3
MetroZones: Urban Prayers 07.12.2011 Glaube im urbanen Raum - neue Formen religiösen Lebens in der Stadt Der Sammelband Urban Prayers schließt eine klaffende Lücke in der Stadtforschung: neue religiöse Bewegungen und Organisationen. JOSEF BORDAT über die unvoreingenommenen und informativen Beiträge zur Beschreibung der Rolle von Religion in der globalisierten Gesellschaft. Dass klassische religiöse Systeme wie etwa die Kirchen als Organisationen und Institutionen des christlichen Glaubens heute in der westlichen Welt mehr denn je infrage stehen, bedeutet nicht, dass der Glaube selbst keine Rolle mehr für das Leben der Menschen spielt. Als individualisierte Patchwork-Religiosität oder als Spiritualität in freier, »undogmatischer« Form lebt der Glaube weiter. Diese individualisierte Religion führt aber nicht per se zu einer »Privatisierung des Glaubens«. Vielmehr bilden sich neue Formen von freien Gruppen und Gemeinden, die den Glauben in die Öffentlichkeit tragen. Religion in der Stadt Sichtbar ist das vor allem in den Städten. Neue religiöse Bewegungen und Organisationen spielen dort eine immer wichtigere Rolle, nicht nur im sozial-karitativen Bereich, sondern auch hinsichtlich klassischer Staatsaufgaben wie Wohnungs- und Siedlungsbau. In einigen Regionen sind religiöse Bewegungen Teil der Kommunalregierung und nehmen damit Einfluss auf die öffentliche Verwaltung. Religion als sozio-politischer Akteur – diesem Phänomen sind die Autoren des Sammelbands auf der Spur. Yasmeen Arif, Asef Bayat, Patrícia Birman, Enrique Dussel, Julia Eckert, Delwar Hussain, Leo Penta, Werner Schiffauer, Pablo Semán, Klaus Teschner und Asonzeh Ukah skizzieren in Regionalstudien und anhand von Fallbeispielen die Bedeutung der Religion für die Soziologie und Ökonomie der Großstadt. Ob die Pfingstbewegung in Lateinamerika und Afrika, Islamisten in Kairo, Teheran und London[sic!], Hindu-Nationalisten in Mumbai oder religiöse Gemeinschaften in Berlin – überall zeigt sich der große Einfluss von Religion in ihrer nicht- oder nur schwach institutionalisierten Form oder aber dann, wenn sie für konkrete politische Zwecke instrumentalisiert wird. Eine Forschungslücke erkannt und geschlossen Die Autorinnen und Autoren kommen mehrheitlich aus der Stadtforschung (Soziologie, Ethnologie, Anthropologie) und betrachten das Spannungsfeld von urbanem Raum und neuer Religion damit vom Phänomen »Stadt« aus. Von dort erschließen sie die Religion als Möglichkeit sozialer Organisation. Das stößt methodisch an Grenzen, weil sich religiöse Gruppen nie gänzlich auf ihre äußere Form und deren Bedeutung im urbanen Beziehungsgefüge von öffentlich-staatlichen und privat-zivilgesellschaftlichen Akteuren reduzieren lassen, schließt aber dennoch eine Suchen Suchen Suchen Suchen

Titel-Magazin: Glaube im urbanen Raum - neue Formen religiösen Lebens in der Stadt

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Book review on Metrozones (Ed.): Urban Prayers. Neue religiöses Bewegungen in der globalen Stadt. Berlin/Hamburg: Verlag Assoziation A 2011.

Citation preview

Page 1: Titel-Magazin: Glaube im urbanen Raum - neue Formen religiösen Lebens in der Stadt

MetroZones: Urban Prayers

07.12.2011

Glaube im urbanen Raum - neueFormen religiösen Lebens in derStadt

Der Sammelband Urban Prayers schließt eine klaffende

Lücke in der Stadtforschung: neue religiöse Bewegungen

und Organisationen. JOSEF BORDAT über die

unvoreingenommenen und informativen Beiträge zur

Beschreibung der Rolle von Religion in der globalisierten

Gesellschaft.

Dass klassische religiöse Systeme wie etwa die Kirchen als Organisationen und Institutionen des

christlichen Glaubens heute in der westlichen Welt mehr denn je infrage stehen, bedeutet nicht,

dass der Glaube selbst keine Rolle mehr für das Leben der Menschen spielt. Als individualisierte

Patchwork-Religiosität oder als Spiritualität in freier, »undogmatischer« Form lebt der Glaube weiter.

Diese individualisierte Religion führt aber nicht per se zu einer »Privatisierung des Glaubens«.

Vielmehr bilden sich neue Formen von freien Gruppen und Gemeinden, die den Glauben in die

Öffentlichkeit tragen.

Religion in der Stadt

Sichtbar ist das vor allem in den Städten. Neue religiöse Bewegungen und Organisationen spielen

dort eine immer wichtigere Rolle, nicht nur im sozial-karitativen Bereich, sondern auch hinsichtlich

klassischer Staatsaufgaben wie Wohnungs- und Siedlungsbau. In einigen Regionen sind religiöse

Bewegungen Teil der Kommunalregierung und nehmen damit Einfluss auf die öffentliche

Verwaltung.

Religion als sozio-politischer Akteur – diesem Phänomen sind die Autoren des Sammelbands auf

der Spur. Yasmeen Arif, Asef Bayat, Patrícia Birman, Enrique Dussel, Julia Eckert, Delwar Hussain,

Leo Penta, Werner Schiffauer, Pablo Semán, Klaus Teschner und Asonzeh Ukah skizzieren in

Regionalstudien und anhand von Fallbeispielen die Bedeutung der Religion für die Soziologie und

Ökonomie der Großstadt. Ob die Pfingstbewegung in Lateinamerika und Afrika, Islamisten in Kairo,

Teheran und London[sic!], Hindu-Nationalisten in Mumbai oder religiöse Gemeinschaften in Berlin –

überall zeigt sich der große Einfluss von Religion in ihrer nicht- oder nur schwach

institutionalisierten Form oder aber dann, wenn sie für konkrete politische Zwecke instrumentalisiert

wird.

Eine Forschungslücke erkannt und geschlossen

Die Autorinnen und Autoren kommen mehrheitlich aus der Stadtforschung (Soziologie, Ethnologie,

Anthropologie) und betrachten das Spannungsfeld von urbanem Raum und neuer Religion damit

vom Phänomen »Stadt« aus. Von dort erschließen sie die Religion als Möglichkeit sozialer

Organisation. Das stößt methodisch an Grenzen, weil sich religiöse Gruppen nie gänzlich auf ihre

äußere Form und deren Bedeutung im urbanen Beziehungsgefüge von öffentlich-staatlichen und

privat-zivilgesellschaftlichen Akteuren reduzieren lassen, schließt aber dennoch eine

SuchenSuchenSuchenSuchen

Page 2: Titel-Magazin: Glaube im urbanen Raum - neue Formen religiösen Lebens in der Stadt

| |

Forschungslücke, denn trotz ihrer unübersehbaren Bedeutung stellen die neuen religiösen

Gemeinschaften in der Stadt ein Desiderat der wissenschaftlichen Arbeit dar. Bislang werden sie

entweder ignoriert oder aber in einseitig ideologisierten Diskursen als Gefahr für die Demokratie

aufgefasst.

In ihren Arbeiten sind die metroZones-Autor/inn/en bemüht, einen »neutralen« Standpunkt

einzunehmen und die Texte weniger normativ als vielmehr deskriptiv auszurichten. So gelingt ihnen

ein differenzierter und damit verhältnismäßig respektvoller Blick auf die urbanen Glaubenspraktiken,

ein Blick, der in Religion nicht nur eine Bedrohung für die Moderne, sondern auch eine

Bereicherung für das Soziale und Politische erkennt.

Teil eines größeren Projekts

Das Thema »Neue religiöse Bewegungen und Organisationen in der Stadt« ist in zweierlei Hinsicht

ein sehr wichtiges: Zum einen verändern die freien Gruppen die »institutionalisierte Religion«,

fordern die etablierten Kirchen heraus. Zum anderen verändern sie die Stadt, die Art und Weise, wie

Menschen dort miteinander leben. Der Sammelband Urban Prayers ist ein wichtiger Schritt zur

Analyse dieser Veränderungspotenziale. Er ist eingebettet in ein größeres Projekt namens Global

Prayers – Redemption and Salvation in the City. Dieses wird in Berlin mit zwei Veranstaltungen die

Diskussion um Religion in der Stadt anregen: Ab November 2011 finden Ausstellungen in der Reihe

The Urban Cultures of Global Prayers statt, im Februar 2012 gibt es im Rahmen von Thementagen

im »Haus der Kulturen der Welt« die Gelegenheit zur weiteren Auseinandersetzung mit Urban

respektive Global Prayers.

Ausstellung:

The Urban Culturals of Urban Prayers

noch bis zum 8. Januar 2012

täglich 12 - 19 Uhr

Do - Sa bis 20 Uhr

NGBK (Neue Gesellschaft für bildende Kunst), Oranienstr. 25, 10999 Berlin

| JOSEF BORDAT

Titelangaben:

MetroZones (Hg.): Urban Prayers. Neue religiöse Bewegungen in der globalen Stadt

Berlin/Hamburg: Verlag Assoziation A 2011. 277 Seiten. 20 Euro

Reinschauen:

| Über MetroZones

| Über Urban Prayers

| Über Anschlussveranstaltungen

Mitreden:

| artikel weiterempfehlen

| mail an den rezensenten / die redaktion

Weitere Beiträge:

| Hugo Portisch: Was jetzt

Page 3: Titel-Magazin: Glaube im urbanen Raum - neue Formen religiösen Lebens in der Stadt

| Heinrich Wille: Ein Mord, der keiner sein durfte

| MetroZones: Urban Prayers

| Ian Kershaw: Das Ende

| Ulrich Wickert: Redet Geld, schweigt die Welt

| Arno Lustiger: Rettungswiderstand

| Byung-Chul Han: Topologie der Gewalt

| Nichi Vendola: Es gibt ein besseres Italien

| Khaled Hroub: Hamas

| Julian Nida-Rümelin: Verantwortung

| kommentar schreiben

Name:

Kommentar:

wegschicken

1

Geben Sie die beiden Wörter

ein: