hand geben. Der Gefangenebrauchte nicht zu wissen, daß er die anderenÜberlebenden bereits gefunden hatte. Man sollte denGegner stets im Ungewissen über seine Lage lassen,das war ein uralter und immer wieder bewährterGrundsatz. Immerhin war es interessant, daß dieserMann zugab, zum Westblock zu gehören, währenddie Frau behauptete, die Dritte Macht zu vertreten.»Und wo sind Sie abgestürzt?« Rhodan zeigte genOsten.

»Drüben im Urwald. Die Geschütze erwischtenuns.«

»Aha«, machte Rabow, ohne überzeugt zu sein.»Nicht über einem Plateau, sondern über demUrwald? Und Sie sind dann bis hierher marschiert?«

»Ja. Ist das so sonderbar?« Rabow gab keineAntwort. Er stand vor einer schweren Entscheidung.Sollte er seine Gefangenen zum Lager Tomisenkowzurückbringen, oder sollte er sie - alsEinführungsgeschenk - den Rebellen übergeben,denen er sich anzuschließen gedachte? Undschließlich wäre noch die Frage zu klären, wer jenedritte Gruppe war, die den Überfall auf die Rebellenausgeführt hatten. Vielleicht wartete man besser, bisman herausgefunden hatte, wer der Sieger gebliebenwar.

Diese Erkenntnis erleichterte seinen Entschluß.»Wir werden Sie mitnehmen«, sagte er zu Rhodan.

»Los, Männer, sehen wir nach, was da oben passiertist. Vielleicht sind wir die lachenden Dritten.«

Der Aufstieg erwies sich als langwierig und nichtungefährlich.

Einige von Rabows Leuten führten, denn siekannten den geheimen Pfad gut genug, um ihn auchim Dunkeln zu finden. In der Mitte gingen Rhodan,Marshall und Okura, hinter ihnen Rabow. DenAbschluß bildeten die übrigen Soldaten seinerPatrouille.

Nach sieben Stunden wurde eine kleine Rasteingelegt, und Rabow erwähnte, daß es nun nichtmehr lange dauern würde. Er benahm sich überhauptsehr zurückhaltend und abwartend, fast höflich.Rhodan war überrascht, denn er hatte mit einer ganzanderen Behandlung gerechnet. Nun gut, sie wußtennicht, wer er war, aber trotzdem war dieRücksichtnahme erstaunlich. Rhodan beschloß, dasnicht zu vergessen.

Marshall saß neben Rhodan, und man konnte ihmanmerken, daß er gern etwas gesagt hätte. Aber dieständige Anwesenheit Rabows schien ihn zu stören.Es blieb keine andere Möglichkeit, als einegünstigere Gelegenheit abzuwarten.

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Nach zehn Minuten ging es weiter, und eine halbeStunde später erreichte man das Plateau. In der Fernewaren wieder Schüsse zu hören. Okura war nunneben Rhodan, und bei der erstbesten Gelegenheitflüsterte er hastig:

»Soll ich fliehen? Es geht leicht.« Rhodanvermochte sich das sehr gut vorzustellen. Der Japanerkonnte im Dunkeln sehen, und man hatte daraufverzichtet, sie zu fesseln. Wenn Okura in der Näheblieb, konnte er jederzeit eingreifen, falls die Lageeinmal kritisch werden sollte.

Rabow hatte das Flüstern bemerkt und drängte sichneugierig heran.

»Mir ist es lieber, wenn Sie sich schweigsamverhalten«, sagte er höflich.

Rhodan nickte Okura bejahend zu und wandte sichan Rabow:

»Keine Sorge, ich bliebe auch freiwillig bei Ihnen.Was soll ich allein im Dschungel? Wenn mir jemandhelfen kann, dann nur Sie.« Rabow schien beruhigt.An einer unübersichtlichen Stelle war Okuraplötzlich verschwunden. Niemand außer Rhodanbemerkte die Flucht des Japaners, denn jeder war mitsich selbst beschäftigt und achtete darauf, daß ernicht über loses Geröll oder umgefalleneBaumstämme stürzte. Die fernen Schüsse warennähergekommen. Es wurde also immer nochgekämpft.

Das Gelände wurde übersichtlicher. Weit vorn wares hell, als brenne der Wald. Wahrscheinlich war dieSiedlung der Rebellen in Brand geraten. GanzeGewehrsalven knatterten durch die Nacht.Dazwischen detonierten kleinere Granaten. Irgendwobellte trocken ein Geschütz.

Rhodan stellte befriedigt fest, daß keine atomarenWaffen eingesetzt wurden. So »zivilisiert« waren diekünftigen Siedler der Venus also doch noch nicht,daß sie die letzten Errungenschaften menschlicherTechnik verwendeten.

Erste Kugeln pfiffen den Männern Rabows um dieOhren, und man warf sich entschlossen zu Boden.Der Sergeant kam neben Rhodan zu liegen, den ernicht aus den Augen ließ. Das hinter dem nächstenWäldchen brennende Dorf der Kolonisten gabgenügend Licht. Die Bäume standen nur vereinzeltund boten wenig Deckung.

»Wo ist Ihr Japaner?« keuchte Rabow und fingertenervös an seiner schweren Pistole. »Er wird dochnicht ...?«

»Er ist in der Nähe«, erklärte Rhodanwahrheitsgemäß. »Vielleicht will er sich nurumsehen. Ich betrachte mich, ehrlich gesagt, auchnicht direkt als Ihr Gefangener. Seien Sie vernünftig,Rabow - nicht wahr, so war doch Ihr Name? Vor unssteht vielleicht ein gemeinsamer Gegner. Wir solltenuns einigen, bevor er uns dazu zwingt.«

»Ich habe nicht den Auftrag erhalten,Feindberührung aufzunehmen, sondern nur die Lagezu erkunden. Ich muß wissen, wer das Dorf derRebellen überfallen hat.«

»Wieso Rebellen?« wunderte sich Rhodan.»Sie lehnten sich gegen Tomisenkow auf und

beschlossen, freiwillig auf der Venus zu bleiben, umKolonisten zu werden.«

»Was sollten sie sonst tun? War Tomisenkow nichteinverstanden?«

»Der General will seinen Auftrag durchführen,Rhodans Venusfestung einzunehmen.« Rhodanschüttelte den Kopf. »Das ist genau so unsinnig wieaussichtslos. Auf der Erde herrscht bereits Friedezwischen Rhodan und dem Ostblock. Die ArmeeTomisenkows gilt als verschollen.«

Rabow schwieg. Die Rebellen hatten also recht,wenn sie sich entschlossen, ein neues Leben auf derVenus zu beginnen. Warum auch nicht? Wer aberwaren dann die Leute, die die Rebellen überfallenhatten? Eine neue Gruppe, von der man nichtswußte?

Er entschloß sich, mit offenen Karten zu spielen.»Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich will Ihnen

einmal etwas sagen: Sie haben mich belogen. Siegehören nicht zum Westblock, sondern zur DrittenMacht Rhodans. Warum haben Sie mir dasverschwiegen?«

»Wie kommen Sie darauf?«»Ich weiß es eben. Nur frage ich mich, warum Sie

dann Rhodans Geschütze trotzdem abschossen.Haben Sie etwas gegen Rhodan?«

»Nicht gegen ihn«, sagte Rhodan vollerSelbstironie, »nur manchmal gegen seinenLeichtsinn.«

»Das verstehe ich nicht.« Rabow schüttelte denKopf und sah nach vorn, wo der Blitz einerDetonation die Dämmerung zerriß. Ganz in der Nähewaren vereinzelte Schüsse. Hastige Schritteschleiften durch das Geröll. Gegen den brennendenHorizont hoben sich die Schatten laufenderMenschen ab. Es wurde unruhig.

»Woher wissen Sie, daß ich zur Dritten Machtgehöre?« fragte Rhodan und sah Marshall dabei an.Ehe Rabow antworten konnte, sagte der Telepath:

»Auf der anderen Felseninsel wurde einRaumschiff abgeschossen. Rabow fand in ihm eineFrau und einen Roboter. Die beiden sind in denHänden General Tomisenkows.«

Er nannte absichtlich keinen Namen, aber Rhodanwußte sofort, daß Thora die Venusfestung nichterreicht, sondern ebenfalls gescheitert war. EinGlück, daß sie den Absturz überlebt hatte. Sie mußtegesagt haben, wer sie war. Damit wurde die Situationkritischer, denn General Tomisenkow würde einensolchen Trumpf niemals freiwillig aus der Hand

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geben.»Ist das wahr?« fragte er, zu Rabow gewandt.Der Sergeant nickte verwundert. »Woher weiß er

das?« Rhodan ging nicht darauf ein. »Wer ist dieseFrau?«

»Sie nannte nicht ihren Namen, aber sie gab zu,Angehörige der Dritten Macht zu sein. Sie logjedoch, wenn sie sagte, sie sei nur in Begleitung desRoboters gekommen. Sie waren bei ihr, und Sietrennten sich. Warum?«

Rhodan erkannte seine Chance. Wenn man ihnnicht in Zusammenhang mit Thoras Flucht brachte,konnte es sehr gut sein, daß man ihn auch nichterkannte. Auf der anderen Seite wußte Tomisenkownicht, daß Thora geflohen war und verfolgt wurde.Und er würde in ihr sofort die Arkonidin erkennen.Eine verzwickte Lage. Aber Rhodan kam imAugenblick nicht mehr dazu, sich den Kopf darüberzu zerbrechen.

Dicht vor seinem Gesicht blitzte es auf, und dasKrachen eines Schusses ließ sein Trommelfell fastzerspringen. Jemand brüllte auf und sackte ruckartigzusammen. Überall waren plötzlich schattenhafteGestalten und stürzten sich auf die ruhig am Bodenliegenden Männer.

Rhodan sah, wie Marshall mit einem Satzaufsprang und seitwärts zwischen den Büschenuntertauchte. Er hörte noch eine Weile die sich hastigentfernenden Schritte, aber er konnte sich nichtentschließen, Marshall zu folgen, obgleich dieGelegenheit zur Flucht einmalig günstig schien.

Die neue Situation erforderte sein Bleiben beiRabow, was immer auch geschehen mochte.

In das Handgemenge mischten sich Rufe UndSchreie. Es wurde offensichtlich, daß die Angreifersich in ihrem Gegner geirrt und sie für die Rebellengehalten hatten. Eine laute Stimme forderte Rabowund seine Leute auf, sich zu ergeben. Man dürfe dieWaffen behalten, aber man solle verhandeln, ehe mandas sinnlose Blutbad fortsetze.

Das schien Rabow immerhin ein vernünftigerVorschlag zu sein. Er befahl seinen Männern, dasFeuer einzustellen. Bis auf vier gehorchten alle; aberdiese vier würden nie mehr gehorchen können, dennsie waren tot.

Auch der unverhoffte Gegner hatte Verlusteerlitten, aber so schnell ließ sich das in demallgemeinen Durcheinander nicht feststellen. Rabowstand neben Rhodan, in der Hand immer noch seineSchnellfeuerpistole. Er schien Marshalls Flucht nichtbemerkt zu haben, und wenn, dann hielt er es fürbesser, jetzt nicht darüber zu sprechen.

Jemand entzündete eine primitive Fackel. In denLichtkreis trat ein hochgewachsener Mann mitschwarzem Bart. Er mußte in dem Sergeanten denAnführer der Gruppe erkannt haben, denn er blieb

vor ihm stehen.»Wer seid ihr?« fragte er herrisch. »Gehört ihr zu

den Rebellen?«»Das könnte ich Sie auch fragen«, gab Rabow

zurück. Seine Rechte mit der Waffe hing schlaff nachunten. »Sie haben vier meiner Männer umgebracht.«

»Ihr gehört also nicht zu den Rebellen.Merkwürdig. Vielleicht zu General Tomisenkow?«

»Und wenn dem so wäre?«»Genau so schlimm - für euch wenigstens. Wir

wollen mit niemand etwas zu tun haben, weder mitTomisenkow noch mit seinen Gegnern.«

»Und warum überfallt ihr die Rebellen?«Der andere gab keine Antwort auf diese Frage. Er

sagte:»Folgt mir in das Dorf. Dort reden wir weiter.

Vielleicht seid ihr vernünftig genug, dann werden wireine Lösung finden. Die Überlebenden des Dorfeshaben sich uns bereits angeschlossen.«

»Euch - wer seid ihr denn?«Der Unbekannte warf sich in die Brust.»Ich bin Wallerinski, der Präsident des Pazifisten.«Rabow nickte langsam und warf Rhodan einen

schnellen Blick zu. Dann blieben seine Augen aufden vier toten Soldaten hängen, die dem Angriff zumOpfer gefallen waren.

»Aha«, machte er verständnisvoll und seufzte. »Ihrseid Pazifisten. Wahrhaftig, auch auf der Venusfindet ein Maskenball menschlicher Dogmen statt.Alles ist verdreht und tarnt sich unter geliehenenMänteln. Pazifisten morden und brennen ein Dorfnieder. Rebellen siedeln friedlich und werden vonihrer Scholle vertrieben. Reguläre Truppen führen einRäuberdasein. Wirklich, eine sehr klare undeindeutige Situation.«

»Wie meinen Sie das?« fauchte Wallerinskiwütend. Rabow zuckte die Achseln. »Genau so wieich es sage«, knurrte er und fügte hinzu: »Also gut,wir kommen mit Ihnen. Aber bilden Sie sich nichtein, daß wir uns als Gefangene behandeln lassen.«

Rhodan mußte innerlich zugeben, daß SergeantRabow ihm gefiel.

*

Okura, der sich niemals weit von der Patrouilleentfernt gehalten hatte, beobachtete den Überfall undden überraschenden Waffenstillstand. Er sah auch,wie Marshall floh und sorgte dafür, daß er ihm in denWeg lief. Gemeinsam folgten sie dann den beidenGruppen, die sich auch während des Marschesgegenseitig mißtrauisch überwachten.

»Wir sollten Rhodan herausholen«, murmelteOkura aus einem ungewissen Schuldgefühl heraus.Aber Marshall schüttelte den Kopf.

»Das wäre gegen seinen Willen. Ich kann seine

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Gedanken jetzt gut empfangen, es befinden sichBotschaften für uns darunter. Er will bei diesemRabow bleiben, weil nur der weiß, wo Thora sichaufhält. Im Augenblick droht ihm keine Gefahr.Wenn es brenzlig wird, sollen wir ihn und Rabowbefreien, möglichst ohne Blutvergießen.«

»Hoffentlich merken wir früh genug, wenn esbrenzlig wird«, blieb der Japaner skeptisch. »Mirgefällt diese neue Figur nicht.«

»Wallerinski? Ein harmloser Fanatiker.«»Gibt es überhaupt harmlose Fanatiker?« zweifelte

Okura. »Selbst der dümmste Fanatiker kanngefährlich sein. Möchte übrigens wissen, was dieserWallerinski so fanatisch vertritt.«

»Den Pazifismus«, antwortete Marshall düster.»Können Sie gut sehen jetzt?«

»Vorn liegt das Dorf. Es ist zur Hälfteniedergebrannt, und die Trümmer schwelen noch.Die Einwohner sind geflüchtet. Das Werk einesPazifisten, wenn Sie recht haben sollten.«

Des Japaners Worte klangen bitter. Er wußte, daßmit dem Begriff »Pazifismus« bereits viel zuvielUnfug getrieben worden war. Er wußte es aus eigenerErfahrung. Jeder tarnte heute seine Angriffsabsichtenunter dem Deckmantel des Pazifismus undbehauptete, mit seinen Handlungen nur dem Friedendienen zu wollen. Gott sei Dank war das andersgeworden, seit Perry Rhodans Dritte Macht existierte.Aber auf der Venus stand die Geschichte derMenschheit erst am Beginn.

Am Rande der Lichtung machten Okura undMarshall halt. Weiter konnten sie sich nichtvorwagen, aber wenn der Japaner nun auch Rhodanaus seinen Augen verlor, so stand Marshall auchweiterhin mit ihm in einseitiger Verbindung. Leiderwar Rhodan kein Telepath, aber er wußte, daßMarshall seine Gedanken auffangen konnte. Und sowar es möglich, daß der Australier stets über dasorientiert war, was nun im Dorf geschah, obwohl erden Armbandsender nicht benutzen konnte.

In einem weiten Versammlungsraum, der mitMännern und auch vereinzelten Frauen der Rebellenangefüllt war, gab Wallerinski seinen Leuten einenWink. Dann kletterte er auf einen Tisch, hob beideHände und verlangte Ruhe. Er streifte eine GruppeGefangener im Hintergrund mit einem flüchtigenBlick, überzeugte sich davon, daß an den Ausgängenseine eigenen Leute postiert waren und begann dannzu sprechen.

»Männer und Frauen!« rief er mit herrischer undnicht gerade angenehm klingender Stimme. »DerKampf ist beendet, und wir haben uns entschlossen,von nun an gemeinsam unseren Weg zu gehen. Aufder Venus soll Friede sein, das aber kann erst danneintreten, wenn auch die letzte und größte Gefahrbeseitigt ist. Diese Gefahr ist General Tomisenkow.

Sein Plan, Rhodans Station anzugreifen, ist glatterSelbstmord. Wir haben uns allein aus diesem Grundvon ihm getrennt. Ihr tatet es, um friedlich siedeln zukönnen und euch das Leben besser zu gestalten.Auch wir wollen das. Doch bevor wir uns unsererArbeit zuwenden können, muß Tomisenkow beseitigtund seine Leute von unseren besseren Zielenüberzeugt werden. Dazu benötigen wir einenFührer.« Von der Tür her schrie jemand:»Wallerinski ist unser Führer! Er wird uns dieFreiheit bringen.«

Rhodan nickte langsam vor sich hin.»So begannen alle Kriege«, flüsterte er so leise,

daß nur der neben ihm stehende Rabow ihn hörenkonnte.

Der Sergeant gab keine Antwort. Er ahnte, daß ervor einer neuen Entscheidung stehen würde.

Er wußte aber noch nicht, wie sie aussah.

5.

Das Mutantenkorps Perry Rhodans unterstand bisauf weiteres dem Kommando Reginald Bulls, derSicherheits- und Verteidigungsminister war. Bereitsdie Atombombe von Hiroshima hatte eine gewisseVeränderung der Erbmasse der Betroffenenhervorgerufen, und knapp zwanzig Jahre nach demfurchtbaren Ereignis tauchten die ersten Mutantenauf. Da gab es Telepathen, denen kein Gedanke ihrerMitmenschen verborgen blieb; Orter, dieGehirnwellenmuster aufnehmen und denGemütszustand anderer erkennen konnten; oderTelekineten, die kraft ihres Willens über großeEntfernungen hinweg Materie bewegen konnten; dieTeleporter versetzten sich selbst nur mit Hilfe ihresWillens über weite Strecken, indem sie sich einfachentmaterialisierten. Es gab sogenannte »Lauscher«,»Peiler«, und »Suggestoren«, die den Willen andererMenschen beeinflußten.

Das einzige außerirdische Mitglied des GeheimenMutantenkorps war Gucky, der Mausbiber vomPlaneten Tramp. Bei einer Zwischenlandung hattedas kaum ein Meter große Wesen sich an Bord desRaumschiffes STARDUST geschlichen und gehörtevon diesem Augenblick an zu Rhodans engstemFreundeskreis.

Denn wenn Gucky auch wie ein Tier aussah, sowar er doch keines. Er konnte richtig denken und warals intelligent zu bezeichnen. Mit John MarshallsUnterstützung hatte er Englisch, Arkonidisch undsogar Interkosrno gelernt und konnte sich in diesenSprachen nun einwandfrei verständigen. BesucherRhodans waren schon oft zu Tode erschrocken, wennsich das possierliche Wesen vor sie hinsetzte, sichauf den breiten Biberschwanz stützte und plötzlichsagte: »Nun, wie geht es Ihnen, mein Herr?«

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Außerdem war Gucky der beste Telekinet desgesamten Mutantenkorps! Die Angewohnheit, mitdieser Fähigkeit willkürlich zu spielen, hatte man ihmabgewöhnt. Es kam also nicht mehr vor, daßRaumschiffe plötzlich starteten oderStrahlengeschütze von selbst losgingen. Hinzu kameine sehr ausbaufähige Begabung für die Telepathieund noch etliche andere Fähigkeiten, die Gucky zueinem regelrechten Universalgenie machten.

Mit Bully pflegte Gucky eine Art freundschaftlicheGegnerschaft.

Das wurde bei jeder nur erdenklichen Gelegenheitoffensichtlich. Wie auch heute, als Bully das Korpszusammenrief und den Einsatz bekanntgab.

Die Feierlichkeiten waren beendet, und die Weltwar in den Alltag zurückgekehrt. Bully hatte eineRede gehalten und sich dann in die Arbeit gestürzt.Rhodans Zerstörer war von der Mondstation gesichtetund angepeilt worden. Dann war er in RichtungVenus verschwunden.

Seitdem fehlten von ihm und Thora jede Spur. DieFunkstationen waren Tag und Nacht auf Empfang,aber keine Meldung kam von der Venus. Das warGrund genug für Bully, sich an Rhodans Befehl zuerinnern. Er rief die Mutanten zu sich, erklärte ihnendie Situation und befahl ihnen, in einer halben Stundevor dem Beiboot GOOD HOPE V zu warten.

Das Kugelschiff hatte einen Durchmesser vonsechzig Metern und konnte schneller als das Lichtfliegen. Vom Standpunkt der Menschen aus gesehenwar es als das perfekte Raumschiff zu betrachten,aber die Arkoniden benutzten es als planetarischesBeiboot ihrer Schlachtraumer der Imperium-Klasse.

»Rhodan könnte etwas zugestoßen sein«, beendeteer seine kurze und knappe Ansprache und schloß mitdem Hinweis: »Ich verlange von Ihnen allen größteEile und höchste Einsatzbereitschaft. Wir nehmenfünfzig Kampfroboter mit, außerdem zehn von denRaumjägern einschließlich Piloten. Noch Fragen?«Bully sah um sich. »Also niemand. Gut, in dreißigMinuten also. Wegtreten!«

Er wollte eiligst aus dem Raum gehen undstolperte dabei fast über Gucky, der in der Tür aufihn wartete.

»Ich hätte noch eine Frage«, sagte der Mausbiberund zeigte seinen einsamen Nagezahn. Wenn manGuckys Nagezahn sehen konnte, so bedeutete das,daß er grinste. Es bedeutete aber nicht, daß er auchbei guter Laune war. Bully wußte das - oderzumindest hätte er es wissen sollen. »Rede schon, ichhabe keine Zeit!«

»Ich gehöre doch zum Mutantenkorps, und ichkomme mit zur Venus, oder?«

»Du willst mitkommen? Damit du wieder Unsinnanstellst und mir alles durcheinanderbringst? Kommtnicht in Frage!«

Bully wollte sich an Gucky vorbeidrängen, aberder Mausbiber gab nicht so schnell auf.

»Ich werde es Rhodan erzählen«, versuchte er eserneut.

»Von mir aus«, grunzte Bully und versuchtevergeblich, den Fuß zu heben. Es war, als sei er amBoden festgenagelt. Etwas Unsichtbares hielt ihn dorteisern fest. Wütend fauchte er Gucky an: »Laß denUnsinn, Kleiner! Mich festhalten! Das ist Meuterei!«

»Darf ich mitkommen?« Bully fühlte, wie der Zornin ihm emporstieg. Einige der Mutanten warenstehengeblieben und begannen zu grinsen.

»Nein, du darfst nicht!« entschied Bully, obwohler jetzt noch die Schlappe hätte vermeiden können.»Jetzt erst recht nicht! Der Einsatz auf der Venuserfordert Männer, aber keine Micky-Mäuse!«

Das hätte er besser nicht sagen sollen. Gucky warjedesmal tödlich beleidigt, wenn man ihn mit derMicky-Maus verglich.

Bully fühlte, wie der Druck auf dem Fuß wich,aber das half ihm nicht weiter. Er wurde plötzlichleicht wie eine Feder. Gucky saß vor ihm auf dembreiten Schwanz und betrachtete ihn fasziniert. DerZahn grinste noch hinterhältiger. Im Nacken sträubtesich das rotbraune Fell zu einem wolligen Wirbel.

»Ist das endgültig?« zirpte er, vor Erwartungzitternd. Er besaß ein ungemein helle und schrilleStimme, besonders dann, wenn er erregt war.

»Jawohl, endgültig!« brüllte Bully ausLeibeskräften, obwohl er genau wußte, wie sinnlosdas war und wie die Folgen aussehen würden. BeiRhodan beschweren würde auch völlig zwecklossein, denn er würde ihn nur auslachen. Gucky besaßeben gewissermaßen Sondervollmachten, die er auchreichlich zu nutzen verstand.

Die treuen Hundeaugen des Mausbibers wurdenein ganz klein wenig starr, als sie Bully ansahen, aberdas war nur der plötzlichen Konzentration zuverdanken. Dann wurde Bully endgültig gewichtslosund stieg wie ein Ballon in die Höhe. Wie vonunsichtbarer Hand wurde ein Fenster geöffnet, undBully trieb wie ein Ballon hinaus.

Da hing er nun, gut dreißig Meter über demBetonboden, nur von den telekinetischen KräftenGuckys gehalten.

Gucky grinste triumphierend und watschelte zumFenster. Mit einem eleganten Satz war er auf demBrett und betrachtete seinen Freund, der den Blickmit hilfloser Wut zurückgab.

»Nun«, piepste Gucky vergnügt, »darf ich immernoch nicht mitfliegen? Du mußt doch zugeben, daßich ein fähiger Verbündeter bin.«

»Saurier kannst du nicht schweben lassen«, knurrteBully und sah voller Angst in die Tiefe, über derseine Füße auf dem Nichts standen. »Außerdem istdas eine glatte Erpressung.«

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»Ein häßliches Wort«, stellte Gucky fest und ließBully zwei Meter tiefer fallen. »Ein gebildeterMensch nimmt es nicht in den Mund.«

»Ich würde noch ganz andere Dinge in den Mundnehmen, wenn ich dich damit ärgern könnte. Alsogut, ich will es mir überlegen. Aber nun hole michwieder 'rein.«

»Ich will wissen, ob ich mitkomme oder nicht«,beharrte Gucky auf seiner Forderung. Er schien dieanderen Mutanten nicht zu bemerken, die demSchauspiel mit ungeteiltem Interesse folgten. Jederhütete sich, in das Geschehen einzugreifen, denndabei konnte Bully abstürzen und sich das Genickbrechen. Aber Gucky schien an keine Gefahr zudenken. Er vertraute seinen Kräften.

Bully nickte krampfhaft und versuchte, mit denHänden die Hauswand zu erreichen.

»Du kommst mit - aber nur unter einerBedingung.«

»Die wäre?« lauerte Gucky und ließ seinenNagezahn verschwinden.

»Du versprichst mir, artig zu sein und alles zu tun,was ich dir auftrage. Und keinen Unsinn mehr, biswir zurück sind! Einverstanden?«

Der Mausbiber ließ Bully sanft auf demFensterbrett landen und nickte großmütig.

»Einverstanden. Aber wenn du dein Wort brichstund mich zurückläßt, werde ich dich ohneRaumanzug zum Mond fliegen lassen.«

Bully kletterte wortlos vom Fensterbrett und schrittzur Tür.

Die Telepathin Betty Toufry, knapp fünfzehn Jahrealt, wurde plötzlich knallrot im Gesicht und starrtehinter Bully her.

Der Sicherheitsminister der Dritten Macht mußteeinen fürchterlichen und zugleich unziemlichenFluch gedacht haben.

*

General Tomisenkow machte ein sehr zufriedenesGesicht, als er seinen unerwarteten Gast betrachtete.Da hatte ihm der Zufall aber einen wahrhaft großenGefallen erwiesen. Ausgerechnet diese Thora,Rhodans engste Mitarbeiterin, war ihm in die Händegefallen. Die Arkonidin, der Rhodan seine Macht zuverdanken hatte.

Wenn er sie richtig behandelte, würde sie ihmvielleicht eines Tages auch einige Geheimnisseverraten. Immerhin war der Gedanke gar nicht soabwegig, denn schließlich waren es ja Rhodanseigene Waffen gewesen, die Thoras Schiffabschossen.

»Sehr bedauerlich, wirklich sehr bedauerlich«,sagte der General voller Mitgefühl. »Und Sie meinen,es sei ein Irrtum gewesen?«

»Es war absolut ein Irrtum!« sagte R-17 etwasknarrend. Es schien, als sei die jährliche Wartungwieder einmal fällig. Einige der Öllager deskünstlichen Kehlkopfes mußten ausgetrocknet sein.»Die elektronische Wachanlage erkannte uns nicht.«

»Ist es nicht möglich, daß Rhodan Sie absichtlichabschießen ließ, damit Sie die Venusbasis nichtbetreten?« fragte Tomisenkow lauernd.

»Unsinn!« warf Thora ein. »Rhodan kann ja garnicht hier gewesen sein.«

»Ach - dann kommt er also noch?« Thora biß sichauf die Lippen. Immer wieder machte sie den Fehler,die Menschen zu unterschätzen. Fast hätte sie sichverraten. Nun war es zu spät, Rhodan ganz aus demSpiel zu lassen.

»Möglich«, wich sie aus. »Alles ist möglich.Vielleicht ist es aber auch Ihnen möglich, mir nunendlich zu verraten, warum Sie mich hier festhaltenwollen? Sie wissen genau so gut wie ich, daß meinRoboter Ihre ganze Ansiedlung vernichten kann.Geben Sie mir nun die gewünschten Vorräte undSoldaten oder soll ich es allein versuchen?«

»Sie werden sich hüten, etwas gegen mich zuunternehmen, denn allein sind Sie so gut wie hilflos.Mit dem Roboter gelangen Sie niemals bis zu demStationsgebirge, mehr als fünfhundert Kilometerentfernt. Sie sind also auf mich angewiesen. Nun gut,ich will Ihre Notlage nicht ausnützen, sondern Ihnenhelfen. Ich bringe Sie zur Station, falls die Sperrenuns nicht aufhalten.«

»Sie reagieren auf das Muster arkonidischerGehirne, es besteht also keine Gefahr.«

»Ausgezeichnet. Und wenn Sie vor der Stationstehen, was werden Sie dann tun? Was geschieht mitmir?«

»Sie dürfen wieder umkehren, ohne, daß Ihnenetwas geschieht.«

General Tomisenkow grinste hinterhältig.»Wie großzügig von Ihnen, edle Arkonidin.

Rhodan hat Sie einst auf dem Mond gerettet. Sieschenkten ihm dafür die Macht über die Erde. Ichrette Sie hier, und mich wollen Sie mit einemAlmosen abspeisen. Ach, was sage ich ... Almosen!Sie wollen mir etwas geben, das ich schon längstbesitze. Sicherheit? Die habe ich! Nein, meine Liebe,wenn Sie zur Festung gelangen wollen, dannbezahlen Sie gefälligst einen annehmbaren Preis -oder versuchen Sie es allein.«

Er wußte, daß Thora es allein niemals schaffenwürde, und das gedachte er auszunutzen. Außerdemlag es in seiner Absicht, sie bei nächstbesterGelegenheit von dem Roboter zu trennen und zuüberrumpeln. Es gab keine bessere und wertvollereGeisel als Thora von Arkon.

Besonders dann, wenn Rhodan tatsächlich nachhier unterwegs war.

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Thora spürte die Unaufrichtigkeit des Mannes nurallzu deutlich. Sie hätte jetzt R-17 einenentsprechenden Vernichtungsbefehl geben können,aber wie sollte ihr das weiterhelfen? Außerdemwußte sie nicht, mit welchen Waffen die LeuteTomisenkows ausgerüstet waren. Vielleicht gelang esihnen sogar, den Roboter unschädlich zu machen -und dann war sie in der Tat verloren. Sie überlegtesich ihre Worte, ehe sie sie aussprach:

»Ich werde Ihre Hilfe in Anspruch nehmen müssenund sehe auch ein, daß ich dafür bezahlen muß.Warten wir, bis der Tag anbricht, dann sehen wirweiter. Geben Sie mir bis dahin ein Quartier für michund den Roboter.«

»Muß der auch schlafen?« fragte Tomisenkowspöttisch.

Thora schüttelte den Kopf und sagte kühl:»Nein, das nicht. Aber ich möchte es.«

*

Der Zustand, in dem sich Rhodan, Rabow undseine Leute befanden, konnte nicht einwandfrei als»Gefangenschaft« bezeichnet werden. Sie hatten ihreWaffen behalten können und wurden in einemgroßen Raum untergebracht, vor den Wallerinski »zuihrem Schutz« Wachen aufstellen ließ.

Rhodan bat Rabow, ihm seinen Strahler und dieseiner beiden Kameraden wiederzugeben.Widerspruchslos tat der Sergeant ihm den Gefallen.Er mochte ahnen, daß er den geheimnisvollenFremden in naher Zukunft noch einmal dringendbenötigte.

»Was wird nun geschehen?« fragte Rhodan, dervon Rabow annahm, daß er die Mentalität seinerLandsleute besser kannte. »Werden diese Leute unterWallerinski den General und seine Truppenangreifen?«

»Das ist so gut wie sicher.«»Und halten Sie es in Ihrer Position nicht für Ihre

Pflicht, Tomisenkow zu warnen?«Rabow zögerte. Die rebellische Kolonistengruppe,

der er sich beigesellen wollte, existierte praktischnicht mehr. Wallerinski war ihm seiner Phrasenwegen unsympathisch. Dann schon lieber bei GeneralTomisenkow bleiben. Er nickte.

»Natürlich wäre es meine Pflicht, aber wie soll ichhier herauskommen, ohne Verdacht zu erregen?«

»Das lassen Sie meine Sorge sein, ich wollte nurIhre Einstellung kennenlernen. Meine beiden Freundewerden uns holen kommen. Der eine von ihnen siehtauch bei Nacht und kann uns sicher durch dieDunkelheit führen. Ich habe meine Waffen wieder,mit denen ich diesen ganzen Spuk innerhalb wenigerSekunden wegfegen könnte - aber wozu ...?«

Rhodan konzentrierte sich und hoffte, daß

Marshall seine Gedanken jetzt empfing. Wenn ja,dann mußten er und Okura jetzt bereits auf dem Wegzum Dorf sein, um ihn zu befreien. Vielleicht war esauch ganz gut, ihnen entgegenzugehen. Er wandtesich an Rabow: »Was ist mit dieser Frau und demRoboter, die auf dem Planeten abstürzten? Ist sie inSicherheit?«

»Relativ gesehen - ja«, grinste Rabow. »Aberunsere Männer haben lange keine Frau mehrgesehen.«

»Dann werden sie nicht viel Freude an ihrerGefangenen haben«, prophezeite Rhodan grimmig.Er wußte, daß der Roboter im Notfall Tomisenkowund seine Streitmacht in radioaktive Ascheverwandeln konnte, aber Gewalt löst keine Probleme.»Sagen Sie Ihren Leuten, daß wir sie später holenwerden. Wir haben jetzt keine Zeit mehr zu verlieren.Meine Freunde erwarten uns bereits. Am Waldrandnach Osten zu, wenn ich mich nicht irre.«

Rabow gab seine Anweisungen. Dann traten er undRhodan aus der Hütte hinaus auf die Straße, wo ineiniger Entfernung ein Wachtfeuer loderte. Um dieFlammen herum saßen einige Männer undunterhielten sich leise. Sicher waren sie müde undhätten am liebsten geschlafen.

Direkt vor der Hütte stand niemand mehr.Rhodan griff nach Rabows Hand und verließ sich

mehr auf sein Gefühl als auf seine Augen. Währender sicher den Weg nach Osten suchte, dachte erständig an seine Position, damit Marshall es leichterhaben würde, ihn zu finden.

Wenn Marshall nicht gerade schlief!Das halbverbrannte Dorf blieb zurück. Vorn, dem

Wald zu, wurde es dunkler. Ein Licht blitzte fürSekunden auf. Dann hörte Rhodan jemand mitsicheren Schritten durch die Büsche gehen. Niemandging so bei Nacht, es sei denn, er trug eine Lampeund konnte sehen. Okura! »Ja?«

Es war wie der Hauch eines Windes, der durch dieStille der Finsternis an Rhodans Ohr wehte.Natürlich, Okura wußte nicht, wen er bei sich hatte.Da hatte Marshall nicht aufgepaßt.

»Ich bin es«, flüsterte Rhodan zurück. »Bei mir istRabow. Er wird uns den Weg zu GeneralTomisenkow zeigen - und damit den Weg zu Thora.«

Rhodan spürte, wie der Sergeant zusammenzuckte.»Der Weg zu wem?« Und als er keine Antwort

erhielt, fügte er hinzu: »Thora - ist das nicht dieArkonidin?« Und wieder nach einer kleinen Pausefragte er: »Wer sind Sie?«

»Alles in Ordnung?« fragte Rhodan und wandtesich dann an den Sergeanten: »Machen Sie sich keineunnötigen Gedanken, mein lieber Rabow. Sie habengenau auf das richtige Pferd gesetzt - wenn Sie dabeibleiben. Bringen Sie uns zu Tomisenkow, allesandere lassen Sie unsere Sorge sein.«

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Und so kam es, daß drei verschiedene Gruppen dieAbsicht hatten, dem verschollenen General einenBesuch abzustatten, freilich jeder aus anderenBeweggründen heraus.

Bully kam, um Rhodan zu suchen, von dem ernicht wußte, wo er steckte.

Wallerinski wollte mit aller Gewalt Frieden stiften,wo kein Krieg war.

Und Rhodan schließlich wollte Thora befreien, dieihrerseits keinen Wert darauf legte, von Rhodanbefreit zu werden. Wenigstens jetzt noch nicht.

6.

Bully verzichtete darauf, mit der GOOD HOPE Vdie Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten. Bei derrelativ geringen Entfernung lohnte sich der Sprungdurch den Hyperraum nicht. Die Erde wurde schnellzu einem hellen Stern, die Sonne glitt links vorbei,und dann beherrschte die strahlende Venus denHimmelsausschnitt vor dem Bug.

Mit einem Knacken wurde dieNavigationsautomatik ausgeschaltet. Bully übernahmselbst die Führung des großen Kugelschiffes. Erkannte die Position der Venusbasis genau und hatteerrechnet, daß sie noch auf der Nachtseite desPlaneten lag. In vierzig Stunden würde die Sonneaufgehen.

Allmählich wurde er unruhig. Wäre alles glattgegangen, hätte Rhodan sich längst selbst meldenmüssen. Hatte er Thora nicht in der Stationgefunden? Und wenn nicht, was war mit Thorageschehen? Vielleicht hatte sie gar nicht die Venusangeflogen, sondern tatsächlich mit dem Zerstörereinen interstellaren Flug gewagt.

Er legte den Hebel des Interkoms nach unten undstellte die Sichtverbindung zur Funkkabine her.Tanaka Seiko tat dort Dienst.

Seiko war Japaner, Hochfrequenztechniker vonBeruf und der sogenannte Peiler des Mutantenkorps.Ohne jegliches Gerät vermochte er dieRundfunkwellen der Radiosterne zu empfangen undkonnte sogar von Menschen ausgestrahlte Sendungenauf allen Wellenbereichen »hören«. Es gab keinengeeigneteren Mann für die Sende- und EmpfangsStation des Schiffes.

Sein Gesicht erschien auf dem Bildschirm. DieBrandnarbe auf seiner linken Wange leuchteteunnatürlich rot. »Chef?«

Bully hörte es gern, wenn man ihn so ansprach.Das zeugte von Respekt und Hochachtung. Nun,immerhin war er ja auch der direkte StellvertreterRhodans, darauf konnte man sich schon etwaseinbilden. »Noch immer nichts?«

»Keinen Piepser von der Venus.« Seiko schüttelteden Kopf. »Es ist, als lebte dort kein Mensch.«

»Was sicherlich nicht stimmt, denn auch dieverschollenen Truppen des Ostblocks habenFunkgeräte, soweit ich mich entsinnen kann. Daßaber weder Rhodan noch Thora etwas von sich hörenlassen, ist mehr als seltsam; es ist beunruhigend.«

»Die Armbandgeräte sind zu schwach für dieseEntfernung.«

»Aber nicht die Geräte des Zerstörers, Seiko.«»Vielleicht sind sie ausgefallen.«»Was? Die Zerstörer-Funkgeräte?«»Wer weiß ...« Bully überlegte krampfhaft, aber er

fand keine Erklärung. Aber warum sollte ...? Nein,nur nicht daran denken! Warum auch? Wer sollteRhodan die Landung auf der Venus verwehrt haben?Die positronische Wachanlage der Venusstationerkannte ihn.

»Gut, bleiben Sie ständig auf Empfang, Seiko. Undmelden Sie mir, wenn etwas geschieht. Ich setze jetztzur Landung an.«

Die Venus, eine strahlende Sichel, warnähergekommen. Die rechte Seite lag noch imDunkel. Bully schwenkte ein wenig herum und stießso auf den Planeten hinab, daß er die Zwielichtzoneunter sich hatte.

Als die ersten Fetzen der dichten Atmosphäre dieSchiffshülle streiften, ging plötzlich eine starkeErschütterung durch die GOOD HOPE V, die Bullyfast aus dem Sessel schleuderte. Noch während ersich aufrappelte und hastig die Kontrollen überflog,öffnete sich die Tür zur Zentrale, und mehrereMutanten stürzten herein.

Ralf Marten, der Teleoptiker, hielt sich an derWand fest.

»Was ist denn mit. Ihnen los, Bully? Wollen Sieuns alle umbringen?«

Bully warf dem schlanken, dunkelhaarigenDeutsch-Japaner einen verächtlichen Blick zu.

»Haben Sie Angst? Aber ehrlich, ich weiß selbernicht, was geschehen ist. Warten Sie, Seiko ruftmich.«

Das Gesicht des Funkers war blaß, als es auf demBildschirm erschien. Er hantierte an seinen Geräten.

»Funknachrichten«, sagte er zwischendurch. »Vonder Station. Es muß das Positronensystem sein. Esverweigert die Landeerlaubnis.«

»Was?« brüllte Bully. Seine roten Stoppelhaarerichteten sich drohend auf und wurden zu einerregelrechten Stahldrahtbürste. In seinen Augenfunkelte jäher Zorn. »Was fällt diesem blödsinnigenRoboter ein, mir die Landung zu verwehren? FragenSie, warum er das tut!«

Seiko versuchte es, aber seine Bemühungenblieben ohne jeden Erfolg. Mit aufreizender Sturheitschickte die Funkanlage des Computers immer diegleiche Meldung, ohne sich im geringsten von denverzweifelten Versuchen des Japaners beirren zu

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lassen:»Geheimschaltung X ist wirksam geworden. Jede

Annäherung in die Atmosphäre der Venus wird durchein hypergravitatorisches Abstoßfeld verhindert. Ichwiederhole: Geheimschaltung X ist wirksamgeworden ...«

Und so ging es ununterbrochen, als laufe einendloses Tonband ab.

Schließlich gab Bully es auf, nachdem er Seikobefohlen hatte, nach anderen Funkzeichen Ausschauzu halten. Er schaltete den Interkom ab und wandtesich an Marten: »Dann ist Rhodan auch nichtgelandet. Das Positronensystem muß verrücktgeworden sein.« Bully konnte nicht wissen, daß derVorgang eine logische Folge der vorangegangenenEreignisse war. Rhodan hatte die Geheimschaltung Xselbst in den Computer programmiert, als er dasletzte Mal in der Venusstation geweilt hatte.

Das System hatte den Befehl erhalten, dasAbstoßfeld vor jedermann zu errichten, ganz gleich,ob er den Kodespruch kannte oder nicht, wenn vorherDinge geschehen sollten, die von dem Computer alsbedenklich angesehen wurden.

Dieser Programmierungszustand war in jenemAugenblick erreicht worden, als das System diebeiden Zerstörer abschoß. Es waren Zerstörer derFlotte Rhodans gewesen, aber sie kannten dasgeheime Kodesignal nicht. Auch die GOOD HOPE Vwar ein Schiff Rhodans - und es kannte das Signal.Aber es war bereits zu spät. Das Abstoßfeld warerrichtet worden und konnte erst durch eineSpezialschaltung innerhalb der Station wiederbeseitigt werden.

Nur ein Arkonide oder Rhodan selbst konnte dankdes ihm eigenen Gehirnwellenmusters in die Stationeindringen.

Damit war ein toter Punkt erreicht worden, der nurvon Thora oder Rhodan, niemals aber von Bully,überwältigt werden konnte.

Im Augenblick war es gut, daß Bully das nichtwußte. Seine Wut über die Positronik hätte sich insUnermeßliche gesteigert.

Das Kugelschiff umrundete die Venus ingleichbleibender Höhe. Es konnte nicht tiefer gehen,da der unsichtbare Energieschirm es daran hinderte.Zu sehen war ebenfalls nichts, da die Geräte diedicke Wolkenschicht nicht durchdrangen. LediglichWuriu Sengu, der Späher, vermochte die Oberflächedes Planeten zu erblicken. Seine Eigenschaft, festeMaterie mit den Augen durchdringen zu können, gabihm Gelegenheit, die Dschungel, Sümpfe, Meere undGebirge zu sehen, aber das half weder ihm nochBully weiten.

»Jetzt weiß ich«, knurrte Bully verzweifelt, »daßRhodan etwas zugestoßen ist. Wenn der Computerdaran schuld ist, werde ich ihn eigenhändig

auseinandernehmen und verschrotten!«Ralf Marten schüttelte den Kopf. »Das dürfte

ziemlich schwierig sein, denn niemand - ichwiederhole - niemand kann jetzt auf der Venuslanden. Der Planet ist völlig isoliert. Ich weiß nicht,was geschehen ist, aber ich weiß, daß dieautomatischen Anlagen der Station zuverlässig sind.Keine Macht der Welt kann sie daran hindern, ihrePflicht zu vernachlässigen.«

»Pflicht!« japste Bully nervös. »Was verstehtdieser blödsinnige Blechhaufen schon von Pflicht?Seine Pflicht wäre es, uns und Rhodan zu helfen.Statt dessen ... pah!« Er rief Seiko in derFunkzentrale. »Sie müssen ständig funken undversuchen, eine Verbindung mit Rhodan herzustellen.

Dort unten irgendwo muß er sein irgendwozwischen den Urwäldern, Sümpfen und Sauriern.«

Mit einem Stoßseufzer ließ er sich in denPilotensessel zurücksinken und gab sich seinendüsteren Gedanken und Vermutungen hin.

Unter dem Schiff aber rotierte unendlich langsamder verschleierte Planet und weigerte sich, seineGeheimnisse preiszugeben.

*

Noch während des Abstieges vom Felsenplateauwurde es dämmrig.

Fern im Osten erkannte Rhodan einen feinen,hellen Schimmer in der undurchdringlichenFinsternis. Erste zartrosa Feuerpfeile schossen überden Horizont und färbten die oberstenWolkenschichten. Aber langsam nur drang das Lichtdurch, und es dauerte Sekunden, ehe man zu ahnenbegann, wo die Sonne stand.

Noch war es nicht soweit. Okura hatte sie sichergeführt und sie auf jedes Hindernis aufmerksamgemacht. Von einem Verfolger war nichts zubemerken, und es War höchstwahrscheinlich, daßihre Flucht nicht vor einigen Stunden bemerkt wurde.

Das konnte Rhodan nur recht sein. Er hatte nichtdie Absicht, sich in den Streit der zersprengtenInvasionstruppen einzumischen, die er bereitsinsgeheim als die ersten Venussiedler betrachtete.Immerhin würde er Tomisenkow warnen, wenn er biszu ihm gelangen sollte. Das aber, so sagte er sich,war noch nicht so sicher.

Zwischen den beiden Felsenplateaus lag dieNiederung mit ihren tückischen Sümpfen. Rhodansagte, die Durchquerung sei bei Nacht ungefährlicherals am Tage, weil dann die riesigen Sauriererwachten und auf Nahrungssuche gingen. Meistwaren sie Pflanzenfresser, was sie nicht daranhinderte, andere Lebewesen anzugreifen, in denen sieunliebsame Konkurrenten und Eindringlinge sahen.

Die Männer vertrauten auf ihre absolut sicheren

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Strahlenwaffen und beruhigten Rabow, der mit seinerDienstpistole nicht viel gegen die Urweltgigantenausrichten konnte. Um Lebensmittel brauchten siesich nicht zu sorgen, da sie noch einige Vorrätebesaßen und im ungünstigsten Fall das LagerTomisenkows in zwanzig Stunden erreichen würden.Die Wasservorräte konnten beim Fluß ergänztwerden.

Als sie jene Stelle erreichten, an der Rabow sieüberrascht hatte, war es hell genug, die nähereUmgebung erkennen zu können. Und es war nichtsehr erfreulich, was sie erblickten.

Der Wasserfall ging in einen schnelldahinströmenden Fluß über, der wiederum in einengroßen See mündete.

An seinen Ufern entlang, erklärte Rabow,schlängelte sich der Weg durch die Niederung. DasUfer bestand aus Urwald. Nebel stieg auf undvermischte sich mit den tief ziehenden Wolken. ImOsten stand ein verwaschener Fleck im Dunst - dieSonne.

Im See regte es sich. Hier und da wurden Wirbelsichtbar, dann tauchten die riesigen Leiber derverschiedenartigsten Saurier auf, die allgemein vielÄhnlichkeit mit denen hatten, die einst die Erdebevölkerten. Einige blieben im seichten Wasser undbegannen dann unter der Oberfläche zu äsen. Daswaren die weniger gefährlichen.

Andere aber schwammen oder wateten zum Uferschaukelten schwerfällig durch den Steppenstreifenund verschwanden im Urwald. Sie hinterließen einebreite Spur der Verwüstung und machten sich daran,kleine Bäume ohne Schwierigkeiten zu verspeisen.

Mit zusammengekniffenen Augen sah Rhodandem Treiben zu. Schließlich seufzte er und sagte zuMarshall:

»Nun werden Sie endlich einmal feststellenkönnen, ob und was Saurier eigentlich denken.Glauben Sie, daß ihre Gehirne dazu fähig sind,Gedankenströme auszusenden?«

»Warum nicht?« erwiderte der Telepathnachdenklich. »Es wird zwar nichts Vernünftigesdabeisein, aber es wäre überheblich, ihnen jeglichesDenkvermögen abzusprechen. Jedes Lebewesendenkt, auch die Ameise. Nur der Mensch allein ist es,der von sich glaubt, das einzige vernunftbegabteWesen zu sein. Das unterscheidet ihn vom Tier, aberbeileibe nicht im positiven Sinn. Nun, wir alsRaumfahrer sind anders als die Erdgebundenen. Wirsind fremden Völkern begegnet und wissen, daß dieIntelligenz nichts mit der äußeren Erscheinung zu tunhat. Wir haben unsere Vorurteile verloren, sofern wirüberhaupt welche, besaßen. Wir wissen, daß diebeherrschende Art eines Planeten wie Echsenaussehen kann - und damit wurde in uns die echteAchtung vor dem irdischen Tier geboren.

Unwillkürlich sehen wir in einem Hund nicht einbloßes Tier, sondern ein wirkliches Lebewesen, dassich von uns nur dadurch unterscheidet, daß es andersdenkt als wir.«

»Sie sehen eine Verwandtschaft zwischen unsererFähigkeit, fremde und außerirdische Völkeranzuerkennen und der Liebe zum irdischen Tier?«wunderte sich Rhodan, obwohl er dieZusammenhänge zu ahnen begann.

»Unbedingt«, sagte Marshall überzeugt. »Ich wagesogar zu behaupten, daß nur der rechte Tierfreunddazu geeignet ist, in den Weltraum vorzustoßen undKontakt mit den Bewohnern Fremder Planetenaufzunehmen. Er allein hat das notwendigeVerständnis und wird nicht davor zurückschrecken,auch die unmöglichsten Lebensformen alsgleichberechtigt anzuerkennen - eine Tatsache, diesehr gut einmal über den Frieden des gesamtenUniversums entscheiden könnte.«

Rhodan gab keine Antwort. Er sah hinab in diedampfende Dschungelebene der Urwelt, von der erwußte, daß sie genauso aussah wie die Ebenen derErde vor Jahrmillionen. Damals war das Tier derHerrscher über den Planeten gewesen, denn derMensch war erst viel später gekommen. Er hatteseine Existenz dem Tier zu verdanken, wie das Tierseine der Pflanze. Das eine folgte dem anderen, eineslöste das andere ab, und alle waren voneinanderabhängig. Das eine konnte es ohne das andere nichtgeben. Keines konnte ohne das andere sein.

Und doch lebten sie alle vom Kampfgegeneinander ...

Rhodan gab sich einen Ruck. »Wir werden esschon schaffen. Gegen die Impulsstrahler sind auchdie mächtigsten Riesen nicht gefeit. Allerdings hoffeich nicht, daß wir allzu viele von ihnen töten müssen.

Sie gehören in diese Welt, und sie gehört ihnen.Gehen wir.«

Sergeant Rabow schritt voran, hinter ihm folgteRhodan. Marshall und Okura bildeten den Abschluß.Sie erreichten schnell das Ufer des weitenSumpfsees, aber Rabow hielt sich weit genugentfernt, um nicht in zu feuchtes Gebiet zu geraten.Unter den gewaltigen Baumriesen war der Bodenimmer noch verhältnismäßig trocken, und eineBegegnung mit einem Saurier schien hier so gut wieausgeschlossen.

Alles ging gut, bis sie die letzte Bucht umrundetund den See hinter sich gelassen hatten. Es bliebihnen nichts anderes übrig, als eine mehr als fünfKilometer breite Grasebene zu überqueren, in der nurhier und da vereinzelt Bäume wuchsen. Das Gras warhier bis zu fünf Meter hoch und nahm den Männernjede Sicht. Der Boden wurde feucht und gab nach.Sie gingen wie auf einem Riesenschwamm undfühlten sich längst nicht mehr so sicher wie im

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Dschungel.Rabow zeigte in Richtung ihres Zieles, das sich

wie ein dunkelfarbiger Block aus den weißviolettenDunstschwaden hervorhob.

»Hier ist der Pfad, den wir immer gingen - abernur bei Nacht. Gleich wird er trockener.«

Er beschleunigte seine Schritte, um möglichst balddie Gefahrenzone hinter sich zu bringen. Rhodanfolgte. In seiner Hand lag entsichert und schußbereitder Strahler.

Rabow stieß plötzlich einen schrillen Schrei aus,riß seine Pistole aus dem Gürtel und jagte das ganzeMagazin vor sich in den unübersichtlichen Graswald.Dann sprang er zurück und prallte gegen Rhodan, dersich nur mit Mühe auf den Beinen hielt.

Okura streckte den Arm aus und zeigte nach vorn,wo sich das Gras plötzlich teilte. Rhodan drohte dasBlut in den Adern zu stocken, als er das Ungetümerblickte, das - ohne sich um die abgepralltenGeschosse Rabows zu kümmern - auf sie zukroch. Esmochte knapp zehn Meter lang sein, glich einemDrachen aus grauer Vorzeit, ging auf allen vieren undhatte auf dem Rücken einen gezackten Kamm ausHornplatten. Tückisch blinzelten die Augen in demkleinen Kopf. Aus dem breiten Echsenmaul hingenGrasbüschel und Baumwurzeln.

»Ein Stegosaurus«, murmelte Rhodanunentschlossen. »Eigentlich ein harmloserPflanzenfresser. Wenn wir ihm nicht gerade im Wegstünden ...«

»Schießen Sie doch!« flehte Rabow und zitterte anallen Gliedern. »Er wird uns alle zertrampeln. Siegreifen Menschen an, ich habe es oft genug erlebt.«

Marshall trat ein wenig zur Seite und hob seineWaffe. Rhodan sah ihn an und schüttelte den Kopfabwarten. »Marshall!« Okura schien zu ahnen, daßRhodan trotz der Lage immer noch Zeit für einExperiment haben wollte. Er verließ ebenfalls denbreitgetretenen Pfad und verharrte auf einer kleinenGrasinsel. Rhodan nickte fast unmerklich, ließ denStegosaurus aber nicht aus den Augen.

Das gewaltige Tier schleppte seinen schwerenKörper durch das Gras und kam immer näher. Esfolgte den Bewegungen der Menschen mit flinkenAugen, machte aber keine Anstalten, ihnen zu folgen.Rhodan hatte Rabow bei der Hand gepackt und zogihn mit sich. Wenige Meter von ihnen entfernt zogder Saurier dann an ihnen vorbei, ohne sie weiter zubeachten. Er walzte das Gras nieder und hinterließeine regelrechte Straße, die vier oder fünf Meter breitdie Ursteppe durchquerte. Der gepanzerte Schwanzkroch schleifend hinter dem Ungetüm her. DerStegosaurus begann bereits wieder friedlich zu äsen.

Als Rhodan sich mit einem triumphierendenLächeln an Marshall wenden wollte, sah er dessenverblüfftes Gesicht.

»Es hat gedacht«, murmelte er, immer nochfassungslos. »Es hat richtig gedacht.«

»Was hat es denn gedacht?« Marshall schüttelteden Kopf. »Es hat so klar gedacht, daß ich meinte,ein Mensch stünde vor mir.«

»Was haben Sie denn? Hat Ihnen das Untier dieSprache verschlagen?«

»Es hat gedacht: Ob es sich lohnt, das lästigeUngeziefer zu zertreten?« Okura riß die Augen weitauf. »Ungeziefer?« Marshall nickte. »Ja, Ungezieferhat es gedacht und uns gemeint.« Rhodan grinsteschwach. »Nicht sehr schmeichelhaft, aber esbekräftigt unsere Theorie, über die wir ebenphilosophierten. Allerhand. Doch kommen Sie, wirhaben keine Zeit zu verlieren. Jedenfalls bin ich froh,daß wir es nicht töten mußten. Es hat gedacht, unddarum ist es wert, zu leben.«

Sie folgten eine kurze Strecke demniedergewalzten Spurenpfad des Sauriers, dann bogRabow nach rechts ab. Er hatte von dem Gesprächkein Wort begriffen und mußte seine drei Begleiterfür übergeschnappt halten, aber er hütete sich, Fragenzu stellen.

Sie senden bald vor der steilen Wand undbegannen, sie zu ersteigen. Sie folgten einem gutausgetretenen Pfad und erreichten bereits nach zweiStunden den Rand des Plateaus.

Rabow sah sich vorsichtig um, aber er schien nichtdas zu finden, was er suchte. Ein wenig ratlos wandteer sich an Rhodan.

»Die Wachtposten - sie sind nicht da. Das istmerkwürdig. Hier haben sonst immer zwei Männergestanden.«

»Wie weit ist es bis zu Tomisenkows Lager?«fragte Rhodan. Er hatte den Strahler in den Gürtelzurückgeschoben.

»Zehn Minuten, mehr nicht.«»Gehen wir.«Die Tatsache, daß sie auf keine Posten trafen,

beunruhigte Rabow allem Anschein nach sehr. Erkonnte nicht begreifen, wieso TomisenkowsWachsamkeit plötzlich nachgelassen hatte. DerGeneral war doch sonst das personifizierteMißtrauen.

»Dort hinter den Felsblöcken stehen die erstenHäuser«, murmelte Rabow und wollte noch etwashinzufügen, aber die sich überstürzenden Ereignisseder nächsten Sekunden hinderten ihn daran. Es war,als explodiere die Hölle. Ein schrilles Jaulen sorgtedafür, daß Rhodan und seine beiden Gefährten sichblitzschnell zu Boden fallen ließen. Rabow hingegenwar nicht schnell genug. So wie er stand, fing er dieGarbe eines irgendwo in den Büschen verborgenenMaschinengewehrs auf, schwankte zwei oder dreiSekunden unschlüssig hin und her, ehe er in sichzusammensank.

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Rhodan wußte, daß sie nun ohne Führer waren undden Weg zu Thora allein finden mußten. Aber erwußte auch noch etwas anderes ...

Ein stechender Schmerz durchzuckte seine rechteSchulter, und ihm war, als habe jemand einglühendes Eisen durch sie gestoßen. Noch währender sich hingeworfen hatte, war er von einem Geschoßgetroffen worden.

General Tomisenkow mußte seine Truppen imDorf zusammengezogen und eine automatischarbeitende Verteidigungsanlage eingeschaltet haben.Das bedeutete, daß niemand sich dem Dorf nähernkonnte, ohne zusammengeschossen zu werden.

Marshall wußte längst, was geschehen war. Ersprang trotz der schwirrenden Kugeln zu Rhodan unduntersuchte ihn.

»Nur eine Fleischwunde. Aber hier müssen wirraus. Okura, helfen Sie mir.« Rhodan stöhnte, aber erunterstützte Marshall und den Japaner, als sie ihneinige Meter zurückzerrten. Und wie durch einWunder verstummte sofort das höllische Feuer derüberall versteckten Maschinengewehre. Sie hatten dieSperrzone bereits wieder verlassen.

Rabow war tot. Ihm war nicht mehr zu helfen, undimmerhin war es ihm erspart geblieben, sichzwischen Tomisenkow und Wallerinski entscheidenzu müssen.

Die beiden Männer waren froh, als Rhodanerklärte, selbst gehen zu können. Sie nahmen ihn indie Mitte und trachteten danach, einen möglichstgroßen Zwischenraum zwischen sich und dieheimtückische Todesfalle zu bringen. Dagegenblieben selbst die Impulsstrahler wirkungslos, weilman kein Ziel erkennen konnte.

Weit hinter ihnen hörten sie Kommandos. Männerriefen, ein einzelner Schuß krachte. Dann war Ruhe.

»Bleiben wir auf dem Plateau?« wollte Marshallwissen. Rhodan verbiß seine Schmerzen. »Nachrechts ist Wald genug, dort finden wir vorerst Schutz.Können Sie nicht feststellen, was die Männervorhaben? So groß ist die Entfernung doch nicht.«

»Später, wenn ich mehr Ruhe zur Konzentrationhabe«, vertröstete Marshall Rhodan. »Wir müssenSie zuerst in Sicherheit bringen und die Wundeverbinden.«

Rhodan zog es vor, keine Antwort zu geben. Erwußte, daß er sich auf seine Gefährten verlassenkonnte, außerdem mußte er seine Kräfte schonen.

Sie drangen weit in den nicht allzu dichten Urwaldein und fanden schließlich einen gigantischen Baum,der so von Schlinggewächsen eingesponnen war, daßer leicht zu erklettern sein mußte. Rhodan schaffte esfast ohne Hilfe, denn er benötigte nur die linke Hand,um sich Stück für Stück in die Höhe zu arbeiten.Zwanzig Meter über dem Boden des Urwaldesfanden sie einen geeigneten Platz. Ein sehr breiter

und abgeflachter Ast hing fast waagrecht von demBaumriesen weg und verlor sich im Gewirr derNachbaräste. Ein Vorhang aus urweltlichen Lianenbot Schutz nach allen Seiten. Sie hatten einenatürliche Baumhütte gefunden, die später durchbiegsame Zweige noch verstärkt werden konnte.

Rhodans Wunde war ungefährlich, ein glatterDurchschuß. Marshall verband sie und gab Rhodanein Mittel gegen das Fieber. Knapp zehn Minutenspäter war der Verwundete eingeschlafen, und seineregelmäßigen Atemzüge zeugten davon, daß er derGesundung entgegenschlummerte. Okura undMarshall fanden noch keine Ruhe.

»Da sitzen wir nun«, flüsterte Okura, um Rhodannicht zu wecken. »Thora ist in der Hand diesesTomisenkows, wir kleben wie ein paar hilflose Affenauf einem Urwaldbaum und warten auf ein Wunder.Wo Bully bleibt, weiß der Himmel. Er läßt sich Zeit,er hat ja auch keine Ahnung, was allesdanebengegangen ist. Immerhin wäre es an der Zeit,daß er sich allmählich Gedanken macht.«

Okura konnte natürlich nicht wissen, daß Bullyhoch über ihnen in der GOOD HOPE V die Venusumkreiste und ebenfalls auf ein Wunder wartete, dasihm die Landung auf dem verflixten Planetenerlaubte. Unaufhörlich war die Funkstation in Betriebund versuchte, mit irgend jemand Verbindungaufzunehmen. Der Empfänger blieb stumm. Marshallwühlte in den Vorräten. »Sehr lange halten wir eshier nicht aus«, schloß er seine Untersuchung ab.»Oder wir müssen auf die Jagd gehen.«

»Es wird bestimmt drei bis vier Tage dauern, eheRhodan seinen Arm wieder bewegen kann. So langesollten wir zumindest im Schutz unserer Hüttebleiben.«

»Hm«, knurrte Marshall und legte sich zurecht.»Ich werde schlafen. Bleiben Sie wach?«

»Wer sonst?« grinste Okura müde und setzte sichso auf den Ast, daß er mit dem Rücken gegen denHauptstamm lehnte. Der Impulsstrahler laggriffbereit auf seinen Knien.

Nach mehreren Stunden Schlaf und einer kräftigenMahlzeit kehrte Rhodans alte Spannkraft zurück. DieWunde verheilte dank der ausgezeichnetenMedikamente und vernarbte. Das befürchtete Fieberhatte sich nicht eingestellt. Sie hielten Kriegsrat.»Verbindung mit Tomisenkow aufzunehmen ist alsoillusorisch«, faßte Rhodan schließlich zusammen,nachdem sie alle Punkte in Betracht gezogen hatten.»Er hütet Thora wie seinen Augapfel und wird beiGelegenheit seine Bedingungen stellen wollen. VonBully liegt noch keine Nachricht vor. Er müßte schonlängst bei der Station gelandet sein falls dasRobotgehirn nicht die von mir programmierteGeheimschaltung X aktiviert hat. Dann allerdingskann Bully nicht landen; überhaupt kann niemand

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mehr auf der Venus landen.«»Wie soll man uns dann holen?« machte Okura

sich Sorgen.»Es bleibt nur die Möglichkeit, daß ich zu Fuß zur

Station gelange und das System umprogrammiere.Aber so weit sind wir noch nicht. Ich möchte Thorabefreien.«

»Sie sagten doch eben noch ...« begann Marshall,aber dann verstummte er. Er mußte in RhodansGedanken »geschnüffelt« haben. »Die hätte ich fastvergessen«, murmelte er abschließend.

Okura sah verständnislos von einem zum anderen.Er konnte keine Gedanken lesen und wußte somitauch nicht, was Marshall meinte. Rhodan half ihm.

»Als wir vor Jahren zum erstenmal auf der Venuslandeten, begegneten wir am Ufer des Urmeers denhalbintelligenten Robbenwesen. Unsere Telepathenkonnten sich mit ihnen verständigen, und wirvertrugen uns recht gut mit ihnen. Ich half ihnensogar bei einer Gelegenheit und tat ihnen einengroßen Gefallen. Vielleicht haben sie das nichtvergessen und sind bereit, ihre Schuld abzubezahlen.Es wäre sinnlos, wollten wir alle drei den langenMarsch zum Urmeer antreten, das irgendwo im Ostenliegt. Und nur eine Telepath kann sich mit denRobbenwesen verständigen und ihnen klarmachen,was wir von ihnen wünschen. Die Einzelheitenbesprechen wir noch, aber ich glaube kaum, daß wireine bessere Lösung finden werden.«

»Ein Telepath«, stöhnte Marshall und wurde einwenig blaß. »Also ich! Allein durch den Urwald!« Erfingerte an seinem breiten Armband, das eine Mengekleinster Instrumente beherbergte. »Wollen wir nichtlieber versuchen, Verbindung mit Bullyaufzunehmen?«

»Das auch, aber wenn Geheimschaltung Xwirksam wurde, hilft uns das nicht weiter. DieRobbenwesen kennen den Weg zur Station, siekönnen uns führen. Nein, Marshall, Sie können IhremSchicksal nicht ausweichen. Okura und ich werdenhier auf Sie warten. Sollte sich etwas Neues inHinsicht auf Tomisenkow ergeben, hinterlassen wiran dieser Stelle für Sie eine Botschaft.«

»Und die Vorräte? Wovon leben wir?«»Sie haben Ihre Pistole und können jagen«,

beruhigte ihn Rhodan. »Wir versuchen es mit denImpulsstrahlern.«

»Nicht nötig«, versicherte Okura und zog eineschwere Pistole aus der Tasche. »Ich sah nicht ein«,fügte er entschuldigend hinzu, »daß Rabows Waffeden Leuten Tomisenkows in die Hände fiel. Damiterlegen wir mehr Fleisch, als wir essen können.«Rhodan nickte befriedigt. »Na also, damit wäre dieEntscheidung gefallen, Marshall. Schlafen Sie nocheinige Stunden, ehe wir die letzten Einzelheitenbesprechen.«

Es war inzwischen richtig Tag geworden. DieHelligkeit war durch das Dach des Urwaldesgedrungen und hatte die alles verbergenden Schleierder Nacht hinweggenommen. Die Baumhütteschwamm in einem Meer farbenprächtigerOrchideen, die wie Riesenquallen in einem grünenSee schwebten. Bunte Käfer krochen eilig über Ästeund Stämme. Weiter oben war das Krächzen undZwitschern gefiederter Urwaldbewohner.

Schweren Herzens hatte sich Marshall von Rhodanund Okura verabschiedet und war in die Tiefegeklettert. Unten sahen sie ihn verloren zwischen denRiesenbäumen stehen und noch einmal nach obenzurückwinken. Dann marschierte er los, demverwaschenen Sonnenfleck entgegen, der irgendwoweit im Osten über dem Urmeer stand. WenigeMinuten später war er im Unterholz verschwunden.Sie hörten noch eine Weile seine vorsichtigen,tastenden Schritte, dann verstummten auch die.

Rhodan und Okura blieben allein in der Baumhüttezurück.

Sie waren vorerst zur Untätigkeit verurteilt undwürden abwarten müssen, bis Marshall zurückkehrte.Das aber konnte einige Tage dauern. Fast noch 120Stunden würde es hell bleiben, ehe erneut eine langeNacht anbrach. Wenn Marshall es bis dahin schaffte,war viel gewonnen. Wenn nicht ... - Okura drehte fastgedankenlos an seinem Allzweckgerät am Arm undeine leise Stimme aus dem Miniaturlautsprecher kam:

»... rufen Perry Rhodan! Achtung, wir rufen PerryRhodan! Melden Sie sich, Perry Rhodan!«

Die Stimme wurde ständig lauter, so als näheresich der Sender mit großer Geschwindigkeit. Immerwieder rief sie die gleiche Botschaft in den Äther.

Okura schaltete blitzschnell den Peiler ein und sahdann fast senkrecht nach oben. Zweifel zeichnetensich auf seinem Gesicht ab. Rhodan lächelteentsagungsvoll.

»Das ist Bully. Geben Sie Rufzeichen.«Wenige Sekunden später hörten sie Bully einen

lauten Schrei der Überraschung ausstoßen, starkvermischt mit Erleichterung.

»Mensch, Perry, wo steckst du? Ich suche dich wieeine Stecknadel. Warum hast du dich nichtgemeldet?«

»Der Reihe nach Bully. Wo bist du?«»In der GOOD HOPE V und kann nicht landen.

Das verdammte Positronensystem ...«»Also doch!« unterbrach ihn Rhodan und seufzte.

»Dann kann also tatsächlich niemand auf der Venuslanden. Gut Bully, dann kehre zur Erde zurück, bisich die Station erreiche und dich benachrichtige. Dukannst mir nicht helfen.«

»Und was ist mit Thora?«»Gut aufgehoben«, erwiderte Rhodan mit einem

spöttischen Unterton.

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»Ich kehre nicht zur Erde zurück«, sagte Bullyplötzlich, dessen Stimme schon wieder leiser wurde,weil die Entfernung sich vergrößerte. »Ich bleibe solange hier, bis ich landen kann. Basta!«Wenn Bully »basta!« sagte, war an seinemStandpunkt nichts mehr zu ändern. Rhodan wußtedas.»Also gut, kreise von mir aus wie der historische>Ham< um die Venus. Okura und ich sitzen imUrwald und spielen Tarzan, während Marshall mitden venusischen Robben verhandelt. Im Augenblickwäre also alles in bester Ordnung. Grüße dieMutanten von mir.«Bullys Antwort war so schwach, daß sie nicht mehrzu verstehen war, aber Okura war bereit zu schwören,daß es ein Fluch gewesen war.Rhodan lächelte schmerzhaft und lehnte sich gegenden Vorhang aus Riesenlianen. Dicht über seinemKopf hing eine blutrote Orchidee, so groß wie einMännerkopf.»Er wird noch öfter fluchen, wie ich ihn kenne.Nichts haßt er mehr, als untätig zuschauen zumüssen, wenn andere die Abenteuer zu bestehenhaben.«»Dabei kann er nicht einmal zuschauen«, grinsteOkura und zeigte hinauf in die ewige Dunstschichtüber dem Urwalddach.Rhodan schloß die Augen und nickte.Er hatte so viel zu tun, denn große und gigantische

Aufgaben lagen noch vor ihm. Sein Lebenswerk wargerade erst begonnen worden; kaum, daß er denGrundstein dazu gelegt hatte. Irgendwo in derMilchstraße bröckelte das Sternenreich derArkoniden auseinander und zerfiel. Vielleichtstarteten Lichtjahre entfernt neue Invasionsflotten,um der Erde einen überraschenden Besuchabzustatten.Für den Augenblick hatte das Schicksal ihm dieVerantwortung aus den Händen genommen, aber erwußte, daß er sie eines Tages zurückerhalten würde -mit dem tausendfachen Gewicht.Und während drüben in den Niederungen die Saurierästen und sich brüllend ihren Weg durch dieUfersteppe suchten, während Thora in verbissenerWut mit General Tomisenkow um ihren Preishandelte, während Marshall allein durch dieEinsamkeit des Dschungels lief und Bully inhilflosem Zorn mit gleichbleibender Bahn um dieVenus kreiste, während all dieser Vorgänge schliefPerry Rhodan seiner endgültigen Genesung entgegen.Nur Son Okura wachte und achtete darauf, daßniemand den Schlummer seines Begleiters störte.Die Stunde der Entscheidung war weit in die Zukunftgerückt worden ...

E N D E

Auch »Unsterbliche« können Dummheiten begehen! Perry Rhodan hat eine solche Dummheit begangen, als erder flüchtenden Thora mit einem neuen Raumschiff zur Venus folgte, das noch keinen Kodespruch für dieVenusfestung abstrahlen konnte. Der Chef der Dritten Macht hat es sich daher selbst zuzuschreiben, wenn dieAuslösung der GEHEIMSCHALTUNG X ihn nun zum Gefangenen der Venus macht ...

GEHEIMSCHALTUNG X

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