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Titelblatt einer Broschüre aus dem Jahre1932 · Bitsch, der im Bürgermeisterzimmer geblieben ist, wird von der Polizei ein Schreiben übermittelt, wo-nach er abgesetzt ist. Erst

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    Titelblatteiner Broschüre aus demJahre1932

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    Aufführungder Theaterszenen„1932-1933“im HeimatmuseumMörfelden imSeptember 2006

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    Neues Interesse.Nach der Aufführungvon Theaterszenen imHeimatmuseumMörfelden und einemgekürztenAbdruck einesBerichtes aus demJahre 1932 in derStadtzeitung der DKP„blickpunkt“ gab eseine Reihe vonAnfragen zu diesemThema.Deshalb fürs Internetnoch einmal dieGeschichte.jener Tage.

    Unruhe in Mörfelden

    Es wird viel erzählt über diese Märztage des Jahres1932 in Mörfelden.„Zweihundert Polizisten besetzten das Dorf“ - „Eswurde geschossen“ - „Der Bürgermeister wurde ab-gesetzt“ - erzählten ältere Mörfelder, die dabei wa-ren. In der Kirchenchronik lesen wir: „Weit über 1000Menschen zogen vors Rathaus und bedrohten diePolizei und die Vertreter des Kreisamtes - 70 bis 80Einwohner wurden verhaftet - Mörfelden glichzeitweise einem großen Truppenlager - die Schulemusste ausfallen, da dort das Hauptquartier der Po-lizei war.“ Was war damals eigentlich los?Das Dorf Mörfelden hatte damals knapp 5.000 Ein-wohner. Es gab nur etwa 25 Bauernfamilien, die gro-ße Masse der Bevölkerung waren Arbeiter. Zumeistwaren sie als Bauarbeiter in Frankfurt, Mainz, Darm-stadt, Groß-Gerau, Rüsselsheim beschäftigt.Die kapitalistische Krise wirkte sich in Mörfeldenbesonders krass aus. Der Prozentsatz der Erwerbslo-sen und damit das Elend in der Gemeinde lag überdem Durchschnitt anderer Orte.Von der Bahnstation Mörfelden wurden in den Jah-ren 1926/27 zirka 1.800 Arbeiterwochenkarten aus-gegeben, 1930 aber nur noch 300. Der Brotverbrauchsank um ein Drittel, der Fleischkonsum um 50 bis 60Prozent. Der Umsatz der Gastwirtschaften betrug nurnoch ein Drittel des Jahres 1929. Mit einer wachsen-den Wohnungsnot stiegen die Krankheitsziffern. Esgab Tuberkulose und Rachitis. Von den damals zirka1.500 Erwerbslosen waren mehr als die Hälfte ohneUnterstützung.

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    Im November 1931 wurde der Kommunist GeorgZwilling Bürgermeister. Eine seiner ersten Aktionenwar die Erweiterung des Unterstützungsfonds für dieArbeitslosen.Dann wurden eine Reihe sozialer Maßnahmen be-schlossen:1. Die Erwerbslosen-, Krisen- und Wohlfahrtsunter-

    stützungsempfänger erhalten für ihre Kinder un-ter drei Jahren pro Kopf und Tag einen Liter Milchauf Kosten der Gemeinde.

    2. Die Grundgebühr für das Wassergeld wird für dieDauer der Unterstützung erlassen.

    3. Es gibt Mietunterstützung für Unterstützungsemp-fänger in Neubauwohnungen von acht Mark fürdie dreiköpfige Familie, von zwölf Mark für dievier- bis fünfköpfige Familie, von 16 Mark für grö-ßere Familien.

    4. Alle Unterstützungsempfänger erhalten zwei Me-ter Holz aus dem Gemeindewald und einen Zent-ner Kohle pro Familie und Woche.

    5. Beschäftigungslose Gewerbetreibende erhaltenWohlfahrtsunterstützung.

    6. Es gibt Wohlfahrtsunterstützung für alle ledigenArbeitslosen von drei Mark unter 17 Jahren, vonfünf Mark bis 20 Jahre und nach dem allgemeinüblichen Richtsatz über 20 Jahre.

    Zur Beschaffung der Mittel wurden eine Reihe vonVorstößen beim Kreisamt Groß-Gerau und bei derRegierung in Darmstadt gemacht. Zunächst wollteman die Delegation der Gemeinde, an deren Spitzeder Bürgermeister stand, nicht empfangen. Durchdie Einmütigkeit und Geschlossenheit der Arbeiter-schaft von Mörfelden wurden die Staatsbehördenjedoch gezwungen, Mittel zur Verfügung zu stellen.So musste die Regierung in Darmstadt 6.000 Markbewilligen.Unter dem Druck der Bevölkerung stimmte der Ge-meinderat den Anträgen des kommunistischen Bür-germeisters zu.

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    Wichtige Forderungen wurden so durchgesetzt:1. Der Bürgermeister wurde beauftragt, sich mit al-

    len Stromabnehmergemeinden der HEAG, Darm-stadt in Verbindung zu setzen und eine Aktiongegen den Strompreiswucher einzuleiten.

    2. Da die Schule keinen Turnsaal besitzt, wird mitdem Volkshaus ein Mietvertrag zur Überlassungdes Turnsaals an die Kinder abgeschlossen.

    3. Die kostenlose Schulkinderspeisung (Frühstück)wird für alle Erwerbslosen durchgeführt.

    4. In den Gemeindewohnungen wird ein Mieterlassdurchgeführt von acht Mark für drei Köpfe, zehnMark für fünf Köpfe und 16 Mark für größere Fami-lien pro Monat.

    5. Ab sofort gibt es die kostenlose Benutzung derörtlichen Brausebäder für alle Unterstützungsemp-fänger.

    6. Der in der vierten Notverordnung der Regierungfestgelegte zehnprozentige Lohnabbau wirddurch die Gemeinde Mörfelden nicht durchge-führt.

    7. Die Gemeindewiesenpacht wurde bis auf 30 Pro-zent ermäßigt.

    Der Bürgermeister erklärt öffentlich, dass er auf den300 Mark übersteigenden Betrag seines Gehaltesverzichtet.Die Tätigkeit des kommunistischen Bürgermeistershat eine ungeheure Wirkung auf die politische Ein-stellung der werktätigen Bevölkerung. Am 24. Janu-ar findet die Beigeordnetenwahl statt. Sie wird zueinem überwältigenden Sieg der kommunistischenKandidaten Bitsch über den Sammelkandidaten derSPD und bürgerlichen Parteien.

    Es wurde überhaupt in diesem Jahr viel gewählt. Undso sahen die Wahlergebnisse für die drei stärkstenParteien aus:Am 13. März 1932 war Reichspräsidentenwahl. Hin-denburg erhielt 850, Hitler 264 und der Vorsitzendeder KPD, Ernst Thälmann 1737 Stimmen.Bei der Wahl zum Hessischen Landtag am 19. Juni1932 erhielten die Sozialdemokraten 353, die Kom-munisten 1253 und die Nationalsozialisten 329 Stim-men.Am 6. September 1932 war die Reichstagswahl. Hierstimmten 392 Mörfelder für die Nationalsozialisten,463 für die Sozialdemokraten und 1541 für die Kom-munisten. An allen Wahlergebnissen dieser Zeit istablesbar, wie stark die Mörfelder Bevölkerung hinterder KPD und ihrem Bürgermeister stand.Die konsequente Politik für die Interessen der „klei-nen Leute“ bereitet der Obrigkeit Bauchschmerzen,aber den Mörfeldern Mut: 20 Wirte weisen die Einfüh-rung der Getränkesteuer zurück. Als Mörfelden dannaber noch die Eintreibung der Notverordnungssteu-ern und die Befolgung der übrigen Bestimmungender Notverordnung ablehnt, stellt sich die Regierungauf Kampf ein.Die Regierung beschließt: Mörfelden muss die Not-verordnungen anerkennen.Mörfelden fasst den Gegenbeschluss: Wir lehnen dieNotverordnungen und jede weitere Belastung durchneue Steuern ab.Am 1. Februar telefoniert das Kreisamt Groß-Gerauund verlangt die sofortige Einführung der Getränke-steuer als Einleitung zur Einführung aller Notverord-nungsbestimmungen. Bürgermeister Georg Zwillinglehnt ab.

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    Kundgebung auf dem „Dalles“

    Die hessische Regierung beschließt nunmehr, dieder Gemeinde Mörfelden zustehenden Gelder für dieUnterstützungsempfänger einzubehalten, bis dieNotverordnungen durchgeführt sind. Mörfelden rich-tet sich zum Kampf ein. Bis Mitte Februar reichen die6.000 Mark aus dem Ausgleichskonto. Das Wasser-geld und die anderen kleinen Einnahmen müssenmithelfen, die drohende Notlage zu mildern.

    Das Kreisamt Groß-Gerau fordert nochmals die Durch-führung der Getränkesteuer. Mörfelden lehnt ab. Jetztkommt das Ultimatum der Regierung: Binnen 24 Stun-den soll Mörfelden die Notverordnungen einführen.Mörfelden lehnt abermals ab.Die Gemeinde arbeitet fieberhaft, um die Lebens-existenz der Notleidenden zu sichern. Das Holz wirdzu den bedürftigen Arbeiterfamilien geschafft. Die

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    „Jungerwerbslose kämpftmit uns gegen die Notverordnung“

    Demonstration in der Langgasse

    Kinder erhalten neue Schuhe, die Schulkinderspei-sung steht vor der Durchführung.Das Geld in der Kommune aber ist verbraucht. DerBürgermeister fordert vom Kreisamt die Zahlung derzustehenden Gelder. Regierungsrat Dr.Wolf lehnt mitder Begründung ab: die Gelder würden unsachlichverbraucht, was gleichbedeutend ist mit der Verwen-

    dung der Gelder für die Notleidenden. BürgermeisterZwilling erwidert, dass die Stadt Groß-Gerau alleinder Konservenfabrik Helvetia 20.000 Mark Steuerngeschenkt habe, während man die Mörfelder Arbei-ter hungern lassen will. Regierungsrat Dr. Wolf bleibtbei seinem Ultimatum, wonach von den Hungern-den auch noch Steuern eingezogen werden sollen.Noch einmal versucht Bürgermeister Zwilling, dasder Gemeinde gehörende Geld zu erhalten. Die Re-gierung bleibt bei ihrem brutalen Beschluss. DerBürgermeister versucht nun, im Auftrage der Gemein-de, beim Ministerium in Darmstadt das Geld zu erhal-ten. Auch das wird abgelehnt.

    Die Erbitterung wächst: eine Demonstration derMörfelder Arbeiter zieht nach Groß-Gerau. Der Bür-germeister fordert vom Kreisdirektor die Gelder fürdie Hungernden. Der Kreisdirektor nennt den Auf-marsch „ Aufruhr“. Es kommt zu erregten Auseinan-dersetzungen. Eine Delegation der Demonstrantenmuss schließlich vom Kreisdirektor Usinger vorgelas-sen werden. Aber immer wieder dasselbe Ultimatum:Erst die Notverordnungen anerkennen, dann gibt essofort Geld. Der Bürgermeister erklärt dem Kreisdi-rektor gegenüber: „Das ist, gelinde gesagt, Erpres-sung!“Nun beginnt die unmittelbare Aushungerung Mör-feldens durch die hessische sozialdemokratische Ko-alitionsregierung. Aber die Werktätigen stehen ge-schlossen hinter ihrem Bürgermeister gegen jedeNotverordnungssteuer. Woche für Woche vergeht,die Regierung schickt keinen Pfennig Geld. VieleArbeiterfamilien haben weder Brot noch Kartoffeln.Der Bürgermeister gibt jeden Pfennig, der in die

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    Kundgebung in der Langgasse

    Gemeindekasse fließt, sofort den Hungernden. EineBürgerversammlung beschließt einstimmig die Ein-haltung des Arbeitsprogramms. Nun wird beschlos-sen, vom Staatspräsidenten die Auszahlung der Un-terstützungsgelder zu fordern.

    Der sozialdemokratische Staatspräsident Adelungund der sozialdemokratische Ministerialrat Borne-mann weichen aus. Adelung fordert die Durchfüh-rung der Notverordnungen. Die Delegation lehnt ab.Am nächsten Tag verunglückt Bürgermeister Zwil-

    ling auf einer Fahrt mit dem Motorrad. Nun vertrittder Beigeordnete Bitsch den Bürgermeister. Mit demGemeinderat Völker fordert er vom Kreisamt erneutdie Zahlung der Unterstützung. Er erklärt, nicht eherzurückzugehen, bis er die Mittel in Händen hat. Schar-fe Auseinandersetzungen folgen. Bitsch wird vonder Polizei vors Amtsgericht geschleppt, wo man ihmerklärt, er habe keine Geschäfte für Mörfelden zuerledigen.Zurückgekehrt erklärt Bitsch der Bevölkerung, dasser seines Amtes enthoben sei. Unter Begeisterung der

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    Menge verkündet Bitsch: „Ich lasse mir mein Amtnicht mit Gewaltmethoden nehmen. Ich habe dasAmt von den Werktätigen von Mörfelden erhaltenund behalte es so lange, bis die Werktätigen michabberufen.“ Im Demonstrationszug geleiten nun dieüber das Verhalten der Regierung empörten Massenden Beigeordneten zum Rathaus und setzen ihnwieder in sein Amt ein.Kaum befindet sich der Beigeordnete Bitsch auf derBürgermeisterei, als ein Wagen mit zwei Beamtendes Kreisamtes Groß-Gerau vor der Bürgermeistereihält. Die Einwohner erkennen die beiden, die denWagen verlassen: Regierungsrat Dr. Wolf und Holz-häuser, der als Staatskommissar eingesetzt werdensoll. Jetzt macht sich die Empörung Luft. Die Polizis-ten sind machtlos. Die beiden Beamten werden vonden Massen eingekeilt. Die Frauen rufen: „Habt IhrGeld mitgebracht, sonst macht, dass Ihr aus Mörfel-den herauskommt.“ Eine Frau versperrt den Eingangzur Bürgermeisterei. Die Polizei greift zum Revolverund zum Gummiknüppel. Die Masse weicht nicht.Nur mit Mühe hält ein Arbeiter die erregten Frauenzurück, die mit grenzenloser Wut gegen die Gummi-knüppel und Revolver der Polizisten vorgehen undim Begriff sind, sich auf die beiden Regierungsbeam-ten zu stürzen. Ein Arbeiter ruft den Polizisten zu:„Keinen Schuss, sonst ist’s aus.“Der Zorn der Mörfelder ist zu verstehen; denn seit vierWochen ließ die Regierung 400 Familien ohne jegli-che Unterstützung. Unbeschreiblich ist die Erregungüber den Zusammenstoß. Plötzlich ertönen Glocken-schläge vom Kirchturm. Immer schneller und lauter.Es wird Sturm geläutet. Auf dem Rathaus wird die roteFahne gehisst.

    Inzwischen ist fast die ganze Bevölkerung Mörfel-dens vor dem Rathaus versammelt. Jetzt verhandeltder Beigeordnete mit den Regierungsbeamten. Dr.Wolf erklärt, es gibt sofort Geld, wenn der Staatskom-missar in die Bürgermeisterei eingelassen wird. Plötz-lich hört das Glockenläuten auf. Bitsch erscheint amFenster und teilt mit, dass der Regierungsbeamteerklärt habe, es sei Geld vorhanden, aber nur für 50Familien. Das Geld werde nur ausgezahlt, wenn dieBeamten ins Rathaus eingelassen würden. Die Mör-felder weisen das Manöver der Regierungsbeamtenzurück. Immer wieder ertönt der Ruf: „Hinaus mit denHungerverordnern aus Mörfelden.“ Da kommt einÜberfallkommando. Dreißig Polizisten mit schuss-

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    bereiten Karabinern springen ab. Es wird in die Luftgeschossen, das Rathaus an mehreren Stellen getrof-fen. Nun kommen von einer anderen Seite zwei neueÜberfallkommandos. 60 Polizisten springen ab. Diewehrlosen Arbeiter befinden sich den Gewehrläu-fen, den Revolvern und den Gummiknüppeln ge-genüber. Vom Kirchturm ertönt wieder Sturmgeläut.Die Polizei nimmt die Kirche ein. Dann stürmt sie dasRathaus. Eine Zeitlang wehren sich die Arbeiter hin-ter einer Barrikade mit Steinen. Dann werden siedurch das große Schupo-Aufgebot getrennt und indie Nebenstraßen abgedrängt. Eine 65 Jahre alteFrau wird mit dem Gummiknüppel geschlagen.Die Polizei, mittlerweile 200 Mann stark, verhängtnunmehr den Belagerungszustand über Mörfelden.Polizeistreifen durchziehen unaufhörlich die Stra-ßen. Manchmal bilden sich Ansammlungen, gegendie die Polizei sofort vorgeht. Dem BeigeordnetenBitsch, der im Bürgermeisterzimmer geblieben ist,wird von der Polizei ein Schreiben übermittelt, wo-nach er abgesetzt ist. Erst jetzt können die beidenBeamten vom Kreisamt in die Bürgermeisterei eintre-ten. Ihre erste Amtshandlung: Ab 9 Uhr darf sich nie-mand mehr auf der Straße zeigen. Alle Lokale müs-sen nach 9 Uhr abends geschlossen sein. Gesprächeauf der Straße sind verboten. 15 Kriminalbeamte be-ginnen ihre Wühlarbeit.

    Es erscheint ein Anschlag des kommissarischen Bür-germeisters und des Regierungsrats Wolf, dass einTeil der Erwerbslosen Unterstützung erhalten wird.Gleichzeitig werden die Zwangsmaßnahmen fort-gesetzt und gesteigert. Die Schule wird als Kaserneeingerichtet. Morgens um 6 Uhr schlagen Polizisten

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    an die Türen der Wohnungen, jagen Männer undFrauen aus den Betten, führen Haussuchungen undVerhaftungen durch. Die Ortseingänge von Mörfel-den werden nun von der Polizei bewacht. Der Bahn-hof wird kontrolliert. Ohne Ausweis kommt niemandnach Mörfelden herein. Wer nur irgendwie verdäch-tig ist, wird abgeführt.Ein neuer Anschlag des kommissarischen Bürger-meisters wird veröffentlicht, wonach die Wohlfahrts-unterstützung nicht ausgezahlt und auch die Ausga-be der Fleisch- und Kohlenkarten unterbleibt.Die Erregung wächst aufs neue. Sie wird zu einerEmpörungswelle, als aus den Zeitungen, dieinzwischen eingetroffen sind, bekannt wird: „Auchder rote Bürgermeister Zwilling abgesetzt.“ Sein agi-tatorisches Auftreten lasse sich nicht mit den Amts-pflichten eines Bürgermeisters vereinbaren. AmAbend findet eine große Versammlung vor dem Rat-haus statt, die erst nach längerer Zeit von der Polizeiauseinander getrieben werden kann.

    Eine ständige Besatzung von 50 Schutzpolizisten ausDarmstadt wird in der Schule stationiert. Am drittenTage nach dem Einzug des Diktators werden dieersten Unterstützungen ausgezahlt. Aber währendBürgermeister Zwilling den Unterstützungsempfän-gern 17,75 Mark und im Höchstfalle 19,- Mark aus-zahlte, erhalten die Arbeiterfamilien vom Staatskom-missar nur noch zwei Drittel dieser Summe. Die Klein-gewerbetreibenden erhalten keinerlei Unterstützungmehr. Auch die jugendlichen Erwerbslosen bleibenohne jeden Pfennig.Das war die Geschichte jener Märztage des Jahres1932 in Mörfelden. Sie wurde in ganz Deutschland

    bekannt. Viele Zeitungen brachten die Ereignisse alsSpitzenartikel, die meisten entstellten die Vorgänge,einige, die „Bild-Zeitungen“ von damals, stellten inihrer Berichterstattung die Ereignisse auf den Kopf.Die kommunistischen Zeitungen berichteten aus-führlich über Mörfelden, das aber passte der Regie-rung nicht, so wurden die hessische „Arbeiter-Zei-tung“ wegen der Berichterstattung zehn Tage langverboten. Aber auch die Magdeburger kommunisti-sche Tageszeitung „Tribüne“ wurde vom Oberpräsi-denten von Sachsen mit der Begründung verboten,die Berichterstattung über Mörfelden versetze diesächsische Bevölkerung in Unruhe.

    Heute kann man mit Abstand den März 1932 in Mör-felden betrachten, man kann auch sachlich über even-tuelle Fehler diskutieren, die gemacht wurden. Abervergessen sollten wir nicht, dass dieser „Aufstand“ein Aufbäumen der Bevölkerung war, die bittersteNot litt. Und es ehrt die Mörfelder des Jahres 1932,dass sie sich nicht bückten, sondern aufrecht denUmständen den Kampf ansagten.

    Aus: „Die Stadtfarbe ist rot!“, ein Buch der MörfelderDKP aus dem Jahre 1976

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    Abmarsch der Polizei in der Langgasse

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    Ein Maurer wurdeBürgermeister

    Welchem Mörfelder ist esnicht schon einmal pas-siert, dass er irgendwo an-gesprochen wurde: „So,aus Mörfelden kommst Du,aus ,Klein Moskau’? Undwenn es ein älterer Ge-sprächspartner war, dannfragte er manchmal: „Lebteigentlich der Zwillings-Schorsch noch?“ Sagenkann man dann eigentlichnur: „Ja, er lebt noch!“.Jetzt wurde er sogar in Theaterszenen des Heimat-museums Mörfelden von Gerd Schulmeyer, Frakti-onsvorsitzender der „DKP / Linke Liste“ dargestellt.Georg Zwilling, Maurer, Kommunist, am 8. Novem-ber 1931 mit 1578 Stimmen zum Bürgermeister vonMörfelden gewählt. Die ihn kannten, schilderten ihnals einen kleinen Mann, der überzeugen konnte, alseinen Mann, der sich stets für die Arbeiter einsetzte.Und der nur deshalb das Vertrauen der Mörfeldererhielt.Als man ihn einmal besonders hart angriff und ver-leumdete, schrieb er in einem Flugblatt: „Ich kann fürmich in Anspruch nehmen, dass ich ohne Rücksichtauf meine Existenz jederzeit für die Interessen derarbeitenden Bevölkerung eingetreten bin. Kein Wegwar mir zu weit und keine Mühe zu groß, wenn es galt,

    die Belange der Werktätigen zu wahren. Ohne Rück-sicht auf Partei- oder Konfessionszugehörigkeitjederzeit zum Dienst am Proletariat bereit. Das warund ist mein Wahlspruch.“Bekannt war er nicht nur in Mörfelden. Aus Schlüch-tern wurde uns geschrieben: „Genosse Zwilling warfür uns im Kreis ein hervorragender Lehrmeister; einSohn des Volkes, einfach, ehrlich und beliebt bei denArbeitern und Bauern unseres Kreises. Oft zog Zwil-ling mit einem Handwagen, beladen mit Zeitungenund Broschüren, von Dorf zu Dorf und sprach mit denBewohnern. Die Bauern luden ihn zum Essen ein. Erscheute sich auch nicht, ihnen auf der Wiese beimHeumachen zu helfen.“Georg Zwilling, 1892 geboren, war schon in jungenJahren aktiv in der Arbeiterbewegung. Ende des Jah-res 1918 war er Mitglied des Frankfurter „Arbeiter-und Soldatenrates“, 1919 trat er in die USPD ein undgehörte zu den Gründern der KPD in Mörfelden. Sei-nen Namen finden wir bei den Aktiven der Freireligi-ösen Gemeinde ebenso wie bei den Gründern desVolkshaus-Vereines.Als er im November des Jahres 1931 zum Bürgermeis-ter von Mörfelden gewählt wurde, konnte PfarrerGeorgi die Welt nicht mehr verstehen. In die Kirchen-chronik schrieb er: „Die Sensation dieses Jahres bil-det die Bürgermeisterwahl. Mörfelden stellt den ers-ten hessischen kommunistischen Bürgermeister. Aufdiesen zweifelhaften Ruhm war es sehr stolz!“Lange war der „Zwillings-Schorsch“ allerdings nichtBürgermeister, im Februar 1932 erlitt er bei einerVortragsreise einen schweren Motorradunfall undwurde mit einem Schlüsselbeinbruch ins Friedber-ger Krankenhaus eingeliefert. Kurz darauf wurde von

    Georg Zwilling

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    der Obrigkeit Obersekretär Holzhäuser als Staats-kommissar in Mörfelden eingesetzt.Wie viele seiner Genossen wurde Georg Zwilling einJahr später von den Nazis verhaftet und bis Mai 1933im Konzentrationslager Osthofen eingesperrt. An-schließend wurde er wegen „Vorbereitung zum Hoch-verrat“ ins Gerichtsgefängnis Frankfurt am Main ge-sperrt.

    Im September muß man ihn wegen „mangelndenBeweises“ entlassen.Die Befreiung vom Faschismus konnte er nicht mehrerleben. Bei einem Tieffliegerangriff kam er am 5.November 1944 auf der Heimfahrt nach Mörfeldenan der holländischen Grenze ums Leben.Georg Zwilling, der erste kommunistische Bürger-meister dieser Stadt, wird nicht vergessen.

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    „Reichstagswahl 1928“Demonstranten aus Mörfelden in Groß-Gerau

    Bürgermeisterwahlam 27. September 1931Peter Klingler 1095 StimmenGeorg Zwilling 1022 StimmenKarl Jakob Schaffner 333 StimmenHeinrich Küchler 105 StimmenJohannes Cron 16 Stimmen

    Bürgermeister Peter Klingler verzichtet auf dieStichwahl und kehrt in den Schuldienst zurück.

    Stichwahlam 8. November 1931Georg Zwilling 1578 StimmenLudwig Geiß 1236 Stimmen

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    Nachwort

    Wer sich mit der Geschichte jener Tage beschäftigt,stößt oft auf Begriffe und Namen, die fast vergessensind. Ein Beispiel ist der Begriff: Sozialfaschismus.

    Sozialfaschismus - mehr als ein falscher Begriff

    Professor Josef Schleifstein dazu: „Der Begriff des„Sozialfaschismus" bedarf insbesondere für den heu-tigen Leser, der diese geschichtliche Periode nichtmehr bewußt erlebt hat, der Erläuterung, diewiederum nur in einer knappen Darstellung des his-torischen Gesamtzusammenhangs gegeben werdenkann. Das ist umso notwendiger, da diese These indiesem oder jenem Gewand immer noch auftaucht,um bürgerliche oder auch sozialdemokratische Poli-tik jener Zeit zu rechtfertigen. Das geschieht, obwohldie Kommunisten diese These und die damit verbun-dene politische Praxis selbstkritisch verarbeitet ha-ben. Bekanntlich wurde die These vom „Sozialfa-schismus" nach der furchtbaren Niederlage der deut-schen Arbeiterbewegung 1933 und besonders imProzeß der Vorbereitung des VII. Weltkongresses derKommunistischen Internationale 1935 in Moskaueiner gründlichen Kritik unterworfen und als ein erns-ter Fehler der Kommunistischen Internationale undvor allem der KPD angesehen.“

    Wenn man aber fragt, warum entstand dieser Fehler,dann wird man auf historische Gegebenheiten sto-ßen die vieles erklären, wenn auch nicht rechtferti-gen.

    Die Mörder und ihre Hintermänner

    Nehmen wir die Ermordung von Rosa Luxemburgund Karl Liebknecht.Flugblätter flatterten damals durch die Straßen Ber-lins: „Das Vaterland ist dem Untergang nahe. Rettetes! Es wird nicht bedroht von außen, sondern voninnen: Von der Spartakusgruppe! Schlagt ihre Führertot! Tötet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Ar-beit und Brot haben! Die Frontsoldaten“.Aber auch im sozialdemokratischen »Vorwärts« er-scheint ein Text: „Viel hundert Tote in einer Reih –Proletarier! . . . Karl, Rosa, Radek und Kumpanei – esist keiner dabei, es ist keiner dabei! Proletarier!“

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    Einer der Mörder, Waldemar Pabst, der (bis 1955) inder Schweiz lebte, notiert in seinen Papieren: „Dassich die Aktion ohne Zustimmung Noskes gar nichtdurchführen konnte (mit Ebert im Hintergrund) undauch meine Offiziere schützen musste, ist klar. Abernur ganz wenige Menschen haben begriffen, warumich nie vernommen oder unter Anklage gestellt wor-den bin. Ich habe als Kavalier das Verhalten der da-maligen SPD damit quittiert, dass ich 50 Jahre langdas Maul gehalten habe über unsere Zusammenar-beit.“

    „Einer muß der Bluthund werden“

    Viele wissen heute nichts mehr mit dem Namen desSozialdemokraten Noske anzufangen. Als Volksbe-auftragter für Heer und Marine und als Reichswehr-minister war Noske verantwortlich für die blutigeNiederschlagung des Januaraufstandes 1919 (Spar-takusaufstand), bei der auch Rosa Luxemburg undKarl Liebknecht ermordet wurden. Er selber schilder-te die Diskussion, wie gegen die Aufständischen desJanuar 1919 vorgegangen werden sollte. Sein Aus-spruch „Meinetwegen! Einer muss der Bluthundwerden, ich scheue die Verantwortung nicht“ wurdeGeschichte.

    In seiner weiteren Regierungstätigkeit zeigte sichsein zu zögerliches Verhalten gegenüber den macht-orientierten Militärs. Er handelte nur zaghaft gegen-über den reaktionären Bestrebungen der extremenpolitischen Rechten, die bei den kaiserlichen Offizie-ren viele Sympathien besaß. Er teilte ihren Antibol-

    schewismus und ließ den von der Reichswehr unter-stützten Freikorps weitgehend freie Hand bei ihremharten Vorgehen gegen Streiks und kommunisti-sche Aufstände. Nicht nur bei Kommunisten, auchbei vielen Sozialdemokraten verlor er mit dieser Hal-tung jede Sympathie. Als er in Absprache mit Fried-rich Ebert die reaktionären Freikorps, u.a. die BrigadeEhrhardt am 29. Februar 1920 doch auflösen wollte,kam es zum reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsch vom13. März 1920. Auch Reichspräsident Friedrich Ebertkonnte Noske nicht mehr halten. Wegen "Begünsti-gung der Konterrevolution" wurde Noske nach demKapp-Putsch zum Rücktritt als Reichswehrministergezwungen und auf den Posten des Oberpräsiden-ten der preußischen Provinz Hannover abgescho-ben.Während des Ersten Weltkriegs gehört er dem rech-ten Flügel der SPD um Friedrich Ebert und PhilippScheidemann an, der die Landesverteidigung grund-sätzlich unterstützt.Gustav Noske stirbt am 30. November 1946 in Hanno-ver.

    Der „Blutmai“

    Der so genannte Blutmai beschreibt die Unruhen am1. Mai 1929 in Berlin. An diesem sowie an den beidendarauf folgenden Tagen tötete die Schutzpolizei inBerlin im Gefolge einer Maidemonstration von Ar-beitern, speziell in den Bezirken Neukölln und Wed-ding, 32 Demonstranten und Anwohner, darunterauch Unbeteiligte. Durch Einsatz von Schusswaffenund Schlagstöcken der Polizei wurden 80 Menschenverletzt. Unter anderem schoss die Polizei nach der

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    Demonstration auf die Balkone und Fenster vonWohnhäusern, wobei sieben Frauen umkamen,darunter die Sozialdemokratin Elise Scheibe. DerMunitionsverbrauch der Polizei während dieserMaiunruhen lag nach eigenen Zahlen bei 11.000Schuss.

    Dieses Ereignis trug maßgeblich zur Vertiefung desGrabens zwischen KPD und SPD bei, da die BerlinerPolizei auf Anweisung des preußischen Innenminis-ters Albert Grzesinski und des Berliner Polizeipräsi-denten Karl Friedrich Zörgiebel (beide Sozialdemo-kraten) handelte. Diese hatten im Vorfeld Demonst-rationen am 1. Mai in Berlin verboten, während dieKPD jedoch weiter zu ihnen aufgerufen hatte.

    Gegen das Vorgehen der Polizei kam es am 2. und 3.Mai zu Proteststreiks in 120 Berliner Betrieben. Keinerder Todesschützen und Verantwortlichen ist vor Ge-richt gestellt worden. Statt dessen gab es den Ver-such, die Arbeiter, die an der 1. Mai Kundgebungteilgenommen hatten, zu kriminalisieren. Die Arbei-ter wurden wegen schweren Landfriedensbruchs inTateinheit mit Aufruhr angeklagt. Zur Vorbereitungder Verteidigung gründete der Strafverteidiger HansLitten zusammen mit Alfred Döblin, Heinrich Mannund Carl von Ossietzky einen „Ausschuss zur Unter-suchung der Berliner Maivorgänge".

    Der Hauptverantwortliche der Berliner Polizei, Poli-zeipräsident Zörgiebel, wurde nach 1945 SPD-Vor-sitzender in Mainz, und ab 1947 für zwei Jahre Poli-zeipräsident von Rheinland-Pfalz.1953 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz.

    Links: Der Berliner Polizeipräsident Zörgiebel

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    Die Einheit die nicht zustande kam

    Heute geht man davon aus, dass ein einheitlichesVorgehen der beiden großen Arbeiterparteien denFaschismus verhindert hätte. Die Einheit kam nicht,weil das Mißtrauen groß war.Daß die KPD ihre Einheitsfrontangebote an die Sozi-aldemokratie zum gemeinsamen antifaschistischenKampf ehrlich meinte, ist unwiderlegbar und wirdvor allem durch zahlreiche, bisher leider viel zu we-nig von der Lokalgeschichtsschreibung untersuch-te, gemeinsame Aktionen insbesondere in der un-mittelbaren Abwehr terroristischer Überfälle von SAund SS in Arbeitervierteln bewiesen. Ernst Thälmannsagte dazu in einer Unterredung mit sozialdemokra-tischen Arbeitern am 8. Juli 1932: „Täglich mordet diebraune Pest unsere Genossen, schlägt unsere bestenKämpfer nieder, unternimmt provokatorische An-griffe auf unsere Parteihäuser; in den Gefängnissenschmachten Tausende unserer Genossen, die denwehrhaften Kampf gegen das faschistische Verbre-chertum führten. Das Hitlersche Offiziers- und Prin-zenpack hat erklärt, daß es die kommunistische Be-wegung, das sind viele Millionen revolutionärerMänner und Frauen, ausrotten, hängen, köpfen undrädern will. Und angesichts dieser Tatsache, ange-sichts der drohenden Gefahr, daß aus Deutschlandein Land des Galgens und des Scheiterhaufens wird,sollten wir Kommunisten die antifaschistische, pro-letarische Einheitsfront nicht ehrlich meinen?“In der SPD wurden die „Einheitsgedanken“ im we-sentlichen abgelehnt. Selbst auf den Beratungen derFührungsgremien, die bereits nach Aufrichtung derfaschistischen Diktatur stattfanden (am 31. Januar

    und Anfang Februar 1933), und auf denen einigeführende sozialdemokratische Funktionäre sich,wenn auch in vorsichtiger Form, positiver zur Ideeder Einheitsfront mit den Kommunisten äußerten,wurden solche Auffassungen strikt abgelehnt. Zueinem Vorschlag des SPD-Politikers Stampfers, derKPD ein Angebot zu machen, erklärte Hilferding (SPD)man solle doch endlich „von der fixen Idee der Ein-heitsfront abkommen.“

    Wilhelm Leuschner wurde inPlötzensee ermordet

    Wer sich um die Ereignisse des Jahres 1932 kümmertstößt oft auf die Namen Bernhard Adelung und Wil-helm Leuschner.Bernhard Adelung (30. 11. 1876 - 24. 2. 1943) warsozialdemokratischer Staatspräsident des Volksstaa-tes Hessen.Wilhelm Leuschner war damals bei den Linken derverhasste Innenminister, zuständig für die Polizei,die rücksichtslos zuschlug. Man sprach von der„Leuschner-Polizei“.Im Januar 1933 wurde Leuschner in den Bundesvor-stand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-bunds (ADGB) gewählt. Im April 1933 gab Leuschner,nach der nationalsozialistischen Machtübernahmevon den Nazis zum Rücktritt gezwungen, sein Amt alshessischer Innenminister auf. Die Gewerkschaftenwurden zerschlagen.Im Juni 1934 wurde er aus dem KZ entlassen undbegann mit dem Aufbau eines Widerstands-Netz-werkes. Er kämpfte in gewerkschaftsnahen Wider-standsgruppen und unterhielt Kontakte zum Kreisau-

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    er Kreis und ab 1939 auch zur Widerstandsgruppevon Carl Friedrich Goerdeler. Das Attentat auf Hitleram 20. Juli 1944 und der Umsturzversuch scheitertenjedoch. Leuschner wurde am 16. August 1944 verhaf-tet und danach vom Volksgerichtshof zum Tode ver-urteilt. Am 29. September 1944 wurde Wilhelm Leu-schner im Zuchthaus Berlin-Plötzensee hingerichtet.

    Deutsche Kommunisten in derSowjetunion verfolgt

    Die KPD hatte im Hitlerfaschismus die meisten Opferzu beklagen.Aber auch in der Sowjetunion wurden deutsche Kom-munisten ermordet. Auch aus unserer Stadt kamenKommunisten in den Repressionsapparat unter Sta-

    lin. So der Walldorfer Kommunist Peter Passet undWilhelm Bitsch aus Mörfelden.Peter Passet, ein aufrechter Kommunist, erlebte beiStalin und Hitler Gefängnisse, Zuchthäuser und Kon-zentrationslager.Die Arbeitslosigkeit, die nicht enden wollte, führtedamals zu vielen Auswanderungen. Man schätzt, daßdamals mehrere Zehntausend allein in die Sowjet-union fuhren, um Arbeit zu finden und beim Aufbaudes Landes zu helfen. Peter Passet war dabei. Am 26.April 1932 fuhr er nach Moskau, erlebte Höhen undTiefen. Hier traf er auch seinen Mörfelder GenossenWilhelm Bitsch, der schon im März 1932 aus politischGründen in die Sowjetunion fliehen mußte. WilhelmBitsch, Peter Passet und Tausende andere deutscheKommunisten erlebten die Stalinsche Repressionenam eigenen Leib. Viele wurden umgebracht.Peter Passet wurde in der Sowjetunion endlosenVerhören unterzogen, als „Konterrevolutionär“ ver-leumdet und nach 16 Monaten Gefängnis am 6. Janu-ar 1939 ins Nazideutschland abgeschoben. Hier wur-de er am 24. Januar 1940 aus politischen Gründenerneut verhaftet, wegen Vorbereitung zum Hochver-rat zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt - kam alleinfünf Monate in Einzelhaft. Nach zwei Jahren wurde erbei der Entlassung am Zuchthaustor von der Gestapoempfangen, kam nach Dachau und landete zumSchluß im Vernichtungslager Mauthausen, wo er am5. Mai 1945 von den Amerikanern befreit wurde.Peter Passet ist nie von sich aus mit seinen schlimmenErlebnissen an die Öffentlichkeit gegangen. Er erfuhrerst an seinem 75. Geburtstag von einem Vertreter derdamaligen sowjetischen Botschaft von seiner voll-ständigen Rehabilitierung.

    Wilhelm Bitsch starb in einemsowjetischen Straflager

    Der erste Beigeordnete Wilhelm Bitsch emigriertevor den Hitler-Faschisten mit seiner Frau und zweiTöchtern in die Sowjetunion.Die Familie wurde dort einige Jahre später verhaf-tet. Frau und die Töchter wurden ausgewiesen.Wilhelm Bitsch starb am 28. 11. 1941 in einemArbeitslager.Die DKP unserer Stadt ist kurz vor Ende der Sowjet-union in Moskau vorstellig geworden.Darauf erhielten wir die Nachricht:„Die Staatsanwaltschaft der UdSSR hob am 12. Mai1989 das Urteil des NKWD-Sondertribunals vom27.12.1937 auf.“

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    Ein seltenes Foto aus der Sowjetunion.Wilhelm Bitsch (in der Mitte sitzend, mit Schillerkra-gen.) Links die beiden Töchter und seine Frau.

    Bitsch, am 1. Juni 1893 in Walldorf geboren, war einerder führenden Genossen im damaligen „roten Mör-felden“. Als Stellvertreter des damaligen kommunis-tischen Bürgermeisters führte er die Amtsgeschäfte.Im März 1932 emigrierte er in die Sowjetunion.

    Am 26. 12. 1932 folgten die Ehefrau Liese (geborenam 3. 11. 1894) und die Töchter Else und Gretel. Siereisten in die Sowjetunion mit ihrem gesamten Haus-rat.

    In Moskau holte sie Wilhelm Bitsch am Bahnhof ab.Sie zogen nach Stalinogorsk, wo Wilhelm Bitsch alsIsoliermeister im Chemiekombinat arbeitete. Toch-ter Else war „Lehrmädchen“ im dortigen Labor.Später gingen die beiden Mädchen (damals 14 und

    12 Jahre alt) in die Stadt Engels (bei Saratow) in diedortige deutschsprachige Schule. Vater und Mutterblieben in Stalinogorsk.

    Am 30. Juni 1937 wurde Wilhelm Bitsch nachts um3.00 Uhr verhaftet.

    Else Bitsch ist im November 1937 bei einer deutschenArztfamilie, Becker, verhaftet worden. Sie war biskurz vor der erzwungenen Rückwanderung (Juni1940) inhaftiert.

    Die Töchter wurden 1938 ausgewiesen. Sie hattenAnweisung, bis 25. Januar 1938 an der Grenze zu sein.

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    Nach 1945 gab es auch im WestenDeutschlands viele Versuche einerVereinigung von SPD und KPD.Man hatte in den Konzentrations-lagern zusammengefunden.Der beginnende Kalte Krieg mach-te schnell viele Gespräche zunichte.Vor Ort waren oft Flugblätter wiedas hier abgedruckte SPD-Pam-phlet aus Mörfelden tödlich für alleVereinigungsbestrebungen.

    Die Geschichte der Arbeiterbewe-gung unserer Stadt ist interessantund aufschlußreich. Es lohnt sich,weiter zu forschen.

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    Bertolt Brecht

    Das Lied vom Klassenfeind

    (Auszug)

    Sie gaben uns Zettel zum Wählen,wir gaben die Waffen her.Sie gaben uns ein Versprechen,und wir gaben unser Gewehr.Und wir hörten: Die es verstehen,die würden uns helfen nun.Wir sollten an die Arbeit gehen,sie würden das übrige tun.Da ließ ich mich wieder bewegenund hielt, wie's verlangt wurd', stillund dachte: Das ist schön von dem Regen,dass er aufwärts fließen will.

    Und bald darauf hörte ich sagen,jetzt sei alles schon eingerenkt.Wenn wir das kleinere Übel tragen,dann würd' uns das größere geschenkt.Und wir schluckten den Pfaffen Brüning,damit's nicht der Papen sei.Und wir schluckten den Junker Papen,denn sonst war am Schleicher die Reih.Und der Pfaffe gab es dem Junker,und der Junker gab's dem General.Und der Regen floss nach unten,und er floss ganz kolossal.

    Während wir mit Stimmzetteln liefen,sperrten sie die Fabriken zu.Wenn wir vor Stempelstellen schliefen,hatten sie vor uns Ruh.Wir hörten Sprüche wie diese:Immer ruhig! Wartet doch nur!Nach einer größeren Krisekommt eine größere Konjunktur!Und ich sagte meinen Kollegen:

    So spricht der Klassenfeind!Wenn der von guter Zeit spricht,ist seine Zeit gemeint.Der Regen kann nicht nach aufwärts,weil er's plötzlich gut mit uns meint.Was er kann, das ist: er kann aufhör´n,nämlich dann, wenn die Sonne scheint.

    Eines Tags sah ich sie marschierenhinter neuen Fahnen her.Und viele der Unsrigen sagten:Es gibt keinen Klassenfeind mehr.Da sah ich an ihrer SpitzeFressen, die kannte ich schon,und ich hörte Stimmen brüllenin dem alten Feldwebelton.Und still durch die Fahnen und Festefloss der Regen Nacht und Tag.Und jeder konnte ihn spüren,der auf der Straße lag.

    Sie übten sich fleißig im Schießenund sprachen laut vom Feindund zeigten wild über die Grenze.Und ans haben sie gemeint.Denn wir und sie, wir sind Feindein einem Krieg, den nur einer gewinnt.Denn sie leben von uns und verrecken,wenn wir nicht mehr die Kulis sind.Und das ist es auch, weswegenihr euch nicht wundern dürft,wenn sie sich werfen auf uns, wie der Regensich auf den Boden wirft.

    Und wer von uns verhungert ist,der fiel in einer Schlacht.Und wer von uns gestorben ist,der wurde umgebracht.Den sie holten mit ihren Soldaten,dem hat Hungern nicht behagt.

    Dem sie den Kiefer eintraten,der hatte nach Brot gefragt.Dem sie das Brot versprochen,auf den machen sie jetzt Jagd.Und den sie im Zinksarg bringen,der hat die Wahrheit gesagt.Und wer ihnen da geglaubt hat,dass sie seine Freunde sind,der hat eben dann erwartet,dass der Regen nach oben rinnt.

    Denn wir sind Klassenfeinde,was man uns auch immer sagt:Wer von uns nicht zu kämpfen wagte,der hat zu verhungern gewagt.Wir sind Klassenfeinde, Trommler!Das deckt dein Getrommel nicht zu!Fabrikant, General und Junker -unser Feind, das bist du!Davon wird nichts verschoben,da wird nichts eingerenkt!Der Regen fließt nicht nach oben,und das sei ihm auch geschenkt!

    Da mag dein Anstreicher streichen,den Riss streicht er uns nicht zu!Einer bleibt und einer muss weichen,entweder ich oder du.Und was immer ich auch noch lerne,das bleibt das Einmaleins:Nichts habe ich jemals gemeinsammit der Sache des Klassenfeinds.Das Wort wird nicht gefunden,das uns beide jemals vereint!Der Regen fließt von oben nach unten.und du bist mein Klassenfeind.