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Total verknallt in sich selbst Manche Männer können gar nicht genug davon kriegen, sich selbst im Spiegel zu betrachten oder ihre vermeintlichen Heldentaten lautstark zu verkünden. Narzissten gehen auf in der Liebe zu sich selbst, Mitmenschen werden schlicht übergangen. Die Ursachen dieser Persönlichkeitsstörung sind nicht gänzlich geklärt. Die eigene Kindheit spielt sicherlich eine Rolle. S chlag nach bei Ovid. Schon bei diesem römischen Dichter der Antike ist nachzulesen, wohin Selbstverliebtheit führen kann. Er beschreibt das Schicksal von Narcissus, einer Figur aus der Mythologie, die sich in ihr eigenes Spiegelbild verliebt. Die Zuneigung anderer verschmäht Narcissus dagegen – bis er daran zugrunde geht. Exzessiv in sich selbst Verliebte gibt es auch in der Moderne. Nach dem Namen des antiken Vorläufers werden sie als „Nar- zissten“ bezeichnet. Meist sind es Männer. Sie sind viel stärker als Frauen gefährdet, sich selbst anzuhimmeln. Denn Männer treten aggressiver und rücksichtsloser auf. Anders als den Frauen mangelt es ihnen oft an Einfühlungsvermögen. Züge von Selbstverliebtheit trägt jeder Mensch in sich. Kritisch wird es, wenn diese Selbstliebe außer Kontrolle gerät. Zu erkennen ist das ohne große Mühe – für Mitmenschen, die es mit einem Narzissten zu tun bekommen. Ein solcher wird sich ständig in höchsten Tönen selbst himmel- wärts loben, das eigene Tun mit Superla- tiven ausschmücken und mit materiellem Wohlstand protzen – vom Schweizer Lu- xuschronografen bis zum Sportwagen. Das Wort „scheitern“ hat der Narzisst aus seinem Wortschatz gestrichen. Mit negativen Erlebnissen beschäftigt er sich nicht. Er führt ein Leben nach dem Lust- prinzip, stets auf der Überholspur, zumin- dest meint er das. Denn er versteht sich blendend darauf, sich selbst etwas vorzu- machen. In der Realität ist er nämlich kein Supermann, sondern getrieben von einer massiven Persönlichkeitsstörung. Nur ge- steht er sich das lange nicht ein. Warnun- gen schlägt er in den Wind. „Ein Narzisst ist in der Regel beratungs- resistent“, erklärt dazu Raphael M. Bonelli. Er ist Uni-Dozent und Psychiater mit eige- ner Praxis. Seine Erfahrungen hat der Wie- ner nun in Buchform vorgelegt. „Männli- cher Narzissmus“ heißt das Werk (Kösel Verlag, 20,60 Euro) kurz und bündig. Frauen als Trophäensammlung Unglaubliche Auswüchse von Narziss- mus beschreibt Bonelli darin. Wie jenen eines jungen Südtirolers, Sohn aus bestem Hause. Er erobert Frauen wie Trophäen, um bald jede Lust an ihnen zu verlieren. „Es gibt schönere Vaginas“, fällt ihm lapi- dar dazu ein, warum er wieder eine junge Frau nach kurzer Affäre fallen lässt. Denn in Wahrheit ist er beziehungsunfähig. Seine Liebe gilt aus- schließlich sich selbst. Dasselbe Muster offen- bart ein Maschinenschlos- ser Mitte 30. Er drängt seine Freundin zur Abtreibung. „Sie muss sich zwischen diesem Zell- haufen und mir entscheiden“, gibt der muskelbepackte Mann gleichgültig zu Protokoll. Ein typisches Verhalten. Denn ein Narzisst lebt oft sexuell ausschwei- fend, wechselt häufig die Partnerin. Während der kurzen Beziehung wird das weibliche Gegenüber ausgenützt, abge- wertet, manipuliert. So bricht die Freun- din des 35-Jährigen die Schwangerschaft ab, obwohl sie das gar nicht will. Und wie reagiert ihr narzisstischer Freund? Er verlässt die Frau: „Mir ist die Lust vergan- gen. Bei gutem Wind segle ich weiter.“ Männlicher Narzissmus ist noch kein Massenphänomen (gottlob, muss man sagen). Bonelli schätzt die Zahl der be- troffenen Männer auf zwei bis drei Pro- zent. Die Tendenz weist allerdings klar nach oben. „Der krankhafte sowie der grenzwertige Narzissmus steigen bei Kin- 28 · Gesellschaft

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Total verknallt in sich selbstManche Männer können gar nicht genug davon kriegen, sich selbst im Spiegel zu betrachten oder ihre vermeintlichen Heldentaten lautstark zu verkünden. Narzissten gehen auf in der Liebe zu sich selbst, Mitmenschen werden schlicht übergangen. Die Ursachen dieser Persönlichkeitsstörung sind nicht gänzlich geklärt. Die eigene Kindheit spielt sicherlich eine Rolle.

S chlag nach bei Ovid. Schon bei diesem römischen Dichter der Antike ist nachzulesen, wohin Selbstverliebtheit führen kann.

Er beschreibt das Schicksal von Narcissus, einer Figur aus der Mythologie, die sich in ihr eigenes Spiegelbild verliebt. Die Zuneigung anderer verschmäht Narcissus dagegen – bis er daran zugrunde geht.

Exzessiv in sich selbst Verliebte gibt es auch in der Moderne. Nach dem Namen des antiken Vorläufers werden sie als „Nar-zissten“ bezeichnet. Meist sind es Männer. Sie sind viel stärker als Frauen gefährdet, sich selbst anzuhimmeln. Denn Männer treten aggressiver und rücksichtsloser auf. Anders als den Frauen mangelt es ihnen oft an Einfühlungsvermögen.

Züge von Selbstverliebtheit trägt jeder Mensch in sich. Kritisch wird es, wenn diese Selbstliebe außer Kontrolle gerät. Zu erkennen ist das ohne große Mühe – für Mitmenschen, die es mit einem Narzissten zu tun bekommen. Ein solcher wird sich ständig in höchsten Tönen selbst himmel-wärts loben, das eigene Tun mit Superla-tiven ausschmücken und mit materiellem Wohlstand protzen – vom Schweizer Lu-xuschronografen bis zum Sportwagen.

Das Wort „scheitern“ hat der Narzisst aus seinem Wortschatz gestrichen. Mit negativen Erlebnissen beschäftigt er sich nicht. Er führt ein Leben nach dem Lust-prinzip, stets auf der Überholspur, zumin-dest meint er das. Denn er versteht sich blendend darauf, sich selbst etwas vorzu-machen. In der Realität ist er nämlich kein Supermann, sondern getrieben von einer massiven Persönlichkeitsstörung. Nur ge-steht er sich das lange nicht ein. Warnun-gen schlägt er in den Wind.

„Ein Narzisst ist in der Regel beratungs-resistent“, erklärt dazu Raphael M. Bonelli. Er ist Uni-Dozent und Psychiater mit eige-ner Praxis. Seine Erfahrungen hat der Wie-ner nun in Buchform vorgelegt. „Männli-cher Narzissmus“ heißt das Werk (Kösel Verlag, 20,60 Euro) kurz und bündig.

Frauen als Trophäensammlung

Unglaubliche Auswüchse von Narziss-mus beschreibt Bonelli darin. Wie jenen eines jungen Südtirolers, Sohn aus bestem Hause. Er erobert Frauen wie Trophäen, um bald jede Lust an ihnen zu verlieren. „Es gibt schönere Vaginas“, fällt ihm lapi-dar dazu ein, warum er wieder eine junge Frau nach kurzer Affäre fallen lässt. Denn

in Wahrheit ist er beziehungsunfähig. Seine Liebe gilt aus-schließlich sich selbst.

Dasselbe Muster offen-bart ein Maschinenschlos-ser Mitte 30. Er drängt seine Freundin zur Abtreibung. „Sie muss sich zwischen diesem Zell-haufen und mir entscheiden“, gibt der muskelbepackte Mann gleichgültig zu Protokoll. Ein typisches Verhalten. Denn ein Narzisst lebt oft sexuell ausschwei-fend, wechselt häufig die Partnerin. Während der kurzen Beziehung wird das weibliche Gegenüber ausgenützt, abge-wertet, manipuliert. So bricht die Freun-din des 35-Jährigen die Schwangerschaft ab, obwohl sie das gar nicht will. Und wie reagiert ihr narzisstischer Freund? Er verlässt die Frau: „Mir ist die Lust vergan-gen. Bei gutem Wind segle ich weiter.“

Männlicher Narzissmus ist noch kein Massenphänomen (gottlob, muss man sagen). Bonelli schätzt die Zahl der be-troffenen Männer auf zwei bis drei Pro-zent. Die Tendenz weist allerdings klar nach oben. „Der krankhafte sowie der grenzwertige Narzissmus steigen bei Kin-

28 · Gesellschaft

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dern, Jugendlichen und jungen Erwach-senen seit den 80er-Jahren unaufhaltsam an“, befindet der Psychiater nach Analyse einschlägiger Studien.

Was den Mann zum Narzissten macht, bleibt umstritten. Eines ist für Bonelli aber klar: „Es ist keine genetische Erbkrankheit, sondern großteils erworben.“ Und da-mit wagt sich der Autor auf gefährliches Terrain. Er legt dar, wie schon aus Klein-kindern heutzutage Majestäten gemacht werden, behandelt wie kleine Erwachsene, grenzenlos überhöht in ihrer Bedeutung, überhäuft mit Lob bei jeder Gelegenheit. Das steigert in den jungen Menschen das Gefühl, jemand ganz Besonderer zu sein – ein idealer Nährboden für angehende

Narzissten. „Die Überbewertung beginnt bei der Geburt des Kindes“, stellt Bonelli trocken fest. „Den Kindern werden immer ausgefallenere und auffälligere Namen gegeben.“ Aus der Masse hervorstechen von Anfang an.

Tief drinnen bleibt ein Narzisst sein Le-ben lang Narzisst. Doch er kann diesen Drang in den Griff bekommen. Eine per-sönliche Krise kann es unvermeidbar ma-chen, das Verhalten zu ändern. Oder der Narzisst verliebt sich tatsächlich in einen anderen Menschen. Das half dem schon erwähnten Südtiroler Schürzenjäger. Der 27-Jährige will der neuen Freundin zulie-be sogar auf Sex bis zur Ehe verzichten. Möglicherweise. (Markus Schramek)

Narzisst – wie man ihn erkennt

1 Einfach grandios: Ein Narzisst hält sich selbst für extrem wichtig und stellt

eigene Leistungen und Talente übertrieben dar. Er erwartet sich, ganz ohne entsprechende Leistung, als überlegen anerkannt zu werden.

2 Grenzenlose Fantasie: Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit, ideale

Liebe – ein Narzisst konstruiert Fantasien um diese Bereiche und wird davon verein-nahmt.

3 Einfach besonders: Er glaubt, besonders und einzigartig zu sein und

nur von anderen besonderen oder hochgestellten Menschen (oder Institu-tionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen.

4 Du bist toll: Er benötigt die Bewunderung anderer in einem

exzessiven Ausmaß.

5 Das steht mir zu: Er zeigt ein Anspruchsdenken, das heißt, er

erwartet sich eine besonders günstige Be-handlung oder ein automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen.

6 Nur der eigene Nutzen zählt: In zwischenmenschlichen Beziehun-

gen ist er ein Ausbeuter, er trachtet stets danach, aus anderen Nutzen zu ziehen, um eigene Ziele zu erreichen.

7 Empathie ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Fremdwort für ihn. Er kann

sich nicht in andere hineinversetzen und vermag es somit auch nicht, deren Gefühle oder Bedürfnisse anzuerkennen.

8 Neid und neidisch: Er ist oft neidisch auf Mitmenschen

oder meint, diese würde ihn beneiden.

9 Auf dem hohen Ross: Er gibt sich hochmütig und arrogant

in seinem Verhalten und in seinen Ansichten.

M it Hilfe der folgenden neun Kriterien lässt sich eine narzisstische Persönlich-

keitsstörung diagnostizieren (diese Aufstel-lung, auch als DSM-5 bekannt, stammt von der American Psychiatric Association).

Foto: iStock

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