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Thüringer Landtag Plenarprotokoll 3/39 3. Wahlperiode 15. März 2001 39. Sitzung Donnerstag, den 15. März 2001 Erfurt, Plenarsaal Thüringer Gesetz zur Umsetzung europa- 2965 rechtlicher Vorschriften betreffend die Be- herrschung der Gefahren bei schweren Un- fällen mit gefährlichen Stoffen (ThürEUGefUG) Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/1343 - dazu: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Naturschutz und Umwelt - Drucksache 3/1405 - ZWEITE BERATUNG Nach Berichterstattung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/1343 - in ZWEITER BERATUNG und in der Schlussabstimmung jeweils einstimmig angenommen. Erstes Gesetz zur Änderung des Thüringer 2966 Personalvertretungsgesetzes Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/1419 - ERSTE BERATUNG Nach Begründung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/1419 - an den Innenausschuss überwiesen. Rehabilitation und Teilhabe 2985 behinderter Menschen Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/1337 - Nach Begründung durch den Einreicher erstattet Minister Dr. Pietzsch einen Sofort- bericht zu dem Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/1337 -. Auf Verlangen der Fraktion der PDS findet gemäß § 106 Abs. 1 GO eine Aussprache zu dem Bericht der Landesregierung statt. Gemäß § 106 Abs. 2 GO wird die Erfüllung des Berichtsersuchens festgestellt. Erhöhung der Brandsicherheit 2993 in Wohnungen Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/1338 - Ohne Begründung und nach Aussprache wird der Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/1338 - mit Mehrheit abgelehnt.

Thüringer Landtag...Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2959 d) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sedlacik (PDS) 3008 Privatisierung von Wohnungen

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Thüringer Landtag Plenarprotokoll 3/39 3. Wahlperiode 15. März 2001

39. Sitzung

Donnerstag, den 15. März 2001

Erfurt, Plenarsaal

Thüringer Gesetz zur Umsetzung europa- 2965rechtlicher Vorschriften betreffend die Be-herrschung der Gefahren bei schweren Un-fällen mit gefährlichen Stoffen (ThürEUGefUG)Gesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/1343 -dazu: Beschlussempfehlung des Ausschusses

für Naturschutz und Umwelt- Drucksache 3/1405 -

ZWEITE BERATUNG

Nach Berichterstattung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/1343 - in ZWEITER BERATUNG und in der Schlussabstimmung jeweilseinstimmig angenommen.

Erstes Gesetz zur Änderung des Thüringer 2966PersonalvertretungsgesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/1419 -ERSTE BERATUNG

Nach Begründung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/1419 - an den Innenausschuss überwiesen.

Rehabilitation und Teilhabe 2985behinderter MenschenAntrag der Fraktion der PDS- Drucksache 3/1337 -

Nach Begründung durch den Einreicher erstattet Minister Dr. Pietzsch einen Sofort-bericht zu dem Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/1337 -. Auf Verlangender Fraktion der PDS findet gemäß § 106 Abs. 1 GO eine Aussprache zu demBericht der Landesregierung statt. Gemäß § 106 Abs. 2 GO wird die Erfüllung desBerichtsersuchens festgestellt.

Erhöhung der Brandsicherheit 2993in WohnungenAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/1338 -

Ohne Begründung und nach Aussprache wird der Antrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/1338 - mit Mehrheit abgelehnt.

2958 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Sonderprogramm Ost 2997, 3041Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 3/1377 -dazu: Entschließungsantrag der

Fraktion der SPD- Drucksache 3/1423 -

Ohne Begründung durch den Einreicher erstattet Ministerpräsident Dr. Vogel einenSofortbericht zu dem Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/1377 -.

Auf Verlangen der Fraktion der SPD findet gemäß § 106 Abs. 1 GO eine gemeinsameAussprache zu dem Bericht der Landesregierung und dem Entschließungsantrag derFraktion der SPD - Drucksache 3/1423 - statt.

Der Tagesordnungspunkt wird durch die Mittagspause, Fragestunde und AktuelleStunde unterbrochen.

Nach Fortsetzung der Aussprache wird die Erfüllung des Berichtsersuchens zu demAntrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/1377 - gemäß § 106 Abs. 2 GO festge-stellt.

Eine beantragte Überweisung des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD- Drucksache 3/1423 - an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik,den Haushalts- und Finanzausschuss und den Innenausschuss wird jeweils mit Mehr-heit abgelehnt.

Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/1423 - wird mitMehrheit abgelehnt.

Fragestunde 3006

a) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Höhn (SPD) 3007 Personelle Besetzung der geplanten Kommunalprüf- abteilung beim Rechnungshof - Drucksache 3/1334 -

wird von dem Abgeordneten Dr. Pidde vorgetragen und vonMinister Köckert beantwortet.

b) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Wackernagel (CDU) 3007 Bundesweites Streetworktreffen in Thüringen - Drucksache 3/1335 -

wird von Staatssekretär Maaßen beantwortet.

c) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kummer (PDS) 3008 Programm "50 PLUS" (Arbeitsmarktpolitischer Teil) - Drucksache 3/1339 -

wird von Minister Schuster beantwortet.

Der Antrag der Fraktion der PDS, im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit undStrukturpolitik gemäß § 92 GO eine Aussprache zu der Mündlichen Anfrage- Drucksache 3/1339 - durchzuführen, wird von mindestens einem Drittel deranwesenden Mitglieder des Landtags unterstützt.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2959

d) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sedlacik (PDS) 3008 Privatisierung von Wohnungen durch das Bundesvermögensamt - Drucksache 3/1344 -

wird von Staatssekretärin Diezel beantwortet.

e) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sedlacik (PDS) 3009 Betroffene Mieter in Frauenwald und Bad Salzungen dürfen nicht allein gelassen werden - Drucksache 3/1345 -

wird von Staatssekretärin Diezel beantwortet.

f) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sedlacik (PDS) 3009 Zweitwohnungssteuer - Drucksache 3/1346 -

wird von Minister Köckert beantwortet.

Der Antrag der Fraktion der PDS, im Innenausschuss gemäß § 92 GO eineAussprache zu der Mündlichen Anfrage - Drucksache 3/1346 - durchzuführen,wird von mindestens einem Drittel der anwesenden Mitglieder des Landtagsunterstützt.

g) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Wunderlich (CDU) 3010 Auswirkung des 7-Punkte-Plans von EU-Agrarkommissar Fischler auf die Landwirtschaft in Thüringen - Drucksache 3/1347 -

wird von Staatssekretär Illert beantwortet.

h) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Wackernagel (CDU) 3011 Entsorgung tierischer Abfälle - Drucksache 3/1349 -

wird von Minister Dr. Pietzsch beantwortet.

i) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kummer (PDS) 3012 Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in Saalfeld - Drucksache 3/1351 -

wird von Minister Dr. Pietzsch beantwortet.

j) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Wackernagel (CDU) 3012 Fleischerhandwerk in Thüringen braucht Hilfe - Drucksache 3/1352 -

wird von Staatssekretär Illert beantwortet.

k) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Goebel (CDU) 3013 Änderung von Wirkungsbereich und Status der Polizeiinspektion Schmalkalden - Drucksache 3/1354 -

wird von dem Abgeordneten Heym vorgetragen undvon Minister Köckert beantwortet.

2960 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

l) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Wildauer (PDS) 3014 Vorbestrafter Bürgermeister - Drucksache 3/1355 -

wird von Minister Köckert beantwortet.

Der Antrag der Fraktion der PDS, im Innenausschuss gemäß § 92 GO eine Aussprachezu der Mündlichen Anfrage - Drucksache 3/1355 - durchzuführen, wird von mindestenseinem Drittel der anwesenden Mitglieder des Landtags unterstützt.

m) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Wildauer (PDS) 3015 Gefährdung des alpinen Klettersports auf dem Falkenstein - Drucksache 3/1356 -

wird von Minister Dr. Pietzsch beantwortet. Zusatzfragen.

n) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Bechthum (SPD) 3017 Arbeit des Thüringer Beirats für Familien und Frauen - Drucksache 3/1358 -

wird von Minister Dr. Pietzsch beantwortet.

Minister Dr. Pietzsch sagt der Abgeordneten Bechthum mit deren Einverständnisin Beantwortung ihrer Frage 1 die schriftliche Zuleitung einer Liste mit den 21 imThüringer Beirat für Familie und Frauen vertretenen Organisationen zu, die an-schließend alle Abgeordneten ebenfalls erhalten.

Der Antrag der Fraktion der SPD, im Gleichstellungsausschuss gemäß § 92 GOeine Aussprache zu der Mündlichen Anfrage - Drucksache 3/1358 - durchzuführen,wird von mindestens einem Drittel der anwesenden Mitglieder des Landtags unter-stützt.

o) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Bechthum (SPD) 3018 Situation der Altenpflegeausbildung in Thüringen - Drucksache 3/1359 -

wird von Minister Dr. Pietzsch beantwortet.

Aktuelle Stunde 3019

a) auf Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: 3019"Auswirkungen der Änderungen des Kindertages-einrichtungsgesetzes in Thüringen"Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags- Drucksache 3/1348 -

b) auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: 3026"Rechtsextremismus in Thüringen"Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags- Drucksache 3/1425 -

Aussprache

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2961

Handlungserfordernis der Landesregierung zur 3063Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit derAufgabenträger im Bereich Wasser/AbwasserAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/1395 -

Nach Begründung und Aussprache wird der Antrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/1395 - an den Innenausschuss überwiesen.

2962 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Am Regierungstisch:

Ministerpräsident Dr. Vogel, die Minister Dr. Birkmann, Köckert, Dr. Krapp, Dr. Pietzsch,Prof. Dr. Schipanski, Schuster, Dr. Sklenar

Rednerliste:

Präsidentin Lieberknecht 2964, 2965, 2966, 2969, 2971, 2972, 2973, 2977, 2979, 2980, 2981, 2982, 2983,2984, 2985, 3006, 3007, 3008, 3009, 3010, 3011, 3012, 3013, 3014, 3044, 3049,

3051, 3055, 3057, 3059, 3061Vizepräsidentin Dr. Klaubert 2985, 2987, 2988, 2991, 2992, 2993, 2994, 2995, 2997, 3002, 3006, 3014, 3015,

3016, 3017, 3018, 3020, 3021, 3022, 3023, 3024, 3026, 3027, 3028, 3029, 3030,3031, 3032, 3033, 3034, 3037, 3039, 3040, 3041, 3062, 3063, 3066, 3068, 3069,

3070, 3072Althaus (CDU) 3038, 3039, 3044Arenhövel (CDU) 2988, 3021Bechthum (SPD) 2987, 2992, 3017, 3018, 3020Bergemann (CDU) 2981, 2982Böck (CDU) 2979, 2980, 3068Buse (PDS) 3027, 3055Dr. Dewes (SPD) 3032, 3033Dittes (PDS) 2969, 2971, 2994, 3031, 3032, 3039Doht (SPD) 2995Fiedler (CDU) 2974, 3026, 3027, 3063Gentzel (SPD) 3041Heym (CDU) 3013Huster (PDS) 2985, 3021Kallenbach (CDU) 3059Dr. Klaus (SPD) 2965T. Kretschmer (CDU) 3051Kummer (PDS) 3008, 3012Lippmann (SPD) 3049, 3051, 3062Mohring (CDU) 3051Nitzpon (PDS) 2987, 3008, 3010, 3015, 3062Nothnagel (PDS) 2988Panse (CDU) 3019, 3020Pelke (SPD) 3022Dr. Pidde (SPD) 2965, 3006, 3007Pohl (SPD) 2972, 2985, 3028, 3029, 3041Ramelow (PDS) 2977, 2981, 2982, 2984Schemmel (SPD) 2980, 3063, 3069Schwäblein (CDU) 3040Sedlacik (PDS) 3008, 3009Seela (CDU) 3029, 3030, 3031Stauch (CDU) 2964Thierbach (PDS) 2992, 3023Wackernagel (CDU) 3007, 3011, 3012Wetzel (CDU) 2993Dr. Wildauer (PDS) 3014, 3015, 3016, 3066, 3068B. Wolf (CDU) 2991Wunderlich (CDU) 3010Zimmer (PDS) 3002

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2963

Diezel, Staatssekretärin 3009, 3061Illert, Staatssekretär 3010, 3013Köckert, Innenminister 2966, 2983, 2984, 2995, 3007, 3010,

3013, 3014, 3034Dr. Krapp, Kultusminister 3033Maaßen, Staatssekretär 3007Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit 2986, 3011, 3012, 3015, 3016, 3017,

3018, 3024Scherer, Staatssekretär 3070Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur 3008, 3057Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt 2966Dr. Vogel, Ministerpräsident 2997

2964 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Die Sitzung wird um 9.04 Uhr von der Präsidentin desLandtags eröffnet.

Präsidentin Lieberknecht:

Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, sehr ver-ehrte Vertreter auf den Regierungsbänken, sehr verehrteBesucher auf der Besuchertribüne, verehrte Gäste, icheröffne die 39. Plenarsitzung des Thüringer Landtags amheutigen 15. März 2001. Als Schriftführer haben anmeiner Seite Platz genommen Frau AbgeordneteWackernagel und Herr Abgeordneter Pohl.

(Beifall bei der CDU)

Gilt der Beifall Ihnen?

(Zuruf Abg. Pohl, SPD: Nein, der FrauWackernagel.)

(Heiterkeit bei der CDU)

(Zuruf Abg. Wackernagel, CDU: Es wirdimmer verrückter.)

Haben Sie Geburtstag heute?

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU:Nein.)

Frau Abgeordnete Wackernagel wird die Rednerlisteführen. Es haben sich für die heutige Sitzung zahlreicheMitglieder unseres Hauses entschuldigt: Zunächst FrauAbgeordnete Ellenberger, Frau Abgeordnete Groß, HerrAbgeordneter Prof. Dr. Goebel, Herr Abgeordneter Illing,Frau Abgeordnete Zitzmann, Herr Abgeordneter Koch,Frau Abgeordnete Neudert, Herr Abgeordneter Hahne-mann, Frau Abgeordnete Wolf, außerdem die Kabi-nettsmitglieder Herr Minister Gnauck, Herr Minister Dr.Birkmann und Herr Minister Trautvetter, zugleich auchAbgeordneter.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Dr. Birkmann ist anwesend.)

Dr. Birkmann ist anwesend? Das ist aufgrund einerschriftlichen Vorlage ergangen. Sie werden ab 11.00 Uhrden Raum verlassen, in Ordnung. Dann danke ich fürdie Präzisierung Ihrer Entschuldigung.

Ich habe allgemeine Hinweise: Im Vorraum findet einePräsentation der UNICEF-Arbeitsgruppe Erfurt statt. Dastut sie bekanntlich zweimal im Jahr, also auch heutehier.

Dann werde ich um 13.00 Uhr in der ersten Etage imZwischenbau eine Ausstellung des Kunstvereins Geraeröffnen mit dem sinnigen Thema "Grüße aus Fern-Ost",

auf Initiative namhafter Geraer Abgeordneter. Am Abendwird uns um 20.00 Uhr der Landessportbund zu einemparlamentarischen Abend einladen. Auch dies hat Tra-dition, wir werden die Sitzung entsprechend schließen.

Jetzt noch einige ergänzende Hinweise zur Tagesordnung.

Zu TOP 5 - Antrag der Fraktion der CDU in Drucksache3/1377, Sonderprogramm Ost, dazu wurde ein Ent-schließungsantrag der Fraktion der SPD in Drucksache3/1423 verteilt.

Zu TOP 9 - Wahl von Vertrauensleuten für die Aus-schüsse zur Wahl der ehrenamtlichen Richter bei denVerwaltungsgerichten des Freistaats Thüringen: Hierzuwurde eine Unterrichtung durch die Präsidentin des Land-tags mit dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Frak-tionen der CDU, PDS und SPD verteilt; sie hat die Druck-sachennummer 3/1432. Ich darf ergänzen, dass es ineinem Fall noch eine Änderung geben wird; die Vorlagewird entsprechend nachgereicht.

Zu TOP 10 - Große Anfrage der Fraktion der PDS undAntwort der Landesregierung - in den Drucksachen3/1134/1411, Politik der Landesregierung für den länd-lichen Raum, wurde eine Berichtigung in Drucksache3/1429 verteilt.

Zu TOP 11 - Fragestunde - kommen für die heutigeSitzung folgende Mündliche Anfragen hinzu, nämlichdie Drucksachen 3/1409, 3/1410, 3/1412 und 3/1413.

Darüber hinaus hat die Landesregierung angekündigt, zuden Tagesordnungspunkten 3 und 5 von der Möglich-keit eines Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 der Ge-schäftsordnung Gebrauch zu machen.

Außerdem hat die Landesregierung gebeten, den Tages-ordnungspunkt 5 - Sonderprogramm Ost - in Druck-sache 3/1377 auf jeden Fall in der heutigen Plenarsitzungaufzurufen, da Ministerpräsident Dr. Vogel morgen mög-licherweise nicht teilnehmen kann, aber die Anwesen-heit gerade zu diesem Tagesordnungspunkt ihm dochermöglicht werden sollte. Ich denke, das liegt aberohnehin im Lauf unserer Tagesordnung, dass wir ohneSchwierigkeiten diesen Punkt auch in der regulären Rei-henfolge heute auf jeden Fall behandeln können.

Wird dieser Tagesordnung zusätzlich meiner Ergän-zungen widersprochen? Das ist der Fall. Bitte, HerrAbgeordneter Stauch.

Abgeordneter Stauch, CDU:

Frau Präsidentin, wir beantragen zur Aufnahme in dieTagesordnung den 4. Thüringer Landespflegeplan,einen Antrag der CDU-Fraktion in Drucksache 3/1416und würden um Einordnung nach dem bisherigen Tages-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2965

ordnungspunkt 8 bitten. Den anderen Antrag haben Sieja schon formuliert, dass in jedem Fall der Punkt 5 amheutigen Tag noch aufgerufen werden soll, den würdenwir so auch unterstützen wollen.

Präsidentin Lieberknecht:

Vielen Dank. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Pidde.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Frau Präsidentin, ich beantrage im Namen der SPD-Fraktion, die Aktuelle Stunde "Rechtsextremismus inThüringen" - Drucksache 3/1425 - anstelle der Aktu-ellen Stunde "Vorbereitung auf mögliche Auswirkungender Maul- und Klauenseuche in Thüringen" in Druck-sache 3/1414 zu behandeln.

Präsidentin Lieberknecht:

Gut, wir haben beide Anträge gehört. Zunächst zum Antragder Fraktion der CDU, 4. Thüringer Landespflegeplan.Wer mit der Aufnahme ...

(Unruhe im Hause)

Darf ich um Ruhe bitten. Frau Abgeordnete Arenhövelauch, bitte. Der Antrag der Fraktion der CDU, Aufnahmeder Drucksache 3/1416 - 4. Thüringer Landespflegeplan -auf die Tagesordnung zu nehmen, findet der Zustimmung?Dann bitte ich um das Handzeichen. Gut, danke. Das istausreichend und damit aufgenommen. Die Einordnungnach Punkt 8, also sozusagen als 8a, ich sehe da keinenWiderspruch, dann würden wir das entsprechend ein-ordnen.

Dann kommen wir zum Antrag der Fraktion der SPD, indie Aktuelle Stunde "Rechtsextremismus in Thüringen"die Drucksache 3/1425, aufzunehmen statt der bisherigenDrucksache 3/1414. Dieser Antrag ist nach Ablauf derFrist des § 93 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung ein-gegangen. Damit der Antrag in der heutigen Sitzung aufdie Tagesordnung genommen werden kann, ist eine Ab-weichung von der Geschäftsordnung gemäß § 120 GO zubeschließen. Zu diesem Beschluss ist die Zustimmungvon zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten nötig,mindestens jedoch die Mehrheit der gesetzlichen Mit-glieder unseres Landtags. Ich frage, wer stimmt demAntrag der SPD-Fraktion zu, den bitte ich um das Hand-zeichen. Danke, das sieht sogar sehr einmütig aus, dasheißt, die erforderliche Mehrheit ist auf jeden Fallerreicht. Damit ist auch dieser Punkt aufgenommen. DieTagesordnung ist damit festgestellt.

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 1

Thüringer Gesetz zur Umsetzung europa-rechtlicher Vorschriften betreffend die Be-herrschung der Gefahren bei schwerenUnfällen mit gefährlichen Stoffen(ThürEUGefUG)Gesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/1343 -dazu: Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Naturschutz undUmwelt- Drucksache 3/1405 -

ZWEITE BERATUNG

Bericht erstatten aus dem Ausschuss wird uns FrauAbgeordnete Dr. Klaus. Wir sind nämlich in der zweitenBeratung zu diesem Thema. Ich bitte um die Berichter-stattung.

Abgeordnete Dr. Klaus, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, dieses Gesetzliegt jetzt in zweiter Beratung hier im Landtag vor. DerAusschuss für Naturschutz und Umwelt hat sich mit demGesetzentwurf in seiner 21. Sitzung am 2. März 2001befasst. Es geht in diesem Gesetzentwurf um die Um-setzung europarechtlicher Vorschriften und soweit sienicht im Geltungsbereich des Bundes liegen, müssen hierlandesgesetzliche Regelungen vorgenommen werden. Esbetrifft vor allem den nichtkommerziellen Bereich wiez.B. Institute an Universitäten oder an Kliniken. Der Aus-schuss gelangte zu der Auffassung, dass die Regelungeneng an die bestehenden Bundesregelungen angepasst seinmüssen und deswegen dieser Gesetzentwurf mit dem Auf-fangtatbestand, dass die Zuständigkeit, wenn es Zweifeldaran gibt, bei den staatlichen Umweltämtern liegt, inunveränderter Form dem Plenum zur Beschlussfassungvorgelegt werden soll. Ich bitte Sie deshalb hier zueinem Beschluss zu kommen. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Das war eine sehr knappe Berichterstattung zu einemThema, was ja auch sehr konsensfähig erscheint. Redneraus den Fraktionen sehe ich gar nicht dazu. Möchte derHerr Minister trotzdem sprechen?

(Zuruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirt-schaft, Naturschutz und Umwelt: Ja.)

Bitte.

2966 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Natur-schutz und Umwelt:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und HerrenAbgeordneten, gestatten Sie mir noch mal einige kurzeBemerkungen zu diesem Gesetz, zu der Wichtigkeit undder Notwendigkeit dieses Gesetzes. In der Entschließungdes Europäischen Rates und der im Rat vereinigten Ver-treter der Regierungen der Mitgliedsstaaten zum ViertenAktionsprogramm für den Umweltschutz wird eine wirk-samere Durchführung der Ziele der Soveso-I-Richtlinieals notwendig angesehen und ihre Überarbeitung verlangt.Das erfolgte dementsprechend mit der Richtlinie96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Be-herrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit ge-fährlichen Stoffen, der so genannten Soveso-II-Richt-linie. Diese Richtlinie war von den Mitgliedsstaaten biszum 3. Februar 1999 in nationales Recht umzusetzen.Es ist auf Ebene des Bundes durch die Änderung desBundes-Immissionsschutzgesetzes vom 19. Oktober 1998und die Neufassung der Störfallverordnung vom 26. April2000 geschehen. Die Umsetzung der externen Notfall-planung erfolgte in Thüringen durch die Novellierungdes Brand- und Katastrophenschutzgesetzes vom 7. Januar1999. Damit war Thüringen eines der ersten Länder inDeutschland, das die externe Notfallplanung in einemLandesgesetz umgesetzt hat. Die Umsetzung der inDeutschland landesrechtlich zu regelnden Bereiche derSeveso-II-Richtlinie mit Ausnahme der Regelung zurErstellung externer Notfallpläne soll nun in Thüringenmit dem vorliegenden Gesetz erfolgen. Da der Bund dieStörfallverordnung erst mit Wirkung vom 3. Mai 2000in Kraft gesetzt hat, war ein zeitlicher Vorlauf nichtmöglich. Aus diesem Grunde haben bis zum heutigen Tagerst sechs Länder eine entsprechende Landesregelung ge-schaffen. Ich bin deshalb sehr dankbar, dass nach derersten Lesung im Plenum am 23. Februar dieses Jahres dieBefassung im Ausschuss für Naturschutz und Umwelt be-reits am 2. März erfolgen konnte, so dass wir den Gesetz-entwurf heute in zweiter Lesung behandeln können.

Ich möchte noch anmerken - und Frau Dr. Klaus hat dashier schon gesagt -, dass Umfragen im Jahr 1999 erge-ben haben, dass nur wenige Hochschul- und Klinik-bereiche in Thüringen unter dieses Gesetz fallen wer-den. Insofern sind nur geringe Auswirkungen hinsicht-lich des Mehraufwands für den Vollzug dieses Gesetzes zuerwarten. Gleichwohl ist dieses Gesetz zur Erfüllung derRichtlinienumsetzungspflicht erforderlich. Ich bitte, das"Thüringer Gesetz zur Umsetzung europarechtlicherVorschriften betreffend die Beherrschung der Gefahrenbei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen" in dervorliegenden Fassung zu beschließen. Besten Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, dann schließeich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung überden Gesetzentwurf der Landesregierung in zweiterBeratung, da die Beschlussempfehlung des Ausschussesfür Naturschutz und Umwelt die Annahme des Gesetz-entwurfs empfiehlt. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf in der Drucksache 3/1343 ihre Zustim-mung geben, um ihr Handzeichen. Danke, das sieht sehreinmütig aus. Gegenstimmen? Keine Gegenstimme.Enthaltungen? Auch nicht der Fall, damit einstimmig.

Wir können zur Schlussabstimmung kommen. Wer demGesetzentwurf seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sichvon den Plätzen zu erheben. Danke schön. Das ist wohldie gleiche Einstimmigkeit. Gegenstimmen? Das ist nichtder Fall. Enthaltungen? Das ist auch nicht der Fall. Damiteinstimmig auch in der Schlussabstimmung ange-nommen. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 1.

Wir kommen zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 2

Erstes Gesetz zur Änderung des ThüringerPersonalvertretungsgesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/1419 -ERSTE BERATUNG

Zunächst die Begründung durch den Einreicher. Ichgehe davon aus, dass die gewünscht wird. Herr MinisterKöckert.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,kaum ein Gesetz der letzten Monate hat ja für dermaßenviel Aufregung gesorgt, zumindest in den Medien, wieder Entwurf zur Novellierung des Personalvertre-tungsgesetzes, den wir Ihnen heute vorlegen.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: ZuRecht.)

Lassen Sie mich aber auch sagen, mein Eindruck, HerrSchemmel, ist, dass dieses Thema vor allem von Inte-ressenvertretern diskutiert wird und dies nicht immer ineiner sehr sachlichen Art und Weise.

(Beifall bei der CDU)

Es gab auch genug Äußerungen der Opposition, diedeutlich gemacht haben, dass man sich gegebenenfallszu wenig bisher mit dem Thema beschäftigt hat. Des-halb haben Sie ja jetzt auch ausführlich Gelegenheit,sich diesem Thema zu nähern.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2967

Für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Landscheint dies weniger ein Thema zu sein, als dies uns bis-weilen versucht wird einzureden. Wir wissen, dass wirauch mit diesem Gesetzentwurf nicht den bequemen Weggewählt haben. Der bequemste Weg, gerade bei diesemThema, wäre wahrscheinlich gewesen, nichts zu tun, sowie in den letzten fünf Jahren damit verfahren wurde. Wirlassen uns aber nicht davon leiten, meine Damen undHerren, Probleme zu ignorieren oder beiseite zu schieben,nein, wir gehen diese Probleme an und zeigen Lösungs-wege auf, Lösungswege, die im Interesse des Freistaatsliegen. Ich danke in diesem Zusammenhang im Übrigenausdrücklich allen, die uns geschrieben haben, die unsihre Meinung gesagt haben, ob es einzelne Bürger sind,ob es Personalräte sind oder die Interessenvertretungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf zitie-ren: "Der Gesetzgeber verfolgt ein legitimes Ziel, wenner die Mitbestimmungsrechte des Personalrats und das Be-teiligungsverfahren den Erfordernissen einer effizienten,modernen und kostengünstigen Verwaltungstätigkeit an-passen will. Das Rechtsstaatsprinzip, wie auch das Demo-kratieprinzip verpflichten staatliche Organe auf eine effi-ziente, d.h. möglichst optimale Verwirklichung des Rechts-und Sachauftrags der Verwaltung in der zeitlichen,finanziellen und quantitativen Dimension". Genau das,meine Damen und Herren, ist ein Zitat, und zwar einZitat aus dem Urteil des sächsischen Verfassungsge-richtshofs zum sächsischen Personalvertretungsgesetzund beruht seinerseits auf einem entsprechenden Grund-satz des Bundesverfassungsgerichts. Ich glaube, besserkönnten auch wir es nicht ausdrücken, worin das An-liegen der Thüringer Landesregierung besteht - eine mög-lichst optimale Verwirklichung des Rechts- und Sach-auftrags der Verwaltung in der zeitlichen, finanziellen undquantitativen Dimension. Das vorliegende Gesetz, umdessen Behandllung der Thüringer Landtag gebeten wird,ist nichts anderes als eine von mehreren Maßnahmen, diewir mit großer Kraftanstrengung seit geraumer Zeit an-packen, um diesem Land eine den Verhältnissen ange-passte, schlanke, kostengünstige, aber auch kompetente undgut funktionierende Verwaltung zu geben, die letzt-endlich dem Ziel dienen soll, unserem Freistaat den Rufeines hervorragenden Standorts in der Mitte Deutsch-lands zu schaffen, bei dem ansiedlungswillige Inves-toren wie auch die Bürger die Verwaltung nicht als einenschwerfälligen und Geld fressenden Moloch erfahren,sondern als einen kompetenten Helfer.

Der vorliegende Gesetzentwurf reiht sich somit ein indie von uns begonnene Leitbilddiskussion, in die Dis-kussion um das Personalentwicklungskonzept und in dieDiskussion um die Verwaltungsstrukturreform. In denletzten Wochen hat es eine Reihe von Reaktionen gegendie in diesem Entwurf vorgeschlagene Neuregelung ge-geben. Wenn man sich manche dieser zum Teil sehreinseitigen und teilweise sehr unsachlichen Stellungnah-men anschaut, so könnte man meinen, die Landesregie-rung habe die Absicht, den Beschäftigten des öffent-

lichen Dienstes ihre Grundrechte wegzunehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht,wer von Ihnen schon einmal von einem entrechteten Be-amten oder von einem schutzlosen Angestellten im öffent-lichen Dienst gehört hat - ich glaube, nun wahrlich nicht.Eines muss in dieser Debatte deutlich und ganz laut gesagtwerden: Die Rechte der Beamten und die Rechte derAngestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst werdenim Wesentlichen nicht so sehr durch das Personal-vertretungsrecht, sondern vielmehr durch das Beamten-recht und die entsprechenden Tarifverträge geschützt,

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Na, na,na.)

und zwar in einer Art und Weise, Herr Ramelow, und ineinem Ausmaß und in einem Umfang geschützt, wiedies beispiellos ist und wie Arbeitnehmer und Arbeit-nehmerinnen in der gewerblichen Wirtschaft sich diesesnur wünschen würden.

(Beifall bei der CDU)

Der öffentliche Dienst, meine Damen und Herren, hateine beispiellose Sonderrolle. Und dieser Punkt, meineDamen und Herren, unterscheidet auch diese Debattevon der im Bund geführten Debatte um das Betriebsver-fassungsgesetz. Dort geht es nämlich um die Rechte derer,die aus ihrem Anstellungsverhältnis heraus einen sehrviel geringeren Schutz haben als der öffentliche Dienst.Das darf bei der ganzen Debatte nicht übersehen werden.Nein, meine Damen und Herren, der vorliegende Ge-setzentwurf ist nichts anderes als eine Anpassung altenRechts an moderne Verhältnisse.

(Heiterkeit Abg. Pohl, SPD)

So wie wir einen schlanken Staat haben wollen, sobrauchen wir auch Personalratsgremien, die nicht mehrso üppig in der Zahl sind wie bisher, deren derzeitighohe Mitgliederzahl zu keinem besseren Sachentscheid ge-führt hat. Wenn wir eine schnelle Verwaltung mit schnellenEntscheidungen erreichen wollen, so müssen wir auch dieVerfahren im Rahmen der Mitbestimmung schnell undeffizient gestalten. Meine Damen und Herren, wir wolleneine Sache auf den Punkt bringen, wir werden nichtzulassen, dass die Verwaltung sich selbst regiert. Daswird im Übrigen auch im Interesse des Parlaments sein.

(Beifall bei der CDU)

Die Parlamente sind demokratisch gewählt. Das dürfteauch Herrn Kretschmer nicht entgangen sein. Die Parla-mente sind demokratisch gewählt, die Verwaltung einezum Gesetzesvollzug verpflichtete Institution.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU)

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Natürlich, Otto Kretschmer.

(Heiterkeit bei der CDU)

Das Erfordernis hinreichender demokratischer Legiti-mation, so hat es das Bundesverfassungsgericht zumschleswig-holsteinischen Personalvertretungsrecht klarausgeführt, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dasssich der öffentliche Dienst über Mitbestimmungsrege-lungen zu wesentlichen Fragen quasi selbst regieren kann.Nur über die Absicherung des Letztentscheidungsrechtsüber alle wesentlichen Fragen des Verwaltungsablaufsbleibt die entsprechende Verantwortung für die Erfüllungdes Amtsauftrags klar erhalten. Dies ist ausdrücklicheRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und aufdiese Weise hat das Bundesverfassungsgericht dieReichweite der Mitbestimmung nach oben hin begrenzt.In Ergänzung hierzu hat nun das vor kurzem veröffent-lichte Urteil des sächsischen Verfassungsgerichtshofserklärt, dass es nicht nur eine Grenze nach oben, sondernauch eine Grenze nach unten gibt. Das heißt, dass dasMitbestimmungsrecht für Angelegenheiten, die in ganzwesentliche Interessen der Beschäftigten eingreifen,nicht ausgehöhlt werden darf.

Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Absichtder Landesregierung, die Verwaltung zu modernisieren,trägt der vorliegende Gesetzentwurf Rechnung. So wird derEntwurf dem Grundanliegen nach kleineren Gremien undnach strafferen Verfahrensabläufen gerecht. Die Anzahl derMitglieder von Personalvertretungen wird verringert. Nachder bisherigen Regelung kann eine Personalvertretung ausbis zu 25 Mitgliedern bestehen. Eine Größe, bei der eineeffektive Bearbeitung wohl nicht mehr gewährleistetwerden kann. Die Reduzierung auf eine Höchstzahl von15 Mitgliedern erfolgte in Abwägung zwischen dernotwendigen Sicherung der Arbeitsfähigkeit dieserGremien, dem Kostendruck der öffentlichen Haushalte undder Verpflichtung gegenüber den Bürgern zur Vorhaltungeiner leistungsfähigen Verwaltung.

Herr Ramelow, wenn Sie so lächelnd den Kopf schütteln,ich kann mir schon vorstellen, dass Sie am liebstenimmer in Gremien zu 50 Personen sitzen würden undsich dann massiv austauschen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Siehaben da nie gearbeitet.)

Insofern haben Sie ja dann noch die Gelegenheit, IhreWünsche und Vorstellungen vorzutragen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Sie redenja wunderbar.)

Es werden erstmals, meine Damen und Herren, Fristen -10 Arbeitstage je Verfahrensgang - in das Verfahren derMitbestimmung zur Anrufung und zur Bildung einer Eini-gungsstelle eingeführt. Diese Fristen schaffen Rechts-

sicherheit, dienen der zeitlichen Straffung und somit derBeschleunigung des Verfahrens. Die Umsetzung der Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichts führt zu einerNeuordnung der Beteiligungstatbestände, meine Damenund Herren, und beinhaltet gleichzeitig Maßnahmen zurStraffung des Einigungsverfahrens. Das Letztentschei-dungsrecht, die volle Mitbestimmung ist nunmehr nurnoch für den Bereich der Angelegenheiten nach § 74vorgesehen. Hierzu zählen soziale Maßnahmen aber auchinnerdienstliche Maßnahmen, z.B. die Regelung der Ord-nung in der Dienststelle, Verfahren, die eine Leistungs-überwachung ermöglichen könnten und Regelungenüber die tägliche Arbeitszeit. Der Beschluss der Einigungs-stelle hat hier grundsätzlich bindenden Charakter. Diejeweilig zuständig demokratisch legitimierte Stelle kanndiesen Beschluss aufheben. Das ist ihr Evokationsrecht,und zwar dann aufheben, wenn er im Einzelfall wegenseiner Auswirkung auf das Gemeinwohl wesentlicher Be-standteil der Regierungsgewalt ist. Die Beteiligungs-tatbestände des § 75 umfassen im Wesentlichen die per-sonellen Einzelmaßnahmen der Beschäftigten. Die Zuord-nung der Beteiligungsfälle in die eingeschränkte Mitbe-stimmung ist geprägt durch die Rechtfertigung über-wiegend öffentlicher Interessen oder durch andere Ver-fassungsgüter. Die Fälle der Mitwirkung in § 75 a, wiez.B. die Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen,die Auflösung von Dienststellen, werden nunmehr ineiner zentralen Vorschrift zusammengefasst.

Auch künftig, meine Damen und Herren, unterfälltimmer noch der ganz überwiegende Teil der Beteili-gungsfälle der vollen bzw. der eingeschränkten Mitbe-stimmung. Wir alle haben eine Verantwortung, meineDamen und Herren, nicht nur gegenüber den Interessender Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, sondernauch gegenüber den legitimen Interessen der Bürger undder Steuerzahler. Die vorgeschlagenen Regelungen dienendem Standort Thüringen, sie dienen einer Kosten-entlastung und sie werden der vorgesehenen Verteilungvon Verantwortung gerecht. Ich bitte Sie, meine Damenund Herren, den vorliegenden Gesetzentwurf unter Be-rücksichtigung dieser Ziele und Grundsätze zu beraten unddiese Ziele und Grundsätze nicht aus den Augen zu ver-lieren. Durch ihn macht der Freistaat Thüringen deutlich,dass eine Verwaltung nicht ein Instrument der Selbst-beschäftigung, sondern ein effizienter Ansprechpartner fürdie Bürger und Unternehmen im Land ist, welcher in derenInteresse - und dafür arbeiten wir, meine Damen undHerren - effektiv und zielgerichtet seinen Beitrag zu einemattraktiven Standort in der starken Mitte Deutschlandsleistet.

Dieser Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, hat einenlangen Weg hinter sich und bei der Bewältigung derWegstrecke waren zahlreiche Meilensteine, wie ver-fassungsrechtliche Vorgaben, die Fortführung der Verwal-tungsmodernisierung und die Interessen der Mitarbeiterzu berücksichtigen. Trotz der vielfältigen und teils un-sachlichen Kritik hat die Landesregierung diese lange

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Strecke vom ersten Entwurf bis zur nunmehr vorge-legten Fassung des Gesetzes mit Eifer zurückgelegt. Ent-lang des Weges standen zahlreiche Helfer, die uns ins-besondere im Zuge der breit angelegten Anhörung wich-tige Unterstützung haben zukommen lassen. Wenn unsauch hier immer einmal wieder vorgeworfen wird, wirwürden die Meinung der Betroffenen nicht genug hören,so treten wir diesem Vorwurf mit dem vorliegendenEntwurf des Gesetzes einmal mehr entgegen.

Wegen der Tragweite des Gesetzesvorhabens haben wirumfassend die unterschiedlichen Interessenvertretungenund Interessengruppen angehört und zahlreiche Gesprächegeführt. Wir haben wesentliche Anregungen und Kritik-punkte berücksichtigt, so dass man heute sagen kann, dieunterschiedlichen Sach- und Interessenlagen sind ausge-wogen berücksichtigt, meine Damen und Herren. Ich bitteSie, im zuständigen Ausschuss diesen Gesetzentwurf zuberaten und dann alsbald dem Beschluss zuzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Damit kommen wir zur Aussprache. Als Erster hat dasWort der Abgeordnete Dittes, PDS-Fraktion.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Meine Damen und Herren, lassen wir uns nicht betrügen.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU:Dann gehen Sie!)

(Unruhe und Heiterkeit bei der CDU)

Was hier nach dem Willen der Thüringer Landesregie-rung als Erstes Gesetz zur Novellierung des ThüringerPersonalvertretungsgesetzes verabschiedet werden soll,ist nicht dem fürsorglichen Bestreben eines christdemo-kratischen Innenministers geschuldet, einer Niederlagevor dem Bundesverfassungsgericht vorzubeugen, wie esdie Begründung zu diesem Gesetzentwurf und auch diezahlreichen ministeriellen Verlautbarungen in den letztenWochen uns vorgaukeln wollen. Wir haben es vielmehrzu tun mit dem heimtückischen Anschlag einer macht-besessenen Regierung

(Unruhe und Heiterkeit bei der CDU)

auf ein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht.

(Unruhe und Heiterkeit bei der CDU)

Herr Köckert, das mögen Sie als modern bezeichnen,dieser Gesetzentwurf bedeutet Demokratieabbau, weilnach diesem Gesetzentwurf in der Personalvertretungweniger demokratische Mitbestimmung vorherrscht alsvorher. Dieser Gesetzentwurf bedeutet in Teilen Ent-

rechtung der Personalvertretung, weil Tatbestände der Mit-bestimmung reduziert werden und in diesem Sinne be-deutet dieser Gesetzentwurf auch Beschneidung der Rechteder Beschäftigten in Dienststellen und Behörden deröffentlichen Verwaltung. Dieser Gesetzentwurf bedeutetnicht zuletzt, meine Damen und Herren, Konservierungeiner Vorstellung einer obrigkeitshörigen Verwaltung.

(Beifall bei der PDS)

Die Landesregierung unterbreitet dem Landtag einenVorschlag, meine Damen und Herren, nicht mehr undnicht weniger, aber der Landtag selbst ist es, der dennach Artikel 37 Abs. 3 der Thüringer Verfassung durchGesetz das Recht auf Mitbestimmung der Beschäftigtenin Angelegenheiten in ihrer Dienststelle zu regeln hat.Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, in Ihrer Ent-scheidung durch die Argumentation der Landesregie-rung nicht täuschen. Die Begründung zu diesem Gesetz-entwurf verneint selbst die Notwendigkeit aufgrund desBeschlusses des Bundesverfassungsgerichts von 1995 zumMitbestimmungsgesetz Schleswig-Holsteins, eine damalsbestehende Rechtsnorm zur Mitbestimmung in Thüringennunmehr ändern zu müssen. Dass jedoch die Bundes-regierung, eine Landesregierung oder wie im FalleSchleswig-Holsteins 223 CDU-Bundestagsabgeordnete dieLust verspüren sollten mit einer beim Bundesver-fassungsgericht herbeigeführten Normenkontrollentschei-dung einem Thüringer Gesetzgeber wegen angeblich zuweit gehender Mitbestimmungstatbestände und Rege-lungen im Landespersonalvertretungsgesetz eine Quittungzu erteilen, dürfte selbst für Sie außerhalb der Wahr-scheinlichkeit liegen, es sei denn, meine Damen undHerren, man stelle sich vor, die CDU verliert nach dernächsten Landtagswahl ihre Regierungsmacht, woran aller-dings meines Erachtens der Innenminister bei der Erar-beitung dieses Gesetzentwurfs am allerwenigsten gedachthaben dürfte.

Kurz, meine Damen und Herren, es

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Obwohldas auf der Hand liegt.)

(Heiterkeit bei der CDU)

entspricht einfach nicht der Wahrheit, wenn behauptetwird, dass der Beschluss des BundesverfassungsgerichtsAusgangspunkt für die Thüringer Novellierung des Per-sonalvertretungsgesetzes sei. In Wirklichkeit müssen dasBundesverfassungsgericht und seine Ausführungen zu denGrenzen der Mitbestimmung innerhalb der öffentlichenVerwaltung dafür herhalten, die wahre Absicht der Lan-desregierung ideologisch zu bemänteln. Es geht der Re-gierungsmehrheit in Wahrheit nämlich allein darum, dasThüringer Personalvertretungsgesetz so weit wie möglichleer zu räumen, um den Einfluss der Regierungsparteiauf die öffentliche Verwaltung ohne nennenswerteKontrolle um Beteiligungsinstanz zu sichern. Und das

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hat ja Herr Innenminister Köckert eben hier auch dar-gestellt, wenn er beispielsweise auf die im Zusammenhangmit dem Personalabbaukonzept - er nennt es Personalent-wicklungskonzept - stehende Behördenumstrukturierungverweist.

Dass die Landesregierung den Beschluss des Bundes-verfassungsgerichts aber nicht nur zur Verschleierungihrer eigenen Motivation missbraucht, wird beispiels-weise an der Begründung zur Abschaffung des gemein-samen Ausschusses der Hauptpersonalräte deutlich. Immerdann, meine Damen und Herren, wenn das Bundesver-fassungsgericht Mitbestimmungsregelungen als verfas-sungswidrig anerkennt, trägt die Landesregierung denBeschluss des Bundesverfassungsgerichts als Monstranzvor sich her. Ganz anders aber verhält es sich im umge-kehrten Fall, wie etwa bei der angesprochenen Streichungdes § 82 Abs. 6. Hat doch das Bundesverfassungsgerichtin der viel zitierten Entscheidung zum Mitbestimmungs-gesetz Schleswig-Holsteins die Vorschrift des § 59 desMitbestimmungsgesetzes ausdrücklich als mit dem Grund-gesetz und dem übrigen Bundesrecht als vereinbar an-gesehen.

Nach dieser Vorschrift, meine Damen und Herren, desschleswig-holsteinischen Mitbestimmungsgesetzes könnendie Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und diezuständigen obersten Landesbehörden in Angelegenheiten,die der Mitbestimmung unterliegen und über denGeschäftsbereich einer obersten Landesbehörde hinaus-gehen, allgemeine Regelungen vereinbaren.

Meine Damen und Herren, trifft es zu, dass die Regelungdes § 82 Abs. 6 im Thüringer Personalvertretungsgesetzmit dem Bundesrecht nicht zu vereinbaren sei, so müsstedies doch auf die Bestimmung des § 59 des Mitbe-stimmungsgesetzes Schleswig-Holsteins dann erst rechtzutreffen. Wenn man dagegen die in diesem Gesetz zumAusdruck kommende Tendenz des Abbaus demokra-tischer Mitbestimmung der Landesregierung berücksichtigt,so wundert die konstruierte Begründung in diesem Fallbei der Abschaffung des gemeinsamen Ausschusses derHauptpersonalräte schon nicht mehr.

Wie die Thüringer Landesregierung demokratische Mitbe-stimmung beurteilt, ist meines Erachtens schon diffamie-rend und skandalös. So heißt es doch im Einleitungstextdes Gesetzentwurfs, ich zitiere: "... dass Beteiligungs-verfahren dem raschen Wandel in der Verwaltung nichtgerecht werden und die personalvertretungsrechtlichenGremien schwerfällig und kostenintensiv sind." MeineDamen und Herren, das ist vor allem auch deshalb skan-dalös, weil kaum ein Tag - auch in Thüringen - vergeht,wo nicht dazu aufgerufen wird, sich in demokratischeProzesse einzumischen und Demokratie tatsächlich zuleben. Nur, wo es den Wirkungsbereich dieser Landes-regierung betrifft, da soll diese demokratische Mitbe-stimmung eines demokratisch legitimierten Gremiumsplötzlich hinderlich sein.

Mitbestimmung, meine Damen und Herren, bedeutet,dass Entscheidungen der Behördenleitung einer Kontrolleunterzogen werden, die die Behördenleitung zwingt,ihre Entscheidung zu begründen und einen Konsens mitden Personalvertretungen zu suchen. Der Regierungs-mehrheit in Thüringen sind die aus einer effektiven Per-sonalvertretung entstehenden Zwänge offenkundig uner-wünscht. Die ungehinderte Durchsetzung ihres partei-politischen Einflusses ist ihr vielmehr wichtiger als eineVerbesserung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Ver-waltung. Denn grade Letzteres, meine Damen und Herren,bedarf hingegen der Aussagen des Innenministers einermöglichst weit gehenden und effektiven Mitbestim-mung in den die Beschäftigten des öffentlichen Dienstesbetreffenden innerdienstlichen Angelegenheiten.

Mitbestimmung trägt dazu bei, dass die bei den Be-schäftigten aus ihrer unmittelbaren Arbeit entstehendeSachkompetenz und Kreativität besser in die Willens-bildung einbezogen werden können auf der Ebene der Be-hördenleitung, aber auch auf Ebene der Regierung. Mitbe-stimmung beugt der Ausbreitung von Ämterpatronage undVetternwirtschaft vor und die Personalvertretungen sindnicht zuletzt auch Vermittler bei Konflikten zwischenden Beschäftigten einerseits und den Behördenleitungenandererseits, aber auch bei Konflikten zwischen den Be-schäftigen selbst, was der innerbehördlichen Arbeitletztendlich zugute kommt und letztendlich natürlichdadurch auch die Entstehung zahlreicher Rechtsstreitig-keiten erst vermeiden hilft. Die Abwesenheit von Mit-bestimmung, meine Damen und Herren, hat hingegen einezunehmende Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen imöffentlichen Dienst zur Folge. Wenn man so will, weilSie dieses Argument ja so sehr lieben, kann man eineweit gehende und effektive Mitbestimmung daher auchals einen Beitrag zur Deregulierung bezeichnen. Auf jedenFall trägt sie dazu bei, durch die von ihr bewirkteVermeidung von Rechtsschwierigkeiten Kosten in nichtganz unerheblichem Maße zu sparen.

Meine Damen und Herren, um nicht missverstanden zuwerden, dass wir der Meinung sind, es sei illegitim auchdarüber nachzudenken, dass man das gegenwärtige Mit-bestimmungsverfahren weniger bürokratisch und mehrflexibel gestalten könne und die sachlich nicht be-gründete, unterschiedliche Behandlung von Arbeitern undAngestellten einerseits und Beamten andererseits aufzu-heben; grundsätzlich ist es aber nicht im Sinne einerVerbesserung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung,wenn man Mitbestimmung einschränkt. Es ist geradezuwidersinnig, wenn sich in der privaten Wirtschaft zu-nehmend Organisationsmodelle durchsetzen, die hie-rarchische Strukturen vermeiden, während im Bereich deröffentlichen Verwaltung zu den überholten obrigkeits-staatlichen Strukturen zurückgekehrt werden soll. Es istnicht mehr nachvollziehbar, wenn die Bundes-CDU am12. Februar 2001 in ihrer Rolle als Oppositionspartei zumBetriebsverfassungsgesetz erklärt, ich zitiere: "Die Würdedes arbeitenden Menschen verlangt seine Teilhabe an allen

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Entscheidungen, die die grundlegenden Bedingungenseiner Arbeitswelt betreffen." Es ist nicht mehr nachvoll-ziehbar, wenn offensichtlich die Thüringer CDU als Re-gierungspartei

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Richtig,genauso ist das. Worüber reden Sie dennüberhaupt, das ist doch Müll!)

der Meinung ist, dass diese Würde für Beschäftigte imöffentlichen Dienst hier nicht so gilt.

(Unruhe im Hause)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Böck, halten Sie den Mund.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Meine Damen und Herren, einige grundlegende Bemer-kungen noch zur Änderung des Gesetzentwurfs:

Präsidentin Lieberknecht:

Ich bitte, kommen Sie zur Ruhe und der Abgeordnetesetzt seine Rede fort.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Wir können diese Diskussion ja gern führen, aber ich denkeschon, dass noch einige grundlegende Bemerkungen zueinzelnen Änderungen des Gesetzentwurfs notwendig sind.

(Beifall bei der PDS)

Symptomatisch, meine Damen und Herren, für die demGesetzentwurf zugrunde liegende Tendenz ist die Strei-chung des Wortes "gleichberechtigt" und die Ersetzungdurch "partnerschaftlich" in der Grundsatznorm des § 2Abs. 1 Thüringer Personalvertretungsgesetz.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Genauso hatdas Verfassungsgericht geurteilt. Das ist rich-tig.)

Herr Böck, einmal ganz abgesehen davon, dass dieserGrundsatz ohnehin in der Vergangenheit nur in denwenigen Tatbeständen der vollen Mitbestimmung zuge-troffen hat, ist diese Streichung, die jetzt vorgenommenwird, eine Signalwirkung an alle Dienststellenleiter, künftigihre rechtlichen und sachlichen Auffassungen auch dannmöglichst einseitig durchzusetzen, wenn der erklärte Willeder Personalvertretung dem entgegensteht. Die Ausfüh-rungen des sächsischen Verfassungsgerichts, auf die sichder Innenminister an dieser Stelle auch bezogen hat, dassEinschränkungen des Grundrechts auf Mitbestimmungzwingender Gründe bedürfen, hat ganz eindeutig über-haupt keinerlei Berücksichtigung im vorliegenden Entwurf

gefunden. Durch die Herabstufung der Beteiligungstat-bestände aus dem Bereich der qualifizierten Mitbestim-mung in den Bereich der eingeschränkten Mitbestimmungund in Teilen bis sogar in den Bereich der Mitwirkungkommt es zu einer drastischen Einschränkung der Mit-bestimmung der Personalvertretung, für die die Landes-regierung in der Vergangenheit, aber auch heute keinerleizwingenden Grund vorlegen konnte, weil sie diesen Grundnicht vorlegen kann, weil es ihn einfach nicht gibt,meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

Der Hinweis auf den allgemein zu erfüllenden Amts-auftrag reicht den geforderten Ansprüchen an Abwä-gung und Begründung eben nicht aus.

Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute schon,vor den Beratungen im Ausschuss, einen Änderungs-antrag zum Gesetzentwurf der Landesregierung vor,weil wir damit deutlich machen wollen,

(Zwischenruf Köckert, Innenminister:Wollen, das ist es.)

Herr Köckert, welche Grenzen der Mitbestimmung beieiner Gesetzesnovellierung aufgrund der Stellung desBundesverfassungsgerichts im Verfassungssystem derBundesrepublik Deutschland - und mit Ihrem Argumentder Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesver-fassungsgerichts zum Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein - gezwungenermaßen respektiert werden müssten,aber alle anderen darüber hinaus gehenden Einschrän-kungen von Mitbestimmungsrechten ausnahmslos aufhebt.

(Beifall bei der PDS)

Bei Berücksichtigung der Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts vom Mai 1995 ist bei einer Novel-lierung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes allen-falls die Herabstufung der bisherigen Mitbestimmungs-tatbestände in Personalangelegenheiten der Angestelltenund Arbeiter in § 74 Abs. 1 geboten. Alle weiteren Herab-stufungen, die vorgenommen werden, sind bei Be-rücksichtigung des Grundrechts nach Artikel 37 Abs. 3der Landesverfassung nicht mehr zu rechtfertigen.

(Beifall bei der PDS)

Urteilen Sie nach Vorlage dieses Änderungsantrags selbst,meine Damen und Herren, und versuchen Sie sich dieFrage zu beantworten, welche Motivation der Landes-regierung für diese Änderung des Personalvertretungs-gesetzes tatsächlich zugrunde liegt. Wie abgrundtiefbeispielsweise das Misstrauen der Landesregierung gegen-über Personalvertretungen ist, demonstriert sie in ihremGesetzentwurf mit der Aufnahme eines Katalogs der Vor-aussetzungen, unter denen in Fällen der eingeschränktenMitbestimmung nach § 74 Abs. 1 und 2 die Zustimmung

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des Personalrats verweigert werden kann. Herr Köckert,Sie trauen prinzipiell sachlich begründete Entschei-dungen den Personalvertretungen gar nicht mehr zu.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Das istfalsch, eindeutig falsch.)

Meine Damen und Herren, bei der Größe der Personalräteund der Mindestzahl vom Dienst freizustellender Mit-glieder will die Landesregierung die bisherige Über-einstimmung mit dem Bundespersonalvertretungsgesetz,mit den Regelungen anderer Bundesländer, mit derRegelung im Betriebsverfassungsgesetz aufgeben. Ent-gegen der Auffassung in der Begründung des Gesetz-entwurfs wird aber der Arbeitsauftrag durch die Neu-regelung der Tatbestände der Mitbestimmung und Mit-wirkung nicht geringer, weil der Umfang der Beteiligungs-tatbestände selbst nicht reduziert wird. Im Übrigen, meineDamen und Herren, ist doch überhaupt nicht davonauszugehen, dass die Anforderungen, die Beschäftigte anihre Personalvertretungen richten, in Zukunft geringerwerden. Vor dem Hintergrund des angekündigten Per-sonalentwicklungskonzepts und der Behördenumstruk-turierung ist eigentlich eher von dem Gegenteil aus-zugehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

Die Einschränkung der Größe der Personalvertretungenund der Zahl der freigestellten Mitglieder wird zu einerBeeinträchtigung der Arbeit der Personalvertretungenführen. Und, meine Damen und Herren, selbst das mit-bestimmungsfeindliche Sachsen, aus dem Thüringen jascheinbar nicht nur einen Staatssekretär, sondern auchdie Motivation für eine Änderung des Personalvertre-tungsrechts importieren wollte, sieht eine derartige Be-schränkung nicht einmal vor. Ich kann Ihnen in diesemZusammenhang und auch abschließend zum gesamtenGesetzentwurf nur raten: Nehmen Sie die Proteste derBerufsverbände, der Gewerkschaften, der Personalver-tretungen und der Beschäftigten im öffentlichen Diensternst, verfahren Sie mit dem Gesetzentwurf genauso wiemit dem ehemaligen Staatssekretär im Innenminis-terium: Schicken Sie ihn zurück, verweigern Sie die An-nahme eines demokratiefeindlichen Personalvertretungs-rechts in Thüringen. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Pohl, SPD-Fraktion.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eine Vorbe-merkung: Ich bin froh und wir fühlen uns auch in unserengemeinsamen Protesten mit den Gewerkschaften bestätigt,dass dieser erste unselige arbeitnehmerfeindliche Refe-

rentenentwurf erst einmal vom Tisch ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, richtig ist, eine Novellierungist aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsge-richts aus dem Jahr 1995 auf jeden Fall gerechtfertigt. DerInnenminister sprach, das will ich jetzt nicht weiter er-läutern, z.B. auch das gravierende, nämlich das Letzt-entscheidungsrecht an. Er sprach aber auch von einembequemen und einem unbequemen Weg. Mir ist bekannt,auch sozialdemokratische Länder wie Niedersachsen,Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz haben ihre Perso-nalvertretungsgesetze den Vorgaben des BVGs angepasst.Aber anders als Sachsen und Thüringen haben dieseBundesländer bei der Änderung ihrer Gesetze den Perso-nalvertretungen den notwendigen Handlungsspielraum be-lassen und mussten sich nicht wie Sachsen die verfassungs-widrigen Beschneidungen von Mitbestimmungsrechtenbescheinigen lassen. In Thüringen sollte und soll dieseNovellierung genutzt werden, um weit über dieseVorgaben gravierende arbeitnehmerfeindliche Korrekturenvorzunehmen. Ich denke z.B. an die Reduzierung derGröße der Personalvertretungen oder auch die Frei-stellungsmöglichkeiten, ohne dass das in irgendeiner Weisedurch das BVG-Urteil geboten wäre. Ich habe auch denEindruck, es geht hier nicht vorrangig um die einge-schränkte oder die volle Mitbestimmung, hier geht es vorallen Dingen um die voll eingeschränkte Mitbestimmung.

Ich möchte den Innenminister im Zusammenhang mitder Notwendigkeit der Novellierung auch ein wenig korri-gieren: Der Zwang zur schnellen Novellierung war nichtso stark, denn sonst hätte er schon in der gemeinsamenKoalitionsregierung befolgt werden müssen. Aber auch inder jetzigen Regierung stand doch offensichtlich, HerrInnenminister, dieses Vorhaben im Jahr 2000 nicht imGesetzgebungsplan.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Weilwir so lange daran arbeiten.)

Das ist ja nun der größte Quatsch, den Sie jetzt erzählen.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich will Ihnen weiterhelfen. Da kam der Staats-sekretär aus Sachsen nach Thüringen und hat zwanghaftdiese Idee mitgebracht und dieser hat eben auch zwang-haft versucht, das sächsische Gesetz in Thüringen umzu-setzen. Bloß, er wusste damals noch nicht, dass Sachsenan der SPD-Klage scheitern würde. Nun sitzen Sie, HerrInnenminister, auf dieser sächsischen Erblast

(Beifall bei der SPD)

und Sie haben offensichtlich genauso viel Freude wiedie sächsische Landesregierung, nämlich Null.

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(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist eigentlich auch schonstarker Tobak, wenn die Landesregierung in ihrerPressemeldung 30/01 vom 03.02. die Kritik der SPD-Fraktion zur Novelle des Personalvertretungsgesetzes alsunsachlich zurückwies, und dies gipfelte, da passen Siegut auf, in der Fragestellung: Möchte die SPD Privile-gierte schützen? Richtig ist, die Personalräte sind von denBeschäftigten des öffentlichen Dienstes gewählt undihre Aufgabe ist es doch, gerade ihre Aufgabe, derenInteressen zu schützen. Das ist doch kein Privileg, dasist ihre Pflicht.

(Beifall bei der SPD)

Und gerade von der erfolgreichen Zusammenarbeitzwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern hängtdoch im Wesentlichen auch der Erfolg einer Institutionab. Motivation, Herr Innenminister, der Mitarbeiter istgefragt und dabei leisten auch die Personalräte einengroßen Beitrag. Es wäre bei der anstehenden Novellie-rung im Sinne einer möglichst großen Übereinstimmunggut gewesen, wenn die Landesregierung möglichst früh-zeitig auch mit den Gewerkschaften in einen fruchtbarenDialog getreten wäre, um einen weit gehenden Konsenszu erreichen. Diese Chance wurde erst einmal verpasst,weil man sich wohl angesichts der absoluten Mehrheitsicher war, alles im Sinne der Landesregierung durch-zusetzen. Dass nun ausgerechnet das sächsische Ver-fassungsgerichtsurteil dazwischenkam, setzte neue Ak-zente. Und wie das Urteil des sächsischen Ver-fassungsgerichtshofs vom 22. Februar 2001 zeigt, sindbei der Ausgestaltung der Personalratsbeteiligungen durchden Landesgesetzgeber auch die Vorgaben der Landes-verfassung, hier Artikel 37 Abs. 3 Thüringer Landes-verfassung, zu beachten, welche lautet, ich zitiere: "DieBeschäftigten und ihre Verbände haben nach Maßgabeder Gesetze das Recht auf Mitbestimmung in Ange-legenheiten ihrer Betriebe, Unternehmen oder Dienst-stellen." Ganz ähnlich ist auch der Wortlaut von Artikel26 der sächsischen Landesverfassung. In Sachsen wie inThüringen ist der betreffende Artikel im Kapitel überGrundrechte und Staatsziele verankert. Die Kommen-tierung zur Thüringer Verfassung versteht diese Vorschrift,Herr Innenminister, als Grundrecht der Beschäftigten, aberauch der Gewerkschaften und der Personalvertretungen.Meine Damen und Herren, daraus kann abgeleitet werden,dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht nurmit bloßen Anhörungs- und Anregungsrechten abgespeistwerden dürfen, sondern dass ihnen im Rahmen des bundes-rechtlich Zulässigen ein ernst zu nehmender Katalog anMitbestimmungen verbleibt. Fakt ist, dass trotzdem dieLandesregierung in einigen Punkten der Kritik von Ge-werkschaften, Personalräten und Opposition nachge-geben hat, was aber noch nicht ausreicht, um ein modernesPersonalvertretungsgesetz zu konzipieren. In einer letzt-lichen dpa-Meldung las ich eine Aussage des CDU-Fraktionschefs Althaus, ich zitiere: "Mit der Novelle soll

deutlich gemacht werden, dass nicht Demokratie abge-baut werden wird." Meine Damen und Herren, Demo-kratie wird abgebaut, Herr Althaus. Ich meine z.B. durchdie ersatzlose Streichung des § 77 Abs. 1, nämlich demWegfall des Anhörungsrechts bei Haushaltsvorschlägenund der Personalplanung.

Meine Damen und Herren, wie sollen denn im Grundegenommen die Mitarbeiter mitreden, wenn es bei derVerwaltungsmodernisierung oder bei der Entwicklungeines Personalentwicklungskonzepts, wenn sie in diesenFragen, in diesen wichtigen Fragen noch nicht einmalangehört werden. Ich denke z.B. auch an das Problemder Aufhebung des gemeinsamen Ausschusses derHauptpersonalräte oder das eingeschränkte Mitbestim-mungsrecht bei Abordnungen und Versetzungen erst beimehr als sechs Monaten. Gerade in dieser Frage derAbordnung haben wir hier in Thüringen sehr viel zu tunund gerade im Bereich des Innenministeriums haben Sie,Herr Köckert, sich voran gesetzt und haben gesagt,dieses Abordnungsunwesen soll eingeschränkt werden.Aber es ist in keiner Weise eingeschränkt worden.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung will mitihrem vorliegenden Gesetzesvorhaben den Einfluss derBeschäftigten auf die Ausgestaltung und Sicherung ihrerArbeitsbedingungen auf das Allernötigste beschränken.Aber dennoch, meine Damen und Herren, bin ich immernoch guter Hoffnung, denn auch der Innenausschuss-vorsitzende, Kollege Böck, sprach in der Podiumsdis-kussion am Dienstag in der Thüringenhalle vor etwa 700Personalräten von einem in der CDU-Fraktion nicht un-umstrittenen Entwurf und signalisierte Gesprächsbereit-schaft. Das erfüllt mich doch mit einem großen Optimis-mus, dass wir bei dieser Frage noch ein ganzes Stückvorankommen werden.

(Beifall bei der SPD)

(Unruhe bei der CDU)

Ich glaube, wie wir dann umgehen werden z.B. mit den§§ 74, 75, 75 a, daran wird sich beweisen, was das Wort"partnerschaftlich" in § 2 Wert ist.

Meine Damen und Herren, namens meiner Fraktionbeantrage ich, den vorliegenden Gesetzentwurf an denInnenausschuss zu überweisen. Hier bedarf es selbstver-ständlich noch einer intensiven Beratung, der aber unbe-dingt eine umfängliche öffentliche Anhörung voraus-gehen muss. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fiedler, CDU-Fraktion.

2974 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,sehr geehrter Kollege - also, ich werde garantiert denMinister nicht fertig machen, sondern wir werden uns mitdem vorgelegten Gesetzentwurf der Landesregierung inDrucksache 3/1419 heute hier in der ersten Lesung, denkeich mal, auseinander setzen.

Meine Damen und Herren, ich möchte vielleicht trotz-dem noch mal wiederholen, dass eigentlich diese Novellenotwendig war. Ich verweise auch noch mal darauf, dasses das erste Gesetz zur Änderung des Thüringer Per-sonalvertretungsgesetzes ist, was heute hier zur Debattesteht. Ich glaube, das Urteil von 1995 ist mehrfach genanntworden, und dass aufgrund der Tatsache, dass das Par-lament die oberste demokratische Legitimation hat und dieLandesregierung als Organ der vollziehenden Gewaltdem Parlament verantwortlich ist, darf die demokratischeLegitimation nicht dadurch unterlaufen werden, dass sichder öffentliche Dienst über Mitbestimmungsfragen zu we-sentlichen Fragen, die Auswirkungen auf das Gemein-wohl haben könnten und in der Zuständigkeit der Re-gierungsgewalt liegen, ich sage mal, quasi selbst regiert.Das heißt, Mitbestimmung findet ihre Grenzen im Letzt-entscheidungsrecht eines dem Parlament verantwortlichenVerwaltungsträgers.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, das muss man einfach noch mal wiederholen,weil hier einige Dinge, die hier als Popanz aufgebaut wer-den, die hier der Landesregierung unterstellt werden, ab-solut nicht der Wahrheit entsprechen. Wenn ich gehörthabe, was Herr Dittes hier losgelassen hat - vorhin spracheiner von "Vetternwirtschaft" und "Obrigkeitsstaat" - HerrDittes, Sie sind irgendwo stehen geblieben. Vorhin hateiner von "Müll" gesprochen. Ich bin immer noch derHoffnung, in jedem Müll sind noch wertvolle Rohstoffezu finden. Hoffentlich finden Sie ab und zu auch nochetwas, dass hier noch einmal etwas Vernünftiges raus-kommt.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, so kann es einfach nicht gehen, dass man solcheDinge hier so darstellt, dass hier überhaupt nichts passiertist, dass man nur an die Rechte der Arbeitnehmer heran-gehen will. Nein, meine Damen und Herren, die Landes-regierung und auch die Mehrheitsfraktion, wir sind keine"Schönwetterpartei" und keine "Schönwetterfraktion" oderauch "-regierung", sondern wir packen die Dinge an, dienotwendig sind.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung hat diese Dinge angepackt. HerrPohl, Sie sagten es, in der großen Koalition ist dasThema nicht angepackt worden. Ja, natürlich, ich kann mir

das gut vorstellen, dass es in der großen Koalition nichtangepackt wurde, weil ja all die Dinge, die unschönwaren, unter den Teppich gekehrt wurden. Wir machenes in Thüringen nicht so wie der große Kanzler, der abund zu einmal durch die Länder reist, irgendwo gerade, wiees ihm passt, etwas verspricht, wenn Wahlen in zweiLändern jetzt anstehen, dann nähert man sich wieder denGewerkschaften an, damit man die Stimmen einfährt. Sowerden wir es in Thüringen nicht machen.

(Unruhe bei der SPD)

(Beifall bei der CDU)

Und die sächsische Erblast, die Sie hier benannt haben -ich war jedenfalls froh, dass der Regierungspräsident ausSachsen, Herr Brüggen, damals nach Thüringen ge-kommen ist und hier Staatssekretär wurde. Er ist nämlichhier Staatssekretär geworden. Ich denke, er hat eine guteArbeit geleistet.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, es spricht für den Mann, dass

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Sie reißen dasaus dem Zusammenhang heraus.)

der sächsische Ministerpräsident ihn zum Chef der Staats-kanzlei berufen hat. Ich glaube, das spricht eher für dieQualitäten desjenigen, als dass man ihn hier abqualifiziert.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich glaube auch, die Landes-regierung hat es sich eben gerade - Herr Pohl und HerrDittes - nicht leicht gemacht, weil nämlich diese Dis-kussion ja doch schon eine gewisse Zeit geht. Wir allehaben das verfolgt. Wir haben auch manchmal so ein biss-chen das Problem, sage ich einmal als Parlamentarier,alle Welt spricht über entsprechende Referentenentwürfe,Vorschläge der Landesregierung und Sie wissen, wie dieAbläufe im Parlament sind. Erst wenn es uns über-wiesen ist, treten wir offiziell in die parlamentarischenBeratungen ein. Ich will das nur noch einmalwiederholen, weil uns natürlich auch viele Personalräte,Gewerkschaften etc. geschrieben haben.

Meine Damen und Herren, wir nehmen diese Schreibenund diese Hinweise sehr ernst, gerade auch von denkleinen Personalräten, die sich hier im Lande in denletzten zehn Jahren sehr gut bisher mit eingebracht haben.Wenn wir gerade die vielen kleinen Personalräte oder dieLeute vor Ort nicht gehabt hätten, wären viele Dinge derUmgestaltung in diesem Land und gerade hier auch inThüringen, wo es Umbrüche gab, die es in den alten Län-dern, Herr Pohl, die die nie erlebt haben, die wir denenauch nicht wünschen, aber wir haben sie gemeinsamhier mit den Personalvertretungen durchgestanden.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2975

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, man kann auch nicht diese Vergleiche ziehen,dass man jetzt Rheinland-Pfalz und NRW und andere,Herr Pohl, hier solche Dinge jetzt in den Vordergrundschiebt. Wir haben andere Bedingungen in den neuenLändern. Hier gehen die Uhren etwas schneller, hiermüssen Entscheidungen schneller getroffen werden. Des-wegen ist es notwendig, dass auch hier solche Dinge an-gepackt werden. Es geht nicht darum, dass man die Ver-treter der entsprechenden - ob das Beamtenbund, ÖTV oderandere sind - oder die Personalvertretung, irgendwoentrechten will,

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Na, na,na.)

sondern wir müssen sie an die Gegebenheiten anpassen,die in diesem Land herrschen. Wir stehen auch jetzt vorweiteren, ich sage einmal, Rationalisierungen, Moderni-sierungen im gesamten Verwaltungsapparat. Viele liebgewordene Dinge, die wir uns in den letzten zehn Jahrenauch teilweise geleistet haben - jawohl, sie waren gutund richtig, wir haben auch viel damit erreicht, aber dieZeit bleibt nicht stehen. Wir müssen uns auch denökonomischen Gegebenheiten anpassen. Ich denke, auchwenn es um Kosteneinsparung durch Reduzierung derMitgliederzahlen einzelner Gremien geht, denn Frei-stellungen und ähnliche Dinge kosten auch Geld, denndie Leute, wenn sie freigestellt sind, müssen auch bezahltwerden. Es gibt auch gute Beispiele, Herr Dittes,schauen Sie einmal ins Landesverwaltungsamt ...

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Eingutes Beispiel.)

Wer ist ein gutes Beispiel? Herr Dittes? Er sieht heute sofein aus, gestylt wieder. Ich denke, er ist ein Vorbild für un-sere Jugend. Ich bin voll überzeugt davon, dass das so ist.

(Beifall bei der PDS)

Zeigen Sie sich weiterhin so, Herr Dittes, dann wird dasnur vorwärts gehen.

Herr Dittes, fragen Sie im Landesverwaltungsamt z.B.nach, eine verhältnismäßig große Behörde so zwischen800 und 1.000 Mitarbeitern, wo eben der dortige Personal-vertreter die Freistellung nicht in Anspruch genommenhat, ich habe noch von niemandem gehört, dass es dortnicht funktioniert, sondern dass auch trotzdem einehervorragende Zusammenarbeit funktionieren kann. Wirsollten doch nicht alles hier verteufeln und alles dahinstellen, jetzt will hier diese Mehrheit alles in Grund undBoden machen.

Meine Damen und Herren, der Innenminister hat esdeutlich gemacht. Wir haben auch eine Verantwortungnicht nur gegenüber den Bediensteten, den Beamten, den

Angestellten und den Arbeitern, wir haben auch eineVerantwortung gegenüber dem Steuerzahler. Wir müssenalles im Zusammenhang sehen. Deswegen betone ich esnoch einmal, wir sind keine "Schönwetterregierung",sondern wir packen die Dinge an, die notwendig sind.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, die Landesregierung hat das angepackt. DieDiskussion hat doch gezeigt, meine Damen und Herren,dass es hier ein doch nicht einfaches Gesetz ist und dassdas auch ausgiebig diskutiert werden muss. Ich glaube,wer es verfolgt hat, und wir haben es ja mit verfolgt, undwir haben auch unsere Ideen und unsere Hinweise ausder Fraktion ... Natürlich ist es nicht so, dass die Lan-desregierung das eine macht und wir reden nicht mit denen.Wir haben natürlich der Landesregierung auch unsere Hin-weise und Wünsche schon als Fraktion mit auf den Weggegeben und gesagt, hier müssen wir noch einmal mithinschauen, dort müssen wir mit hinschauen. Ich habemanchmal den Eindruck, dass Herr Dittes und Sie nochvom ersten Referentenentwurf gesprochen haben. Siesollten zur Kenntnis nehmen, dass gerade durch die Dis-kussion und gerade auch, dass die Landesregierung esabgewartet hat, dass auch das sächsische Verfassungs-gerichtsurteil nämlich erst einmal auf dem Tisch liegt,dass man das mit in die Überlegung einbezogen hat. Esist doch nicht so, dass man da abgehoben irgendetwasmacht, sondern man hat wirklich hier abgewartet undgesagt, wir wollen wissen, wie das Gericht urteilt, umdann auch dieses mit einzubeziehen.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD:Außerordentlich wichtig.)

Bitte, Herr Schemmel?

(Zuruf Abg. Schemmel, SPD: Außerordent-lich wichtig.)

Ja, selbstverständlich, Herr Schemmel, Sie als ehema-liger Staatssekretär im Justizministerium müssten dochwissen, dass es wichtig ist, dass man auch auf die Judi-kative und Entscheidungen, wo man weiß, dass diekommen, dass man die mit in seine Arbeit einbezieht.Das traue ich Ihnen doch nun wirklich zu.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, die Landesregierung hat es sich nicht einfachgemacht. Gerade diese Zeit, dass eben ausgiebige Anhö-rungen durchgeführt wurden, zeigt doch, dass am Ende deruns jetzt vorliegende Gesetzentwurf doch schon weitest-gehend den Dingen entspricht, die in der heutigen Zeitnotwendig sind. Ich verschweige nicht, da Herr Böck -Sie sagten es wohl, Herr Pohl - natürlich gibt es auchDiskussionen in der CDU-Fraktion. Wir sind doch nichtein Anhängsel der Landesregierung, dass die Landes-regierung etwas sagt und wir heben die Hände und

2976 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

sagen, so ist es gut und richtig.

(Heiterkeit bei der PDS)

An der Spitze mit Dieter Althaus, meine Damen undHerren, können Sie sicher sein, dass wir schon unsereIdeen mit eingebracht haben, die Niederschlag gefundenhaben, was vorliegt.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden uns auch weiterhin mit den Dingen beschäf-tigen. Ich habe so den Eindruck, das ist bei Ihnen, HerrRamelow, so, dass der eine etwas sagt, wie es der alteGeneralsekretär war, und dann wird das durchgezogen,wobei Sie ja da nicht involviert sind. Ihnen traue ich jasogar ab und zu einmal zu,

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Von derCDU lernen, heißt siegen lernen!)

dass Sie sich mit den Dingen echt beschäftigen. Letz-tens haben Sie sogar unseren Minister Schuster gelobt,weil Sie natürlich Recht hatten, weil er etwas Vernünf-tiges gemacht hat.

(Beifall bei der CDU)

Das würde ich mir wünschen, dass das ab und zu nochein paar mehr machen würden, wenn wirklich etwasGutes gemacht wird, dass man das auch ausspricht.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Einheits-front.)

Nicht mit Einheitsfront. Die linke Seite von mir sollteeinmal ein bisschen ruhig sein. Schaut euch einmal euredrei Leute an, die hier drinsitzen. Gebt euch erst einmalMühe, dass ihr wieder im Lande wahrgenommen werdetund nicht nur hier alles nachreden, was irgendwo erzähltwird.

(Beifall bei der CDU)

(Heiterkeit bei der PDS)

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal einigePunkte benennen, was also jetzt hier geändert wurde. Wennich daran denke, in § 2 wurde das Wort "gleichberechtigt"gestrichen und es wurde "partnerschaftlich" eingesetzt.Ich denke, das ist schon eine Bewegung, die erkennbarist, die mir doch sehr akzeptabel erscheint.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Große Partnerund kleine Partner.)

Oder in § 7 - Herr Pohl, bringen Sie erst einmal Ihre Dingein Ordnung, dann reden wir vielleicht einmal wiedermiteinander. Die Vertretung des Dienststellenleiters wird

nun einmal unter den Vorbehalt gestellt, dass dienstlicheBelange einer Teilnahme also entgegenstehen. Ich glaube,auch das ist eine akzeptable Formulierung. Oder, dass in§ 16 die Höchstzahl der Personalratsmitglieder auf 15 jetztin dem Vorschlag der Landesregierung steht, nicht 11,sondern 15. Ich glaube, auch diese Zahlen sind das, wasman sich insbesondere anschauen muss. Oder in § 45 eineFreistellung bereits ab 300 Beschäftigten. Es stand einmaldie Frage, das auf 400 anzuheben. Ich denke, auch das isteine vernünftige Entscheidung, denn wenn man sich imLande eigentlich einmal anschaut, wie viele Behörden daeigentlich in Frage kommen, kommt man auf zweiHände voll. Ich glaube, man muss auch hier die Dinge inder Praxis genau anschauen und das hat die Landes-regierung hier in ihrer Abwägung getan. Oder § 47 Ver-waltungsgerichtliches Verfahren zur Ersetzung der Zustim-mung des Personalrats bei Versetzung, Abordnung einesPersonalratsmitglieds und, und, und, oder § 59 Schwellen-wert bei Jugend- und Ausbildungsvertretung bleibt beifünf. Ich will jetzt nicht noch § 75 a - die Einführung unddiese ganzen Dinge noch einmal nennen - sie sindmehrfach genannt worden.

Ich denke, meine Damen und Herren, dieser Gesetz-entwurf, der uns heute hier vorgelegt wurde, entsprichtin seinen Grundsätzen dem, was wir gemeinsam hierangehen. Ich verhehle nicht, dass es auch in meinerFraktion noch Gesprächsbedarf gibt. Ja, meine Damenund Herren, dafür machen wir doch auch die parlamen-tarische Beratung. Das ist doch wohl der Sinn und Zweck,dass parlamentarische Beratung dazu führt, dass manalles abwägt. Und wir werden natürlich - Herr Pohl, indem Punkt sind wir uns in der Regel eigentlich immereinig - hier zu einem schriftlichen Anhörungsverfahrennicht greifen, sondern wir werden natürlich, wie das üb-liche Praxis bei uns mittlerweile ist, im Innenausschusseine Anhörung dazu durchführen. Ich möchte also jetztschon, auch im Namen meiner Fraktion, Überweisung anden Innenausschuss beantragen. Wir werden dort eine An-hörung durchführen und ich glaube, wenn ich meinenTermin noch richtig im Kopf habe, werden wir wahr-scheinlich vorschlagen, im Ausschuss dann am 10. Maieine umfängliche Anhörung dazu mit den betroffenenGewerkschaften ÖTV, Beamtenbund etc. durchzuführen.Ich glaube, Leute, meine Damen und Herren, wir

(Heiterkeit bei der PDS)

brauchen doch wohl die Informationen.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Ich findedas Klasse.)

Ist Ihnen das so Unrecht, wenn man mal sagt so - Leute?Ich finde da nichts Besonderes dabei. Man sollte auch nichtso geschraubt reden, Frau Dr. Wildauer, sondern man sollteauch mal so reden, wie vielleicht auch das Volk redet.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2977

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Auch sowie Sie?)

Meine Damen und Herren, wir werden also das an denInnenausschuss überweisen. Die Anhörung am 10. Mai,kann ich jetzt schon ankündigen, wird umfänglich statt-finden. Und wir werden uns in Vorbereitung dieses Aus-schusses und haben dazu schon die Absprachen mit denentsprechenden Gewerkschaften getroffen, ob ÖTV, Be-amtenbund, GEW u.a., die an uns herangetreten sind, wirwerden mit ihnen in den nächsten Tagen die entsprechen-den Gespräche führen, um auch schon vorab in kleinerenGesprächen auch die Meinung dort aufzunehmen undwerden auch in meiner Fraktion mit den Betroffenen, dieich gerade genannt habe, das intensive Gespräch führen,werden das fortführen in der Anhörung, die ich geradeangekündigt habe. Wir werden diesen Gesetzentwurf biszur Sommerpause so dem Parlament, denke ich, vorlegenkönnen, dass bis zur Sommerpause dieser Gesetzentwurfdann abgeschlossen werden kann. Ich denke, dass wir dannein fortschrittliches Vertretungsgesetz hier in Thüringenauf den Weg bringen, das uns dazu bringt und befähigt,dass die Verwaltung insgesamt weiter sachgerecht indem Lande fortgeführt werden kann. Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat der Abgeordnete Ramelow, PDS-Fraktion.Herr Böck, war das auch eine Meldung für einen Rede-beitrag? Okay.

Abgeordneter Ramelow, PDS:

Herr Fiedler, um Ihr Entsetzen fortzusetzen, ich lobe Sie,

(Heiterkeit bei der PDS)

also nicht nur den Minister Schuster. Sie haben eben inIhrem Beitrag -

(Zwischenruf Abg. B. Wolf, CDU: Da hastDu was falsch gemacht.)

ja, da müssen Sie jetzt in Ihrer Fraktion drüber reden,Kleingruppe bilden. Sie haben in einem bemerkens-werten Satz auf eine Situation hingewiesen, die ich nurunterstreichen kann. In einer Situation mussten hierinnerhalb von zehn Jahren Personalräte Verantwortungtragen, Entscheidungen treffen, die Verantwortung mit aufihre Schultern laden, wie sie in manchen westdeutschenLändern in 40 Jahren nicht zu tragen waren.

(Beifall bei der CDU)

Da kann man nur sagen, ausdrücklich meinen Dank undmeine Anerkennung, meine Hochachtung vor diesenvon der Belegschaft gewählten Vertretern, die manches

Mal sehr unbequeme Entscheidungen treffen mussten,die Politik, Verwaltung, Vorgesetzte ihnen abverlangthaben, aber die manches Mal unumgänglich waren, weilman in Vergangenheit nicht leben konnte. Deswegen gebeich Ihnen Recht, weil bei den Worten von unserem Innen-minister, deswegen habe ich da mit dem Kopf ge-schüttelt, da hatte ich das Gefühl, als wenn wir in derHand von machthungrigen Personalräten in Thüringenwären, die der Verwaltung an der Kehle sitzen und diediesen Landtag daran hindern,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das konnteich aber nicht erkennen.)

Entscheidungen zu treffen, oder in ihren Kommunen ihrenLandrat oder den Bürgermeister daran hindern, Ent-scheidungen zu treffen. Den Eindruck musste man ge-winnen - dass jetzt die mutige CDU das Schwert nimmtund den Knoten durchhaut, damit endlich Verwal-tungsreform nach vorn geht. Das ist hier als Begründungangegeben worden. Und, meine Damen und Herren, dasist eine Unverschämtheit, eine Unverschämtheit vor denPersonalräten, die zehn Jahre lang hier auf ihren Schul-tern die Verantwortung mitgetragen haben und das genaueGegenteil von dem gemacht haben, was hier als Be-gründung angegeben worden ist.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Mit demAbbau von Privilegien.)

Das zu umklammern und mit Privilegien zu bezeichnen,ist einfach eine Frechheit, die man in aller Entschieden-heit zurückweisen muss.

(Beifall bei der PDS)

Man hat den Oberpersonalratsvorsitzenden Köckert heutehier sprechen hören. Und ich glaube, das wird ein bisschendeutlich bei der ganzen Haltung unserer Landesre-gierung. Das ist eben der Wirtschaftsminister Schuster, dereinem Parlamentarier sagt, die Fragen, die sie gestellthaben, sind völliger Unsinn, ich muss ihnen mal sagen,wie die Fragen aussehen. Also, die Regierung sagt unsauch in der Opposition, wie die Fragen in Zukunftaussehen, die man gewillt ist, zu beantworten. Und unserPersonalratsvorsitzender Köckert sagt, wie die Personal-räte jetzt endlich auf Vordermann gebracht werden sollenmit einem Personalvertretungsgesetz, bei dem sie von denFesseln befreit werden müssen oder von den Privilegien,die sie in der letzten Zeit, in den letzten Jahren miss-braucht haben.

Herr Köckert, wenn Sie sagen, die Einigungsstelle mussbeschleunigt und entschlackt werden, dann bringen Siedoch mal Beweise und Belege, wo Personalräte in Thü-ringen die Einigungsstelle missbraucht haben. Ein ein-ziges Beispiel hätte ich gern von Ihnen, damit ich merke,dass es von Ihnen ernst gemeint ist, dass da tatsächlichetwas gesetzlich falsch gelaufen ist. Es gibt solche

2978 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Beispiele nicht. Wir haben uns kundig gemacht, es sindkaum Einigungsstellen in der öffentlichen Verwaltungin Thüringen nach ThürPersVG gewesen. Es gibt dieseBlockade überhaupt nicht. Das Recht auf Einigungs-stelle ist nicht die Pflicht zur Einigungsstelle, sondern dasRecht, das man in Anspruch nehmen kann, wenn mannicht mehr weiter kommt. Und ein Personalrat macht erstdann davon Gebrauch, wenn alle anderen Möglichkeitenausgeschöpft worden sind. Und, Herr Köckert, meine Er-fahrungen mit Personalräten in langjähriger Beratungund Begleitung war so, dass die Personalräte mit demKnüppel "Einigungsstelle" drohen konnten und mit diesemKnüppel, mit der Androhung hat man sich vernünftigzusammengesetzt und hat dann entschieden. Der Knüppelist in der Regel nicht zur Anwendung gekommen. Wennman aber den Knüppel aus dem Gesetz schon völligherausstreicht und wertlos macht, dann ist es tatsächlich einBild von Personal, bei dem ich mich an obrigkeits-staatliches Denken und Handeln erinnert fühle. Das ist soein Stück weit der Untertan, den man in den Behördenhaben will.

Und, meine Damen und Herren, wenn die Begründung,Herr Fiedler, angebracht wird, im Sinne des Steuer-zahlers, dann sollten wir alle hier gemeinsam wissen,dass das Personalvertretungsgesetz nicht nur unsereLandesverwaltung und Kommunalverwaltungen meintund betrifft, sondern auch ganz andere Bereiche, wiez.B. die Krankenkassen, AOK, Landesversicherungsan-stalt und, und, und, also Institutionen, mit denen wirüberhaupt nichts zu tun haben und mit denen unseredemokratischen Gremien nichts zu tun haben, sondernderen Selbstverfassungsorgane. Von denen habe ich bisheute nicht gehört, dass man dort keine Verwaltungs-strukturen auf Vordermann hat bringen können, weil diePersonalräte im Weg waren. Also dieses Zerrbild vonPersonalräten und Verbandsfunktionären, das hier vor-hin vom Minister gezeichnet worden ist, das weise ichentschieden zurück und sage, dahinter versteckt man sich,um tatsächlich Mitbestimmung abzubauen.

Meine Damen und Herren, ein bisschen bin ich iritiert,wenn man sagt, in einem Land, das rohstoffarm ist, dasvon der Kreativität der Menschen, die hier arbeiten, lebt,unser wertvollstes Kapital ist das Personal. Das giltnämlich für den Betriebsverfassungsbereich genauso wiefür das Bundespersonalvertretungsgesetz als auch Thü-ringer Personalvertretungsgesetz. Wenn das Personal unserwichtigstes Gut ist, dann sollten wir diesem wichtigenGut einige Rechte einräumen, um sich selber auch einStück weit mit einzubringen in die Notwendigkeiten desUmbaus. Eine Verwaltung unterliegt einem permanentenUmbau, wie ein Betrieb auch einem permanenten Umbauunterliegt. Und dann sollten wir doch wenigsten dieKraft haben, den Menschen, die dort tagtäglich ihre Arbeiterbringen, auch das Recht zu geben, geschützt zu werden.

Meine Damen und Herren, wenn Sie Auto fahren, legenSie alle den Sicherheitsgurt an. Keiner tut das, weil er einen

Unfall bauen will, sondern wir tun es, weil wir uns voreinem Unfall schützen wollen. So ist es mit demThürPersVG, das ist der Sicherheitsgurt, den das Perso-nal hat und es anlegt, ohne eigentlich davon Gebrauchmachen zu wollen. Insoweit ist auch diese Diskrepanz,Herr Minister, die Sie hier einbringen wollen - hier sinddie Vertreter der Verbände und Institutionen und dassind die Geknechteten und Unterdrückten, die ihre Mei-nung nicht sagen können - völlig falsch. Für mich istdas ThürPersVG ein Gesetz, das geschaffen ist, um tat-sächlich den symbolisierten Sicherheitsgurt beim Autofahren in Anwendung zu bringen und da, meine Damenund Herren, ist der Verweis auf das Verfassungsgerichts-urteil richtig, aber auch falsch. Richtig insoweit, dasswir tatsächlich entscheiden können, lasst uns doch ändern,was das Verfassungsgericht gesagt hat. Umsetzung des Ge-setzes nur bezogen auf die Entscheidung des Verfassungs-gerichts, wir werden Ihnen Gelegenheit dazu geben. Wirwerden nach diesem Tagesordnungspunkt unsere Ände-rungsanträge einbringen, in denen genau nur das drinsteht,nämlich Umsetzung des Gesetzes ThürPersVG aus-schließlich auf die Notwendigkeiten aus dem Verfas-sungsgerichtsurteil.

Und ein Zweites: Wenn wir das Personal ernst nehmenwollen, Herr Minister, und Sie haben in Ihrer Eingangs-rede vom Leitbildprozess, also von dem Leitbild einermodernen Verwaltung gesprochen, dann lassen Sie unsdoch den Leitbildprozess jetzt nach vorn bringen, lassenSie uns doch mit dem Personal gemeinsam darüberdiskutieren: Welche Rolle möchte Personal, welche Rollemöchte der Faktor Mensch in der öffentlichen Verwaltungeinnehmen? Wie möchte dieser Faktor Mensch beteiligtsein? Wie viel Sicherheit möchte er auch haben, um nichtschutzlos Obrigkeitigenentscheidungen ausgesetzt zu sein?Dann können wir uns am Schluss gemeinsam auf einmodernes Thüringer Personalvertretungsgesetz einigen,das den Namen verdient hat, Personalvertretungsgesetzund nicht Bittstellergesetz, meine Damen und Herren.

Wenn Sie also entscheiden wollen zwischen Comanage-ment oder der Frage von selbstbewusstem Mittun undselbstbewusster Mitentscheidung oder die Entscheidungtreffen wollen, Bittsteller und Bettler aus dem Personal zumachen, dann lassen Sie uns diese Diskussion tatsächlichüber den von Herrn Fiedler vorgeschlagenen Weg machen,nämlich Anhörung am 10. Mai. Das ist sehr zu be-grüßen. Alle mit an den Tisch, da gehören aber auch alledie mit an den Tisch, die nicht direkt landesunmittelbaroder kommunalunmittelbar beteiligt sind. Das geht jabei der Forstverwaltung los, über AOK und den anderen,also überall da, wo wir in andere Bereiche hinein-regieren und hineinagieren, weil wir daran auch denkenmüssen, dass die gleichberechtigt zu behandeln sind undnicht mit einem Federstrich hier mit in die Ecke gestelltwerden. Aber bitte ein Anhörungsprozess, der den Namenverdient hat, nicht einen Meinungsaustauschprozess a laKöckert. Die Verbände kommen mit ihrer Meinung zumInnenminister und sollen mit der Meinung des Innenmi-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2979

nisters gehen. Das ist ein Meinungsaustausch, der funktio-niert nicht. Ein Meinungsaustausch, bei dem wir zuhören,bei dem wir die Ängste aufnehmen und bei dem wir denMenschen in den Mittelpunkt der Entscheidung stellen.Der Mensch ist nicht zu reduzieren auf den Kosten-faktor; der Mensch ist ein denkendes Wesen, dem wirdas Recht auf Schutz einräumen sollen und dafür ein mo-dernes Thüringer Personalvertretungsgesetz, das wäre eineChance dieses Parlaments. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat der Abgeordnete Böck, CDU-Fraktion.

Abgeordneter Böck, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, ich möchte insbesondere auf die Beiträge derbeiden Kollegen von der PDS-Fraktion eingehen, weilhier durchgängig, wie auch bei der Schulungsveranstal-tung der Gewerkschaften zur Novellierung des Gesetzes,eine Absicht erkennbar ist: die Thüringer Landesregierung,von der CDU geführt, als machthungriges Wesen irgendwoals Phantom an die Wand zu malen als Gefahr fürDemokratie in Thüringen. Genau das haben Sie hierversucht; Sie haben nicht einen Fakt genannt, aus demhervorgeht, wo Einschränkung von Rechten von Be-schäftigten des öffentlichen Dienstes erkennbar sind.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Nein, garnicht wahr.)

Sie machen es genauso wie bei dieser Beratung in derThüringenhalle, wo übrigens Gewerkschaftszahlen sagen,es waren mehr als 700 Anwesende, um geschult zu werdenüber den Entwurf des Gesetzes und wo immerhin einestellvertretende Bundesvorsitzende der ÖTV damit drohte,man solle den Spruch des Bundesverfassungsgerichts nichtso ernst nehmen, auch die Personalräte wären demo-kratisch legitimiert, es gäbe schließlich in Thüringen mehrPersonalräte, die von den Belegschaften gewählt sindals Abgeordnete, die vom Volk gewählt sind. Man stelleschließlich eine Macht dar. Was für ein Verständnis vonDemokratie und Interpretation eines Verfassungsge-richtsurteils?

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Davonhabe ich überhaupt nichts gesagt.)

Arbeitnehmerrechte würden eingeschränkt,

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Natür-lich.)

auch das war ein Thema, das hier immer wieder gesagtwurde, Kollege Pohl, und das ist eine bewusste Irrefüh-rung. Ich will nicht annehmen, dass Sie es bewusst ge-macht haben, sondern dass Ihnen der Begriff nur so unter-laufen ist. Es geht nicht um Arbeitnehmerrechte, es gehtauch nicht um Rechte von Bediensteten im öffentlichenDienst, nicht um die Rechte von Beamten und nicht umdie Rechte von Angestellten, nicht um die Rechte vonArbeitern im öffentlichen Dienst;

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Um welcheRechte denn sonst?)

die sind geregelt im Beamtengesetz, die sind geregelt imBundesarbeitstarif. Es geht um die Rechte der Vertre-tung, der Funktionäre der Beschäftigten im öffentlichenDienst.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Das ist dochUnsinn, so ein Unfug.)

Es sollte einmal jeder, der hier vollmundig darüber tönt -und das Gespräch hat auch stattgefunden mit denGewerkschaften -, mit der Bevölkerung von Thüringensprechen, wie denn der öffentliche Dienst im Ansehender Bevölkerung dasteht mit den Absicherungen und denRechten, die jeder Arbeitnehmer sehr gern in Anspruchnehmen würde. Sie tönen hier von Abschaffung vonDemokratie, alles nur einem politischen Ziel unterge-ordnetet und immer den Beweis schuldig geblieben.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Sie sindein solches Beispiel.)

Sie waren ja, denke ich, in der Thüringenhalle auch nichtanwesend, denn dort gab es Gewerkschafter, die ana-lysiert haben, was denn in der Novelle verändert ist, unddie beispielsweise das, was Sie hier so beklagen, be-grüßt haben, dass nämlich die Einigungsstelle in kür-zeren Fristen zu Entscheidungen kommt. Sie tun so, alswäre die Einigungsstelle abgeschafft. Nein, in der Ana-lyse wurde gesagt: Jawohl, das tragen wir mit, dass dieEinigungsstelle schneller entscheiden muss. Also richtenSie sich danach, was Ihre eigenen Funktionäre derGewerkschaft sagen und tragen Sie hier nicht genau dasGegenteil vor, was dort den Gewerkschaftsmitgliedernund den Personalräten vorgetragen worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Und ein Drittes möchte ich noch sagen: Die Schulungs-veranstaltung zeigte mir, auch beklagt von Personalräten,dass man sagte, wir wissen gar nicht, worum hiereigentlich gerungen wird. Wir beklagen, dass wir zuwenig geschult worden sind, dass wir gar nicht wissen,worum es geht. Genau das ist eine Forderung, die auch anSie geht als Abgeordnete dieses Landtags. Sie sind auchfür ganz Thüringen gewählt worden und Sie haben diePflicht, natürlich wahrheitsgemäß über Sachverhalte

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aufzuklären und nicht zu polemisieren und irgendein Mit-glied dieses hohen Hauses in irgendeine Ecke zu stellen.

(Beifall bei der CDU)

Wissenslücken wurden beklagt. Und dann ist es erstaun-lich, dass mit dem Nichtwissen über Tatbestände dann po-lemisiert wird, weil von vornherein der politische Gegnerin eine bestimmte, ja auch machthungrige Ecke gestelltwerden soll. Das nenne ich Demagogie, was Sie hier be-treiben.

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wenn mir ein Gewerk-schaftsvertreter sagt, dass er ganz erstaunt ist, dass es zueiner Solidarisierung von Belegschaften mit den Perso-nalräten kommt, wenn Sie gegen das Personalvertre-tungsgesetz polemisieren und wenn ich höre, dass Per-sonalräte selber beklagen, dass sie gar nicht wissen, wasin der Novelle des Personalvertretungsgesetzes stehtund dann zur Solidarisierung gegen diese Novelle aufru-fen, von der derjenige, der sich solidarisiert, auch nichtswissen kann, dann ist das für mich eine Abstraktion, dieich nicht nachvollziehen kann.

(Beifall bei der CDU)

In dem Sinne sage ich Ihnen, und das war auch dasAngebot, werden wir als CDU-Fraktion und als Innen-arbeitskreis das intensive Gespräch mit den Gewerkschaf-ten suchen. Dieses erste Gesprächsangebot am 05.03.wurde nicht aus Gründen abgesagt, die die CDU-Frak-tion zu verantworten hat, sondern das kam von der an-deren Seite. Man konnte diesen Termin nicht wahrnehmen.Das sage ich Ihnen auch, wenn dann öffentlich un-widersprochen dort gesagt wird, die CDU habe den Kon-takt zu den Gewerkschaften und Personalräten nicht ge-sucht und dieser Fakt bewusst verschwiegen wird, dann

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Dasstimmt doch auch.)

ist das auch eine öffentliche Lüge und da werden Lügenzur Umsetzung politischer Ziele benutzt. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Böck, gestatten Sie eine Frage desHerrn Abgeordneten Dittes?

Abgeordneter Böck, CDU:

Ich möchte von dem Herrn Dittes in diesem Zusammen-hang keine Frage beantworten, weil er auch bei dieserVeranstaltung anwesend war und die Sachverhalte kennt.

(Heiterkeit bei der PDS)

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Schemmel, eine Wortmeldung?

(Zuruf Abg. Schemmel, SPD: Ja.)

Bitte.

Abgeordneter Schemmel, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, ich möchte mich an dieser Stelle nicht so einem hohenBlutdruck aussetzen wie mein Vorredner und möchtemich deswegen auch weniger erregen an dieser Stelle

(Heiterkeit bei der SPD)

und möchte nur ein paar Worte noch sagen. Ich hatteeigentlich keinen Wortbeitrag vorbereitet. Ich möchtesagen, das, was Herr Böck dargestellt hat, dass es hier umdie Rechte der Funktionäre geht, das zeigt, dass man dasWort "Personalvertretung" nicht verstanden hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss noch einmal an dieser Stelle betonen, es gehtauch nicht um Privilegien, aber es geht auch nicht umFunktionäre, um die Rechte der Funktionäre, sonderndiese Funktionäre sind von den Leuten im Betrieb odervon den Leuten der Verwaltung gewählt und vertretenan dieser Stelle die Rechte und die sollen sie aus unsererSicht auch weiter vertreten dürfen. Zweites Stichwort -Verfassungsgericht:

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Wo werdendie denn eingeschränkt?)

Die SPD-Fraktion ist immer bereit, Urteile der Verfas-sungsgerichte sehr ernst zu nehmen. Ich erinnere an eineDebatte, die wir vor kurzem in diesem Haus geführthaben, wo es um Urteile eines Verfassungsgerichts gingund wo eine andere Fraktion durchaus bereit war, diesesUrteil eigentlich nicht gleich und sofort umzusetzen -ich brauche Sie nicht an das traurige Stichwort zu erin-nern; Sie wissen alle, worum es geht -, und wo wir, umdieses Verfassungsurteil des Bundes durchzusetzen, dasThüringer Verfassungsgericht angerufen haben. Wir wer-den uns auch bei diesem Personalvertretungsgesetz striktdavon leiten lassen, was gebietet dieses Urteil des Bun-desverfassungsgerichts wirklich, was gebietet es zu ändernim Thüringer Personalvertretungsgesetz. Dort werdenwir uns nicht scheuen, dieses mit umsetzen zu wollen,auch wenn es hier und da eine gewisse Einschränkungder Mitbestimmung erwirken sollte. Das heißt, wir werdenuns an dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2981

halten, aber eben nur an dieses. Wir werden in keinsterWeise und an keiner Stelle andere Einschränkungenzulassen wollen. Die Beiträge der Vorredner haben jagezeigt, dass es eine umfangreiche Palette von überdieses Gebot des Verfassungsgerichts hinaus gehendenEinschränkungen gibt. Gegen die werden wir uns verbissenwehren und ich denke, gegen die werden sich auch dieGewerkschaften und Interessenvertretungen nicht nur inder Anhörung wehren. Wir werden vor allen Dingen dieAufgabe haben, ganz präzise festzustellen, was gebietetdas Verfassungsgerichtsurteil. Wir sollten uns da gege-benenfalls, ich bin da noch nicht so weit in meinenÜberlegungen, eines unabhängigen Gutachters bedienen,eines wirklich unabhängigen, nicht von der Mehrheitbeschlossenen Gutachters, und dort sollten wir dann genaudieses feststellen und uns nur auf diese Sachenkonzentrieren und alle Polemik von wegen Rechte derFunktionäre und so etwas hier in diesem Saal vergessen,sondern uns der sachdienlichen Arbeit zuwenden.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Ramelow, eine weitere Redemeldung.Dann Herr Abgeordneter Bergemann, ja?

(Zuruf Abg. Bergemann, CDU: Ja.)

Gut.

Abgeordneter Ramelow, PDS:

Herr Böck, ich biete Ihnen an, dass wir einen Schnell-kurs in der rechtlichen Bewertung in den Unterschiedenzwischen individuellem Arbeitsrecht und kollektivemArbeitsrecht machen. Ich glaube, den haben Sie über-haupt nicht begriffen.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Danke, HerrOberlehrer.)

Ihr Redebeitrag eben gegen eine imaginäre ÖTV gerich-tet, von irgendjemand, der irgendetwas wo gesagt hat,aber gerichtet an die beiden Redner der PDS ist so dane-ben, Sie können es im Protokoll noch einmal nachlesen,was Sie hier für einen Müll geredet haben. Meine Damenund Herren, ich sage noch einmal, und dann werden wirGelegenheit haben, wirklich in jeder ruhigen, sachlichenArt darüber im Innenausschuss zu reden, wir werden einenAntrag einbringen, einen Änderungsantrag, der sich aus-schließlich auf die Veränderungsnotwendigkeiten des Ver-fassungsgerichts reduziert, und Sie werden dann hoffent-lich der Regierung eine Begründung abverlangen fürjede Änderung, die darüber hinaus geht, weil ich glaube,es muss dann jeder einzelne Punkt begründet sein, sehrgut begründet sein, und ich verwahre mich dagegen,

dass Personalräte, die von ihrer Belegschaft gewähltwerden, hier denunziert werden als machthungrige, Privi-legien haschende Vertreter. Ich wiederhole das: HerrFiedler hat völlig Recht, er hat die Personalräte in ihrerunendlichen Arbeit, die in den letzten zehn Jahrengeleistet worden ist, gut qualifiziert. Von diesen redenwir und nicht von irgendwelchen Zerrspiegeln, die Sieoffenkundig in Ihrer CDU vorgegeben bekommenhaben, wo Sie auch nach der alten Manier,

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Sie treibenes doch schon wieder.)

dass der Feind bei den Gewerkschaften ... Schreien Siedoch nicht so herum, Herr Böck, dadurch wird es dochnicht wahrer. Sie sollten sich mit den rechtlichen Gegeben-heiten der kollektiven Mitbestimmung erst einmal aus-einander setzen, bevor Sie so einen Unsinn reden. In demSinne hoffe ich auf eine sachliche Diskussion im Innen-ausschuss. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Bergemann, CDU-Fraktion.

Abgeordneter Bergemann, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich denkeeinmal, viele Redebeiträge, die heute hier zum ErstenÄnderungsgesetz gehalten worden sind, zeugen nicht ge-rade davon, Herr Dittes, das trifft Sie ganz besonders, dassSie Erfahrungen oder Praxis hätten in dieser Arbeit.

(Beifall bei der CDU)

Wissen Sie, 1972 ist die Mitbestimmung von einer CDU-geführten Bundesregierung eingeführt worden. Da sindwir eigentlich sehr froh darüber, auch heute, dass wirdiese noch haben. Da waren Sie noch gar nicht auf derWelt, wenn ich richtig nachgelesen habe.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Ist das jetztein Vorwurf?)

Ich will Ihnen einmal sagen, dass ich in Zeiten der ehe-maligen DDR - für diese Partei sitzen Sie hier in dieserFraktion - als gewerkschaftlicher Vertrauensmann vieleJahre gearbeitet habe. Und wissen Sie, wie da die Mit-bestimmung ausgesehen hat? Da gab es einen Dreier-kopf: Das war die Parteileitung, die staatliche Leitungund die Gewerkschaft, durch den Vertrauensmann ver-treten. Die Ergebnisse in der Mitbestimmung, wenn sichKollegen engagiert haben, die sahen immer so aus, dassdas Ergebnis immer 2 : 1 war. Das war eine "hervor-ragende Demokratie".

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(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Bergemann, gestatten Sie eine Fragedes Abgeordneten Ramelow?

Abgeordneter Bergemann, CDU:

Ja.

Präsidentin Lieberknecht:

Bitte.

Abgeordneter Ramelow, PDS:

Lieber Gustav, würdest du mir Recht geben,

(Heiterkeit im Hause)

dass das Mitbestimmungsgesetz, das die CDU in West-deutschland eingeführt hat, eine Reduzierung der Mitbe-stimmung der Montanmitbestimmung war, die vorherviel umfänglicher geregelt war?

Abgeordneter Bergemann, CDU:

Ich bin Demokrat genug, dass ich das weiß, dass das sowar.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aber ich erwähne bei der Gelegenheit natürlich auchgleich, auch an die linke Seite, dass Mitbestimmungstat-bestände von SPD-Seite in Ihrer Regierungszeit aucheingeschränkt worden sind. Nur um das aufzuklären,unter Gewerkschaftern ist das so, ich bin 36 Jahre Mit-glied der IG Metall, auch heute noch. Aber, Herr Dittes,wissen Sie, Ihr wirklich immer militantes Vokabular, wasSie hier aus dem Effeff vortragen, und hier sitzen jungeMenschen auf der Tribüne, ich halte das in einem solchenDiskussionsbeitrag für völlig deplatziert.

(Beifall bei der CDU)

Es ist unstrittig, dass wir auch zu diesem GesetzentwurfDiskussionen führen müssen. Es ist von Vorrednern, auchvon meinem Kollegen Fiedler, deutlich gemacht worden,es wird auch in der Zukunft darauf ankommen, in dennächsten Wochen, dass wir mit Verbänden, mit Vereinenund Personalräten Anhörungen durchführen, dass wirins Gespräch kommen. Wir haben es doch alle gelesen,dass die Landesregierung einen Entwurf vorlegt, das istihr legitimes Recht. Und dass wir auf dem Grundsatz desBundesverfassungsgerichtsurteils aufbauen, ist auch völligin Ordnung. Da können Sie diskutieren, wie Sie wollen.Das Letztentscheidungsrecht ist hier den Parlamentsverant-wortlichen, wo die Verwaltungstrukturen das letzte Sagen

haben, deutlich festgeschrieben, da kommen wir nichtdrumherum. Nun muss man schauen, was man daherumpackt. Das ist die Entscheidung. Wenn man dieGelegenheit hatte, selbst einmal Betriebsratsvorsitzendergewesen zu sein und noch die Gelegenheit hatte, einmalauf der anderen Seite zu stehen als Vorgesetzter, mitPersonalräten ins Gespräch zu kommen, kann ich nursagen, es ist in fast allen Fällen immer eine gütlicheEinigung erfolgt.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt trotzdem nicht, dass man keine gesetzlicheRegelung braucht. Es ist schon völlig klar, dass man mitpartnerschaftlicher Umgangskultur viel, viel mehr anMotivation, an Effizienz erreichen kann. Da sind wiruns, glaube ich, einig. Herr Dittes, wissen Sie, diesesVokabular, was Sie hier immer loslassen, das ist tat-sächlich so, das erinnert mich immer an den Klassen-kampf. Was wir hier brauchen, was wir auch gerade fürdas Personalvertretungsgesetz, für die Mitglieder, fürdie davon Betroffenen brauchen, das ist eine Chancen-debatte für die Zukunft. Es ist doch unstrittig, dass wiretwas ändern müssen. Ich sage das hier auch ganz klar.Es gibt natürlich auch da immer eigene Interessen, auchvon Personalräten, das ist doch völlig unumstritten. Manwürde doch die Augen zumachen oder blind sein, wennman das nicht erkennen könnte, wie sich das in derPraxis darstellt. Ich glaube trotzdem nicht, dass auch derInnenminister bei seiner Vorstellung von machthung-rigen Personalräten gesprochen hat. Das habe ich nichtheraushören können. Das ist irgendwo ...

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Aber von Pri-vilegierten.)

Ich habe von machthungrig gesprochen, Günter. Er hateigentlich auch ganz klar zum Ausdruck gebracht, nocheinmal bezüglich auf diesen Vorwurf eingehend, dass esum Partnerschaften geht.

(Zwischenrufe aus dem Hause)

Präsidentin Lieberknecht:

Ich bitte doch um Ruhe, dass der Abgeordnete seine Redefortsetzen kann.

Abgeordneter Bergemann, CDU:

Also, Kollege Schemmel, weil es gerade so gut rein-passt, weil Sie gesagt haben "auch Gewerkschafter",unabhängige Gutachter, die sind anscheinend offen-sichtlich nur von der Minderheitsfraktion zu bestellen,das bedeutet wahrscheinlich, die Mehrheitsfraktion kannkeine unabhängigen Gutachter bestellen.

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(Beifall bei der CDU)

Das war noch mal so ein Draufbinder von Ihrer Seite.

Ich denke, wir müssen in einigen Punkten noch malsprechen, was mich persönlich anbetrifft sind es die Mit-bestimmungstatbestände der §§ 74 bis 75 a, da wird inder Debatte auch noch einiges zu sagen sein und manhat die Chance, auch noch darüber nachzudenken, wasin § 69 Abs. 9 geregelt ist. Ich will das jetzt nicht längerausführen, aber da gibt es Chancen, dass aus dem Kreisder Mitbestimmungstatbestände, die die Einigungsstelleam Ende tatsächlich auch als endgültig entscheidet, dassman solche Tatbestände auch möglicherweise in Mitbe-stimmungstatbestände nehmen kann, wo eine Empfeh-lung gegeben wird. Das hindert am Ende nicht, dass dasLetztentscheidungsrecht auch bei den zuständigen ver-antwortlichen Verwaltungsträgern bleibt. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Damit liegen keine weiteren Redemeldungen vor. Ichschließe die Aussprache.

(Zwischenrufe aus der CDU-Fraktion: Doch.)

Moment, ach der Minister, Entschuldigung. Bitte.

Köckert, Innenminister:

Sehen Sie, Frau Präsidentin, der Innenminister ist immer sobescheiden, dass Sie ihn sogar übersehen. Und ich kann ja

(Zwischenruf aus der SPD-Fraktion: Beschei-denheit ...)

- nein, nein, das ist nur in Richtung Herrn Ramelow, dermich gern zum Oberpersonalrat schlagen würde.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: UmGottes willen.)

Ja, das haben Sie doch vorhin gesagt. Wissen Sie, als wasSie sich hier gegeben haben? Sie sind ein Oberlehrer parexcellence.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt auch gute Oberlehrer.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Danke.)

Aber Sie sind einer, vor dem man eigentlich erschreckenmuss, denn Sie bauen sich Ihre eigene Welt zusammen.Sie ziehen Ihre eigenen Schubladen auf und stecken danndie Leute hinein. Und das passt alles so gut und dasbringen Sie hier noch so eloquent vor und dann verzerren

Sie die Wirklichkeit unmerklich und damit bauen Sieein Bild, mit dem Sie meinen, Sie treffen die Realität.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Was ichdenke und tue, das traue ich auch anderen zu.)

Ich wäre ein bisschen vorsichtig. Insofern waren Sievielleicht einer der wenigen hier im Saal, der aus meinerRede ein Zerrbild von Personalvertretungen sehen konnte.Diese Rede, die können Sie nachher im Protokoll noch malnachlesen, hebt auf die momentanen Gegebenheiten abund stellt die Änderungen vor. Diese Änderungen sindnotwendig und ich bin Herrn Schemmel sehr dankbar,wenn er das alles noch mal begutachten lassen will, denndann wird er auf folgenden Sachverhalt stoßen, dass wirnämlich hier mit unserem Gesetzentwurf uns einreihen indie Phalanx aller Länder und vergleichen Sie nur mal -und das sage ich insbesondere in Richtung SPD - unserenEntwurf des Personalvertretungsgesetzes mit dem vonRheinland-Pfalz. Da werden Sie kaum einen Unterschiedfeststellen. Ich habe noch nie aus Rheinland-Pfalz gehört,dass man dort in die Steinzeit - so Herr Pohl - zurück-kehren würde mit der Personalvertretung.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Das habe ichnie gesagt.)

Natürlich, Herr Pohl, Sie müssen mal Ihre eigenen Presse-geschichten lesen, die Sie hier loslassen. Man würde aufden Stand der Steinzeit zurückkommen. Wissen Sie, Siemerken manchmal selbst nicht, was Sie hier in der Dis-kussion alles vortragen und was Sie der Presse sagen.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Sie aber auchnicht.)

Dann würden Sie nämlich merken, dass die Diskussion,hier würde eine Diskrepanz aufgebaut zwischen Dienst-stellenleitung und Personalräten und die Dienststellen-leitung würde jetzt ein Bild von Personalräten ent-wickeln, was von einer Feindschaft ausginge usw., dieseDiskussion haben Sie aufgebracht, die kam nicht malvon den Personalräten selbst, die haben Sie von denOppositionsparteien aufgebracht und haben sich daranstark gemacht, hier ein Bild zu verzeichnen, was derWirklichkeit in der Tat nicht entspricht.

(Beifall bei der CDU)

Nun, meine Damen und Herren, es gibt ja nicht nur Kri-tik, es gibt auch Zustimmungen. Die kommunalen Spit-zenverbände haben sich für dieses Personalvertretungs-gesetz ausgesprochen, weil sie in die weiten Bereicheausweichen, Herr Ramelow, wo es überall Beschwerdengeben könnte. Ich habe auch von den Kassen und vondiesen ganzen weiteren Vereinigungen bislang keine Klagegehört, was unseren Entwurf betrifft. Insofern scheint esmir doch eine Empörung von einigen wenigen zu sein,die Sie bewusst instrumentalisieren, um hier einen Ein-

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druck zu erwecken, der in Ihr Bild passt, das Sie von derLandesregierung in Thüringen entsprechend entwickelnwollen.

Meine Damen und Herren, der Gutachter, den HerrSchemmel bzw. die SPD-Fraktion hier beibringen will,der wird sicher feststellen, dass wir hier in Thüringeneine Klagediskussion haben auf sehr, sehr hohem Niveau.Es geht eben nicht um den Sicherheitsgurt der Per-sonalvertretung, Herr Ramelow. Dieser Sicherheitsgurtist nicht abgeschafft mit diesem Gesetz, meine Damen undHerren, sondern wir haben hier ja nicht nur Sicher-heitsgurte, sondern wir haben notwendige Airbags vonvorn und von der Seite, wir haben sie aber auch vonhinten, von oben und von unten und diese überflüssigenGeschichten, meine Damen und Herren, die gehören ab-geschafft, und die werden wir abschaffen.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Köckert, Innenminister:

Der Herr Ramelow hat hier schon so oft geredet, derkann sich auch noch mal zu Wort melden, aber er sollmich jetzt mal bitte zu Ende reden lassen.

Meine Damen und Herren, an diesem Gesetz ist langeund gründlich gearbeitet worden. Die Arbeit für dieses Ge-setz setzte schon ein, da war Herr Staatssekretär Brüggennoch gar nicht da. Es ist einfach schäbig, einem, der ineine neue Verantwortung hineingerufen wurde, weil erdie Qualität dazu hat, hier so einen Unsinn hinterher zurufen, zumal er nicht mal selbst dazu das Wort ergreifenkann. Das ist eine schäbige Art und Weise

(Beifall bei der CDU)

von Herrn Dittes und von Herrn Pohl; Sie sollten sichetwas schämen.

Meine Damen und Herren, auf den Punkt gebracht - unddas ärgert ja vielleicht Herrn Ramelow und andere so - gehtes letztlich darum, klarzustellen, das Letztentschei-dungsrecht bleibt bei denen, denen die Verantwortungtatsächlich übertragen worden ist, und zwar von denThüringer Bürgerinnen und Bürgern. Die müssen letztlichdafür geradestehen, die das Letztentscheidungsrechthaben und nichts anderes deklinieren wir in dieserFassung des Personalvertretungsgesetzes durch und des-halb sollten Sie nicht ständig andere Dinge behauptenund verzeichnen. Dass ein Meinungsaustausch à la Köckertdurchaus etwas Positives haben kann, Herr Ramelow,das zeigt sich für den Gang, den der Referentenentwurfgenommen hat. Sie tun ja so, als hätte keine Anhörungstattgefunden und als hätte es keine Änderung im

Gesetzentwurf zwischen der ersten Lesung und derzweiten Lesung des Gesetzes gegeben. Hier sind sehr wohldie Bedenken und die Meinungen der entsprechendenInteressenverbände zum Zuge gekommen. Vielleichtnicht in dem Maße wie Sie es sich wünschen würdenund wie Sie es sich wünschen würden aus ganzbestimmten Gründen heraus. Aber zu sagen, wir hättenhier nur Meinungen entgegengenommen und hätten siedann in die Schubladen gesteckt und hätten uns nichtweiter darum gekümmert, das ist eine grobe Lüge undVerzeichnung der Wahrheit, mein Freund Ramelow.Deshalb denke ich, Sie sollten hier wirklich

(Unruhe bei der PDS)

viel, viel näher an der Wirklichkeit bleiben als Sie mitIhren pathetischen Reden vorgeben zu sein.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Ramelow.

Abgeordneter Ramelow, PDS:

Also, wenn ich von meinem Freund, dem Innenminister,aufgefordert werde, komme ich gern noch mal vor.

(Heiterkeit im Hause)

Eine Frage durfte ich ja nicht stellen, dann gebe ich siehiermit zu Protokoll: Sehr geehrter Herr Innenminister,erste Feststellung: Die PDS wird in ihrem Änderungs-antrag das Letztentscheidungsrecht der Parlamente undder gewählten Abgeordneten der Kommunalparlamenteüberhaupt nicht in Zweifel ziehen. Sie werden sich davonsachkundig machen können und dann würde ich Sie dochauffordern, in Zukunft solch eine Polemik zu unterlassen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Zweite Feststellung: Sie können doch lachen wie Siewollen, warten Sie doch ab, bis Sie unseren Ände-rungsantrag haben, dann werden Sie sehen, dass wir dasParlament überhaupt nicht in Frage stellen. Sie stellendas höchstens in Frage, wenn Sie uns als Oppositionimmer nur als Petersilie betrachten, die hier lästig ist und abund zu auch mitspielen darf. Das ist Ihr Verhältnis zumParlament, aber gut.

Dritte Feststellung, Herr Minister, und da werde ichganz ernst, da werde ich ganz ernst, Herr MinisterKöckert, weil Sie da der Dienststellenvorgesetzte sind:Trotz dieses Thüringer Personalvertretungsgesetzes, dasSie ja jetzt glauben ändern zu müssen, hat die Bußgeld-stelle in Suhl bis heute keinen Sozialplan für die dort ab-hängig Beschäftigten. Das heißt, die unteren Lohngruppensind bis heute nicht abgesichert und trotz mehrerer

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2985

Interventionen ist es nicht gelungen, dass die Buß-geldstelle so behandelt wird, wie man es ordentlichenMenschen, die eine ordentliche Arbeit geleistet haben,angedeihen lassen würde und das mit dem bestehendenThürPVG, weil es nämlich jetzt schon durchlöchert istund eine Absicherung - die dortigen Menschen habenüberhaupt nichts in Frage gestellt, die wären natürlichgern in Suhl geblieben, aber es gab eine politische Ent-scheidung, sie nach Artern zu verlegen. Und diejenigen,die nicht mit umziehen können - Entschuldigung -, weilsie nicht so hohe Diäten haben wie die Damen und Herren,die hier sitzen, sondern weil sie abhängig Beschäftigte sind,sollen ohne entsprechenden Ausgleich entweder nachArtern gehen oder sich kündigen lassen und das halteich für einen Skandal. Ich glaube, an diesen Taten sollteman Sie messen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Pohl.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Her-ren, es ist doch von Ihnen, Herr Innenminister, eine sehrgewagte Aussage, die Sie eben getroffen haben, dass esnur der Protest von einigen Wenigen ist oder von eini-gen Wenigen war. Das ist gegenüber den Personalräten,gegenüber den Gewerkschaften eine sehr unverfroreneAussage. Das muss man doch erst mal ganz klar sagen.Das zeigt doch, wie man das Partnerschaftliche versteht.Ich glaube, es gab im Vorfeld auch im Zusammenhang mitder Novelle und auch im Vorfeld dieser Land-tagssitzung sehr viele Einladungen von Gewerkschaften,von Personalräten, und ich weiß, ich kann nur von unsererFraktion sprechen, dass zahlreiche Fraktionäre dort mitwaren und mit den Betroffenen diskutiert haben. Das istFakt. Wir haben auch, Herr Fiedler, mit den Spitzen-vertretern von ÖTV, von GEW usw. die Gespräche geführtbereits zum Zeitpunkt, wo noch der erste Entwurf einerNovelle da war, aber auch jetzt. Wir haben das gemachtund wir werden das auch weiter machen. Ich finde, das,was der Kollege Bergemann sagt, ist richtig. Wir werdendas Letztentscheidungsrecht akzeptieren, das ist klar, aberdas, was da noch im Gesetzentwurf steht, das muss derGegenstand sein. Ich möchte das nicht nur auf die §§ 74, 75und 75 a beschränken, sondern ich gehe auch ein Stückweiter bis auf § 77 (1) usw. Wir haben viel Gesprächs-bedarf, aber bitte, Herr Innenminister, disqualifizieren Siedas nicht als Forderungen von einigen Wenigen. Dasmöchte ich doch gesagt haben.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Jetzt ist die Redeliste aber wirklich erschöpft. Ich kanndie Aussprache schließen und wir kommen zur Über-weisung. Es ist die Überweisung an den Innenausschussbeantragt. Wer stimmt dem Überweisungsantrag zu, denbitte ich um das Handzeichen. Danke. Das war wohleinmütig. Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Enthaltun-gen? Auch nicht, dann an den Innenausschuss überwiesen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2 und kommezum Aufruf des Tagesordnungspunkts 3

Rehabilitation und Teilhabebehinderter MenschenAntrag der Fraktion der PDS- Drucksache 3/1337 -

Es ist Wunsch auf Begründung signalisiert. Die PDS-Fraktion möchte begründen, der Abgeordnete Huster, bitte.

Abgeordneter Huster, PDS:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, den inzwischen in Bundestag und Bundesratvorgelegten Gesetzentwurf betrachten wir als einen Anfangzu einer veränderten Behindertenpolitik in Deutschland.Leider ist es nur ein Anfang, denn unseres Erachtens bleibtdie Bundesregierung auf halbem Wege stehen. Die großenVersprechen zur Vereinheitlichung, zur Vereinfachungund zur Schaffung eines Leistungsgesetzes wurden nichterfüllt. Wir möchten mit dem vorliegenden Antrag dieHaltung der Thüringer Landesregierung zu den erwähn-ten Drucksachen erfahren. Wir möchten weiter wissen,welche inhaltlichen Änderungsvorschläge die Landesre-gierung in die bereits tätigen Unterausschüsse des Bundes-rates eingebracht hat und welche Änderungsvorschlägeder Thüringer Sozialminister aus den anderen Bundes-ländern mitzutragen bereit ist. Wir hegen die Befürch-tung, dass die im Gesetzentwurf formulierte Kosten-neutralität der Länder und Kommunen nicht realistischist. Herr Pietzsch, sicher können Sie hier und heute ersteAussagen machen, in welcher Höhe zusätzliche Kostenauf Land und Kommunen zukommen. Erinnert sei indiesem Zusammenhang an die Einrichtung so genannterServicestellen, an die Einführung der Assistenz sowiedie Anerkennung und Gleichbehandlung der Gebärden-sprache. An dieser Stelle kurz zusammenfassend unserePosition in zwei Punkten. Wir sind für ein neues SGB IX,wir plädieren aber auch dafür, notwendige inhaltliche Än-derungen in den nächsten Wochen im Interesse der behin-derten Menschen in Thüringen einzubringen. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Der Sofortbericht ist angekündigt worden. Minister Dr.Pietzsch, bitte schön.

2986 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen undHerren, Herr Huster, Sie haben ja für die PDS-Fraktionden Antrag begründet. Ich kann in manchen Punkten demnur ausdrücklich zustimmen. Allerdings weise ich daraufhin - und dieses zum wiederholten Male -, dass die Landes-regierung sich in ihrem Handeln im Bundesrat nichtvom Landtag festlegen lassen kann, sondern dass wirOffenheit haben müssen in den weiteren Verhandlungenund Offenheit haben müssen auch in der Frage derAbstimmung, je nachdem, wie die Beratungen imBundesrat laufen. Deshalb auch nur ein sehr allgemeinerBericht und keine abschließende Position zu deneinzelnen Punkten von Seiten der Thüringer Landes-regierung.

Die Landesregierung begrüßt generell, dass in einemSozialgesetzbuch, SGB IX, Dinge des Behindertenrechtsund der Rehabilitation zusammengefasst werden sollen.So kommt der vorliegende Antrag zu einem Zeitpunkt,wo wir noch in den Verhandlungen sind. Zu dem Ge-setzentwurf - um es mal deutlich zu machen, Sie habenes ja so etwa angedeutet - der Bundesregierung lagen imUnterausschuss des Bundesrates über 90 Änderungsanträgevor. Sie werden nicht erwarten, dass ich im Rahmen diesesBerichts über diese 90 Änderungsanträge referieren kann.Von diesen 90 Änderungsanträgen ist 61 im Bundesrat inseiner 760. Sitzung am 09.03. zugestimmt worden. Ineiner Stellungnahme ist die Zielrichtung des Entwurfs,die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe derbehinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zufördern, generell positiv bewertet worden. Dieser generellpositiven Bewertung hat sich Thüringen angeschlossen.

Der Bundesrat hat jedoch auch darauf aufmerksamgemacht, dass die neuen Regelungen zu weiteren Be-lastungen der Sozialhilfeträger und damit der Länder undKommunen führen. Es ist übrigens eine kritische An-merkung aller Bundesländer gewesen und, Herr Huster,Sie haben dieses ausdrücklich ja hier genannt. Aber indiesem Zusammenhang erwarten Sie bitte nicht von mir,dass ich jetzt schon definitiv sagen kann, wie groß die Aus-wirkungen sein werden, denn zu der Beschluss-empfehlung oder zu dem Beschluss des Bundesratesgehört ja gerade, dass daran Änderungen vorzunehmensind. Wie weit Änderungen vorgenommen werden können,das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen unddanach richtet es sich. Darüber hinaus ergeben sich ausden erweiterten Leistungsansprüchen Mehraufwendungeninsgesamt von mindestens 244 Mio. DM bei den gesetz-lichen Krankenkassen, die den Bemühungen, den Anstiegder Lohnnebenkosten zu bremsen, entgegenstehen. Dasist ein Problem, was gelöst werden muss und was weiterberaten werden muss. Man kann nicht auf der einen Seiteeinfach neue Leistungen der gesetzlichen Krankenver-sicherung aufdrücken und gleichzeitig sagen, die Lohn-nebenkosten sollen stabil bleiben. Der Bundesrat hat daher

die Bundesregierung gebeten, den Entwurf mit dem Zielzu überarbeiten, diese Kosten so weit als möglich zureduzieren und klarzulegen, auf welchen Ebenen siestehen. Ich darf um Verständnis bitten, wenn ich nichtzu all diesen Punkten Aussagen machen kann. Diethüringische Landesregierung hat sich gemeinsam mit denLändern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Saarlandund Sachsen eine grundsätzliche Auffassung zu demseitens der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfgebildet und gemeinsam mit diesen Bundesländern hatThüringen im Bundesrat eine Stellungnahme einge-bracht. Ich darf vielleicht Kernpunkte aus dieser Stel-lungnahme zitieren, und zwar: "Der Bundesrat nimmt mitBedauern zur Kenntnis, dass die Bundesregierung nichtbeabsichtigt, Leistungen der Eingliederungshilfe für be-hinderte Menschen in einem eigenständigen Leistungs-gesetz zu regeln." Das wäre nämlich nach unsererMeinung der richtige Weg gewesen.

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

"Der Bundesrat tritt hierfür mit Nachdruck ein.", sohaben wir formuliert. Und weiter heißt es in unsererFormulierung - wenn sie angenommen worden wäre, dassage ich gleich: "Der Bundesrat ist davon überzeugt," -also wir, die dieses eingebracht haben, sind davonüberzeugt - "dass eine umfassende Lösung mit Verbes-serungen für behinderte Menschen nur in einem eigen-ständigen und einheitlichen Leistungsgesetz erreicht wer-den kann und dies der richtige Weg zur Weiterent-wicklung des Rehabilitationsrechts wäre." Und der Bun-desrat weist darauf hin, dass die Einbeziehung ins-besondere der Sozialhilfeträger als Rehabilitationsträgerin einem Sozialgesetzbuch zahlreiche Grundsatzfragenaufwirft, nicht Fragen löst, sondern zahlreiche Fragenaufwirft. So weit das, was in unserem Entschließungs-antrag stand, der allerdings nicht die Mehrheit imBundesrat gefunden hat.

Meine Damen und Herren, die Einbeziehung der Sozial-hilfe in das SGB IX ist problematisch, auch weil sie nichtdem Prinzip des Nachrangs der Sozialhilfe entspricht. Nurein Leistungsgesetz und eine eindeutige Abgrenzung zuanderen Leistungsgesetzen würde eine Lösung darstellen.Ziel muss es grundsätzlich sein, das gesamte Leistungs-spektrum im Bereich der sozialen Rehabilitation fürbehinderte Menschen unabhängig von Einkommen undVermögen zu gewährleisten, um die Gleichbehandlungaller Menschen mit Behinderungen zu erreichen.

(Beifall bei der PDS; Abg. Arenhövel, CDU)

Das Gesetz muss sich dann allerdings auch dazu beken-nen, die durch den Wegfall der bisherigen Bedürftig-keitsprüfung im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzesentstehenden Mehrkosten zu regeln. Dieses ist nämlichunklar. Gleiches gilt für die Kosten, die den verschiede-nen Rehabilitationsträgern, den Krankenversicherungs-trägern, den Unfallversicherungsträgern und den Ren-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2987

tenversicherungsträgern durch Leistungsausweitung ent-stehen werden. Ich hatte diese schon am Anfang genannt.Zu regeln ist auch, dass diese Leistungserweiterungen,soweit die Sozialversicherungsträger betroffen sind, dieseKosten nicht von der Solidargemeinschaft der gesetzlichSozialversicherten - das würde einen Sprung in der Syste-matik bedeuten -, sondern dass dieses von der Allge-meinheit zu tragen ist. Das heißt also, es müsste steuer-finanziert sein

(Beifall bei der PDS)

und es müsste steuerfinanzierte Zuführungen an dieSozialversicherungsträger geben. Deshalb muss zumin-dest eine Kostenerstattung des Bundes an die betroffenenRehabilitationsträger vorgesehen werden. Die Divergenzund Unübersichtlichkeit des bestehenden Rehabili-tationsrechts wird durch die im Entwurf des Sozial-gesetzbuchs IX enthaltenen Regelungen nicht in demerforderlichen Umfang beseitigt werden, es wird eherunübersichtlich, einer der großen Problempunkte diesesNeunten Buches. Das Ziel, eine weit bessere Koordi-nation und Kooperation mit dem Ziel einer größerenDienstleistungsorientierung und Betroffenennähe zu er-reichen, kann durch den Gesetzentwurf nicht hinrei-chend verwirklicht werden.

Meine Damen und Herren, die Diskussion des Gesetzesim Bundestag ist noch nicht abgeschlossen. Thüringenwird im Rahmen seiner Möglichkeiten weiterhin seinenBeitrag dazu leisten, dass sich die Situation Schritt fürSchritt und möglicherweise langfristig verbessern lässt.Ich habe die wesentlichen Knackpunkte genannt. Ichbefürchte, dass mit dem Neunten Buch eine Regelunggetroffen wird, wo zwar zusätzliche Leistungen ge-schaffen werden, aber diese Leistungen - beispielsweiseSozialhilfe, Jugendhilfe werden mit einbezogen - damitin erheblichem Umfang auf die Kommunen und auf dieLänder zukommen werden. Deswegen sind sich eigent-lich alle Länder einig, dass in diesem Bereich eine Nach-besserung notwendig ist. So weit zum gegenwärtigenStand, mehr kann von Seiten der Landesregierung imAugenblick nicht ausgesagt werden, da die Vielzahl derÄnderungsanträge erst beraten werden muss. Danke.

(Beifall bei der CDU; Abg. Nothnagel, PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Könnte es sein, dass die PDS-Fraktion ...?

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Ja, die PDS-Fraktion beantragt die Aussprache.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Die PDS-Fraktion hat die Aussprache zu diesem Berichtbeantragt. Ich rufe als erste Rednerin Frau Abgeordnete

Bechthum, SPD-Fraktion, auf.

Abgeordnete Bechthum, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in den 16Jahren der Ära Kohl gab es zwar Entwürfe zum SGB IX- der letzte stammt aus dem Jahr 1993 -, aber ein ernst-hafter Wille zur Umsetzung schien nicht vorhandengewesen zu sein. Ein Indiz dafür ist, dass in der 13.Wahlperiode das SGB IX gleich ganz aus dem Regie-rungsprogramm genommen wurde, obwohl durch dieErgänzung des Grundgesetzes in Artikel 3 Abs. 3 Satz 2"Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligtwerden." der gesetzgeberische Handlungsbedarf eigent-lich geradezu herausgefordert wurde. Wenn die CDUvon der Untätigkeit der rotgrünen Bundesregierung spricht,dann soll sie wirklich erst einmal vor ihrer eigenenHaustür kehren.

Nach diesen langen Jahren des Reformstaus wurde durchdie rotgrüne Koalition der Gesetzentwurf "Sozialge-setzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabebehinderter Menschen" im Januar 2001 in den Bundes-tag eingebracht. Zahlreiche Diskussionsveranstaltungenim Jahr 2000 - wir waren auch als Landtagsfraktion beiverschiedenen vertreten - gingen der Fertigstellung desGesetzentwurfs voraus, um einen möglichst breitenKonsens zu erreichen. Eines durfte aber allen klar sein:Alle erstrebenswerten Wünsche können nicht erfülltwerden. Zur Drucksache 3/1337: Bis auf das Deckblattder Bundesratsdrucksache 4901, wo der Fristablauf09.03.2001 angegeben ist, ist sie mit der Bundes-tagsdrucksache 14/5074 identisch. Also, der PDS-Antragwar für das letzte Plenum eindeutig zu früh gestellt worden.

Meine Damen und Herren, unterdessen hat nun am 9.März 2001 der Bundesrat getagt und es gibt eineStellungnahme des Bundesrats. Danach gibt es, das sindso unsere Erfahrungen, 75 Änderungswünsche des Bun-desrats und einen Antrag des Landes Baden-Württem-berg, dem auch die anderen CDU-geführten Länder bei-getreten sind, der ein Leistungsgesetz zur Einglie-derungshilfe fordert. Der Minister hat das auch hier sehreindrücklich dargestellt. Ich denke, es ist immer sehr leicht,von anderen Leistungsgesetze zu fordern, wie auch vonder Bundesregierung. Wir haben ja unsere Erfahrungenmit Leistungsgesetzen, die wir leider in den letztenJahren überhaupt nicht mehr umsetzen können; denkenSie an unser Ehrenamtsgesetz. Wenn man in denEinzelplan 08 des Thüringer Landeshaushalts blickt, siehtman, dass mit 400 Mio. DM der Eingliederungstitelwohl der größte Einzeltitel des Thüringer Ministeriumsfür Soziales, Familie und Gesundheit ist. In den Ländernwird es ähnlich aussehen. Da kann man sich leichtvorstellen, wie die Finanzierungsregelung, da die CDUin Berlin in der Opposition ist, aussehen soll.

Um es allen deutlich zu machen: Es geht hier um 15Mrd. DM, wo es die Länder gern hätten, dass diese der

2988 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Bund natürlich übernimmt. Und, verehrte Kolleginnenund Kollegen der CDU-Fraktion, wir werden genau ver-folgen - ich habe das Protokoll hier auch liegen -, wiedie CDU-Bundestagsfraktion, die dem Entschließungs-antrag in der Bundestagsdrucksache 14/2913 zuge-stimmt hat, sich im Verlauf der weiteren Verhandlungenverhalten und zu ihrem Wort stehen wird. Ich bedankemich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächste Rednerin hat sich Frau AbgeordneteArenhövel, CDU-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordnete Arenhövel, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Sehr geehrte Frau Kollegin Bechthum, ich denke,das, worüber wir heute diskutieren, ist etwas mehr alsdie bloße Diskussion um Leistungsgesetze, sondern esist die Debatte um den Paradigmenwechsel in der Be-hindertenpolitik. Es geht darum, dass Behinderte nichtlänger wollen, dass sie abhängig sind von Fürsorge,sondern sie wollen eigenständig und selbstbestimmt ihrLeben gestalten. Das ist eine sehr ernst zu nehmendeDebatte, meine Damen und Herren, und ich muss dazusagen, Frau Bechthum, wenn Sie hier die CDU-geführteBundesregierung kritisieren, dann müssen Sie natürlichauch zur Kenntnis nehmen, dass die SPD im Wahlkampfdieses Thema zu ihrem eigenen gemacht hat und voran-gestellt hatte und dass es das Erste mit war, was imKoalitionsvertrag zwischen Rotgrün vereinbart worden ist,dass dieses umgesetzt werden soll.

Wenn man jetzt sieht, wie das SGB IX gestaltet werdensoll, was vom Grundsatz her zu begrüßen ist, und da gibtes zwischen den Parteien überhaupt gar keinen Dissens,aber wenn man dieses Ergebnis jetzt betrachtet, dann istdas Ganze natürlich schon auch eine Enttäuschung, weiles natürlich wichtig wäre, die Leistungen hier in diesemGesetzbuch einmal zusammenzufassen. Ich bin derMeinung, meine Damen und Herren, das BSHG ist einsehr gutes Gesetz. Wir haben im Bundessozialhilfe-gesetz sehr weit reichende Regelungen für Behinderte,aber es ist notwendig, das Ganze abzukoppeln von derEinkommenssituation der Behinderten. Hier handelt essich um eine Dauerleistung und nicht nur um einevorübergehende, das muss hier stärker in den Blick ge-nommen werden. Das ist ein Punkt. Ein anderer ist der,dass das BSHG inzwischen so durchkommentiert ist,dass es so rechtlich überfrachtet inzwischen ist. Es gibtzig Kommentare dazu, es gibt ganz verzwickte Rechts-probleme in dieser Materie, die außerordentlich schwierigzu händeln sind. Wir haben hier auch im Landtag Dis-kussionen gehabt, wo diese Probleme eine Rolle gespielthaben. Deswegen bietet es sich natürlich an, dieses alleszu reformieren. Aber wenn man dieses tut, dann muss

man es wirklich auch vom Grundsatz her anfassen, dannmuss man diese Dinge, denke ich mal, alle neu gestaltenund nicht wieder neue bürokratische Hürden schaffen, wiedie Frage der Servicestellen, die sicherlich sinnvoll ist,die ist hier auch schon angeklungen. Wir müssen dafürsorgen, dass wir nicht mehr Bürokratie, noch mehrkompliziertere juristische Verfahren hier produzieren,sondern dass im Sinne der Behinderten hier ein Sozial-recht geschaffen wird, das diesen Namen auch verdient.Nur, meine Damen und Herren, dafür zuständig ist derDeutsche Bundestag und nicht der Thüringer Landtag.Wir können uns hier dazu zwar eine Meinung bilden undkönnen über die Dinge auch diskutieren, aber wir könnensie nicht bestimmen. Deswegen, so wichtig diese ganzenDebatten hier sind, möchte ich darauf hinweisen, wirsollten uns im Ausschuss für Soziales, Familie undGesundheit insbesondere um die Themen kümmern, wofürwir als Landtag zuständig sind.

(Beifall Abg. Wolf, CDU)

Dazu haben wir ja auch bereits einen Anfang gemacht. Wirplanen eine Anhörung, in der es um die Frage derGleichstellung Behinderter geht. Hier steht auch die CDU-Fraktion voll dahinter und wir sind bereit, dieses Themaaufzugreifen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als Nächster hat sich der Abgeordnete Nothnagel, PDS-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Nothnagel, PDS:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, ich danke dem Sozialminister Herrn Dr. Pietzschfür seinen kurzen allgemeinen Bericht, heute im März-plenum des Thüringer Landtags nun endlich über dasSGB IX zu debattieren. Ich finde nicht, Frau Bechthum,dass es im Februar zu früh war für unseren Antrag derPDS. Frau Arenhövel, ich denke auch, das SGB IX gehörthier in dieses Haus zur Debatte, da es Auswirkungen aufden Freistaat Thüringen hat und letztendlich das Landund die Kommunen betrifft.

Nach über 30 Jahren soll ein politisches Versprechenendlich eingelöst werden, ein SGB IX, das Sozialgesetz-buch der Behinderten oder - wie der Gesetzentwurf jetztheißt - zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Men-schen. Dazu wurden in den zurückliegenden zehn Jahren,also in der 12. und 13. Legislaturperiode des Bundestages,meine sehr verehrten Damen und Herren, und daran kannich mich noch sehr gut erinnern, verschiedenste Versucheunternommen, um mit Vorentwürfen und Referenten-entwürfen einer CDU/CSU und F.D.P.-Koaltion einneues SGB IX auf den Weg zu bringen. Jetzt, im Januar2001, hat die rotgrüne Regierungskoalition ihr Wahl-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2989

und Koalitionsversprechen eingelöst und einen Entwurfin den Deutschen Bundestag eingebracht. Frau Arenhövel,Sie haben es schon erwähnt. Unter Mitwirkung desBeauftragten der Bundesregierung, Herrn Hans-HermannHack, für die Belange behinderter Menschen wurde ausdem Eckpunktepapier, welches ja wirklich unter starkerKritik der Vereine, Verbände und Selbsthilfegruppen stand,ein Artikelgesetz vorgelegt, das nach Auffassung der PDSzwar einen Anfang darstellt, um einer veränderten Behin-dertenpolitik Ausdruck zu verleihen, aber aus unserer Sichtist das nicht das Nonplusultra.

Um es noch deutlicher zu sagen, Herr Bundesarbeits-minister Riester, damit ist Ihnen weiß Gott nicht der weiteWurf gelungen. Den Behindertenverbänden in Deutschlandwurde versprochen, eine Zusammenfassung und eine Ver-einfachung aller relevanten Gesetzgebungen für behinderteMenschen vorzulegen. Dies ist nicht in dem Maße erfolgt,wie es erwartet und auch versprochen wurde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind ca. 10Prozent der Bevölkerung Thüringens von Behinderungenbetroffen. Zu bedenken ist dabei, dass sich die Zahljährlich erhöhen wird durch Unfälle verschiedenster Artund Weise, aber auch, und das vor allem, durch unseredemografische Entwicklung. Wir, die PDS-Fraktion, sindder Auffassung, dass Behinderung ein komplexes ge-sellschaftliches Phänomen darstellt, und die Gesellschaftmuss geeignete Wege finden, um Menschen mit Behinde-rungen zu integrieren und ihnen eine Chancengleichheitund eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermög-lichen. Die Ursachen sowie die Folgen von Behinderungensind verschieden. Wir wissen auch, dass Behinderten-politik in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild der all-gemeinen Lebensbedingungen, der sozioökonomischenEntwicklung und der Gesamtpolitik eines Staates dar-stellt. Um alle Behinderungen, und hier meine ich vorallem gesellschaftlicher Art, zu beseitigen und somit denMenschen mit Behinderungen eine Integration in dieGesellschaft verbessert zu ermöglichen, ist es nach Auf-fassung der PDS-Fraktion notwendig, ein eigenständigesLeistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen zuschaffen, welches steuerfinanziert sein sollte, auch so,wie Sie es hier gefordert haben. Dies, meine Damen undHerren, leistet der jetzt zur Diskussion stehende Entwurfdes SGB IX nicht.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, Zielstellungdes Gesetzes ist es angeblich, solche Probleme wie

1. die Förderung der Selbstbestimmung und gleichbe-rechtigten Teilhabe behinderter Menschen am gesell-schaftlichen Leben zu beschleunigen,

2. die Umsetzung des Benachteiligungsverbots des Grund-gesetzes Artikel 3 Abs. 3 im Bereich der Sozialpolitikzu realisieren,

3. das Behindertenrecht zusammenzufassen und weiter-zuentwickeln. Weiterhin sollten gelöst werden

4. die Bürgernähe und die verbesserte Effizienz derSozialleistung zur Teilhabe auf der Grundlage gemein-samen Rechts zu realisieren,

5. die Weiterentwicklung der Teilhabe behinderter Men-schen und von Behinderung bedrohter Menschen amArbeitsleben zu fördern und letztens

6. die Anerkennung der Gleichbehandlung der Gebär-densprache im Sozialrecht zu lösen.

Bei näherem Hinsehen, meine Damen und Herren, wirdaber einiges deutlich. Das SGB IX hat das Hauptziel, nichtdie umfassende selbstbestimmende Teilhabe behinderterMenschen in der Gesellschaft zu lösen, es geht vielmehrum eine möglichst weit reichende Verwertung der Arbeits-kraft behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Umnicht mehr geht es hier. Das wird an verschiedenenPunkten deutlich, auf die ich später noch eingehen werde.

Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion ist derMeinung, dass in den letzten Jahren das Selbstverständnisvon Menschen mit Behinderungen grundsätzlich geändertwurde und sich auch gewandelt hat. Frau Arenhövel istja hier schon darauf eingegangen. Im Mittelpunkt stehtnicht mehr die Fürsorge und die Versorgung, sondern dasselbstbestimmende Leben, die selbstbestimmende Teilhabeam gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung derHindernisse in der Gleichberechtigung und Chancen-gleichheit. So rechnen wir es der rotgrünen Koalition alspositiv an, dass in dem vorliegenden SGB IX guteInhalte vorgelegt wurden. Gleichzeitig bedaure ich es aberauch, dass die umfassende Teilhabe am gesellschaft-lichen Leben nicht im erforderlichen Maße umgesetztwurde. Zu kritisieren ist auch, dass der von vielen Seitengeforderte Wegfall des Nachrangs der Eingliederungs-hilfe nicht umfassend umgesetzt wurde. Den Verbändenwurde zugesagt, dass die Rehabilitationsleistungen derSozialhilfe, die Bedürftigkeit der behinderten Menschenund ihrer Unterhaltspflichtigen nicht geprüft werden. Diesegroßen Erwartungen wurden leider durch den § 7 - Vor-behalt abweichender Regelungen - des vorgelegten Gesetz-entwurfs relativiert, denn es soll grundsätzlich am ge-gliederten System der Rehabilitationsträger festgehaltenwerden. Das bedeutet, dass Leistungen der Einglie-derungshilfe nach dem BSHG geprüft werden müssen,ob noch andere Sozialleistungsträger eventuell zustän-dig sein könnten. Das heißt, dass das jetzige System derBehindertenhierarchie, die auf der Grundlage der Artund Ursache von Behinderungen basiert, erhalten wird.Diese unterscheidet zwischen Geburtsbehinderten, Berufs-behinderten und Kriegsgeschädigten, also, um es ganzpolemisch zu sagen, zwischen Bettlern und Königen derBehinderten. Verstärkt wird dieses Herangehen auchdurch den vorgelegten Artikel 15 - Änderung des Bundes-sozialhilfegesetzes -, in dem es heißt - ich darf zitieren,

2990 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Frau Präsidentin: "Ein Anspruch auf Eingliederungs-hilfe besteht nicht, wenn gegenüber dem Rehabili-tationsträger nach § 6 Nr. 1 bis 6 SGB IX ein Anspruchauf gleiche Leistungen besteht." Der Nachrang, meineDamen und Herren, wird hier sogar noch einmalverfestigt, wobei aber nicht so sehr die Gliederung bzw.die Abstufung des Leistungssystems das eigentlicheProblem ist. Das eigentlich Diskriminierende ist dieBedürftigkeitsprüfung und die Unterschiedlichkeit derLeistungskataloge der einzelnen Sozial- bzw. Reha-bilitationsträger. Besonders problematisch ist es, dassgerade Menschen mit geistiger und/oder Mehr-fachbehinderung Hilfen nach §§ 15 und 19 Eingliederungs-verordnung erhalten, nicht von Artikel 15 des Sozial-gesetzbuches IX erfasst werden und somit den Zugriffdes Sozialhilfeträgers auf die Kosten zur Hilfe des Lebens-unterhalts und auf die Kosten für die jeweilige Einrichtungbeschränken. Diese Menschen werden auch weiterhin anden Kosten zum Lebensunterhalt als auch an den Kostender Eingliederungshilfe beteiligt. Dies trifft insbesonderedie so genannten Schwächsten und vor allem auch denFörderbereich der Werkstätten für Behinderte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer sich dieMühe gemacht und den über 175 Seiten umfassendenGesetzentwurf gelesen hat, weiß, dass die Begriffsbe-stimmungen bzw. Definitionen für Behinderung, Teil-habe und Rehabilitation nicht eindeutig definiert sind.Hier hat der Gesetzgeber, so denken wir, seine Hausauf-gaben noch zu erledigen. Genau auch dies kam in deröffentlichen Anhörung am 19. und 20. Februar, also amMontag und Dienstag der letzten Plenarwoche des Thü-ringer Landtags, als dieser Antrag nicht auf die Tagesord-nung kam, im Deutschen Bundestag durch die Anzu-hörenden ganz deutlich zum Ausdruck. Auch wir alsPDS-Fraktion fordern eine eindeutige Begriffsklarheit.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einenPunkt der Kritik nennen, und zwar die tatsächliche Siche-rung des Vorrangs der ambulanten Hilfen. Für Men-schen mit Behinderungen, die auch noch Leistungen derPflegeversicherung in Anspruch nehmen müssen bzw.wollen, stellt dies ein wichtiges Problem dar. Das SGBXI - das Pflege-Versicherungsgesetz - ist zwar nichtTrägerin der Rehabilitation, aber in der Sache eng damitverknüpft. Wir sind der Auffassung, und das hat auchbereits die erwähnte Anhörung im Februar gezeigt, dasses hier eine genau definierte Abgrenzung der verschie-densten Sozialgesetzbücher geben muss, da Rehabili-tation und Pflege nicht immer klar zu trennen sind. Wiees sich auch hier im Thüringer Landtag gezeigt hat, alsich zur Ausübung meines Mandats Assistenz benötigte,hat genau diese Frage eine Rolle gespielt. Würde das SGBIX diese Frage nicht klären, hätte es einen Teil seinerrechtlichen Ordnungsaufgaben verfehlt, also hier bestehtnotwendiger Handlungsbedarf. Besonders ambivalentscheint in diesem Zusammenhang der neue § 40 a desBundessozialhilfegesetzes zu sein, der einerseits Einrich-tungen der Behindertenhilfe, Pflegeleistungen im Sinne

des § 43 a SGB XI, also des Pflege-Versicherungsgesetzesumfasst und bei einer hohen Pflegebedürftigkeit eineHeimeinweisung unter Beachtung der Angemessenheitzur Folge haben kann. Wir sehen in diesem Zusammen-hang die dringende Aufgabe, dass der nach § 3 a BSHGexistierende Kostenvorbehalt von ambulanten gegenüberstationären Hilfen entfallen muss. Hierin kommt derrelativ zynische Grundansatz zum Ausdruck, dass derMensch, und gerade der, der auch noch behindert ist, untereinen inhumanen Finanzierbarkeitsvorbehalt gestellt wird.In dieser Ökonomisierung des Menschen kommt grund-sätzlich zum Ausdruck, dass das SGB IX seinen Schwer-punkt in der Eingliederung behinderter Menschen in dieArbeitswelt hat, wie ich bereits schon erwähnt habe. Be-sonders deutlich wird dies an den aus dem Schwerbe-hindertengesetz diskriminierenden Regelungen, dass demBetroffenen sämtliche Leistungen entzogen werdenkönnen, wenn ein zumutbarer Arbeitsplatz oder eine zu-mutbare Fördermaßnahme abgelehnt wird. Die Diskrimi-nierung fängt hier bei der praktischen Einschätzung an.Was ist denn nun zumutbar? Damit habe ich persönlichleider auch schon meine "besten" Erfahrungen machendürfen, als ich als Ingenieur einen Posten als Pförtnerangeboten bekam und meinen Job als Sachbearbeitereine Kellnerin bekam.

Sehr geehrte Damen und Herren, die einzelnen Artikelund Paragraphen wären in ihrer Gänze noch zu bewer-ten und zu kritisieren. Die PDS-Fraktion wird in dennächsten Wochen mit den Thüringer Behindertenver-bänden und Selbsthilfegruppen zu diesem Gesetzent-wurf noch ein intensives Gespräch führen und Änderungs-vorschläge vorlegen, die die Landesregierung in einerBundesratsinitiative einbringen möge und dies auchsinnvollerweise muss.

Die PDS-Fraktion äußert ihre Kritik daran, dassfolgende Punkte nicht realisiert wurden:

1. Ein seit über 30 Jahren gefordertes steuerfinanziertesLeistungsgesetz wurde durch die jetzige Bundesregie-rung nicht geschaffen.

2. Es wurde kein einheitliches Behindertenrecht mit derPriorität des selbstbestimmten Lebens, der selbstbe-stimmten Teilhabe in allen Bereichen vorgelegt.

3. Die auch durch die großen Verbände geforderteHerauslösung der Eingliederungshilfe für Menschen mitBehinderung wurde nicht realisiert - und genau dies be-lastet die Kommunen finanziell insbesondere.

4. Die schwächste Gruppe der Menschen mit Behinde-rung, die Geistig- und Mehrfachbehinderten und ihreAngehörigen werden von diesem Gesetz keinen Nutzenhaben.

5. Die Ungereimtheiten zwischen Pflege- und Sozial-hilfe wurden nicht abgebaut.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2991

6. Die Finanzierungs- und Zuständigkeitsproblemezwischen Ländern und Kommunen, also zwischenüberörtlichen und örtlichen Trägern der Sozialhilfe wur-den keiner tragfähigen Lösung zugeführt.

7. Es droht durch den vorliegenden Gesetzentwurf wei-terhin eine massive Begriffsunklarheit über Behinde-rung, selbstbestimmte Teilhabe und Rehabilitation.

Ich fasse noch einmal ganz kurz zusammen: Meine sehrgeehrten Damen und Herren, diese Kritiken werden Sieso oder in ähnlicher Form von der CDU - Frau Arenhövelhat ja nun vor mir gesprochen -, aber auch von Teilender SPD, Teilen der Grünen und von den Sozial-,Behindertenverbänden sowie Selbsthilfegruppen hören.Aber dabei darf es aus meiner Sicht nicht bleiben. Esmüssen die Kräfte gebündelt werden, um diesen unzu-reichenden und an den Bedürfnissen behinderter Menschenvorbeigehenden Gesetzentwurf zu beeinflussen und auchzu verbessern, dass das neu zu schaffende SGB IX - dasSozialgesetzbuch der Behinderten - auch den Namenverdient, der mit der Überschrift "Rehabilitation undTeilhabe behinderter Menschen" vorgetäuscht wird. DasSGB IX muss so geändert werden, dass der Paradigmen-wechsel in der Behindertenpolitik auch in dem Sozial-gesetzbuch der Behinderten durchgängig zu erkennen ist.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächster Redner hat sich Abgeordneter Wolf, CDU-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordneter B. Wolf, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir disku-tieren heute hier im Parlament über das Sozialgesetz-buch IX, ein Gesetzentwurf, der im Bundestag einge-bracht ist und jetzt auch schon im Bundesrat inzwischeneingebracht wurde. Ich würde mir wünschen, dass dieDiskussion zu diesem Gesetzbuch nicht nur in den Par-lamenten stattfindet, sondern auch in einer breiten Öffent-lichkeit und vor allen Dingen auch in den Medien, denn175 Seiten Gesetzestext sind die eine Seite. Dort kannman sicherlich das eine oder andere im Interesse derBehinderten regeln, aber die Integration und die Ak-zeptanz von Menschen mit Behinderung in der Öffent-lichkeit lässt sich nicht mit 175 Seiten Gesetzestext regelnund da wäre ich ganz dankbar, wenn doch eine öffent-liche und breitere Diskussion zu diesem Thema statt-finden würde.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Nothnagel ist zu Beginn seiner Rede auf denTermin der Einbringung des Antrags der PDS hier in denThüringer Landtag eingegangen. Ich sage, im Februarwar es zu früh und es war vor allen Dingen der falsche

Ort. Auch das hat der Kollege Huster aus Ihrer Fraktionschon festgestellt. Aber ich kann trotzdem hinzufügen,vieles von dem, was Sie hier vorgetragen haben, wirdauch von Seiten der CDU begrüßt. Auch das, was vonIhrer Seite als Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurfvorgetragen wurde, aber es bleibt trotzdem, es ist ein Ge-setz, was zwar Rechte festschreibt - ein Anspruchsgesetz -,aber an der Festschreibung der Leistungen, da lässt sichdas Gesetz doch sehr deutlich messen. Und da sage ich,hat es noch sehr viele Defizite. Aber, da ist der ThüringerLandtag eigentlich nach meinem Dafürhalten die falscheAdresse.

Hilfe zum Leben für Menschen mit Behinderung: Sobreit wie die Palette der möglichen Behinderungen, derBeeinträchtigungen des Lebens ist, so breit muss und sollauch - daher auch sicherlich die 175 Seiten Gesetzestext -bei diesem ersten Versuch die Möglichkeit der Regelungsein, um Behinderten die Möglichkeit des Lebens mitihrer Behinderung zu geben. Dazu gehören auch dieFragen der Rehabilitation, die Hilfe zum selbstbestimmtenLeben, die Eingliederung oder Wiedereingliederung vonbehinderten Menschen, aber auch die Integration undWiedereingliederung in das Berufsleben. Denn auch zueinem Leben in der Gesellschaft gehört die Integrationin das Berufsleben. Das Gesetz selbst hat sich in seinerEinleitung ein großes Ziel gesetzt. Behinderte Menschensollen zu selbstbestimmten Individuen mit exakt be-schriebenen rechtlichen Ansprüchen kommen. Das ist einhohes Ziel und dem wird das Gesetz in der vorliegendenForm noch nicht gerecht, obwohl es ein Weg ist, derbeschritten wird, der in die richtige Richtung führt. Aberdas Gesetz hat sicherlich noch eine ganze Reihe vonMängeln, die auch schon von den Vorrednern vorge-tragen wurden, deswegen will ich jetzt hier nicht nocheinmal alles wiederholen. Das größte Problem ist sicher-lich, dass man eine Reihe von Ansprüchen festschreibt,aber nicht genau definiert, wer denn nachher die Leis-tungsstelle für diese Ansprüche ist und vor allen Dingen,wer das alles zu bezahlen hat. Wobei es mir immerschwer fällt, bei Menschen, die mit Behinderungen lebenmüssen, darüber zu reden, wer denn nachher am Endezahlen soll, um ihnen ein menschenwürdiges Leben zuermöglichen. Trotzdem halte ich es bei einem Gesetz mitdiesem Anspruch für notwendig, dass auch diese Dingedann geregelt werden. Ich suche z.B. auch Regelungen imGesetz, die Menschen mit chronischen Krankheiten be-treffen. Es ist leider bei der einen oder anderen chro-nischen Krankheit der Übergang zu einer Behinderung sehrfließend. Auch da gehören nach meiner Meinung Rege-lungen in ein Gesetzeswerk, das sich diesem Anspruchstellt. Aber sicherlich sollten wir im Facharbeitskreisüber diese Problematik an der einen oder anderen Stelleauch in Zukunft noch intensiv reden. Ich wünsche mir,dass die Diskussion dort intensiv weitergeführt wird, wodie Entscheidungen in den nächsten Wochen und Mo-naten fallen werden; das ist der Bundestag und das ist derBundesrat. Ich gehe davon aus, dass auch von Seiten derCDU noch der eine oder andere Änderungsantrag einge-

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bracht werden wird, der in die richtige Richtung geht. Ichglaube auch, dass ein breiter Konsens zwischen denpolitischen Parteien vorhanden ist, denn wir alle habenein gemeinsames Ziel, dass behinderten Menschen einmenschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft mög-lich wird. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Frau Abgeordnete Bechthum, eine Redemeldung wirddas, ja? Dann bitte schön.

Abgeordnete Bechthum, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich weißnicht, Frau Arenhövel, warum Sie einen immer wiederso reizen müssen, dass man zum Widerspruch einfachhier aufgerufen ist. Warum müssen Sie hier wieder dar-stellen, die CDU-Fraktion hat diesen Antrag gestellt.Wir waren es alle drei gemeinsam und hier sollte keinersagen, ich habe hier ein Stückchen zu viel. Ich denke,Herr Nothnagel hätte das meiste Recht zu sagen, er wares eigentlich in erster Linie.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Warum macht man das - ich weiß nicht - in der Behinder-tenpolitik? Das fand ich auch so gut in der Bundes-tagsdebatte, dass man sich, bis auf kleine Nuancen, auchin diesem gemeinsamen Entschließungsantrag einig war.Und dass es unsere Vertreter dort sein müssen, die nocheine ganze Menge erreichen müssen, das erwarten wir,glaube ich, auch alle. Ich muss dann aber doch noch einmaletwas dazu sagen, wie ist es im Landtag zu diesem ge-meinsamen Antrag gekommen? Ich finde es ganz wun-derbar, dass wir dazu in der Lage sind. Wir haben diesesaußerparlamentarische Bündnis in Thüringen, in dem dieBehindertenverbände, interessierte Verbände und auch Ein-zelpersönlichkeiten sind, die auch die Kontakte zumLandtag suchen. Sie waren in allen Fraktionen, siewaren auch am Ende des Jahres hier im Landtag undhatten alle Vertreter mit eingeladen. Ja, da waren andiesem Tag Maik Nothnagel und ich dabei. Von derCDU-Fraktion war keiner gekommen. Man fragte,

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Warumregen Sie sich dann auf?)

was ist denn mit dem Kasten mit Unterschriften gesche-hen, der an die Landtagspräsidentin überreicht wurdeund mit dem Brief, der an die Landtagspräsidentin undauch an die Fraktionen gerichtet worden ist. Wir wollenauch ein Gleichstellungsgesetz hier in Thüringen haben.Es war keine Antwort gekommen. Und das hat dannunsere Fraktion im Ältestenrat mit aufgenommen, wieweiter jetzt hier mit diesem Brief und auch mit demweiteren Verfahren. Darauf hat die Landtagspräsidentin

die Behindertenfachsprecher von allen Fraktionen ein-geladen und es war auch ein gutes Treffen, und so ist derAntrag auch zu Stande gekommen. Das kann man dochmal stolz sagen, dass es auch Gemeinsamkeiten in diesemLandtag gibt. Dass sich das nur immer einer auf dieFahne schreiben will, das finde ich nicht gut. Wir werdenim Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit diesegemeinsame Anhörung machen. Ich denke auch, da wirdeiniges dabei herauskommen. Ich will das, was hierMaik Nothnagel berechtigt an Mängeln genannt hat, nichtnoch einmal aufzählen. Es sind viele Sachen, die nochumzusetzen sind. Ich hoffe eigentlich, dass das Mach-bare sowohl im Bundestag von der Bundesregierung undauch hier dann im Landtag umgesetzt wird. Das sindmeine Hoffnungen und deshalb bin ich da eigentlich frohenMutes. Danke.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Aus der Mitte des Hauses ist mir jetzt noch die Rede-meldung von Frau Abgeordneter Thierbach signalisiertworden. Habe ich etwas übersehen? Nein, dann FrauAbgeordnete Thierbach.

Abgeordnete Thierbach, PDS:

Herr Minister, ich beiße erstens nicht. Zumindest sucheich mir das manchmal aus, wo es notwendig ist. Und ichglaube, genau hier ist es die falsche Stelle. Ich möchtenämlich an etwas erinnern. Es gibt den wunderschönenEntwicklungsweg einer Aktion Sorgenkind zu einerAktion Mensch. Ich habe lange darüber nachgedacht,warum eine Umwidmung durch die Betroffenen erstrittenworden ist zu diesem Thema. Ich glaube, bei aller Emo-tionalität in diesem Landtag, wir brauchen uns nichtstreiten, ob es im Februar besser gewesen wäre oder imMärz. Wir brauchen uns nicht streiten, wer 16 Jahre etwasgetan hat oder nicht.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Oderwer 40 Jahre nichts getan hat.)

Wir brauchen uns auch nicht zu streiten, ob wir nun nochetwas bewegen wollen oder nicht. Ich glaube, im LandeThüringen haben wir eine Verantwortung, die sich aus derProblematik SGB IX ergibt. Ich mache den Rückgriff zuunserer Thüringer Verfassung, auf die wir im Gleich-stellungsgebot stolz waren. Es war sogar noch in Bezugauf den Bundestag viel moderner und schneller ge-gangen. Aber wir können genau diese Argumentation,Frau Arenhövel, die Sie hier reinschmeißen, weil man einElement gut findet, die anderen aber nicht, nun nicht ein-mal sagen, wer hat denn nun Recht bei der Behin-dertenpolitik. Lasst es doch die Betroffenen, die, die mitdiesen Regelungen leben müssen, die wir als Politikerbrauchen, nun endlich tun. Lassen wir zu, dass sie unssagen, was sie unter Selbstbestimmtheit verstehen. Welche

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2993

Regelungen sie brauchen, um tatsächlich gleichbe-rechtigt am Leben teilnehmen zu können, und streitenwir uns nicht, wann, wer, was gebracht hat. Wie sieht esdenn aus mit dem Landesspielraum nach SGB IX? Gibtes denn tatsächlich nur "nach" SGB IX? Sollten wirnicht alle überlegen, ob es ein "schon" gibt ohne SGBIX? Wo sind dort unsere Aktivitäten gewesen, um tat-sächlich unser Gleichstellungsgebot in der Verfassung soumzusetzen, wie es entsprechend der Landesebene dierechtliche Möglichkeit ist? Wo ist unser Gesetz für denNachteilsausgleich? Wo ist unser Gesetz über die Aner-kennung der Gebärdensprache? Wo ist unser Gesetz überdie Gleichstellung von Menschen mit Behinderung? Ichhoffe, Frau Arenhövel, Sie haben es gehört. Ich frageimmer: Wo ist unser Gesetz? Wenn wir endlich anfangen,wenigstens bei diesem Problem uns einmal so zuverhalten, dann würden wir nicht bei Menschen mitBehinderung den Eindruck erwecken, als wenn Abge-ordnete nur für sich arbeiten würden und ab und an aucheinmal für Menschen mit Behinderung ein Wort, ein Ohr,vielleicht auch einmal eine Aktion starten können undsie vielleicht auch einmal hier mit teilhaben können. Wennwir diesen Zustand überwunden haben, dann können wirdavon reden, dass Selbstbestimmtheit tatsächlich mit selbenAgieren für die Menschen im Gesetz geregelt ist. Da hatdas Land noch sehr viel zu tun.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es sind keine weiteren Redemeldungen angezeigt, so dassich die Aussprache zu diesem Bericht schließen kann undich stelle fest, dass das Berichtsersuchen gemäß § 106Abs. 2 der Geschäftsordnung erfüllt ist, wenn keinWiderspruch angemeldet wird. Das wird nicht getan.Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3 und kommezum Aufruf des Tagesordnungspunkts 4

Erhöhung der Brandsicherheitin WohnungenAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/1338 -

Die einreichende Fraktion hat keine Begründung ge-wünscht, demzufolge komme ich zur Aussprache überdiesen Antrag und rufe als ersten Redner HerrnAbgeordneten Wetzel, CDU-Fraktion, auf.

Abgeordneter Wetzel, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrteGäste, in der Drucksache 3/1338 liegt uns ein Antragder SPD-Fraktion zur Erhöhung der Brandsicherheit inWohnungen vor. Sie fordert zur Erhöhung der Brand-sicherheit den Einbau von Rauchmeldern in Wohnungenin der Thüringer Bauordnung festzuschreiben und es sollschnellstmöglich eine entsprechende Gesetzesnovelle zurLandesbauordnung zur Beschlussfassung dem Hause vor-

gelegt werden. In der Novelle soll auch die Nachrüstungdes vorhandenen Wohnungsbestandes verankert werden.Die SPD-Fraktion begründet es damit, dass man Brändeeher merkt und damit die Brandfolgen mindert undMenschenleben gerettet werden. Die Folgekosten einesWohnungsbrandes sind zwar höher als der dazu tech-nische Aufwand des Beschaffens und Einbaus einesRauchmelders, jedoch könnte man gesetzlich nichtirgendein Billiggerät festlegen, da sich Mindestanfor-derungen dann schon notwendig machen. Preisliche Unter-schiede der im Handel vertriebenen Geräte zwischen 50und 3.500 DM sprechen Bände in diesem Bereich. Nun,sicher würden wir auch einige Arbeitsplätze damit schaf-fen, die das Ganze zum Schluss wiederum kontrollieren.

Meine Damen und Herren, im Angesicht solcher Ka-tastrophen, wie sie beim Brand vor einigen Wochen inErfurt, bei dem Menschenleben und auch noch KinderOpfer von Flammen wurden, lassen uns immer wiederdarüber nachsinnen, wie etwa solches generell zu ver-hindern wäre. Meistens fällt uns dabei auch immer etwasdazu ein. Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Mitte Februar diese Drucksache mit den Rauch-meldern; einigen anderen Damen und Herren, gerade jetztein Gentest für 40 Mio. deutsche Männer zu fordern. Ichdenke, die Bundes- und Landesbauordnungen sindvoller Vorschriften und Behinderungen. Das soll sich inden nächsten zwei Jahren grundlegend ändern. DieBundesbauordnung wird derzeit gerade von der Länder-arbeitsgruppe überarbeitet und nach deren Entwurfvorlagesoll dann die Landesbauordnung novelliert werden. EineLandesbauordnungsnovelle soll aber keine zusätzlichenVorschriften und Komplizierungen, sondern eben geradeeine Verringerung der Vorschriften, eine Vereinfachung,eben einen Weg der größeren Eigenverantwortung derBürger zur Folge haben. Natürlich sind Rauchmelder einezusätzliche Sicherung, doch das sollte vom Einzelnenentschieden werden können und keine Landesgesetz-gebung darüber gelegt werden. Ich lasse mir doch, ichdenke auch eine halbe Millionen Thüringer Bürger,nicht vom Staat vorschreiben oder verbieten, künftig inmeiner Wohnung zu rauchen, denn Thüringen wäre dannein einziger Rauchwarnton früh morgens und abends.Wir sollten uns davor auch hüten, der Suggestion auf-zusitzen, mit Rauchmeldern mehr Sicherheit zu besitzen.Ich denke, die Eigenverantwortung von Eltern sollten wirnicht noch durch mehr Suggestion von mehr Sicherheitsenken. Eine Aufsichtspflicht kann kein Rauchmelder über-nehmen. Ich weiß zwar, dass jeder Vergleich hinkt, aberdazu fällt mir immer der Werbespot ein von ClaudiaSchiffer, die vor zwei Jahren etwa für Airbags geworbenhat. Sie stieg in den Wagen, fuhr gegen einen Gegen-stand, der Airbag ging auf und sie kam schöner und bessergestylt hinter dem Lenkrad wieder vor. Ich denke, jederweiß, der damit schon einmal in Berührung gekommenist, dass das eben so nicht ist, sondern dass man, wennman mit einem Airbag Bekanntschaft macht, eben dochnicht so schön aussieht.

2994 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

(Heiterkeit im Hause)

Ein wirklicher Schutz, denke ich, meine Damen undHerren, ist das Beste, wenn man die Gefahren erkenntund sie kennt. Dazu, denke ich, zählt eine gute Aufklä-rung der Bevölkerung, denn nur wer die Gefahr kennt,kann ihr auch wirksam begegnen. Ich habe in Gesprächenmit dem Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft zudiesem speziellen Thema feststellen können, dass dieThüringer Wohnungsunternehmen jegliche Initiativeihrer Mieter unterstützen werden bei der Aufklärung,aber auch bei der Installation von präventiven Mitteln.Man steht in enger Diskussion mit der Feuerwehr auchhier in Erfurt. Auch die in wenigen Wochen in Suhlstattfindenden Tage der Thüringer Wohnungswirtschaftwerden diesen Prozess thematisieren.

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion lehntdiesen Antrag der SPD-Fraktion ab. Danke für Ihre Auf-merksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als Nächstes hat sich der Abgeordnete Dittes, PDS-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Meine Damen und Herren, die schrecklichen Unglücks-fälle in den ersten Wochen dieses Jahres in Thüringen,bei denen Menschen bei Wohnungsbränden ums Lebengekommen sind, haben zweierlei bewirkt: Sie haben einer-seits den Antrag hier im Thüringer Landtag zur Folge ge-habt, andererseits haben sie natürlich auch einen Umstandwieder in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, nämlichden, dass im Jahr ungefähr 200.000 mal die Feuerwehren inder Bundesrepublik Deutschland zu Brandbekämpfungs-einsätzen ausfahren müssen und dass bei Brändenzwischen 600 und 800 Menschen jährlich ihr Lebenlassen. Feuerwehren, Polizei, aber auch die Verbändeder Wohnungswirtschaft und der Versicherungen habenunabhängig von saisonal unterschiedlichen Situationenangesichts dieser Zahlen jahrelang bereits in der Ver-gangenheit eine umfassende Informationspolitik betrie-ben über Brandvorbeugemaßnahmen, aber auch über dieMöglichkeit technischer Schutzmaßnahmen im privatenUmfeld. Angesichts der folgenden Fakten, die ich auf-führen will, spielt natürlich dabei der Rauchmelder bzw.auch Brandmelder in der Debatte eine besondere Rolle.

Erstens, meine Damen und Herren, zwei Drittel der an-gesprochenen Brandopfer verunglücken bei Wohnungs-bränden in ihren eigenen vier Wänden, und zwar zurNachtzeit, weil sie eben nachts im Schlaf die giftigen undhöchst gefährlichen Schwelbrandgase nicht wahrnehmenkönnen und somit natürlich auch nicht auf entstehendeBrände reagieren können, entweder in der Form die

Feuerwehr selbst zu rufen, das Haus zu verlassen odereigene Aktivitäten zur Löschung des Feuers zu unter-nehmen. In solchen Fällen, darauf weist der BayerischeLandesfeuerwehrverband insbesondere hin, sind Kinderbesonders gefährdet, die demnach fast ein Drittel derBrandopfer ausmachen. Herr Wetzel sagte eben auch schonetwas aus, wo denn die geeigneten Orte in der Wohnungsind, wo Brand- oder Rauchmelder anzubringen sind,nämlich nicht im gänzlichen Wohnbereich, sondernhauptsächlich wohl im Bereich des Schlafens bzw. derKinderzimmer.

Zweitens fallen die meisten Brandopfer nicht den Flam-men selbst zum Opfer, sondern den bereits ange-sprochenen giftigen Rauchgasen, die während der Schwel-brandphase entstehen. Von den Brandtoten sind 95Prozent an den Folgen einer Rauchvergiftung durch ge-ruchlose Gase, wie Kohlenmonoxid oder Kohlendioxidgestorben.

Drittens sprechen internationale Vergleiche auch für dieInstallation von Brandmeldern in privaten Haushalten.So sind z.B. in Schweden 70 Prozent der privaten Woh-nungen mit Rauchmeldern ausgestattet; die Verringe-rung der Brandtoten betrug dort 50 Prozent. In Großbri-tannien sind immerhin 75 Prozent der privaten Haus-halte mit Rauchmeldern ausgestattet; die Verringerungder Brandtoten betrug dort 40 Prozent und in den USA,wo gesetzlich vorgeschrieben ist, dass in jedem Haus-halt mindestens ein Rauchmelder zu installieren ist undes auch in 93 Prozent der privaten Haushalte der Fall ist,ist die Zahl der Brandtoten, der Brandopfer um 40 Pro-zent gesunken.

Meine Damen und Herren, Herr Wetzel, optische Rauch-melder, die bereits für ungefähr 100 DM erhältlich sind,können Leben retten, weil sie eben früh Schwel-brandgase erkennen können, einen Warnton ausstreuenund damit den Betroffenen die Möglichkeit geben, dieWohnung zu verlassen bzw. selbst den Brand zu be-kämpfen. Deshalb, meine Damen und Herren, verschließenwir uns dem Anliegen der SPD-Fraktion in ihrem Antragnicht, obgleich ich ehrlich dazu sage, dass wir uns in derPDS-Fraktion nicht ganz im Klaren darüber sind, ob diegesetzliche Vorschrift in der Thüringer Bauordnung dafürder richtige Weg ist. Mit Sicherheit, meine Damen undHerren, ist aber die kontinuierliche Arbeit aller damitbetroffenen Institutionen und Verbände auch in Zukunftvonnöten, vorrangig natürlich bei der Darstellung vonbrandvorbeugenden Maßnahmen und bei der Informationüber Brandschutzmaßnahmen im privaten Bereich, aberauch natürlich konkrete Werbung für technische Schutz-maßnahmen in privaten Haushalten. Da ist die ange-kündigte Initiative der Thüringer Wohnungswirtschaft,die im Rahmen ihrer Tage der Thüringer Wohnungs-wirtschaft in wenigen Wochen in Suhl gestartet werdensoll. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2995

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als Nächste hat sich Frau Abgeordnete Doht, SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordnete Doht, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, auch inThüringen ist es in jüngster Vergangenheit zu Wohnungs-bränden mit schwer wiegenden Folgen gekommen. AuchMenschenleben, darunter Kinder, waren zu beklagen. DenFamilien und Angehörigen gilt unser Mitgefühl. DieseEreignisse waren aber auch für uns Anlass, uns darüberGedanken zu machen, wie wir die Brandsicherheit inWohnungen künftig verbessern können, um solche tra-gischen Ereignisse auszuschließen. Seitens der Einsatz-und Rettungskräfte vor Ort ist in der Vergangenheit immerwieder darauf hingewiesen worden, dass das Vorhanden-sein von Rauchmeldern die Brandfolgen hätte mindernkönnen; der Brand wäre eher entdeckt worden und dasSchlimmste hätte wahrscheinlich vermieden werdenkönnen. Auch Kinderschutzorganisationen haben in derVergangenheit immer wieder den Einbau von Rauch-meldern in Wohnungen gefordert, denn oftmals sind esgerade Kinder oder ältere Menschen, die aufgrund ihrerKonstitution sich nicht mehr aus eigener Kraft bei einemWohnungsbrand retten können. In Gemeinschaftsein-richtungen, Verkaufsstätten etc. ist der Einbau von Brand-schutzmeldern bzw. Rauchmeldern längst Vorschrift undniemand diskutiert heute mehr darüber, es ist selbstver-ständlich. Mit unserem Antrag fordern wir die Landes-regierung auf, dem Landtag einen Novellierungsvor-schlag für die Thüringer Bauordnung vorzulegen, der diesegesetzliche Pflicht letztendlich auch für Wohnungen fest-schreibt. Der Einbau von Rauchmeldern ist mit geringemtechnischen Aufwand möglich und sie sind auch nichtso teuer. Und selbst, Herr Wetzel, wenn wir von derVermutung ausgehen, dass wir die teuerste Variante mit3.500 DM einbauen, dann ist doch dies ein sehr geringerfinanzieller Aufwand im Vergleich zu den Kosten einesWohnungsbrandes, den Brandfolgen.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Das kanndoch jeder machen.)

Lassen Sie mich zu dem Punkt noch kommen. Genausowie in der Thüringer Bauordnung z.B. Brandschutztürenoder -wände seit langem vorgeschrieben sind, auch hierdiskutiert niemand darüber und sagt, das können sie dochmachen, sollen sie doch machen. In gefährdeten Be-reichen sind Blitzschutzanlagen vorgeschrieben. Warumnicht dann auch diese Rauchmelder in Wohnungen? Wasdie Wartung betrifft, so sehen wir hier nicht unbedingt,dass damit zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden,denn die jährliche Wartung könnte gemeinsam mit der fürdie Heizungsanlagen vorgeschriebenen Wartung erfolgen.Unser Antrag richtet sich nicht nur auf den Neubau, dennentsprechend der Lage am Wohnungsmarkt würde dasdann sicherlich nur einen sehr kleinen Wohnungsbestand

treffen, sondern wir wollen auch, dass sukzessive dervorhandene Wohnungsbestand nachgerüstet wird. Hierzueröffnet ja auch die Bauordnung rechtliche Spielräume.Ich kenne Wohnungsunternehmen, die heute schon dazuübergegangen sind, in den Wohnungen diese Rauchmelderauf freiwilliger Basis einzubauen. Der Verband derWohnungswirtschaft hat ja noch einmal in seiner Presse-erklärung darauf hingewiesen, dass sie bemüht sind, hierVerbesserungen zu treffen. Ich hatte ein Gespräch mit demGeschäftsführer der Architektenkammer Thüringens, derdiesen Vorschlag auch grundsätzlich begrüßt hat. Aberwir können natürlich nicht davon ausgehen, dass es nurdie Wohnungsunternehmen gibt, die das freiwillig tun,sondern wir haben auch andere Vermieter vor Ort. Ich er-wähne hier nur einmal das Beispiel Salzungen. Warumsollen die Mieter, die nun einmal an so einen Vermietergeraten sind, nicht den gleichen Sicherheitsstandard be-kommen wie diejenigen in einem anderen Wohnungsunter-nehmen, das sagt, ich baue von mir aus diese Rauch-melder ein. Aus diesem Grund die Festschreibung in derBauordnung. Herr Dittes, das muss dann hier in derBauordnung erfolgen. Ich wüsste keinen anderen Platz,wo es sonst festgelegt werden sollte.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Deswegenwerden die Bad Salzunger Wohnungen auchnicht wärmer.)

Das ist richtig, Herr Wetzel, aber ich könnte mir vorstel-len, dass dieser Vermieter z.B. seinen Mietern nicht denSchutz angedeihen lässt, von sich aus Rauchmelder ein-zubauen. Im Übrigen werden Sie auch dann in Ihrer Woh-nung noch rauchen können, wenn Sie das unbedingt fürIhre Gesundheit brauchen. Sicherlich sind letztendlichdie Rauchmelder kein Allheilmittel zur Verhütung vonBränden, aber sie tragen doch im großen Umfang dazu bei,dass Brände eher entdeckt werden können, dass dieschlimmsten Folgen vermieden werden können. In diesemSinne bitte ich um Zustimmung für unseren Antrag.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Von den Abgeordneten werden mir keine weiterenRedemeldungen signalisiert, aber vom Innenminister fürdie Landesregierung.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Anlass fürden Antrag der SPD-Fraktion ist die schreckliche Brand-katastrophe in Erfurt vor wenigen Wochen, bei der dreiKinder ums Leben gekommen sind. Tragische Ereignissedieses Ausmaßes führen ja oft dazu, dass darüber nach-gedacht wird, wie in Zukunft Unfälle dieser Art vermiedenwerden können. Der Ruf nach Gesetzesänderungen istdann immer sehr schnell da. Die Frage, ob wir durcheine entsprechende Änderung der Landesbauordnung

2996 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Wohneigentümer verpflichten sollten, in allen WohnungenRauchmelder einzubauen, das ist in Thüringen wie auchin anderen Bundesländern Gegenstand von Petitionen.Diese Diskussion ist überhaupt nicht neu und nicht aufThüringen beschränkt, sondern, wie ich es schon sagte,auch in anderen Ländern Gegenstand von Überlegungen.Die zuständigen Gremien der Bauministerkonferenz habensich in der Vergangenheit mehrfach mit diesem Anlie-gen befasst. Bislang allerdings verpflichtet kein Land inseiner Bauordnung dazu, Rauchmelder in Wohnungeneinzubauen. Auch im Entwurf der gemeinsamen Mus-terbauordnung der Länder ist eine derartige Regelungbisher nicht vorgesehen. Völlig unbestritten ist, und ichglaube, da gibt es hier keine Diskrepanzen, wie die Dis-kussion gezeigt hat, dass Rauchmelder helfen können,Brände rechtzeitig zu entdecken und damit auch Lebenzu retten. Deswegen ist es ratsam, Rauchmelder in Woh-nungen zu installieren, zumal mittlerweile wirksameModelle in einem gar nicht so abstoßenden Design schonzu günstigen Preisen, die unter 100 DM liegen, im Handelerhältlich sind. Davon zu trennen ist aber meines Erach-tens die Frage, ob es geboten ist, den Einbau von Rauch-meldern für Wohnungen gesetzlich vorzuschreiben.

Deshalb lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurzeinige Worte zur Konzeption moderner Bauordnungensagen: Das Sicherheitskonzept der Bauordnung be-trachtet Wohnungen jeweils als eigenständige Einheit.Ein wichtiges Ziel der Brandschutzvorschriften ist es, zuverhindern, das Wohnungsbrände zur Gefahr auch für Be-wohner anderer Wohnungen werden. Die Vorschriftenzum Brandschutz sind deshalb so ausgelegt, dass sichBrände in der Regel nicht oder erst nach längerer Zeit aufandere Wohnungen ausdehnen; deshalb ja auch die Brand-wände bzw. die entsprechenden Türstärken usw. - FrauDoht hat davon gesprochen. Somit beschränkt sich dasProblem vornehmlich auf die Frage, ob ein Bürger gesetz-lich vor Gefahren geschützt werden muss, die er durchin der Regel unsachgemäßen Umgang mit Zündquellenselbst verursacht hat, oder ob wir nicht von unserenBürgern erwarten können, ja sogar erwarten müssen, dasssie sich und damit auch andere im privaten Bereich indem Umfang schützen und sich so verantwortungsvollverhalten wie es angemessen ist. Dies gilt umso mehr,als der Einbau von Rauchmeldern heute schon von jedemgeleistet werden kann und hierfür auch keine Geneh-migungen erforderlich sind. Natürlich wollen wir mehrSicherheit, aber um Kosten bei den Bürgern und auch Ver-waltungskosten zu senken, sollten wir den oft zitiertenmündigen Bürgerinnen und Bürgern auch die notwendigeEigenverantwortung zutrauen.

Das besondere Problem einer gesetzlichen Verpflichtungwäre im Übrigen auch, dass zugleich eine regelmäßigeÜberprüfung der Anlagen vorgeschrieben werden müsste -da hat Frau Doht ja einen Lösungsvorschlag gemacht -,aber zugleich muss man daran denken, dass unter Um-ständen gegebenenfalls nur bestimmte geprüfte zerti-fizierte Anlagen verwendet werden können, die dann

wiederum auch nur von bestimmten Prüfern geprüftwerden könnten usw. usf. Man muss sich das in derpraktischen Umsetzung vorstellen. Damit würden neueStandards gesetzt, weitere Kosten würden verursacht, dieetwa bei vermietetem Eigentum letztlich auf die Mieterumgelegt würden. Nicht praktikabel, Herr Dittes, findeich Ihren Vorschlag oder Ihren Hinweis, dass man ja dieBrandmelder vornehmlich nur in den Schlafräumen derErwachsenen oder Kinder anbringen sollte. Sie wollendoch, bitte schön, einem Mieter nicht vorschreiben, woer in seiner Wohnung die Schlafräume hat. Das wäre dochdas Ergebnis. Wenn der Vermieter in einer Wohnung inden Schlafräumen Brandmelder bzw. Rauchmelder an-bringen würde, wäre schon klar, dass der Vermieter be-stimmt, wo der Mieter seine Schlafräume nun hinbringenmuss. Sie müssen auch mal manche Sachen zu Endedenken bei solchen Vorschlägen und auch Praktikabi-lität testen. Schließlich ist zu befürchten, meine Damenund Herren, dass in Einzelfällen das von Rauchmeldernvermittelte Sicherheitsgefühl zu einem unsachgemäßenUmgang mit Feuer führen kann, dadurch vielleicht erstdie Gefahren verursacht, die verhindert werden sollten.Was wir tun können und sollten, das ist, für den Einbauvon Rauchmeldern zu werben,

(Beifall bei der CDU)

wo immer dieses sinnvoll und möglich erscheint. Daweise ich nur darauf hin, wir hatten im vergangenenJahr mehrere Veranstaltungen der kommunalen Spitzen-verbände. Dort ist, ich glaube, von der Sparkassenversi-cherung extensiv geworben worden für den Einbau vonBrandmeldern. Der eine oder andere Abgeordnete dürftesich ein solches Modell mit nach Hause genommen haben,das einem dort zur Verfügung gestellt wurde. Interessantwäre die Abfrage, wer von Ihnen sich denn dieses Modellan die Zimmerdecke gehängt hat und also schon im vor-beugenden Brandschutz wirksam geworden ist. Frau Dohthat es. Sie geht mit gutem Beispiel voran.

Wir werden ja gerade angesichts der jüngsten Brand-katastrophen weitere Anstrengungen unternehmen, dieRauchmelder im Bewusstsein der Bevölkerung stärkerzu verankern. Die Initiative der Wohnungswirtschaft gehtja in diese Richtung bei ihrer Veranstaltung Anfang Maidieses Jahres. Wichtig ist auch, Vorbeugung und Auf-klärung zu betreiben, um Brände zu vermeiden. Das giltja insbesondere gegenüber Kindern, denn ein nicht ge-ringer Teil der Brände, die dann zu solchen tragischenOpfern führen, wie sie uns vor Augen stehen bei dieserDiskussion, sind ja durch Kinder selbst verursacht. Darumfreue ich mich, dass der Thüringer Feuerwehrverband unddie Sparkassenversicherung Hessen/Thüringen in diesemJahr umfangreiche Aktionen zum Thema "Rauchmelderretten Leben" durchführen werden, wie im Übrigen auchdas Thüringer Innenministerium. Unter anderem sindWerbeaktionen der Thüringer Feuerwehren vor Ort vor-gesehen und für Thüringen wird die bundesweite Feuer-wehraktionswoche, die ebenfalls unter diesem Motto

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 2997

steht "Rauchmelder retten Leben" am 12. Mai diesesJahres an der Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutz-schule in Bad Köstritz eröffnet - ein sowieso merkendesDatum, weil dort die Landesfeuerwehrschule den 10.Jahrestag ihrer Gründung feiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach unsererAuffassung ist dieser Weg, nämlich der Weg des prä-ventiven Brandschutzes durch Aufklärung der Bevölke-rung gegenüber einer gesetzlichen und damit den Bürger jaletztlich bevormundenden Regelung zu bevorzugen. Na-türlich werden auch wir die weitere Diskussion im Rahmender Bauministerkonferenz weiter verfolgen und ich kannbei Gelegenheit dem zuständigen Innenausschuss überden Gang der Dinge berichten. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Weitere Redemeldungen liegen nicht vor, ich kann damitdie Aussprache schließen. Eine Ausschussüberweisungist nicht beantragt worden, so kommen wir zur unmittel-baren Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPDin der Drucksache 3/1338. Wer dem Antrag zustimmt,den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön.Die Gegenstimmen bitte. Das ist die Mehrheit. Und dieStimmenthaltungen? Bei einer Mehrheit von Gegen-stimmen und einigen Stimmenthaltungen ist dieserAntrag abgelehnt. Ich schließe den Tagesordnungspunkt4 und komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 5

Sonderprogramm OstAntrag der Fraktion der CDU- Drucksache 3/1377 -dazu: Entschließungsantrag der

Fraktion der SPD- Drucksache 3/1423 -

Da die Landesregierung den Sofortbericht angekündigthat und die einreichende Fraktion keine Begründung,bin ich jetzt in der großen Verlegenheit in die Reihender Landesregierung zu blicken, damit mir signalisiertwird, wer den Sofortbericht hält. Also, ich nahm an, dassdas der Ministerpräsident tut, der in einer Minute, ineiner Sekunde den Saal betritt. Herr Ministerpräsident,ich bitte Sie um den Sofortbericht.

Dr. Vogel, Ministerpräsident:

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damenund Herren, gelegentlich wird man durch die Schnellig-keit der Arbeitsweise des Thüringer Landtags überrascht.

(Beifall bei der CDU)

Ich bitte um Vergebung, dass ich damit nicht gerechnethatte. Ich möchte mit einem Zitat eines deutschen Philo-sophen beginnen. Er sagt: "Alle Mängel im menschlichen

Leben sind keine Veranlassung zu weinerlicher Klage,sondern eine Aufgabe." In der Tat wir haben meines Er-achtens keinerlei Veranlassung zu weinerlicher Klage. Wirhaben keinen Grund zur Larmoyanz, sondern allen Grundzu Optimismus. Zehn Jahre nach der Wiedervereinigunglässt sich alles in allem eine sehr positive Bilanz ziehen.Dank außergewöhnlicher Leistungen und Anstrengungender Menschen in den jungen Ländern und Dankaußergewöhnlicher Unterstützung aus den alten Ländernsind wir auf dem Weg zu vergleichbaren Lebensbe-dingungen ein gutes Stück vorangekommen.

(Beifall bei der CDU)

Es vollzieht sich für jeden sichtbar ein konsequenterStrukturwandel. Unser Freistaat beispielsweise hat nachder Konjunkturdatenanalyse der IHK Erfurt im IV. Quartal2000 sehr erfreuliche Wirtschaftsdaten zu verzeichnen.Seit Januar 2000 hat sich die Inlandsnachfrage um 9Prozent erhöht und die Auslandsaufträge sind sogar um35 Prozent gestiegen. Bei der Bruttowertschöpfung imarbeitenden Gewerbe lag Thüringen mit einer realenSteigerung um 11,3 Prozent höher als alle anderen Länderder Bundesrepublik Deutschland. Die IHK Erfurt rechnetim Jahre 2001 mit rund 12.000 neuen Arbeitsplätzen in derIndustrie. Gleichwohl, so erfreulich diese Perspektivenauch sind, die Schere zwischen Ost und West, die sichin den Jahren 1994 bis 1996 langsam zu schließen begann,geht seit einigen Jahren wieder auseinander. Die wirt-schaftliche Entwicklung in den jungen Ländern bleibthinter der wirtschaftlichen Entwicklung in den alten Län-dern zurück. Dafür drei Beispiele: Das Wirtschafts-wachstum betrug in den alten Ländern im Jahr 2000 3,4Prozent, in den jungen Ländern 1,3 Prozent. Die Bun-desregierung erwartet für dieses Jahr - also für 2001 -ein reales Wachstum von durchschnittlich 2,75 Prozent,einen Durchschnitt, den wir in den jungen Ländern allenFachgutachten zufolge auch nicht annähernd erreichenwerden, zumal nach jüngsten Prognosen, wie Sie allewissen, die Wachstumszahlen weiter nach unten korri-giert werden müssen. Und Drittens und vor allem ist dieunterschiedliche Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Ostund West beunruhigend. Die Arbeitslosigkeit betrug imFebruar in der gesamten Bundesrepublik 10,1 Prozent.Im Westen betrug sie 8 Prozent, im Osten 18,9 Prozent.Diese drei Zahlen sagen im Grunde alles aus. Und eskommt hinzu, dass seit dem Februar 2000 die Arbeits-losigkeit im Westen um 6,2 Prozent abgenommen hatund die Arbeitslosigkeit im Osten zugenommen hat. DieserTrend ist gefährlich und dieser Trend darf sich nicht fort-setzen; dieser Trend muss gestoppt werden. Deswegenmuss es vorrangiges Ziel bleiben, durch eine Verbesse-rung der Infrastruktur die Rahmenbedingungen zu schaf-fen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen und die be-drohliche Abwanderung vor allem von Fachkräften undvon jungen Leuten zu stoppen. Wenn wir eine An-gleichung der Lebensverhältnisse erreichen wollen, müssenwir schneller wachsen als der Westen.

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(Beifall bei der CDU)

Das ist der Grund, meine Damen und Herren, warum ichein Sonderprogramm Ost vorgeschlagen habe - ein Pro-gramm, das für die Jahre 2001 bis 2004 ein Volumenvon insgesamt 40 Mrd. DM umfasst, also 10 Mrd. DMpro Jahr, und das gezielt im infrastrukturellen Bereichansetzt - nicht im investiven Bereich, im infrastruktu-rellen Bereich. Wegen dieser Zielsetzung ist es ein Pro-gramm, das logischerweise vom Bund finanziert werdenmuss, denn er ist der Träger der gesamtstaatlichen Verant-wortung zur Beseitigung der teilungsbedingten Schädenund nicht die Geschädigten dürfen die Last dazu tragen,sondern die Gesamtgemeinschaft der Deutschen.

(Beifall bei der CDU)

Es geht vor allem darum, Maßnahmen zu verwirklichen,deren Planungen bereits abgeschlossen sind. Es nütztuns gar nichts, neue Ideen in die Welt zu setzen und diedrei Jahre zu planen und dann im vierten Jahr vielleichtdamit zu beginnen, sondern Maßnahmen, die sofort be-gonnen werden können. Zusätzliche und schnell wirk-same Impulse zur Verbesserung der Standortqualität Ostist erforderlich. Und wir brauchen dieses Sonderpro-gramm jetzt für die letzten vier Jahre des Solidarpakts I,nämlich für 2001, 2002, 2003 und 2004. Alle Verhand-lungen über den Länderfinanzausgleich ab 2004 und fürden Solidarpakt ab 2005 sind davon nicht betroffen, diegehen selbstverständlich weiter, und zwar so, wie siekonzipiert und wie sie in der Gemeinschaft der Länderund insbesondere der ostdeutschen Länder angelegt sind.Wir fordern den Bundeskanzler und die Bundesre-gierung auf, jetzt etwas zu tun, weil jetzt die Schereauseinander geht, zumal der Bundeskanzler den AufbauOst ausdrücklich zu seiner Sache und ausdrücklich zurChefsache gemacht hat.

Ich habe, meine Damen und Herren, fünf konkrete Pro-jekte benannt, alle mit dem Ziel, die Infrastruktur in denjungen Ländern zügig zu verbessern.

Das erste Projekt, Investition in den Ausbau der Ver-kehrsinfrastruktur: Hierfür haben wir im Programm ins-gesamt 18 Mrd. DM, das heißt 4 mal 4,5 Mrd. DM, vorge-sehen. Das ist erforderlich, um den beschleunigten Ausbauder Schienenverbindungen, der Autobahnen und der Bun-desstraßen einschließlich der notwendigen Ortsumgehun-gen zu realisieren und insbesondere, um die begonnenenVerkehrsprojekte Deutsche Einheit schnell voranbringen zukönnen. Das ist das erste Projekt.

Das zweite Projekt, die Schaffung einer Infrastrukturpau-schale, nicht einer Investitionspauschale, einer Infrastruktur-pauschale zur Verbesserung der kommunalen Infrastrukturin Höhe von 8 Mrd. DM, das heißt 4 mal 2 Mrd. DM. Wirwollen damit Investitionen in die kommunale Infrastrukturermöglichen, beispielsweise nach dem Gemeindever-kehrsfinanzierungsgesetz. Die Kommunen sollen in die

Lage versetzt werden, die Cofinanzierung zu sichern.Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel des kommunalenStraßenbaus. Viele Gemeinden sind eben nicht in derLage, den 75-prozentigen Investitionszuschuss in An-spruch zu nehmen, weil sie die restlichen 25 Prozentnicht bereitstellen können.

Das dritte Projekt soll ein Pilotprojekt zum Abbau regionalspezifischer Defizite in Höhe von 8 Mrd. DM sein, 4mal 2 Mrd. DM. Es soll zur Beseitigung besonders gra-vierender regionaler Missstände dienen, z.B. für Städte-bauförderprojekte und Vorhaben der wirtschaftsnahen In-frastruktur und der Technologieeinrichtung. Für Thüringennenne ich als Beispiel den Raum Artern und den RaumAltenburg, füge allerdings immer hinzu: Was wir als be-sonders benachteiligt bewerten, ist in dem an Artern an-grenzenden Land die Regel. Die Arbeitslosigkeit vonArtern ist für Thüringen extrem hoch, für Sachsen-Anhaltist sie der Durchschnitt. Ähnliches gilt für die Tatsache,dass im Raum Altenburg sächsische Arbeitslosenverhält-nisse herrschen und leider keine, wie wir sie im Schnittin Thüringen haben.

Das vierte Projekt ist die Bildung von Innovations- undKompetenzzentren und die Förderung des wissenschaft-lichen Nachwuchses. Hierfür sind 4,6 Mrd. DM von unsvorgeschlagen, das heißt 4 mal 1,15 Mrd. DM. Damitsoll der Nachteil beseitigt werden, dass wir kaum Groß-unternehmen und schon gar nicht deren Forschungs-abteilungen in den jungen Ländern besitzen und dassdeswegen Nachwuchs in den jungen Ländern nachhaltigauf andere Weise eben durch die Bildung dieser Innova-tions- und Kompetenzzentren gefördert werden soll.

Und das fünfte Projekt dient einer Verbesserung der Labor-ausstattungen allgemein bildender und berufsbildenderSchulen. Dafür haben wir 1,4 Mrd. DM geplant, 4 mal 360Mio. DM. Ziel ist, das Ausstattungsniveau der Schulen inden jungen Ländern dem Ausstattungsniveau derwestdeutschen Schulen anzugleichen. Es sollen jungeMenschen bereits während der Schulausbildung fürtechnische und naturwissenschaftliche Fächer interessiertwerden, um dadurch langfristig dem Mangel in technischenBerufen entgegenzuwirken.

Das sind die fünf Projekte mit einem Gesamtvolumenvon 40 Mrd. DM. Weil wir keine Rückkehr zur Finanz-politik von Oskar Lafontaine wollen, haben wir es nichtbei der Benennung dieser Projekte belassen, sondernpräzise und konkret Vorschläge für die Finanzierung desProgramms gemacht, Vorschläge, die in Bund und Ländernnicht zu einer Erhöhung der Neuverschuldung führen.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, es ist die Absichtdes Bundes, in wenigen Jahren überhaupt keine neuenSchulden mehr zu machen. Mit aller Anstrengung habenwir in Thüringen nur das Ziel, die Neuverschuldung zusenken. Davon, dass wir erreichen, was der Bund undviele Länder erreichen wollen, keine Neuverschuldung

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mehr zu machen, sind wir, wie jeder weiß, aus zwin-genden Gründen weit entfernt. Wir sind überzeugt, fürdie Länder und für den Bund ist der Konsolidierungs-kurs richtig. Vorschläge, die diesen Kurs stören, sindnicht in unserem Interesse. Hier bin ich mit dem Bundes-finanzminister Hans Eichel völlig einig. Deswegen habenwir sechs Finanzierungsvorschläge, die dieser Notwen-digkeit Rechnung tragen, gemacht, um diese 40 Mrd. DMgegenzufinanzieren.

Ich will diese sechs Vorschläge nennen: Die DeutscheBundesbank hat im Jahr 2000 völlig überraschend Ge-winne in Höhe von 16 Mrd. DM erwirtschaftet; mit 7 Mrd.DM war gerechnet worden. Diese sollen wie vorgesehenverwendet werden, aber die überschießenden 9 Mrd. DMsollen nicht zur vorfristigen Tilgung des Erblasten-tilgungsfonds, sondern zur Finanzierung des von mirvorgeschlagenen Sonderprogramms Ost dienen. Damitbleibt der Erblastentilgungsfonds in der vorgesehenenTilgungsform, aber die zusätzlichen Mittel sollen zurFinanzierung unseres Sonderprogramms Ost dienen.

2. Im Bundeshaushalt 2001 ist ein zusätzlicher Bundes-zuschuss von 1,2 Mrd. DM für die Bundesanstalt fürArbeit vorgesehen. Da die Arbeitslosigkeit im Westen ge-sunken ist, wird dieser Zuschuss dafür nicht verwendetwerden müssen. Ich folge einem Vorschlag von FrauEngelen-Kefer und schlage vor, diese 1,2 Mrd. DM mit zurFinanzierung des Sonderprogramms Ost zu verwenden.

3. Die Bundesregierung hat vor, die Deutsche Ausgleichs-bank zu veräußern. Experten gehen von einem Erlöszwischen 2,7 und 4,1 Mrd. DM aus. Diese Erlöse sind imBundeshaushalt nicht eingestellt. Wir haben aus den beidenZahlen einen Zwischenwert von 3,5 Mrd. DM gebildetund ihn ebenfalls zur Finanzierung des Sonderpro-gramms vorgesehen.

4. Inzwischen liegt der Abschluss des Bundeshaushalts2000 vor. Dieser Abschluss und beabsichtigte Än-derungen im Kreditmanagement ergeben bei den Zins-ausgaben für die Jahre 2001 bis 2004 Einsparungen vonjährlich 2 Mrd. DM, insgesamt also 8 Mrd. DM.

5. In den noch nicht vorliegenden Bundeshaushalten für2002, 2003 und 2004 muss es nach unserer Meinungmöglich sein - das Volumen beträgt, wie Sie wissen, 450Mrd. DM -, durch Umschichtungen jeweils einen Betragvon 2 Mrd. DM für das Programm einzusparen und ausPrivatisierungserlösen insgesamt im Zeitraum 8,3 Mrd. DMzu erschließen.

6. Die Zinsersparnisse durch den Verkauf der UMTS-Lizenzen sind zwar für die kommenden beiden Jahrefestgelegt, aber für das Jahr 2004 noch nicht. Wir schla-gen vor, diese 4 Mrd. DM im Jahr 2004 ebenfalls diesemSonderprogramm zuzuordnen.

Meine Damen und Herren, das Sonderprogramm ist einkonkreter Vorschlag, wie wir die insgesamt positive Ent-wicklung in den jungen Ländern stärken und vertiefenkönnen. Natürlich bedarf der Vorschlag der weiterenKonkretisierung. Ich habe immer wieder gesagt undwiederhole es auch hier vor Ihnen: Er kann ergänzt, erkann korrigiert werden - mir liegt an einer einheitlichenMeinungsbildung. Wir werden in der übernächsten Wocheim Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz Ost darübersprechen. Ich lasse mich davon leiten, wenn etwasgeschehen soll, muss ein Vorschlag gemacht werden,

(Beifall bei der CDU)

den man diskutieren kann, ein Vorschlag, den man auchverändern kann, aber an dem man diskutieren kann. Nureines ist sicher, wir müssen schnell handeln und wirsind uns einig, dass der Ausbau der Infrastruktur eineentscheidende Rolle spielt.

Der Bundestagspräsident, Herr Thierse, hat mit seinerThese - die These ist das eine, er hat eine viel längereAusarbeitung vorgelegt, aber die Diskussion beherrschtdiese These -, der Osten stehe sozial und wirtschaftlichauf der Kippe, nicht Recht. Ich widerspreche Herrn Thierseaus voller Überzeugung, weil diese These sachlich nichtstimmt, weil sie nicht zwischen den einzelnen Regionendifferenziert und weil sie der Aufbauleistung der Menschenim Osten in den letzten 10 Jahren nicht gerecht wird.

(Beifall bei der CDU)

Vor allem aber wehre ich mich gegen diese Thierse'scheThese, weil sie im Westen den falschen Eindruck er-weckt, der Osten sei ein Fass ohne Boden und man könnehineinschütten was man wolle, es bleibe ja doch nichtsdavon über. Auch dem Unterstützerbrief, den 54 Persön-lichkeiten des öffentlichen Lebens - von Egon Bahr bisGünter Grass - unterzeichnet haben, vermag ich nicht zufolgen, weil die Damen und Herren die falschen Schluss-folgerungen ziehen und einen falschen Weg weisen.Günter Grass ist bestimmt ein bedeutender Dichter, denFriedenspreis hat er aber nicht für seine ökonomischenKenntnisse bekommen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Nun haben viele in den letzten Monaten zu Recht beklagt,dass zu wenig geschehe und sie haben zum Handelnaufgefordert, beispielsweise die Konferenz der SPD-Frak-tionsvorsitzenden der ostdeutschen Länder, beispielsweiseder DGB-Chef Dieter Schulte, der den Ausbau derInfrastruktur in Ostdeutschland mit Sonderinvestitionenvon 1 Mrd. Mark pro Jahr unterstützt sehen möchte,beispielsweise der IG-Metall-Chef Zwickel, der unter-streicht, dass der Aufbau Ost bei der Bundesregierungeinen zu geringen Stellenwert einnehme. Und auch meineKollegen rundum - der sachsen-anhaltinische Kollege be-tonte, es müsse etwas für den Osten geschehen und

3000 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

wörtlich: "Man müsse die nötigen Mittel jetzt schnell ein-setzen." Der Brandenburger Kollege: "Wir müssen mehrtun mit Blick auf ältere Langzeitarbeitslose, bei der Infra-struktur." Und der Kollege aus Mecklenburg-Vorpommern:"Wir brauchen weitere Infrastrukturinvestitionen." Undsein Arbeitsminister betont: "Wenn jetzt die Weichennicht anders gestellt werden, dann droht ein Abriss." Undimmer noch der mecklenburg-vorpommernsche Arbeits-minister: "Die Chefsache 'Aufbau Ost' kann ich beiKanzler Schröder nicht erkennen." Der Thüringer Bundes-tagskollege Edelbert Richter hat den Bundeskanzler davorgewarnt, die Fortsetzung des Aufbaus Ost nur als ge-dämpfte Chefsache zu betreiben und er schreibt: "Es mussvor den Wahlen noch zu einer Sonderanstrengung kom-men," - dem stimme ich zu. Er fährt fort: "sonst wird derSPD im Osten bei der Wahl die Rechnung präsentiert wer-den." Meine Damen und Herren, selbst wenn Herr RichterRecht hat, bin ich trotzdem für das Sonderprogramm.

(Beifall bei der CDU)

Die insgesamt positiven Reaktionen auf meinen Vorschlagüber alle Parteigrenzen hinweg und aus allen gesell-schaftlichen Gruppen geben uns Recht. Der Präsident desWirtschaftsforschungsinstituts in Halle, Herr Pohl, hat denVorschlag ausdrücklich begrüßt und erst gestern habensie den besorgten offenen Brief des Erfurter Bischofs andie Landesregierung und alle Bundes- und Landtags-abgeordneten bekommen, in dem er begrüßt und unter-stützt, "alle politischen Bemühungen, beispielsweiseden Vorschlag der Thüringer Landesregierung für einSonderprogramm Ost".

Auch aus dem Nachbarland Sachsen, damit ich nicht einenKollegen unerwähnt lasse, erhalten wir Zustimmung fürunseren Vorschlag. Sogar die Frau Bundesvorsitzende derPDS hat gesagt, die Forderungen Vogels basieren aufder realen Einschätzung der Verhältnisse. Ich schmückemich sonst nicht mit positiven Aussagen der PDS, aberwenn sie stimmt, kann man sie ja auch erwähnen.

Meine Damen und Herren, niemand bestreitet die Fest-stellung, dass die Schere zwischen Ost und West bei derwirtschaftlichen Entwicklung auseinander geht. Und sogut wie niemand bestreitet, dass die Bundesregierung jetztetwas dagegen tun muss. Der Beauftragte der Bundes-regierung für die Angelegenheiten der neuen Länder hatmir geantwortet und hat der Feststellung, dass die Schereauseinander geht, nicht widersprochen. Er signalisiert aus-drücklich Handlungsbedarf. In wichtigen Punkten, nichtin allen, stimmt Schwanitz mit mir überein. Er wider-spricht wie ich der Behauptung Thierses, der Osten steheauf der Kippe, genauso deutlich wie ich. Ich möchteeine wichtige Passage aus seinem Brief, mit Erlaubnis derFrau Präsidentin, zitieren. Er schreibt: "Ich begrüße es,dass in der Zielrichtung der von der Bundesregierung ein-geschlagenen Politik und Ihren", das bin ich, "Vorschlägenim Grundsatz Übereinstimmung besteht. In gleicherWeise begrüße ich den Konsens, dass unsere Bemü-

hungen den gesamtwirtschaftlichen Erfolg der Haus-haltskonsolidierung nicht gefährden dürfen. Sie verbindet"- die Bundesregierung - "ihre Vorschläge mit der aus-drücklichen Feststellung, dass dadurch Sparbemühungenvon Bund und Ländern nicht korrigiert werden dürfen."Und ein bisschen weiter unten: "Ein Abweichen vomeingeschlagenen Konsolidierungskurs kommt", und inso-weit bin ich wieder bei der gemeinsamen Ausgangs-position, "weder für die Bundesregierung noch für dieThüringer Staatsregierung in Frage." Dies schreibt HerrSchwanitz und ich kann ihm nur völlig zustimmen, einAbweichen kommt weder für die Bundesregierung nochfür die Thüringer Landesregierung in Frage. Das stimmtfür Berlin und das stimmt für Erfurt und, meine Damenund Herren, das stimmt auch, wenn ich deswegen sage,eine Aufnahme weiterer Schulden im Landeshaushalt vonThüringen kommt für uns bei der Verwirklichung diesesProgramms nicht in Frage.

(Beifall bei der CDU)

Schwanitz greift meine Formulierung von der einheitlichenMeinungsbildung auf und ich sage ausdrücklich, mir istan dieser einheitlichen Meinungsbildung gelegen unddeswegen geht die Diskussion weiter.

Nicht nur im gesamten Gebiet der neuen Länder und inder Bundesrepublik, sondern auch im Land hat der Vor-schlag eine breite Diskussion ausgelöst. Der Gemeinde-und Städtebund hat sich dazu geäußert und hat gesagt,dass ein Infrastrukturprogramm dringend erforderlichsei. IHKs haben sich dazu geäußert. Und auch die Thü-ringer SPD sagt, im Grundsatz teile sie die Forderung nacheinem Sonderprogramm Ost. Allerdings was die SPDdarüber hinaus vorschlägt, findet nicht unsere Zu-stimmung. Der Forderung nach einem Landesprogrammund einem Nachtragshaushalt entsprechen wir nicht,denn diese Forderung widerspricht dem Konsoli-dierungskurs, den wir erfolgreich eingeschlagen haben undden wir nicht verlassen werden. Die Lage, meine Damenund Herren, ist von den Haushaltsberatungen jedermannbekannt. Im Gegensatz zum Bund sind wir trotz aller An-strengungen nicht in der Lage, auf jede Neuverschul-dung zu verzichten, aber wir werden sie nicht erhöhen.

Die Finanzierungsvorschläge der Sozialdemokraten sindbemerkenswert, um zurückhaltend zu formulieren; wirsollen die Erfurter Messe verkaufen, den Erfurter Flug-hafen und unsere Jenoptik-Anteile. Die Messe könnenwir nicht verkaufen, weil sie uns gar nicht gehört. Dassan allen deutschen Flughäfen sich lange Schlangen vonKaufinteressenten für Flughäfen bilden, kann jeder über-prüfen und, meine Damen und Herren, wenn ich denheutigen Börsenkurs der Jenoptik-Aktie mir anschaue,dann rate ich im gegenwärtigen Augenblick vom Verkaufdieser Aktien dringend ab.

(Beifall bei der CDU)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3001

Wir wollen in Thüringen alles tun, was in unserer Kraftsteht und ich weise darauf hin, dass die Investitions-offensive läuft. Wir haben im Doppelhaushalt einenungewöhnlich hohen Investitionsanteil von 23,9 Prozentin diesem und von 22,6 Prozent im nächsten Jahr. DerBund hat weit entfernt davon die Ansätze. Aber alleinkönnen wir die Rahmenbedingungen nicht so verbessern,wie es notwendig ist. Wir haben das Unsrige nachmeiner Überzeugung im letzten Haushalt für dieses Jahrbis an die Grenzen des Verantwortbaren getan. WeitereErhöhungen durch Aufnahme von Krediten lehnen wirebenso ab wie weitere Einschnitte, meine Damen undHerren, in den konsumtiven Bereich.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben ja gesehen, wie viel Unterstützung wir außer-halb der uns tragenden Fraktion dazu in diesem Hausgefunden haben. Der Thüringer SPD-Vorsitzende, HerrHaushold, hat die Forderung nach zusätzlichen...

(Zwischenruf Abgeordnete Doht, SPD: Dahaben Sie was verwechselt.)

(Unruhe bei der PDS, SPD)

Ich entschuldige mich, ich entschuldige mich und willniemandem zu nahe treten, weder dem einem noch demanderen, es handelt sich um den PDS-Vorsitzenden. Er hatdie Forderung nach zusätzlichen Investitionen in die Infra-struktur als berechtigt bezeichnet, aber er fordert ein Um-steuern in der Haushaltspolitik des Landes. Nein, kann ichdazu nur wiederholen, wir können keine zusätzlichenneuen Schulden machen.

(Beifall bei der CDU)

Auch wenn Haushold von einer arbeitsplatzbezogenenWirtschaftsförderung spricht, dann will er genau das,was er uns vorwirft, eine Förderpolitik nach der Gieß-kanne. Das Sonderprogramm Ost hat mit dem Gießkan-nenprinzip nichts zu tun. Wir haben diese fünf kon-kreten Vorschläge gemacht, bei denen es nicht um dieGießkanne, sondern um klar umrissene Infrastruktur-projekte geht.

Meine Damen und Herren, den Ausbau der Verkehrs-wege Deutsche Einheit zu fördern, ist keine Gießkanne,sondern ist eine gezielte Infrastrukturmaßnahme.

(Beifall bei der CDU)

Es geht eben um Infrastrukturmaßnahmen, die dazu bei-tragen, die Schere zwischen Ost und West zu schließen -Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden müssen, wennSie vermeiden wollen, dass langfristig sehr hohe gesamt-wirtschaftliche Kosten für die ganze Bundesrepublik ent-stehen. Es geht darum, die Menschen in den jungenLändern in ihrer Leistungsbereitschaft zu ermutigen. Wir

widersprechen denen, die die Menschen entmutigen,indem sie ihre Erfolge schlechtreden oder solche Be-hauptungen in die Welt setzen wie der ehemalige Wirt-schaftsminister von Sachsen-Anhalt.

Meine Damen und Herren, ich kann nicht erkennen, dasssich die Menschen in den neuen Ländern damit be-gnügen, ihre Kissen in die Fensterbank zu legen und zuzu-schauen, wie andere ihre Autos einparken oder dass sieim Turnhemd an der Tankstelle herumstehen. In Thüringenkann ich die Erfahrungen des Wirtschaftsministers a.D.Gabriel nicht machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Solche Bemerkungen sind bestenfalls geeignet, Ressen-timents zu wecken. Und ähnlich kontraproduktiv scheintmir auch die Forderung des Chef-Volkswirts der Deut-schen Bank zu sein, der sagt: "Schluss mit der Ost-För-derung nach 2004."

Meine Damen und Herren, wer das tut, schlägt eine För-derung bedürftiger Regionen in ganz Deutschland vor,aber darüber können wir uns erst unterhalten, wenn dieTeilungsfolgen beseitigt sind, aber so weit sind wir ebennoch nicht.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt in der Tat nach Erreichen des uns gestecktenZiels eine Zeit, wo es Strukturdefizite gibt, die mit derTeilung nichts zu tun haben. Dass Mecklenburg-Vor-pommern ein extrem dünn besiedeltes Land ist, hat mitdem Sozialismus nichts zu tun und wird ebenso Folgenhaben müssen wie die Hafensituation in Bremen. Jetztaber müssen wir dem Eindruck entgegentreten, unsereStrukturschwäche sei mit denen einiger Regionen in denalten Ländern vergleichbar. Wenn in ganz Nieder-sachsen eine Stadt eine Arbeitslosigkeit wie hier dasganze Land hat, dann ist das etwas Unvergleichbares, dahat in diesem Fall die Landespolitik nicht aufgepasst, aberes ist nicht die Situation des ganzen Landes. Nein, wirmüssen erst vergleichbare Rahmenbedingungen schaffen.Hans-Dietrich Genscher hat Recht, wenn er zumHandeln mahnt. Ich zitiere ihn: "Der Wirtschaftsstand-ort Deutschland gewinnt insgesamt an Attraktivität,wenn er die großen menschlichen Ressourcen im Ostenvoll vor Ort zu nutzen weiß und wenn er eine moderneInfrastruktur, Forschung und Entwicklung eingeschlossen,flächendeckend vorweisen kann." Genscher fährt fort:"Sonderprogramm 2001 bis 2004 und Solidarpakt IImüssen die Themen sein.", und er fügt hinzu: "Die Zeitdrängt, die Sache duldet keinen Aufschub.". Recht hatHerr Genscher mit dieser Aussage.

(Beifall bei der CDU)

Er trifft den Nagel auf den Kopf. Bei diesem Sonder-programm geht es nicht allein um die Zukunft der neuen

3002 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Länder, es geht um die Zukunft des WirtschaftsstandortsDeutschland insgesamt, denn von einem erhöhten Wach-stum in den jungen Ländern profitieren alle. Die breiteDiskussion, die unser Vorschlag entfacht hat, bestätigtmich darin, dass es richtig ist, ein solches Programmvorzulegen. Ich fühle mich durch die Reaktionen ermutigt.Jetzt geht es darum, diese Diskussion sinnvoll weiterzu-führen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, lassenSie uns deshalb über Parteigrenzen hinweg gemeinsamdafür eintreten, dass die jungen Länder die Hilfe er-halten, die sie kurzfristig brauchen, um langfristig das Zielder Angleichung der Lebensverhältnisse erreichen zukönnen. Deswegen freue ich mich über die heutige De-batte. Ich möchte Sie bitten, sich konstruktiv an dieserwichtigen Diskussion zu beteiligen, die natürlich mitdem heutigen Tag nicht zu Ende ist, für die der heutigeTag aber sehr wichtig ist. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Wir können die Debatte heute noch vor der Mittagspauseeröffnen, sofern eine Fraktion die Aussprache dazubeantragt. Die SPD-Fraktion beantragt die Aussprachezu diesem Bericht. Ich rufe vor der Mittagspause nochFrau Abgeordnete Zimmer, PDS-Fraktion, auf.

Abgeordnete Zimmer, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Minister-präsident, es ist richtig, der Osten ist wieder zum Themageworden. Die Alarmglocken schrillen, seitdem WolfgangThierse in seinem Thesenpapier eine dramatisch schlechteBilanz der Chefsache Ost gezogen hat. Ich zitiere ausseinem eigenen Papier, wenn er formuliert, dass seit 1998 -eigentlich seit dem Jahr des rotgrünen Regierungs-antritts - die Arbeitslosenquote Ost vom 1,8fachen aufdas 2,3fache der Arbeitslosenquote West gewachsen ist,die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmererstmals unter 5 Millionen gesunken ist, die Zahl derLangzeitarbeitslosen um fast 10 Prozent stieg und dieArbeitslosigkeit unter jungen Menschen im Osten um15 Prozent angestiegen ist.

Herr Ministerpräsident, nun mag man Wolfgang Thiersein der Schärfe und auch in der Pauschalität seiner Wer-tung zustimmen oder nicht, ich jedenfalls teile imGegensatz zu Ihnen genau diese Wertung, dass derOsten auf der Kippe steht. Denn Kippe heißt eigentlichnichts anderes, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt ent-scheidet, ob er dorthin kippt oder ob er auf eine andereSeite kippt. Das bedeutet doch nicht, dass nichts mehrzu tun ist und letztendlich die Leistungen der Menschen,die hier leben, diskreditiert werden.

Seine Analyse ist zutreffend, wenn auch nicht besondersoriginell, weil ähnliche Aussagen seit Jahren bereits durchalternative Wirtschaftsinstitute, durch Gewerkschaften,

aber eben auch durch die PDS vorliegen. Eines hat erdennoch geschafft, es ist eine politische Debatte überden Osten in Gang gekommen, die ich mir schon seitJahren auch gewünscht habe.

Es ist gut, Herr Ministerpräsident, dass Sie mit IhrerWortmeldung dazu beitragen, dass dieses Thema auf derTagesordnung bleibt und nicht wieder zurückfällt, weilWolfgang Thierse in einigen Fragen sich selbst wiedergekippt hat. Zu unterstützen ist, dass bis 2004, also vorBeginn der Osterweiterung, Entscheidendes geschehenmuss, wenn der Landstrich zwischen Elbe und Odernicht auf Dauer abgekoppelt werden soll.

Dennoch, trotz Chefsache Ost, trotz Wolfgang Thierses"Kippe Ost", trotz Ihres eigenen Vorschlags, Herr Mi-nisterpräsident, für ein "Sonderprogramm Ost" hat nachmeinem Dafürhalten noch kein wirkliches Umdenken statt-gefunden. Es kam auch noch nicht zu einem ernsthaftenDialog in der Gesellschaft, der über Parteieninteressenhinaus zu einem tatsächlichen Bündnis für den Osten ge-führt hätte, mit dem Ziel, die Lebensverhältnisse Ost/West anzugleichen, einen selbsttragenden wirtschaftlichenAufschwung zu ermöglichen und einen sozialöko-logischen Umbau einzuleiten.

Wenn es denn ernsthaft gemeint ist, Herr Ministerpräsi-dent, Ihr Wort vom Vorschlag, über den zu diskutierensei, dann soll das jetzt geschehen und vor allem abermuss es endlich auch zu konkretem Handeln führen.Wenn es so ist, wie Sie sagen, dass die Reaktionen daraufaus allen Bereichen der Gesellschaft zumindest so sind,dass man sagt, das ist eine Grundlage, bei der wir ersteinmal ansetzen können, dann ist es auch an der Zeit, dasses nun endlich losgeht. Geredet wurde lange genug, ohnedass sich etwas änderte. Auch Sie, Herr Ministerpräsident,hätten schon mehr als genügend Möglichkeiten gehabt,hier in Thüringen in Ihrer Verantwortung als Regierungs-chef eine andere Politik für den Osten einzufordern undauch im Land ernsthaft einzuleiten.

(Beifall bei der PDS)

Bisher haben weder Sie noch die jetzige Bundesregierungoder auch die damaligen christdemokratischen Vorgängerin Bonn eingestanden, warum denn die ostdeutschenLänder nicht aufholen konnten, nach wie vor hinter-herhinken und der Abstand sich weiter vergrößerte? Alsoauch die Frage nach den teilungsbedingten Unterschie-den, warum die denn entgegen aller Voraussagen vonden blühenden Landschaften im Osten und dass der Osteninnerhalb einer kürzesten Zeit in der Lage sei, den Westenzu überholen, warum es denn dazu nicht gekommen ist,diese Bewertung ist nicht vorgenommen worden.

Aus meiner Sicht ist die Hoffnung gescheitert, dass derMarkt die Dinge schon richten wird. Gescheitert ist aberauch das Prinzip, durch den bloßen Nachvollzug west-deutscher Verhältnisse in Ostdeutschland einen selbst-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3003

tragenden Aufschwung erreichen zu können. Auch dieMissachtung ostdeutscher Erfahrungen, Biografien, dieweit gehende Abwicklung der DDR-Intelligenz und diehochgradige Zerstörung ostdeutschen Industriepotenzialshaben verheerende Wirkungen hinterlassen,

(Zwischenruf Abg. Scheringer, PDS: Sehrrichtig.)

die bis heute nicht ausgeglichen werden konnten. Undnun kann und muss man, Herr Ministerpräsident, übereinzelne Punkte des von Ihnen vorgeschlagenen Sonder-programms Ost reden, obwohl, und das sage ich hierganz deutlich, wir das Sonderprogramm Ost, so wie eskonstruiert ist, nicht als einen Neuansatz für die Politikim Osten gelten lassen können.

(Beifall Abg. Becker, SPD)

Und so haben Sie uns auf Ihrer Seite, wenn es darum geht,notwendige Initiativen im Bundestag oder auch im Bundes-rat einzufordern, die den Kommunen im Osten wiederGestaltungs- und Handlungsspielraum geben können. Siewissen selbst und haben auch an mehreren Stellendarauf verwiesen, dass die durchschnittliche Steuerkraft derThüringer Kommunen nur 40 Prozent im Vergleich zuden Kommunen in den alten Bundesländern beträgt unddass diese Steuerschwäche der Thüringer Gemeinden na-türlich eine Ursache für die kommunalen Finanzproblemeinsgesamt ist. Die Stärkung der kommunalen Investitions-kraft sollte deshalb gemeinsames Anliegen der Po-litikerinnen und Politiker im Osten sein. Lassen Sie unsdoch beispielsweise gemeinsam die Wiedereinführung derkommunalen Investitionspauschale Ost in Höhe von200 DM pro Einwohner und Jahr fordern

(Beifall bei der PDS)

seitens des Bundes. Die Kosten für den Bund würden sichhier im Jahr auf rund 3,5 Mrd. DM belaufen. Im Übrigensage ich hier auch ganz deutlich, hätten zumindest IhreThüringer CDU-Abgeordneten bereits mehrfach die Ge-legenheit auch im Bundestag gehabt, Anträgen zu einerEinführung einer kommunalen Infrastrukturpauschale oderstädtebaulichen Maßnahmen in Plattenbaugebieten zuzu-stimmen. Nicht teilen kann ich ihre Fixierung bei denInfrastrukturmaßnahmen auf Autobahnbau und ICE-Trasse. Die Autobahn allein ist überhaupt kein Garant fürden Aufschwung von Regionen und einem wahrenInvestitionsregen. Mir ist natürlich auch das immer wiederzitierte Beispiel von der Superregion Jena sehr wohlbekannt. Sie brauchen aber nur 35 Kilometer weiter nachGera zu schauen, um festzustellen, dass die Segnungender Autobahn beileibe nicht zu dem gewünschten Effektführen. Meine Zweifel an der Wirksamkeit des von Ihnenvorgelegten Sonderprogramms verstärken sich noch, wennich mir den Hintergrund und auch die Zielrichtung derunterbreiteten fünf Punkte ansehe. Wenn, meine Damenund Herren, der Ausgangsbefund nicht stimmt, dann

setzen auch Behandlungen und Medikationen falsch an,

(Beifall bei der PDS)

dann sind sie vielleicht schmerzlindernd, verzögerneinen Prozess, packen aber das Übel nicht an der Wur-zel. Der Osten steht seit Jahren am Scheideweg. Verfes-tigung der demütigenden Alimentierung oder Befähigungzum selbsttragenden Aufschwung - das ist die eigentlicheKippe, auf der sich der Osten befindet. Alle Einschät-zungen, die ich in den letzten Monaten von Ihnen, Herr Dr.Vogel, oder aber eben von weiteren Kabinettsmitgliederngehört habe, leiden unter einem gewaltigen Übel: Siebeweihräuchern sich an prozentualen Angaben, freuen sich,dass Thüringen im Vergleich zu den anderen ostdeutschenBundesländern die besten Zuwachsraten aufweise, undverallgemeinern einzelne Investitions- und Industrieinseln.Von Prozenten aber kann man nicht leben,

(Beifall bei der PDS, SPD)

auch nicht im Hinblick auf einen selbsttragenden Auf-schwung. Auf höchste Zuwachsraten kann man dann stolzsein, wenn das Ausgangsniveau schon entsprechend hochwar und damit auch ein Entwicklungstempo nachweislichgehalten werden konnte.

(Beifall bei der PDS)

Und, Herr Ministerpräsident, zur Ehrlichkeit gehört aberauch, der Abstand beim Bruttoinlandsprodukt zwischenOst und West hat sich weiter vergrößert, das damit auchim EU-Vergleich weit hinterherhinkt. Bezogen auf dieBevölkerung hat sich der Abstand vieler ostdeutscherRegionen zum EU-Durchschnitt zuletzt wieder vergrößertund Thüringen liegt hier mit 70 Prozent wahrlich nichtvor den anderen ostdeutschen Bundesländern. Das sollhier schon sehr deutlich gesagt werden. Sie wissen alsoselbst, dass die Freude, unter den ostdeutschen Ländernden Ton anzugeben, eigentlich Selbstbetrug ist nach demMotto "Unter den Blinden ist der Einäugige König".Haben Sie nicht selbst, Herr Ministerpräsident, als Vor-sitzender der Ostministerpräsidentenkonferenz in derFebruarsitzung des Sonderausschusses "Finanzausgleich/Maßstäbegesetz" den Osten in die 25 ärmsten Regionen derEU eingeordnet, wie Galizien, Andalusien, Thessalonikiund auch mit Sorge auf das Auslaufen des Ziel-I-Pro-gramms 2006 aufmerksam gemacht? Haben Sie nichtauch in der gleichen Sitzung erklärt, dass der Osten nurüber 60 Prozent des Westniveaus der Infrastruktur verfügtund eine Angleichung vor 2030

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Deswegenmachen wir das Programm doch.)

undenkbar sei? Also auf der einen Seite klare Ein-schätzung der Situation, die sich an Realitäten durchausauch orientiert, zumindest teilweise,

3004 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das habendie Wirtschaftsexperten schon vor zweiJahren gesagt. Dazu brauchen wir die PDSnicht.)

auf der anderen Seite erklären Sie in öffentlichen Inter-views, dass Thierses Lagebeschreibung viel zu düster sei.Ich sage nicht die Bewertung, ich sage die "Lage-beschreibung". Das ist ein Zitat von Ihnen. Und nochvor wenigen Wochen haben Sie auf die Frage, ob derOsten mehr Geld braucht, geantwortet: nein.

(Zwischenruf Ministerpräsident Dr. Vogel:Na, ich doch nicht.)

Doch, ich zitiere: "Nein, aber er braucht eine Fortsetzungdes Solidarpakts nach 2004 möglichst auf gleichemNiveau."

Nun Ihr Umschwenken innerhalb von wenigen Tagenmit der Vorlage eines Sonderprogramms für den Osten,mit dem Sie zusätzliche 40 Mrd. DM, gestreckt auf vierJahre, einsetzen wollen. Sie kennen also den Befund undverweigern sich ihm, weil Sie nicht eingestehen wollen,dass die eingesetzten Instrumentarien den Aufschwungnicht gebracht haben. Fast 2 Billionen DM für den Ostenund in den Kernfragen hat sich nichts Entscheidendesverändert. Seit der Ausdehnung der Bundesrepublik aufOstdeutschland haben mehr als 1,5 Mio. Menschen imerwerbsfähigen Alter mit ihren Kindern den Osten ver-lassen. Diese Abwanderung, insbesondere junger, qualifi-zierter Menschen, nimmt zu. Über 200 Mrd. DM jährlichbeträgt die Lücke zwischen ostdeutschem Verbrauch undeigener Produktion. Ich glaube, das ist der eigentlicheKernpunkt, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der PDS)

Wenn das endlich auch eingestanden würde als Ausgangs-punkt für die Frage, was ist zu tun, um diese Lücke zuschließen, um diese Lücke zwischen Verbrauch und eigenerProduktion zu schließen. Zehn Jahre lang trifft die Massen-arbeitslosigkeit fast ein Drittel der Ostdeutschen. Deshalbfrage ich: Welche Rolle, Herr Dr. Vogel, spielen in IhrenÜberlegungen, die im Wesentlichen ja auf eine Weiter-führung bisheriger Ostpolitik, mit allerdings erhöhtemMitteleinsatz, zielen, Fragen nach dem Industriebesatz inThüringen, den vorhandenen zukunftsfähigen und exis-tenzsichernden Arbeitsplätzen, dem Marktanteil des Bun-deslandes oder auch dem Forschungs- und Entwicklungs-potenzial, also eigentlich dem Anteil an den wichtigen wirt-schaftlichen Leistungsindikatoren? Zu welchem Ergebniskommen Sie, wenn Sie die von Ihnen vorgeschlagenenfünf Punkte durchdeklinieren, ob sie helfen, tatsächlichzukunftsfähige Arbeits-, Ausbildungs- und Bildungsplätzezu schaffen, den Marktanteil des Ostens zu erhöhen unddie notwendige Industriealisierung über einzelne, hoch-moderne Inseln hinaus, zu ermöglichen?

Aktuell haben die neuen Länder mit 18 Prozent der ge-samten Bevölkerung in der Bundesrepublik beim Exportnur einen Anteil von 4 Prozent und in der Industrie-produktion von 7 Prozent. Bei Forschung und Ent-wicklung liegen sie gar nur bei 3 Prozent. Neben der imÜbrigen in Thüringen defizitären Grundlagenforschung,sie läuft meistens über die Projekt- und Drittmittel-forschung, das heißt, ein Großteil aller wissenschaftlichenMitarbeiter in Forschungseinrichtungen werden nur be-fristet beschäftigt, liegt das Potenzial der wirtschafts-nahen Forschung weit unter den Bedürfnissen. So gibtes zwar an den Fachhochschulen Möglichkeiten für denTechnologietransfer, benötigt werden aber konzentriertMittel für Institute, wo kleine und mittlere Unternehmenletztendlich auch ihre Anforderungen stellen könnten.

Wie soll nun eigentlich diese Schere tatsächlich ge-schlossen werden? Wie kann eine wirtschaftspolitischeWende eingeleitet werden, wenn die bisherigen Instru-mentarien der Wirtschaftsförderung oder eben auch derArbeitsförderung kritiklos weitergeführt werden? Nochvor wenigen Wochen waren sich die ostdeutschen Wirt-schaftsminister einig, dass es an den Instrumentariennichts zu verändern gäbe und beispielsweise die GA dasschärfste Instrument sei. Hier möchte ich erheblicheBedenken anmelden. Ich vermisse Ihre Überlegung, HerrMinisterpräsident, wie denn die Arbeitsteilung zwischenOst und West verändert werden kann. Der Wirtschafts-mechanismus, der weder über den Markt noch über diegroßen West-Ost-Transfers den sich vergrößernden Ab-stand zu den alten Bundesländern verhindern konnte,funktioniert nicht mehr. Dieser Wirtschaftsmechanismusmuss geändert werden. Die Ostdeutschen haben gelernt,dass es nicht ohne Markt geht. Nun haben alle zu lernen,dass es nicht ohne gestaltende Politik geht. Die herr-schende Politik muss korrigiert werden, der Osten brauchtein neues tragfähiges Entwicklungskonzept.

Wenn dann klar ist, Herr Ministerpräsident, wohin dieEntwicklung gehen soll, welche Prioritäten zu setzen sind,dann muss selbstverständlich auch über die Finanzierungdiskutiert werden. So lange aber gar nicht klar ist, wodenn die Hilfe zur Selbsthilfe ansetzen soll, wie die öffent-lichen Gelder zweck- und zielgerichtet verwendet werden,können Politiker wie Herr Schwanitz immer nur über dienicht vorhandenen Finanzierungsmöglichkeiten schwadro-nieren, wie z.B. in dem Antwortbrief an Sie, wird beiPolitikern dieser Preisklasse der Osten immer wiedernur buchhalterisch eingeordnet. Ich befürchte, dass IhrVorschlag, Herr Ministerpräsident, der letztendlich überden Status von Programmideen auch nicht hinausgeht,zur Finanzierungsjongliererei nur beiträgt.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch klar ansagen,die Minimalforderung der PDS für die Fortführung desLänderfinanzausgleichs und der Solidarpakt II ist der Erhaltdes bisherigen absoluten Volumens auf absehbare Zeit.Zum Ausgleich der voraussehbaren Verringerung von EU-Fördermitteln für Ostdeutschland sollten Finanztransfers

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3005

in Höhe von jährlich 3,5 Prozent des Bruttosozialproduktsvorgesehen werden. Diese Rate kann desto eher gesenktwerden, je mehr die Wirtschaftsförderung zu einemselbsttragenden Aufschwung beitragen kann im Osten.

Aus meiner Sicht drei Vorschläge zum Einstieg in eineKorrektur der herrschenden Ostpolitik.

1. Ostdeutschland braucht eine Kombination von öffent-licher Verantwortung, Marktmechanismus und Demokratievon unten. Wir schlagen vor, einen Teil der vielenhundert Fördermöglichkeiten von Kommunen, Ländern,Bund und Europäischer Union, der Mittel aus dem Solidar-pakt und dem Länderfinanzausgleich in Innovations-programmen sozialökologischer Umbau Ost zusammen-zufassen auf Länderebene und zwischen den einzelnenLändern auch zu koordinieren. Sie hätten den Charaktervon Zukunftsinvestitionsprogrammen und könnten eineaktive Strukturpolitik bewirken für eine ökologische Re-industriealisierung, für einen Entwicklungsschub der Infra-struktur, für beschäftigungswirksame Modernisierung derProduktion. Da sind wir im Widerspruch zu Ihnen, wennSie sagen, genau dazu dient Ihr Vorschlag zu einemSonderprogramm Ost überhaupt nicht. Hier setzt unsereGrundkritik an oder auch für eine verbraucherorientierteStärkung nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft. Fürsolche Programme, die auf Investitionen in die Zukunftsetzen, sind notwendig die Verzahnung von Struktur-,Technologie-, Beschäftigungs- und Ausbildungspolitik,ein größerer Einfluss der Länder und Kommunen auf denEinsatz der Fördermittel oder auch die Herausbildungtechnologischer Kompetenzzentren, die Veränderung derVerwendungsstruktur von Fördermitteln zur direkten Wirt-schafts- und Investitionshilfe oder auch die konkretereUnterstützung innovativer Existenzgründer und von Ex-portproduktion.

2. steht aus unserer Sicht eine Demokratisierung derPolitik im Osten auf der Tagesordnung. Dass das Bildvom Jammerossi nicht stimmt, dürfte sich nicht erst mitKai Niemanns augenzwinkerndem Song vom Osten, indem fast alles etwas besser ist als im Westen, herum-gesprochen haben. Die meisten haben es satt vorgehal-ten zu bekommen, dass Sie den Wessis die Haare vomKopf fressen

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Wem wer-fen Sie denn das vor?)

und auch noch dazu undankbar seien. Viele wollen han-deln und sich dabei in erster Linie auf sich selbst, ihreErfahrungen, ihr Improvisationsvermögen, ihr Können,ihr Wissen verlassen. Dazu brauchen sie aber Bedin-gungen. Initiative und Engagement stoßen täglich immerwieder an neue Blockaden. Die Voraussetzungen fürEigeninitiative sind größtenteils nicht da. Ihre Forderungenund Ihre Sicht aber auf die Dinge werden weder von derThüringer Landesregierung noch von der rotgrünen Bun-desregierung zur Kenntnis genommen. Viele fühlen sich

nach wie vor als Objekte der Einigungspolitik aber nichtals Gestalter. Dabei müssen doch diejenigen, die der Schuhdrückt, sagen können, wo er am meisten drückt und wasletztendlich auch das Laufen erleichtern könnte.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU:Punkt 1 und 2 sind schon vergessen.)

Gerade das so erfolgreiche Volksbegehren für mehrDemokratie, bei dem so viele Thüringerinnen und Thü-ringer bereit waren, ihre Unterschrift zu leisten, mit Nameund Adresse für mehr Bürgerbeteiligung zu stehen, beweistdoch, dass die Leute unzufrieden sind, wie sie in die Ent-wicklung ihrer Region und des Landes einbezogen werden.Wir schlagen deshalb vor, die Richtung der Förderpolitik,regionale Leitbilder, kommunale Schwerpunkte und auchdie Erarbeitung von Investitionsprogrammen des sozial-ökologischen Umbaus zum Gegenstand breiter öffentlicherDiskussion zu machen. Fragen Sie bitte die Existenz-gründer, die Handwerker in Thüringen, welche Förder-programme sie wirklich brauchen und wie groß ihre Notist, wenn Zahlungen für erbrachte Leistungen ausblei-ben. Fragen Sie auch bitte junge qualifizierte Menschen,worin sie denn ihre Zukunftschancen sehen und warum siemeinen, diese in Thüringen nicht vorfinden zu können.

3. Wir brauchen reale Bedingungen für eine selbstbe-stimmte Zukunft in Thüringen wie auch in anderen neuenBundesländern. Ernsthaft etwas gegen die zunehmendeAbwanderung junger Leute zu tun, heißt, klare Aussagenzur Angleichung der Lebensverhältnisse in einem Zeit-horizont von fünf bis höchstens acht Jahren zu treffen. Mankann jungen Menschen nicht vorwerfen, dass sie dorthingehen, wo sie erstens Arbeit bekommen und zweitenswo diese Arbeit auch noch ordentlich bezahlt wird.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sie stehennicht hier zur Wiederwahl. Nicht, dass Sieden Platz vertauscht haben.)

Der Wunsch, wegzugehen, bildet sich bei immer mehrjungen Menschen bereits in der Schulzeit heraus, bevorsie ihre eigenen Erfahrungen bei der Jobsuche, bei der Aus-bildungsplatzsuche gemacht haben. Bei vielen jungenMenschen verfestigt sich das Gefühl, dass es hier nie besserwird. Es passiert einfach nichts. Haben wir es aber ersteinmal mit einer Kultur der Abwanderung zu tun, dannist diese Entwicklung selbst bei einer später möglicher-weise veränderten Bedingung kaum noch zu drehen. FürThüringen ist also neben der Schaffung von Arbeits-plätzen für alle jungen Menschen die Sicherung des Bil-dungsauftrags an den allgemein bildenden und berufs-bildenden Schulen dringend. Ebenso steht hier wie in dergesamten Bundesrepublik eine Bildungsreform an, diesoziale Chancengleichheit herstellt und vor allem auchdie Individualität kritisch denkender und solidarischhandelnder Persönlichkeiten fordert. Die Mindestvoraus-setzung, Herr Ministerpräsident, ist der Stopp der ge-planten Stellenkürzung bei Lehrerinnen und Erzie-

3006 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

herinnen hier in Thüringen, die drastische Reduzierungder Ausfallstunden, die notwendige Grundausstattung derSchulen. Das Herabsinken des Bildungsniveaus in Thü-ringen ist auch nicht nur mit der mangelhaften Labor-ausstattung in den Schulen zu erklären. Damit kannwohl das Anwachsen der Zahl der Schüler auf 13,1Prozent, die die allgemein bildende Schule in Thüringenohne Hauptschulabschluss verlassen haben im Jahre 1999,nicht erklärt werden.

Meine Damen und Herren, die Herstellung gleicherLebens- und Wirtschaftsverhältnisse ist keine Ermes-sensfrage. Artikel 72 des Grundgesetzes gebietet dieHerstellung gleicher Lebensverhältnisse sowie die Wah-rung der Rechts- und Wirtschaftseinheit. Damit wirdden Regierenden in Berlin und auch in Thüringen einklarer Handlungsauftrag erteilt.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Lesen Siemal das Grundgesetz.)

Trotz jährlicher Finanztransfers von 140 Mrd. DM ist esnicht gelungen, die Weichen für eine ostdeutsche Repro-duktion auf eigener wirtschaftlicher Grundlage zu stellen.Deshalb wird jetzt in besonders eindringlicher Weise ausden unterschiedlichen politischen Lagern die An-gleichung der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse thema-tisiert. Durch die bevorstehende EU-Osterweiterung undinfolge der Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich,zum Solidarpakt II besteht akuter Entscheidungsbedarf.Gilt also für den Osten die Mezzogiornoperspektive alsdauerhafte europäische Rückstandsregion, wenn sichHaushaltspolitik im Bund und im Land weiter aus-schließlich am Schuldenabbau orientiert und die Wirt-schaft weiterhin hauptsächlich dem Markt allein überlassenbleibt? Das ist die Grundfrage, über die eigentlich zudiskutieren wäre. Die Angleichung der Lebensverhält-nisse jedenfalls rückt mit einer solchen Perspektive, mitder Mezzogiornoperspektive, in weite Ferne. Wir braucheneinen politischen Neuansatz. Ausgangspunkt für dasAgieren von Regierenden und Opposition, Gewerk-schaften, Verbänden, Kammern usw. muss darin liegen,den Menschen im Osten die Chance zu geben, die eigenenLebensverhältnisse zu gestalten. Nur wenn die Kluftzwischen Eigenproduktion und Verbrauch geschlossenwird, lassen sich auch andere Rückstände in anderenTeilbereichen des ostdeutschen Lebens schrittweise auf-holen. Dazu kommt, dass selbst Herr Späth für Thüringeneine hohe Zahl von Unternehmen und Arbeitsplätzen alsverlängerte Werkbank definiert hat, die, wie er es nennt,mit der EU-Erweiterung wegplatzen werden. Die Stabi-lisierung des Ostens im Sinne von nachhaltiger Verän-derung muss bis zur EU-Osterweiterung erreicht werden,sonst erlebt der Osten den nächsten Anpassungsschock,steht die nächste Strukturkrise vor der Tür.

(Beifall bei der PDS)

Eine solche Übereinkunft, Herr Ministerpräsident,zwischen den politisch Agierenden steht mindestensebenso auf der Tagesordnung. Ein solcher Ansatz vonparteiübergreifendem Handeln ist zudem komplexer,weniger teuer und greift vor allem nicht in die nach wievor dringenden Zuschüsse an die Bundesanstalt fürArbeit ein, wie Ihr Vorschlag, Herr Dr. Vogel. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich unterbreche jetzt die Debatte zu diesem Tagesord-nungspunkt, um die Möglichkeit auch für die Ausstellungs-eröffnung "Grüße aus Fern-Ost" zu geben und natürlichfür die Mittagspause. Um 14.00 Uhr setzen wir mit derFragestunde fort.

Präsidentin Lieberknecht:

Es wurde vereinbart, 14.00 Uhr fortzusetzen. Ich denke,ich liege da richtig. Die Landesregierung ist in Gestaltvon Ministern und Staatssekretären auskunftsfähig, sodass wir an sich mit der

Fragestunde

beginnen können, aber die Fragenden sind noch nichtim Raum.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Nein, aberich bin da.)

Ich begrüße sehr herzlich die Besucher auf der Besu-chertribüne. Schön, dass Sie das mitverfolgen wollen. Aberda müssen wir einmal sehen. Der Abgeordnete Heymmöchte die Frage für den Abgeordneten Höhn stellen.Oder? Nein. Er ist da, aber er hat keine Frage. Die FrauAbgeordnete Wackernagel habe ich gerade noch gesehen.Herr Pidde ja, wollen Sie die Frage stellen? Gut.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Frau Präsidentin, der Abgeordnete Höhn ist im Auftragder SPD-Fraktion unterwegs und ich verlese für ihn dieMündliche Anfrage.

Präsidentin Lieberknecht:

Moment einmal. Es sind wenige genug im Saal, aber dieim Saal sind, sollten jetzt zuhören, wie die Frage lautet.Bitte, Herr Abgeordneter.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3007

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Personelle Besetzung der geplanten Kommunalprüfab-teilung beim Rechnungshof

In der Presse wurde wiederholt ein abgewählter Landratals Kandidat für den Abteilungsleiterposten der neu zuschaffenden Abteilung überörtliche Prüfung beim Rech-nungshof genannt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche fachlichen, laufbahnrechtlichen und persön-lichen Voraussetzungen muss nach Auffassung der Lan-desregierung ein Bewerber für die Leitung der beim Rech-nungshof geplanten Kommunalprüfabteilung erfüllen?

2. Trifft es zu, dass das Land gegenüber dem LandkreisSaalfeld-Rudolstadt eine Rückforderung von Förder-mitteln in Höhe von 1,2 Millionen Deutsche Mark gel-tend macht?

3. Wenn Frage 2 mit Ja beantwortet wird, wer trägt dannnach Auffassung der Landesregierung die Verantwor-tung für die nicht zweckentsprechende Verwendung derin Frage 2 genannten Fördermittel?

4. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung bezüg-lich der Argumentation, dass bei einer Besetzung vonLeitungspositionen im Rechnungshof mögliche Interes-senkonflikte, die sich aus früher ausgeübten Tätigkeiten derBewerber ergeben können, auch im Interesse der Akzep-tanz der Prüfbehörde unbedingt auszuschließen sind?

Präsidentin Lieberknecht:

Für die Landesregierung antwortet der Innenminister. Bitte.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter Pidde, der Gesetz-entwurf der Landesregierung eines Thüringischen Gesetzeszur überörtlichen Prüfung der Haushalts- und Wirt-schaftsführung und zur Beratung der Gemeinden undLandkreise wurde in der Plenarsitzung im Januar 2001durch den Landtag in erster Lesung behandelt. Er be-findet sich somit gegenwärtig im parlamentarischen Ver-fahren. Sofern der Gesetzentwurf in der vorliegendenFassung vom Landtag beschlossen wird, erfolgt dieStellenbesetzung entsprechend dem Stellenplan des Thü-ringer Rechnungshofs. Die Unabhängigkeit des ThüringerRechnungshofs lässt es nicht zu, dass die Landesregie-rung auf dortige Personalentscheidungen Einfluss nimmt.

Zu Frage 2 - Rückforderung gegenüber dem LandkreisSaalfeld-Rudolstadt: Es wurde ein Rückforderungsbe-scheid wegen zweckwidriger Verwendung von Förder-mitteln gegenüber dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadterlassen. Der ist mehrfach gesplittet. Die Höhe betrifft

ca. 2,4 Mio. DM. Gegen diesen Bescheid hat der LandkreisWiderspruch eingelegt.

Zu Frage 3: Gemäß § 9 Abs. 3 KAG können Kranken-häuser im Rahmen der Zweckbindung mit den pauscha-len Fördermitteln frei wirtschaften. Somit ist dergeförderte Krankenhausbetrieb, um den es hier geht, derRückforderungsbescheid betrifft eine Förderung desKreiskrankenhauses, für die Einhaltung der im Gesetzvorgeschriebenen Zweckbindung verantwortlich, alsoder Krankenhausbetrieb selbst.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht. Damit ist diese Frage erledigt.Wir kommen zur nächsten Frage, und zwar von FrauAbgeordneter Wackernagel in der Drucksache 3/1335.

Abgeordnete Wackernagel, CDU:

Bundesweites Streetworktreffen in Thüringen

Vor wenigen Wochen fand in Cursdorf ein bundesweitesStreetworktreffen mit Schwerpunkt Ost statt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Was unternimmt die Landesregierung, um die Tätig-keit der Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork Thürin-gen inhaltlich und finanziell zu unterstützen?

2. Wie und in welchem Umfang bringt sich die Koordi-nierungsstelle Gewaltprävention in das Arbeitsfeld derStreetworker/-innen ein?

3. In welchem Umfang werden Forschungsanstren-gungen unternommen, um die fehlende Datenbasis imBereich Streetwork aufzuarbeiten?

Präsidentin Lieberknecht:

Es antwortet für die Landesregierung Herr Staats-sekretär Maaßen.

Maaßen, Staatssekretär:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren Abgeordneten,

zu Frage 1: Der Landesjugendhilfeausschuss hat in sei-ner Sitzung am 20.11.2000 die Vergabegrundsätze fürdie Förderung von Landesarbeitsgemeinschaften imBereich der Kinder- und Jugendhilfe im Freistaat be-schlossen. Die potenziellen Zuwendungsempfänger sinddarin namentlich benannt. Die Landesarbeitsgemein-schaft Streetwork gehört nicht dazu, da sie keine Landes-arbeitsgemeinschaft nach § 78 Achtes Buch Sozial-gesetzbuch und nach § 14 Abs. 2 Thüringer Kinder- undJugendhilfeausführungsgesetz, sondern eine Arbeitsge-

3008 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

meinschaft ohne formalen Organisationsstatus darstellt.Die Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork könnte sichjedoch problemlos inhaltlich in die bestehende und auchdurch Landesmittel geförderte LandesarbeitsgemeinschaftJugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Jugendschutz ein-bringen.

Zu Frage 2: Die Koordinierungsstelle Gewaltpräventionhat erste Kontakte zur LAG der Streetworker geknüpft.Seitens der Koordinierungsstelle werden dabei zweiHauptziele verfolgt: Zum einen kann die KostG in dieplanerische Arbeit die Erfahrung der Streetworker ein-fließen lassen, zum anderen soll auch die Arbeit derStreetworker in der Medienarbeit der KostG Darstellungund Unterstützung finden.

Zu Frage 3: Derzeit sind im Themenbereich Streetworkkeine Forschungsvorhaben geplant.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht. Damit ist diese Frage abge-schlossen. Wir kommen zur nächsten Frage, und zwardes Abgeordneten Kummer, PDS-Fraktion, in der Druck-sache 3/1339.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Programm "50 PLUS" (Arbeitsmarktpolitischer Teil)

Seit April 2000 werden in Thüringen ältere Arbeitslosenach dem Programm "50 PLUS" gefördert.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Personen wurden zum Stichtag 31. Januar2001 im Rahmen des Programms "50 PLUS"(Arbeitsmarktpolitischer Teil) gefördert?

2. Wie viele Personen davon wurden zum Stichtag 31.Januar 2001 jeweils in Verbindung mit einem Einglie-derungszuschuss, in Verbindung mit einem Einstel-lungszuschuss bei Neugründungen, im Anschluss anArbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Strukturanpassungs-maßnahmen, in Verbindung mit Strukturanpassungs-maßnahmen Ost für Wirtschaftsunternehmen sowie überBeschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose gefördert?

Präsidentin Lieberknecht:

Es antwortet für die Landesregierung Herr MinisterSchuster.

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, namensder Landesregierung beantworte ich die Fragen vonHerrn Kummer wie folgt:

Zu Frage 1: Mit Stand 31. Januar 2001 befinden sich imRahmen des Programms "50 PLUS" insgesamt 2.073Personen in Förderung. Davon befinden sich 1.212 Per-sonen im Rahmen des Programms "50 PLUS" (Teil 1)in Förderung. Hinzu kommen mit gleichem Stand 861Personen, die im Rahmen des Programmteils 1, nämlichStrukturanpassungsmaßnahmen für Arbeitnehmer mitVollendung des 55. Lebensjahres gefördert werden.

Zu Frage 2: Die in der Frage benannten Personen be-treffen die in Frage 1 bereits aufgeführten 1.212 Perso-nen. Dieser Personenkreis gliedert sich wie folgt: Ge-währung von Eingliederungszuschüssen 675 Personen;Einstellungszuschüsse bei Neugründungen 4 Personen;ABM-Anschlussförderung 1 Person; SAM-Anschluss-förderung 10 Personen; SAM-Ost für Wirtschaftsunter-nehmen 155 Personen; SAM-Ost für Wirtschaftsunter-nehmen Anschlussförderung 323 Personen; Beschäfti-gungshilfen für Langzeitarbeitslose 44 Personen.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht, dann ist die Frage be-antwortet. Frau Nitzpon, bitte.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Die PDS-Fraktion beantragt, die Beratung der Frage undder Antwort im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit undStrukturpolitik weiterzuführen.

Präsidentin Lieberknecht:

Dann frage ich, wer diesem Antrag folgt, der möge bittedas Handzeichen geben. Das Drittel ist erreicht, damitüberwiesen. Dann komme ich nur nächsten Anfrage,und zwar die der Abgeordneten Sedlacik in Drucksache3/1344.

Abgeordnete Sedlacik, PDS:

Privatisierung von Wohnungen durch das Bundes-vermögensamt

Im Zusammenhang mit der teilweisen Einstellung derVersorgung von Wohnungen in Frauenwald und BadSalzungen mit Wasser, Strom und Gas kam es zu Kri-tiken bezüglich der Privatisierungspraxis des Bundes-vermögensamts.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Wohnungen wurden in Thüringen durchdas Bundesvermögensamt privatisiert?

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3009

2. Wurden Kaufverträge zur Privatisierung von Woh-nungen zwischen dem Bundesvermögensamt und privatenErwerbern in Thüringen rückabgewickelt, wenn ja,welche Verträge mit welchen Rückabwicklungsgründenbetraf dies?

3. In welcher Art und Weise und in welchem Umfangwaren Landesbehörden bzw. kommunale Behörden anden Wohnungsprivatisierungsverfahren des Bundes-vermögensamts beteiligt?

4. Wie bewertet die Landesregierung die Wohnungs-privatisierungsverfahren des Bundesvermögensamts undderen Ergebnisse in Thüringen?

Präsidentin Lieberknecht:

Für die Landesregierung antwortet Frau StaatssekretärinDiezel.

Diezel, Staatssekretärin:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Abge-ordnete Sedlacik, ich beantworte namens der Landes-regierung Ihre Mündliche Anfrage wie folgt:

Die Privatisierung von Wohnungen durch das Bundes-vermögensamt fällt ausschließlich in die Zuständigkeitdes Bundes. Der Landesregierung liegen keine statis-tischen Zahlen vor. Somit entfällt die Beantwortung derFragen 1 bis 4.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Es gibt eine Nachfrage? Nein. Frau Sedlacik ist schon aufdem Sprung für die nächste Frage, die ich dann aufrufe,nämlich die in Drucksache 3/1345. Bitte.

Abgeordnete Sedlacik, PDS:

Betroffene Mieter in Frauenwald und Bad Salzungendürfen nicht allein gelassen werden

In Frauenwald und Bad Salzungen haben Versorgungs-unternehmen die Wohnungsversorgung mit Wasser,Strom und Gas teilweise eingestellt oder beabsichtigendas, weil Vermieter die von den Mietern entrichtetenBetriebskostenanteile nicht weiterleiten. In beidenFällen wurden die betroffenen Wohnungen durch dasBundesvermögensamt privatisiert.

Ich frage die Landesregierung:

Bestehen von Seiten des Landes rechtliche, finanzielleoder sonstige Möglichkeiten, den betroffenen Mieternzu helfen und gegebenenfalls welche?

Präsidentin Lieberknecht:

Für die Landesregierung wieder Frau StaatssekretärinDiezel.

Diezel, Staatssekretärin:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich beantwortedie Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sedlacik namensder Landesregierung wie folgt:

Nein. Hierbei handelt es sich ausschließlich um ein pri-vatrechtliches Rechtsverhältnis. Die Nichtweiterleitungvon Mietnebenkosten durch den Vermieter an Strom-,Gas- oder Wasserversorgungsunternehmen betrifft aus-schließlich Mietrecht und lässt dabei den Zivilrechtswegoffen. Grundsätzlich gilt, dass Versorgungsunternehmennicht verpflichtet sind Energie zu liefern, wenn ausbereits erfolgten Lieferungen Rechnungen offen sind; essei denn, der Kunde weist nach, dass die folgende Ein-stellung der Versorgung außer Verhältnis zur Schwereder Zuwiderhandlungen stehen. In diesen Fällen bietetsich an, dass die Mieter selbst ggf. unter Zuhilfenahmesachverständiger Dritter den Bezug und die Verteilungder Energie bzw. Wasser in Eigenregie übernehmen unddamit die Versorgungsverträge eigenständig abschließen.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht. Dann kommen wir zurnächsten Anfrage, nämlich wieder Frau AbgeordneteSedlacik in Drucksache 3/1346.

Abgeordnete Sedlacik, PDS:

Zweitwohnungssteuer

Aufgrund der angespannten Finanzsituation erwägenKommunen die Erhebung einer so genannten Zweit-wohnungssteuer von Personen mit Nebenwohnsitz. Bis-her gibt es in Thüringen diese Art der kommunalenSteuer nicht.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Rechtsauffassung vertritt die Landesregie-rung zur so genannten Zweitwohnungssteuer?

2. Erachtet die Landesregierung die Rechtsgrundlagenin Thüringen für die Erhebung einer so genanntenZweitwohnungssteuer für ausreichend und wie wird diesbegründet?

3. Welche haushaltsrelevanten Auswirkungen sind ausSicht der Landesregierung für die Kommunen, die sichfür die Erhebung der so genannten Zweitwohnungs-steuer entscheiden, zu erwarten?

3010 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

4. Unter welchen Voraussetzungen besteht aus Sicht derLandesregierung die Möglichkeit, Personen mit Neben-wohnsitz bei den Berechnungen zum KommunalenFinanzausgleich mit einzubeziehen?

Präsidentin Lieberknecht:

Für die Landesregierung antwortet Herr InnenministerKöckert.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, Frau Sedlacik, für die Landesregie-rung beantworte ich Ihre Frage wie folgt:

Zu Frage 1 - Rechtsauffassung der Landesregierung:Bei der Zweitwohnungssteuer handelt es sich um eineAbgabe, die von der Rechtsprechung anerkannt ist undauf der Grundlage einer kommunalen Satzung erhobenwerden kann.

Zu Frage 2: Eine ausreichende Rechtsgrundlage für dieErhebung einer Zweitwohnungssteuer kann ausschließ-lich eine kommunale Satzung darstellen. Die Ermächti-gungsgrundlage für den Satzungserlass bildet § 5 Abs. 1des Thüringer Kommunalabgabengesetzes.

Zu Frage 3 - haushaltsrelevante Auswirkungen: Ob sichund wie sich die zu erwartenden Mehreinnahmen kassen-wirksam auswirken, das ist derzeit nicht bekannt.

Zu Frage 4 - die Personen mit Nebenwohnsitz in denFinanzausgleich mit einzubeziehen: Die Voraussetzungfür einen Einbezug von Personen mit Nebenwohnungenzur Berechnung von Finanzausgleichsleistungen, dazuwäre eine Änderung des § 32 Abs. 1 des Thüringer Finanz-ausgleichsgesetzes notwendig und das wäre dann wiederhier im Landtag zu verhandeln.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht, dann ist - doch eine Meldung,aber keine Nachfrage. Bitte.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Die PDS-Fraktion beantragt die weitere Beratung derAntwort und der Frage im Innenausschuss.

Präsidentin Lieberknecht:

Den Antrag haben wir gehört, dann stimmen wir darü-ber ab. Wer dem die Zustimmung gibt, den bitte ich umdas Handzeichen. Dann ist das Quorum erreicht und dieAnfrage überwiesen. Ich komme zur nächsten Anfrage,und zwar vom Abgeordneten Wunderlich in der Druck-sache 3/1347.

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Auswirkung des 7-Punkte-Plans von EU-Agrarkommis-sar Fischler auf die Landwirtschaft in Thüringen

Am 13. Februar 2001 hat als Konsequenz auf die euro-päische BSE-Krise und zur Umsteuerung der Rind-fleischproduktion der zuständige Agrarkommissar Dr.Franz Fischler einen 7-Punkte-Plan vorgestellt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Auswirkungen und Konsequenzen, insbeson-dere auf die rinderhaltenden Betriebe, würde die Um-setzung eines solchen Plans in Thüringen bewirken?

2. Welche Haltung zu dem Plan hat die Landesregierung?

3. Liegen der Landesregierung aus derzeitiger SichtErkenntnisse zur Haltung der Bundesregierung zu dem7-Punkte-Plan vor?

Präsidentin Lieberknecht:

Es antwortet Herr Staatssekretär Illert.

Illert, Staatssekretär:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren Abgeordneten, namens der Landesregierungbeantworte ich die Anfrage von Herrn AbgeordnetenWunderlich wie folgt:

Zu Frage 1: Die Einführung eines solches Plans würdedie Existenz vieler Rinderhalter in Thüringen gefährdenbzw. in Frage stellen und einen enormen zusätzlichenVerwaltungsaufwand nach sich ziehen. Insbesondere dieEinführung der so genannten 90-Tier-Grenze würde dasEnde der Bullenmast in Thüringen bedeuten. In Thürin-gen wären von dieser geplanten Regelung über 75 Pro-zent der prämienfähigen Rinder betroffen. Die angedachteRegelung zur Mutterkuhprämie würde dazu führen, dasseinzelne Erzeuger die Prämienrechte nicht ausschöpfenkönnten, weil sie z.B. die Bedingungen von mindestens20 Prozent Färsen nicht erfüllen. Die vorgeschlageneFestlegung von Betriebsquoten für männliche Rinderwürde einen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand nachsich ziehen, der in der Verwaltung unter den derzeitigenGegebenheiten personell nicht abzusichern wäre. KeinProblem dagegen stellt im Landesdurchschnitt die vorge-schlagene Absenkung der erlaubten Besatzdichte für diespezielle Prämie für männliche Rinder und die Mutter-kuhprämie von 2 auf 1,8 Großvieheinheiten pro Hektardar. Eine Umsetzung des Plans würde auch nach sichziehen, dass weitere Maßnahmen zur Marktentlastungnicht mehr von der EU, sondern zu großen Teilen vonden Mitgliedsstaaten selbst geregelt werden müssten.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3011

Zu Frage 2: Der 7-Punkte-Plan vom 13. Februar 2001des EU-Kommissars Dr. Franz Fischler soll zur Um-steuerung in der Rindfleischproduktion beitragen. DiesemZiel stimmt die Thüringer Landesregierung zu. Zum Abbauder Überproduktion in der EU gibt es keine Alternative.Der von Herrn Dr. Fischler vorgestellte Weg der Wieder-einführung der so genannten 90-Tier-Grenze wird jedochentschieden abgelehnt. Das bedeutete das totale Aus derRindermast in Thüringen. Die Begründung, dies sei einweiterer Schritt in Richtung extensiver Produktion, ist fürThüringen nicht zutreffend. Mit einem Großviehbestandvon aktuell 0,56 Großvieheinheiten pro Hektar insgesamt,davon 0,39 Großvieheinheiten pro Hektar Rinder, hatThüringen bereits einen sehr hohen Extensivierungsgraderreicht. In den vergangenen zehn Jahren haben sich dieRinderbestände in Thüringen um mehr als die Hälfte unddie Mastrinderbestände um rund 78 Prozent reduziert.Aus Sicht der Landesregierung sind daher die Ziele derKommission mit einer Absenkung des PrämienplafondsEU-weit auf 90 Prozent deutlich gerechter zu erreichen.Die Landesregierung setzt sich dafür ein, dass eine Ver-komplizierung der Verwaltungsaufgaben durch die Ein-führung weiterer einzelbetrieblicher Quoten, unterschied-licher Verfahrensweisen auf Stilllegungsflächen und kom-plizierter Regelung bei der Mutterkuhprämie durch Fest-legung prozentualer Färsenanteile vermieden werden.

Zu Frage 3: Ja, die Bundesregierung lehnt in ihrem Be-richt zur Tagung des Agrarrats vom 26./27. Februar 2001in Brüssel den 7-Punkte-Plan in weiten Teilen ab. Dortheißt es unter anderem: "Die vorgeschlagenen Maßnah-men zur Krisenbewältigung werden von uns und anderenMitgliedsstaaten als wenig effizient, kostenträchtig undungeeignet zur Wiederherstellung des Marktgleich-gewichts im Rindfleischbereich angesehen."

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht, dann ist die Frage beantwortet.Ich komme zur nächsten Frage, das ist die Frage der FrauAbgeordneten Wackernagel in der Drucksache 3/1349.

Abgeordnete Wackernagel, CDU:

Entsorgung tierischer Abfälle

Seit Anfang Dezember 2000 ist die Verfütterung vonTiermehl verboten. Die tierischen Abfälle, wie Tierkörperund Teile von diesen, sind in einer Tierkörperbeseiti-gungsanstalt zu beseitigen. Obwohl am Ende der Ent-sorgungskette nun kein Produkt wie Tiermehl oder Tier-fett mehr entsteht, welches in die Nahrungskette zurück-kommt, erfolgt die Entsorgung der tierischen Abfälleweiterhin in den kostenintensiven bisherigen Strukturen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Behindert das Tierkörperbeseitigungsgesetz dieNutzung kostengünstigerer Entsorgungsmöglichkeiten?

2. Beabsichtigt die Landesregierung die Thüringer Ver-ordnung über die Einzugsbereiche der Tierkörperbesei-tigungsanstalten unter Beachtung der Reduzierung derTransportwege zu verändern?

3. Ist eine kostengünstigere Entsorgungsmöglichkeit fürtierische Abfälle über regionale Müllentsorgungsstruk-turen, wie sie z. B. eine Stadtwirtschaft darstellt, möglich?

Präsidentin Lieberknecht:

Es antwortet Herr Minister Dr. Pietzsch.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, für die Landesregierung beantworte ich dieMündliche Anfrage wie folgt.

Zu Frage 1: Das Tierkörperbeseitigungsgesetz und diedarauf basierende Tierkörperbeseitigungsanstalten-verordnung legen die Sterilisationsparameter sowie diehygienischen Bedingungen für die Beseitigung von Tier-körpern, Tierkörperteilen und -erzeugnissen fest. Ich legeWert auf die hygienischen Bedingungen. Die vorrangigeAufgabe der Tierkörperbeseitigung besteht darin, eventuellvorhandene Erreger übertragbarer Krankheiten zu ver-nichten und so die Gesundheit von Mensch und Tier zuschützen. Darüber hinaus hat die Tierkörperbeseitigungso zu erfolgen, dass Gewässer, Boden und Futtermittelnicht durch Erreger übertragbarer Krankheiten odertoxische Stoffe verunreinigt werden. Zurzeit verbleibt dem-nach als sichere Variante zur Entsorgung von Tiermehlenund Tierfetten nur die Verbrennung. Andere kosten-günstigere Entsorgungsmöglichkeiten können nur dann zurAnwendung kommen, wenn die hygienischen Anforde-rungen und die Verfahrensparameter für eine ordnungs-gemäße Tierkörperbeseitigung erfüllt werden.

Deshalb zu Frage 2: Die derzeitige Einzugsbereichs-verordnung sieht für Thüringen die Tierkörperbeseiti-gungsanstalten in Elxleben und in Schwallungen vor. InUmsetzung des Verfütterungsverbots musste die Entsor-gung von Tierkörpern und Tierkörperteilen und -erzeug-nissen durch die TBA Schwallungen eingestellt werden,da sonst die Hauptproduktionsrichtung dieser Einrich-tung - Verarbeitung von über 50.000 Tonnen Schwei-neabfällen zur Verfütterung an Mastschweine - nicht mehrmöglich wäre. Daher wird die Einzugsbereichsver-ordnung dahin gehend geändert, dass nur noch die Tier-körperbeseitigungsanstalt Elxleben die Tierkörperbeseiti-gung durchführt. Eine Verkleinerung der Einzugs-bereiche mit einer Reduzierung zwar der Transportwegewürde aber wegen der Kapazität zu einer weiteren un-vertretbaren Kostenerhöhung in der Tierkörperbeseitigungführen. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen für Tierkörper-beseitigungsanlagen weisen aus, dass die untereKapazitätsgrenze 100.000 Jahrestonnen Rohmaterial

3012 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

nicht unterschreiten solle, weil es sonst nicht mehrwirtschaftlich vertretbar wäre.

Und zu Frage 3: Eine Entsorgung durch Stadtwirtschaftz.B. ist grundsätzlich abzulehnen. Eine Entsorgungs-möglichkeit für Tierkörper, Tierkörperteile und -erzeug-nisse durch überregionale Müllentsorgungsstrukturen istnicht möglich, da hier die hygienischen Anforderungenan eine unschädliche Beseitigung nicht gesichert werdenkönnen und damit natürlich zu einer Gefährdung für diemenschliche Gesundheit werden würde.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht, dann ist auch diese Frageerledigt und wir kommen zu nächsten Anfrage vomAbgeordneten Kummer in der Drucksache 3/1351.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in Saalfeld

Nach Informationen von Saalfelder Bürgern sollen Sozial-hilfeempfänger und Arbeitslose in Saalfeld bis zum drittenLebensjahr ihres Kindes keinen Anspruch auf einenKindergartenplatz haben und nach Vollendung des drittenLebensjahres des Kindes nur einen Halbtagsplatz inAnspruch nehmen können. Die Stadt Saalfeld soll zwarversprechen, dass bei einer Arbeitsaufnahme sofort einVollzeitplatz zur Verfügung gestellt wird, andererseitswürden Firmen bei der Einstellung den Nachweis einesKindergartenplatzes verlangen. Dadurch hätten Müttermassive Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden.

Ich frage die Landesregierung:

1. Sind die Informationen über die Vergabepraxis vonKindergartenplätzen in Saalfeld an Sozialhilfeempfän-ger und Arbeitslose zutreffend?

2. Wenn ja, entspricht diese Vergabepraxis dem Rechts-anspruch auf einen Kindergartenplatz?

3. Sieht die Landesregierung es als förderlich für diekindliche Entwicklung an, sozialen Kontakt zu Gleich-altrigen im Kindergarten auch schon vor Beendigungdes dritten Lebensjahres zu haben?

4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, dieVergabepraxis von Kindergartenplätzen in Saalfeld sozu verändern, dass Kinder von Sozialhilfeempfängernund Arbeitslosen nicht schlechter gestellt werden?

Präsidentin Lieberknecht:

Es antwortet Herr Minister Dr. Pietzsch.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,die von Ihnen dargestellten Informationen über die Ver-gabepraxis von Kindergartenplätzen in Saalfeld sind nichtzutreffend. In Saalfeld erhält jedes Kind mit Rechtsan-spruch, das heißt allerdings ein Kind im Alter ab 2 Jahrenund 6 Monaten, einen Kindergartenplatz. Eine Einschrän-kung auf Halbtagsplätze gibt es nicht, damit, denke ich,erübrigen sich dann auch die übrigen Antworten.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht, dann ist auch diese Frage er-ledigt. Wir kommen zur nächsten Mündlichen Anfragein Drucksache 3/1352. Frau Abgeordnete Wackernagel,bitte.

Abgeordnete Wackernagel, CDU:

Fleischerhandwerk in Thüringen braucht Hilfe

Warum ist die Wurst unserer Thüringer Fleischereiennicht nur in Thüringen, sondern auch über die Grenzendes Freistaats hinaus bekannt und geschätzt?

Es ist die Qualität, die Frische und vor allem der Ge-schmack, der die Thüringer Wurst in ganz Deutschland undsogar darüber hinaus bekannt gemacht hat. Und auchder Zuspruch, den das einzelne Fleischerfachgeschäftbei seinen Stammkunden findet, hängt genau von diesenFaktoren ab: Frische, Qualität und Geschmack.

Im Fleischerhandwerksbetrieb wird die Wurst nicht ano-nym produziert und anonym verkauft. Hier hat der Pro-duzent, das heißt der Fleischermeister noch ein gewis-sermaßen "persönliches" Verhältnis zu der Wurst, die erherstellt. Er sucht persönlich das Fleisch aus, welches erverarbeiten wird und garantiert dadurch, dass nur erst-klassiges Fleisch mit gesicherter Herkunft angebotenund verarbeitet wird. Er bevorzugt hochwertiges Fleischvon den bäuerlichen und landwirtschaftlichen Betriebendirekt aus unserer Region.

Das Thema BSE ist nicht durch die Fleischer zu verant-worten. Denn das Fleisch von 400.000 Tieren fehlt demFleischerhandwerk genauso am Umsatz wie den Tier-produzenten. Das Fleisch, das der Verbraucher aufgrundvon BSE nicht mehr verzehrt, fehlt am Umsatz, amErtrag, an der Möglichkeit Arbeitsplätze zu sichern, ander Möglichkeit ausbilden zu können und so weiter.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie werden die wirtschaftlichen Folgen und Auswir-kungen durch BSE im Vergleich zu den landwirtschaft-lichen Betrieben im Fleischerhandwerk in Thüringenabgefedert?

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3013

2. Ist eine finanzielle Unterstützung für nicht verkauftesRindfleisch möglich?

Präsidentin Lieberknecht:

Für die Landesregierung antwortet Herr StaatssekretärIllert.

Illert, Staatssekretär:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren Abgeordneten, ich beantworte die MündlicheAnfrage der Abgeordneten Wackernagel für die Landes-regierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die Lage im Fleischerhandwerk ist sehrdifferenziert. Nicht alle sind vom Umsatzrückgang be-troffen, daher sind Pauschalforderungen für öffentlicheHilfen nicht der richtige Weg. Beim Wirtschaftsminis-terium stehen Förderprogramme zur Verfügung, mit denenauch Unternehmen des Fleischerhandwerks unterstütztwerden können, z.B. Gemeinschaftsaufgabe "Verbesse-rung der regionalen Wirtschaftsstruktur" oder "ThüringerDarlehensprogramme für kleine und mittlere Unter-nehmen". Diese Programme können allerdings nur unterBeachtung der Einschränkungen bzw. besonderen Voraus-setzungen des Gemeinschaftsrahmens für staatliche Bei-hilfen im Agrarsektor nach der EU-Richtlinie 2000/T28/02in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. August 2000in Anspruch genommen werden.

Zu Frage 2: Nein, eine finanzielle Unterstützung für nichtverkauftes Rindfleisch ist nicht möglich.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht, dann ist auch diese Fragebeantwortet. Wir kommen zur Mündlichen Anfrage inDrucksache 3/1354 - Herr Prof. Goebel. Ist jemand beauf-tragt, die zu übernehmen? Bitte, Herr Abgeordneter Heym.

Abgeordneter Heym, CDU:

Änderung von Wirkungsbereich und Status der Polizei-inspektion Schmalkalden

Die polizeilichen Aufgaben im Landkreis Schmalkal-den-Meiningen werden bisher von den beiden Polizei-inspektionen in Meiningen und Schmalkalden wahrge-nommen sowie im Umlandbereich der kreisfreien StadtSuhl von der dortigen Polizeiinspektion.

Schmalkalden-Meiningen ist der zweitgrößte Flächenland-kreis Thüringens und durch seine Lage zwischen ThüringerWald und Rhön verkehrsinfrastrukturell schwächer ent-wickelt. Die allgemeine Ordnung und Sicherheit, dieVerkehrssicherheit, die Bekämpfung der Kriminalität unddie Kriminalprävention sind in den derzeitigen Struk-turen mit den beiden Inspektionsstandorten in Meiningen

und Schmalkalden und den zugeordneten Wirkungs-bereichen gewährleistet. Die besonderen Aufgaben inder Stadt Schmalkalden, die sich durch die hohe Indus-triedichte und eine Hochschule mit vielfältigen inter-nationalen Kontakten ergeben, können erfüllt werden.Die Zunahme der registrierten Straftaten im Bereich derPolizeiinspektion Schmalkalden im vergangenen Jahrunterstreicht die Notwendigkeit einer entsprechendenpolizeilichen Präsenz.

Nach inoffiziellen Informationen ist eine Umstrukturie-rung im Bereich der Polizeidirektion Suhl geplant, dieden Wirkungsbereich der Schmalkaldener Inspektion aufdie benachbarten Inspektionen in Suhl und Meiningenaufteilt und in Schmalkalden lediglich eine größerePolizeistation belässt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Was sind die Gründe für die geplante Umstrukturie-rung im Bereich der Polizeidirektion Suhl?

2. Welche Auswirkungen hat die geplante Strukturver-änderung auf das Netz der Kontaktbereichsbeamten?

3. Welche Konsequenzen ergeben sich aus den ver-änderten Strukturen für die Gewährleistung von Ordnungund Sicherheit in der Fläche des Landkreises Schmal-kalden-Meiningen?

4. Wie kann der im Jahr 2000 beobachteten Zunahmevon Straftaten wirkungsvoll begegnet werden?

Präsidentin Lieberknecht:

Es antwortet der Herr Innenminister Köckert.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, ich beantworte die Mündliche Anfrage des Abge-ordneten Goebel wie folgt:

Zu Frage 1: Die derzeitigen und künftigen Aufgaben derPolizei erfordern eine Schwerpunktsetzung und ständigeOptimierung der Aufbau- und Ablauforganisation allerPolizeibehörden und Dienststellen mit dem Ziel einerStraffung der Führungsstruktur zugunsten der Freisetzungvon Beamten für den operativen Bereich.

Die Verantwortung der Landesregierung besteht nundarin, sicherzustellen, dass die Polizei auch künftig dieihr obliegenden Aufgaben im Interesse der Bürgerinnenund Bürger bestmöglich erfüllen kann und darüber hinausauch aktuelle Aufgabenschwerpunkte wie z.B. die Be-kämpfung des Extremismus und der organisierten Krimi-nalität sowie die Verhütung von Verkehrsunfällen oderauch neue Aufgabenstellungen wie z.B. die künftigeStreifentätigkeit auf den Bundesautobahnen A 71, A 73

3014 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

und der Südharz-Autobahn dann auch erfolgreich wahr-nehmen kann.

Vor diesem Hintergrund habe ich nicht nur den Leiter derPolizeidirektion Suhl, sondern alle Leiter der Polizeidirek-tionen gebeten, die Polizeiorganisation in ihrem jeweiligenZuständigkeitsbereich kritisch zu überprüfen und mir Vor-schläge für eine effektivere Gestaltung zu unterbreiten.

Zu Frage 2, zu den Auswirkungen der geplanten Struk-turveränderungen auf das Netz der Kontaktbereichsbe-amten: Die vorgeschlagenen Strukturveränderungen haben,soweit wir es jetzt übersehen, keine Auswirkungen aufdas vorhandene Netz der Kontaktbereichsbeamten, auchnicht im Landkreis Schmalkalden-Meiningen. Unab-hängig hiervon wird der Einsatz von Kontaktbereichs-beamten generell unter dem Gesichtspunkt eines effi-zienten Personaleinsatzes geführt, darüber ist in diesemHaus auch schon mehrfach gesprochen worden.

Zu Frage 3, die Konsequenzen für die Ordnung undSicherheit des Landkreises Schmalkalden-Meiningen:Herr Abgeordneter, die Vorschläge der Leiter der Poli-zeidirektionen und deren Umsetzbarkeit werden momentanim Innenministerium unter Berücksichtigung der örtlichenund regionalen Belange sorgfältig geprüft. Dabei werdendie Behördenleiter ständig auch noch einmal in dieseÜberprüfung mit einbezogen. Sobald das Stadium derVorüberlegungen abgeschlossen ist und sich das Innen-ministerium eine Meinung gebildet hat, ist vorgesehen,die Landräte und Oberbürgermeister sowie die Bürger-meister der Städte und Gemeinden über mögliche struk-turelle Änderungen der Thüringer Polizei in Kenntnis zusetzen. Es ist nicht beabsichtigt, etwaige Strukturver-änderungen ohne Beteiligung der Landkreise undKommunen vorzunehmen.

Und zu Frage 4, wie kann der im Jahr 2000 beobach-teten Zunahme von Straftaten wirkungsvoll begegnetwerden: Sie haben Recht, dass im Jahr 2000 die Anzahlder Straftaten, die durch die Polizeiinspektion Schmal-kalden bearbeitet wurden, gegenüber dem Vorjahr leichtangestiegen ist. Trotzdem konnte die Aufklärungsquotevon schon guten 58,6 Prozent auf jetzt 62 Prozent erhöhtwerden. Ein einziger Jahresvergleich ist aber nicht ge-eignet, Tendenzen in der Kriminalitätsentwicklung mithinreichender Sicherheit zu erkennen, dazu bedarf es eineslängeren Beobachtungszeitraums. Die Polizei wird dieEntwicklung auch im Bereich Schmalkalden aufmerk-sam verfolgen. Mit einem hohen Aufklärungsgrad leistetdie Polizei einen wichtigen Beitrag zur wirksamenKriminalitätsbekämpfung. Es sollte aber nicht vergessenwerden, dass die Kriminalitätsbekämpfung eine Aufgabealler Verantwortungsträger ist, also nicht allein auf diePolizei reduziert werden darf.

Präsidentin Lieberknecht:

Nachfragen sehe ich nicht. Dann ist auch diese Fragebeantwortet und wir kommen zur nächsten, Frau Abge-ordnete Dr. Wildauer mit der Drucksache 3/1355.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Nach Presseinformationen wurde der Bürgermeister derGemeinde Meuselwitz im Landkreis Altenburger Landzu einer Geldstrafe verurteilt. Er gilt damit als vorbe-straft.

Ich frage die Landesregierung:

1. Unter welchen Voraussetzungen kann auch eine vor-bestrafte Person als kommunaler Wahlbeamter das Amtdes Bürgermeisters ausüben?

2. Hält es die Landesregierung für erforderlich, im vor-liegenden Fall nach den geltenden beamtenrechtlichenBestimmungen gegen den betroffenen Bürgermeisterdienstrechtlich vorzugehen, und wenn ja, welche dienst-rechtlichen Konsequenzen hält die Landesregierung fürerforderlich?

3. Inwieweit stellt aus Sicht der Landesregierung dasBegehen einer Straftat eine Voraussetzung des § 28 Abs. 5der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO) dar?

4. In welchem Umfang muss aus Sicht der Landesregie-rung im vorliegenden Fall die Rechtsaufsichtsbehördenach § 28 Abs. 5 und § 116 ff. ThürKO handeln?

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung Minister Köckert, bitte.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete Wildauer, für dieLandesregierung beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Soweit nicht die Voraussetzungen des § 52Thüringer Beamtengesetz gegeben sind, kann auch einevorbestrafte Person als kommunaler Wahlbeamter dasAmt eines Bürgermeisters ausüben, wie auch andereWahlämter von vorbestraften Personen ausgeübt werdenkönnen, wie wir das ja hier auch im Hause erleben.

Zu Frage 2: Aus Gründen des Daten- und Persönlich-keitsschutzes kann diese Frage nur allgemein beantwortetwerden. Zuständig ist hier als Rechtsaufsichtsbehördedas Landratsamt Altenburger Land. Grundsätzlich ist inFällen dieser Art der Vorrang des Strafverfahrens vordem Disziplinarverfahren zu beachten.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3015

Zu Frage 3 - Inwieweit stellt aus Sicht der Landesregie-rung das Begehen einer Straftat eine Voraussetzung des§ 28 Abs. 5 der Thüringer Kommunalordnung dar? - Nachdiesem von Ihnen herangezogenen Paragraphen derThüringer Kommunalordnung kann der Gemeinderat dieEinleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens bean-tragen, wenn ein Bürgermeister seine Amtspflichten gröb-lichst verletzt. Das Begehen einer Straftat kann, mussaber nicht ein solcher Grund sein.

Zu Frage 4: Die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde, dasLandratsamt Altenburger Land, veranlasst die gebo-tenen Maßnahmen. Dazu gehört auch die Prüfung, obnach Abschluss des Strafverfahrens weitere Maßnah-men notwendig sind.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt keine Nachfragen. Frau Abgeordnete Nitzpon.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Die PDS-Fraktion beantragt die weitere Beratung derFrage und der Antwort im Innenausschuss.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Darüber stimmen wir ab. Wer der Fortberatung zustimmt,den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön, dasQuorum ist erreicht. Ich rufe auf die Frage in Druck-sache 3/1356, eine Frage der Abgeordneten Dr. Wildauer.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Hier geht es um die Gefährdung des alpinen Klettersportsauf dem Falkenstein.

Einer Presseinformation zufolge befürchtet der ThüringerBergsteigerbund die Gefährdung des alpinen Klettersportsauf dem Falkenstein, gelegen in der Nähe der GemeindenGräfenhain und Winterstein im Kreis Gotha. Diese Be-denken gründen sich darauf, dass Anträge dieser Gemein-den auf kostenlose Übertragung der Felsgrundstücke desFalkensteins und des Kiliansteins per Bescheiden derOberfinanzdirektion Berlin abgelehnt wurden. Weiterhinwürden in Kürze große Waldflächen in der Region -inzwischen ist das ja schon geschehen -, in denen dieseFelsen liegen, europaweit ausgeschrieben werden und mög-lichst noch in diesem Jahr verkauft sein. Die Wald-flächen seien in Bodenverwertungs- und -verwaltungsGmbH-Eigentum und würden deshalb der Privati-sierungspflicht unterliegen. Im Ergebnis der Privatisierungder Waldflächen ist zu befürchten, dass das Klettern inPrivatwaldgebieten von den Eigentümern untersagt wird.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung die geschilderteSach- und Rechtslage bezüglich der künftigen Gestal-tung des alpinen Klettersports auf dem Falkenstein?

2. Welche Möglichkeiten ergeben sich aus Sicht derLandesregierung, um den alpinen Klettersport auf demFalkenstein dauerhaft zu sichern?

3. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierungzur weiteren Existenzsicherung des immerhin 148 Jahrealten alpinen Klettersports in Thüringen?

4. Unter welchen Voraussetzungen wäre der Freistaat inder Lage, im Zuge der beabsichtigten Waldprivatisie-rung zumindest die Felsgrundstücke selbst zu nutzen?

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung beantwortet diese Frage Minis-ter Dr. Pietzsch.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, sehr verehrte Frau Abgeordnete Wildauer!

Zu Frage 1: Sie haben eine Reihe Hypothesen auf-gestellt, ich beabsichtige nicht, mit Hypothesen zu ant-worten, sondern halte mich an die Realitäten. Diegenannten Felsgrundstücke Falkenstein und Kiliansteinbefinden sich derzeit noch im Bundesbesitz und sollenin der Tat privatisiert werden. Das ist nicht Hypothese,das ist Recht. Grundsätzlich besteht unabhängig von denzukünftigen Besitzverhältnissen für alle Wälder ein all-gemeines Betretungsrecht. Von daher ist es schon erst-mal unwahrscheinlich, dass man es nicht mehr betretendarf. Für den alpinen Klettersport gilt dies allerdings mitgewissen Einschränkungen. Das ist richtig. Wenn diesermit Hilfsmitteln, d.h. also z.B. mit Kletterhaken, ausgeübtwird, dann bedarf es einer besonderen Erlaubnis desEigentümers. Es steht dem Thüringer Bergsteigerbund frei,mit dem zukünftigen Besitzer - erstmal muss er gefundenwerden, noch ist keiner da - über eine entsprechendeErlaubnis zu verhandeln. Eine Verkaufsabsicht desBundes für ein Felsgrundstück muss nicht automatischeine Gefährdung des alpinen Klettersports bedeuten,was hier als Grundlage postuliert wird.

Zu Frage 2: Die Nutzung des Falkensteins kann einer-seits dauerhaft im Rahmen des allgemeinen Betretungs-rechts erfolgen. Darüber hinaus, wenn es um die Be-nutzung von Kletterhaken geht, können die Beteiligteneine privatrechtliche Nutzungsvereinbarung abschließen.Die Konditionen, z.B. die Laufzeit, sind Angelegenheitder Vertragspartner, an denen sich das Land nichtbeteiligen wird. Im Übrigen gilt es unabhängig von den

3016 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Besitzverhältnissen die gültigen natur- und wasser-schutzrechtlichen Vorschriften zu beachten. Wenn dieseeingehalten werden, sieht die Landesregierung grund-sätzlich keine Einschränkung für eine dauerhafte Nutzungder Kletterfelsen.

Zu Frage 3 - welche Maßnahmen die Landesregierungübernimmt: Sie beabsichtigt auch in Zukunft den Grund-satz der Autonomie und damit der Eigenverantwortungder Sportorganisationen zur Sicherung ihrer Ziele zu res-pektieren. Das ist ein übergeordnetes Prinzip, das giltfür alle Sportarten und auch für den alpinen Klettersport.Sportorganisationen handeln grundsätzlich eigenverant-wortlich und werden von der Landesregierung imRahmen der bestehenden Möglichkeiten mit Rat undTat unterstützt. Was die Tat angeht, hierfür stehen indiesem Jahreshaushalt Mittel mit fast 30 Mio. Mark zurVerfügung. Darüber hinaus können in diesem Jahr imBereich des Sportstättenbaus die Rahmenbedingungen fürden Thüringer Sport mit 47 Mio. aus Landesmittelnverbessert werden. Die Thüringer Sportorganisationen unddie Träger der Sportanlagen erfahren somit auch imLändervergleich mit anderen Bundesländern eine durchausbeachtliche Förderung durch die Landesregierung. Natür-lich stehen auch im Ministerium Fachleute zur Verfügung,um bei Einzelmaßnahmen beratend eingreifen zu können,allerdings, meine Damen und Herren, wenn dieses ge-wünscht wird. Bezüglich des Falkensteins wurden dieseMöglichkeiten bisher nicht wahrgenommen. Es bestehtalso offensichtlich noch gar nicht der Wunsch zuBeratungen.

Zu Frage 4: Gemäß § 2 Abs. 1 Thüringer Sportfördergesetzbesteht die Förderung von Sport und Spiel als eineöffentliche Aufgabe, die sowohl vom Land als auch vonden Kreisen und Gemeinden nach Maßgabe ihrer Haus-halte umgesetzt wird. Ich sagte schon, dass die Landes-regierung eine erhebliche Summe Geld zur Verfügungstellt. Es besteht jedoch keine Rechtsgrundlage, dass dasLand Sportanlagen in eigener Trägerschaft vorhält. Diesgilt gleichberechtigt übrigens für alle Sportarten. Zwarzählen gemäß § 5 Abs. 1 Thüringer SportfördergesetzKletteranlagen im Fels zu den prinzipiell förderfähigenöffentlichen Sport- und Spielanlagen, jedoch ist derenErwerb durch die Gesetzeslage nicht gedeckt und auchnicht wünschenswert. Das heißt, Kauf von Sportstättenwird nur in den seltensten Fällen überhaupt möglich seinund dann in besonderen Ausnahmesituationen. Es gibtkeine Sportstätten in Trägerschaft des Landes und daranwird sich auch zukünftig voraussichtlich nichts ändern.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt offensichtlich eine Nachfrage. Frau AbgeordneteDr. Wildauer.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Herr Minister, schönen Dank. Das klingt ja alles sehr ein-leuchtend und verständlich, wie Sie es dargelegt haben,dennoch bleibt eine ganze Reihe von Fragen offen, die wirheute hier nicht klären können. Es liegen möglicher-weise doch auch Versäumnisse vor, die man mit denVerantwortlichen besprechen muss. Ich frage dennoch -es geht zwar an die Adresse der Landesregierung, nichtso sehr an den Sozialminister - aber könnte es denn ...

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Ich gehöre dazu.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Meine Frage, die kennen Sie ja noch gar nicht.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Nein, nein, ich wollte Sie darauf hinweisen, dass ichauch zur Landesregierung gehöre.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Ja, Sie gehören dazu, natürlich. Bestünde denn nichtdoch noch die Möglichkeit, dass der Falkenstein heraus-gelöst werden könnte und extra privatisiert würde durcheine Kommune, die den Antrag stellt? Ich meine, wennes mehr als 1 DM, also mehr als diesen symbolischenPreis kostet, wäre das sicher nicht machbar.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Frau Abgeordnete, zu dieser von Ihnen vorgeschlagenenLösung gehören zumindest zwei Partner. Der eine Part-ner ist der, der verkauft, der zweite Partner ist der, derkauft. Der, der verkauft, ist der Bund, und der, der theo-retisch kaufen soll, den Sie genannt haben, ist dieKommune oder ist der Landkreis. Das Land ist da über-haupt nicht mit drin in dieser Partnerschaft, die Sie ebenangeregt haben. Wenn der Kletter-/Bergsteigervereinsich an die Kommune wendet und die Kommune mitdem Bund verhandelt und dieses herausgelöst kaufenwill, ich habe dagegen keine Einwendungen. Ich wäresogar bereit, beratend mit meinen Mitarbeitern vielleichtzur Seite zu stehen, wenn es dazu Verhandlungen mitdem Bund geben muss. Aber ich halte eigentlich dieandere Version für viel sinnvoller. Man wendet sicheinmal an den Verkäufer und spricht dann mit demKäufer, ob es Konditionen gibt - das muss nicht der Kreisoder die Gemeinde sein -, zu welchen Konditionen amFalkenstein unverändert alpines Klettern durchgeführtwerden kann. Ich halte dieses nicht für unmöglich. Esgibt genügend, auch unter den Käufern, sportinteressierte

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3017

Leute oder Leute, die den Sport fördern.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Was kostetdenn so ein Felsen?)

Er muss ja nicht das Eigentum sein. Ich habe noch keinenBergsteiger erlebt, der den Felsen mit nach Hausegenommen hat, auf dem er gerade geklettert ist.

(Unruhe im Hause)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Können wir jetzt die Zwischenruffrage von Herrn Pohlals Frage protokollieren, die auch beantwortet wordenist? Gibt es weitere Nachfragen? Das ist nicht der Fall.

Ich rufe die Frage in Drucksache 3/1358 der Abgeord-neten Bechthum auf.

Abgeordnete Bechthum, SPD:

Arbeit des Thüringer Beirats für Familien und Frauen

Am 27. November 2000 konstituierte sich in neuer Formder Thüringer Beirat für Familien und Frauen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche 21 Organisationen sind im Beirat vertreten?

2. Mit welchen Themen wird sich der Beirat im Jahre2001 beschäftigen?

3. Es heißt bei der Aufgabenstellung auch: "... im Inte-resse der Erziehung der Kinder zu eigenverantwort-lichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten ...".Inwieweit werden hier die eingetragenen Lebens-gemeinschaften, die Kinder erziehen, mit einbezogen?

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung antwortet Minister Dr. Pietzsch.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Verehrte Frau Bechthum, welche 21 Organisa-tionen sind im Beirat vertreten? Darf ich Ihnen, FrauAbgeordnete, eine Liste überreichen und Sie sind damitzufrieden?

(Zuruf Abg. Bechthum, SPD: Ja.)

Danke sehr.

Ich beantworte gleich die Frage 2. Folgende Themensind bislang zur Behandlung bzw. zum Wiederaufrufvorgesehen:

1. Lösungsvorschläge für das Problem der freien Träger,den Eigenanteil für ABM und SAM aufzubringen, umKontinuität der Arbeit der Frauen- und Familienprojektezu erreichen;

2. eine Novelle des Thüringer Personalvertretungsgesetzes;

3. Umsetzung der Kompetenzverlagerung bei der Aus-zahlung des Erziehungsgeldes;

4. Situation der Kindertagesstätten;

5. Stand des Programms "50 PLUS" - Ehrenamt;

6. Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen;

7. Familienbildung unter anderem mit Blick auf Gewaltund Extremismusprävention.

Andere Themen wie etwa das Lebenspartnerschafts-gesetz wurden bereits im Beirat behandelt.

Zu Frage 3: Die Mitglieder des Beirats entscheidenübrigens selbst, welche Themen behandelt werden. Die-ses Thema ist bisher noch nicht zur Beratung vor-geschlagen worden, kann aber durchaus von den Mit-gliedern des Beirats zur Beratung vorgeschlagen wer-den. Insofern ist der Beirat autonom in seiner Aufgaben-stellung oder Themenstellung.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Bevor ich nach möglichen Nachfragen frage oder nachAnträgen, möchte ich bekannt geben, dass natürlich alle88 Abgeordneten die 21 Namen der bei Frage 1 ver-sprochenen Liste erhalten.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Ja, ich gebe sie Ihnen zu. Sie bekommen eine Liste mit19 Institutionen. Zu den 21 gehören natürlich das Sozial-ministerium und die Gleichstellungsbeauftragte mit dazu.So kommen die 21 zustande, nicht dass sich nachherdarüber gewundert wird, dass ich 21 gesagt habe undSie bekommen eine Liste mit nur 19.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Gibt es jetzt Nachfragen, Anträge? Frau AbgeordneteBechthum.

3018 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Abgeordnete Bechthum, SPD:

Eine Anfrage nicht, aber ich bitte im Namen meinerFraktion um Überweisung der Mündlichen Anfrage anden Gleichstellungsausschuss.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Darüber werden wir abstimmen. Wer der Überweisungdieser Anfrage und der Antwort an den Gleichstellung-sausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.Danke schön. Dafür ist das Quorum erreicht. Wir ver-fahren so.

Ich rufe als letzte Frage in der Fragestunde die Anfrageder Abgeordneten Bechthum in Drucksache 3/1359 auf.

Abgeordnete Bechthum, SPD:

Situation der Altenpflegeausbildung in Thüringen

Laut Presseberichten werden ab September 2001 nurnoch 119 statt 330 zukünftige Altenpfleger ihre Ausbil-dung in den Thüringer Altenpflegeschulen beginnen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Altenpfleger/-innen wurden bzw. werdenseit 1993 an den Thüringer Altenpflegeschulen bis 2003ausgebildet?

2. Wie viele Altenpfleger/-innen wurden zusätzlich durchUmschulungsmaßnahmen der Arbeitsämter in Thüringenausgebildet?

3. Welchen Bedarf an Altenpflegern und Altenpflege-rinnen sieht die Landesregierung für die Jahre 2003 bis2005?

4. Gibt es Schätzungen, wie viele in Thüringen ausge-bildete Altenpfleger/-innen anschließend in anderenLändern ihre Arbeit aufgenommen haben?

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung beantwortet diese Frage Minis-ter Dr. Pietzsch.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, für die Landesregierung beantworte ich die Fragefolgendermaßen:

Zum Ersten etwas Allgemeines zur Klarstellung, dassdie Frage, wie viele Erstauszubildende im September2001 ihre Ausbildung in Thüringen beginnen werden, nochnicht letztlich und schlüssig beantwortet ist: Im Zu-

sammenhang mit der Diskussion um die Umlage zur Er-stattung der Ausbildungsvergütung in der Altenpflegewurde nämlich dem Land insbesondere von den Trägernimmer wieder vorgeworfen, über den Bedarf hinaus aus-gebildet zu haben. Ich habe daher für das Jahr 2001,also für den Beginn der Ausbildung im September 2001,die Verbände der Einrichtungsträger gebeten, mir denvon ihnen ermittelten und prognostizierten Bedarf mit-zuteilen. Im Ergebnis dieser Umfrage kam die Zahl von119 Erstauszubildenden zustande.

Nun zu Frage 1: Die Zahlen über den erfolgreichenAbschluss der Ausbildung liegen mir im Folgenden vor:1997 324 - 1997 ist mir eine Gliederung nach erstauszu-bildenden Umschülern nicht möglich -, 1998 233, 1999215, 2000 236.

Zu Frage 2: Für das Jahr 1997 kann ich Ihnen die exakteZahl nicht nennen. Ich hatte es vorhin schon gesagt, dadie Erhebung nicht getrennt war. Für die Jahre 1998 bis2000 ergeben sich dann folgende Zahlen für Umschu-lungsmaßnahmen: 1998 119, 1999 138 und 2000 109.

Zu Frage 3: Ein erster Versuch, den mittelfristigenBedarf für die Jahre 2003 bis 2005 zu ermitteln, ist, wieich vorhin schon andeutete, wegen der unzureichendenRückmeldungen der Trägerbereiche der Altenpflege fehl-geschlagen. Wir werden erneut versuchen abzufragenund eine entsprechende Planung durchzuführen. Für dasJahr 2001 sind uns zumindest neue Zahlen benanntworden, die liegen in der Größenordnung bei 234 Aus-bildungsplätzen, was den Bedarf angeht.

Zu Frage 4: Die Anzahl der Erstauszubildenden, dieaußerhalb von Thüringen tätig wurden, sind ermitteltworden: einschließlich des Absolventenjahrgangs 2000waren dies 241 Altenpflegerinnen und Altenpfleger. FürUmschüler liegen mir dagegen keine Zahlen vor. Auf dieeinzelnen Jahre verteilt: 1997 hatten wir Gesamtver-mittlungen 183, in Thüringen waren es 129 und außer-halb von Thüringen 54. 1998 Gesamtvermittlungen 189,130 in Thüringen und 59 außerhalb; 1999 Gesamt-vermittlungen 167, in Thüringen 111 und 56 außerhalb;und im Jahr 2000 Gesamtvermittlungen 200, davon 128in Thüringen und 72 außerhalb.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt dazu keine weiteren Nachfragen. Damit stelleich die Beantwortung fest. Ich schließe den Tages-ordnungspunkt 11, komme zum Aufruf des Tages-ordnungspunkts 12, und zwar des ersten Teils

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3019

Aktuelle Stunde

a) auf Antrag der Fraktion der PDS zumThema:"Auswirkungen der Änderungen desKindertageseinrichtungsgesetzes inThüringen"Unterrichtung durch die Präsidentin desLandtags- Drucksache 3/1348 -

Ich rufe als ersten Redner auf den Abgeordneten Panse,CDU-Fraktion.

Abgeordneter Panse, CDU:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ichfinde den Tagesordnungspunkt heute richtig und wich-tig. Ich bin froh, dass wir hier im Landtag noch einmalsachlich über dieses Thema diskutieren können, dennich denke, das bietet die Gelegenheit einiges gerade zurücken. Und wenn ich sage gerade rücken, möchte ichausdrücklich an das anknüpfen, was heute in der TA zulesen war. Ich zitiere, Frau Präsidentin: "Wir haben wohletwas überzogen, räumte PDS-Fraktionschef Werner Buseschon vor der Aktuellen Stunde über Kindergarten-gebühren heute im Landtag ein. Die PDS hat zwar keinegenauen Zahlen, aber Buse ist sich sicher, die be-fürchtete Verdopplung oder Verdreifachung der Gebührenist so nicht eingetreten."

(Beifall bei der CDU)

Sie haben Recht, Herr Buse, ich stimme Ihnen aus-drücklich zu und ich finde es richtig, dass Sie das in die-ser Form auch geäußert haben. Gerade rücken, damitmeine ich auch, dass wir ein Stückchen von dieser Ver-unsicherung wegnehmen, die wir, beginnend mit derAktuellen Stunde, vor nunmehr fünf Monaten am 12.102000 hier im Landtag hatten. Und da möchte ich auchauf ein Zitat verweisen. Frau Thierbach, Sie sagtendamals: "Ich kann Ihnen nur bestätigen, dass wir bereitsind, die öffentliche Unruhe in öffentlichen Protest um-zuwandeln, damit dieses Gesetz im Landtag gekippt wird."Frau Pelke, Sie haben uns damals Berechnungen vor-gestellt, die flächendeckend von Verdopplungen im Landeausgingen. Herr Gerstenberger, Sie haben damals zu HerrnMinister Dr. Pietzsch gesagt: "Herr Minister Pietzsch,da unterstellen Sie der Opposition, es gäbe draußenProteste von Eltern, Unsicherheit von Trägern und daswäre die Verantwortungslosigkeit der Damen und Herrender SPD und der PDS, die offensichtlich dafür gesorgthätten, dass sich draußen Leute völlig grundlos auf-regen." Herr Gerstenberger, heute und an dem ZitatIhres Kollegen Buse sehen Sie es bestätigt, dass derHerr Minister Pietzsch damals nicht verkehrt lag mitseiner Meinung.

(Beifall bei der CDU)

Die Situation in Thüringen stellt sich momentan so dar,dass es keine Beispiele für dramatische Erhöhungen undnur wenige für deutliche Erhöhungen gibt. In der Regelist der Höchstbetrag für die Kindertagesstättengebührenbei etwa 150,00 DM. Es gibt negative Beispiele, dasmöchte ich auch einräumen, das sind Stadtroda, Eisen-berg und Steinbach-Hallenberg, wo wir mit 200,00 DMHöchstgrenze operieren. Martinroda z.B. auch, das habenSie in der Zeitung gelesen, wo von 75,00 DM auf140,00 DM erhöht wurde. Auch das ist ein deutlichesBeispiel. Aber auch dies haben wir damals in der Dis-kussion nicht ausgeschlossen. Wir haben damals gesagt,wo lange an Gebühren nichts erhöht wurde, da muss auchetwas getan werden und da ist es in der Verantwortungder Kommunen es auch zu tun. Die überwiegendeMehrheit der Thüringer Kommunen hat dabei sehr ver-antwortungsbewusst entschieden. In Erfurt beispiels-weise und in anderen Städten wurde nur um 15,00 DMerhöht, in vielen anderen auch gar nicht. Die politischeEntscheidung, das ist das, denke ich, Wichtige, istgrundsätzlich vor Ort zu treffen. Dabei wird auch dieWirtschaftsentwicklung und die soziale Struktur be-rücksichtigt, was Sie daran sehen, dass in Artern, Nord-hausen oder im Altenburger Land moderater erhöht wurdeals beispielsweise in Jena. Aber es ist positiv, dass wirnunmehr flächendeckend eine soziale Staffelung habenund eine Übersicht über die Gesamtkosten der Kinder-tagesstätten eines Trägers. Die soziale Staffelung nachKinderzahl, und in größeren Städten auch nach demEinkommen, ist vorhanden. In den größeren Städten imÜbrigen auch nach Einkommen, weil dort die notwen-dige Verwaltungsstruktur vorhanden ist. Auf dem flachenLand ist es in der Regel nicht. Manchmal ist es dortauch nicht gewollt, dass die Einkommensverhältnisse indieser Form offen gelegt werden.

Ich möchte zur sozialen Staffelung noch ein anderesZitat anführen, und zwar aus einem Urteil des Bundes-verfassungsgerichts vom 10.03.1998, da steht geschrie-ben - ich zitiere: "Aus den vorgenannten Gründen dür-fen Kindergartenplätze auch Kindern einkommens-schwächerer Eltern nicht vorenthalten werden. DieserAnforderung kann durch sozial gestaffelte Tarife genügtwerden. Eine umfassende Bezuschussung der Kinder-gärten, die allen Eltern ungeachtet ihrer Einkommens-verhältnisse gleichmäßig zugute kommt, ist hingegen zurSicherung ihrer allgemeinen Zugänglichkeit nicht erforder-lich." Dazu und in diesen Zusammenhang gehört auchder § 90 Abs. 3 des SGB IX, in dem geregelt ist, dasseine Kostenübernahme ganz oder teilweise erfolgen kann,wenn den Eltern diese Belastung nicht zumutbar ist. Dasheißt, in der Regel ist auch in Thüringen unter 1.600 DMbzw. 1.700 DM Familiennettoeinkommen der Kindertages-stättenplatz kostenfrei. Bei zwei Kindern im Übrigenungefähr bei 2.000 DM, das setzt sich dementsprechendfort. Das heißt aber auch, keiner muss Kinder abmelden.Kein Alleinerziehender und keine sozial Schwächerenkönnen sich Kindertagesstätten nicht mehr leisten, sowie Sie es uns angekündigt hatten, Frau Bechthum, in

3020 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

der Sitzung im Oktober vergangenen Jahres.

Auf einen letzten Punkt möchte ich noch kommen: DerLandeselternverband hat uns damals prognostiziert, dasssich die Kindertagesstättengebühren verdoppeln und ver-dreifachen werden. Heute sagt der gleiche Elternverband inder TLZ vom 06.03.2001: "Ein Trend scheint sich ab-zuzeichnen, während die Anhebung der Gebühren in denunteren Einkommensgruppen relativ maßvoll ausfällt,trifft es die oberen Einkommensbezieher ganz hart."

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Abgeordneter Panse, CDU:

Ich komme zum Schluss. Dieses Ende der sozialen Staf-felung, die wir in den vergangenen Jahren in der StadtErfurt beispielsweise bei 4.000 DM hatten seit 1993, dashat sich in der Tat deutlich verschoben, das geht in-zwischen bis 6.000 DM und 7.000 DM. Ich halte es fürrichtig, dass Einkommensstarke auch entsprechend stär-ker mit zur Verantwortung gezogen werden. Das bestätigtauch das Bundesverfassungsgericht.

Abschließend, ich ziehe das Fazit, dass Polemik auf demRücken unserer Kinder nicht angebracht ist; Horror-szenarien in dieser Form, wie sie prognostiziert wurden,nicht eingetreten sind, es keine leeren Kindertagesstättengibt und verantwortungsbewusst vor Ort entschiedenwurde. Ich bin dankbar für die Chance, dies hier nocheinmal klarzustellen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächste Rednerin hat sich Abgeordnete Bechthum,SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordnete Bechthum, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist dochgut, dass man als Abgeordnete Kontakte zu den Kinder-tageseinrichtungen hält und auch zu den Schulen, ihreProbleme auch dort aufnimmt und hört und dann auch,wenn man Informationen auch mal haben möchte, dieseauch ehrlich bekommt, unbefangen und auch ungefärbt.Ich möchte hier einige Angaben von einzelnen Kinder-gärten, also von Frauen, die dort tätig sind, wiedergebenund auch von Grundschulen, also von Horteinrichtungen,zum Beispiel der Leiterin eines Kindergartens auseinem Ortsteil. Dass Sie auch mal hören, was die Eltern sosagen, was die glauben. Die meisten Eltern haben sichdamit abgefunden, dass sie 10 bis 20 DM mehr bezahlenmüssen. Nach ihren Einschätzungen wird esAbmeldungen nicht geben. Eine besser verdienendeFrau hat sich geäußert, dass es in Zukunft knapp für sie

wird. In den Ortsteilen wissen sie zum Teil nicht, dass siezu Erfurt gehören. Das ist leider immer noch so. Dann eineErzieherin aus einem Kindergarten: Auswirkungen könnennoch nicht genannt werden, weil die Briefe vomJugendamt an die Eltern, Änderungszettel, erst gesternausgeteilt wurden und eine Rückmeldung noch nichterfolgen konnte. Dann auch eine Leiterin einesKindergartens im sozialen Brennpunkt: Die Elternsagten ihr, dass bei einer Gebührenerhöhung von 20 bis30 DM pro Kind sie ihre Kinder in der Einrichtungbeließen, sollten die Erhöhungen aber mehr als 50 DModer wie in manchen Fällen das Doppelte betragen, würdensie ihre Kinder von Bekannten oder Verwandten gegenein Entgelt betreuen lassen. Die wären dann ja auch da,wenn das Kind krank ist, aber Genaues kann sie nochnicht sagen. Dann eine Horterzieherin in der Grundschule:Auch hier sind Briefe an die Eltern vom Schulverwal-tungsamt, nach denen die Eltern neu eingestuft werden,erst versandt worden. Die Thüringer Verordnung überdie Beteiligung von Eltern, von Erziehungsberechtigtenan den Kosten für die Hortbetreuung, kurz an denHortbeteiligungskosten, ist also noch nicht in Kraftgetreten. Dann die Kita-Gebühren in Erfurt, Herr Pansehat sie ja genannt, bei 4.500 DM von 130 auf 177 DM,bei 6.000 DM auf 290 DM; es ist zwar gestaffelt, dasstimmt, und dass die unteren Gehaltsklassen oder auchSozialhilfeempfänger keine Gebühren zahlen müssen,nur das Essengeld. Ja aber wir reden immer davon, dieBesserverdienenden können das. Das ist ja auch richtig,aber jetzt wird schon zum Teil sehr viel abgewälzt aufden Rücken der Besserverdienenden.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Ja, dasist schön.)

Das ist ja auch richtig, aber zum Teil, das wissen Sieselbst auch, wer dann zwei Kinder hat und diese hohenKosten bezahlt oder drei Kinder und ich kenne Fami-lien, die das haben und wo einer eben Alleinverdienerist, also ganz so rosig sieht es eben nicht aus. Ich möchtenoch sagen, ich bin mal gespannt, wie es wird in denOrtsteilen, wo mir diese Erzieherin aus dem Ortsteil dasso mitgeteilt hat, wie die Eltern entscheiden werden. Ichwerde mich erkundigen, wenn sie genau wissen, waskommt auf sie zu. Da ist die größte Gefahr, dass dochEinrichtungen hier dann vielleicht schließen müssen.Das war einmal dazu, dass Sie auch ganz konkreteAussagen hierzu haben. Danke.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als Nächster hat sich der Abgeordnete Huster, PDS-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3021

Abgeordneter Huster, PDS:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, Ausgangspunkt meiner Überlegung ist die Tatsa-che, dass in Thüringen nach wie vor viel zu wenig Kin-der geboren werden und die...

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Ja,dann mal ein bisschen ran.)

Ja, das gilt auch für mich. Aber das ist ein ernstes Thema,Jungs. Es werden in Thüringen zu wenig Kinder geboren

(Beifall bei der PDS)

und die demografische Perspektive des Landes ist er-nüchternd. In diese Zeit hinein, wo das auch viele Men-schen so empfinden, ändert die Landesregierung ein gutesGesetz. Das wurde im Herbst begründet vom zuständigenMinisteriumssprecher. Er hat gesagt, die Gesetzes-änderung dient der Angleichung der Lebensverhältnissein Deutschland. Das war nicht besonders klug, das warim höchsten Maße zynisch. Das war im letzten Herbst,danach hat Minister Pietzsch versucht, die Gemüter zuberuhigen. Er hat draußen und hier im Landtag erklärt,das wird alles nicht so schlimm.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Das ist jaauch nicht so schlimm geworden.)

Einen kleinen Moment. Wir erinnern uns auch an eineAbgeordnete im Haus, die erklärt hat, die CDU-Fraktionhätte den Pietzsch-Entwurf erst einmal vom Kopf aufdie Füße gestellt. Das hat Herr Pietzsch sofort demen-tiert. Egal wo das Ding nun steht: Unter anderem warstrittig, ob eine Maximalbeteiligung von 30 Prozent derEltern an den Gesamtkosten festzuschreiben sei odernicht. Nun steht keine mehr drin und man kann jetztsagen, dass einige Kommunen, darum ging es auchHerrn Buse, schamlos zugreifen. Das ist der Punkt.Ermöglicht haben Sie das, das ist der zweite Punkt.

(Beifall bei der PDS)

Diese Landesregierung hat an einem guten Gesetz Handangelegt und sie haben nicht zuletzt an einem weichenStandortvorteil Hand angelegt, dessen Bedeutung wirimmer stärker einschätzen, wenn wir auch die Debattevon vorhin bedenken. Diese weichen Faktoren werdendeshalb benötigt, weil die Schere zwischen Ost und Westwieder auseinander geht. In dieser Situation, meineDamen und Herren, benötigen die Menschen Vertrauen,Verlässlichkeit und nicht mehr Verunsicherung. Diese Ver-unsicherung der letzten Monate, die auch weitergeht,die haben Sie zu verantworten.

(Beifall bei der PDS)

Ich will Ihnen eins sagen, die nächsten Bedarfspla-nungen im September, die stehen aus und die werdennoch einige Veränderungen bringen.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Wer hatdenn die Gerüchte gestreut mit 3-facherGebührenerhöhung?)

Dieses geänderte Gesetz ist das Gegenteil von Familien-freundlichkeit und es ist das Gegenstück Ihrer Sonntags-reden, meine Damen und Herren, und es ist nicht das Signalan Thüringer Familien, hier in Thüringen trotz schwie-riger Arbeitsmarktlage zu bleiben. Das ginge auch anders.Einige Politiker im Bundestag und in der bundesweitenÖffentlichkeit denken schon laut darüber nach, obGebühren für Kindertagesstätten von Bund und Ländernals Zukunftsinvestition übernommen werden können.

(Beifall bei der PDS)

Das hätten Sie auch machen können, wo Sie sich immerso hinstellen, dass Sie so fortschrittlich sind. Insgesamt,und so meine Bewertung, lässt sich jetzt nach reichlichdrei Monaten feststellen, dass sich die Gesetzesände-rungen nicht für alle Eltern und Kinder nachteilig aus-wirken, aber für viele und das ist schlimm genug. Dankeschön.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächste Rednerin hat sich Frau AbgeordneteArenhövel, CDU-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordnete Arenhövel, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,die Diskussion hat ja schon gezeigt, dass die Gebühren-erhöhung in den Kommunen relativ maßvoll erfolgen, aberich finde, es ist auch noch zu früh, um ein endgültigesUrteil zu fällen, denn erst ein Drittel der Kommunen hatgehandelt und der Thüringer Minister für Soziales,Familie und Gesundheit wird auch noch die Empfehlungherausgeben. Allerdings finde ich schon, Herr Huster, Siesollten sich vielleicht einmal mit Ihrem Fraktions-vorsitzenden einig werden zu den Aussagen, die Siehierzu treffen,

(Beifall Abg. Gentzel, SPD)

ehe Sie in die Debatte gehen. Sie haben sogar in derZeitung über Ihre Fraktion anderes gelesen. Wir denkenschon, dass es richtig gewesen ist, diese Frage denKommunen zu überantworten, denn vor Ort weiß manam besten, was man seinen Eltern zumuten kann undwie man den Rechtsanspruch, das will ich auch nocheinmal betonen, der Rechtsanspruch auf einen Kinder-gartenplatz ab zweieinhalb Jahre muss gesichert werden,

3022 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

dazu sind auch die Kommunen verpflichtet und er darffinanziell nicht ausgehöhlt werden. Dazu sind dieKommunen jetzt in der Pflicht, meine Damen und Herren.

Ich bin aber auch der Meinung, wir sollten diese Debattenicht nur auf einen Gebührenstreit verkürzen, denn dass,was auch wichtig ist, ist die Frage, in welche Kindertages-stätten gehen denn unsere Kinder überhaupt. Da muss ichsagen, haben wir nach der Wende wirklich Trauriges vor-gefunden, was den Bauzustand der Kindertagesstätten an-betrifft. Wir haben den Haushaltstitel für die Investitionenin Kindertagesstätten verdoppelt, meine Damen und Her-ren,

(Beifall bei der CDU)

also statt 5 Mio. DM 10,6 Mio DM. Wir haben mit demMinisterium gesprochen, die Mittel in diesem Bereichfließen sehr gut ab. Das heißt, das Programm wirdaußerordentlich gut umgesetzt und von den Kommunensehr stark nachgefragt. Die Zeit, in denen Kinder inBaracken untergebracht werden mussten, die muss end-gültig vorbei sein und dazu rufe ich Sie auf und da bitteich auch die Opposition darum, uns in diesem Anliegenhier stark zu unterstützen.

Wenn Sie von Erfurt sprechen, Frau Bechthum, dann mussich Ihnen schon auch entgegenhalten, selbstverständlichwird hier auch nach Kinderzahl gestaffelt und selbst-verständlich werden die Kinder berücksichtigt, und zwarnicht nur die, die in Einrichtungen gehen, sondern dieKinder, die kindergeldberechtigt sind. Dass uns diesesThema auch nicht so gefällt und wir auch lieber besserePreise hätten, das ist schon klar, aber dazu müsste danndas ganze hohe Haus bereit sein, auch einmal über dieKostenstruktur insgesamt gesehen nachzudenken.

Ich möchte auch sehr herzlich die Elternvertreter be-grüßen, die heute hier unter uns sind und denke mal, wirsollten zu diesen ganzen Fragen die Diskussion auchdurchaus weiterführen. Ein wichtiger Punkt ist außer-dem noch die Umsetzung bezüglich der Fachkräfte inden Einrichtungen bei den behinderten Kindern. Das ist,denke ich mal, eine Sache, die wir auch nicht aus demAuge verlieren dürfen. Auch hier haben wir mit demMinisterium bereits Gespräche geführt. Wir halten es fürgut, dass sehr genau hingesehen wird, wie man mitdieser Frage umgeht und dass man nicht einfach dieFachkräfte hier durch zwei teilt, sondern dass man schaut,wo hat es denn Missbrauch gegeben und wo sind aberdie Fachkräfte für die behinderten Kinder auch dringendnötig. Es kann sinnvoll sein zu sagen, wir haben vierbehinderte Kinder und eine Fachkraft dafür und dannhaben alle etwas davon. Hier muss schon einmal genauhingeschaut werden und auch in dieser Frage sollten wirgemeinsam im Gespräch bleiben. Vielen Dank für IhreAufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als Nächste hat sich Frau Abgeordnete Pelke, SPD-Frak-tion, zu Wort gemeldet. Übrigens ist es erfreulich, dassinzwischen wieder fast alle Abgeordneten im Hause sind,aber der Geräuschpegel könnte etwas abgesenkt werden.

Abgeordnete Pelke, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Frau Aren-hövel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Diskussion mitden Elternvertretern weiterführen wollen, aber es wärevielleicht sinnvoller gewesen, man hätte die Diskussion imVorfeld geführt.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Jetzt werden wir uns über die Auswirkungen verständi-gen müssen und nicht mehr über die Möglichkeiten, dieman ggf. gehabt hätte. Also nach Ihren Ausführungen, vonHerrn Panse und Frau Arenhövel, läuft alles unter demMotto, Stichwort: Alles wird besser, nichts wird gut. Aneinem Punkt stimme ich mit Ihnen überein, FrauArenhövel. Dieses Thema wird uns in wenigen Monatennoch einmal beschäftigen, wenn wir nämlich einen Ins-gesamtüberblick haben, denn wir reden im Moment vonTeilbereichen und Sie wissen ganz genau, auch Herr Pansehat das mit erwähnt, dass beispielsweise in Jena noch nichtsbeschlossen ist, dass beispielsweise in Gera noch nichtsbeschlossen ist und, und, und.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Das liegt andem SPD-Dezernenten.)

Wir wissen, dass in einigen Bereichen die Erhöhungen beimehr als 50 DM liegen. Also zum Beispiel - es mag ja sein,dass Sie sagen, das sind kleinere Bereiche - ist es inGeschwenda so. Was mir dann aufgefallen ist, ist eineDiskussion, die unterschwellig neben der Erhöhung geführtwird. Genau das hat ja dieses Gesetz eröffnet, nämlicheine Diskussion über Inhalte und über Betreuungsqualität.Lassen Sie mich das an einem Beispiel sagen. Wenn z.B.in Langewiesen um 40 DM erhöht wurde, dann kannman ja noch darüber reden, dass man sagt, auch das liegtja noch einigermaßen in Nähe dessen, was einmal anDurchschnittsgröße angekündigt worden ist. Aber bei-spielsweise wird dort für einzelne Schichten ein Zusatz-beitrag verlangt. Beispielsweise wenn die Kinder Früh von6.00 - 7.00 Uhr da sind, wird noch einmal eine Summe vonzusätzlich 10 DM erhoben und für die längere Betreuungebenfalls eine Summe von 10 DM. Das heißt, dann sindwir mittlerweile schon bei Betreuungskosten von 60DM pro Kind. Genau das ist das, was wir auch im Vor-feld immer gesagt haben, mit dieser Veränderung, mitdieser Öffnung diskutieren wir nicht nur über finanzielleRahmenbedingungen, sondern wir diskutieren jetzt auchdie Frage von inhaltlicher Qualität und von Betreuung.Da kann ich mich nur Herrn Huster anschließen, es istletztendlich ein gutes Gesetz geöffnet worden und damit

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3023

nicht verbessert, sondern verschlechtert; es ist geöffnetworden dahin gehend, dass vor Ort jetzt entschiedenwerden kann auch hinsichtlich Verschlechterungen inRichtung von Eltern und von Betreuern. So ehrlichmuss man sein, das passiert ...

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: .... ver-nünftig.)

Also wenn Sie das vernünftig finden, unter dem Aspekt- wenn es beispielsweise berufstätige Frauen angeht -, ichrede jetzt von dem bestimmten Fall, den ich als Beispielgeschildert habe. Für bestimmte Zeiten einmal ist esgenannt worden, so genannte Randzeiten, wo ich michschon darüber aufgeregt habe, weil genau diese Rand-zeiten von berufstätigen Frauen gebraucht werden, wenndie dann beispielsweise durch diese gesetzliche Regelungnoch zusätzlich finanzielle Kosten für die Elternverursachen, dann ist das nicht in Ordnung und dann ist eseine Folge dessen, was Sie eingeleitet haben.

(Beifall bei der SPD)

Das muss man ganz ehrlich sagen. Noch ein Punkt: Siemüssten, wenn Sie ehrlich sind, auch wissen, dass freieTräger darüber nachdenken, auch Kindereinrichtungenwieder abzugeben - das sind Diskussionen, die vor Ortgeführt werden -, weil beispielsweise bei der Verringe-rung des Zuschusses bei den Sachkosten - Frau Arenhövel,das wissen Sie sicherlich aus Erfurter Sicht ganz genau,der Sachkostenzuschuss ist ja um 10 DM verringert wordenund dann gibt es ja nun zwei Möglichkeiten: Es wirdbeispielsweise von der Kommune übernommen oder derfreie Träger gibt es weiter an den Endverbraucher, sprichdie Eltern. Die Stadt Erfurt hat ziemlich deutlich gesagt,dass sie diese Summe, aufgrund der desolatenHaushaltssituation nicht übernehmen kann. Also sind wirgenau bei dem, was wir auch vorher gesagt haben, eswerden Veränderungen und Verschlechterungen wei-tergereicht und irgendwo müssen sie ja ankommen. Wennes der freie Träger nicht übernehmen kann, dannmüssen es die Eltern übernehmen oder es wird wenigeran Sachmaterial zur Verfügung gestellt. Das ist dieKonsequenz und die muss man hier ansprechen, deswe-gen ist das Thema heute auf der Tagesordnung. Was ichmir wünschen würde, wäre, dass wir, wenn ein tatsäch-licher Überblick über das, was in den einzelnen Kom-munen passiert ist an Erhöhungen und auch an Verände-rungen im Rahmen der Betreuung, dieses Thema wiederaufrufen. Ich stimme Ihnen noch einmal zu an diesemPunkt, ich möchte sehr gern die weitere Diskussion mitElternvertretern und ich möchte die Diskussion mitBetreuern und Betreuerinnen. Weil wir diese Diskussionja auch vorher geführt haben, denke ich einmal, ist essinnvoll, dass wir diese Gespräche auch jetzt weiterführen,möglicherweise im Hinblick, dass für sie noch deutlicherBestätigung dahin gehend erfolgt, dass diese Regelungen,die hier beschlossen worden sind mit Ihrer Mehrheit, beiweitem keine Verbesserungen, sondern Verschlech-

terungen mit sich gebracht haben. Danke schön.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächste Rednerin hat sich zu Wort gemeldet FrauAbgeordnete Thierbach, PDS-Fraktion.

Abgeordnete Thierbach, PDS:

Meine Damen und Herren, auch sehr geehrter HerrMinister Pietzsch, ich habe den Eindruck, manche glaubenden Zeitungsartikeln wie zu DDR-Zeiten, wo mancheMarxzitate benutzt haben als ein Dogma der absolutenWahrheit.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: KeinePresseschelte.)

Ich mache keine Presseschelte. Da bin ich genau bei dem,was Sie meinem Fraktionsvorsitzenden vorwerfen. Siebenutzen ihn sogar und der arme Kerl muss auch nochherhalten für Ihre Benutzung, die ich auch nicht inOrdnung finde,

(Unruhe bei der CDU)

weil er diese Aussage so nicht getroffen hat.

Nun zur Realität: Herr Minister Pietzsch, Sie hatten ver-sprochen, Erhöhung maximal 10 bis 30 DM. Realität:Sömmerda ein klaffendes kommunales Finanzloch in Höhevon 200.000 DM; Eisenberg - ein Ganztagsplatz in einerKita-Einrichtung bisher 130 DM, ab 01.03.2001 200 DM;Krippenplatz bisher 150 DM, ab 01.03.2001 300 DM,einfache Verdopplung; Stadtroda - bisher 117 DM auf222 DM, von 107 DM auf 212 DM, dort fehlen sagen-hafte 2 DM an einer Verdopplung oder von 92 DM auf197 DM; Wasungen - eine Explosion der Gebühren umüber 40 Prozent vor allen Dingen im Krippenbereich,von bisher 135 DM auf jetzt 190 DM; Arnstadt - Kita-Gebühren von bisher 150 DM auf 205 DM bzw. 150 DMauf 300 DM bei Kinderkrippen; Steinbach-Hallenberg -Bürgermeisterzitat: "In den letzten zehn Jahren wurdenGebühren im Interesse von Kindern und Eltern nichterhöht."

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister fürSoziales, Familie und Gesundheit: Und da hatsich auch nichts geändert.)

Und genau diese Wahrheit schreibt ein Bürgermeister.Und dieses Interesse wäre das, was Sie hätten bei derEntscheidung zum Haushalt hier wieder in den Mittel-punkt stellen müssen, dann hätten Sie diese Erhöhungnicht gemacht, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei der PDS)

3024 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Wir können auch nicht flächendeckend über ganz Thü-ringen nachweisen, wie das gelaufen ist, aber reicht esIhnen nicht, an der Menge, die jetzt schon da ist. Natür-lich haben noch nicht alle Kommunen alles abgeschlos-sen. Natürlich hat die Stadt Gera erst einmal vorsorglichdie Verträge mit den Trägern gekündigt, schon im De-zember. Spricht das für eine Sicherheit der Kommune?Haben Sie mit Ihrem Gesetz für Sicherheit bei Elterngeführt? Nein, Verunsicherung bei den Kommunen unddann noch einmal transportiert auf Eltern. Oder wiewollen Sie damit umgehen? Wir kritisieren schon mehr-fach diese Gebührenschraube und dabei möchte ich nocheinmal darauf eingehen, was Vorredner genannt haben.Natürlich ist es richtig, dass wir bei den Kinderkrippennicht geändert haben, Herr Minister.

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister fürSoziales, Familie und Gesundheit: Na also.)

Richtig. Aber was machen denn die Kommunen mit demwenigen Geld, was sie haben? Die gehen bei den Pflicht-leistungen im Kindertagesstättenbereich genau auf denRegelungsbedarf, den sie brauchen, und bei Krippengehen sie in den freiwilligen Bereich. Dort überlegen Sie,wie viel Geld haben wir denn noch und dadurch ziehendiese Erhöhungen mit. Ich frage mich, wie lange wirKrippen wirklich für die Frauen haben, die einen Krippen-platz möchten, und nicht nur für die Frauen, denen Sienach dem Gesetz gestattet haben, dass sie einen bekommenkönnen. Das ist eine methodisch und politisch voll-kommen andere Herangehensweise, um der Frau einRecht zu geben, dass sie selbst entscheidet, oder ob ichihr die Möglichkeiten per Gesetz diktiere.

(Beifall bei der PDS)

Wenn Ihnen diese Verunsicherung in den Kommunen, dieSie heute überall gehört haben, nicht reicht, dann frageich mich: Wie wollen Sie denn umgehen mit den nochzu erwartenden Veränderungen? Es heißt doch nichtsanderes als: Liebe Eltern, durch die Tatsache, dass bis zum01.09. erst tatsächlich die Personalschlüssel feststehen,bis dahin wisst ihr auch in diesem Jahr nicht genau, was,wann am 31.12. wie steht. Das ist ein ganzes Jahr. Undich empfinde ein ganzes Jahr nicht geklärte Verhältnissenicht gerade als schön.

Als letztes Argument: Sie reden immer von Wirtschafts-standorten, von Standorten des Vorteils. Wir werden nach-her wieder davon genug hören und wir haben auch heutefrüh schon viel gehört. Ein weicher Standort für Familienwar tatsächlich unser modernes Kindertagesstättengesetz.Ist er es noch? Mit welchen Argumenten will ich Leuteüber Bedingungen hier halten. Will ich den jungenLeuten anbieten, na gut, hier kriegst du genausoschlecht wie im Westen einen Kindergartenplatz?

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Dasist doch nicht wahr, Frau Thierbach.)

Ich möchte unseren Standortvorteil im Kindertages-stättenbereich ganz anders ausnutzen, und zwar dass wirhelfen, dass nämlich auf der Grundlage einer gleichenChancenbedingung für Kinder im Westen nachgezogenwird mit Kindertagesstätten und nicht dass wir hierabbauen, um dann Ost und West gleich zu haben. Dasist total der falsche Weg.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Machtdoch keiner.)

Frau Arenhövel, Sie sagen, macht doch keiner. Natür-lich geht das schon los. Und wenn Sie bereit sind, in derMethode, wo Sie eben gesagt haben, macht doch keiner,es tatsächlich ernst meinen, dann nehmen Sie als aller-erstes einen Stift und ein Blatt Papier und schreibeneinen Antrag für Ihre Fraktion und der Antrag heißt:Liebe Fraktionsmitglieder, lasst uns im Landtag dafüreintreten, dass der Beschluss zur Drucksache 3/1169"Deregulierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen derRegelungsdichte im Bereich der Kindereinrichtungen zureduzieren" aufgehoben wird. Das wäre das Sinnvollste,was Sie aus dieser Debatte vielleicht mitnehmenkönnten. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich möchte feststellen, dass ich bei der Redezeitbemessungaller Abgeordneten sehr großzügig war in dieser Debatte.Herr Minister Dr. Pietzsch hat sich noch einmal zu Wortgemeldet.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie undGesundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, ich will mich mal bemühen, dass die Redezeit nichtnoch großzügiger wird. Herr Buse - wo er Recht hat, hater Recht und Sie hatten Recht. Die Tatsache, wie hierdie Opposition einen Eiertanz vollführt hat,

(Beifall bei der CDU)

um die Kassandrarufe zu untermauern, das muss ichschon sagen, war eine tolle Sache. Als Minister kann eseinen richtig freuen. Dann ist es wohl nicht so ganzfalsch gewesen, was wir gemacht haben.

(Beifall bei der CDU)

Frau Thierbach, Sie sollten sich den Namen "Kassandra"zulegen,

(Beifall bei der CDU)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3025

bloß mit dem Unterschied, dass, wovor die Kassandragewarnt hat, ist dann wirklich eingetroffen. Sie warnenständig.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Genaudeswegen nehme ich den Namen an.Kassandra hatte Recht!)

Ja, heftig, heftig, Frau Thierbach, schnappen Sie nicht über.

(Heiterkeit bei der CDU)

Sie haben 1993 gewarnt, lesen Sie doch mal im Proto-koll nach. Ich kenne Ihre Jammerrede, die Sie hiergehalten haben, vom Ende des vergangenen Jahres undnun jammern Sie wieder. Es ist nie so eingetroffen, wieSie es prognostiziert haben. Gott sei Dank, sage ich.

(Beifall bei der CDU)

Und ich sage Ihnen, es wird auch in Zukunft nicht ein-treffen. Überhaupt, meine Damen und Herren, FrauThierbach, Sie heben auf den Krippenbereich ab so ge-waltig. Sie haben dann allerdings so beiläufig selber ein-geräumt, dass wir an der Finanzierung der Krippen nichtein Jota geändert haben.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Nichteingeräumt, wörtlich gesagt. Richtig.)

Und dann führen Sie an als fürchterliche Situation, dassnicht jeder, der einen Krippenplatz haben möchte, auchein Rechtsanspruch letzten Endes auf einen Krippen-platz hat, den Rechtsanspruch haben wir nicht drin. FrauThierbach, wissen Sie, was mir da in den Sinn kam? Alsmeine Kinder mal in die Kinderkrippe sollten zu DDR-Zeiten, wenn die Frau nicht gearbeitet hat, brauchte siesich überhaupt erst einmal nicht für einen Kinder-krippenplatz anzumelden. Das war Realität in der DDR.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU:Und Vollzeit!)

Und jetzt machen Sie hier ein Riesengeschrei.

Meine Damen und Herren, es ist weiß Gott besser ge-worden, viel besser.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Frau Bechthum, Sie haben sich"unbefangen" und "ungefärbt" Informationen eingeholt.Ja, was denken Sie denn, was wir machen. Wir holen sienicht gefärbt ein, aber wir sortieren nicht nur die schlechtenMeldungen heraus. Zum anderen haben Sie gesagt, dassIhnen die Frauen gesagt haben, mit 10 oder 12 DMmehr bezahlen, da sind sie schon mit einverstanden.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: 20 bis30.)

10 bis 20 DM haben Sie gesagt. Ich bin sogar damalshöher gegangen, ich habe gesagt: 15 bis 30 bis eventuellauch 40 DM habe ich damals gesagt in einigen Diskus-sionen. Ich möchte Ihnen eigentlich herzlich danken,Frau Bechthum, eine bessere Bestätigung der Prognose,die ich abgegeben habe, als Sie sie mir gegeben haben,kann ich eigentlich nicht bekommen. Das ist schon einegute Leistung.

(Beifall bei der CDU)

Aber eines, Frau Bechthum, muss ich Ihnen vorwerfen:Sie schüren immer noch mit vagen Vermutungen - undwenn und es ist noch nicht, es könnte und es wird. Hal-ten Sie sich doch bitte an die Tatsachen!

(Zwischenruf Abg. Bechthum, SPD: Das sinddoch Tatsachen.)

Halten Sie sich doch bitte an die Tatsachen, wie bisherdie Kommunen. Ich sage hier an dieser Stelle auch einenherzlichen Dank an die Kommunen, denn wir haben denKommunen zugetraut, dass sie verantwortlich mit derBeitragskostenerhöhung im Kindergartenbereich umgehen.

(Beifall bei der CDU)

Dieses haben die Kommunen, denke ich, bisher sehr ver-antwortungsvoll gemacht. Wenn Frau Pelke sagt Dis-kussion über Inhalte und Qualität der Betreuung undvorrechnet, was die Sachkosten angeht und dass die 10 DMSachkosten nicht weitergegeben - ich könnte ja jetztnoch mal ein Seminar abhalten über die Berechnungund darüber, was weniger in den Kommunen ankommtund was nicht weniger ankommt. In Erfurt z.B. kommt nurweniger an, die 10 DM, die die freien Träger zusätzlich be-kommen haben, was die Personalkosten angeht,kommen überhaupt nicht weniger an und deswegen istauch die Erhöhung der Beiträge durchaus sehr moderatgewesen.

Meine Damen und Herren, ich denke, die Realität dergegenwärtigen Beitragssituation in den Kindergärtenspiegelt nicht die Stimmungsmache wider, die hier vonder Opposition betrieben wird, und das weise ich aus-drücklich zurück.

(Beifall bei der CDU)

Die Elternbeiträge liegen nun ein Vierteljahr nach In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung im Durchschnitt bei120 bis 150 DM. Es haben Staffelungen stattgefundenin Bereichen bei Kindergärten und bei Kommunen, wovorher keine Staffelungen durchgeführt worden sind.Das muss man dazu sagen. Aber, meine Damen undHerren, wenn Sie sich darüber beklagen, die soziale

3026 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Staffelung steht im Gesetz seit 1993 drin und das istkeine Erfindung der Gesetzesnovellierung, die wir jetzteingebracht haben.

(Beifall bei der CDU)

Und es sind Beispiele gebracht worden, wo es in der Tatum 100 Prozent angestiegen ist - Martinroda. Aber, meineDamen und Herren, da muss man auch von der Basisausgehen. Wenn man von 75 DM auf 140 DM erhöht,dann ist das in der Tat eine Steigerung um 100 Prozent.Aber wenn man in den anderen Kindergärten im Durch-schnitt bereits bei 120 bis 140 auch vor der Novel-lierung gelegen hat, dann muss man dieses, denke ich,in eine gewisse Relation setzen. Und, meine Damen undHerren, um Erfurt noch mal zu nennen, Erfurter Familienmit einem Kind und einem monatlichen Netto-einkommen von 3.000 DM zahlen einen monatlichenBeitrag in Höhe von 100 DM, und zwar für einen Ganz-tagsplatz. Das sind 15 DM mehr als bisher. Nach einerPressemeldung spricht der Landeselternverband voneinem "Trend, während die Anhebung der Gebühren inden unteren Gehaltsgruppen relativ maßvoll ausfällt, trifftes die oberen Einkommensbezieher" - so der Landes-elternverband.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Wen soll esdenn sonst treffen?)

Ja, meine Damen und Herren, ich könnte jetzt sagen, ichbin ja nicht Finanzminister, sondern Sozialminister.Meine Damen und Herren, als Sozialminister habe ichkein Problem damit, dass die höheren Einkommens-gruppen auch etwas höher zur Kasse gebeten werden.

(Beifall bei der CDU)

Und um es mal an Zahlen deutlich zu machen: Wennbei einem Nettoeinkommen von 6.000 DM und mehrmonatlich eine Familie mit einem Kind 290 DM bezahlt,dann halte ich das durchaus auch für vertretbar.

(Beifall bei der CDU)

Übrigens, meine Damen und Herren, diese Erhöhungwäre auch ohne unsere Novellierung gekommen, dennich weiß ja im Vorfeld, welche Satzungsänderungen inden Schubläden der Kommunen gelegen haben, bevor wirdie Novellierung durchgeführt haben. Alles in allem,meine Damen und Herren, heute können wir nicht mitNegativmeldungen dienen, wie es ursprünglich viel-leicht mal angedacht war. Und wenn wir nicht mitNegativmeldungen dienen können, was die Beiträge an-geht, dann, denke ich, sollten wir - auch Frau Arenhövelhat auf die Substanz der Kindergärten hingewiesen - aufdie Verdoppelung der investiven Fördermittel hinweisen.Wir werden in den nächsten beiden Jahren neun Neu-und Ersatzbauten von Kindertageseinrichtungen fördern,wir werden acht Grundsanierungen durchführen, 15 Träger

von Kindertageseinrichtungen werden bei Investitionenin Kindertageseinrichtungen mit Landesmitteln unterstütztwerden. Ich meine, das ist auch eine Sache, die wirnicht aus dem Auge verlieren dürfen, denn die Kinder-gärten haben es weiß Gott flächendeckend nötig, dass daetwas verbessert wird.

Insgesamt, meine Damen und Herren, eine maßvolleErhöhung, die sozialverträglich ist, und noch mal auchmeinen Dank an die Kommunen, dass sie so verantwor-tungsvoll die Satzungsänderung durchgeführt haben,zumindest in der Mehrheit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Minister Pietzsch, ich möchte Sie nur darauf hin-weisen, dass der Ausdruck "überschnappen" bei einemAbgeordneten Folgen gehabt hätte.

(Zuruf Dr. Pietzsch, Minister für Soziales,Familie und Gesundheit: Also, dannschnappe ich zurück. Bei wem war denndas?)

Lassen wir das einfach mal so stehen. Sie wissen dasauch selbst sehr gut, dass das so ist.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 12 a und kommezum Aufruf des zweiten Teils des Tagesordnungs-punkts 12

b) auf Antrag der Fraktion der SPD zumThema:"Rechtsextremismus in Thüringen"Unterrichtung durch die Präsidentin desLandtags- Drucksache 3/1425 -

Ich rufe als ersten Redner den Abgeordneten Fiedler,CDU-Fraktion, auf.

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, wir beschäftigen uns heute in der Aktuellen Stundemit dem Thema "Rechtsextremismus in Thüringen". DieSPD-Fraktion hat diesen Antrag eingebracht und alleFraktionen haben dem zugestimmt. Ich glaube, es istwichtig und notwendig, dass wir dieses - ich sage mal -Phänomen, was uns hier in den Ländern und nicht nur inThüringen, in den gesamten Bundesländern ereilt, dasswir immer wieder mit allen Möglichkeiten, die uns dazuzur Verfügung stehen, gegen diesen Extremismus undhier in diesem speziellen Falle Rechtsextremismus an-kämpfen.

(Beifall bei der CDU)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3027

Ich glaube, meine Damen und Herren, dass hier gemein-sam die Landesregierung und die Fraktionen dieses Hausesbisher, denke ich, doch einen guten Beitrag dazu geleistethaben. Es gibt natürlich unterschiedliche Meinungen, wieman das Ganze bewertet und wie man mit dem Ganzenumgeht. Ich glaube, die letzten Pressemeldungen, dieuns zur Kenntnis gegeben wurden, dass hier Thüringenangeblich jetzt die Führungsspitze in den Statistikeneinnimmt, die sollte man mit etwas Vorsicht betrachten.Wir wissen, und der Innenminister hat dieses ja auch schonausgeführt und Sie wissen das auch, meine Damen undHerren hier im Hause, dass gerade seit dem Einrichtender Koordinierungsstelle Gewaltprävention schon vieleDinge eingeleitet wurden. Der Innenminister und wirhaben damals schon darauf hingewiesen und er hat esausdrücklich gesagt, wir werden in diesem Lande alleDinge zählen, die in irgendeinem Zusammenhang mitRechtsextremismus oder Extremismus stehen, das hat ergemacht. Er hat auch damals schon darauf hingewiesen,dass das natürlich auch automatisch dazu führt, dassmehr Taten hier mit aufgenommen und benannt werdenund wenn man in die Richtung Mecklenburg-Vor-pommern schaut, wurden dort bedeutend weniger Tatenbenannt, dann ist es dringendst notwendig, dass auch dieAngleichung der Statistiken hier auf einem einheitlichenLevel basiert. Ich will mich hier nicht in Richtung jetztetwa nur Statistiken bewegen, sondern, meine Damen undHerren, auch Herr Innenminister a.D. Dewes, wir solltenda nicht einfach drüber lächeln. Sie wissen genauso gutwie ich, wie schnell das gehen kann, dass solche Dinge ineinem Lande eskalieren. Ich glaube, dass wir bisher ge-meinsam, ob die große Koalition oder die jetzige, mitallen Mitteln dagegen angegangen sind. Ich glaube, dasSignal sollten wir weiterhin nach draußen bringen, wirwerden keinen Extremisten - egal von welcher Seite -hier Raum greifen lassen. Ich glaube, da sind wir inÜbereinstimmung und ich kann mir nicht vorstellen,dass wir hier als Demokraten in diesem Landtag uns inirgendeine Ecke schieben lassen. Wir dürfen aber aucheins nicht machen, dass wir unseren Freistaat, unser Landhier - ich sage mal - selbst schlechtreden, sondern dasswir hier gerade sagen: Bei uns im Freistaat Thüringensetzen wir alle Möglichkeiten ein, die uns zur Ver-fügung stehen, alle Möglichkeiten, nicht nur Polizei,insbesondere in Richtung Bildung, Ausbildung. Eshaben sich auch die Kammern dazu bekannt, dass hiermit allen Möglichkeiten und Mitteln dagegen gearbeitetwird. Wir müssen nur einfach aufpassen, dass wir unsnicht zu sehr in Richtungen treiben lassen, wie es dereine oder andere jetzt vielleicht macht. Ich weiß nicht,ob es der richtige Weg ist, dass man in Richtung, wennjemand Springerstiefel anhat oder diese Bomberjacken,dass das dazu führen muss, dass man solche Leute inbestimmte Veranstaltungen nicht mehr lässt. Das erinnertmich sehr fatal an DDR-Zeiten, wer eine bestimmteLänge von Haaren hatte, was mit dem gemacht wurde,und man könnte viele Beispiele nennen. Ich glaube, daskann nicht der Weg sein, sondern wir müssen Auf-klärung betreiben bei den Eltern, bei den Jugendlichen,

dass es uns gelingt, an die Wurzeln zu gehen, dass wirdiesen Rattenfängern, die hier unterwegs sind, keinenRaum greifen lassen.

Ich denke, meine Damen und Herren, die Koordinie-rungsstelle, die hier angelaufen ist, muss erst einmal Datensammeln, die muss Fakten sammeln, die muss wirksamwerden. Ich möchte trotzdem noch mal darauf verweisen,dass jetzt alle Möglichkeiten, auch die der Bund anbietet,wenn der Bund entsprechende Programme auflegt mit 75Mio. DM sind wir sehr dankbar und können nur alle Trägerim Lande auffordern, die hier schon entsprechende Erfah-rungen haben und entsprechend hier wirksam sind, dassdieses Geld eingesetzt wird, damit wir also diesen ext-remen Machenschaften entgegensteuern. Wir sollten auchdie entsprechenden Möglichkeiten, die schon vom Landdazu bereitgestellt wurden, weiterhin nutzen und sie ziel-gerichtet, um diesen Dingen entgegenzuwirken, einsetzen.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss?

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Frau Präsidentin, Sie haben es vorhin großzügig gehand-habt, vielleicht darf ich noch zwei Sätze sagen.

Ich denke, wir sollten auch bei diesem Thema nicht inAktionismus verfallen, sondern wir sollten zielgerichtetdiese Dinge weiter so betreiben, wie wir das angesagthaben, und ich bitte auch meine Kollegen der SPD, dasswir nicht in Aktionismus verfallen, sondern dass wirhier gemeinsam den Weg weiterführen.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als Nächstes hat sich der Abgeordnete Buse, PDS-Frak-tion, zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Buse, PDS:

Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren, namensder PDS-Fraktion begrüße ich die Debatte zum Thema"Rechtsextremismus" - das können Sie sich sicherlichvorstellen - hier im Landtag. Wenn ich rede, können Siemich hinterher dann auch wieder zitieren, aber bittenicht aus den Zeitungen. Für die SPD-Fraktion bildetendie jüngsten Statistiken über die rechtsextremen Straf-taten den Anlass für die heutige Aktuelle Stunde unddiese gestellte Thematik. Bekanntlich ist aber, wenn wirjeden Vorfall im Land Thüringen zum Anlass nehmenwürden für eine Aktuelle Stunde, dann reichten dieLandtagssitzungen dafür nicht aus. Das ergibt sich schonallein aus der Anzahl der Straftaten, auch wenn esunterschiedliche Sichtweisen sowohl zwischen Bundes-ministerium des Innern, Herr Fiedler, und dem Thüringer

3028 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Innenministerium zu geben scheint. Bekanntlich wurden inden vergangenen Tagen ausländische Wissenschaftler inJena bedroht; ein palästinensischer Flüchtling körperlichangegriffen und verletzt; es kam zu einem Übergriff gegenJugendliche in Jena; im Januar wurde ein Obdachloser inArnstadt schwer verletzt; zahlreiche gegen Rechts enga-gierte Bürgerinnen und Bürger erhielten Drohungen, ihreFotos wurden im Internet veröffentlicht; Demonstration vonRechtsextremen am 03.03. in Sonneberg; in Eisenach pla-nen Neonazis in der nächsten Woche eine Demonstration.Diese Aufzählung ließe sich bedauerlicherweise weiterfortführen und da geht es nicht in der Statistik um 10, 20oder 30 Taten.

Immer wieder stellt sich für mich die Frage: Was machtdie Landesregierung? Die TLZ berichtete am 13.03.dieses Jahres von 1.660 Straftaten im Jahr 2000 und dasist für Thüringen ein Anstieg um 50 Prozent; bundesweitverzeichnen die ostdeutschen Bundesländer einen Anstiegvon 40 Prozent. Es ist schon richtig, Herr Fiedler, das istkein Thüringer Problem, das ist ein Problem inOstdeutschland. Aber die Situation in Thüringen -

(Unruhe bei der CDU)

von der Höhe bitte -, in Ostdeutschland geschehen be-kanntlich dreimal so viele rechtsextremistische Straftatenwie in den westlichen Bundesländern. Wenn Justiz-minister Birkmann vor der Überbewertung von Statis-tiken warnt - sicherlich auch zu Recht -, möchte ichweiterhin vor einer Verharmlosung der Situation warnen.Und eine Stigmatisierung Ostdeutschlands und ins-besondere Thüringens, wie sie von der Thüringer CDUbefürchtet wird, entsteht nicht, weil es rechte Straftatengibt und diese überbewertet werden, sondern weil nurwenig dagegen getan wird bzw. die Art und Weise, wiein Thüringen mit diesem Problem umgegangen wird.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Das istfalsch und unverschämt, Herr Buse.)

1.660 Straftaten, 66 antisemitische Straftaten - wir fin-den das nicht nur alarmierend, darüber besteht ja ver-mutlich Konsens, so habe ich auch Herrn Fiedler hierverstanden, sondern es müsste vor allem mobilisierendsein. Es müssten endlich breitere Maßnahmen ergriffenwerden. Handeln erfordert eine schonungslose Einsichtin die Realität. Seit einem Jahr demonstrieren wir inThüringen die angebliche Handlungsfähigkeit, HerrKöckert. Es gibt ein Extremismusbekämpfungskonzept,dessen Wirksamkeit für meine Begriffe etwas zu wün-schen übrig lässt, aber Sie können mir gern in IhremRedebeitrag weiteren Erkenntnisgewinn zukommen lassen.Es muss doch beschämend sein, dass die Landes-regierung sich von einem Jugendparlament darüber auf-klären lassen muss, dass wir kein Problem mit irgend-einem Extremismus haben, sondern dass wir es mitRechtsextremismus zu tun haben, denn bekanntlich lautetja ein Antrag zum Jugendparlament "Rechtsextreme

Gewalt bekämpfen". Und, Herr von der Krone, ich hoffeinständig, die Landtagsverwaltung ist nicht kommu-nistischer Propaganda wieder erlegen gewesen

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Naklar!)

von SPD und PDS bei der Formulierung dieses Themas.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Herr Köckert, Sie können auch protestieren; die Landes-regierung muss sich gefallen lassen, dass wir in diesemZusammenhang sie beständig danach fragen, was sietut, um Bundes- und Europaprogramme, die den Kampfgegen Neofaschismus unterstützen sollen, in Thüringenbekannt zu machen und Träger bei der Beantragung zuunterstützen. Ich meine hier vor allem die Programme"Xenos" und "Civitas". Und es ist doch auch einArmutszeugnis, dass die lange geforderten mobilenBeratungsdienste erklären - und so lautet es ja in derPresseerklärung, die ich nicht erfunden habe - auchwegen der zögerlichen Politik der Landesregierungaktiv werden zu müssen.

(Beifall bei der PDS)

Dass hier die jüdische und evangelische Landesgemeindesowie der DGB in langer Arbeit ein gemeinsames Kon-zept erarbeitet haben, finden wir als PDS-Fraktion beispiel-haft. Die Gründung des Vereins "Mobile Beratungs-dienste in Thüringen" machte aber auch wiederum deut-lich: Wer in Thüringen etwas gegen Rechtsextremismustun will, der muss um Unterstützung schon beim Bundanfragen; von der Thüringer Landesregierung scheintwenig zu erwarten zu sein. Wir begrüßen die zivilge-sellschaftlichen Initiativen der vergangenen Monate,ganz besonders konzeptionelle Entwicklungen wie Über-legungen zur Opferberatung und -unterstützung oder dasProjekt "Courage", etliche Bündnisse gegen Rechts unddie vielen kleinen lokalen Initiativen und antifaschis-tischen Demonstrationen vielerorts. Wir wiederholen esheute anlässlich der Aktuellen Stunde erneut: Thüringenbraucht nach unserem Erachten ein Landesprogrammgegen Rassismus und für Demokratie.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächster Redner hat sich zu Wort gemeldet derAbgeordnete Pohl, SPD-Fraktion.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es istbedenklich, es ist schlimm, es ist beschämend, dass wirknapp ein halbes Jahr nachdem wir den ersten Zwischen-bericht zum Stand der Bekämpfung von Extremismus

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3029

und politisch motivierter Gewalt in Thüringen im Land-tag behandelt haben, uns erneut aus aktuellem Anlassmit diesem Thema beschäftigen müssen. "Wieder Überfallauf Ausländer", "Unsägliche Gewalt", "Stiefeltritte insGesicht", das waren die Schlagzeilen des vergangenenWochenendes, die aus Thüringen in die Welt hinaus-gegangen sind. Gleichzeitig wurden aber auch die Thü-ringer Zahlen zum Rechtsextremismus und zur Fremden-feindlichkeit bekannt. Es ist doch unbestritten, dieseZahlen zum Rechtsextremismus und zur Fremdenfeind-lichkeit sind steil nach oben gegangen. Im ersten Halb-jahr 2000 hatten wir 687 Straftaten, so standen wir amEnde des Jahres 2000 bei 1.660 Vorfällen. Das ist eineSteigerung von über 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr1999. Damit haben wir einen Spitzenplatz innerhalb derBundesländer. Fakt ist aber auch, das Bundeskriminalamtkann solche Zahlen nur veröffentlichen, wenn es dieseZahlen auch aus Thüringen erhält, und es hat sie ausThüringen erhalten und so muss man sie auch bewerten.Es hat mich schon ein wenig verwundert, Herr Innen-minister, dass wie in all den Jahren zuvor die Zahlen derStaatsschutzdelikte nicht zusammen mit der Kriminali-tätsstatistik veröffentlicht wurden. Es drängt sich mir auchder Verdacht auf, dass eine gesellschaftliche Problemlageaus den Augen der Öffentlichkeit geschoben werden soll.Wer so handelt, ist nicht an einer Lösung mancherProbleme interessiert. Ein Schalk, wer Böses dabei denkt.

(Beifall bei der SPD)

Fakt: Und nicht umsonst warnte ja auch der Verfassungs-schutzpräsident Herr Sippel bereits am 29.01. diesesJahres vor einem gefährlichen Trend im Zusammenhangmit dem Anwachsen der Zahl von Rechtsextremisten.

Meine Damen und Herren, für den Bürger ist es docherst einmal egal, wie die Statistik in Thüringen errechnetwurde. Fakt ist, wir haben in den gleichen statistischenMethoden wie 1999 eine Zunahme von 50 Prozent. Und50 Prozent, das ist der wunde Punkt. Ich habe keinVerständnis, wie jetzt über die Statistiken mit dem Bundgestritten wird, und ich finde es müßig, sich darüber zuunterhalten, wie viele rechtsextremistische Straftaten inThüringen zu verzeichnen wären, hätte man gezählt wiein dem Bundesland X, Y, Z. Hier soll doch wohl der Ein-druck erweckt werden, so schlimm ist es doch gar nichtund mit einer bereinigten Statistik könnte man das Imagevon Thüringen noch etwas aufpolieren. Das ist doch derfalsche Ansatz. Wir können doch diesen Problemen nichtnur mit Zahlen, mit rechnerischen Dingen beikommen,sondern Lösungen können nur auf politischem Gebieterreicht werden. Die neuen Zahlen belegen erneut, wasschon lange bekannt ist: Thüringen hat ein Problem mitRechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Dass wirselbstverständlich mit diesem Problem in Thüringen nichtallein stehen und dieses Problem bundesweit und europa-weit besteht, ist unbestritten, aber verringert unserProblem nicht. Gemeinsames Handeln aber, meine Damenund Herren, ist angesagt. Wir haben im vergangenen

Jahr durch gemeinsames Handeln anlässlich diesesschlimmen Anschlags auf die Erfurter Synagoge Flaggegezeigt.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter, würden Sie bitte zum Schluss kommen.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Fakt ist, die zunehmende Gewaltbereitschaft der rechtenKräfte führt in weiten Kreisen der Bevölkerung zur Ver-unsicherung. Thüringen als Land der Mitte brauchtSicherheit für ausländische Investoren, Sicherheit auchfür ausländische Studenten und Arbeitnehmer. Was wirjetzt brauchen, ist keine Statistikbalanciererei, wie immerwieder aus dem Innenministerium zu hören ist, sondernschnelle, greifbare Lösungen. Nicht über Statistiken darfdebattiert werden, es muss gehandelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Und ein Nachwort noch einmal, Kollege Fiedler: Nichtdas Tragen von Kleidung bzw. Springerstiefeln ist hierdas Entscheidende, entscheidend ist, und da hat jagerade die Erfurter SPD-Fraktion

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Pohl!

Abgeordneter Pohl, SPD:

hier etwas gesagt, dass beispielsweise das Tragen vonfaschistischen Symbolen in Sportstätten verboten werdenmuss.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Die sind inganz Deutschland verboten!)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Pohl, ich entziehe Ihnen jetzt dasWort. Ich rufe als nächsten Redner den AbgeordnetenSeela, CDU-Fraktion, auf.

Abgeordneter Seela, CDU:

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren,bevor ich auf den bildungspolitischen Aspekt des SPD-Antrags abhebe, seien mir noch einige prinzipielleBemerkungen gestattet. Trotz der Startschwierigkeitendes SPD-Antrags, denn gestern war er ja erst ein Antragfür die Aktuelle Stunde, dann wieder ein Antrag alsTagesordnungspunkt und dann wieder ein Antrag zurAktuellen Stunde, hat man sich noch festlegen können,begrüßen wir natürlich als CDU-Fraktion, dass wir uns

3030 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

mit der Thematik auseinander setzen, dass wir uns damitbeschäftigen. Bei uns werden Sie immer offene Ohrenfinden und immer eine Bereitschaft zur Diskussion, zurAuseinandersetzung. Das als erstes Prinzip. Was wir aberablehnen, meine Damen und Herren von der Oppositionlinks und der rechten Seite hier, dass wir daraus po-litisches Kapital schlagen, dass wir versuchen, uns mitdieser brisanten Thematik zu profilieren in der Presseund auch hier im Plenum. Ich denke mal, das ist nichtdie richtige Herangehensweise, ganz im Gegenteil, wirmüssen hier zielorientiert und fundiert vorgehen, wirbrauchen eine inhaltliche Auseinandersetzung. Auch derehemalige Innenminister Herr Dr. Dewes hat einmal hier indieser Richtung seine Bereitschaft signalisiert, als ernämlich noch Innenminister war und speziell das Projekt"Dialog statt Gewalt" auch gefördert hat und hier auchwirklich eine differenzierte inhaltliche Debatte geführthat und sich nicht an den Zahlen aufgehangen hat. Einweiteres Prinzip, was ich hier noch vortragen möchte,und ich möchte die Gelegenheit nutzen, dass ich diebeiden Straftaten, die in Jena und Suhl passiert sind, auchnamens meiner Fraktion aufs Schärfste verurteile vondieser Stelle aus.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, dass die Bestrafung auf dem Fuße folgen wirdund auch sehr konsequent und hart sein wird. Das istauch unser Standpunkt. Ein weiterer Standpunkt, den dieCDU hier vertritt, ist natürlich, dass wir generell jedeGewalt gegenüber Individuen und die Einschränkung vondemokratischen Grundregeln, die Einschränkung von indi-viduellen Freiheiten ablehnen. Wer so vorgeht, ist unsererklärter Gegner und verdient natürlich unsere Verfolgungund unsere Verurteilung. Natürlich richtet sich hierunsere Kritik bzw. unser Vorgehen gegen jegliche Formvon Gewalt, ob von der linken Seite oder von derrechtsextremistischen Seite. Ein weiteres Prinzip, undda bin ich dann auch am Ende mit meinen prinzipiellenAusführungen, ist, dass wir es aufs Entschiedenste ab-lehnen den Vorwurf, Thüringen sei ein Aufmarschgebietder rechtsextremen Gewalt, ein Hort der rechtsextremenGewalt. Gehen Sie von den Zahlen aus 1.600 oder 1.500,ich denke, jede einzelne Gewalttat, jede einzelne Straftat isteine Straftat zu viel. Man braucht diese Diskussion nichtan den Zahlen aufzumachen, aber im Vergleich zu 2,4 Mio.Thüringern ist das, so sehe ich es, eine geringe Zahl undSie können gewiss sein, dass die absolute Mehrheit derThüringer Bevölkerung diese Hand voll Spinner,wirklich, so will ich es hier bezeichnen, diese Leute - ent-schuldigen Sie, Frau Präsidentin - auf der rechtsextre-mistischen Seite aufs Schärfste verurteilt und den Kampfangesagt hat, was man ja im letzten Jahr wirklich hiersehen konnte im Land.

Aber, meine Damen und Herren, es ist für mich nichtauch nur ein ostdeutsches Problem, sondern ein gesamt-deutsches Problem, wie Kollege Fiedler hier schon gesagthat. Wenn Sie dieses Thema so in dieser Richtung the-

matisieren, denke ich mal, springen Sie auf den Zug aufvon denjenigen, die meinen, das sei ein typisches ost-deutsches Problem. Ich erinnere an Bremen. Dort war auchein Asylbewerberheim angesteckt worden. Ich erinnere anden Anschlag in Düsseldorf. Es ließen sich ebenso vieleAnschläge in den alten Bundesländern aufführen. Ich er-innere auch an ein Phänomen, was hier noch nie erwähntworden ist, nämlich den Extremismus-Tourismus geradeauch aus Bayern. Ich erinnere an die Vorfälle in Eisenach,wo die Straftäter zum Teil auch aus Bayern waren. Alsoich denke mal, hier alles den Ostdeutschen in dieSchuhe zu schieben, ist der falsche Ansatz. Abgesehendavon handelt es sich doch hierbei auch um ein euro-päisches, um ein globales Problem. Es lassen sich auch inanderen Ländern derartige Fälle aufzählen. Ich erinnerean die Wallonen, an die Flamen. Aber davon ist nun genug.

Erlauben Sie mir nun einige Bemerkungen zu dem bil-dungspolitischen Aspekt. Sie haben auch in dem Antrageine Zahl genannt, nämlich 700 Gewaltdelikte, die Siehier aufgeführt haben. Obwohl der Antrag ja "Rechts-extremismus in Thüringen" lautet, haben Sie hier, denkeich, meiner Meinung nach etwas durcheinander gehauen.Ich kenne andere Zahlen, nämlich die rechtsextre-mistischen Delikte an den Schulen. Auch, Herr Dewes,Sie kennen diese Zahlen, wir haben sie ja im Ausschussdes Öfteren und immer wieder besprochen. Es ist Ihnenbekannt, 1998 haben wir an den Thüringer Schulen 14Straftaten gehabt; 1999 haben wir 25 Straftaten gehabtmit rechtsextremistischem Hintergrund und bis Herbst2000 32 Straftaten. Dabei handelt es sich nicht um Ge-waltstraftaten.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter.

Abgeordneter Seela, CDU:

Ich bin gleich fertig, noch zwei, drei Sätze, Entschuldi-gung. Dabei handelt es sich nicht um Gewaltstraftaten,sondern um das Tragen verfassungsfeindlicher Sym-bole. Das soll keine Relativierung sein, auch mit diesenDingen müssen wir uns ordentlich beschäftigen. Dafürgibt es ein sehr gutes Programm, gibt es mehrere Pro-jekte an den Schulen, 150, ich wollte es Ihnen eigentlichvortragen, aber in fünf Minuten kann man das leider nichttun, und es gibt auch ein Fortbildungsprojekt natürlich,das von vielen unzähligen Lehrern wahrgenommen wird.Ein letztes Projekt, das jetzt anlaufen wird: "Gewalt undAggression in der Schule"; 62 Lehrer haben sich angemel-det und 15 Plätze gibt es nur. Es gibt also hier auch eineWiederholung. Es gibt auch das Interesse bei den Lehrern.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Seela, Ihre Vorstellung von zwei bisdrei Sätzen ist anders als meine.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3031

Abgeordneter Seela, CDU:

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als Nächster hat sich zu Wort gemeldet Herr Abgeord-neter Dittes, PDS-Fraktion.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Meine Damen und Herren, es liegt wohl in der Natur derSache, dass alle Redner Probleme haben werden, die fünfMinuten einzuhalten, und insofern kann ich es eigentlichnicht richtig begrüßen, dass wir hier im Schweinsgaloppdurch das Thema "Rechtsextremismus" uns durchkämpfenmüssen. Aber trotzdem, es steht auf der Tagesordnungund ich will kurz ein Jahr zurückblicken. Im Frühjahr 2000haben die Bundesregierung und die Landesregierungdurch die damals sehr starke Sensibilisierung in derÖffentlichkeit und auch durch die massive Medienpräsenzdes Themas "Rechtsextremismus" unter einem enormenHandlungsdruck gestanden und auch die ThüringerLandesregierung musste Handlungsbereitschaft und Hand-lungsfähigkeit nachweisen; nur hat dieser Handlungs-druck in Thüringen zu zwei Reaktionen geführt. Erstens:Man wollte Stärke zeigen und Konzepte vorstellen zueiner lange ersehnten Law-and-order-Politik. Ich willdazu nur Beispiele nennen: das polizeiliche Konzept zurExtremismusbekämpfung, die Vorschläge zur Erweite-rung polizeilicher Befugnisse - Stichwort Videoüber-wachung -, die Vorschläge zur Änderung von Vorschrif-ten des Strafprozesses und natürlich auch die Vorschlägeund Handlungsanweisungen an die Ordnungsbehörden zurEinschränkung des Versammlungsrechts. Zweite Reaktion,meine Damen und Herren, und da will ich ergänzend zumeinem Fraktionsvorsitzenden einige Ausführungenmachen, war das Ziel der Landesregierung, die Aufre-gungen in der Zivilgesellschaft wieder zu beruhigen. Dashat sie gemacht mit der fortgeführten Verharmlosungs-taktik, die sich auch hier widerspiegelt in dem kon-kreten Umgang mit der Straftatstatistik und auch mit derPropagierung der Koordinierungsstelle "Gewaltprävention"im Innenministerium. Laut Angaben, das wurde gesagt,der TLZ liegt Thüringen an der Spitze rechtsextre-mistischer Straftaten. Diese Zahlen sind vom BKA undnicht aus der polizeilichen Kriminalitätsstatistik, die indiesem Jahr erstmalig den Bereich der Staatsschutz-delikte aussparte. Ich gebe Herrn Köckert teilweise sogar inseiner Argumentation Recht und ich habe das an andererStelle hier im Landtag auch schon getan, die PKS ist eineKontrollstatistik und es ist natürlich klar, dass infolgedieser erhöhten Sensibilisierung nicht nur, aber auch beider Polizei, aber insbesondere auch in der Öffentlichkeitnatürlich die Anzahl der erfassten Straftaten steigt, nämlichweil couragierte Menschen Angriffe mit rechtsextre-mistischem oder rassistischem Hintergrund immer öfter

zur Anzeige bringen. Was diese Statistik aber keinesfallszum Ausdruck bringt, ist eine Darstellung über dietatsächliche Situation der Straftaten mit rechtsextre-mistischem oder rassistischem Hintergrund. Ein Mehran erfassten Straftaten heißt nicht zwangsläufig auchmehr tatsächlich verübte Straftaten und ich will Ihnen indiesem Zusammenhang eine Statistik und ein Ergebniseiner Untersuchung des Dresdner Vereins "Anstiftung"nennen, die von einem Dunkelfeld von 50 bis 70 Prozentnicht angezeigter rassistischer oder rechtsextremistischerStraftaten ausgeht, und deshalb, meine Damen und Herren,und Herr Birkmann insbesondere, eine PKS, die Staats-schutzdelikte aufführt, kann man nicht überbewerten,man kann sie falsch bewerten oder unterbewerten unddamit tut man der Auseinandersetzung um die gesamteSituation des Rechtsextremismus in Thüringen keinensehr guten Dienst. Die PKS ist ein Indikator eben auchfür die Verbreitung rechtsextremistischer Einstellungs-potenziale und auch ein Indikator für die Verbreitungdes gewaltfreien Rechtsextremismus in Thüringen. Undals dieser Indikator ist er notwendig öffentlich diskutiert zuwerden, weil daran gemessen natürlich Gegenkonzepteerarbeitet, entwickelt werden können und dann letztendlichauch zur Anwendung kommen müssen. Und da ist es fürmich völlig sekundär, meine Damen und Herren, ob dieVergleichbarkeit mit anderen Bundesländern gegebenist oder nicht. Wir haben ein Problem Rechtsextre-mismus in Thüringen und hier müssen wir ansetzen, hiermüssen wir Konzepte entwickeln und dieser scheinbareWettbewerb, der alles andere ist als dienlich, zwischenden alten und den neuen Bundesländern, zwischen denBundesländern allgemein muss endlich ein Ende finden.Im Übrigen - und das will ich auch nicht verschweigen -sehe ich einen Widerspruch zwischen der Aussage desInnenministers, der behauptet, in Thüringen würde alles inder Statistik aufgeführt, was nur den Hauch oder denVerdacht hat, dass dort ein rechtsextremistischer oderrassistischer Hintergrund als Motiv besteht, denn tat-sächlich können wir uns auch an die mediale Präsenz derPolizei erinnern, die beispielsweise an konkreten Situati-onen wie dem Brandanschlag auf die Synagoge inErfurt, wie der Schändung der Synagoge in Mühlhausen,aber auch wie der Körperverletzung in Gotha deutlichzeigten, dass lange Zeit ein politischer Hintergrundöffentlich geleugnet wird, obwohl Tathergang und Motiv-situation eindeutig dafür gesprochen haben und sichnachträglich auch ein Vorhandensein entsprechenderMotivationslagen herausgestellt hat. Wenn mir die Zeitbleibt, noch einige Gedanken zur Koordinierungsstelle"Gewaltprävention"

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Nein!)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Wenig Zeit, Herr Dittes.

3032 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Abgeordneter Dittes, PDS:

Wenig reicht mir aus, Frau Dr. Klaubert.

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: Garkeine.)

Wir müssen uns bei der Koordinierungsstelle "Ge-waltprävention" über eines im Klaren sein: Sie ist keineAntwort der Landesregierung auf die Situation imRechtsextremismus gewesen, sie war das Ergebnis - undsie wäre ohnehin gekommen, ganz egal, wie das letzteJahr verlaufen wäre - einer moralisierend geführten Dis-kussion um eine allgemeine Zunahme der Gewaltbereit-schaft in der Gesellschaft. So stellt sie sich auch imMoment dar. Sie hat einen Kessel Buntes an Aufgaben-erfüllung im Innenausschuss dargestellt, so dass mirnichts anderes übrig blieb als darzustellen, dass es sichbei dieser Koordinierungsstelle um heiße Luft handelt unddass die Arbeit, die dort vollzogen wird, alles andere alszielführend ist. Aufgaben sind die allgemeine All-tagsgewalt bis hin zur Suchtprävention,

(Unruhe bei der CDU)

eine Unterscheidung zwischen situationsbezogener -

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Dittes.

Abgeordneter Dittes, PDS:

ich komme zum Schluss - Alltagsgewalt und ideolo-gisch motivierter Gewalt, die weitaus gefährlicher auf-grund ihres permanent vorhandenen Motivationsgefügesist, findet dort gar nicht statt.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Dittes, ich entziehe Ihnen jetzt dasWort.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Thüringen braucht ein Landesprogramm, meine Damenund Herren, und keine weiteren Nebelbomben.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich rufe als nächsten Redner den Abgeordneten Dr.Dewes, SPD-Fraktion, auf.

Abgeordneter Dr. Dewes, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, heute ist in diesem hohen Hause sicher oft über

Standortfaktoren geredet worden, harte Standortfaktoren,weiche Standortfaktoren. Ich möchte deutlich machen,das Thema, über das wir hier reden, ist ein Standort-faktor, und zwar ein sehr negativer Standortfaktor. Washier an Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistikvorgetragen worden ist - ich weiß nicht warum, KollegeSchuster und ich haben die Staatsschutzdelikte immerinnerhalb der PKS der Öffentlichkeit vorgestellt, wirhaben das überprüft, Herr Kollege - ist, dass die Staats-schutzdelikte nicht mit der polizeilichen Kriminal-statistik vorgestellt worden sind. Ich unterstelle Ihnen,dass Sie dies wohlweislich nicht getan haben. Sie sindallerdings dem Bundeskriminalamt mitgeteilt worden, wiedies üblich ist, und von dort auch bekannt gemacht worden.Ich will hier nicht über Zahlen mit Ihnen debattierenund streiten, da hat mein Vorredner Recht, Zahlen sindeinfach Marken, Zahlen sind Indizien und Hinweise. DieIndizien zeigen, dass wir in Thüringen einen sehr starkenAnstieg rechtsextremistischer Straftaten zu verzeichnenhaben. Die Tendenz ist so verheerend, dass man sagenkann, man muss sich dies sehr genau ansehen, nämlicheine Steigerungsrate in einem Jahr von fast 50 Prozent.

Wenn es dann auch richtig ist, dass wir die Nummer 1unter den 16 Bundesländern wären, was diese Frageangeht, dann ist dies zunehmend eine Frage, die von hoherBrisanz ist und die auch etwas mit dem StandortThüringen zu tun hat. Ich will deutlich machen, dass ichdem Innenminister nicht vorwerfe, wenn er nicht ver-hindern kann, dass ein ausländischer Mitbürger vonRechtsextremen überfallen wird, aber was ich der Lan-desregierung und dem Innenminister vorhalte, das isteine Entwicklung seit ihrem Regierungsantritt, die be-deutet, dass offenbar der Druck auf diese Szene in Thü-ringen nachgelassen hat.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben Anschläge auf Synagogen in Erfurt, in Mühl-hausen. Wir haben einen Anschlag auf ein Gotteshaus inGera, wir haben Überfälle auf ausländische Mitbürge-rinnen und Mitbürger und wir haben wieder Aufmärschemit Fahnen und Fackeln, Springerstiefeln und Glatzköpfenauf Thüringer Straßen. Dies hat sich geändert, seit dieseRegierung amtiert. Das muss hier festgestellt werden.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Das gab esvorher auch. Das gab es bei jedem.)

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Was wardenn in Saalfeld?)

So war die Situation bei Beginn der Amtszeit dieserRegierung nicht. Was wir im Ausschuss für Bildungund Medien erlebt und gehört haben, auch durch denPräsidenten des Landeskriminalamts, auch im Bereichder Schulen gibt es eine kontinuierliche Zunahme von

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3033

Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Was tutdie Landesregierung? Die Landesregierung verharmlost,sie beschönigt. Herr Seela ist typisch für diese CDU-Landtagsfraktion, wenn er sagt, eine Hand voll Spinnerdarf man nicht überbewerten.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde, wir dürfen dies nicht gering bewerten, son-dern wir müssen mit dieser verheerenden Entwicklungumgehen. Ich habe es sehr bedauert, dass der ThüringerInnenminister und der Thüringer Justizminister sich mitdem Bundesinnenminister öffentlich in eine Debattebegeben haben, dass dies kein ostdeutsches Spezifikumsei. Rechtsextremistische Straftaten gibt es in allendeutschen Ländern, das ist richtig so, nur wir haben eineostdeutsche Problematik, eine Sonderproblematik, dieshat der Vorsitzender der PDS hier eben deutlich gesagt.Wir haben z.B. weniger Drogendelikte in den neuenBundesländern. Auch dies ist ein ostdeutsches Spezifi-kum. Wir haben doppelt so viele Verkehrstote wie in denalten Bundesländern. Auch dies ist ein Spezifikum derneuen Bundesländer. Ich finde, es ist wichtig, über diegesellschaftspolitischen Ursachen dieser Thematik zureden und damit umzugehen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ein jun-ger Palästinenser in Suhl mitten in der Stadt, einer Stadtmit fast 50.000 Einwohnern, von Rechtsextremisten unterden Augen eines Busfahrers und von Passanten nicht nurgeschlagen und misshandelt wird, sondern schwerstenskörperlich verletzt wird, dann zeigt dies auch eines deut-lich, dass wir sehr viel mehr dafür tun müssen, beiunseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern für Zivil-courage zu werben, nämlich deutlich zu machen, dasswir nicht zusehen dürfen. Ich würde mir wünschen, dassdie Landesregierung offensiver mit uns zusammen dieFrage eines Landesprogramms noch einmal angeht, dasswir die Schulen stärker in diese Kampagne mit ein-binden, Herr Kultusminister.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Machen Sie doch mit uns zusammen den Versuch, übermobile Lehrer-Task-Force z.B. in die Schulen hinein-zugehen und dort integrierte Fortbildung zu diesemThema zu betreiben und nicht nur beim Thüringer Insti-tut für Lehrerfortbildung dies zu tun, sondern die Lehrerstärker auch etwas - ich sage - ein Stück nicht zwingen,aber Lehrer einfach stärker mit einbinden in diese Kam-pagne gegen den Rechtsextremismus in unserem Lande.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter, die Redezeit ist abgelaufen.

Abgeordneter Dr. Dewes, SPD:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur ein Wortzum Schluss noch. Ich habe es sehr begrüßt, dass die StadtErfurt jetzt ihre Stadien und Sportstätten für Leute sperrenwill, die mit rechtsextremistischen Emblemen, aber auch,und dazu gehören auch Springerstiefel - es ist ein Unter-schied, ob einer in Springerstiefeln und mit Glatzkopfkommt, wenn es schon zehn sind, dann hat dies eineBedeutung. Dies hat etwas mit Nationalsozialismus unddies hat etwas mit unserer leidvollen Vergangenheit zutun. Deshalb ist das der Weg in die richtige Richtung.Hier sollten wir gemeinsam auch solche Kommunal-politik unterstützen, die in diesem Punkt in die richtigeRichtung geht. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung hat sich Minister Dr. Krapp zuWort gemeldet.

Dr. Krapp, Kultusminister:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, wenn von Rechtsextremismus in Thüringen dieRede ist, ist auch Schule in Thüringen angesprochen,zuallererst als Ort der Prävention gegen Rechtsextremis-mus, leider auch manchmal und viel zu oft, das gebe ichzu, auch als Tatort. Lassen Sie mich zunächst deshalb dieZahlen zu Vorkommnissen an Thüringer Schulen mitrechtsextremem Hintergrund aktualisieren. Zur Erinnerung:Im August 2000 habe ich dem Ausschuss für Bildungund Medien die Zahl 32 für das Jahr 2000 bis dahingenannt. Bis Ende 2000 hat sich diese Zahl auf 92entsprechende Vorkommnisse an Thüringer Schulenerhöht. Bis gestern waren uns 22 Vorkommnisse dieserArt für das laufende Jahr gemeldet worden. Keines die-ser Vorkommnisse an Schulen war mit Ausübung vonGewalt verbunden. Es handelt sich durchweg um Propa-gandadelikte, Androhung von Gewalttaten, Sachbeschä-digung und Volksverhetzung. In mehr als der Hälfte derFälle sind die Täter noch nicht bekannt, insbesonderekann in vielen Fällen von außerschulischen Tätern aus-gegangen werden.

Meine Damen und Herren, die zweifellos steigenden Fall-zahlen in den letzten Monaten signalisieren sicherlichzwei Aspekte. Einerseits steigt offensichtlich die Bereit-schaft von Kindern und Jugendlichen mit persönlichenProblemen, ihren Protest gegen ihr Umfeld durch be-wusstes Übertreten der rechtsextremen Tabugrenze zudokumentieren. Andererseits steigt offensichtlich aber auchdie Sensibilität in der Lehrerschaft, die inzwischen auchrelativ schwache Formen dieser Provokationen zurMeldung an die Schulämter bringt. Ob diese Entwick-lung der Fallzahlen mit einer Verstärkung rechtsextremerIdeologien oder sogar organisiertem Extremismus in der

3034 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Jugend einhergeht, bedarf einer genaueren Analyse,etwa in Fortsetzung der von der Landesregierung imHerbst 2000 vorgelegten wissenschaftlichen Analyse

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Wie vielewollen Sie denn noch?)

zur geistigen Situation in Thüringen, die der HerrMinisterpräsident am 16. November des vergangenenJahres in seinem Bericht zu Extremismus und Radikalis-mus im Freistaat vorgestellt hat. Am Entwurf eines fort-setzenden Untersuchungsdesigns arbeitet zurzeit dasThüringer Kultusministerium mit. Unbeschadet dessenarbeitet das Thüringer Kultusministerium kontinuierlichan Gewaltprävention und gegen Extremismus.

(Beifall bei der CDU)

Dies erfolgt, meine Damen und Herren, selbstverständ-lich grundsätzlich bei Gestaltung und Umsetzung vonentsprechenden Lehrplänen, da Wissen eine wesentlicheVoraussetzung von Gewissen ist.

(Beifall bei der CDU)

In diesem Sinne haben wir z.B. den rechtskundlichenUnterricht gemeinsam mit dem Thüringer Justizminis-terium verstärkt, indem dort Richter, Staatsanwälte inden Unterricht kommen. Er wird sehr gut angenommenund hat positive Wirkungen.

Dies erfolgt darüber hinaus durch Projekte, wie "Förde-rung von Maßnahmen gegen Gefährdung von Kindern undJugendlichen" entsprechend unserer Förderrichtlinie vomFebruar 1997, in diesem Jahr gefördert mit 423.000 DM.Im vergangenen Jahr wurden 150 Projekte damit ge-fördert und in diesem Jahr sind bereits für 40 ProjekteZuwendungsbescheide herausgegangen.

(Abgeordneter Dittes, PDS: Finden Sie dieetwa sinnvoll?)

Wir beteiligen uns außerdem an Bundesprojekten wie"Unsere Schule - soziale Schulqualität, schulinterneEvaluation und Fortbildung". Hier sind zurzeit 30 Regel-schulen einbezogen. Wir haben ein wissenschaftlichesProjekt zur Streitschlichtung in den Thüringer Regel-schulen laufen. Wir sind beteiligt als Kultusministeriuman einem ganzheitlichen Präventionsprogramm für Kindergemeinsam mit dem Innenministerium und dem Landes-kriminalamt. 23.000 Grundschüler haben z.B. die Symbol-figur "Polypap" kreiert, eine Figur gegen Gewalt. Wir sindSitzland des Förderprogramms "Demokratisch handeln",welches die so genannte Lernstatt Demokratie entwickelthat, in diese "Lernstatt Demokratie" kommen entsprechen-de Schülergruppen aus der ganzen Bundesrepublik zu-sammen. Thüringen hat zur vorletzten Kultusminister-konferenz übrigens weitere Bundesländer dazu veranlasst,an diesem Programm teilzunehmen. Schließlich arbeitet

das Kultusministerium an der KoordinierungsstelleGewaltprävention im Innenministerium mit und wirwerden auch die Bundesprogramme "Xenos" und "Civitas"selbstverständlich nutzen.

Meine Damen und Herren, daneben ist natürlich die ver-stärkte Arbeit gegen Extremismus an den Thüringer Schu-len verbunden mit entsprechender Lehrerfort- und -weiter-bildung. Im Jahre 2000 haben mehr als 2.300 Leh-rerinnen und Lehrer an zentralen, regionalen und lokalenFortbildungsveranstaltungen des ThILLM teilgenommen.Bei diesen Zahlen bitte ich zu berücksichtigen, dass diemeisten Lehrgangsteilnehmer als Multiplikatoren dannweiter wirken. Wegen der Komplexität von extre-mistischer Gewalt und ihrer Prävention im Bereich vonSchule und Jugend wurde Anfang dieses Jahres das ge-meinsame zentrale Fortbildungsprogramm zur Präventiongegen Gewalt und Rechtsextremismus von Lehrern, Ju-gendsozialarbeitern, Polizisten und Juristen gestartet. Dieswird auf regionaler und lokaler Ebene fortgesetzt. MeineDamen und Herren, am 22. März dieses Jahres wird inGotha darüber hinaus ein Fortbildungsprogramm recht-licher Handlungsmöglichkeiten zur Abwehr von Gewaltan Schulen gestartet, wozu sich dankenswerterweisePersönlichkeiten wie der Präsident des Oberlandes-gerichts Herr Bauer, der Bundesrichter Professor Dörigsowie der Generalstaatsanwalt Thüringens, Herr Schubert,bereit erklärt haben.

Meine Damen und Herren, ich glaube, damit ist dieBehauptung in der Begründung zum vorliegenden Antragder SPD, dass der Kultusminister sich beharrlichweigert, vor Ort und in allen Schulformen Weiterbil-dung auf hohem Niveau und zeitnah durchzuführen,widerlegt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Weiterhin hat sich für die Landesregierung MinisterKöckert zu Wort gemeldet.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, es ist sicherlich gut, wenn sich das Haus immerwieder mit dem Thema "Extremismus" beschäftigt. Dashaben wir im vergangenen Jahr fast quartalsweise gemacht:im März, im Mai, im September, im November und dasauch mit zwei Regierungserklärungen. Wir haben auchin den Ausschüssen darüber in den letzten Monatenimmer wieder gesprochen. An der Situation selbst hatsich in den letzten Wochen nichts geändert. Im Ergebnishatte ich den Eindruck, dass wir uns über die grund-sätzlichen Ziele und auch über einen großen Teil derWege dorthin einig gewesen sind. Umso mehr erstaunt esmich, dass einige Abgeordnete zwar immer lauthals denSchulterschluss zu Demokraten fordern, dann aber keine

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3035

Gelegenheit auslassen, um diese rechtsextremistischenEreignisse, die schrecklich genug sind, für ihre Zweckepolitisch zu nutzen.

(Beifall bei der CDU)

Und, meine Damen und Herren, lassen Sie mich dassagen, wenn wir über Gewalt und Extremismus sprechen:Wir treten konsequent jeder Form von Gewalt undExtremismus entgegen. Da ist es schon merkwürdig, wennVertreter, auch dieses hohen Hauses, Maßnahmen gegenGewalt fordern, dann aber keine Gelegenheit auslassen,selbst zu Rechtsverstößen aufzurufen. Ich darf hier nur aufdie Aufrufe in den Internetseiten der PDS hinweisen,Castor-Transporte auch durch Protest- und Blockade-aktionen zu verhindern. Auch diese Form von Gewalt,meine Damen und Herren, wird von uns mit der not-wendigen und gebotenen Konsequenz abgelehnt.

(Beifall Abg. Fiedler, CDU)

Aber nun zum Antrag der SPD-Fraktion. Ich hätte gerndie sensiblen Daten der Staatsschutzkriminalität erst-mals in einer gesonderten Pressekonferenz vorgestellt,um auch auf die Hintergründe und Ursachen eingehenzu können. Im Übrigen, werter Kollege Dewes, stimmtes eben nicht, dass Sie immer die Staatsschutzstatistikmit der PKS vorgestellt haben. Auch wir haben nach-geprüft, wahrscheinlich haben Sie schon damals nichtgewusst, was Sie alles vorgestellt haben oder auch nicht.

(Beifall bei der CDU)

Ich hätte gern diese Daten gesondert dargestellt, weil manmit diesen Daten auch besonders umgehen muss. Nach-dem die Statistik des Bundeskriminalamtes aber veröffent-licht wurde, möchte ich die heutige Aktuelle Stundenutzen, um hier einige Klarstellungen zu treffen. Im Jahr2000 wurden insgesamt, also einschließlich fremden-feindlicher und antisemitischer Straftaten, 1.846 rechts-extremistische Straftaten registriert. Das ist die Zahl, diewir an das BKA gemeldet haben. Dieses stellt gegenüber1999 mit 1.118 Straftaten einen Anstieg nicht nur vonüber 50, sondern von über 60 Prozent dar. Diese 1.846rechtsextremistischen Straftaten gliedern sich auf inPropagandadelikte, die ca. zwei Drittel Prozent aus-machen, in Gewaltstraftaten, in fremdenfeindliche Straf-taten, in antisemitische Straftaten. Dies, meine Damen undHerren, ist die nackte Zahl - 1.846 Straftaten. Sie ohnenähere Bewertung zu veröffentlichen, ist problematisch,auch deshalb, weil die Gefahr besteht - und die Dis-kussion, die wir momentan im Lande haben, zeigt, dassdie Gefahr auch eingetreten ist -, dass diese Zahlenfalsch verstanden und interpretiert werden. Ich werdedeshalb noch in diesem Monat die Staatsschutzlage desFreistaats Thüringen vorstellen, separat, das hat bishernoch kein Innenminister gemacht, und dann auch aufdie aufgeschlüsselten Zahlen näher eingehen. Zu demveröffentlichten Ländervergleich ist festzustellen, dass

die Zahlenangaben des Bundeskriminalamts für jedeseinzelne Land für sich gesehen formal korrekt sind. WennSie sich in der Vergangenheit ernsthaft mit der Thematikbeschäftigt haben, auch mit der Diskussion des letztenhalben Jahres, dann wissen Sie aber auch, dass selbstdas Bundeskriminalamt in den vergangenen Monatenmehrfach die unterschiedlichen Erfassungs- und Bewer-tungskriterien bei rechtsextremistisch motivierten Straf-taten kritisiert hat. Die Überschrift der SüddeutschenZeitung vom 24. November vorigen Jahres: "Nach Er-kenntnissen des Bundeskriminalamts: Polizei operiertbei rechter Gewalt mit falschen Zahlen. BKA-VizechefFalk: Viele Straftaten werden politisch nicht eingeordnetund tauchen daher in der Statistik nicht auf." Insofernwird nicht, wie vereinzelt behauptet, mit dem Bund überStatistiken gestritten. Der Aussagewert des veröffent-lichten Ländervergleichs ist allen Fachleuten bekannt. Esist nämlich bekannt, dass er nun fast gegen null tendiert.Eine Vergleichbarkeit der Zahlen der Länder unterein-ander ist zurzeit noch nicht gegeben. Jeder diesbezüglicheVersuch, Vergleiche zwischen den Ländern anzustellen,ist unseriös. Aus diesem Grund wurde eine entsprechen-de Statistik in den vergangenen Jahren auch nicht ver-öffentlicht. Diesem Umstand Rechnung tragend, habensich die Innenminister von Bund und Ländern schon imSommer vorigen Jahres entschieden, das Meldewesen imBereich der Staatsschutzkriminalität grundlegend zu über-arbeiten und zu vereinheitlichen, denn die Länder meldenmomentan sehr Unterschiedliches ans BKA. Eine weitereVereinbarung in diesem Zusammenhang zwischen Bundund Ländern ist, dass diese sensiblen Staatsschutzzahlennur nach vorheriger Abstimmung und mit Bewertungbekannt gegeben werden. Es ist deshalb in hohem Maßeunverständlich, dass das Bundesinnenministerium nunmehrdie Zahlen völlig unkommentiert herausgegeben hat. Esfragt sich hier schon, was damit bezweckt ist, meineDamen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Der Bundesinnenminister hätte diese Zahlen in dieserWeise nicht herausgeben dürfen und das wird einThema sein, das wir auch bei der nächsten Innenminis-terkonferenz ansprechen werden.

Seit dem 1. Januar 2001, also diesen Jahres, wird zu-mindest in Thüringen nach dem neuen kriminalpolizei-lichen Meldedienst verfahren. Andere Länder tun sich sehrschwer mit der Einführung des neuen Meldewesens. Sobeharrt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Bundes-land darauf, rechtsextremistische Propagandadelikte aufeinem gesonderten Meldeweg zu erfassen. Das würdedann in dieser Statistik überhaupt nicht auftauchen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: WelchesLand ist das?)

Würde man dieses Verfahren auch in Thüringen anwen-den, stünden wir im Vergleich natürlich besser da, was

3036 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

nichts mit der inneren Situation hier in Thüringen zu tunhat. Andere Länder zählen Sachbeschädigungen, Haus-friedensbruch, Bedrohung und andere Delikte nicht zurKategorie der rechtsextremistischen Gewaltstraftaten,auch wenn sie einen extremistischen Hintergrund hat-ten. Diese Delikte erscheinen dort lediglich in der allge-meinen polizeilichen Kriminalstatistik und gehen dortunter in der Bewertung der allgemeinen Kriminalität.Andere einzelne Länder wiederum registrieren extre-mistische Straftaten, die unter Alkoholeinwirkung odervon Kindern begangen wurden, nicht als extremistischmotiviert - unter der Überschrift "Betrunkenen fehlt jaein klares Gedankengut." Darüber hinaus ließ der alteMeldedienst eine Auslegung des Extremismusbegriffs zu,der in das Belieben der einzelnen Länder gestellt war.So erscheint ein Land der neuen Bundesländer, welchesin der Vergangenheit durch spektakuläre rechtsextre-mistische Vorfälle auf sich aufmerksam gemacht hat, inder nunmehr vorliegenden Statistik lediglich mit 133 De-likten. Lächerlich, hier Vergleiche ziehen zu wollen, meineDamen und Herren.

Thüringen hat einen gänzlich anderen Weg gewählt,denn wer es mit der Bekämpfung des Rechtsextremis-mus ernst meint, muss zuallererst über ein korrektesLagebild verfügen. So resümiert die FAZ in der ver-gangenen Woche auch: "Thüringen zählt am ehrlichsten",so lautete die Überschrift, die vielleicht dem einen oderanderen hier im hohen Hause entgangen ist.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Dafür sitzensie aber ganz schön lange auf den Zahlen.)

Aber ich frage Sie: Macht es Sinn, hier Zahlen schönzu-reden, um dann so zu tun, als hätte man kein Problem?Genau diese Schönrederei der Zahlen ist eben nichtunser Problem. Diese Schönrederei der Zahlen habenwir uns nicht zum Ziel gesetzt.

So widersprüchlich es auch klingen mag, meine Damenund Herren, eine Folge des von mir vor einem Jahr, imMärz vorigen Jahres, in Kraft gesetzten Extremismus-konzepts ist auch ein Ansteigen der registrierten Fall-zahlen. Da hat Herr Dittes vollkommen Recht. Diese Ent-wicklung überrascht nicht. Ich habe im vergangenenJahr immer wieder darauf hingewiesen, dass die statis-tischen Werte, die wir für das Jahr 2000 haben, im Ver-gleich zu 1999 enorm nach oben schnellen werden. DasExtremismuskonzept und die damit verbundene Öffent-lichkeitsarbeit hat außerdem zu einer breiten Diskussionin der Bevölkerung und damit zu einer Sensibilisierungeiner Vielzahl von Menschen geführt. Dies wird insbeson-dere deutlich im Anzeigeverhalten der Bürgerinnen undBürger. Während früher häufig gleichgültig weggesehenwurde, wenn Ausländer oder anders Denkende belästigt,bedroht, beleidigt oder geschlagen wurden, wird heutevielfach die Hilfe der Polizei gesucht. Darum haben wirauch die Bevölkerung gebeten.

Das Handeln der Polizei ist mit dem Extremismuskon-zept ebenfalls positiv beeinflusst worden. Vom März 2000bis einschließlich Februar 2001 wurden 12.076 Identitäts-feststellungen und Personenkontrollen durchgeführt, 3.994Befragungen, 597 erkennungsdienstliche Behandlungen,727 Vorladungen, 2.890 Platzverweise, 1.229 Gewahr-samnahmen, 2.949 Durchsuchungen von Personen, 430Durchsuchungen von Wohnungen. Einen solchen Über-wachungsdruck, meine Damen und Herren, hat es zuZeiten eines Innenministers Dewes nie gegeben.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es vollkommener Humbug, sich hier vornhinzustellen und einen Eindruck zu erwecken, wie Siees versucht haben, Herr Kollege Dewes, der Druck hättenachgelassen auf diese Szene -

(Zwischenruf Abg. Dr. Dewes, SPD: Daszeigt mir ...)

überhaupt nicht - und Ihr Vorwurf, der Rechtsextremis-mus hätte kontinuierlich zugenommen in diesem Land,seit diese Landesregierung amtiert, ist eine bodenloseFrechheit.

(Beifall bei der CDU)

Sie können es auch umdrehen. Die rechtsextremis-tischen Fallzahlen haben zugenommen seit der zweitenHälfte der 90er Jahre, und zwar im gesamten Bundes-gebiet. Würde einer auf die Idee kommen zu sagen, weildiese Bundesregierung amtiert, haben die rechtsextre-mistischen Zahlen zugenommen? Sie müssen sich ein-mal überlegen, was Sie für einen Schwachsinn sagen.

(Beifall bei der CDU)

Der erhöhte Verfolgungsdruck der Polizei, meineDamen und Herren, bleibt natürlich nicht ohne Folgen.Zum einen gelingt es der Polizei dadurch Straftaten auf-zudecken, die anderenfalls latent geblieben wären, zumanderen reagiert die rechtsextremistische Szene natür-lich auch mit Gegendruck auf die Maßnahmen der Poli-zei. Das haben wir im vergangenen Jahr hier oft undbreit genug diskutiert.

Lassen Sie mich zum zweiten Teil Ihrer Begründungdieser Aktuellen Stunde etwas sagen, weil Sie wiedereinmal versuchen, den Eindruck zu vermitteln, als bleibedie Landesregierung im Kampf gegen den Rechtsex-tremismus untätig.

Zur Arbeit der Polizei, die ich mir von Ihnen nichtschlechtreden lasse, Herr Kollege Dewes, habe ich schoneiniges gesagt. Hierzu ist bereits in zahlreichen Reden,in Debatten, die in Ausschüssen geführt wurden - und ichmöchte dies alles hier nicht wiederholen - einiges gesagtworden. Deshalb in Kürze: Die Landesregierung hat die

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3037

erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um das Problemdes Rechtsextremismus wirksam und dauerhaft bekämpfenzu können. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Maß-nahmen ist die Einrichtung der KoordinierungsstelleGewaltprävention. Auch das mehrfach von der Oppositiongeforderte Landesprogramm wurde hierbei geprüft und be-wertet. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Landes-programme in Sachsen-Anhalt und Brandenburg inweiten Teilen deckungsgleich mit der Zielstellung und denMaßnahmen der Koodinierungsstelle Gewaltprävention inThüringen sind. Allerdings, und das ist erstaunlich - unserstaunt es nicht, aber die Opposition sollte sich mit diesemSachverhalt einmal beschäftigen -, gehen die ThüringerAktivitäten über die in den oben genannten Landes-programmen dargestellten Ziele hinaus. Ich verweise hierbeispielsweise auf den Aufbau flächendeckender Netz-werke der Gewaltprävention, die berufsgruppenüber-greifende Fortbildung sowie auch die Datenerhebung undBereitstellung der Informationen nicht nur zu Pro-grammen der Landesregierung, sondern auch zu Initiativenund Projekten von freien Trägern als Grundlage fürqualifizierte Projektinitiierung. Insofern ist es schonbefremdlich und zeigt die mangelnde Ernsthaftigkeit derOpposition hier im Hause, dass Äußerlichkeiten wie dieBezeichnung als Landesprogramm in der Diskussionimmer einen ganz wichtigen Punkt einnehmen, einenwichtigeren Punkt einnehmen als die Arbeitsinhalte selbst,die von den einzelnen Stellen durchgeführt werden. DieKritik an der Außenwirksamkeit der Koordinierungsstelleist nur schwer nachvollziehbar. Seit ihrem offiziellenArbeitsbeginn am 2. November 2000, wo nun erst einmalDatenbanken, Informationen, Programme usw. aufgestelltund erarbeitet werden müssen, haben die Vertreter derKoordinierungsstelle darüber hinaus bisher 36 Terminemit Außenwirkung wahrgenommen, allerdings fallen da-runter keine Teilnahmen an Demonstrationen, da dies nichtzum Aufgabenbereich der Koordinierungsstelle zählt,meine Damen und Herren. Zentrale Aufgabe der Koordi-nierungsstelle ist die Bildung von Netzwerken gegenGewalt auf kommunaler Ebene und die Beratung derAkteure vor Ort. Diese Aufgabe beschreibt kein kurz-fristiges Aha-Erlebnis, sondern einen langfristigen Prozessund kann - wie die Erfahrungen auch aus anderen Ländernzeigen - nicht von heute auf morgen Ergebnisse bringen.Wenn aus diesem Grunde jedoch die Arbeit der 8-Per-sonen-Koordinierungsstelle mit politischer Alibifunktiongleichgesetzt wird, muss man sich auch die Frage stellen,welche Funktion denn eine Zwei-Personen-Koordinie-rungsstelle wie in Sachsen-Anhalt erfüllt, die lediglichrunde Tische in sieben Städten betreut. Sie müssen sicheinfach einmal kundig machen, was Sie uns immer alsVorbild vorstellen, damit Sie überhaupt einmal wissen, wo-von Sie reden, und nicht immer nur Begriffe transportieren.

(Beifall bei der CDU)

Beteiligen Sie sich lieber konstruktiv an der Bekämpfungdes Extremismus.

(Beifall bei der CDU)

Begleiten Sie die Arbeit mit zielführenden Vorschlägen,anstatt fortwährend die Arbeit der Koordinierungsstelleschlechtzureden. Dies trägt nicht nur nicht zur Motiva-tion dieser Mitarbeiter bei, sondern schadet auch derAkzeptanz dieser Koordinierungsstelle im Land. WennSie das erreichen wollen, dann sagen Sie es hier bittedeutlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Dies kann doch von Ihnen nicht gewollt sein, wenn Siees mit der Bekämpfung des Extremismus ernst meinenund Sie dieses Thema nicht als Vehikel zur Durch-setzung ganz anderer Ziele benutzen wollen, meineDamen und Herren.

Zu den Schulen hat Kollege Krapp schon ausreichendberichtet. Hinweisen möchte ich nur noch auf eingemeinsames Fortbildungsprojekt, das Innen-, Sozial-und Kultusressorts in Zusammenarbeit mit einem freienTräger entworfen haben, in dem Lehrer, Polizisten,Sozialarbeiter gemeinsam zu Konzepten der Gewalt-prävention geschult werden.

Meine Damen und Herren, das, was hier im Einzelnengenannt wurde, scheint uns der richtige Ansatz zu sein.Deshalb lassen Sie uns gemeinsam gegen das Problemdes Rechtsextremismus vorgehen. Polemik, Unterstellun-gen und das unverantwortliche Agieren mit Zahlen helfenuns allerdings nicht weiter. Es war klar, dass dieser Weg- Bekämpfung des Extremismus - kein einfacher undkurzer Weg sein wird. Wer jetzt hier meint, kurz-schlüssig, polemisch agieren zu können, der schadet derArbeit, die wir uns vorgenommen haben. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Eine Bemerkung von meiner Seite aus. Als vor längererZeit der Abgeordnete Köckert die Rede eines Ministersals Frechheit bezeichnete, erhielt er vom damaligenPräsidenten einen Ordnungsruf.

(Zuruf Köckert, Innenminister: Das war aberein Minister, der mich beschimpft hatte.)

Herr Köckert, lassen Sie das bitte. Und jetzt möchte icheinmal genannt bekommen, inwieweit sich die Redezeitin dieser Debatte noch verlängert. 13 Minuten Verlänge-rung der Redezeit in dieser Debatte zum Rechtsextre-mismus. Es liegt bereits eine Redemeldung von HerrnAbgeordneten Althaus, CDU-Fraktion, vor.

3038 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Abgeordneter Althaus, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, die Debatte hat leider bestätigt, was ich bei der Lek-türe des Antrags vermutet hatte. Die Begründung machtes deutlich, es geht Ihnen im Kern nicht darum, einernsthaftes Thema, das hier im Land und insgesamt inDeutschland und Europa steht, in den Mittelpunkt derpolitischen Debatte zu rücken, sondern es geht Ihnendarum, dieses ernsthafte Thema zu nutzen, um es poli-tisch zu instrumentalisieren für Ihre Zwecke.

(Beifall bei der CDU)

Ich halte das für fatal, weil genau das unser Problem ist.Die Demokraten sollten sich einig sein, dass wir bei derBekämpfung von Extremismus, im Besonderen vonRechtsextremismus, von Fremdenfeindlichkeit, von Rassis-mus und Gewalt eines Sinnes sind und das auch deutlichmachen und nicht durch Unterstellungen oder auch überErhöhungen den Eindruck vermitteln, als würde es hier umeine politische Debatte zwischen demokratischen Parteiengehen, wer den besseren Weg kennt, Extremismus zubekämpfen. Ich fände es richtig, wenn Sie in Ihrer Be-gründung eben nicht dem Kultusminister unterstellt hätten,dass er sich beharrlich weigert, weil Sie von etwas reden,von dem Sie nur wenig verstehen. Herr Dr. Krapp hat dasdeutlich gemacht. Das ist eine Beleidigung der ThüringerLehrerinnen und Lehrer, wenn in dieser Begründung einesolche Ausführung steht, denn die Lehrerinnen und Leh-rer im Freistaat müssen die Arbeit leisten und sie leisten sie.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie, Herr Dr. Dewes, als Innenminister a.D. ernst-haft hier vorn behaupten, dass der Druck auf die Szenenachgelassen hat, seitdem die Regierung gewechselt hat,und die absolute Mehrheit vorhanden ist, dann ist das genaudieses Signal, dass Sie diese schwierige Debatte nichtsachlich führen, sondern politisch instrumentalisierenwollen.

(Beifall bei der CDU)

Sie wissen besser als ich, dass seit Mitte der 90er Jahredie Zahlen kontinuierlich gestiegen sind, leider, undauch in Thüringen, und kein Einziger hat in der letztenLegislaturperiode Ihnen vorgeworfen, Sie hätten den Drucknicht deutlich verstärkt und könnten mit dem Themanicht umgehen. Es macht mir nur deutlich, dass Sie imKern nicht an der Lösung des Problems interessiert sind,sondern im Kern daran interessiert sind, dass aus einemsolchen ernsthaften Problem politisches Kapital für Siegeschlagen wird.

(Beifall bei der CDU)

Das finde ich hoch befremdlich.

(Beifall bei der CDU)

Es ist für mich ebenfalls befremdlich, wenn Sie mit demPathos, Thüringen als Standort im Blick zu haben, zumeinen mit Recht sagen, dass rechtsextremistische Aus-schreitungen ein Negativimage für den Standort Thürin-gens sind, zum anderen aber in Ihren Begründungen, IhrenAussagen deutlich machen, dass es Ihnen gar nicht um denStandort Thüringen geht. Denn sonst würden Sie nichtso überhöhen in Ihren Formulierungen, wie Sie es getanhaben. Es ist keine verheerende Entwicklung, die wirhaben, sondern es ist eine ernst zu nehmende Ent-wicklung, die wir haben. Und ich kann keinen in diesemHaus erkennen und auch nicht in der Regierung, derdiese ernsthafte Situation nicht schon mehrere Jahre auchim Konkreten im Blick hat und dagegen etwas tut. Siebetreiben Rufschädigung für den Freistaat und auch fürden Standort Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist auch überhaupt keine Frage und vor einem Drei-vierteljahr konnten wir es auch in der Zeitung lesen, dasswir nicht mit Begriffen dieses Problem lösen. Das Landes-programm in Brandenburg hat überhaupt keine positivenResultate hervorgebracht, die es berechtigten zu sagen,wenn wir ein solches Landesprogramm mit diesem Nameneinführen, dann ist das Problem gelöst. Nein, wirmüssen die Maßnahmen, die wir haben, immer wieder amProblem orientieren. Es ist eine Fülle von Maßnahmen.Gerade im letzten Jahr haben sowohl der Kultusministerals auch der Innenminister diese Maßnahmen neu an derveränderten Situation ausgerichtet. Der Kultusministerhat gerade erklärt, welche Dinge gerade in den letztenMonaten auf den Weg gekommen sind. Und statt zuermutigen, gerade die, die es tun, und das sind nicht diePolitiker, sondern z.B. die Lehrerinnen und Lehrer,stellen Sie sich her und sagen, wenn wir ein Landes-programm haben, ist das alles besser. Das ist infam undSie wissen genau, dass dies nicht die Wirklichkeit ist.

(Beifall bei der CDU)

Wissen Sie, wenn die Zivilcourage am Wochenende inSuhl nicht ausgereicht hat, dann ist das ein ernstes Prob-lem, aber vor einem Dreivierteljahr haben wir hier imLandtag festgestellt, Gott sei Dank ist die Zivilcouragein Thüringen gewachsen. In Weimar und an vielenanderen Stellen ist das deutlich geworden.

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

Wir sollten die Menschen ermutigen, indem wir deutlichmachen, dass hier die Demokraten zusammenstehen, dennes kommt vor allem auf die Zivilcourage an, das ist garkeine Frage, hinzuschauen, etwas zu unternehmen.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3039

Da haben gerade der Innenminister und auch die Justizin den letzten Monaten deutlich gemacht, dass mit allenrepressiven Mitteln auch diese Zivilcourage unterstütztwird -

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Abgeordneter Althaus, CDU:

jawohl - zum Beispiel auch, wenn es darum geht, dassZeugen geschützt werden müssen. Deshalb: Thüringenbleibt ein ausländerfreundliches, ein weltoffenes Landund dieses muss man zuallererst sagen. Als Zweites: Wirwerden mit allen Mitteln all das, was im Rechts-extremismus, aber auch in allen anderen Bereichen vonFremdenfeindlichkeit und politisch motivierter Gewaltund Extremismus in Thüringen präsent ist, bekämpfen, unddas unnachgiebig, und wir lassen uns dabei von keinemübertreffen.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächster Redner hat sich Herr Abgeordneter Dittes,PDS-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Aus gegebenem Anlass mache ich noch mal darauf auf-merksam, es sind wieder die 5-Minuten-Zeiten angesagt.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Herr Köckert, es ist schon nicht nur unverschämt, wennSie hier im Thüringer Landtag versuchen, Aufrufe nichtnur der PDS zu gewaltfreien und friedlichen Demons-trationen und Protesten ja und auch zu Blockaden gegendie menschenfeindliche Nutzung der Atomenergie und dieCastortransporte gleichzusetzen mit rechtsextremistischenund rassistischen, gewalttätigen Übergriffen auf andersDenkende, anders Lebende und nicht deutsche Menschenin Thüringen - das ist schon nicht nur unverschämt, dasist die Infamität, die es hier gibt.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU:Was machen Sie denn in Arnstadt?)

Aber, der Herr Althaus hat uns vorgeworfen, uns geht esbei der Forderung nach einem Landesprogramm nur umden Namen. Wenn Sie sich den Antrag der PDS-Fraktion zum Landeshaushalt 2001/2002 mal durchgelesenhätten, und ich glaube, Herr Krapp hat ihn durchgele-sen, dann wüssten Sie auch, welche Bestandteile wireingefordert haben für ein Landesprogramm, und dannwüssten Sie, dass Sie nicht so einen Unfug reden müs-sen und uns vorgaukeln wollen, wir hätten mit der

Koordinierungsstelle "Gewaltprävention" schon so etwasÄhnliches wie ein Landesprogramm gegen Rechtsex-tremismus und für Demokratie.

(Beifall bei der PDS)

Was Sie haben, ist eine Zusammenfassung, ein Aufga-benmischmasch von Suchtprävention zur Alltagskrimi-nalität, was sogar noch die Auseinandersetzung mit demgewaltfreien Rechtsextremismus verneint und auchablehnt in dieser Koordinierungsstelle. Was bis jetztnicht stattgefunden hat in dieser Koordinierungsstelle,war eben die Koordination mit lokalen Netzwerken, mitBündnissen gegen Rechts, die an kommunalen Hand-lungskonzepten arbeiten und die sie bereits in dieÖffentlichkeit gebracht haben, zur Diskussion gestellthaben und auch umsetzen wollen. Dass dort ein Mangelist, hat doch Herr Krapp deutlich gemacht, als er gesagt hat,wir als Landesregierung wollen das Bundesprogramm"Civitas" nutzen. Meine Damen und Herren - Bundes-programm "Civitas", das bedeutet 5 Mio. für Modellpro-jekte von mobilen Beratungsteams für nicht staatliche mo-bile Beratungsteams, das bedeutet 5 Mio. für Opferbe-ratungsstellen von Opfern ganz explizit rechtsextre-mistischer und rassistischer Gewalt - all das sind For-derungen, die Sie in diesem Haus abgelehnt haben. Nunbringt es die Bundesregierung auf den Weg und Siesagen, die Landesregierung will diese guten Ansätzenutzen. Meine Damen und Herren, dann benutzen Siedoch diese Bundesprogramme und ergänzen Sie sie umdie gleichen Bestandteile in Thüringen, dass die Träger, diehier auch solche Programme durchsetzen wollen, auchin Thüringen die finanzielle und strukturelle Unter-stützung erfahren können.

Und dann, meine Damen und Herren, sind Sie wirklichnicht mehr so weit entfernt von einem tatsächlichen Lan-desprogramm. Meinetwegen nennen Sie es dann auchanders, das ist mir auch egal. Es geht um die gesell-schaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismusund eben nicht nur um die Auseinandersetzung mitrechtsextremistischen Straf- und Gewalttätern. Dass Sieüber Ihren polizeilichen Horizont noch nicht hinaus-zudenken vermögen, Herr Köckert, hat doch Ihre Auf-zählung von repressiven Maßnahmen deutlich gemacht.Natürlich ist es so, dass Konzerte und Aufmärsche wenigerstattgefunden haben, aber, meine Damen und Herren, dasmacht doch das Problem in Thüringen nicht kleiner. Eskann doch nicht die Zielstellung für diese Landes-regierung tatsächlich sein: wir schaffen polizeiliche Maß-nahmen, damit ist das Problem aus den Augen und dannauch aus dem Sinn und damit ist der Wirtschaftsstandortin Thüringen gerettet. Meine Damen und Herren, das istunverantwortliche Politik.

(Beifall bei der PDS)

3040 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es sind noch 4 Minuten Redezeit. Es liegt die Redemel-dung von Herrn Abgeordneten Schwäblein, CDU-Fraktion,vor. Die SPD-Fraktion hat nichts signalisiert, wir würdensonst in der Reihenfolge der Parteien aufrufen. DannHerr Abgeordneter Schwäblein 4 Minuten Redezeit,Restredezeit für diese Aktuelle Stunde.

Abgeordneter Schwäblein, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, es ist heute wieder wie in vielen anderen Fällenauch sehr viel über Symbolik gesprochen worden. Dabeklagt der Abgeordnete Dewes die Springerstiefel undbringt sie mit dem Nationalsozialismus in Verbindung,der Kollege Ramelow bei anderer Gelegenheit hängtsich an Markenkleidung auf

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Das gehtdoch nicht darum.)

und andere wiederum monieren ein fehlendes Landes-programm. Als ob mit diesen Äußerlichkeiten dem Pro-blem zunehmender Gewalt in dieser Gesellschaft beizu-kommen wäre. Man wird damit erreichen, dass dann die,die die Symbolik brauchen, andere Symbole wählen. Dawird eine andere Schnürsenkelfarbe gewählt, da wird aufeine andere Markenkleidung umgestiegen, da werdendie Stiefelschäfte ein Stückchen höher oder niedriger -also damit sind die Probleme nicht aus der Welt.

(Beifall bei der CDU)

Darüber sollten wir uns unterhalten und uns nicht anÄußerlichkeiten festmachen. Es ist über den Populismusdes Erfurter Stadtrats gesprochen worden, gegen meineStimme übrigens, nun den Sportvereinen die Aufgabezu übertragen, den Rechtsextremismus aus den Stadienherauszuhalten. Herr Pohl, Sie hatten das Thema heuteschon mal angerissen, ich muss Ihnen ganz deutlich sagen,falls verfassungsfeindliche Symbolik auftaucht, ist dasbereits verboten nach den Gesetzen dieses Staates und ge-hört von den Ordnungsbehörden und der Polizei verfolgt.

(Beifall bei der CDU)

Da bleibt es auch nach unserer Meinung beim Gewalt-monopol des Staates, da werden die Sportvereine nichteine eigene Saalräumtruppe akquirieren, da soll es wirk-lich beim Gewaltmonopol des Staates bleiben. Aber wirgeraten in eine Populismuswelle, die dahin geht, dass jetztan Schulen möglicherweise - die Diskussion ist ja ambi-valent gelaufen in der letzten Woche - bestimmte Klei-dung verboten wird. Herr Dewes, Sie lächeln so albern,Entschuldigung, ich habe das schon durch, dass ichwegen Westjeans die Schule verlassen musste.

(Beifall bei der CDU)

Dahin will ich nicht wieder zurück. Die Demokratensollten die Herzen und die Köpfe der jungen Menschenerreichen und es nicht an Äußerlichkeiten festmachen,

(Beifall bei der CDU)

das heilt nicht einen unserer Missstände; Missstände habenwir zur Genüge. Ich war am Samstag zum Fußballspiel.Ich bin mit der Gruppe der Jenenser Fans dort einge-laufen, es hat sich gerade so ergeben, ich habe mir nichtsdaraus gemacht. Ich durfte feststellen, die Erfurter warenübrigens keinen Deut besser, wie ich dann neben der Fan-kurve gesehen habe, da gibt es kommerziell gefertigteFanartikel, die zum Hass gegenüber dem anderen Klubaufrufen. Wir schweigen dazu, das kann doch nicht wahrsein.

(Beifall bei der CDU)

Da gibt es - da sind die Fanprojekte noch viel zu lahm -wirklich massenhaft aus Tausenden von jugendlichenKehlen Schmährufe gegen farbige Spieler auf dem Feld.Da ist bisher nicht ausreichend eingegriffen worden. Dassind Erscheinungen täglicher Gewalt, bei denen die Demo-kraten gefordert sind. Das macht sich dann nur bedingtan Äußerlichkeiten fest. Wir gehen fehl, wenn wir unsüber Landesprogramme streiten, über den Titel Landes-programm oder über die Form der Jacken, die Höhe derStiefelschäfte, am Ende die Farbe und Länge der Schnür-senkel. Das kann es nicht sein. Lassen Sie uns auf täglicheGewalt eingehen, lassen Sie uns darauf eingehen, wasden Kindern alltäglich im Fernsehen an Gewalt gebotenwird, wie viele Eltern nicht ausreichend darauf achten,welche Spiele ihre Kinder am Computer spielen. Es gibtda wohl Einschätzungen von Schutzbehörden und selbsternannten Gremien, die eine Klassifizierung vornehmen.Aber welche Eltern schauen denn wirklich genau drauf,was da eigentlich passiert? Da sind wir gemeinsamgefordert, in dieser Gesellschaft zu wirken; lassen wirden Streit über kleine Äußerlichkeiten. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich glaube, ich kann jetzt die Aktuelle Stunde, Tages-ordnungspunkt 12 b, die uns mehr als eine Stunde zumThema "Rechtsextremismus" beschäftigt hat, schließen,kann nur feststellen, man hat sich gegenseitig nichtsgeschenkt, aber ich hoffe trotzdem, dass der Konsens imKampf gegen Rechtsextremismus nicht

(Unruhe bei der CDU)

gebrochen wird. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 12.

Was ist jetzt? Ich verstehe die Unruhe im Saal jetzt nicht.Ich habe darum gebeten, dass zu diesem Zeitpunkt alleAbgeordneten im Saal sind, weil stellvertretend, glaube

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3041

ich, für alle Fraktionen der Abgeordnete Pohl einenAntrag einbringen möchte.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Frau Präsidentin, entsprechend der Geschäftsordnung § 22 -Abweichung von der Tagesordnung - bitten wir, dennachfolgenden gemeinsamen Antrag von CDU, PDS undSPD zusätzlich in die Tagesordnung aufzunehmen. Ichzitiere den Antrag: "Verdachtsfall auf Maul- und Klauen-seuche in Thüringen". Er wird begründet: Mit dem heutigenTage wurde ein Verdachtsfall auf Maul- und Klauenseuchein einem Thüringer Schweinebestand festgestellt. DieThüringer Landesregierung wird gebeten, zum aktuellenStand sowie zu den getroffenen Seuchenschutz-maßnahmen zu berichten. Frau Präsidentin, ich würdedarum bitten, diesen Tagesordnungspunkt einzuordnennach TOP 10. Danke.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Mir ist a) signalisiert worden, dass es eine Absprachezwischen allen Fraktionen gibt; mir liegt b) ein unter-schriebener Entwurf dieses Antrags vor. Ich weiß nicht,inwiefern er schon verteilt worden ist. Mir ist auch bekanntgegeben worden, dass die Einordnung als TOP 10 a Kon-sens aller Fraktionen ist. Damit könnten wir abstimmenüber den Antrag nach § 22 Abs. 1 Nummer 1 der Ge-schäftsordnung in Verbindung mit der Fristverkürzungnach § 66 der GO. Wer zustimmt, dass dieser Tages-ordnungspunkt "Verdachtsfall auf Maul- und Klauenseuchein Thüringen" als TOP 10 a eingeordnet wird, den bitteich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Gibt esGegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibt es Stimm-enthaltungen? Das ist auch nicht der Fall. Wir haben dieTagesordnung demzufolge so verändert.

Wir setzen nun fort in der Beratung zum Tages-ordnungspunkt 5 "Sofortprogramm Ost" in Verbin-dung mit dem Entschließungsantrag der SPD-Fraktion.Wir hatten ihn für eine längere Zeit unterbrochen.

Als nächster Redner hat sich zu Wort gemeldet derAbgeordnete Gentzel, SPD-Fraktion.

Abgeordneter Gentzel, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, es ist zwar schon ein paar Minuten her, aber ichgehe zunächst einmal davon aus, dass die Wirtschafts-daten, die von meinen Vorredern gebraucht worden sind,noch einigermaßen in den Köpfen sind. Ich kann mir soersparen, sie herunter zu erzählen. Es bleibt festzustellen,sie sprechen eine deutliche Sprache. Ost und West driftenleider weiter auseinander. Eine mögliche Angleichung derLebensbedingungen Ost und West rückt leider weiter indie Ferne. Was mir bei den Aufzählungen dieser Wirt-schaftsdaten gefehlt hat, Herr Ministerpräsident Vogel, istfreilich die mittlerweile gesicherte Erkenntnis, dass

diese Entwicklung 1997 begonnen hat.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Doch, das habe ich gesagt!)

1997, 1998, 1999 - die gleiche problematische Entwick-lung, aber kein Sonderprogramm Ost des Ministerpräsi-denten Vogel. Eine Thüringer Zeitung hat geschrieben:"Hätte er sich es damals gewagt, wäre er wirklich zumHelden geworden, weil er hätte gegen Helmut Kohlgehen müssen." Aber damals war halt die Zeit des Aus-sitzens und heute ist wahrscheinlich die Zeit nicht derInhalte, sondern der politischen Pluspunkte und insofernist auch dieses Programm des Ministerpräsidenten zubeurteilen. Es bleibt das Verdienst des Briefes vonWolfgang Thierse, dieses Thema wieder auf die Tagesord-nung zu setzen. Ich selbst - es gibt einen Brief vonWolfgang Thierse - habe es bisher immer bedauert, dassdieser Brief mit seinen Thesen immer wieder nur reduziertworden ist in der Diskussion auf die Frage: Kippe odernicht? So sagt der Ministerpräsident zum Thema "Kippe":Alles Quatsch. Der Präsident der Thüringer Handwerks-kammer, Wolfgang Bachmann, sagt: Wieso auf der Kippe?Wir sind längst gekippt im Thüringer Handwerk. Undso liegt die Wahrheit, wie Sie, Herr Ministerpräsident,ja immer betonen, wahrscheinlich in der Mitte und sieheda, schon sind wir wieder ziemlich nah bei WolfgangThierse.

Meine Damen und Herren, für die langfristige Perspek-tive ist wohl unbestritten Folgendes notwendig: ein Län-derfinanzausgleich, ein Maßstäbegesetz, ein Solidarpakt II.Frau Zimmer, das hat nichts mit einer demütigendenAlimentierung zu tun, dieses sind Verträge, Ver-einbarungen auf sehr solidarischer Basis zwischen souve-ränen Ländern untereinander und mit dem Bund. AlsoSchwerpunkt bleibt: Länderfinanzausgleich, Maßstäbege-setz, Solidarpakt II. Meine Damen und Herren, ein Soli-darpakt II beispielsweise mit der Sicherung von Sonder-bedarfszuweisungen an den Osten, mit der Berücksich-tigung von teilungsbedingten Sonderlasten und mit einerLaufzeit auf zehn oder über zehn Jahre angelegt, das istdas beste Sonderprogramm Ost, was wir uns wünschenkönnen.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, wir können an dieser Stelle sehr optimistischsein. Diesen Optimismus ziehe ich aus den Äußerungenaller Beteiligten und hier wiederhole ich wie so oft: DerSchlüssel dafür liegt nicht in Thüringen, wie uns der Mi-nisterpräsident weismachen will, der Schlüssel dafür liegtwahrscheinlich in NRW. Und wer das Clemens-Inter-view und seine Äußerungen von gestern aus Halle wahr-genommen hat, der weiß, wir sind da wirklich auf einemguten Weg. Ich will nicht sagen, dass wir alles im Sackhaben, aber der Weg scheint ein positiver zu werden.

3042 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Meine Damen und Herren, wenn der Ministerpräsidentfeststellt, dass dieses erst ab 2004 gilt - dieser neuemögliche Sprung -, ist dem nicht zu widersprechen. Esist vielmehr die Frage zu stellen: Was können wir bis 2004über das, was wir im Augenblick haben, über das jetztBestehende hinaus tun, aber wir dürfen nicht nur fragen,was ist nötig, sondern auch, was ist insgesamt möglich,um mehr Dampf zu machen beim Aufbau Ost? Wer indie Protokolle der Regionalkonferenzen der Minister-präsidenten Ost hineinschaut, weiß, alle Ministerpräsi-denten Ost denken an ein solches Sonderprogramm undman redet miteinander darüber. Dass der Ministerprä-sident Vogel jetzt mit einem Sonderprogramm Ost vor-geprescht ist ...

(Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: Ärgerteuch doch nicht!)

Nein, sehen Sie mich ärgerlich? Dass der MinisterpräsidentVogel jetzt mit einem Sonderprogramm Ost vorgepreschtist, wird von der SPD-Fraktion an drei wesentlichenPunkten kritisiert.

Erstens: Wir behaupten, und die Zukunft wird es bewei-sen, das alleinige Vorpreschen eines neuen Bundes-landes ist absolut kontraproduktiv. Was wir wollen, waswir verlangen, ist eine gemeinsame Planung für ein Pro-gramm Ost aller Ministerpräsidenten der neuen Bundes-länder. Nur so kriegen wir genug Druck und nur so krie-gen wir genug Aufmerksamkeit in Berlin.

(Beifall bei der SPD)

Es geht hier nicht darum, wer nun unbedingt der Ersteist, das war ja nun sowieso Thierse, wie festgestellt; esgeht darum, dass wir für die neuen Bundesländer etwaserreichen.

Zweiter Kritikpunkt: Herr Ministerpräsident, Sie habenmit Ihrem unnachahmbaren Charme in einem Nebensatzhineingeworfen: "Unsere Finanzierung ist solide." LassenSie mich ein paar Bemerkungen dazu machen, dass IhreFinanzierung mehr als wacklig ist. Da sagen Sie zumBeispiel bei den Veräußerungen der Deutschen Aus-gleichsbank: "Diese sind nicht belegt und deshalb könnenwir die verwenden." Zunächst ist festzustellen, dass derBund bei weitem nicht mit so hohen Einnahmen rechnetwie das Land. Und dann ist es richtig, dass es im Bun-deshaushalt 2001 nicht belegt ist. Aber gleichzeitig istdie Mittelfristige Finanzplanung bis 2004 im Bundestagmit Mehrheit beschlossen worden und von dieserSumme und aus diesen Veräußerungen sind 2,7 Mrd. DMbereits gebunden.

Zweites Beispiel: Sie, Herr Ministerpräsident, fordern inIhrem Programm, dass die Bundesanstalt für Arbeit 1,2Mrd. DM zu diesem Programm beitragen soll. Ich erlaubemir aus dem Beschlussprotokoll, aus dem Ergebnis-protokoll der 24. Regionalkonferenz der Regierungschefs

der ostdeutschen Länder vom 15. November in Magde-burg zu zitieren, Punkt 5: "Die Regierungschefs der ost-deutschen Länder halten für die Zukunft im Einzelnenfolgende Maßnahmen für notwendig," da erscheint unterdem Anstrich C: "Um den tief greifenden wirtschaft-lichen und sozialen Umstrukturierungsprozess in denostdeutschen Ländern auch nach dem Jahr 2004 nicht zugefährden, sind die arbeitsmarktpolitischen Instrumenteder Bundesanstalt für Arbeit auf hohem Niveau fort-zuführen." Ja, wollen Sie sie nun fortführen oder wollenSie dort 1,2 Mrd. DM abziehen in Ihrer Planung?

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Dasist doch Quatsch!)

Herr Ministerpräsident, dieses, und das kennen Sie ja,sind zum Teil Auszüge aus dem Schwanitz-Brief undauch das haben Sie natürlich nicht gesagt. HerrSchwanitz hat sich in den Briefen natürlich nicht nurmit Ihnen verbrüdert, er hat auch viele Dinge an IhremProgramm kritisiert. Ich akzeptiere, dass Sie dieses demHaus nicht zum Besten geben,

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Das habe ich nicht gesagt!)

aber von einer Finanzierung, die auf gesunden Füßen steht,kann man bei Ihrem Programm nun bei weitem nichtsprechen. Nein, die Aussage von Schwanitz ist richtig,Ihre Forderungen in der Höhe müssen dazu führen, dassin Berlin die Nettokreditaufnahme erhöht wird, und dieserForderung wird Berlin aus berechtigten Gründen nichtfolgen.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Wer solldenn das in den neuen Bundesländern bezah-len?)

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Aha!)

Da sagen Sie doch nicht "aha". Das hat Ihnen doch derHerr Schwanitz bereits geschrieben, nun machen Siedoch hier nicht "aha".

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Den kenntdoch gar keiner!)

Meine Damen und Herren, es gibt einen dritten wesent-lichen Punkt, den wir kritisieren. Was Sie hier inAngriff nehmen, Herr Ministerpräsident, ist keinegemeinsame Initiative von Land und Bund. Wissen Sie,von anderen außergewöhnliche Anstrengungen zu for-dern, ist immer einfach; selbst außergewöhnliche Wegezu gehen, dazu fehlt Ihnen der Mut.

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen richtig,

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3043

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Die Bemerkung gefällt mir!)

die Geschädigten haben ein Recht auf Hilfe. Wir fügenhinzu: Die Geschädigten haben auch die Pflicht zurSelbsthilfe. Deshalb hat die SPD-Landtagsfraktion einLandesprogramm für eine Investitionsoffensive für Thü-ringen vorgelegt.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt-schaft, Arbeit und Infrastruktur: Aufgelegt,ja?)

Meine Damen und Herren, wir fordern in unserer Vor-lage einen Nachtragshaushalt, der eine auf vier Jahreangelegte Investitionsoffensive Thüringen in Verbin-dung mit dem Sonderprogramm Ost einleiten soll. Pro-fitieren soll von dem geforderten Investitionsprogrammbesonders der Thüringer Mittelstand. Nicht die von derLandesregierung immer wieder favorisierten Großobjektewie z.B. Ministerienbauten stehen auf der SPD-Priori-tätenliste, es geht uns an dieser Stelle im Wesentlichenum das einheimische Handwerk.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, und hier gebrauche ich aus-drücklich den Duktus des Ministerpräsidenten: Wir habenvier konkrete Projekte benannt. Zunächst die zusätzlichekommunale Investitionspauschale: Der hier in diesem Hausviel zitierte Gemeinde- und Städtebund sagt: Jede Mark,die dort ankommt, wird sich mindestens verdreifachen.Dieses ordentlich installiert hieße, Investitionen anschie-ben, hieße, dem Thüringer Mittelstand und hier insbeson-dere dem Handwerk erheblich auf die Füße zu helfen.

Wir haben als zweites konkretes Projekt benannt: Auf-stockung der Mittel für das Landesstraßenbauprogramm.Hier verweise ich auf die Argumentationslinie des Minister-präsidenten zum Thema Infrastruktur, die im Übrigen indiesem Haus nie strittig war. Wir machen nur darauf auf-merksam, es gibt auch nötige Infrastrukturverbesserungenim Aufgabenbereich des Landes, die wollen wir angehen.

Wir sagen drittens konkret: Wir wollen eine Aufstockungdes Programms zur Wohnumfeldverbesserung und zumAbriss leerer unsanierter Plattenbauten. Ich werde dazuden Herrn Trautvetter noch zitieren, das ist hoch in-teressant.

Und als Letztes fordern wir, Herr Ministerpräsident, kon-kret: umfassende Ausstattungen der Schulen einschließlichder Berufsschulen mit modernsten Unterrichtsmittelnder Kommunikations- und Informationstechnik. Auchhier verweise ich auf die entsprechende Begründung, alsSie Ihr Programm vorgestellt haben und Ähnliches vomBund gefordert haben.

Meine Damen und Herren, wir haben dieses Programmüber vier Jahre durchfinanziert und ich lege Wert aufdie Feststellung, dass unser Finanzierungsplan mindes-tens genauso solide ist wie das, was die Landesregie-rung hier vorgelegt hat.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das erkennen Sie alleindaran, dass wir für den jetzt bestehenden Doppelhaus-halt die Umschichtungsmöglichkeiten - und da sind wirja ein Stückchen beieinander, Herr Ministerpräsident -als nicht so weit gehend eingeschätzt haben wie für dieJahre 2003 und 2004 und deshalb haben wir da einedeutliche Trennung vorgenommen. Jawohl, wir beziehenuns einnahmeseitig auf mehrere Einnahmen durch dieUmsatzsteuer; das sind Dinge, die vom Finanzministerbereits im Haushalts- und Finanzausschuss angekündigtworden sind. Wir denken nach über Erlöse aus der Ver-äußerung von Beteiligungen: Jenoptik ist angeführtworden, Flughafen AG, Messe AG, Landesfachkliniken.

(Unruhe bei der CDU)

Warten Sie doch mal ab! Wir sagen, Einnahmen ausBeteiligungen sollen herangezogen werden, Landesaus-gaben sollen umgeschichtet werden - Sie verlangen übri-gens genau unter der gleichen Überschrift Ähnliches vomBund - und wir verlangen ab 2003 den Verzicht von Re-präsentationsbauten. Herr Ministerpräsident, Sie haben fürIhren Vorschlag in Anspruch genommen, Diskussions-grundlage zu sein, man darf ihn verändern, man darf ihnprüfen, man darf ihn ergänzen; nicht mehr verlangenwir für das Landesprogramm der Thüringer SPD.

(Beifall bei der SPD)

Wir verlangen genauso wie Sie eine ernsthafte Überprü-fung unserer Vorschläge. Wir sind genauso wie Sie offenfür Ergänzungen und Korrekturen, nur im Gegensatz zuIhnen haben wir aus unserer Sache einen Antrag gemacht,

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Ach ja?)

um auch im Ausschuss Farbe zu bekennen. Also, wir habendies alles in einen Antrag hineingetan - Drucksache3/1377 - wem der im Augenblick nicht geläufig ist, derkann nachschauen - und wir werden diesen Antrag genausowie Sie, Herr Ministerpräsident, unter der Überschrift"Lasst uns gemeinsam diskutieren" zur Diskussion stellenund dann auch hoffentlich in den entsprechenden Aus-schüssen. Ich bin optimistisch, weil, dann schauen wireinmal in die STZ vom 10. März und was vernehmen wirda? Finanzminister Andreas Trautvetter sieht Chancen,im Thüringer Doppelhaushalt 2001/2002 Finanzmittelzugunsten zusätzlicher Investitionen umzuschichten, um sodas Sonderprogramm Ost zu unterstützen. Na, herzlichwillkommen!

3044 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

(Beifall bei der SPD)

Herzlich willkommen, Herr Finanzminister, wir freuenuns auf eine interessante Diskussion mit Ihnen.

Meine Damen und Herren, die neuen Länder brauchen inder jetzigen Situation, will man das Ziel der Angleichungder Lebensverhältnisse von Ost und West nicht aus demAuge verlieren, eine gemeinsame Anstrengung vom Bundund vom Land. Ein mögliches Landesprogramm hat dieSPD-Landtagsfraktion vorgelegt. Ein SonderprogrammOst des Bundes bedarf einer gemeinsamen glaubhaftenInitiative der neuen Bundesländer.

Meine Damen und Herren, der Vogel'sche Alleingangwird in der Sackgasse enden durch eigenes Verschulden.Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Althaus,CDU-Fraktion.

Abgeordneter Althaus, CDU:

Ich habe mir also mehrere Anlagen mitgenommen, aberkeine Angst!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrteFrau Präsidentin, da die Diskussion unterbrochen war,hatten wir alle noch einmal genügend Zeit, um die auf-wühlende Rede der neuen Bundesvorsitzenden der PDSan unserem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen. MeinEindruck ist, dass der werten Frau Zimmer in den letztenelf Jahren einiges an der Entwicklung Thüringens undDeutschlands insgesamt, aber auch aller neuen Länderim Besonderen nicht aufgegangen ist. Sie hat abstruseAussagen zur wirtschaftlichen Situation des Landesgemacht und hat nach meiner Auffassung auch inweiteren Teilen die Wendesituation, insbesondere derWirtschaft, nicht richtig dargestellt. Ich kann für dieCDU-Fraktion sagen, in einer relativ diffusen aktuellenDebatte der letzten Wochen, Kippe ja oder Kippe nein, istes unserem Ministerpräsidenten gelungen, endlich einkonkretes Ziel zu definieren und dafür auch eine Adressezu nennen.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, der Adressat ist richtig gewählt, denn es istganz unstreitig, es ist die Aufgabe der Bundesregierungdafür zu sorgen, dass die Einheit Deutschlands weitergestaltet wird und auch dass wir gleichwertige Lebensver-hältnisse bekommen und nicht, wie Frau Zimmer heutefrüh vermeintlich gesagt hat, gleiche Lebensverhältnisse.Dieses Wort ist mir aus diesem Zusammenhang nichtbekannt, es geht um gleichwertige Lebensverhältnisse.

(Beifall bei der CDU)

Hier müssen die Bundesverantwortlichkeiten wahrge-nommen werden.

(Beifall bei der CDU)

Thüringen steht mit der Wirtschaftsentwicklung, das hatHerr Ministerpräsident heute früh an Beispieldaten deut-lich gemacht, an der ersten Stelle unter den jungen Län-dern. Auch wenn Frau Zimmer uns jetzt nicht mehr dieEhre gibt dabei zu sein, sie hat es heute früh gefordert,wir wollen keine andere Wirtschaftspolitik im FreistaatThüringen.

(Beifall bei der CDU)

Ihre Aussage zur angeblich zerstörten ostdeutschen In-dustrie, zu den angeblich zerstörten ostdeutschen Industrie-potenzialien kann sie maximal in der Parteizentrale inBerlin unterbringen, bei denen, die vor Ort wissen, wiees 1989/90 aussah, sicher nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man nicht der Politik glauben will, deswegenhabe ich auch etwas mit nach vorn genommen, dannkönnte man ja vielleicht, Herr Ministerpräsident hat esheute früh zitiert, die Konjunkturaussagen der IHK ein-mal zur Kenntnis nehmen oder die Statistischen Monats-hefte oder - weil sie auch die Technologie im Blick aufThüringen so in Frage gestellt hat - eine neue Studie zurKenntnis nehmen "High-Tech in Ostdeutschland". Ichdarf auf der Seite 32 zitieren: "In den einzelnen Bundes-ländern ist die Präsenz" - falsch Bundesländer, aber daslernen viele erst spät - in den einzelnen Ländern ist diePräsenz "von High-Tech-Unternehmen verschieden hoch.Den größten Anteil an High-Tech-Unternehmen imVerhältnis zu allen Unternehmen wiesen die Bundes-länder Hessen und Baden-Württemberg auf, gefolgt vonden drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg, Berlin. Bayernrangiert auf Platz 4, direkt hinter Bremen und noch vorHamburg. Thüringen

(Beifall bei der CDU)

hat von den ostdeutschen Flächenländern den größtenAnteil an High-Tech-Unternehmen im Verhältnis zuallen Unternehmen. Damit liegt Thüringen noch vordem Saarland und zusammen mit Sachsen auch vor denbeiden westdeutschen Bundesländern Niedersachsen undRheinland-Pfalz. Die ostdeutschen Bundesländer Branden-burg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhaltbilden die Schlußlichter in der Rangfolge des Anteils anTechnologieunternehmen in deutschen Bundesländern."Eine aktuelle Studie, wenn es Sie interessiert, sage ichIhnen den Absender, dann können Sie sich das für Ihrnächstes Parteilehrjahr besorgen.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3045

(Beifall bei der CDU)

Die Thüringer Wirtschaft befindet sich, und das ist ganzunstreitig, auf einem guten Weg, und wie die IHK in derentsprechenden Aufschreibung auch deutlich gemacht hatim ersten Satz: "Die Thüringer Wirtschaft befindet sichweiter im Aufschwung" und darum geht es auch überhauptnicht. Es geht darum, dass wir in Deutschland seit etwadrei Jahren eine Entwicklung zu verzeichnen haben,

(Zwischenruf Abgeordneter Gentzel, SPD:Seit vier Jahren!)

dass die Schere zwischen Ost und West - von mir aus auchseit vier - auseinander geht und nicht, weil bei uns dieWirtschaftsentwicklung und damit die Arbeitsmarktent-wicklung nicht erfolgreich gestaltet wird, nein, weil dieDynamik nicht ausreicht, d.h., weil der Anstieg imWesten größer ist als der Anstieg bei uns. Das ist unserProblem und deswegen brauchen wir ein Programm Ost.

(Beifall bei der CDU)

Dass das insbesondere ein Problem für diejenigen ist,die besondere Perspektive brauchen, junge Menschen,erleben wir in diesen Tagen und ich bin dem BischofDr. Wanke sehr dankbar, dass er in seinem Ansatz beider Begrüßung dieses Vorschlags deutlich gemacht hat,dass genau dieses Problem ihn drückt, dass junge Men-schen hier in diesem Land Perspektive missen. Deshalbmuss die Schere wieder zusammengehen und deshalbmuss die Bundesregierung aktiv werden.

(Beifall bei der CDU)

Das ist übrigens absolut vergleichbar mit der Situation1990/91. Auch damals hat die Bundesregierung viel-leicht z.T. gegen Mehrheiten in Deutschland, zumindestgegen mentale Mehrheiten in Deutschland, dafür gesorgt,dass die Menschen hier Perspektive bekommen haben, fürdie Einheit gesorgt, für Aufschwung-Ost-Mittel gesorgt,damit die Menschen sagen, ich bleibe hier und baue hieram Freistaat mit und in den anderen jungen Ländern.

(Beifall bei der CDU)

Unser Ziel ist doch vollkommen klar und es ist oft gesagt,wir wollen dahin kommen, wo wir wären, wenn Mauer,Stacheldraht und SED-Staat nicht gewesen wären.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen nicht, wie Herr Walter als Chefvolkswirtsagt, schon ab 2004 in einen Wettbewerbsföderalismus,den wir gar nicht bestehen können, sondern wollen dieVoraussetzungen haben, dass wir im Wettbewerbsfö-deralismus erfolgreich sein können.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen stehen alle drei Aufgabenfelder gleichrangig,aber jetzt vordergründig das Sonderprogramm Ost. Essteht erstens die Aufgabe an, dass wir weiter unserenLandeshaushalt konsolidieren, weil wir nur dann auchZukunft gestalten können. Auf dem Weg werden wir auchweiterschreiten.

(Beifall bei der CDU)

Dass wir eine hohe Investitionsquote im Land sichernund dafür sorgen, dass Bildung, Ausbildung und Techno-logie bei diesen Investitionen einen besonderen Stellen-wert erfahren, auch in der Zukunft - das ist die Aufgabe,die das Land erfüllen kann, und der Aufgabe werden wiruns weiter widmen.

(Zwischenruf Abgeordneter Buse, PDS:Wunderschön!)

Wenn ich die Änderungsanträge der SPD-Fraktion zumThüringer Doppelhaushalt sehe, haben Sie von den Auf-gaben weite Teile nicht verstanden.

(Beifall bei der CDU)

Die zweite Aufgabe - und da müssen wir uns deutschland-weit darüber unterhalten und da glaube ich noch nicht,dass Herr Clement schon für die gesamten Ministerprä-sidenten der SPD-regierten Länder spricht, sondern er hatin Halle gesprochen, in Halle muss man auch so reden,er hätte in Erfurt auch so geredet, garantiert redet er inKöln anders, das ist nun mal unsere Zeit -: Wir braucheneinen Solidarpakt, das ist ganz klar. Es ist auch keineneue Botschaft und keine Botschaft, die sich erst in denletzten drei Jahren entwickelt hat, sondern wenn ich dieAussage der Wirtschaftsinstitute zur Kenntnis nehme, dannhaben sie uns schon vor langer Zeit gesagt, dass dieseInfrastrukturlücke noch viele Jahre anhält und dass nur,wenn sie gefüllt wird, wir in die Lage kommen, eine ver-gleichbare Steuereinnahme zu haben wie vergleichbareFlächenländer. Diese Aufgaben müssen wir ab dem Jahre2005 mit einem solide finanzierten Solidarpakt erreichen.

(Beifall bei der CDU)

Drittens, das ist das Kurzfristige, was sich erst in denletzten vier Jahren so herauskristallisiert hat: Wir braucheneine Verstärkung der Dynamik der Entwicklung hier beiuns in allen jungen Ländern. Da sage ich noch einmal,das kann nur durch ein Sonderprogramm Ost, das hoffent-lich kurzfristig beschlossen wird, auch in Gang gesetztwerden. Dieser Anschluss muss gelingen, damit wir erstensdann die Folgeaufgaben ab dem Jahr 2005 leistenkönnen, damit wir zweitens im Land unsere Konsoli-dierungsbemühungen fortsetzen können und drittens,das ist das Wichtigste, damit die Menschen in diesemLand Perspektive haben.

(Beifall bei der CDU)

3046 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Jetzt weiß ich ja, dass die SPD-Fraktion so sauer ist, weildie Ideen nun beim Ministerpräsidenten auch zu einemBrief geführt haben und der den Bundeskanzler erreichthat. Ihnen wäre es natürlich lieber gewesen, dass Sie amEnde nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz undBaden-Württemberg, wenn es unschädlich ist, dass mandort auch wieder was für den Osten tut, weil man jasonst in vollen Sälen vielleicht nicht den gleichen Beifallbekommt, wenn man die Wahrheit sagt, dass man dannmit einem Sonderprogramm gekommen wäre. Nein, esgeht hier nicht um Parteipolitik, hier geht es um die In-teressen dieses Landes und der Menschen in diesem Land.

(Beifall bei der CDU)

Dass es Ihnen aber nur um Parteipolitik geht, das hat nunIhr Freund Edelbert Richter mit aller Deutlichkeit gesagt.Ich hätte nicht gedacht, dass ein einstiger Bürgerrechtlerso absteigt. Er hat formuliert und ich darf zitieren: "Esmuss vor den nächsten Bundestagswahlen 2002 noch zueiner Sonderanstrengung kommen," - jetzt hatte ich ge-dacht, er schreibt, damit die Länder weiter voran kommen,damit die Menschen Perspektive haben, nein, der einstigeBürgerrechtler schreibt wahrhaftig - "sonst wird derSPD im Osten bei der Wahl die Rechnung präsentiert."Arme Bürgerrechtler! Das ist doch wohl nicht wahr, derHerr Richter ist gewählt, damit er sich für die Interessendieses Landes und der Menschen dieses Landes einsetzt.

(Beifall bei der CDU)

Und das ist Ihr Problem, das müssen Sie aber innerpar-teilich lösen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese verstärkteAnstrengung wird von vielen unterstützt. Der Minister-präsident hat heute früh deutlich gemacht, die Minister-präsidenten unterstützen die Landesvorsitzenden, z.B.Herr Platzek, er hat die Gewerkschaftsvorsitzenden be-nannt, er hat auch einige Minister aus Ländern benannt,die besonders davon auch profitieren müssen, und er hatauch deutlich gemacht, wer im Land sich geäußert hat;da waren die Kommunalpolitiker mit ihren Spitzenver-bänden, da war die katholische Kirche. Nur bei der SPDwar die Diskussion vor der Veröffentlichung des Papiersetwas anders als nach der Veröffentlichung des Papiers.Am 21. Februar äußert sich die SPD-Landtagsfraktion:Thüringer SPD-Fraktion will Ost-Sonderprogramm. DieThüringer SPD-Landtagsfraktion schließt sich der For-derung der Thüringer Landesregierung nach einem Sofort-programm für die neuen Bundesländer an. Diese Forde-rung gehe quer durch alle Fraktionen, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Frieder Lippmann am Mittwochin Erfurt der Nachrichtenagentur ddp.

(Beifall bei der CDU)

Wohl gemerkt, das war am 21. Februar. Sie waren alsoder Zeit des Briefes voraus. Und Sie haben interessan-

terweise auch noch in einer späteren Passage sogar einSonderprogramm für die Kommunen in den neuen Län-dern gefordert. Dann aber, der Ministerpräsident machtkonkret diesen Vorschlag am 28.02., verschlägt es Ihnendie Sprache. Herr Matschie redet von Dingen, die damitnur sekundär zu tun haben. Er - ich darf zitieren: "WennVogel vom Bund eine Verlangsamung des Schuldenab-baus zur Finanzierung der Sonderförderung fordere, dannmuss er erst einmal im eigenen Land damit anfangen.",sagte SPD-Landeschef Christoph Matschie auf das Pro-gramm. Er hat scheinbar nicht mitbekommen, dass wireinen Doppelhaushalt verabschiedet haben. Sie sollteninnerparteilich mehr diskutieren. Aber die stärksteÄußerung ist dann wenige Tage später am 1. März durchdie SPD-Fraktionsvorsitzenden geäußert worden. 1. März:"SPD-Fraktionschefs der neuen Länder kritisieren VogelsVorstoß. Die Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion derneuen Bundesländer lehnen das von Thüringens Mi-nisterpräsident Bernhard Vogel (CDU) geforderte zusätz-liche Förderprogramm Ost ab. Das Angebot sei unseriös,kritisierte Thüringens SPD-Fraktionschef Heiko Gentzelam Donnerstag in Stuttgart." Inzwischen begrüßen Siees wieder grundsätzlich. Da sehen wir alle, Sie könnendazulernen. Wenn Sie nun vom Grundsatz her auchwirklich zielführend unterstützen und etwas dafür tun,dass der Medienkanzler aufmerksam wird, dann sind wiram richtigen Ziel.

(Beifall bei der CDU)

Nun sind Sie aber kalt erwischt worden - bei den dreiStufen der Darstellung ist das ja auch deutlich geworden -,also haben Sie gedacht, man muss ein Ablenkungsmanövererfinden. Die SPD fordert also zur Offensive des Landesauf. Ich sage noch einmal, die Konsolidierung des Landes-haushalts haben wir uns auf die Fahne geschrieben. Wirhaben dies übrigens in unserer Zusage auch den Wäh-lerinnen und Wählern vorgelegt. Wir sind gewählt wordenund wir werden diese Aufgabe umsetzen. Wir haben imDezember dazu in diesem Haus auch Entscheidungengefällt, diese werden wir nicht zurücknehmen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben auf Investitionen Wert gelegt. Wie Sie wissen,sind wir mit Sachsen die Nummer 1 bei der Investitions-quote, das soll auch so bleiben. Reden Sie also vielleichtin Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern undBrandenburg über diese Probleme, dort könnten Sie aufoffene Ohren stoßen.

Zweitens: Wenn ich mir Ihre ca. 90 Änderungsanträgezum Haushalt 2001/2002 nun im Nachgang im Blick aufInvestitionen anschaue, dann konnten Sie natürlich nichtso weit schauen. Ganze zwei hatten etwas mit Investiti-onen zu tun, die anderen waren Konsumtionsanträge.Der Erste - da wollten Sie der LEG Geld wegnehmen,die ja wahrhaft etwas für Investitionen und Ansiedlungim Land tut, und wollten es in die Stiftung "Handwerk

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3047

in Not" und in die Existenzgründung geben; gute Ziele,aber Investitionen in eine andere Aufgabe. Aber der zweiteAntrag, der war ja auch der, der in der Presse besondersveröffentlicht worden ist, das war der 100-Millionen-DM-Antrag für Investitionen in den Kommunen. Damalswar Ihnen schon bekannt, wenn Sie gelesen hätten, dassdie November-Steuerschätzung uns 92 Mio. DM Minder-einnahmen prognostiziert hat. Aber Sie haben gesagt:100 Mio. DM mehr Investitionen für die Kommunenund die Deckung - steht auf Ihrem Antrag - durchSteuermehreinnahmen. Welche Phantasten leben in IhrerFraktion, die so etwas aufschreiben,

(Beifall bei der CDU)

wo Sie genau wissen, dass bei dieser Steuerschätzungweder die Mindereinnahmen aus den UMTS-Lizenzver-käufen mit berücksichtigt sind noch die Entfernungspau-schale. Das heißt, alle, die in der Prognose sich auskennen,befürchten noch eine viel höhere Steuermindereinnahmefür das Jahr 2001. Das heißt, dieser Antrag war nur einSchaufensterantrag ohne jede Relevanz und ohne jedekonkrete Deckung.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Damüsste man noch etwas zur Ökosteuersagen.)

Es geht um die Gesamtsteuerschätzung, Herr Schemmel.Diese Steuerschätzung lag im November vor. Auf Grund-lage dieser Steuerschätzung haben wir dann auch unserenHaushalt verabschiedet, der ohnedies noch einige Problememit sich bringen wird, weil wir, wie gesagt, wahr-scheinlich noch eine größere Steuermindereinnahme zuerwarten haben. Nun haben Sie aber heute dazugelerntund, wie Sie auch sagen, konkrete Finanzvorschlägeunterbreitet für ein Programm "SPD fordert zur Offen-sive des Landes auf". Wer sich dieses Programm genaueranschaut - und Sie haben das auch erläutert -, dann istalles inhaltlich zu unterstreichen, weil diese Ziele, dieSie dort anstreben, die Investitionsziele sind, die wir er-reichen wollen, und jede dieser Investitionen machtSinn, aber die Finanzierungsgrundlage, die Sie gewählthaben, die macht nun leider überhaupt keinen Sinn.

Der Herr Ministerpräsident hat schon zu den Jenoptik-Aktien etwas gesagt. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnengern die Aktienkurse, damit Sie sich vergewissern kön-nen, dass Sie, wenn Sie derzeit Technologieaktien ver-kaufen, einer Geldvernichtung das Wort reden. Das wärealso wirtschaftlich töricht und finanzpolitisch ebenfalls.Sie sollten aber als Strategen auch einmal überlegen, obes wirklich sinnvoll ist, in dem heiß umkämpften Tech-nologiemarkt derzeit 19 Prozent auf den Markt zu wer-fen, wo ja feindliche Übernahmen durchaus organisiertwerden können. Auch das sollten Sie, wenn Sie an Thü-ringen und den Standort Jena denken, mit überlegen.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Das istunverantwortlich.)

Das ist unverantwortlich, sehr Recht, Herr Seela.

(Beifall bei der CDU)

Sie wollen dann etwas später in Ihrem Vorschlag dieBeteiligungen verkaufen, dazu ist schon einiges gesagt.Aber etwas später wieder, im dritten Vorschlag, wollenSie die Einnahmen aus Beteiligungen nutzen, um gegen-zufinanzieren. Eben haben wir die Jenoptik-Aktien ver-kauft, um dann später die Einnahmen - übrigens die größteEinnahmequelle für Thüringen - aus diesen entsprechen-den Beteiligungen zu nutzen, um Ihr Programm zufinanzieren. Etwas seriöser müsste man es schonaufbauen. Das merken sogar wir.

(Beifall bei der CDU)

Dann kommt dieser wunderschöne Satz, der steht wieein Baum: "Umschichtungen von Landesausgaben". Demist nichts hinzuzufügen. Wir warten dann auf Ihre Vor-schläge. Ich bin einmal gespannt, ob Sie bei den Kon-sumtionsleistungen noch etwas finden oder ob Sie viel-leicht wieder bei der LEG wegnehmen, um an andererStelle etwas zu tun.

Dann kommt der letzte Punkt, das hatten wir uns gedacht,Sie hätten aber auch hinschreiben können "ThüringerLandtagsneubau", dann wären wir stärker sensibilisiertgewesen. So haben Sie nur geschrieben: "Verzicht aufneue Repräsentationsbauten Thüringens". Erstens würdemich interessieren, welche Repräsentationsbauten Siemeinen, denn meines Wissens hat die Regierung denAusbau des Regierungsviertels erst einmal für die nächstenJahre ausgesetzt, und zweitens sollten Sie wissen, dassbeim strukturellen Wandel in der Bauwirtschaft es durch-aus interessant ist, in den Bau zu investieren. Deswegenist es geradezu kontraproduktiv, wenn wir in dieserSituation unsere Investitionen in Bauaktivitäten auch desLandes nicht durchführen.

(Beifall bei der CDU)

Aber das ist etwas fürs Herz, insofern kann ich diesenAntrag durchaus verstehen. Aber wenn man Ihre Finan-zierungsgrundlage nun wirklich auch noch einmal nüch-tern zur Kenntnis nimmt, da müsste man eigentlichunterm Strich sagen, ein schönes Programm, wir hättenes gern durchgeführt, aber leider fehlt uns jede Aussage,wie wir es finanzieren können.

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS)

Sie haben überhaupt nicht meinen Tenor des Textes ver-standen. Mir geht es darum, deutlich zu machen, wirmachen hier eine solide Wirtschafts- und Haushaltspoli-tik und haben zurzeit die Sorge, dass der Bund seine

3048 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Aufgabe, für die gleichwertigen Lebensverhältnisse zusorgen, nicht ernst nimmt.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Das ist nichtganz richtig, Herr Althaus.)

(Beifall bei der CDU)

Aber, auch das will ich versöhnlich sagen, Sie haben inIhrem Antrag einen Satz, der mir sehr gefällt. Sie habengeschrieben: Glaubwürdigkeit verstärken. Das wäredoch ein Ansatz, wo wir uns treffen können.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Ach, Siehaben wohl ...)

Wenn Sie es nun schaffen könnten, Ihre Glaubwürdigkeitzu verstärken, das heißt, die Aussage vom 21. Februar mitdenen vom 1. März und denen von heute in Überein-stimmung zu bringen, um glaubwürdig zu sein, dann wärenwir einen Schritt weiter.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens: Wenn Sie dazu beitragen könnten, dass derMedienkanzler nicht nur Medienpreise bekommt, son-dern auch Ernst macht, was er sagt, nämlich sich für denOsten einzusetzen, würden Sie auch an Glaubwürdigkeitgewinnen.

(Beifall bei der CDU)

Das ist gar nicht so lächerlich, wie es sich vielleicht anhört.Wer die Pressekonferenz in München mit den Spitzender deutschen Wirtschaft gesehen hat vor zwei Tagen, demmuss eigentlich das Licht aufgegangen sein. Der Kanzlerredet über die wirtschaftliche Situation in Deutschland,über die Einigung an diesem Tag. Nicht ein einzigesWort, nicht ein einziges Wort, wenn nicht Herr Phillipgewesen wäre vom ZDH, kommt über die ostdeutschenLänder über seine Lippen. Er ist ja auch zu Hause mitden Grünen, die hatten das gerade drei Tage vorher auchpraktiziert, kein einziges Wort beim Grünen-Parteitag.

(Zwischenruf aus dem Hause)

Das ist mir schon klar. Aber insofern treffen sich Schröderund Fischer natürlich. Beide wissen nicht, wo der Ostenliegt, und beide haben auch kein Interesse daran, dasswir gleichwertige Lebensverhältnisse bekommen.

(Beifall bei der CDU)

Aber da Sie sicherlich unabhängiger deutscher Pressemehr glauben als mir, darf ich Ihnen aus der OVZ undLVZ, die, glaube ich, nicht der Union nahe steht, zitie-ren. Am 7. März -

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Uns aberauch!)

nein, auf keinen Fall. Ich will nicht wissen, wie vielProzente Sie haben, aber dass Sie Prozente haben, dassteht fest.

(Beifall bei der CDU)

"Erstaunen kann Schröders Schweigen", es ging genauum diese Pressekonferenzen, "jedoch kaum. Auch beider jüngsten Runde des Bündnisses für Arbeit standen inWestdeutschland hochgekochte Themen wie Überstunden-abbau und Qualifizierung im Mittelpunkt. Dass es inden neuen Ländern zuvorderst um die Schaffung neuerJobs geht, interessierte weder Regierung, Arbeitgebernoch Gewerkschaften. Der Osten sitzt sowohl beimBündnis für Arbeit als auch im Bundeskabinett höchstensam Katzentisch."

(Beifall bei der CDU)

Mir tut Herr Schwanitz Leid,

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: Mirnicht!)

aber er ist in der Kontinuität seiner Entwicklung, erin-nern wir uns, vor zwei Jahren das TA-Interview, leereSeite - genauso ist es geblieben.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

Und wenn Sie was fürs Land tun wollen, für die Wirt-schaft, Sie können sich ja den IHK-Konjunkturberichtnoch einmal aufmerksam durchlesen, können Sie nochetwas Drittes tun. Sie würden Ihrem Kanzler sagen müs-sen, tun Sie doch etwas gegen die wirtschaftsbelastendePolitik in Ihrer Regierung. Wissen Sie, was die IHK undübrigens auch die Handwerkskammern, und das war dieGrundlage der Aussage von Herrn Bachmann, zurzeitbemängeln? Nicht die Politik des Landes, nein, die Poli-tik des Bundes. Eine unausgewogene Steuerpolitik, einemiserable ökologische Steuerreform, ein Teilzeitgesetz,das nur Geld kostet und Bürokratie schafft, und derzeitnoch eine Vorbereitung der Betriebsverfassungsgesetz-novelle, die ebenfalls nur Geld kostet und unnötig Büro-kratie schafft - das bemängelt die Wirtschaft. Da könnenSie zum Dritten aktiv und glaubwürdig werden.

(Beifall bei der CDU)

Und viertens, das wäre dann sozusagen das Signal zumAufbruch in die Zukunft für Sie, vielleicht würden Siedann auch wieder Rückenhalt im Land gewinnen undkönnten Ihre verschiedenen Flügel hinter sich einigen,Herr Gentzel: Stimmen Sie uneingeschränkt dem Vor-schlag des Ministerpräsidenten zu, gehen Sie damit zumMedienkanzler und sagen Sie, Herr Bundeskanzler, tun

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3049

Sie was für uns im Osten, die Schere geht auseinander,wir haben das erkannt, es hat länger gedauert, aber jetztwissen wir es. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Lippmann, SPD-Fraktion.

Abgeordneter Lippmann, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, wir wollten uns heute darüber unterhalten, ob esnotwendig und ob es möglich ist, ein Aufholprogrammfür die neuen Bundesländer auf den Weg zu bringen.Der Ministerpräsident hat darum gebeten oder ange-kündigt, dieses nach Möglichkeit ohne politische Vor-behalte und ohne Polemik quer durch alle Parteien tunzu wollen.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Das habenwir eben erlebt!)

Ich hätte es fast geglaubt, aber nach der Rede, nach derBrandrede von Herrn Althaus bin ich eines Besserenbelehrt worden. Ich hatte wirklich geglaubt, wir sind inder Lage, in Anstand und Würde über ein derartigesProgramm zu sprechen. So naiv kann man noch sein

(Beifall bei der SPD)

nach elf Jahren Praxis hier in diesem Haus. Wie dem auchsei, Herr Althaus, es läuft ja immer nach dem gleichenStrickmuster ab. Erst kriegen wir eine drauf, dann Sieund dann Sie und dann wieder wir und zuletzt mitgeballter Kraft, mit der Drahtkeule noch einmal derBund. Ich möchte Ihnen nur einen Satz vortragen, HerrAlthaus, und dann lasse ich das, was Sie gesagt haben.Ich will mich bemühen dann sachlich zu sein. Es stehtgeschrieben auf der 24. Regionalkonferenz der Regie-rungschef der ostdeutschen Länder am 15. November 2000in Magdeburg - er war dabei - unter Punkt 2: Die Re-gierungschef der ostdeutschen Länder würdigen diebeachtlichen Erfolge beim Aufbau der Infrastruktur inden ostdeutschen Ländern durch die solidarische Hilfedes Bundes und der westdeutschen Länder.

(Beifall bei der SPD; Abg. T. Kretschmer,CDU)

Sie stellen fest, dass Bund und Länder den Aufbau-Ostauch nach dem Jahre 2004 als gesamtstaatliche Aufgabeund zentrales Element der solidarischen bundesstaat-lichen Finanzpolitik anerkennen. Meine sehr verehrtenDamen und Herren, der eine spricht so und der andereso. Ich möchte das ganz einfach im Raum stehen lassenund mich auf wenige -

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU:Richtig!)

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Das istrichtig!)

(Beifall bei der SPD)

Entschuldigung, Herr Kretschmer, dass ich Sie unter-breche - Bemerkungen, die Herr Gentzel schon vor-gebaut hat, beschränken. Einige Bemerkungen zumZeitpunkt des Programms.

Erster Punkt: Dass wir uns nicht über die Bewertungvon Wirtschaftsindikatoren streiten, hätte ich eigentlichfür gegeben gehalten. Der eine sieht sie optimistischer,der andere pessimistischer. Ich versuche das realistisch zusehen. Ich weiß um die Leistungen unserer neuen Bundes-länder, hier an diesem Pult mehrfach bekannt und dar-gestellt, aber ich weiß auch - und das wissen Sie auch, dereine sagt es deutlich und der andere weniger deutlich,die Wirtschaftsforschungsinstitute sagen es, die Helabahat es erst kürzlich gesagt -, der Konvergenzprozess istzu Ende; er ist zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunktzu Ende gekommen. Nun kann man darüber denken, wieman will. Ich denke, überschäumender Optimismus istin dieser Frage nicht angebracht und Pessimismus auchnicht. Ich glaube, man sollte es realistisch sehen. Wir sindbei vielen Wirtschaftsindikatoren sicherlich in Thüringenhervorragend. Sie wissen das, ich weiß es auch. Aberich weiß auch um die Defizite und die sollte man realis-tischerweise benennen, die da wären das Bruttoinlands-produkt pro Erwerbstätigen, aber auch pro Einwohner, dieArbeitsproduktivität. Natürlich sind wir beim Export,bei der Exportquote und auch auf dem Arbeitsmarkt dieBesten. Das ist auch gut so. Im Grunde genommen ist dieTatsache feststehend, so, wie wir jetzt in unseren Wirt-schaftsentwicklungen vorankommen, wird ein Aufhol-prozess zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglichsein. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Ist es denn taktisch klug, muss man sichfragen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wenn die Ver-handlungen zum Solidarpakt II anstehen und zum Länder-finanzausgleich anstehen, über ein weiteres Programmzu sprechen? Das wäre taktisch unklug, aber ich räumeein, dass es zu diesem Zeitpunkt notwendig ist, über einProgramm zu reden, ganz einfach deshalb, weil wir imGrunde genommen einer stärkeren finanziellen Unter-stützung bedürfen, zumindest bis 2004. Was dann passiert,wird hoffentlich dem Verhandlungsgeschick der neuenBundesländer überlassen bleiben.

Dritter Punkt: Den Offenbarungseid von Herrn Dr. Vogelgerade jetzt zu leisten, halte ich für fatal. Jetzt zu leisten,meine ich damit, Ihre Bemerkung, die Sie bei jeder passen-den Gelegenheit hier verkünden. Wir wollen Zahlerlandwerden, das will ich auch, das möchte jeder von uns, aberman darf es nicht dauernd betonen. Wir werden in den

3050 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

nächsten Jahren kein Zahlerland sein, Herr Dr. Vogel, wirwerden es gar nicht sein können. Das ist doch realistisch,das zu sagen, also dann lassen wir es doch. Daserschwert im Übrigen auch die Verhandlungspositionzum Solidarpakt II und beim Länderfinanzausgleich.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Ach, ach.)

Aber natürlich.

(Beifall bei der SPD)

Das war zum Zeitpunkt, zum Verwendungszweck. UnsereDefizite, die wir hier in den neuen Bundesländern,natürlich auch in Thüringen, haben, die kennen wir alle.Ich glaube, auch da ist eine Einigkeit in diesem Hausdurch die Bank und durch alle Reihen. Die sind infra-struktureller Art selbstverständlich und die sind inves-tiver Art, was die öffentliche Nachfrage anbelangt, dahaben wir Einfluss. Was die privaten Investitionen an-belangt, die lassen sich möglicherweise durch eine Ver-besserung der Infrastruktur lösen. Das ist völlig klar.

Zur Finanzierung: Herr Dr. Vogel, Sie sind geschicktgenug gewesen, bei den Finanzierungsangaben, die Siegemacht haben, nicht von der Ausgabenseite im Bun-deshaushalt heranzugehen, sondern von der Einnahmeseite.Das ist geschickt und ich gestehe Ihnen zu, dass jeder,der einen derartigen Vorschlag macht, schon Vorschlägemachen kann und dass man verantwortungsbewusstüber diese Vorschläge nachdenken muss. Das räume ichein, das konzediere ich im Gegensatz zu Herrn Althaus,der von vornherein ein Programm, was die SPD vor-schlägt, als begleitendes Programm ablehnt.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Nein, dasProgramm nicht, die Finanzierung. Das habenSie auch falsch verstanden.)

(Beifall bei der SPD)

Ich komme schon noch dazu. Es wäre mutig gewesen,zu sagen, erstens, das habe ich merkwürdigerweise ineiner ganz anderen Leseart hier gehört, eine Anglei-chung der Lebensverhältnisse Ost und West ist undbleibt eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern,lesen Sie Artikel 91 a des Grundgesetzes nach.

(Beifall bei der SPD)

Aber natürlich, ich meine, Sie haben von Infrastruktur-investitionen geredet. Das ist auch richtig, das sollteman machen, aber es ist und bleibt eine Gemeinschafts-aufgabe - aber sicher.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Nein.)

Es wäre mutig gewesen, Herr Dr. Vogel, eine abge-stimmte Vorgehensweise aller neuen Bundesländerherbeizuführen. Es ist doch nicht ein Programm "Dr.Vogel". Es muss ein Programm der neuen Bundesländersein, anders wird es nicht gehen.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre mutig gewesen, man kann auch darauf verzich-ten, dieses Programm auch vor vier Jahren schongefordert zu haben oder vor drei oder vor zwei oder voreinem Jahr.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Oder vor 20.)

Nein, nicht 20. Ich bitte Sie schon die Diskussion ernst-haft zu führen. Sie hatten es doch vorhin angeboten. Seit1997 haben wir die Situation hinsichtlich der wirtschaft-lichen Daten und das wissen Sie auch.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Das habe ich auch gesagt.)

Es wäre mutig gewesen, Herr Dr. Vogel, von sich aus zusagen, die von anderen geforderten Mittel mit Eigenmit-teln des Landes, soweit das geht und angemessen ist, auchzu unterstützen. Aber davon habe ich nichts, leider nichtsgehört, in der Vergangenheit nicht und heute wieder nicht.

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie, Frau Präsidentin, dass ich einen Satz vomGrafen Zieten, zumindest wird es dem zugeschrieben,zitierte - mit Ihrer Erlaubnis, es ist nämlich ein bisschenproblematisch. Der hat gesagt: "Es ist leicht, auf fremdemArsch durchs Feuer zu reiten." Das hat der Graf Zietengesagt oder soll er gesagt haben.

(Beifall bei der SPD)

So ist mir das vorgekommen. Selbstverständlich, HerrDr. Vogel, ich beruhige Sie, auch wenn Ihr Herr Althausgesagt hatte, wir hätten uns in unserer Auffassung ge-ändert. Ich begrüße jede - die SPD-Fraktion, nicht nurich - zusätzliche Mark, die wir bekommen werden imRahmen eines Hilfsprogramms, eines Sonderprogramms,eines Konsolidierungsprogramms, jede zusätzliche Mark.Selbstverständlich haben wir einem möglichen Finan-zierungsschub, der da kommen könnte, wenn er dennkommt, ein eignes Landesprogramm zur Seite zu stellen,weil, was anderen zugemutet wird, auch uns selbst zuge-mutet werden darf, weil wir damit erst glaubwürdigerscheinen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der Glaubwürdigkeitsfaktor spielt hier eine Rolle.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3051

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte meine wenigen Bemerkungen damit been-den und Ihnen sagen, was wir erwarten, und zwar auchmittelfristig erwarten. Wir erwarten, dass die Finanzaus-stattung nach dem Jahr 2004 mindestens genauso hoch ist,wie sie bisher war. Das betrifft natürlich den Solidar-pakt II, also die Anschlussregelung und es betrifft denLänderfinanzausgleich, was übrigens bis heute nochnicht geklärt ist, vielleicht auch noch nicht geklärt seinkann, es gibt zumindest noch keine definitiven Rege-lungen dafür. Wir erwarten Übergangsregelungen alsHilfsprogramm für den Osten und da sind wir uns wohleinig. Wir brauchen bis zum Jahr 2004 eine Über-gangsregelung, wie Sie es auch immer nennen, umdiesen Schub herzustellen und, ich glaube auch, es ist not-wendig so. Wir brauchen drittens, und das ist das Wesent-liche, in dem wir uns zumindest heute unterschieden haben,ein angedocktes Landesprogramm als Beweis, dass wir esernst meinen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn da heute keine Bereitschaft erkennbar ist, dann sinddie Forderungen des Ministerpräsidenten Dr. Vogel imGrunde genommen eine Farce und werden möglicher-weise auch von anderen Bundesländern so wahrgenom-men. Ich will es noch einmal klar sagen: Ja, wir be-grüßen ein zusätzliches Programm für die neuen Bun-desländer dann, wenn es zwischen den neuen Bundes-ländern und der Bundesregierung abgestimmt wird.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:Hinterher.)

Nein, nein. Die Aussichten dafür, Herr Dr. Vogel, sindso schlecht nicht, aber es darf nicht das Privatprogrammdes Herrn Dr. Vogel sein. Es muss das Programm derneuen Bundesländer sein.

(Beifall bei der SPD)

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das kanndoch nicht wahr sein.)

Wir sagen zweitens klar und deutlich, wir unterstützen diesbesonders dann, wenn dazu adäquate Bemühungen desLandes erkennbar sind, und zwar deutlich erkennbar sind.

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Lippmann, gestatten Sie eineZwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kretschmer?

Abgeordneter Lippmann, SPD:

Bitte schön.

Abgeordneter T. Kretschmer, CDU:

Herr Lippmann, ist Ihnen die Äußerung des Ministerpräsi-denten von Sachsen-Anhalt, Herrn Höppner, bekannt,dass die SPD-Ministerpräsidenten von Ost- und Mittel-deutschland daran waren, ein eigenes Programm zu ent-wickeln? Ist Ihnen damit klar, dass das, was Sie vortragenvon der Gemeinsamkeit der Bundesländer von Ost- undMitteldeutschland, doch eher eine Farce ist und damiteher eine gekränkte Eitelkeit bei Ihnen vorherrscht, dassder Ministerpräsident Bernhard Vogel mit dem Programmnun gekommen ist?

Abgeordneter Lippmann, SPD:

Also, mir ist vieles klar, Herr Kretschmer, was Sie zuAnfang gesagt haben, die gekränkte Eitelkeit, das hättenSie nicht sagen sollen, das weise ich selbstverständlichzurück. Auch der Ministerpräsident Dr. Vogel hat heutefrüh in seiner Berichterstattung zu diesem Programmklar und deutlich sagen können, wenn ich es richtig ver-standen habe, er ist guten Mutes, dass auf der Konferenzder Ministerpräsidenten, die bald stattfinden kann, eineLösung herbeigeführt werden kann.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Nurdie SPD-Ministerpräsidenten wollten alleinetwas machen, das hat Herr Höppner gesagt.)

Auch das hätte ich nicht für gut geheißen. Ich meine, esmüssen alle Ministerpräsidenten der neuen Bundesländersein, alle müssen es sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, die Chancen dafür - ich wiederhole das - ste-hen nicht schlecht. Ich glaube schon, dass wir über einLandesprogramm sprechen sollten, und zwar so spre-chen sollten, wie es der MP heute früh zumindest ange-kündigt hat, wie es zwar der Herr Althaus nicht gemeinthat, aber zumindest halte ich mich an das, was hier gesagtworden ist. Ich würde darum bitten, dass wir diesenAntrag von uns an den Wirtschaftsausschuss, den Haus-halts- und Finanzausschuss und den Innenausschuss über-weisen können, um dort die Debatte zu führen, die notwen-dig ist, damit es endlich Wahrheit wird. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Mohring, CDU-Fraktion.

Abgeordneter Mohring, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Sie wissen,dass die gegenwärtigen Verhandlungen über den Soli-darpakt, über den Länderfinanzausgleich, über dessen

3052 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Neuordnung sowie die Sparzwänge der einzelnen Län-der, insbesondere der neuen Bundesländer, die Markie-rung in Ausgangspunkte dafür sind, wie künftig mit denTransfers in die neuen Ländern weiter zu verfahren ist.

Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt ist die jährlicheTransferleistung in die neuen Länder von 140 Mrd. DM,wovon ein Großteil gar kein Osttransfer im eigentlichenSinne ist, sondern tatsächlich Sozialleistungen und Finanz-zuweisungen an die Länder und Gemeinden, die ihnen nachgesetzlicher Grundlage zustehen und insgesamt einenUmfang von schon rund 80 Prozent ausmachen. Genaudeshalb, weil diese restlichen 20 Prozent tatsächlicherOsttransfer nicht ausgereicht haben, um eine wirtschaft-liche Angleichung der neuen Bundesländer an die alten zuerreichen, gab es am Anfang der 90er Jahre die Verhand-lungen zum Solidarpakt I und es gab danach die Gesprächezur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs schon einmalund es gab die jährlichen 14 Mrd. DM Bundeser-gänzungszuweisung. Jetzt stehen wir vor der Frage mitdem Blick aufgrund verfassungsgerichtlichen Urteilshinsichtlich der Neuordnung des Osttransfers, wie künftigdamit weiter zu verfahren ist, welche Erfahrungen in derVergangenheit gewonnen wurden und wie künftig dieMittel, die wir hier in Thüringen und in den neuenBundesländern erreichen, zielgerichtet eingesetzt werdenkönnen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschlandhaben festgestellt, dass für die nächsten 20 bis 25 Jahre,das betrifft Solidarpakt II und Länderfinanzausgleich, einzusätzlicher Finanzbedarf von 300 bis 500 Mrd. DM not-wendig ist. Das ist auch hier im Plenum schon mehrfachbestätigt worden. Daran ist nicht zu rütteln. Genau deshalb,meine Damen und Herren, weil wir noch vor einemunendlich hohen Finanzbedarf in den nächsten Jahrzehntenstehen, brauchen wir jetzt zusätzliche Entwicklungs-schübe, wir brauchen jetzt zusätzliches Geld, um, wasBernhard Vogel heute früh gesagt hat und was imGrundsatz auch die anderen Fraktionen nämlich bestätigthaben, eine stärkere Angleichung an die Lebensverhältnisseder alten Bundesländer zu erreichen. Deshalb brauchenwir jetzt frisches Geld und deshalb brauchen wir jetzt einzusätzliches Programm und das hat Bernhard Vogel vor-geschlagen, was die 40 Mrd. DM umfasst. Wir brauchenes vor allen Dingen jetzt, meine Damen und Herren, ichwill bei dem Scherenbegriff bleiben, dass wir nämlich mitden 40 Mrd. DM jetzt die Schere nur schließen, anfangenzu schließen. Und wir brauchen dann den Länderfinanz-ausgleich und den Solidarpakt II, um dann ab 2005 so weitzu kommen, dass sich die Scherenflügel auch tatsächlichkreuzen - aber in die andere Richtung, weil nämlich nurdann, wenn tatsächlich diese Scherenflügel kreuzen undder Osten sich stärker und schneller entwickelt als derWesten, wir auch irgendwann zur Angleichung derLebensverhältnisse kommen. Deshalb brauchen wir dieZweistufigkeit der Förderung.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Dasmüssen Sie uns nicht erklären, das haben wirschon jahrelang gesagt.)

Ich erkläre es Ihnen deshalb, weil ich jetzt rede. HerrGerstenberger, lassen Sie mich doch einfach ausredenund hören Sie zu. Ich erkläre es Ihnen deshalb, weil derZeitpunkt wichtig ist. Dazu hat auch Frieder Lippmanngefragt und er hat bestätigt, dass der Zeitpunkt jetztwichtig ist, über das Programm zu reden. Deshalb wol-len wir das auch hier tun.

Meine Damen und Herren, auch andere, die weit von derUnion entfernt sind, haben bestätigt, dass zusätzlicherFinanztransfer in die jungen Länder notwendig ist. DerDGB-Chef Schulte hat zusätzlich 1 Mrd. DM gefordert,die IG Bau hat 7 Mrd. DM gefordert, BrandenburgsMinister Alwin Ziel hat 2,5 Mrd. DM für die nächstenfünf Jahre gefordert und auch der Ministerpräsident ausSachsen-Anhalt, Herr Höppner, und Herr Lippmann imVorfeld der Landtagsdebatte haben sich für eine zusätz-liche Ostförderung ausgesprochen mit dem Ziel, dass derAufbau Ost neue Impulse braucht und wir neue zusätzlicheInvestitionen in den neuen Ländern brauchen. Wie not-wendig diese zusätzlichen und neuen Investitionen sind,will ich Ihnen an zwei Beispielen zeigen. Ich will Ihnendas zunächst am Haushalt des Bundes und seinem Jahres-abschluss für das Jahr 2000 zeigen. Meine Damen undHerren, die Investitionsquote des Bundes ist vom Oktober1998 von ursprünglich 12,5 Prozent im Jahr 2001 imFebruar auf 12,2 und nach der Mittelfristigen Finanz-planung im Jahr 2004 auf 10,4 Prozent zurückgegangen.Gleichzeitig, meine Damen und Herren, ich will das auchgegenüberstellen, da wir ja beide Programme disku-tieren, dieses Programm von der SPD für Thüringen alleinund das Programm, das Bernhard Vogel für alle neuenBundesländer vorgeschlagen hat. Deshalb will ich Ihnenauch die Vergleichszahlen für Thüringen nennen. MeineDamen und Herren, auch Dieter Althaus hat das vorhinschon gesagt, wir haben in diesem Jahr mit dem be-schlossenen Doppelhaushalt nach Sachsen die zweit-höchste Investitionsquote in den neuen Ländern, und zwarvon 23,68 Prozent. Kein anderes unionsgeführtes Bundes-land außer Sachsen ist in den neuen Ländern derart inder Lage, so einen hohen Investitionsstand zu erreichenund nach wie vor auch nach elf Jahren Einheit und nachelf Jahren Neugründung der Bundesländer derart vieleMittel freizusetzen, um den Investitionsschub im eigenenLand zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir als CDU-Fraktion sind derMeinung, dass genau dieser Doppelhaushalt 2001/2002das eigentliche Landesprogramm ist, was die Forderung fürein zusätzliches Sonderprogramm Ost des Bundes beglei-ten soll. Unser Haushalt hält so viele derartige Mittel fürInvestitionen bereit, dass wir in der Lage sind, und das hatauch Andreas Trautvetter in seinem STZ-Interview letzt-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3053

endlich gemeint, dass wir mit unserem Doppelhaushalt inder Lage sind, jederzeit das geförderte Programm zu be-gleiten, und dass wir das mit den vorhandenen Mitteln,aber auch nur mit den vorhandenen Mitteln, letztendlichbewerkstelligen können.

Meine Damen und Herren, die Steuereinnahmen im Jahr2000, zumindest die Mitglieder im Haushalts- und Finanz-ausschuss haben das von der Landesregierung erklärt be-kommen und wissen, dass wir in der Gesamtsteuerein-nahme einen Verlust von 63 Mio. DM hinnehmen mussten.Das ist letztendlich im Verhältnis zum Gesamthaushaltkeine große Zielverfehlung, zumal wir auch mehr Steuer-einnahmen eingeplant haben, aber es zeigt doch, dasswir an einer Grenze angekommen sind, wo wir nicht mitunendlich großen Sprüngen von Jahr zu Jahr im Haushaltmit zusätzlichen Steuereinnahmen rechnen können. Des-halb, meine Damen und Herren, brauchen wir zu-sätzliche Schübe und wir brauchen deshalb auch zu-sätzliche Investitionsschübe, weil wir im Jahr 2000 alleinin Thüringen für 2,8 Mrd. DM weniger Bauaufträgebekommen haben. Ein weiterer Indikator dafür, dass dastatsächlich so ist, sind allein die um 90 Mio. DMverringerten Grunderwerbssteuereinnahmen des LandesThüringen, die sich derart verringert haben, weil wirnatürlich weniger Bauaufträge haben, weniger Ver-messungsaufträge, weniger Grundstückserwerbe insge-samt, einen deutlichen Rückgang gegenüber Anfang der90er Jahre zu verzeichnen haben. Diese Entwicklung,ausgehend auch von der Steuereinnahmenquote für dasJahr 2000, macht es notwendig, ein solches Sonderpro-gramm aufzulegen, und macht es notwendig, dass wir alsThüringer insgesamt mit unserem Haushalt aufgrundeiner hohen Investitionsquote einen eigenen Beitrag dazuleisten. Aber, meine Damen und Herren, und das ist derwesentliche Unterschied auch zum SPD-Antrag, um dashier an der Stelle zu sagen, aus eigener Kraft können wiruns über das, was im Doppelhaushalt an Investitionenfestgeschrieben ist, keine zusätzlichen Investitionen leisten.Wir könnten sie uns nur mit dem Risiko der Neuver-schuldung leisten. Ich bin der CDU-Fraktion dankbar,insbesondere weil die dem Haushalt und seiner Ziel-richtung letztendlich im Dezember so zugestimmt hat.Wir können uns, wenn wir am Ziel des Abbaus der Netto-neuverschuldung festhalten wollen, keine zusätzlichenSchulden hier in Thüringen leisten. Deshalb, meine Damenund Herren, sind wir angewiesen auf die bundesstaatlicheAufgabe und sind angewiesen auf den Bund. Unabhängigvon dem, was Herr Lippmann vorhin gesagt hat, was imGrundgesetz geregelt ist, das, was Bund und Länder ge-meinschaftlich tun müssen zur Entwicklung, deshalbbrauchen wir, bevor wir zur gemeinschaftlichen Ent-wicklung für die Gleichheit der Lebensverhältnisse inDeutschland insgesamt unter den Ländern kommen, eineExtraleistung des Bundes. Wir fordern diese Extraleistungmit dem Sonderprogramm ein.

Meine Damen und Herren, noch einmal ein Blick zurück inden Dezember, wo wir den Doppelhaushalt verabschiedet

haben. Sie wissen das alle mittlerweile und haben dasverinnerlicht, wir haben mit dem Abschluss des Haus-haltsjahres 2000 einen Schuldenstand in Thüringen von21,3 Mrd. DM erreicht. Mittlerweile haben wir mehrSchulden angehäuft in den letzten zehn Jahren, als wirpro Jahr mit 19 Mrd. DM Gesamthaushaltsvolumen über-haupt noch ausgeben. Wir sind deshalb an der Grenze an-gekommen, wo wir aufpassen müssen, dass auch wir nichtauf die Kippe kommen, um diesen Begriff noch einmal zuverwenden, sondern dass wir tatsächlich nach vorn schauenund aus eigener Kraft in die Lage kommen, dass, wasBernhard Vogel als langfristiges Politikziel für Thüringenformuliert hat, wir Geberland werden. Deshalb müssenwir aufpassen, dass wir an diesen Eckwerten Schulden-standentwicklung nicht weiter angreifen. Deshalb, meineDamen und Herren, sind zusätzliche Investitionsleistungenmit zusätzlichen Schulden in Thüringen nicht möglich.

Meine Damen und Herren, zur Gegenfinanzierung derbeiden Programme, ich will das einmal mit aller Vor-sicht als junger Abgeordneter formulieren und mit allerWertschätzung für die Funktion von Heiko Gentzel, aberdas, was er heute vorgetragen hat und wie er insbesonderesein Programm zur Gegenfinanzierung erläutert hat unddas, was er gemeint hat zum Programm von Vogel undder Thüringer Union letztendlich erläutern zu müssen,war einfach Kokolores. Es war deshalb Kokolores, weil- ich will das an zwei Eckwerten festmachen, worin sichzeigt, wie wenig sich offensichtlich Heiko Gentzel mitder Gegenfinanzierung der beiden Programme tatsäch-lich beschäftigt hat. Wer die Rede im Protokoll nachlesenwill, wird feststellen, dass Heiko Gentzel zum Programmvon Bernhard Vogel zu zwei Punkten der Gegenfinan-zierung Stellung genommen hat. Das sind zum einen die1,2 Mrd. DM bei der Bundesanstalt für Arbeit, die wir inden nächsten Jahren verwenden wollen für das Sonder-programm Ost, die wir genau deshalb verwenden wollen,weil sich nämlich im Gegensatz zum Osten im Westen haltnur die Arbeitslosigkeit verringert hat und allein diese zu-sätzlichen Mittel, und darüber besteht ja eigentlich Ein-vernehmen, letztendlich frei werden. Und wir wollen, dass,wenn im Westen das Geld nicht gebraucht wird, weildort die Arbeitslosigkeit von allein aufgrund des wirt-schaftlichen Aufschwungs zurückgeht, wir diese Mittelhier in den Osten transferieren und sie hier einsetzen, weilhier ein Nachholbedarf besteht.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Zimmer, PDS: Sie könnendoch davon aber keine Straßen bauen!)

Und, meine Damen und Herren, das Zweite: Herr Gentzelhat zu den Verkaufserlösen der Deutschen Ausgleichsbankgesprochen. Erst sagt er, die geplanten Verkaufserlöse, dieBernhard Vogel zur Gegenfinanzierung vorgeschlagen hatvon 3,5 Mrd. DM, sind überhitzt und sind überhaupt nichtzu erzielen. Einen Satz später sagt Heiko Gentzel, dassjetzt schon in der Mittelfristigen Finanzplanung des Bun-

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des, die nun auch nicht tagaktuell mehr ist, 2,7 Mrd. DMeingeplant sind. Also, so weit liegen wir doch gar nichtauseinander. Das Ziel ist doch nicht zu sagen, wirwollen genau die 3,5 Mrd. DM für das SonderprogrammOst haben, sondern das Ziel ist, dass die Erlöse aus demVerkauf der Deutschen Ausgleichsbankanteile komplettin den Osten fließen. Ob das nun 2,7 Mrd. DM sind oder3,5 Mrd. DM sind, was wünschenswert ist, ist dochvöllig zweitrangig. Ziel muss doch sein, dass jedezusätzliche Einnahme, die der Bund in diesen Jahrenerzielt, in den Osten fließt, weil jetzt der Nachholbedarfbesteht, und nichts anderes hat die Landesregierung vor-geschlagen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zu den Gegenfinanzierungs-vorschlägen der SPD: Mir scheint, dass irgendeiner inder SPD-Fraktion blinde Kuh gespielt hat. Sie kennendieses Spiel, wenn man blinde Kuh spielt, man hat dieAugen verbunden und schlägt auf die Töpfe, das sinddie Haushaltstöpfe, und sagt, dann schlage ich mal dadrauf, das ging gut, dann finanziere ich es damit. Da-gegen ist alles gesagt worden. Jenoptik-Verkauf-Erlöse -wer sich heute früh den Eröffnungskurs angeschaut hat,24,2 Euro gegenüber dem Höchststand von knapp 40 Euronoch im Herbst des vergangenen Jahres, der ist ja mitdem Klammersack gepudert, solchen Anteil jetzt verkaufenzu wollen; wirtschaftspolitisch gar nicht darauf geachtet,das hat ja Dieter Althaus gesagt, was die Frage möglicher-weise Fremdübernahme der Jenoptik insgesamt da inder wirtschaftspolitischen Auswirkung betrifft. Aber umdas Spiel zu Ende zu führen, blinde Kuh: Wer sich an seineKinderzeit erinnert, der weiß, dass man anschließend,wenn man auf den Topf geklopft hat, den Topf auchhochhebt, und offensichtlich hat niemand bei der SPDden Topf hochgehoben, sonst hätte man nämlich erkannt,dass nichts darunter ist.

(Beifall bei der CDU)

Und zum Thema "nichts drunter sein" will ich noch maldas Beispiel Landesfachkrankenhäuser erwähnen. Dasist ja nun eine unendliche Geschichte. Wer den Haushalt2000 gelesen hat, der weiß doch, dass wir die Einnah-men aus dem Verkauf der Landesfachkrankenhäuser -da war übrigens die Opposition komplett dagegen - vonrund 70 Mio. DM schon lange verplant hatten, die sindja nur noch nicht erwirtschaftet, werden ja letztendlichder Haushaltsrechnung 2000 zugeschlagen und da kommtdazu, gleichzeitig hat ja die SPD auch schon mal zumDoppelhaushalt 2001 und 2002 die Erlöse, die sie gar nichtwill von den Landesfachkrankenhäusern, verplant undverbraten. Jetzt will sie sie ein drittes Mal verbraten undvergisst dabei, und das ist ja das eigentlich Verwerfliche,auch in ihre eigene Parteistruktur und ihre eigenePolitiklinie in Thüringen zu schauen. Wer nämlich weiß,ein Landesfachkrankenhaus steht auch in Mühlhausen, imUnstrut-Hainich-Kreis und dort ist doch ein SPD-Landrat

an der Spitze und der will doch genau eines dieserKliniken kommunalisiert haben, aber der will sie dochnicht vom Land kaufen für zig Millionen, sondern erwill es doch vom Land geschenkt kriegen, er will nochzusätzlich Geld vom Land kriegen.

(Beifall bei der CDU)

Dann fordern die einen hier, 70 Mio. DM zu verbratenfür ein Programm, was ziemlich unausgegoren ist, undder andere fordert gleichzeitig, das geschenkt zukriegen, und wir sollen das Geld ausgeben. Woher solles denn kommen? Also, das ist alles ziemlichWischiwaschi, was da letztendlich angeboten wurde,und es ist traurig, dass es so ist, weil wir uns in derGrundtendenz ja auch dort einig sind, dass wirzusätzliche Investitionen brauchen. Aber es lässt sichhalt der Eindruck, und das hat der Dieter Althausausführlich erläutert, nicht vermeiden, dass man einfachnoch schnell nachkarren wollte und ein eigenesProgramm auflegen wollte, damit es auch noch einbisschen SPD-Handschrift trägt. Und da kommt mannämlich völlig davon ab, dass das, was auch FriederLippmann vorhin eingefordert hat und Bernhard Vogelheute früh gesagt hat, nämlich, dass wir doch versuchenmüssen, gemeinsam hier alle Fraktionen aus dem Landtagheraus, in die neuen Länder und heraus nach Gesamt-deutschland schlechthin, den Ruf laut machen müssen,dass wir dieses Sonderprogramm Ost brauchen, und nicht,dass jeder anfängt sein eigenes Programm aufzulegen.Sie müssen sich letztendlich auch mit der Rollenatürlich abfinden; Bernhard Vogel ist der Minister-präsident und nicht Heiko Gentzel. Das hilft ja alles nichts.

(Beifall bei der CDU)

Es bleibt ja auch die nächsten Jahre so und das ist auchgut so, dass Bernhard Vogel der Ministerpräsident ist, weilnämlich dann auch der Ruf nach so einem Sonderpro-gramm viel deutlicher im Lande gehört würde, als wennes möglicherweise Herr Matschie gefordert hätte. Ich willmal sehen - nein, der ist gar nicht im Raum.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Nicht soungeduldig.)

Ich will Sie auch ein bisschen schützen, Herr Gentzel,weil, Sie haben ja die Schwierigkeiten in Ihrer Partei,dass da jeder ein bisschen anders redet. Matschie hat jadie ganze Zeit

(Beifall bei der CDU)

immer gegen das Programm geredet. Es wäre schön, wenner öfter in Thüringen wäre, dann würde er wissen,welche Notwendigkeit hier besteht für den tatsächlichenInvestitionsbedarf.

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Meine Damen und Herren, wir als Thüringer CDU-Fraktion hier im Landtag unterstützen ausdrücklich dasSonderprogramm Ost und wir lehnen das vorgeschla-gene Zusatzprogramm der SPD für zusätzliche Investi-tionen in Thüringen ab. Wir lehnen es deshalb ab, ichwill es noch mal zusammenfassen, weil die Gegenfinan-zierung nicht gesichert ist.

Und noch ein allerletzter Punkt zu dem, was Heiko Gentzelgesagt hat und mit der Gegenfinanzierung zusammen-hängt: Wer das eigene SPD-Programm mal anschaut,mal durchliest, der sieht, dass jährlich 250 Mio. DM zurFinanzierung vorgeschlagen sind. Wer sich die Rede vonHeiko Gentzel von vorhin noch einmal durchlesen willund zur Begründung durchliest, der wird feststellen, dasser zu dem größten Brocken aus dem Investitionsprogammüberhaupt gar nicht Stellung genommen hat. Er hat zu245 Mio. DM Gegenfinanzierung aus dem eigenenProgramm nicht eine Silbe der Begründung hier verloren.Es betrifft insbesondere die Umschichtung von Landesaus-gaben. Dort treffen wir uns doch genau wieder, wir treffenuns spätestens zum Doppelhaushalt 2003 und 2004 wieder,wenn es darum geht, den Konsolidierungskurs der Landes-finanzen in Thüringen fortzusetzen, und wir tatsächlichwieder Ausgaben umschichten müssen, spätestens dannwird die Thüringer Union auch Heiko Gentzel daran er-innern, dass wir gemeinsam Landesausgaben umschichtenmüssen. Ich hoffe dann - und da bin ich ziemlich gespannt -auf die Unterstützung der SPD-Fraktion zum Doppel-haushalt 2003 und 2004 und wir hoffen jetzt auf dieUnterstützung der Thüringer SPD und natürlich auch derPDS, ich will sie ausdrücklich mit einschließen, des vor-geschlagenen Sonderprogramms Ost von Bernhard Vogelund der Thüringer Union. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat der Abgeordnete Buse, PDS-Fraktion.

Abgeordneter Buse, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Mohring,passen Sie auf, wenn Sie von gleichen Lebensverhältnissensprechen. Es ist Ihnen auch wahrscheinlich so rausge-rutscht, nicht dass Sie von Herrn Althaus bestellt werdenzu einem Nachhilfekurs, es wäre vielleicht gar nicht so...

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Ja, wasrichtig ist, ist richtig.)

Ja, ich komme noch mal darauf zurück, Herr Althaus.Aber was ist denn nun nach Ihrer Rede, Herr Althaus, oderauch der vom vergangenen Jahr, dass Thüringen in einersehr guten Verfassung ist und dass das Ergebnis soliderPolitik ist. Das haben Sie auch heute wieder hervorge-hoben und in dem Brief des Ministerpräsidenten an den

Fraktionsvorsitzenden der PDS, wie an alle Fraktionsvor-sitzenden, wird gesprochen: "Angesichts der schwierigenwirtschaftlichen Lage in den jungen Ländern habe ich ..."etc.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Lesen Sieden Rest auch. Ihr Problem ist die Logik.)

Sie kennen ihn doch. Also gehe ich jetzt davon aus, dassdie gute Lage schwierig ist. Das ist jetzt Ihre Interpreta-tion, ich bedanke mich dafür. Ich habe mich dabeigefragt, Herr Althaus - ja, reden Sie das einem Mathe-matiker aus, die Logik; ich weiß nicht, ob das klappt.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sie habenlange in der SED-Kreisleitung gearbeitet.)

Erstens habe ich mich gefragt: Wird durch die Landesregie-rung die Situation in Thüringen und in den anderen neuenBundesländern nun realistischer eingeschätzt und zweitenswird daraus ein notwendiger, über bisherige Konzeptehinaus gehender Handlungsbedarf abgeleitet? Ich war mirnoch unsicher heute Vormittag, ob wir ein Stück weit neueEinsichten und Überlegungen seitens der Landesre-gierung registrieren sollten, könnten oder müssten. HerrAlthaus, nach Ihrer Rede muss ich das wirklich wiedervon mir weisen und negieren. Ich kann neue Einsichtennicht feststellen, sie wären aber notwendig,

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Ich denke,Ihr kommt beide aus dem Eichsfeld.)

weil nur auf der Grundlage einer objektiven Analyse derSituation entsprechende Handlungsschlussfolgerungenabgeleitet werden können.

(Beifall bei der PDS)

Und die Diskussion zur Situation in den neuen Ländernheute hier im Thüringer Landtag zur Art und Weise, wieman zu wirklich neuen Konzepten für den Osten Deutsch-lands gelangt, auch und besonders in den letzten Jahren desSolidarpakts I, wird letztlich zeigen, ob die geführteDiskussion und die getroffenen Schlussfolgerungen ausstaatspolitischer Verantwortung heraus erfolgen. Ich habein meinem Redekonzept hier stehen - ich darf das zitieren:"Ich hoffe nicht, dass damit kurzfristig das Wahlverhaltender Ostdeutschen 2002 und 2004 gemeint und daraufgezielt worden ist." Die Zwischenfrage an Herrn Lipp-mann von Herrn Kretschmer nach dem Vorhaben derSPD-Regierungschefs in Ostdeutschland oder auch das,wie sich Herr Althaus hier präsentiert hat, zeigen mireher das Gegenteil, dass wir gar nicht so schief liegenals Opposition mit der Einschätzung, dass es hier um dieVorherrschaft, um die politische Hoheit im Osten hin-sichtlich der Bundestagswahl 2002 geht.

(Beifall bei der PDS, SPD)

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Wenn es Ihnen darum geht, die Weichen für die wirt-schaftliche Entwicklung neu zu stellen, und die Zitierungdes Arbeitsministers von Mecklenburg-Vorpommern,Herr Ministerpräsident, zeigt doch, dass Sie es doch einStück weit ähnlich sehen, unterstütze ich namens unsererFraktion Ihre Einladung zur Diskussion über ein not-wendiges Konzept zur weiteren Entwicklung des OstensDeutschlands. So verstehe ich Ihren Brief an die Frak-tionen, so verstehe ich auch die heute hier durch dieCDU-Fraktion anberaumte Debatte und die Ausspracheüber die Regierungserklärung.

Ich sehe unsere gemeinsame Verantwortung dafür darin,dafür zu wirken, dass es darum geht, wie es Bischof Dr.Wanke in seinem offenen Brief an die Thüringer Lan-desregierung und die Thüringer Bundes- und Landtags-abgeordneten formulierte: " ... eine langfristige Abhängig-keit des Ostens vom Westen und zunehmende Abwan-derung von Ost nach West zu vermeiden." Dazu sind nachseiner Auffassung weiterhin solidarische Formen derUnterstützung und außerordentliche Anstrengungen not-wendig. In diesem Sinne betrachte ich Ihren Vorschlag,Herr Ministerpräsident, zur Auflage eines Sonder-programms Ost für die Jahre 2001 bis 2004 als eine dies-bezügliche politische Bemühung, wie es der Bischof zu for-mulieren geruht. Diese könnten aus unserer Sicht Aus-gangspunkt für Diskussionen sein und unter Berück-sichtigung anderer Sichtweisen und weiterer Vorschlägezur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse imvereinten Deutschland beitragen.

Meine Damen und Herren, der Aufbau Ost bleibt eine ge-samtstaatliche Aufgabe. Dies immer wieder einzufordern,gehört zu den Aufgaben der politisch Verantwortlichenund Agierenden, insbesondere in den neuen Ländern.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sehr rich-tig!)

Es bleibt eine Tatsache: Ohne die Transferzahlung vonBund und Ländern ist der heutige Stand der öffentlichenund privaten Ausgaben nicht zu halten, erst recht nichtdie benötigten Wachstumsstrategien zu finanzieren. Diewirtschaftliche und soziale Angleichung zwischen Ost undWest ist eine Herausforderung, die auch über die nächstenzehn Jahre hinaus große Anstrengungen erfordert. Ichglaube, bis hierher, weil Sie es immer betonen, HerrAlthaus, stimmen wir ja überein. Transferzahlungen zuGunsten wirklicher Aufbauleistungen für die Infrastruktur,für die Handlungsfähigkeit von Ländern und Gemeindenund für Wirtschaftsförderung finden umso mehr gesamt-gesellschaftliche Akzeptanz, je mehr sie nachhaltig undnachvollziehbar auf die Überwindung der Struktur-schwäche Ostdeutschlands gerichtet sind. Da haben wiruns auch in Thüringen in den vergangenen Jahren trotz"guter Wirtschaftspolitik", wie immer gesagt wird, nunnicht auch in allen Fragen mit Ruhm bekleckert, HerrMinister. Sie schauen mich schon wieder so kritisch an?

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich darf darauf eingehen? Wir sind in Thüringen meinesErachtens den Beweis schuldig geblieben, dass z.B. derWirkungsgrad der Transferzahlungen deutlich verbessertwerden kann,

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt-schaft, Arbeit und Infrastruktur: Amhöchsten!)

zum Beispiel durch die Erhöhung des Anteils ost-deutscher Auftragnehmer bei öffentlichen sowie beiöffentlich geförderten privaten Investitionen oder durchdie Verbesserung der regionalen Lieferbeziehungen undanderes mehr. Wir sind bisher den Beweis schuldig ge-blieben, dass die wirtschaftspolitischen Anstrengungennoch stärker auf Qualifizierung des Arbeitsvermögens,auf Innovation und überregionalen Absatz konzentriertwerden.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Jetzt hatman Ihnen etwas Falsches gesagt!)

Oder, Herr Althaus, ich würde jetzt gern auf Sie einge-hen, wir haben mit der Haushaltsbeschlussfassung dieEigenanstrengung des Landes, die Investitionen in dieInfrastruktur (Verkehr, Bildung, Abwasser) auf hohemNiveau fortzuführen, ein Stück weit konterkariert. Aus-druck dafür ist die Entwicklung der Investitionsquote.

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Dasmuss man nachlesen.)

Nein, ich habe ja auch eine Statistik wie der Herr Frak-tionsvorsitzende. Ich habe ganz einfach die Frage: Hängtdenn die langsame Schließung der Schere zwischen Ostund West in den Jahren 1994 bis 1996, auf die der HerrMinisterpräsident in seinem Schreiben an die Fraktionenja bekanntlich hingewiesen hat, wie er dies heute erneuthier in der Diskussion getan hat, auch ein Stück weit mitInvestitionsausgaben in diesem Zeitraum zusammen? Esist doch beachtlich, dass wir von 1992 bis 1996 im Landdie höchsten Investitionsausgaben hatten, natürlich durchZuweisungen vom Bund, aber auch durch das Land, undseit diesem Zeitpunkt gehen sie zurück.

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Abernicht die Bundesmittel!)

Und da wird mir sogar noch eingeredet, die Investitions-quote des Jahres 2001 - das ist das Größte, was es gibt.Das ist bisher die Niedrigste, die es gibt,

(Beifall bei der PDS)

und es ist im Vergleich zu 1997 ein Rückgang absolut von1,1 Mrd. DM zu verzeichnen, wenn ich richtig gerechnethabe.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3057

(Zwischenruf Schuster, Minister fürWirtschaft, Arbeit und Infrastruktur)

Ja, Herr Minister, ich habe nur eine Zuarbeit bekommen,Herr Althaus hat eine von der Industrie- und Handels-kammer, sehen Sie. Aber ich glaube schon, dass es einenZusammenhang gibt zwischen Investitionen und demAuseinanderklaffen zwischen Ost und West, also diesesAuseinanderklaffen der Schere. Als Anregung wollte ichIhnen das mal mitgeben. Herr Ministerpräsident, ichstimme sicherlich mit Ihnen überein, und das hat HerrLippmann ja auch hier gesagt, dass jede Mark, die ineinzelne Projekte Ihres Sonderprogrammvorschlags fließenwird, sich auf die Entwicklung der neuen Länder positivauswirken wird. Davon gehen wir auch aus. Sie habenaber auch in Ihrer Rede gesagt, Straßenbauförderung z.B.ist keine Gießkannenförderung. Aber ob es dabei zuEffekten kommt, die die Schere zwischen Ost und Westnachhaltig schließen und die wirtschaftliche Entwicklungin den jungen Ländern gegenüber den alten beträchtlichsteigern werden, wäre weiter zu diskutieren. Herr Mi-nisterpräsident hat dies in seiner Rede so formuliert. Eskommt auf schnelleres Wachstum als im Westen an. Siehaben die Zahlen für das Jahr 2000 genannt, die im Bun-desgebiet West ein Wachstum des Buttoinlandsproduktsvon 3,4 Prozent vorsehen und in den neuen Bundesländernvon 1,3. Für das laufende Jahr sind 2,75 Prozent in denalten Bundesländern avisiert, in den neuen Bundesländernnicht annähernd so viel, war die Formulierung.

Wenn Sachverständige richtig rechnen, wie das z.B. in denMaterialien für die Enquetekommission zum Ausdruckkommt, ist die Angleichung des Niveaus der ostdeut-schen Bundesländer an die der alten möglich bis 2010 beieinem jährlich höheren Wirtschaftswachstum von mindes-tens 4 Prozent, bis 2020 bei einem jährlich höherenWirtschaftswachstum von mindestens 2 Prozent und eswird bis 2050 dauern, wenn das Wirtschaftswachstumdes Ostens jährlich nur um 0,5 Prozent höher als in denalten Bundesländern ist. Damit wir mal über Zeiträumereden und damit auch hier vielleicht die Kompliziertheitder Aufgabe, die vor den ostdeutschen Ländern steht, nocheinmal deutlich wird. Sicherlich gibt es dazu einige guteErfahrungen und Voraussetzungen.

Die von Ihnen vorgeschlagenen Programmpunkte, HerrMinisterpräsident, beziehen sich zum großen Teil aufInfrastrukturfragen und hätten unzweifelhaft Auswir-kungen auf die weitere Entwicklung der Bauwirtschaft.Dies würde sich sicherlich nicht nur auf die öffentlicheInfrastruktur auswirken, sondern gleichzeitig die gesamteEntwicklung günstiger gestalten, davon gehen wir aus.Bekanntlich bremst die so genannte Baukrise oder, wiees der Bauindustrieverband Hessen-Thüringen formuliert,die schwierige Situation des Bauhauptgewerbes in denöstlichen Bundesländern den Aufbau Ost. Für eine immermehr sich selbst tragende wirtschaftliche EntwicklungOstdeutschlands liegt der Schwerpunkt aber auf der Er-höhung der industriellen Wertschöpfung. Die Entwick-

lung seit 1996 belegt anschaulich, ohne industriellesWachstum fehlt einem nachhaltigen Aufbau Ost dieGrundlage und es besteht mit dem vorliegenden Konzeptalso die Gefahr, dass u.a. das weitere Auseinander-driften zwischen Ost und West lediglich zeitlichverlagert wird. Diesen Aspekt bitte ich in der weiterenDiskussion zu beachten, eventuell zu bewerten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, aus Zeit-gründen würde ich mich kurz fassen und würde noch malsagen: Ein Sonderprogramm Ost und die Orientierungim Freistaat Thüringen muss unseres Erachtens nach aufzukunftsträchtige Entwicklung gerichtet werden und nichtkurzatmig, eventuell nur für vier Jahre, die sich nach demMotto wie bisher vollziehen. Die zukunftsorientierteAusrichtung eines Sonderprogramms in Einheit vonBundes- und Landesanstrengungen wird von uns mitge-tragen. Ein diesbezügliches länderpolitisches Signal könnteu.a. sein, die ausgewiesenen Haushaltsüberschüsse in dervorläufigen Jahresrechnung 2000 nicht zur zusätzlichenReduzierung der Nettoneuverschuldung, sondern alseinen Landesmittelanteil zu einem Sonderprogramm zubetrachten. In diesem Sinne hat sich ja Herr MinisterTrautvetter im TLZ-Interview vom 10. März geäußert.Vielen Dank!

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt die Landesregierung, Herr MinisterSchuster.

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, dasSonderprogramm der Landesregierung hat die Opposi-tion offenbar sehr in Unruhe versetzt. Frau Zimmer redetdavon, es bestehe vorwiegend aus Verkehrsbaumaß-nahmen. Sie kam in der Lektüre offensichtlich über denPunkt 1 gar nicht hinaus.

(Zwischenruf Abg. Zimmer, PDS: 60 Prozentsind doch wohl aber die Mehrheit!)

Sie redet dann davon, man müsse den Wirtschaftsmecha-nismus in den neuen Ländern ändern. Ja, was bedeutetdenn das wohl - den Wirtschaftsmechanismus ändern? Werweiß das denn wohl? Vielleicht weiß es Frau Zimmer,vielleicht. Frau Zimmer, der Stress ist bei Ihnen wohlzurzeit groß, aber wenn Sie weiter solche Reden halten,ist es mit Ihrer bundespolitischen Karriere bald vorbei.

(Beifall bei der CDU)

(Heiterkeit bei der PDS)

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(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Aberschlecht wäre es nicht, wenn sie noch einpaar Jahre im Bund bliebe.)

Die SPD hat hier nichts anderes als eine EchternacherSpringprozession aufgeführt. Der Herr Gentzel verstehtsie hier am Pult auch immer vorzuführen. Ein Mottobeherrschen Sie immer sehr gut: Schuld daran sindimmer die anderen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Ja, daskennen wir.)

Wenn es Probleme gibt, dann sind entweder die CDU-regierten Länder Schuld oder Europa.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Und Siesagen immer, die Bundesregierung istSchuld.)

Der Bund, die Bundesregierung ist nie Schuld. Dann habenSie vorgeschlagen, man müsse ein Landesprogramm an-docken. Das Sonderprogramm ist also ein Vorschlag füralle neuen Länder. Sagen Sie einmal Ihren Parteikolle-gen in Sachsen-Anhalt, sie sollten ein Landesprogrammandocken an solche Vorschläge. Sie werden dannschnell erfahren, welche Schwierigkeiten die haben, dieBundesprogramme überhaupt noch kozufinanzieren.

(Beifall bei der CDU)

Dieses Problem hat nicht nur Sachsen-Anhalt, das habeneine Reihe anderer Länder mehr.

Herr Gentzel, Sie haben dann offenbar mit all Ihren Vor-schlägen noch nicht realisiert, dass das, was Sie fordern,längst geschehen ist. Die Landesregierung hat an denLandeshaushalt ein Invesitionsprogramm in Höhe vonrund 1 Mrd. DM in Form der Strukturfonds angedockt.EFRE enthält ein Programm, das weitere Mittel für privateInvestitionen vorsieht. Aber dies alles nehmen Sie nichtzur Kenntnis. Die Vorschläge zur Finanzierung Ihres Pro-gramms, die kann man nur unter der Überschrift "Pein-lichkeiten" verbuchen.

Meine Damen und Herren, worum geht es denn eigent-lich? Auslöser des vorgeschlagenen Programms ist dieTatsache, dass die neuen Länder weniger vom konjunk-turellen Hoch profitiert haben als die alten Länder, weilungelöste strukturelle Probleme den Wachstumsprozessgebremst haben und weiterhin bremsen: Anpassungspro-bleme des Bausektors, zu schwache industrielle Basis,Kapitalintensität und Produktivität sind zu niedrig, außen-wirtschaftliche Verpflichtungen sind zu gering usw. DieWachstumslücke, mit der wir es seit Jahren zu tun haben,lässt sich nur durch zusätzliche Investitionen schließen.Nur so sind wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu schaffen,die junge Menschen davon abhalten abzuwandern, dieattraktiv genug sind, um die Menschen an ihre Arbeits-

plätze zu binden.

Notwendige Voraussetzung für Investitionen ist einefunktionsfähige Infrastruktur. Dass wir es auf diesemGebiet mit einem Nachholbedarf zu tun haben, ist ein-deutig untersucht und belegt. Ich verweise darauf, dassdie Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitutediesen Nachholbedarf und die infrastrukturellen Aufga-ben betont haben. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin,zitiere ich aus diesem Gutachten. Da heißt es: "Der Staatmuss dort seine Anstrengungen erhöhen, wo er unmittel-bare Verantwortung zur Verbesserung der Qualität desStandorts Ostdeutschland trägt, nämlich im Bereich deröffentlichen Infrastruktur. Eine neue Infrastrukturoffen-sive ist also notwendig." So weit das Herbstgutachtender Wirtschaftsforschungsinstitute. Wer das nicht glaubt,dem seien noch ein paar Zahlen geliefert. Der Kapital-stock pro Einwohner bei Straßen und Brücken im Jahr1995 belief sich auf etwa 58 Prozent des Westniveaus.Damit ist gesagt, welche Mangelsituation, welcher Nach-holbedarf hier gegeben ist. Mindestens 10 Prozent des Pro-duktivitätsrückstandes erklären sich aus den Infra-strukturdefiziten. Natürlich wirkt sich dies aus bei denUnternehmen. Es wirkt sich aus in Form von höherenKosten, geringeren Renditen und niedrigeren Investi-tionen. Hier ist die betriebswirtschaftliche Begründungfür das Sonderprogramm.

Meine Damen und Herren, Infrastrukturinvestitionen sindauch deshalb notwendig, weil über privatwirtschaftlicheInvestitionen bestimmte Entwicklungsbarrieren alleinnicht abgeräumt werden können. Nehmen wir einmaldas Beispiel Kyffhäuserkreis. Hier bieten wir ja privateInvestitionsförderung an. Nur, die bewirkt nicht genug,weil hier bei der Infrastruktur entscheidende Entwick-lungsengpässe gegeben sind. Oder nehmen wir dasGegenbeispiel Eisenach: Hier kann man studieren, wieeine ausgebaute Infrastruktur neue Wachstumspotenzialeauslöst und einen starken konjunkturellen Aufschwungermöglicht. Klar ist, dass die Infrastruktur nicht der einzigeWachstumsmotor ist, aber sie ist der stärkste Wachs-tumsmotor, den wir einsetzen müssen. Weil das so ist,dürfen notwendige Investitionen nicht verschoben werden,z.B. hinter das Jahr 2004. Sie müssen jetzt getätigt werden.Wenn man sie jetzt zurückstellt, darf man sich nichtwundern, dass auch die privaten Investoren ihre Investi-tionsentscheidungen zurückstellen. Und wenn dies ge-schieht, dann nimmt die Investitionstätigkeit ab, dannnimmt die Wachstumsrate ab und dann wird die Wachs-tumslücke immer größer. Darüber muss man sich imKlaren sein.

Meine Damen und Herren, wir brauchen jetzt ein Son-derprogramm. Uns wäre auch gedient, wenn der Bunddefinitiv sagen würde, wann zurückgestellte Maßnah-men wirklich weitergebaut werden können.

(Beifall bei der CDU)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3059

Meine Damen und Herren, allein auf die Bremse zu tre-ten, allein zurückzustellen, ist keine Lösung. Meine Damenund Herren, zurzeit betätigt sich der Bund in der Weise.Erst vor wenigen Wochen hat er angeordnet, dass dieICE-Trasse 8/1 noch nicht mal von Erfurt bis Ilmenauweitergebaut werden darf. Er hat einen Baustopp verfügt,auch auf diesem Teilstück. So kommen wir nicht weiterbei der Lösung unserer Wachstums- und Infrastruk-turprobleme. Meine Damen und Herren, die Grünenlassen offensichtlich in der Verkehrspolitik grüßen, unddies ausgerechnet auf einem Feld, das sie immer als dasihrige angesehen haben.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Empö-rend!)

Meine Damen und Herren, und eines ist auch klar: DieVerkehrsprojekte Deutsche Einheit dienen nicht nur derdeutschen Einheit, sondern auch der EU-Osterweite-rung. Wenn diese Projekte nicht vollendet sind zu demZeitpunkt der Osterweiterung, wird dieser Prozess miterheblichen Schwierigkeiten befrachtet.

Meine Damen und Herren, zum Sonderprogramm mussauch noch gesagt werden, dass es auch das Ziel verfolgt,das bestehende Fördersystem zu flankieren, zu flankie-ren in den Bereichen, wo derzeit z.B. die Mischfinanzie-rung nicht mehr voll funktioniert. Viele Gemeinden sindheute nicht mehr in der Lage, ihren Kofinanzierungs-anteil bei Infrastrukturinvestitionen zu erbringen. Vieleneue Länder sind auch nicht mehr in der Lage kozu-finanzieren bei wichtigen Vorhaben. Und eines ist klar,die Verantwortung für das Funktionieren der Misch-finanzierung, die Verantwortung für das Funktionieren derGemeinschaftsaufgabe und - wenn man so will - desFöderalismus insgesamt, die trägt der Bund. Der Bundmuss dafür Sorge tragen, dass diese Finanzierungs-systeme weiterhin leistungsfähig sind und weiterhinfunktionieren. Daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei der CDU)

Diese Verantwortung lässt sich nicht abschieben auf dieLänder.

Mit dem Sonderprogramm soll ein weiteres Ziel erreichtwerden, das bisherige Förderinstrumentarium soll auchregional flankiert werden. Wir machen nicht selten dieErfahrung, dass mit dem derzeitigen Förderinstrumenta-rium bestimmte Probleme in strukturschwachen Räumenund Regionen nicht mehr gelöst werden können. Hier ist eswichtig, in Ergänzung des normalen Instrumentariumsweitere Möglichkeiten zu bekommen, regionale Engpässeabzubauen bzw. zu beseitigen. Auch hier lassen sich wiedertreffende Beispiele in unserem Lande nennen, die diesunterstreichen, die klar machen, warum es wichtig ist,auch den Programmbaustein "Pilotprojekte zur Beseitigungregionaler Entwicklungsengpässe" vorzusehen.

Meine Damen und Herren, ein Punkt ist in den Reden derOpposition nicht vorgekommen, nämlich die Ergänzungder Infrastruktur auch im Bereich der Technolo-gieinfrastruktur. Hier sollen ebenfalls neue Akzente gesetztwerden. Deshalb kann man doch nicht sagen, das Sonder-programm sei ausschließlich für den Tiefbau. Insgesamtwerden wichtige Zukunftsinvestitionen mit diesem Pro-gramm angestoßen.

Meine Damen und Herren, natürlich ist die Diskussionüber das Programm noch nicht abgeschlossen. EinErgebnis hat es aber bereits heute: Die Bundesregierungwird sich dieser Diskussion stellen müssen; sie wird derTatsache ins Auge sehen müssen, dass noch vor demWahljahr 2002 und erst recht vor 2004 dringend not-wendige Infrastrukturprojekte auf den Weg gebrachtwerden müssen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kallenbach, CDU-Fraktion.

Abgeordneter Kallenbach, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,ich möchte noch auf einige wesentliche Punkte des Son-derprogramms Ost eingehen. Im AngleichungsprozessOst-West - ich glaube, darin besteht auch Einigkeit - sindwir bis 1996/97 deutlich vorangekommen. Herr Gentzelhat zu Recht hier ein Zitat an der Stelle angeführt. Durchdie Anstrengung des Bundes und auch durch das soli-darische Verhalten der alten Bundesländer ist es dazu ge-kommen - ich füge aber jetzt ausdrücklich hinzu: auch vorallen Dingen durch das Engagement, durch das klugeund engagierte Arbeiten der Thüringer Bevölkerung.Das ist an der Stelle auch ausdrücklich zu nennen.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Aber wo stehen wir heute? Ein wesentliches Merkmal,eine wesentliche Indikation ist nun einmal das Brutto-inlandsprodukt und da haben wir im letzten Jahr eineSteigerung in den neuen Bundesländern von 1,3 Prozentzu verzeichnen und in Thüringen immerhin 2,1 Prozent, dasist ein Drittel mehr. Das macht deutlich, obwohl wir ja alledie gleichen Voraussetzungen hatten in den neuen Län-dern, dass hier eine vernünftige Wirtschaftspolitik greift,und, Kollege Buse, hier wird auch deutlich, dass dieInvestitionsquote in Thüringen höher ist als in den altenBundesländern. Ich glaube, das ist darin deutlich zu er-kennen. Aber, meine Damen und Herren und vor allenDingen Kollegin Zimmer, wir beweihräuchern uns nicht ansolchen Zahlen, überhaupt nicht. Sie können sich ja malbei Kollegen Ramelow erkundigen, welche Bedeutungsolche Zahlen haben. Das hat mit Beweihräucherung über-haupt nichts zu tun, sondern es wird deutlich, welche

3060 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Unterschiede bestehen. Wir müssen aber auch sehen,dass der Abstand wieder größer wird, wenn in den altenBundesländern in demselben Zeitraum 3,4 Prozent fest-zustellen sind. Und, Frau Zimmer, nun wäre es dochtatsächlich Ihre Stunde gewesen, heute deutlich zu machen,wo die Perspektive zu sehen ist, die die PDS aufzeigt.Sie bezeichnen sich doch so gern als die Partei, die sichganz besonders für die Interessen der Ostdeutschen enga-giert.

(Zwischenruf Abg. Zimmer, PDS: Sie müs-sen Watte in den Ohren gehabt haben!)

Wo ist denn nun Ihr Programm? Das hätten Sie doch heutemal darstellen können. Wir haben es aber nicht gehört,meine Damen und Herren. Wo ist es nun eigentlich?

(Beifall bei der CDU)

Aber ich darf mal mit anfügen, Ihr Vortrag war genausoplatt wie Ihr Beitrag bei Sabine Christiansen, so haben eszumindest viele Journalisten festgestellt. Auch dort ist diePerspektive der PDS überhaupt nicht erkennbar gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Aber immerhin hat es Ihnen zu einem Auftritt bei SabineChristiansen verholfen; auch für Herrn Schwanitz, densonst kaum jemand kennt, war es die Gelegenheit, malin der Öffentlichkeit aufzutreten,

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS:Auch für Herrn Vogel.)

aber - ja, der hat wenigstens sein Programm vorstellenkönnen, der Herr Dr. Vogel. Aber nun der Herr Schwanitz,das ist ja nun seine Aufgabe, dafür wird er bezahlt, diePerspektiven, die die Bundesregierung aufmacht, in derÖffentlichkeit darzustellen. Wo sind sie denn geblieben?Sie waren doch überhaupt nicht erkennbar.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben wenigstens jetzt ein Programm auf demTisch und übrigens hat es hier Herr Dr. Vogel auch alsVorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz Ost ge-macht. Da ist es ja auch seine Aufgabe und nicht, wiehier unterstellt wird, einfach Parteipolitik, ein solchesProgramm vorzustellen. Wir brauchen jetzt keine Schwarz-malerei und auch keine Jammerei, sondern wir braucheneine klare Analyse und ein klares Programm.

Wo stehen wir heute? Die Bruttowertschöpfung 1991bis 2000 ist immerhin um 67 Prozent gestiegen und dieEinkommen der Bevölkerung in Thüringen haben sichseit 1991 verdoppelt, aber sie liegen eben erst bei 77,7Prozent. Das haben wir nüchtern festzustellen, das isteine positive Entwicklung, aber wir sind noch langenicht an dem Ziel. Diese 77 Prozent veranlassen eben, das

müssen wir ganz klar und nüchtern erkennen, einige - vielzu viele -, unser Land zu verlassen und zu schauen, wo siebessere Perspektiven finden, wenn wir ihnen keinebesseren Perspektiven hier in den neuen Bundesländernund insbesondere in Thüringen aufzeigen. Das ist unsereAufgabe, dafür sind wir, glaube ich, gewählt worden. Und,meine Damen und Herren, das Programm ist ja nicht vonungefähr gekommen, sondern die Ministerpräsidentenhaben drei unabhängige Wirtschaftsforschungsinstitute be-auftragt, eine Analyse anzustellen und Vorschläge zurWeiterentwicklung in den neuen Ländern zu unterbreiten.Diese Institute haben ihre Vorschläge unterbreitet. Siehaben gesagt, vor allen Dingen ist die Infrastruktur zuentwickeln. Das deckt sich mit dem, was die Wirt-schaftsverbände und die Kammern uns sagen. Das istdann auch der zentrale Punkt des Programms geworden.

Verkehrsinfrastruktur - ich lasse jetzt die Zahlen weg, aberes geht darum: Was passiert nach dem Jahr 2002 in derStraßenpolitik, in der Verkehrspolitik des Bundes über-haupt? Die SPD hat vor der Bundestagswahl gesagt, wirwollen so schnell wie möglich den Bundesverkehrswege-plan fortschreiben. Jetzt sagt sie, nein, das machen wirlieber doch nicht, das machen wir irgendwann, abernicht in dieser Legislaturperiode. Das Investitionspro-gramm läuft ebenfalls im nächsten Jahr aus. Es istüberhaupt nicht klar, wie es in der Investitionspolitik desBundes bei Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen weitergeht.Da kann es sehr hilfreich sein, wenn dieses Programmbeschlossen werden würde oder so ein ähnlichesProgramm, wo wenigstens dann deutlich ist, wie es bis2004 mit der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur inden neuen Ländern weitergeht. Oder wie sieht es bei derSchiene aus? Wo geht denn eigentlich da die Reise hin?Was ist da die Perspektive, die die Bundesregierungaufmacht? Richtig war, dass der Bund gesagt hat, wir setzeneine Kommission ein, die uns Vorschläge unterbreiten soll,das ist die so genannte Pällmann-Kommission. Dann hatdie Kommission ihre Vorschläge im letzten Jahr unter-breitet. Aber nun, anstatt sie jetzt rangehen und setzen dieseVorschläge um, hat man erst einmal den Aufsichtsrats-vorsitzenden der Deutschen Bahn AG, der genau das will,was da drinsteht, Trennung von Netz und Betrieb, ausdem Amt geschickt. Dann hat der neue Bundesverkehrs-minister gesagt, also das war eigentlich doch richtig, wasdie Pällmann-Kommission sagt. Seit gestern gibt es nunwieder eine Rolle rückwärts. Nun wissen wir eigentlichgar nicht mehr, woran wir sind.

Nun gibt es eine Task-Force, aber was dabei rauskommensoll, ist vollkommen unklar. Klar ist nur, dass dasLeistungsangebot der Deutschen Bahn reduziert werdensoll. Ich nenne nur einmal das Stichwort "Interregio". Waswir brauchen und was mit diesem Sonderprogramm Ostermöglicht werden würde, sind Investitionen in dasSchienennetz. Natürlich könnte damit ein wesentlicherBaustein für die ICE-Strecke finanziert werden, für denWeiterbau der Mitte-Deutschland-Verbindung - und ichfüge hinzu - auch für die Sanierung und Modernisierung

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3061

von Thüringer Bahnhöfen. Wer sich einmal der Müheunterzieht und fährt ab und zu mit dem Zug, der wirdsehen, in welch schlechtem Zustand sich viele Bahnhöfein den neuen Bundesländern befinden. Hätten wir aberdieses Programm, dann wäre das ein großer Aufgaben-bereich für das Thüringer Bauhandwerk, welches dringendeiner solchen Investitionsspritze bedarf.

Über Infrastrukturpauschale für die Kommunen hatMinister Schuster das Wichtige gesagt. Die Kommunensind gegenwärtig kaum in der Lage, die Programme, diefür Infrastruktur angeboten werden, kozufinanzieren. Hierbraucht es dringend Hilfe.

Innovations- und Kompetenzzentren, da sind wir auf einemguten Weg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Wirhaben derzeit ungefähr 200 Mitarbeiter in F- und E-Ein-richtungen pro 100.000 Einwohner. Das ist mehr als imSchnitt der neuen Bundesländer, aber bei den Altbundes-ländern sind es fast doppelt so viel. Das müssen wirerkennen, hier gibt es nach wie vor einen großen Nach-holbedarf.

Noch eine Bemerkung zur Bauwirtschaft selber: Es isteine Branche, die immerhin im fünften Jahr hintereinan-der leider eine Abwärtsentwicklung zu verzeichnen hat.Im letzten Jahr waren es 10 Prozent. Bei der Beschäfti-gungsquote war es ein Rückgang von 17 Prozent, dasentspricht immerhin 7.800 Arbeitsplätzen. Das stellen Siebitte in das Verhältnis zu dem Arbeitsplatzzuwachs inder gewerblichen Wirtschaft von 10.300. Damit wirddeutlich, die vielen Investitionen, die in der gewerblichenWirtschaft Gott sei Dank vorgenommen werden, werdenzum größten Teil wieder durch den Arbeitsplatzabbau inder Bauwirtschaft kompensiert. Mit diesem Investitions-programm könnten wir die Arbeitsplätze in der Bau-wirtschaft wieder sichern. Das ist ein dringender Hilferufaus der Bauwirtschaft, dem wir mit diesem Programmgerecht werden könnten. Von daher ist es wirklich eineAufgabe des Bundes, uns und der Thüringer Bau-wirtschaft und auch dem Bauhandwerk zu helfen.

Abschließend lassen Sie mich noch sagen: Uns liegt imWesentlichen auch daran, dass hier mit diesem konkretenProgramm der Trend gerade von jungen qualifiziertenLeuten in die alten Bundesländer gestoppt wird, indemihnen eine Perspektive gegeben wird, und dass wir ihnen,das lassen Sie mich ruhig abschließend sagen, auch lang-fristig die Möglichkeit geben, hier ihren Arbeitsplatz zufinden, für qualifizierte ausgebildete Leute auch gut be-zahlte Arbeitsplätze zu bekommen, dass wir vielleicht auchlangfristig den Trend umkehren können, dass wieder jungeLeute vermehrt nach Thüringen zurückkehren. VielenDank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt Frau Staatssekretärin Diezel.

Diezel, Staatssekretärin:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordne-ten, die erste Reaktion der SPD-Fraktion auf dieInitiative des Ministerpräsidenten war sofort die Forde-rung nach einem Nachtragshaushalt. Das kann natürlichnicht unbeantwortet aus dem Finanzressort bleiben. Überdie Finanzierung des zusätzlich geforderten Geldes - der1 Mrd. DM - machte man sich aber in der SPD-Fraktionnur oberflächlich Gedanken. Es ist schon sehr aben-teuerlich, wenn man bei den gegenwärtigen Risiken derSteuereinnahmen 250 Mio. DM Umsatzsteuermehreinnah-men so einfach verbrät.

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Das habenwir von euch gelernt.)

Das Prinzip, dass man nur das Geld ausgeben kann, wasman hat, ist jedem Familienvorstand in Thüringen gewiss,aber die Opposition scheint das nicht so zu meinen. Umes noch einmal an dieser Stelle deutlich zu sagen: Ichweise einen Nachtragshaushalt jetzt zurück. Ein Nach-tragshaushalt ist derzeit nicht geboten.

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen das ausführlich begründen. Mit demDoppelhaushalt 2001/2002 haben wir einen entschei-denden Schritt zur Konsolidierung des Landeshaushaltsgetan, einen längst notwendigen Schritt. Die vorgenom-menen Einschnitte waren sicherlich schmerzhaft, aber siewaren notwendig, um finanzielle Spielräume für dieZukunft zurückzugewinnen. Der Finanzminister hat mehr-fach darauf verwiesen, dass mangelnde Sparbereitschaftin der letzten Koalition von Seiten der SPD nicht un-erheblich zu diesem Schuldenstand geführt hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD,seit der Verabschiedung unseres Doppelhaushalts sinderst wenige Monate vergangen. Haben Sie den ein-geschlagenen Konsolidierungskurs vergessen? Sind Ihnendie Eckwerte nicht mehr bekannt, die Reduzierung derNettoneuverschuldung 2002 auf 770 Mio. DM? Sie wollenzusätzliche Ausgaben, das heißt ungedeckte Schecks,das heißt erhöhte Nettoneuverschuldung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Deckungs-vorschläge sind keine.

1. In den Jahren 2001/2002 werden einfach Mehrein-nahmen bei der Umsatzsteuer unterstellt. Tatsache ist aber,dass in den ersten beiden Monaten dieses Jahres 11 Mio.DM weniger Umsatzsteuern eingenommen worden sind.

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2. Veräußerung der Jenoptik-Aktien - darauf ist hiermehrfach eingegangen worden -, jetzt 24 Euro, noch voreinem halben Jahr 41 Euro. Ich wäre gespannt auf dieRechnungshofbemerkung, wenn man damals 560 Mio.DM Erlös hätte und jetzt 330 Mio. DM.

Durch den Verkauf des Flughafens wollen Sie mehrErlöse erreichen. Sie wissen aber ganz genau, dassbetriebswirtschaftlich zurzeit ein sehr geringer Ertrags-wert zu erlösen wäre, und die Käufer stehen auch nichtSchlange beim Flughafen.

Das Gleiche ist bei der Messe AG. Sie haben in derKoalition noch die Leasingfinanzierung mit unterschrie-ben. Haben Sie vergessen, dass wir bis zum Abarbeitendieser Finanzierung Anteile halten müssen?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wollen 5Mio. DM zusätzlich Mehreinnahmen aus Beteiligungenerlösen. Sie wissen ganz genau, dass nicht alle Beteili-gungen dieses Landes so einfach in bare Münze um-zuwerten sind. Beteiligungen dieses Landes sind teilweiseNot leidend. Ich verweise auch auf viele Bürgschaftenund dieses Risiko.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werdenvon unserem Haushalt - Sparen und Gestalten - nichtabweichen, denn er beinhaltet solche guten Programmeund zusätzliches Geld für das Landesstraßenbauprogramm,das Wohnumfeld oder auch die Ausstattung der Schulenmit Informationstechnik. Kein anderes neues Bundesland,SPD-regiert, hat so viele zusätzliche finanzielle Mittellockergemacht für die Ausstattung der Schulen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben auch in unserem Haushalt die Komplemen-tärmittel für die Bundesmittel eingearbeitet. Nicht der Rufnach einem Nachtragshaushalt ist an die erste Stelle zusetzen, sondern mit dem Sonderprogramm Ost wendenwir uns zuerst an die Bundesregierung. Die Scherezwischen Ost und West, das ist hier mehrfach betontworden, geht weiter auseinander. Der Bundesfinanz-minister musste seinen Jahreswirtschaftsbericht nocheinmal nach unten korrigieren in der vergangenen Bun-destagssitzung. Dem wollen wir entgegenwirken. ImSonderprogramm Ost geht es nicht um Almosen derewig nörgelnden und unzufriedenen Ossis. Es geht umdie wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder unddeshalb um die wirtschaftliche Entwicklung Deutsch-lands insgesamt.

(Beifall bei der CDU)

Mit dem Sonderprogramm Ost ist einzig und allein derBund gefordert, dringend notwendig gebotene Maß-nahmen für die jungen Länder durchzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, und zumInterview von Herrn Finanzminister, ich wiederhole nocheinmal, wenn der Bund sich zuerst zum Sonderpro-gramm Ost bekennt und konkrete Maßnahmen vorlegt,dann werden wir überlegen, welche Maßnahmen wirkofinanziert dazulegen müssen. Im Interesse der Bürgerunseres Landes sollten wir gemeinsam den Bund in diePflicht nehmen und nicht wie die SPD mit Ablen-kungsmanövern wie einem Nachtragshaushalt hier vondiesen wichtigen Maßnahmen ablenken. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es liegen keine weiteren Redewünsche mehr vor. FrauAbgeordnete Nitzpon.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Die PDS fragt, ob noch Redezeit durch die Zeit derMinister übrig wäre?

(Unruhe im Hause)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Nein, es ist keine Redezeit mehr zur Verfügung. Kann ichjetzt die Aussprache schließen? Das möchte ich nämlichtun. Ich schließe die Aussprache zu diesem Bericht indem Antrag in Drucksache 3/1377 und die Aussprache zumEntschließungsantrag in Drucksache 3/1423. Ich stellefest, dass das Berichtsersuchen zum Antrag in Druck-sache 3/1377 erfüllt ist, sofern es keinen Widerspruch gibt.Widerspruch gibt es nicht und damit ist das Berichts-ersuchen erfüllt.

Ich komme zur Abstimmung über den Entschließungs-antrag der Fraktion der SPD in Drucksache 3/1423.Ausschussüberweisung ist nicht beantragt worden?

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Doch, doch.)

(Zwischenruf Abg. Pidde, SPD: Wirtschafts-ausschuss)

Doch, Wirtschaftsausschuss. Herr Abgeordneter Lipp-mann, bitte.

Abgeordneter Lippmann, SPD:

Frau Vizepräsidentin, es ist Ihnen vielleicht entgangen,ich hatte in meiner Rede am Ende gesagt, wir wünscheneine Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft,Arbeit und Strukturpolitik, den Haushalts- und Finanz-ausschuss und den Innenausschuss.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3063

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik, denHaushalts- und Finanzausschuss und Innenausschuss. Dannwerden wir darüber abstimmen. Wer der Überweisungdieses Entschließungsantrags an den Ausschuss für Wirt-schaft, Arbeit und Strukturpolitik zustimmt, den bitteich um das Handzeichen. Das müssen wir mal zählen.Danke schön. Die Gegenstimmen? Die zählen wir jetztauch. Herr Böck, könnten Sie sich so melden, dass dasals Abstimmung gelten kann?

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Sie müssennicht meinen, dass ich vor dem Präsidium dieHände hebe.)

Danke schön. Mit einer Mehrheit von Gegenstimmen istdie Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft,Arbeit und Strukturpolitik abgelehnt.

Ich stimme nun über die Überweisung an den Haushalts-und Finanzausschuss ab. Wer diesem zustimmt, den bitteich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegen-stimmen bitte. Danke schön. Gibt es Stimmenthaltungen?Das ist nicht der Fall. Mit einer Mehrheit von Gegen-stimmen ist diese Überweisung abgelehnt.

Wer der Überweisung an den Innenausschuss zustimmt,den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön.Die Gegenstimmen? Danke schön. Gibt es hier Stimm-enthaltungen? Es gibt eine Stimmenthaltung. Mit einerMehrheit von Gegenstimmen ist der Überweisung anden Innenausschuss nicht zugestimmt worden.

Somit kommen wir nun zur Entscheidung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der SPD unmittelbar.Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich jetzt um dasHandzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte.Danke schön. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Das istnicht der Fall. Mit einer Mehrheit von Gegenstimmen istder Entschließungsantrag abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 5 und komme zumAufruf des Tagesordnungspunkts 6

Handlungserfordernis der Landesregie-rung zur Aufrechterhaltung derHandlungsfähigkeit der Aufgabenträgerim Bereich Wasser/AbwasserAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/1395 -

Die einreichende Fraktion hat Begründung durch HerrnAbgeordneten Schemmel beantragt.

Abgeordneter Schemmel, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,die Thüringer Kommunalpolitiker wenden sich nunmehrzu später Stunde wieder den irdischen Elementen zu:Feuer, Erde, Luft und Wasser, in diesem Fall nament-lich dem Letzteren, obwohl unter diesem Wassertopfnatürlich auch genug Feuer lodert.

(Beifall Abg. Gentzel, Abg. Dr. Schuchardt,SPD)

Zurzeit besteht bei den Aufgabenträgern weder die erfor-derliche Klarheit noch die zwingend notwendige Rechts-sicherheit zur Erfüllung ihrer Aufgaben und zur Erfüllungihrer Pflicht. Gleichzeitig sitzt den Aufgabenträgern dieVerjährungsfrist im Jahr 2002 im Nacken. Zu den Ein-zelheiten der Lage habe ich dann in meiner Rede aus-führlich Zeit, Stellung zu nehmen. Unsere Debatte unddie Arbeit des Innenministeriums muss heute oder sehrbald Klarheit schaffen, Rechtssicherheit herstellen, eineUnterstützung der Aufgabenträger ermöglichen und Mög-lichkeiten für effektivere Verbandsstrukturen aufzeigen.Dazu zeigt unser Antrag Wege und Instrumente auf, aberes dürfen auch andere Wege beschritten und In-strumente verwandt werden, wenn diese oben genanntenZiele erreicht werden können. Unsere Debatte darf zudiesem Thema nicht eine Debatte dieser drei Parteien indiesem Haus sein. Wenn die Debatte zielführend seinsoll, muss sie sich aus diesem Haus hinaus hin zu denAufgabenträgern öffnen. Herr Minister - nicht mehr an-wesend - Herr Staatssekretär, Sie und Ihr Minister sindjetzt als Partner der Kommumen und als obersterDienstherr der Kommunalaufsicht in der Pflicht. Wir unter-stützen Sie bei dieser Aufgabe gern, natürlich nichtIhretwillen, Herrn Köckert's willen, sondern wir unter-stützen Sie bei dieser Aufgabe gern im Interesse derAufgabenträger in unserem Lande. Alles andere kommtdann ausführlich.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Antrag. Zu Wort hatsich der Abgeordnete Fiedler, CDU-Fraktion, gemeldet.

Abgeordneter Fiedler, CDU:

(Unruhe bei der CDU)

Meine sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, die Frau Präsidentin hat einebesondere Vorliebe und Freude, dass ich immer zuerstdrankomme. Aber ich gehe mal davon aus, es wird hiervorn das Ganze ordentlich geordnet.

3064 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Meine Damen und Herren, die SPD hat uns diesen Antragheute hier zu dieser Plenartagung auf den Tisch gelegt:Handlungserfordernis der Landesregierung zur Auf-rechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Aufgaben-träger im Bereich Wasser/Abwasser.

Meine Damen und Herren, wir alle, die wir uns seit Jah-ren ja mit den Problemen Wasser und Abwasser imFreistaat Thüringen beschäftigen und uns damit schonbeschäftigt haben, wissen, dass diese Materie, denke ich,uns auch noch weitere Jahre begleiten wird. Ich kann imMoment, Herr Schemmel und die Kollegen der SPD-Fraktion, nicht erkennen, trotz des Urteils, das uns dasOberverwaltungsgericht vor kurzem hier auf den Tischgelegt hat, dass die Träger der Wasserversorgung undAbwasserentsorgung hier nicht handlungsfähig wären.Deswegen, denke ich, ist dieser Antrag überzogen. Ichglaube, wir sollten hier in bewährter Art und Weise, auchwenn natürlich die Opposition zeigen muss, dass sie sichfür die Belange hier mit einsetzen und diese Dinge voran-bringen wollen, das wollen wir gern gemeinsam tun.Wir wissen aber, dass es gerade bei Wasser und Abwasserauf keinen Fall mit Aktionismus oder mit Schnellschüssengetan ist. Ich war sehr dankbar, und deswegen suche ichimmer wieder auch das Verbindende und das Gemein-same, diese Dinge zu lösen, denn das betrifft fast alleBürgerinnen und Bürger in unserem Lande. Wenn esum Geld und Abgaben geht, da hört die Freundschaftauf. Hier sollten wir die Wege, die begonnen wurden,versuchen auch zu Ende zu bringen.

Ich war Teilen der SPD-Fraktion sehr dankbar, dass sie beider letzten Verlängerung, wo es um zwei Jahre Verlän-gerung ging, dieses noch einmal auf den Weg zubringen, sich dort nicht verweigert haben und den Weg,den wir alle einmal begonnen haben, auch jetzt mit weiterfortsetzen. Ich sage das ausdrücklich, weil ich der Meinungbin, auch das ist kein Thema, wo man die politischeAuseinandersetzung, ich sage einmal, übertreiben sollte.Es gehört natürlich zum normalen Geschäft, dass dieDinge natürlich auf den Tisch kommen.

Meine Damen und Herren, ich denke, dass das zuständigeMinisterium und die Landesregierung gezeigt hat, das istmeinen Kollegen und Kolleginnen im Innenausschuss jaeindeutig bekannt, dass hier entsprechende Dinge aufden Weg gebracht wurden, sprich die Prüfgruppen, diejetzt noch einmal eingesetzt wurden, die mit Landesgeldauf den Weg geschickt werden, um die Aufgabenträgerzu prüfen. Wenn ich hier einmal auf den ersten Punkt ein-gehen darf, bis zum 2. April 2001 - man möge auf dasDatum sehen, wann das dann ist - durch Vorlage eines Än-derungsgesetzes zum Thüringer Kommunalabgabengesetzsowie durch Vorlage von veränderten Mustersatzungendie Voraussetzungen für die Wiedererlangung derRechtssicherheit für die Aufgabenträger Bereich Wasserund Abwasser herzustellen.

Meine Damen und Herren, wir wissen erstens, dass dieÄnderung des Gesetzes an dem Punkt aus unserer Sichtnicht notwendig ist. Wir wissen aber, und da können wirdie Landesregierung nur ermuntern und bitten, dort werdenwir gemeinsam auch dranbleiben, dass hier ganz schnell dieentsprechenden Mustersatzungen her müssen. Auch dasist nicht so einfach, Herr Schemmel, Sie sind ja langegenug in der Rechtswissenschaft tätig gewesen, dass dasnicht über Nacht passiert und dass hier auch bei derletzten Mustersatzung gemeinsam mit den Verbändendies auf den Weg gebracht wurde und trotzdem hat sienicht Bestand gehabt. Ich denke also, hier kann es nicht umSchnelligkeit gehen, hier muss wirklich ganz exakt dasUrteil ausgewertet werden, hier muss daran gearbeitetwerden, dass eine Mustersatzung herauskommt, diedann auch Bestand hat. Ich meine, ich weiß auch,Kollege Dewes, vor Gericht und auf hoher See sind wir inGottes Hand, dass uns das immer wieder passieren kann,aber jetzt kann es nicht darum gehen, Schnellschlüssezu machen, sondern man muss das genau auswerten unddieses schnellstmöglich auf den Tisch bringen oder bis zum2. April 2001 eine fachliche Unterstützung und Beratungfür die Neuberechnung der Beiträge sicherzustellen.Manchmal habe ich den Eindruck, dass zu den Berichtenim Innenausschuss, wo die Landesregierung, zu jederInnenausschuss-Sitzung behandeln wir das Thema Wasserund Abwasser, berichtet, was eingeleitet ist, welche Frage-bögen verschickt werden, damit die Aufgabenträger wis-sen, um was es geht, Pilotprojekte, die in Gang gesetztwurden, dass entsprechend auch die Daten ausgewertetwerden können, dass diese Dinge alle im Gang sind unddass hier die Landesregierung weiß, um was es geht. Ichglaube, es wird keiner in dem Raum sein, der das auf dieleichte Schulter nimmt, dass auch hier diese Dinge schonlaufen, was Sie hier fordern.

Das Dritte, beginnend im April 2001, danach halbjähr-lich im Innenausschuss zu berichten, wie die Qualifizierungder Kommunalaufsicht zur fachlichen Unterstützung undBewertung der Aufgabenträger weiter fortgeschritten ist. Ja,meine Damen und Herren der SPD, ich will es überhauptnicht glauben, halbjährlich. Wir lassen uns jeden Monatoder wenn Ausschuss-Sitzung ist minutiös berichten, waslos ist. Das ist Dauerthema, Kollege Dewes kennt dasnoch, dass wir immer wieder ... - obwohl immer wieder dieLandesregierung das einmal gern runtergehabt hätten,egal wie sie hießen -, wir haben uns dort nicht insBoxhorn jagen lassen und haben gesagt, das bleibt drauf.Jetzt erst recht, jetzt wird hier mit aller Möglichkeitimmer wieder berichtet. Die Landesregierung berichtetsehr ausführlich, um diese Dinge uns auch darzustellen.Eigentlich ist es eine Verschlechterung, was Sie hierjetzt fordern, dass halbjährlich über diese Dingeberichtet werden soll. Ich kann den Weg nicht mitgehen,wir wollen zu jeder Sitzung wissen, gibt es neueErkenntnisse und wollen auch unsere Erfahrung dort in dieArbeit mit einbringen. Oder den Aufgabenträgern zuermöglichen, alle bis zum 31. Dezember 2002 erhobeneBeiträge auf 5 Jahre zinslos zu stunden und die Kosten

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3065

hierfür zu übernehmen. Wir haben dieses Thema ja inder Haushaltsberatung und allen ausgiebig auch beraten.Es gab auch in meiner Fraktion einige, die gern daszinslose Stundungsprogramm weiter gehabt hätten. Ichwill das ausdrücklich sagen, aber es ist entschieden, dassdieses zinslose Stundungsprogramm nicht mehr bestehtaber es gibt noch genügend andere Programme, die mitentsprechender Stundungsmöglichkeit hier mit herangezo-gen werden können. Ich glaube, das ist Ihnen auchbekannt und man sollte auch aus meiner Sicht nicht dieHoffnung, da bin ich nämlich jetzt wieder vorsichtig,bei den Bürgerinnen und Bürgern draußen nähren, dassman doch gegebenenfalls irgendwo in die Schublade greift,da holt man mal 50 oder 100 Mio. DM raus, heute habenwir schon einmal diskutiert, was für ein Sonderpro-gramm noch alles aufgelegt werden soll. Ich glaube, einbisschen Verantwortlichkeit in dem Falle, da sollten Sievielleicht einmal bei Herrn Eichel einen Kurs machen,dass er das Geld zusammenhält und nicht alles ausgibt.

Meine Damen und Herren, ich komme zum fünftenPunkt, in Auswertung der Überprüfung der Aufgaben-träger in der letzten Plenarsitzung vor der parlamenta-rischen Sommerpause ein Konzept zur Konsolidierungund Neustrukturierung der Zweckverbände vorzulegen.Ja, meine Damen und Herren, wollen Sie denn jetzt schonsagen, wie denn das Ergebnis sein soll, wo die jetzt geradeeinmal angefangen haben, Dinge zu erheben? Das ist dochschon wieder so ein Punkt, wo hier irgendwo suggeriertwird, dass man doch da jetzt ganz schnell - da setzen wireinmal einen Termin und wenn der Termin heran ist, dannbekommt man die Ergebnisse auf den Tisch. Wir wissendoch, dass die Landesregierung hier die entsprechendenDinge eingeleitet hat und dass wir, ich habe da über-haupt kein Problem, ich gehe sicher davon aus, dass dieLandesregierung uns, ob im Ausschuss oder im Plenum,wenn notwendig, entsprechend auch die Information dazugeben wird, wie man mit diesen ganzen Dingen umzu-gehen hat.

Ich will jetzt nicht auf alle Punkte Ihrer Begründungeingehen, Sie sagen dort, weil wir nun die Verlängerunggemacht haben und, und, und, ich lasse die Dinge jetzteinmal, damit es nicht ganz so ausführlich wird, die hatjeder gelesen und es weiß jeder, um was es dort geht,meine Damen und Herren, wir wissen, dass gerade jetztbei der schwierigen Situation, die durch das Urteil ent-standen ist, dass hier viel nachzuarbeiten ist, aber eines hatdas Urteil auch gebracht, das muss man auch einmalsagen, es hat zumindest jetzt für sehr viele Verbände dieRechtssicherheit gebracht, dass gerade jetzt die Verbände,die gegründet sind, so wie sie bekannt gemacht wurden,dass diese Dinge vom Tisch sind. Da werden sich vieleDinge, die gerichtsanhängig sind, jeweils erledigen. DieTiefenbegrenzung mit Innenbereich und Außenbereichund alles was in Frage steht, das muss jetzt an den Ein-zelfällen genau angeschaut werden, weil nämlich ein-fach jeder Fall hier fast anders ist und in jedem Verbandkann das anders sein, in einem Dorf kann es schon anders

sein. Ich denke, dass diese Dinge auch hier jetzt in dernächsten Zeit ganz aufmerksam mit allen Betroffenen zuklären sind. Betroffene sind natürlich in erster Linie dieVerbände. Auch die Verbände haben eine Verantwortung,die Auswertung des Urteils ist da, dass hier genaugeschaut werden muss, wo muss ich aussetzen, wo kannich aussetzen, wie gehe ich mit den Tiefenbegrenzungenum usw. usf. und weiterhin auch die Kommunalaufsichten.Auch die Kommunalaufsichten sind natürlich gefordert,dass sie sich mit dieser Materie auseinander setzen undauch entsprechend in ihren Bereichen Dinge dazu auf denWeg bringen, um sich damit zu beschäftigen. Nicht zuletztsind die die zuständigen Ministerien - wenn es um diekommunalaufsichtlichen Dinge geht, ist natürlich dasInnenministerium und wenn es um die fachlichen Dingegeht, das Umweltministerium - mit gefordert, dass auchhier entsprechende Handreichungen und Ähnliches pas-sieren. Es sind ja schon Anleitungen dort passiert, dasshier wirklich die Verbände informiert werden, die ent-sprechenden Aussagen dazu bekommen und dass hier auchjetzt nicht irgendwelche Schnellschlüsse auf diesemGebiet passieren. Ich glaube, meine Damen und Herren, esist dringendst notwendig, dass jetzt auch, wenn es nichtanders geht, und der ehemalige Minister weiß es und auchder jetzige Minister, wir haben immer in den Beratungenim Innenausschuss deutlich gemacht, wenn die kommu-nale Selbstverwaltung nicht mehr funktioniert, dann mussman gegebenenfalls unter bestimmten Umständen auch zuInstrumentarien greifen, dass man hier auch gesetzlichnachsteuert, gesetzlich nachsteuert in die Richtung, dassgegebenenfalls auch das Gesetz zur kommunalen Gemein-schaftsarbeit angepackt werden muss, wenn eben be-stimmte Verbände, ich nenne einmal zwei, einmal "Renn-steigwasser" und ich nenne einmal "Kahla", wo alsovielleicht nur wenige Gemeinden oder wenige Mitgliederdes Verbandes hier andere Wege gehen wollen undmeinen, sie können jetzt einmal sehr hoch pokern, dass siedann am Ende noch eine besonders gute Vergünstigungbekommen, dann denke ich, ist dieses nicht hinzu-nehmen. Gerade in diese Richtung weiß ich aus eigenenErfahrungen, dass natürlich versucht wird, auch hier, ichsage einmal, besondere Gelder noch abzuschöpfen. Aberwir dürfen nicht vergessen, das sind Steuergelder, diedas Land in die Hand nimmt. Wenn ich gerade an"Kahla" denke, sind 40 Mio. DM ...

(Frau Abgeordnete Wackernagel, CDU, zeigtauf ihre Uhr.)

Wieso? Drängt die Zeit? Mich drängt sie jetzt nicht. Dasist ein Thema, was mich bewegt, liebe Kollegin,

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: Sowar das nicht gemeint.)

wo ich schon noch drei Worte dazu verliere, auch wenn dereine oder andere zum Sportlerball will. Wer auch immer.Ich meine keinen speziell.

3066 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001

Mir ist das schon wichtig, dass es darum geht, dass man40 Mio. DM, ich nenne das Beispiel "Kahla", das Landin die Hand nimmt, weil sie sagen, es sind dort Fehlerpassiert in der Vergangenheit und das wollen wir hin-bekommen.

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: Dusollst es heilen.)

Wieso soll ich das heilen? Dafür gibt es eine Landesre-gierung, die das heilt, liebe Kollegin. Dafür ist die Lan-desregierung natürlich da und die versucht auch zu heilen.Wenn aber die, die geheilt werden sollen, sich nicht heilenlassen wollen, dann müssen wir nämlich die Heilung be-schleunigen und müssen gegebenenfalls ein Gesetz dazumachen, damit wir sie wirklich heilen können, und dasmit dem Steuergeld, was wir dort nur einmal ausgebenkönnen. Ich will nur damit noch einmal deutlich machen,dass z.B. in dem Verband, wo es so unterschiedlicheMeinungen gibt, man jetzt sagt, wir wollen nicht zu demZweckverband ZWA, wir wollen nach Jena. Wir wissenjetzt schon, wenn das das Land zulassen würde, würde dasnicht nur 40 Mio. DM kosten, da würde es 50 bis 60 Mio.DM kosten. Das kann doch wohl nicht Sinn und Zwecksein, dass wir das Geld zum Fenster herausschmeißen. Indiesem Kontext möchte ich das auch zu anderen Ver-bänden sehen. In Gotha und in anderen Verbänden sinddort schon einige Hilfsmaßnahmen passiert. Wir wissenalle, wir wollen damit zukunftsträchtige Verbände schaf-fen, die nicht alle Jahre wieder kommen und von uns, vomLand, Geld haben wollen. Das haben wir nämlich nicht.Wir müssen die Verbände so stark machen, dass sieauch zukunftsträchtig handeln können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich merke, dieUnruhe wird größer. Wir werden ja noch des Öfteren überdieses Thema reden. Ich - und das sage ich in RichtungSPD noch einmal ganz klar -, wir haben uns bisher nieverweigert, über die Dinge zu reden, die notwendig sind beiWasser und Abwasser. Wir haben selbst das teilweisekonfuse Kommunalabgabenentlastungsgesetz der PDSan den Ausschuss überwiesen. Frau Dr. Wildauer, Siewissen, wie das dort liegt und schlummert. Sie wissenselbst nicht so richtig, was Sie damit machen sollen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Wildauer, PDS:Was?)

(Unruhe bei der PDS)

Aber wir werden auch über dieses Thema weiterreden.Herr Kollege Schemmel und Herr Pohl und die Kolle-gen der SPD, wir schlagen Ihnen vor, obwohl wir, ich habedie Gründe dargelegt, das eigentlich ablehnen müssten,den Antrag an den Innenausschuss zu überweisen, umdort auch an der Materie noch weiterzuarbeiten, wieman dort damit umgehen kann. Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Der Sportlerball heute Abend ist übrigens der parlamen-tarische Abend des Landessportbundes, um das einmalrichtig zu stellen. Ich rufe als nächste Rednerin auf FrauAbgeordnete Dr. Wildauer, PDS-Fraktion.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mit diesemvorliegenden SPD-Antrag führen wir die im Januarbegonnene, im Innenausschuss auch permanent geführteDiskussion heute zu Fragen Wasser und Abwasser fort.Aus der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sindqualitativ neue Komplikationen entstanden. Sie sindauch aus Sicht der PDS keineswegs im Vorbeigehen zubeheben, aber durch Aussitzen und Zögerlichkeiten erstrecht nicht.

(Beifall bei der PDS)

Und so finde ich im Gegensatz zu Ihnen, Herr KollegeFiedler, es eigentlich ganz hilfreich, dass die SPD uns heutediesen Antrag gebracht hat, dass wir erneut zu diesenProblemen diskutieren können. Ich möchte sagen, warumich das für wichtig halte, dass der Antrag gekommen ist,weil uns doch eine ganze Reihe von Informationenvorliegen, dass es gegenwärtig gehäuft Probleme bei derErfüllung der Aufgaben im Innenministerium zum BereichWasser/Abwasser gibt. Ich hätte das ganz gern demInnenminister selbst gesagt, aber ich nenne einmal einigedieser Probleme. Kommunale Aufgabenträger erfahrenvom Innenminister nicht, wie sie in der gegenwärtigenSituation weiter verfahren sollen. Ihre Anfragen bleibenunbeantwortet. In Sonneborn hat der Minister das getan.Aber hunderte andere Anfragen liegen auf Eis. Der Mi-nister oder das Ministerium reagiert auf die zum Teilchaotische Situation entweder gar nicht oder viel zu spät.Im Bereich des Ilmenauer Zweckverbandes, das hattenwir schon einmal gesagt, wurden jetzt noch Bescheideauf der Grundlage der rechtswidrigen Satzung und Kal-kulation erteilt. Sie liegen uns vor, die kennt auch derInnenminister. Die Leiterin der Kommunalaufsicht desLandratsamtes Unstrut-Hainich soll sogar die gesetz-lichen Vertreter von Zweckverbänden aufgefordert haben,die Bescheidungen trotz der unsicheren Rechtslage fort-zuführen, und für den Fall, dass ihr nicht Folge geleistetwird, drohte sie dienstrechtliche und zivilrechtlicheMaßnahmen wie Schadensersatzforderungen an. Und Ähn-liches liegt auch aus dem Kreis Gotha vor. Aber noch mehrChaos, meine Damen und Herren, ist doch wohl kaumzu verkraften. Da der Innenminister im Januar sagte, erkönne sich nicht vorstellen, dass Bescheide auf rechts-widriger Grundlage erfolgen, fordere ich hiermit denInnenminister auf, im Interesse der Wähler sich doch mehrmit den Tatsachen und weniger mit Vorstellungen zubeschäftigen.

(Beifall bei der PDS)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3067

Meine Damen und Herren, natürlich ist die Situationkompliziert. Selbstverständlich gibt uns der Spruch desOberverwaltungsgerichts Nüsse aufzuknacken. Und wirbehaupten auch nicht, die PDS hätte sich bereits zwischenunterschiedlichen Varianten für eine endgültige Lösungentschieden. Es ist jedoch nicht nur möglich, sonderndringend notwendig, Bedingungen zu schaffen, mit denenüberhaupt eine solide und vernünftige Lösung gefundenwerden kann. Das ist nämlich kaum möglich, wenn dieKonflikte in den Gemeinden und Verbänden sich per-manent vertiefen. Deshalb, weil wir Ruhe, Zeit und einwenig Gelassenheit brauchen, hat die PDS bereits im Januarvorgeschlagen, die Bescheidungen befristet auszusetzen.In dieser Frist sollen die neue Rechtslage bewertet undmit allen Beteiligten mögliche Verfahrenswege abge-stimmt werden. Die Regierungsfraktion lehnte unserenVorschlag ab. Sie war der Meinung, das Innenministeriumund die Verbände würden ja schon arbeiten und lösen,was gelöst werden muss. Es mag ja nun sein, dass darangearbeitet wird. Aber einige Aufgabenträger verfahrenungerührt so, als hätte das OVG nie auch nur eine Silbezur Einbeziehung der Altanschlussnehmer in die Bei-tragserhebung gesprochen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Sind Sieim Innenausschuss nicht dabei, wenn wir dieSitzung machen?)

Meine Damen und Herren, wer soll denn das eines Tageskorrigieren? Und wie wollen Sie denn mit den Protestenund Verunsicherungen umgehen, die daraus entstehen?Und sie sind doch da. Es wäre Schaden für Bürger,Verbände und Kommunen zu vermeiden gewesen, wenndie Regierungsmehrheit im Landtag sich gleich ent-schlossen hätte, unserem Antrag zu folgen.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Hört, hört.)

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Name undHausnummer, dann ...)

Diesmal stimmt es aber ganz genau.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Und das seitJahren; haben Sie geschlafen?)

Wenn auch mit fast zwei Monaten Verspätung, der Innen-minister hat inzwischen mehrfach öffentlich Maßnahmenerwogen, die unseren damals vorgeschlagenen sehr nahekommen, und einige sind ja auch ganz identisch.Immerhin, besser spät als nie.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, den vorliegenden Antrag derSPD können wir schlecht ablehnen, er greift in abge-wandelter Form Vorschläge von uns auf. Es ist also

logisch, dass wir ihn im Grundsatz unterstützen. Aller-dings will die SPD nicht zum befristeten Beitragsstoppauffordern, das, wozu Kollege Fiedler eben auch ge-sprochen hat. Dies sei aus ihrer Sicht ein zu starker Eingriffin die kommunale Selbstverwaltung. Die PDS sieht undproblematisiert das etwas anders. Hier geht es doch darum,dass durch den Spruch des OVG zwei Werte in Kon-kurrenz geraten sind. Auf der einen Seite steht die kommu-nale Selbstverwaltung und auf der anderen steht dieRechtssicherheit. Einige kommunale Aufgabenträgerwollen die neue Rechtslage einfach nicht zur Kenntnisnehmen. Nun soll das hohe Haus ganz bewusst rechts-widrige Handlungen dulden. Natürlich handelt es sichhier um einen heiklen Wertekonflikt.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das darf garnicht sein.)

Und wie die SPD-Fraktion beabsichtigt auch die PDSnicht, die kommunale Selbstverwaltung zu untergraben.

(Beifall bei der PDS)

Aber sie sieht den Landtag eben auch in der Pflicht, fürVoraussetzungen zu sorgen, unter denen gesprochenesRecht greifen kann.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb halten wir es für sinnvoll, Aufforderungen zumbefristeten Beitragsstopp auszusprechen. Der Ministerhat das in der Innenausschuss-Sitzung auch dargelegtund er hat es auch in Sonneborn vor 500 verärgertenBürgern ausgesprochen, die nach seiner Aussage aber auchwirklich zufrieden nach Hause gegangen sind.

Meine Damen und Herren, Ihnen ist nicht neu, dass diePDS es wie die SPD auch für nötig hält, das ThüringerKommunalabgabengesetz zu novellieren. Wir haben dazubereits im September einen Vorschlag, einen Gesetz-entwurf vorgelegt, der liegt nun im Innenausschuss.Herr Kollege Fiedler, wenn Sie sagen, dass wir nichtwissen, wie wir damit umgehen sollen, dann ist das aberdirekt gelogen oder Sie haben ein Stückchen vergessen,was wir im Innenausschuss beschlossen haben. Wir habenbeschlossen oder es wurde beschlossen, da haben wirauch mitgestimmt, dass ein Gutachten dazu angefertigtwird. Und der Innenminister erklärte, dass er dies vor Endedes Sommers nicht machen kann. Also, es ist auf dielange Bank geschoben und ich wollte eigentlich daraufverzichten, das alles hier in aller Breite zu äußern; ichdenke, der Vorgang ist schlimm genug. Wir fordern ganzeinfach, dass unser Gesetzentwurf, in dem auch dieArbeit von Bürgern, von Verbänden und von Expertensteckt, in die jetzige Diskussion zum Kommunalab-gabengesetz mit einbezogen wird.

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Zurück zum SPD-Antrag: Verehrte Kolleginnen undKollegen der SPD, wir haben Probleme mit der Termin-setzung zu Ihrem Punkt 1. Es erscheint uns unmöglich,dass jemand bis zum 2. April ein Änderungsgesetz zumThüringer Kommunalabgabengesetz vorlegen kann. Wirhatten im Januar vorgeschlagen, dass die Landesregie-rung den Landtag bis zum 18. Mai darüber informierenmöchte, welche Folgen für die Gesetzgebung aus der neuenRechtslage entstehen. Wir halten nach wie vor diesenZeitrahmen für realistischer. Vielleicht sehen Sie sich auchzu einer Änderung diesbezüglich in der Lage. Nach derneuen Rechtslage im Zusammenhang mit dem OVG-Urteil, die im September letzten Jahres ja noch nichtbekannt war, muss selbst unser Entwurf für das Kommu-nalabgabenentlastungsgesetz diesbezüglich geändert wer-den. Natürlich muss eine erneute Novellierung desThüringer Kommunalabgabengesetzes so erfolgen, dassanschließend tatsächlich Rechtssicherheit besteht. Fürdie nötige Gründlichkeit sollten wir uns auch alle Zeiteinräumen.

Meine Damen und Herren, die SPD verlangt für dieNeuberechnung der Beiträge fachliche Beratung undUnterstützung, das ist nötig. CDU und Landesregierungkönnen dies kaum in Abrede stellen. Die Frage ist nur,wie das aussehen soll. Und ich wiederhole jetzt dazuden Vorschlag oder die Vorschläge, die wir im Januar, zumTeil noch früher, unterbreitet haben. Also beim Innen-ministerium, das war einer unserer Vorschläge, sollte eineArbeitsgruppe gebildet werden, darin sollten auch der Thü-ringer Gemeinde- und Städtebund sowie die Bürger-allianz mitarbeiten. Damit säßen alle Beteiligten an einemTisch und es würde mehr erreicht als nur ein symbo-lischer Akt. Das war der eine Vorschlag und ich halte ihnnach wie vor für machbar und außerdem sind Vorgabenfür die Kalkulation von Gebühren und Beiträgen not-wendig. Letzteres verlangen wir seit 1995. Nachdemwir mehrfach ins Leere mit dieser Forderung liefen undzum Teil belächelt wurden, freut es uns natürlich, dass esinzwischen seitens des Innenministeriums solch eineRichtlinie gibt, auch wenn sie gegenwärtig überarbeitetwerden muss. Trotzdem will ich hier feststellen, dass ver-mutlich mancher Schaden zu vermeiden gewesen wäre,wenn der Herr Innenminister nicht so lange mit dieserRichtlinie gewartet hätte.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Frage von HerrnAbgeordneten Böck?

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Ja.

Abgeordneter Böck, CDU:

Frau Dr. Wildauer, wenn Sie von der Novellierung vonKommunalgesetzen sprechen, meinen Sie sicher nicht

das Kommunalabgabengesetz, sondern das Gesetz überkommunale Gemeinschaftsarbeit, denn dann wären wiruns einig.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Herr Böck, ich kann sagen, dass sowohl das Gesetz überkommunale Gemeinschaftsarbeit geändert werden mussals auch das Thüringer Kommunalabgabengesetz, undzwar in verschiedenen Positionen. Aber das möchte ichjetzt mit Ihnen nicht in allen Einzelheiten diskutieren.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Gestatten Sie eine weitere Anfrage?

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Nein, jetzt nicht.

Abgeordneter Böck, CDU:

Frau Dr. Wildauer, es ist nur eine Bitte.

(Unruhe im Hause)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Böck, nein.

Abgeordneter Böck, CDU:

Nein? Schade!

(Unruhe im Hause)

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Nein, jetzt nicht mehr. Ich meine, dass wir den Gesamt-komplex, der auf Thüringer Kommunalabgaben zutrifft,dass es Bürgern, Kommunen und dem Land besserbekommen wäre, wenn hier im hohen Hause zu sach-politischen Fragen auch sachpolitisch gedacht und ent-schieden würde, statt parteipolitisch zu lavieren. Dannwäre nämlich mancher PDS-Vorschlag ohne Verspätungzum Tragen gekommen. Heute sollte jedenfalls geklärtwerden, wie die fachliche Unterstützung und Beratungbei der Neuberechnung von Beiträgen konkret aussehensoll. Wir erwarten die sachpolitischen Absichten desInnenministeriums zu erfahren.

Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion hält denVorschlag der SPD-Fraktion für einen Rechtsanspruch aufzinslose Stundung von Beiträgen für vernünftig, womitwir allerdings nicht von unserer früher geäußertenKritik abrücken, die sich auf die Rahmenbedingungen,wie z.B. Schuldanerkenntnis, bezog. Den Rechtsanspruch

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 39. Sitzung, 15. März 2001 3069

an sich, wie gesagt, halten wir für vernünftig und wirhaben auch in der Haushaltsdiskussion einen entsprechen-den Finanzierungsantrag unterbreitet. Er ist Ihnenbekannt. Daraus entstehen natürlich dem Land Kosten, zu-sätzliche Ausgaben. Aber andererseits ist wohl realistischzu erwarten, dass sich die Finanzsituation der Aufgaben-träger durch kalkulierbare Beitragseinnahmen stabilisiert.Es wäre also nicht nur politisch, sondern auch fiskalischkurzsichtig, den hier vorliegenden Vorschlag der SPD-Fraktion abzulehnen. Ich fordere die CDU auf, hierperspektivisch zu denken und die Wechselwirkungenzwischen den Kommunen und dem Land im Auge zubehalten. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Als nächster Redner hat sich der Abgeordnete Schemmel,SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Schemmel, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, so leicht, wie Sie es darstellen, Herr Fiedler, istdie Lage nun wirklich nicht. Ich will auch bloß zur Lagesprechen und nicht zu dem Antrag selbst. Und ich habeauch keine Lust mich über den 2. April zu streiten, feststeht, es ist Gefahr im Verzuge und es muss so schnellwie möglich gehandelt werden und da setze ich aucheine ganze Menge Hoffnung in das Innenministerium,

(Beifall bei der SPD)

dass gehandelt werden wird. Aber es kann doch niemandsagen, dass es nun - die Situation wäre ein bisschenschwierig, nun haben wir ein bisschen Zeit, nun schauenwir mal, so ist doch die Lage wirklich nicht.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das hataber niemand gesagt.)

Sie haben gesagt, es liegt das Urteil des Oberverwal-tungsgerichts vor und da gibt es eine Regelung, da mussman mal nachdenken und wir prüfen - ich will Ihnenzumindest, ich sage mal, aufzeigen, was sich im letztenJahr alles an Veränderungen getan hat und was natürlichauch schon als Veränderung an sich zu gewissen Verun-sicherungen führen muss in den Kommunen bei denAufgabenträgern. Das ist erstens die Novellierung desKommunalabgabengesetzes vom 18. Juli 2000. Sie wissen,da finden sich drei ...

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU)

Wir sollten uns, ich sage mal, alle gegenseitig eigentlichversprechen, das Gesetz höchstens noch einmal zu no-vellieren, nämlich, um es zu korrigieren, und wir solltenjeden Abend das Oberverwaltungsgericht in unser Gebet

einschließen, dass es so wenig wie möglich Sprüche nochdazu bringt.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das warein guter Spruch!)

So, das heißt also, ich bin eigentlich im Prinzip gegen jedeweitere Änderung des KAG, außer der zur weiteren Rich-tigstellung, die aus unserer Sicht notwendig erscheint. Aberich will noch mal zu dieser Gemengelage, die entstandenist und die die Aufgabenträger, das wissen Sie wohl, dochetwas mehr belastet. Da ist erstmal die Novellierungvom 18. Juli 2000. Dort fielen diese zinslosen Beitrags-stundungen weg und es ist nicht nur zu beklagen, dassdiese weggefallen sind für die einzelnen Beitragszahler,die Hilfen, sondern dort war ja auch ein Instrument drin,Sie erinnern sich, das eigentlich zur Zahlung milden Zwangausgeübt hat, indem natürlich dort diese zinslose Stun-dung erst griff, wenn die Beitragsschuld bestandskräftigwar. Das heißt, das war doch ein wunderschönes Instru-ment, um die Leute zum Zahlen auch so richtig zu be-wegen. Dann steht in dem, was wir am 18. Juli 2000geändert haben, in § 7 Abs. 2 etwas, was dem Urteil desOVG gerade gegenübersteht, nämlich, dass Tiefen-begrenzungen für alle unbeplanten Grundstücke möglichsind. Das steht jetzt im Gesetz. Das widerspricht abergenau dem OVG-Urteil. Und dann sind in diesem Gesetz,noch nicht mal ein Jahr her, in § 7 b einige sporadischezinslose Stundungsmöglichkeiten zusammengefasst wor-den und diese, das wissen Sie auch alle, ins Ermessender Kommunen gestellt und zulasten der Kommunen.Das war die erste Wurzel, wo es Veränderungen und mitden Veränderungen natürlich auch ein paar Verunsiche-rungen brachte.

Die zweite Wurzel ist die zu späte Orientierung auf dieEinbeziehung der Grundstücke mit Altanschlüssen. Siewissen, dass diese Orientierung genau dann erfolgte, alsgerade die Verjährungsfrist ablaufen wollte, und indiese ablaufende Verjährungsfrist, wo die Leute jetzteigentlich ihre Bescheide nur noch schnell rausschickenwollten, fiel genau diese Neuorientierung auf die Alt-anschlüsse und viele Verbände hatten diese Altanschlüssenicht mit drin, die Grundstücke mit Altanschlüssen, inihrer Globalrechnung. Und das war natürlich auch allesetwas, was den Leuten auf die Füße gefallen ist, nun tunSie doch nicht so, als wenn das nichts wäre. Dann kamdie Verlängerung der Verjährungsfrist damals und das istunabhängig, ob die SPD damals mit dafür gestimmt hatoder in Teilen, aber sie kam, und dies war eine neueÄnderung, in dem was einige Verbände vor sich hattenoder was einige Beitragszahler erwarteten. Und dann kamnatürlich auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts,was auch einiges positiv richtig stellt, was aber bei derTiefenbegrenzung der bisherigen Gesetzeslage wider-sprach und natürlich fast alle Verbände zwingt, dieGlobalrechnung neu zu erstellen. Auch wenn der Pro-zentsatz der Grundstücksfläche, die betroffen ist, vielleichtnur 1, 2, 3 Prozent je nach Gefüge, je nach Struktur des

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Verbandes, ergibt. Dann ist noch diese für mich unseligeDiskussion, wo man versucht, selbst eine Verlagerung derInvestitionskosten prinzipiell von den Beiträgen hin zu denGebühren zu erreichen. Diese Diskussion, das wissenSie, die läuft auch in vielen Verbänden. Und erstmal gibtes auch dort bestandskräftige Urteile, die muss man denKommunen natürlich mal erläutern, nicht dass wiederjeder kommt, in Erfurt wird das so gemacht und dannmache ich es jetzt in Posemuckel auch so. Bloß Erfurthat eine ganz andere Struktur, für Erfurt ist diesesermöglicht, weil dort, ich sage mal, die Verlagerung dergesamten Investitionskosten auf die Gebühren einenbestimmten Rahmen nicht übersteigt, da gibt es Urteilevon Verfassungsgerichten oder Oberverwaltungsgerichten,ich habe es dort liegen, ist ja auch egal, aber auch füruns gültige Urteile. Das heißt, diese Diskussion müssenwir auch noch führen und dort müssen wir auch denVerbänden die Grenze aufzeigen und ich muss Ihnensagen, an dieser Diskussion muss ich auch nochfestmachen, was wollen wir überhaupt auf dem Gebiet.Ich möchte nicht, dass die Investitionen grundsätzlichauf die Gebühren umgelegt werden, weil dieses ....

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU)

Was sagen Sie denn da? Das wird von vielen favorisiertjetzt, von denen, die die Interessen der Grundstücks-eigentümer usw. vertreten. Ich will aber an dieser Stelle- ich denke, es geht Ihnen auch so, aber für uns als Sozial-demokraten ist das besonders wichtig -, wir wollennatürlich an dieser Stelle auch die Mieter sehen und wirwollen uns nicht grundsätzlich zu Interessenvertretern derHausgrundbesitzer machen lassen. Wir wollen die auchnicht besonders schlecht stellen, das ist nicht unsereAbsicht, aber wir wollen Gerechtigkeit an diesem Punktherbeiführen. Das heißt, ich habe das jetzt mal nur kur-sorisch gesagt, es gibt noch viel mehr. Es gibt eine ganzeMenge, an zwei Händen abzuzählende Änderungen in derletzten Zeit, Änderungen bringen bei so einer diffizilenArbeit Verunsicherung und diese Sachen müssen endgültigbereinigt werden. Da hat die Regierung Hausaufgabenzu erledigen, und zwar schnell. Und wenn die nicht am 2.April erledigt sind, sondern am 3. April, dann wird das derSPD-Fraktion völlig egal sein, aber es muss schnellpassieren, weil die Verjährungsfrist im Raum steht. Wiegesagt, dazu bieten wir unsere Unterstützung an und wirsollten uns zusammenraufen im Innenausschuss, wie wir esimmer gemacht haben, und diese Sachen so schnell alsmöglich in Angriff nehmen, das Ministerium unterstüt-zen, das Ministerium ermutigen, auch diese Sache soschnell wie möglich anzufassen. Wiewohl ich natürlichweiß, dass diese Sachen im Ministerium auch allebekannt sind; Herr Scherer wird uns das gleich berich-ten, wie weit das Ministerium schon vorgeprellt ist,aber, ich denke, es ist noch genug da, damit es unterunserer Kontrolle bleiben muss. Danke.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung Staatssekretär Scherer.

Scherer, Staatssekretär:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordne-ten, der vorliegende Antrag der Fraktion der SPD trägtden Titel "Handlungserfordernis der Landesregierung zurAufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Aufgaben-träger im Bereich Wasser/Abwasser". Wer die regelmäßigeUnterrichtung des Innenausschusses verfolgt, kann er-kennen, dass die Landesregierung die hier angesprochenenProbleme längst aufgegriffen hat und an deren Lösungauch arbeitet. Erst in der vergangenen Innenausschuss-Sitzung hat der Innenminister ausführlich über dieeingeleiteten Maßnahmen berichtet. Von einem Aus-sitzen kann hier ganz sicher nicht die Rede sein und auchnicht davon, dass etwas auf die lange Bank geschobenwird. Bevor ich auf die einzelnen Antragspunkte eingehe,will ich darauf hinweisen, dass die Landesregierung bereitsumfangreiche Maßnahmen eingeleitet hat, um zum einendie Aufgabenträger bei der Umsetzung der neuestenobergerichtlichen Rechtsprechung zu unterstützen und zumanderen zur weiteren Konsolidierung der kommunalenAufgabenträger der Wasserversorgung und Abwasser-entsorgung beizutragen. Diese Unterstützung beschränktsich nicht auf die Überarbeitung von Satzungsmustern.Sie umfasst in diesem und im kommenden Jahr dieflächendeckende Überprüfung und Beratung der Auf-gabenträger. Bereits ab April 2001, insofern halten wirdas Datum, wird die Prüfung vor Ort beginnen. Zurzeitlaufen die letzten Vorbereitungen.

Lassen Sie mich jetzt auf die im Antrag der Fraktion derSPD angesprochenen Einzelpunkte noch eingehen. DieSPD fordert ein Änderungsgesetz zum Thüringer Kommu-nalabgabengesetz und veränderte Mustersatzungen. Umwelche Änderungen des Thüringer Kommunalabgaben-gesetzes es sich dabei im Einzelnen handeln soll, wirdnicht gesagt. Wenn es sich bei der geforderten Über-arbeitung der Satzungsmuster des Thüringer Innenmi-nisteriums um eine Reaktion auf die Rechtsprechung desThüringer Oberverwaltungsgerichts handeln soll, kannich Ihnen mitteilen, dass wir die Regelungen zurzeit über-arbeiten und uns in Kürze mit den kommunalen Spitzen-verbänden abstimmen. Ich meine sogar, der Brief wäreschon draußen. Es ist für mich selbstverständlich, denAufgabenträgern zeitnah einen Formulierungsvorschlagzur Überarbeitung der Beitragssatzungen an die Hand zugeben. Die zweite Forderung des Antrags zielt darauf,bis zum 2. April zudem eine fachliche Unterstützung undBeratung für die Neuberechnung der Beiträge sicherzu-stellen. Zunächst gehe ich davon aus, dass die Auf-gabenträger über fachlich qualifiziertes Personal verfügen,Personal, das im Stande ist, bei geklärter Rechtslage dieBeiträge zu berechnen. Unabhängig davon werden wir,wie bereits mehrfach dargelegt wurde, ab April diesesJahres alle kommunalen Aufgabenträger der Wasserver-

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sorgung und Abwasserentsorgung vor Ort überprüfen.Unser Ziel ist es, bei den Aufgabenträgern sowohl diesatzungsrechtlichen als auch die kalkulatorischen Grund-lagen der Abgabenerhebung zu prüfen. Dabei werden wirselbstverständlich die aktuelle Rechtsprechung desThüringer Oberverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit derTiefenbegrenzung auch berücksichtigen und ebenso dieFrage, inwieweit so genannte Altanschlussnehmer undso genannte Altanlagen bei der Abgabenerhebung nocheinzubeziehen sind.

In diesem Zusammenhang will ich auch gern auf dieFrage eingehen, wie die dritte Forderung des Antrags zubewerten ist. Die Überprüfung der Aufgabenträger dientnatürlich auch der fachlichen Unterstützung dieser Auf-gabenträger, wo dies trotz der Pflicht, fachlich qualifi-ziertes Personal vorzuhalten, erforderlich sein sollte. DieseÜberprüfungen werden in enger Zusammenarbeit mitder zuständigen Kommunalaufsichtsbehörde durchgeführt,um eine nahtlose Umsetzung der im Rahmen der Über-prüfung festgestellten Maßnahmen zu ermöglichen, unddas ist nicht nur ein symbolischer Akt.

Schließlich fordert die Fraktion der SPD unter Punkt 4eine Vorgehensweise, die wir allerdings schon im ver-gangenen Jahr beendet haben, die zinslose Stundung -Herr Abgeordneter Fiedler hat bereits darauf hingewiesen -aller bis zum 31. Dezember 2002 erhobenen Beiträgeüber fünf Jahre sowie die damit zusammenhängendeKostenübernahme durch das Land. Die Umsetzung dieserForderung würde aus meiner Sicht einen Rückschritt be-deuten, denn mit dem Gesetz zur Änderung des Thü-ringer Kommunalabgabengesetzes und zur Einführungvon Verbraucherbeiräten hat der Gesetzgeber Stun-dungsmöglichkeiten bereits geschaffen, und zwar solche,die den konkreten persönlichen Verhältnissen der ein-zelnen Beitragspflichtigen gerecht werden. Wir habenbereits ein abgestuftes System von Stundungsmöglich-keiten, welches es den Aufgabenträgern ermöglicht, Bei-träge entsprechend der finanziellen Verhältnisse der ein-zelnen Beitragspflichtigen und unter Berücksichtigung derbesonderen Nutzung der einzelnen Grundstücke zu stunden.Der vorliegende Vorschlag hingegen führt wieder zu einerGewährung von Landesmitteln, unabhängig von den tat-sächlichen finanziellen Bedürfnissen der betroffenenBürgerinnen und Bürger. Im Übrigen löst eine wiedereingeführte Regelung der zinslosen Stundung für allenicht die jetzt vor uns stehenden Probleme.

Und schließlich die letzte Forderung - die Landesregie-rung soll in Auswertung der Überprüfung der Aufga-benträger in der letzten Plenarsitzung vor der Sommer-pause ein Konzept zur Konsolidierung und Neustruktu-rierung der Zweckverbände vorlegen. An dieser Stellesollten wir uns bewusst machen, was diese Forderunggenau bedeutet. Innerhalb von drei Monaten sollen alleAufgabenträger überprüft, die Ergebnisse ausgewertetund ein Konzept zur Konsolidierung und Neustrukturie-rung der Zweckverbände vorgelegt werden. Ihre aus dem

Vorschlag sprechende Einsicht, dass wir sehr leistungs-fähig sind, freut mich, doch ist dies bei seriösem Arbeiten -und daran ist uns gelegen - nicht zu schaffen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben derzeit in Thüringen ca. 185 Aufgabenträgerder Wasserver- und -entsorgung. Ein Team von Mit-arbeitern mit juristischen und auch betriebswirtschaft-lichen Kenntnissen wird die Aufgabenträger aufsuchenund gemeinsam mit der zuständigen Kommunalaufsichtdie Satzungen prüfen und die Aufgabenträger im Hinblickauf die Erhebung von Gebühren und Beiträgen auchberaten. Das alles ist ein einmaliges Großprojekt; es istkein Vorhaben, welches innerhalb weniger Wochen zubewältigen ist, jedenfalls nicht, wenn man seriöseErgebnisse erzielen will.

(Beifall bei der CDU)

Nach den Erfahrungen, die wir mit unserem Pilotprojektgemacht haben, ist es realistischerweise unmöglich, dieÜberprüfung der Aufgabenträger vor Ende April 2002abzuschließen.

Und ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhanganzusprechen. Ziel der Überprüfung der kommunalenAufgabenträger ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben imSinne der Subsidiarität. Keineswegs geht es darum, diekommunale Selbstverwaltung im Bereich Wasser/Ab-wasser einzuschränken. Diesen Eindruck erweckt jedochder vorliegende Antrag. Hier wird von der Landesre-gierung unter anderem verlangt, ein Konzept zur Neu-strukturierung der Zweckverbände vorzulegen. Doch wenndie geforderte Neustrukturierung kein Selbstzweck seinsoll, kann sie sich nur auf jene Aufgabenträger beziehen,die unbefriedigend arbeiten, und dies ist keinesfalls beiallen 185 Aufgabenträgern der Fall.

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen darf ich hier an etwas erinnern: Gemäß § 16Abs. 1 des Gesetzes über die kommunale Gemeinschafts-arbeit können Gemeinden und Landkreise sich zu Zweck-verbänden zusammenschließen. Somit ist es zunächstAufgabe der kommunalen Selbstverwaltung, sich Ge-danken über die Struktur der Zweckverbände zu machen.Hierbei werden wir sie natürlich auf vielfältige Weisedurch die Landesregierung unterstützen. Ich möchte andieser Stelle nur die Förderung von Strukturkonsoli-dierungskonzepten durch das Thüringer Innenministeriumund das Strukturhilfeprogramm des Umweltministeriumsnennen. Bei den Problemen, die wir auch haben, sindwir uns sicher darin einig, dass über die Beratung durchdie Kommunalaufsichtsbehörden hinaus kommunalauf-sichtliche Maßnahmen wie Pflichtmitgliedschaften ein-zelner Gemeinden und die Bildung von Pflichtverbän-den erforderlich werden können, um bestimmten Ge-meinden und Zweckverbänden einen guten Weg zu

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weisen. In diesem Zusammenhang ist auch eine Über-arbeitung des Gesetzes über die kommunale Gemein-schaftsarbeit erforderlich, um die rechtlichen Möglich-keiten für die Kommunalaufsichtsbehörden handhabbarerund effektiver zu gestalten. Dies gilt insbesondere fürdie Fälle, in denen freiwillige Strukturveränderungen andem entgegenstehenden Willen einer Minderheit scheitern,obwohl solche Veränderungen sowohl für die beteiligtenGemeinden als auch für die Abgabenpflichtigen eine posi-tive Entwicklung mit sich brächten. Und genau in diesenFällen macht sich die Landesregierung in Zusammen-arbeit mit den betroffenen Gemeinden und Zweckver-bänden Gedanken, wie die Struktur der Zweckverbändezu gestalten ist und wie wir vorgehen müssen, um diesesZiel zu erreichen.

Insgesamt bleibt festzustellen: Die Landesregierung hatbereits die erforderlichen Maßnahmen zur Unter-stützung der kommunalen Aufgabenträger bei der weite-ren Konsolidierung eingeleitet. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es liegen keine weiteren Redemeldungen mehr vor. HerrAbgeordneter Fiedler, ich muss einmal fragen: War IhrRedebeitrag vorhin so zu verstehen, dass es eineAusschussüberweisung geben soll?

(Zuruf Abg. Fiedler, CDU: Frau Präsidentin,ich nehme an, dass Sie aufmerksam zugehörthaben. Ich kann das sehr wohl bestätigen.)

Herr Abgeordneter Fiedler, ich wollte nur noch einmalzurückfragen. Sie haben eine Ausschussüberweisung anden Innenausschuss beantragt.

Wer der Überweisung an den Innenausschuss zustimmt,den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Dasist die Mehrheit. Gibt es Gegenstimmen? Die gibt es nicht.Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist auch nicht der Fall.So wird eine Beratung dieses Antrags im Innenausschussfortgesetzt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 6 und den heutigenPlenarsitzungstag und wünsche viel Spaß und Unterhal-tung beim parlamentarischen Abend des Landessport-bundes.

E n d e d e r S i t z u n g : 20.02 Uhr