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Anhang – Interview I a 1
Transkription des Interviews I a: 1
Tims Perspektive auf sein Leben 2
3
Das Interview wird am späten Nachmittag des 09.11.2004 mit Tim im Musikraum 4
des Gartenhauses der Einrichtung durchgeführt. Andere Personen im Raum, wie 5
auch im gesamten Gartenhaus sind nicht anwesend. Interviewter und 6
Interviewerin kennen sich seit 3 ½ Jahren als Betreuter und Betreuerin in der 7
Gruppe. Dauer des Interviews: ca. 46 Minuten. 8
9
Verwendete Transkriptionszeichen (vgl. Glinka 1998, 62): 10
11
(.) Pause, jeder Punkt bedeutet ca. eine Sekunde 12
(..5..) Pause ab drei Sekunden, die Zahl bedeutet die ungefähre 13
Dauer der Pause 14
(lachen bis *) Nebensprachlich auftretende Erscheinung oder 15
außersprachliche Aktivität bis zur Kennzeichnung * 16
unbedingt Betonung des Wortes 17
da/ äh Abbruch/ Korrektur eines Wortes oder Satzes 18
mhm, hmh Aufmerksamkeitsmarkierer des Verstehens und Zuhörens 19
20
21
Im Interview erwähnte Personen: 22
‚richtiger’ Papa - Herr Fischer, ehemaliger Mann von Frau Berger 23
Mama - Mutter Frau Berger 24
Oma - Mutter von Frau Berger 25
Papa - ehemaliger Lebensgefährte der Mutter, Vaterersatz für Tim 26
und leiblicher Vater von Lars 27
Sabine - jüngere Schwester von Tim, 12 Jahre alt 28
Lars - jüngerer Bruder von Tim, 7 Jahre alt 29
Herr Wertz - Leiter des Kinderdorfes 30
Nadine Sonntag - Erzieherin und Hausleiterin von Tims Haus 31
Frau Hall - zuständige Jugendamtsmitarbeiterin der Erziehungshilfen 32
Thomas - ehemaliger Junge aus Tims Haus 33
34
K.: = Kind und Erzähler 35
I.: = Interviewer 36
Anhang – Interview I a 2
I.: So (.) bereit? 1
K.: Ja! 2
I.: Okay, Tim. Dann bitte ich Dich (.), mir mal so Dein Leben zu erzählen (..), so 3
was Du bisher (.) so erlebt hast und versuch mal, damit anzufangen, woran 4
Du Dich am frühesten erinnern kannst. 5
K.: Ähm, eigentlich nur wo ich ähm (.) kurz vor (.)/ wo ich ins Kinderdorf 6
gekommen bin (…). Und sonst (.) eigentlich nix, seitdem ich hier bin (…). 7
I.: Mhm (..). 8
K.: Und halt noch, wo ich als Baby war (..). Ja (…), wo halt ähm mein Bruder 9
noch geboren is’ und so (.) und meine Schwester (..), hab’ ich auch noch ähm 10
erlebt und wie die groß geworden sind (..). 11
I.: Mhm (…). 12
K.: Sonst weiß ich nix mehr (..5..). 13
I.: Okay (…), Du hast ja grad gesagt, dass ähm (.) Du Dich dran erinnern 14
kannst, als Du ein Baby warst (.) und daheim gewohnt hast. An was kannst 15
Du Dich denn erinnern? 16
K.: Ja also, auch net viel (..). Wie ich halt immer gegessen hab’ und ähm gespielt 17
(..). 18
I.: Erzähl mal (.). 19
K.: Ähm ja (.), das war ähm wo ich ähm (.) so drei oder so war (.) oder zwei, da 20
war ich ähm irgendwo in B-Stadt oder so (..). Aber da war ich ähm (.) noch 21
mit meinem ähm richtigen Papa (.) zusammen und dann (.) hatte der/ war’n 22
da noch zwei andere Kinder (…). 23
I.: Zwei andere Kinder? Vom Papa? 24
K.: Ja, halt ’n größeres Mädchen und ’n kleinerer Junge (...). 25
I.: Und wie hast Du Dich mit denen verstanden? Weißte das noch? 26
K.: Gut eigentlich (…), aber ich weiß nich’ mehr, wer das war (…). 27
I.: Und deine Mama war auch da? 28
K.: Ja (…). Nein, eigentlich net (…). 29
I.: Du hast also mit deinem Vater (..) und mit den anderen Kindern dort 30
gewohnt, deine Mama hat da nicht mitgewohnt (..). 31
K.: Mh, ja und nein. Ich weiß nich’ mehr genau (..). 32
I.: Das hab’ ich jetzt nich’ so ganz verstanden. 33
K.: Ja ähm (.), ich weiß nich’ mal, ob das wirklich is’, das war nur so ’n 34
Gedankenfetzen (…). 35
I.: Okay. Kannst Du Dich denn noch an ähm Dinge erinnern, wo Du dann (.) mit 36
Deiner Mama zusammen gelebt hast? 37
K.: Mhm, wo ich noch ’n Baby war, weiß ich nix. Das war aber ’n bisschen später 38
(..). Ich kann mich nur dran erinnern, wie ich halt (.) immer in die Schule 39
gegangen bin und meine Schwester in den Kindergarten (..). 40
I.: Mhm (.). Und kannst’ Dich an irgendwas zuhause erinnern? 41
K.: Ja ähm und da ähm (.) war ich halt mal (.) so vor der Haustür gestanden (.). 42
Und ähm dann ham sich die glaub’ ich dann gestritten oder so (.). 43
Anhang – Interview I a 3
I.: Wer? 1
K.: Ähm (.), meine Eltern. 2
I.: War’n da Deine Geschwister schon auf der Welt? 3
K.: Ähm (.), ich glaub’ nich’ (..), nee. 4
I.: Mhm (..). Und wie war das sonst so daheim? Erzähl mal ’n bisschen (..), 5
damit ich mir das vorstell’n kann. Habt ihr da in ’nem Haus gewohnt (.) oder 6
in ’ner Wohnung? 7
K.: Ja also, im Haus (.). Ja und ähm (..) da war halt der Lars noch klein. Ähm (…) 8
ich kann mich noch erinnern, der war da ganz klein und (…) ja da hab’ ich 9
ihm immer was vorgelesen. Bücher und so (..). Und dann is’ er halt größer 10
geworden, wie alle (lacht). 11
I.: Richtig (lacht) (.). 12
K.: Ja (..) und ähm (..) eigentlich weiß ich gar nich’ mehr so recht, wie alt der jetzt 13
is’ (.). 14
I.: Der Lars? 15
K.: Ja. Und meine Schwester auch net. 16
I.: Hast Du auch schon lange nich’ mehr geseh’n, ne? 17
K.: Hmh. 18
I.: Mhm (..).Und ähm (..) Du hast dann da also mit der Mama und deinen 19
Geschwistern gewohnt. 20
K.: Mhm und mit der Oma (..) und mit Papa. 21
I.: Das is’ jetzt aber nich’ dein (..) leiblicher Papa, ne? 22
K.: Nee (.), der vom Lars. 23
I.: Und der Vater von der ähm (..) Sabine? 24
K.: Ähm (..), den kenn’ ich nich’. 25
I.: Und wie war das so zuhause? (..) Kannste Dich da noch an so ’n 26
Tagesablauf erinnern? 27
K.: Ähm (.) ja, ich bin da immer in die Schule gegangen halt immer (ironisch 28
gesprochen bis *) mit dem Malteser-Bus* (…) und dann bin ich (.) halt von 29
’ner Schule gekommen und dann hab’ ich Hausaufgaben ähm (.) gemacht 30
und hab’ dabei Fernseh’n geguckt. Und (.) dann (.) ähm hat meine Oma mir 31
geholfen. 32
I.: Mhm. 33
K.: Und dann is’ meine Mama meistens gekommen. 34
I.: Von der Arbeit? 35
K.: Ja. 36
I.: Mhm. 37
K.: Und dann (.) ja (.) hat meine Schwester der Oma halt geholfen. (Nächster 38
Satz unkenntlich) 39
I.: Bitte was? 40
K.: Beim Bügeln und so weiter halt. 41
I.: Ja. 42
Anhang – Interview I a 4
K.: Ähm ja und (..) dann (...) sind die halt gekommen und dann ham wir halt 1
gegessen. 2
I.: Mhm. 3
K.: Und dann (..) nee (…), nach der Schule bin ich ähm in so ’ne Tagesstätte 4
gegangen (.) und dann bin ich erst heim gekommen, das war dann ganz spät 5
(…). 6
I.: War das jetzt zeitgleich mit deiner Mama? (.) Weil grad haste gesagt, das Du 7
heim gekommen bist und dann mit Deiner Oma Hausaufgaben gemacht hast 8
und dann kam Deine Mama. 9
K.: Mh, die kam halt ganz arg spät abends. 10
I.: Ach so (..). Und, wie biste da in der Tagesstätte zurecht gekommen? 11
K.: Gut. 12
I.: War da was ganz besonders gut? 13
K.: Ja (…), die Freizeitbeschäftigung. 14
I.: Und welche? 15
K.: Computer und so. 16
I.: Mhm (.) und was habt ihr dann abends noch (.) gemacht? 17
K.: Mh (..5..) wir ham dann so gespielt (…) oder ham zusammen Fernseh’n 18
geguckt. 19
I.: Mhm, und der Papa, wo war der? 20
K.: Beim Wandern. 21
I.: Beim Wandern? (..) Immer? 22
K.: Äh nein (…) manchmal halt (.). 23
I.: Manchmal. 24
K.: Mhm, (.) und die Mama is’ auch mit dem Papa immer weggegangen. Da sind 25
sie zum Schlachten oder zum Wandern (.) und dann ham sie den Lars meist 26
mitgenommen. 27
I.: Und so am Wochenende, habt ihr da mal (.) was Gemeinsames 28
unternommen? 29
K.: Ja, da ham wir halt manchmal Ausflüge gemacht (..) und (.) ja (…) halt 30
Verschiedenes (.) alles Mögliche. 31
I.: Mhm und gab’ s manchmal auch Ärger? 32
K.: Ja, da ham wir die Oma manchmal geärgert (..). 33
I.: Wie? 34
K.: Ähm, da (.) ham / weiß ich auch nich’ mehr so genau. 35
I.: Weißte nich’ mehr? 36
K.: Ja und die ähm Sabine wollte halt net immer das machen, was die Oma 37
gesagt hat (.). 38
I.: Und Du? (..) 39
K.: Mh (.), manchmal hab’ ich auch gemacht (..). Ähm es gab manchmal Streit, 40
weil (.) der Papa ähm (.) mag eigentlich immer den Lars mehr und die Mama 41
die Sabine (..). Und dann hat immer ähm die Mama gesagt ähm (.), der Papa 42
soll halt net immer den/ die Sabine anschrei’n (..). 43
Anhang – Interview I a 5
I.: Mhm, und hat er das dann auch gemacht? 1
K.: Ähm (..), manchmal. 2
I.: Mhm (.). Und wie ging’s dann weiter? 3
K.: Mh (..4..) ich weiß nur, dass es dann ’ne ganze Zeit gut lief (.) und dann kam 4
halt irgend ’n Mann oder irgend ’ne Frau (..). 5
I.: Ein Mann oder ’ne Frau? 6
K.: Ähm (.), ’n Mann glaub’ ich (.), aber ich weiß net, wo der her kam. Ich glaub’ 7
(.), vom Jugendamt oder so (..). 8
I.: Wie alt warste denn da, kannste das einschätzen? 9
K.: Ähm, so fünf oder sechs. 10
I.: Hmh (.). Und ähm (.) kannst Du Dich denn dran erinnern (.), wie’s war, als es 11
dann irgendwann hieß, Du sollst ins Heim? 12
K.: Weiß ich nich.’ 13
I.: Und haste ’ne Idee, warum das gesagt wurde oder weißt Du warum? 14
K.: Nee (.), eigentlich lief’s ähm (.) ja gut. Es lief eigentlich nich’ so schlecht. 15
(..5..) 16
I.: Und was lief schlecht? 17
K.: Ähm, das sich meine Mama und mein Papa öfter gestritten haben (..) und 18
eigentlich lief’s dann’ ne zeitlang gut (.) und dann musst’ ich halt ins 19
Kinderdorf. 20
I.: Und das Deine Mama und Dein Papa sich gestritten haben, habt ihr Kinder 21
das auch mitgekriegt ähm (.) wie Du damals? 22
K.: Manchmal.(.) 23
I.: Und wie hast Du (..)/ was hast du dabei so gedacht? 24
K.: Mh (..6..), eigentlich gar nichts. 25
I.: Und was hast Du dann gemacht? (…) 26
K.: Dann hab’ ich halt mit dem Lars was gespielt. 27
I.: Mhm (.). Und sonst gab’s nichts, außer das sich Deine Eltern gestritten ham? 28
K.: Ähm nee (…). 29
I.: Und dann wurde irgendwann gesagt (..): „Tim, du musst jetzt ins Heim!“, oder 30
wie? 31
K.: Ja (..6..). 32
I.: Und was hast Du da gedacht? 33
K.: Mh (.), ich hab’ gar net gewusst, was das is’. 34
I.: Hat’s Dir jemand erklärt (..)? 35
K.: Mhm (..) 36
I.: Und wer? 37
K.: Die Mama (.). Aber ähm (..) ich hab’s dann trotzdem net gewusst. 38
I.: Konntest Dir nichts drunter vorstell’n? (…) 39
K.: Ich hab’ gedacht, ähm da muss ich nur am Wochenende hin und dann geh’ 40
ich wieder heim (…). 41
I.: Mhm. (.) Und dann (…) was passierte dann? 42
K.: Mh (…) nix. 43
Anhang – Interview I a 6
I.: Wie nix? Haste Dich nich’ vorbereitet darauf oder das Dir jemand erklärt hat 1
warum überhaupt? 2
K.: Ach so (.) ja, da ham wir geguckt, was ich alles mitnehm’ (...). 3
I.: Deine Mama und Du? 4
K.: Ja, aber das wurde ja in letzter Zeit eh alles wieder heim geschickt (…). 5
I.: Wieso? 6
K.: Weiß nich’ (…). 7
I.: Hat Dir irgendwer erklärt, warum Du ins Heim sollst? 8
K.: Ähm (..5..) ja danach, halt weil meine Eltern sich immer streiten oder so (.). 9
Aber das machen ja eigentlich fast jede Eltern (…). 10
I.: Verstehst Du das heute? 11
K.: Nee (…). 12
I.: Haste mal jemanden gefragt oder hast gefragt: „Ich versteh’ das nich’!“? 13
K.: (Kopfschütteln) (…) 14
I.: Okay (…), dann (.) biste ja irgendwann hierher gekommen, ne? 15
K.: Mhm (..). 16
I.: Hast Du Dir vorher mal das Kinderdorf hier angeschaut? 17
K.: Ja (.). 18
I.: Und wie fandstest in Haus X? 19
K.: Ähm (..), nee Haus X nich’. 20
I.: Das Haus und die Leute da haste nich’ kennen gelernt? 21
K.: Nee (..). 22
I.: Und wann haste dann Haus X kennen gelernt? 23
K.: Mh (.), halt später (..) ähm wo ich halt gekommen bin. 24
I.: Hast Dich dann gleich entschieden? 25
K.: Mh (..) ja schon (..). Musst’ ich. 26
I.: Wurdest Du nich’ gefragt, ob Du hier bleiben möchtest? 27
K.: Hmhm, halt ich konnt’ ja nich’ sagen: „Nein, ich will nich’.“ 28
I.: Warum nich? 29
K.: Ähm (.), weiß ich nich (…). Ich musste halt einfach hierher (..4..). 30
I.: Hmhm (..). Und wer war alles dabei? 31
K.: Mh (.), ja ich, meine Mama, die Nadine und ähm (.) der Herr Wertz glaub’ ich. 32
I.: Keiner vom Jugendamt? 33
K.: Doch, die Frau Hall (...). 34
I.: Kannste Dich denn noch an den Tag erinnern, wo Du hier eingezogen bist? 35
K.: Ja (..) leider. 36
I.: Hmh (…) und wie war so der Tag für Dich? 37
K.: Komisch und so (..) war halt ähm alles neu. Und dann hab’ ich halt lieber das 38
gemacht, was (…) was ich halt für richtig fand. 39
I.: Hat Dir jemand was erklärt, wie das so is’ hier? 40
K.: Ja (…). 41
I.: Versuchst Du’s mal den ähm (.) Tag nochmal genauer zu erzählen? 42
Anhang – Interview I a 7
K.: Ja (.), da sind wir halt ähm (..) hierher gekommen, wir sind aber zweimal 1
gefahr’n, glaub’ ich und (...) und die sagen immer noch, weil ich so viel 2
Sachen hab’, aber das stimmt eigentlich gar net (…). Und (..) ähm dann sind 3
die Eltern halt wieder gegangen (.) und ich hab’ dann gedacht, die kommen 4
dann nochmal (.) und dann ham wir halt zu Abend gegessen (..5..). 5
I.: Wer hat zu Abend gegessen? 6
K.: Ähm, halt Haus X. 7
I.: Und Deine Eltern sind nich’ nochmal gekommen? 8
K.: Nee. 9
I.: Haben sich nicht verabschiedet? 10
K.: Mhmh (Kopfschütteln) (..). 11
I.: Wie ging’s Dir da? 12
K.: Mh (..) hab’ fast gar nix gegessen. 13
I.: Hmh (.), hattest Du da jemanden, der Dich da unterstützt, diese Situation 14
irgendwie zu meistern? 15
K.: Mh (..) eigentlich net (..5..). 16
I.: Und so die Erzieher auch nich’? 17
K.: Mh, also Kati hab’ ich gleich gedacht (..), ähm (…) ja das wird halt nix so (.). 18
I.: Warum? 19
K.: Das wusst ich auch nich’ so, aber (..) das war halt dann wirklich so. 20
I.: Und bei den Ander’n?(.) 21
K.: Weiß ich nich’. 22
I.: Konntest Du zu jemand geh’n und sagen: „Ich bin traurig“? 23
K.: Mh, nee (.). 24
I.: Kanntest sie ja auch erst einen Tag, ne? 25
K.: Ja (…). 26
I.: Mhm (.) und hat Dich jemand gefragt, wie’s Dir geht? 27
K.: Nee (..). 28
I.: Fühlst Du Dich denn jetzt hier wohl? 29
K.: Mh (..). 30
I.: Wie lange bist Du jetzt hier? 31
K.: So zirka (.) dreieinhalb Jahre. 32
I.: Und (.) weißt Du noch wann Du gedacht hast: „O.k., jetzt hab’ ich mich ganz 33
gut eingelebt (..), jetzt komm’ ich hier ganz gut zurecht“? 34
K.: Eigentlich nie (..). 35
I.: Auch heute noch nich’? 36
K.: Mhmh (Kopfschütteln). 37
I.: Und warum nich’? 38
K.: Mh (..7..), das weiß ich halt net so. 39
I.: Weißte nich’? 40
K.: Mhmh (Kopfschütteln) (..) So schlecht eigentlich auch wieder net (..) 41
I.: Jetzt haste grade gesagt, einmal (..) dass Du Dich nie eingelebt hast und 42
dann so schlecht is’ es eigentlich gar nich’. 43
Anhang – Interview I a 8
K.: Ja, wenn man halt denkt, dass man hier schlafen kann und (.) dass man 1
Essen kriegt und so (…). 2
I.: Und sonst fühlst Dich nich’ wohl? 3
K.: Nee (..). 4
I.: Hast Du da mal mit jemanden drüber gesprochen? 5
K.: Mh (..5..) nee, eigentlich fragt ja auch niemand (..). 6
I.: Es fragt niemand? 7
K.: Mhmh (Kopfschütteln). 8
I.: Hmh (..) okay. Und wie war das in der Zeit mit Deinen Eltern? 9
K.: Erst nach acht Wochen oder sechs Wochen durften die anrufen (…). Mh, war 10
halt blöd, weil ich hab ’immer gefragt: „Wie viel Wochen noch?“. 11
I.: Wie siehst ’n so (.) die Beziehung zwischen Deinen Eltern und dem 12
Kinderdorf? 13
K.: Mh (..), wie die Beziehung? 14
I.: Ähm (..), wenn Deine Mama oder Dein Papa zu Besuch kamen hier ins 15
Kinderdorf, wir war das (.) dann? Haben die sich verstanden oder (.) 16
gemocht? 17
K.: Mh (..) nein (..) 18
I.: Nee? 19
K.: Ja weil, (..) ich glaub’ die Erzieher denken ähm (.), die Eltern sind halt 20
schlecht.(..). 21
I.: Wieso? 22
K.: Weil ähm (..) weil manchmal sagen die ähm (.) die sind unfähig was zu 23
machen oder so (…). 24
I.: Sagen sie das Dir (.) oder kriegst Du das mit? 25
K.: Ja schon. (..5..) Das merkt man auch irgendwie (..). 26
I.: Mh (.), an was? 27
K.: Halt ähm (..) wie die das so hinstell’n. 28
I.: Wie die was hinstell’n? 29
K.: Meine Eltern. 30
I.: Hast Du das Gefühl, das sich das mit der Zeit (…), das sich das jetzt nach 31
dreieinhalb Jahr’n gebessert hat? 32
K.: Nee, eigentlich kaum (...) mh (..5..) eigentlich gar nich’. 33
I.: Und wie is’ das, wenn Du sie triffst? 34
K.: Gut. 35
I.: Und wie oft siehst du sie? (..) 36
K.: Ähm (.) zurzeit (..) nicht. 37
I.: Beide nicht?(..) 38
K.: Nee (..), aber sie kommen am 20. ins Kinderdorf (.). Aber daheim war ich 39
glaub’ ich (.) dieses Jahr nicht. Oder ähm (.) ab Februar oder März war ich 40
glaub’ ich nich’ mehr daheim (...). 41
I.: Weißt Du wieso? 42
Anhang – Interview I a 9
K.: Weil daheim wieder irgendwas nich’ gelaufen is’ und (.) eigentlich konnt’ ich 1
heim geh’n zwei Wochen, aber das hat dann noch nich’ mehr geklappt (..). 2
I.: Und warum nicht? 3
K.: Weil ähm da schon wieder Streit gab (.). 4
I.: Zwischen Dir und Deiner Mama? 5
K.: Nein, zwischen ähm (.) in der ganzen Familie halt (..). 6
I.: Also ihr versteht Euch (.), wenn ihr Zwei zusammen seid? 7
K.: Ja (..). 8
I.: Findest Du, dass sich irgendwie (.) seitdem du hier bist, also seitdem Du im 9
Kinderdorf bist, hat sich da (.) irgendwas so verändert, wenn ihr zusammen 10
seid? 11
K.: Ja schon (...). 12
I.: Was denn? 13
K.: Mh (.), ich weiß halt nich’, was es is’, aber ich merk’s (..). 14
I.: Kannste nich’ so beschreiben oder erklär’n? 15
K.: Nee (..). 16
I.: Mhm (…). Und wie sieht’s mit Deinen Geschwistern aus? Habt ihr Kontakt? 17
K.: Mh (.) mit meinem Bruder ja (.) und mit meiner Schwester zurzeit nicht(…). 18
I.: Wo lebt Dein Bruder? 19
K.: Ähm, jetzt bei meinem Papa. 20
I.: Und Deine Schwester? 21
K.: Ähm (.) auch in so einem Heim oder so(..). 22
I.: Und schreibt ihr euch mal oder telefoniert? 23
K.: Nee, ich weiß nich’ die Telefonnummer (..). 24
I.: Haste mal gefragt? 25
K.: Nee (..), bin ich nich’ dazu gekommen (…). Ich hab’ halt meine Mama 26
gefragt, wie’s der Sabine geht und so (…). 27
I.: Aber Du würdest gern Kontakt zu ihr haben? (.) 28
K.: Ja schon (.), is’ ja meine Schwester. 29
I.: Mhm (.). Kannst Du Dir vorstell’n, auch mal zum Jugendamt zu geh’n, wenn 30
Du was auf’m Herzen hast? (.) Also, hast Du Vertrauen zu der Frau Hall, 31
dass sie ähm (.) Dir hilft, wenn irgendwas is? (…) 32
K.: Mh (..7..) mh (…) mhmh (Kopfschütteln) (..). Die denken halt (.) auch immer 33
schlecht über meine Mama (…). 34
I.: Das Jugendamt auch? 35
K.: Ja (.). 36
I.: Gab es da mal ’nen konkreten Vorfall oder ’ne konkrete Situation (.), dass Du 37
(.)/ dass Du das denkst? 38
K.: Ja halt beim letzten (..) ähm Hilfeplangespräch (..) ham die halt so geredet 39
(..). 40
I.: Wie so geredet? 41
K.: Ähm (.), da ham sie halt grad so getan, als wär’ sie halt so (.) wie soll ich das 42
sagen (..7..) psychisch gestört oder so ähnlich. 43
Anhang – Interview I a 10
I.: Hmh (...). Sag mal, gibt’s überhaupt irgend ’nen Menschen hier, dem Du 1
vertraust? 2
K.: Wie? (...) 3
I.: So von den Erwachsenen (.), gibt’ s da jemand von den Erwachsenen so in 4
Deiner Umgebung, dem Du vertraust? (..) Zu dem Du geh’n kannst (...), wo 5
Du weißt, was Du dem erzählst, wird nich’ weiter erzählt ähm (.) der versucht 6
Dir zu helfen, der Dich unterstützt und bei dem Du so sein kannst, wie Du 7
wirklich bist. ’Ne Person, die da is’ einfach (.). 8
K.: Nein, außer halt (...), mal abgeseh’n von den Erwachsenen (...) gibt’s viele, 9
die mir helfen. 10
I.: Und wen? 11
K.: Mh (.), weiß nich’. 12
I.: Und Erwachsene? 13
K.: Nein (…). 14
I.: Wenn Du jetzt 16 wärst (…) und die Wahl hättest auszuziehen (.) oder auch 15
nich’ auszuziehen, was würdeste denn da machen? 16
K.: Mh (..9..) na ja (.), wahrscheinlich auszieh’n. 17
I.: Mhm (..7..). Wenn Du jetzt mal so in Deine Zukunft blickst, was siehst’n da? 18
K.: (..) Mh nix (..4..) 19
I.: Wie sieht denn der Tim in 10 Jahren aus (.), was macht der Tim? 20
K.: Alt (lacht) (.). 21
I.: (lacht) Ja, alt auch. 22
K.: Ich weiß nich’, vielleicht hängt der am Bettelstab oder (.) ähm (..) keine 23
Ahnung (...). 24
I.: Hast Du nich’ so Zukunftsideen, was Du machen könntest? 25
K.: Mh (..) Vielleicht irgendwas mit Tieren (.) oder ähm mit Technik (…). Ja, aber 26
wahrscheinlich geht’s doch eh nich’ in Erfüllung. 27
I.: Was wünscht Du Dir denn? 28
K.: Mh (...) ’n Haus, ’n Haustier, ’n großes Auto (..) und (undeutlich gesprochen 29
bis *) halt net grad ein Euro fünfzig* pro Monat (..). 30
I.: Ein Euro fünfzig? 31
K.: Net grad ein Euro fünfzig. 32
I.: Ach so (..). Und soll da jemand mit in Deinem Haus leben? 33
K.: Ähm (...) na ja (…) ich hab’ ja ’n Haustier (..). 34
I.: Kein anderer Mensch? (.) 35
K.: Mh (...) weiß net (..), vielleicht kommt ja mal irgend jemand. 36
I.: Mhm (..8..) das wünsch ich Dir sehr (..). 37
K.: Mh ja (grinst). 38
I.: O.k., das war’s von meiner Seite, hast Du noch irgendwas? 39
K.: Nee, eigentlich nich’. 40
I.: Dann danke schön, dass Du mir so viel erzählt hast. 41
K.: Okay.42
Anhang – Interview I b 1
Transkription des Interviews I b: 1
Tims Perspektive auf sein Leben 2
3
Das Interview wird am späten Nachmittag des 16.11.2004 mit Tim in dem von 4
ihm bewohnten Zimmer in Haus X durchgeführt. Tims Zimmer dient ihm als 5
Rückzugsmöglichkeit und als sicherer Zufluchtsort bei Schwierigkeiten in der 6
Gruppe. Er bewohnt das Zimmer allein und hält sich dort gerne und oft auf. 7
Dauer des Interviews: ca. 46 Minuten 8
9
Verwendete Transkriptionszeichen (vgl. Glinka 1998, 62): 10
11
(.) Pause, jeder Punkt bedeutet ca. eine Sekunde 12
(..5..) Pause ab drei Sekunden, die Zahl bedeutet die ungefähre 13
Dauer der Pause 14
(lachen bis *) Nebensprachlich auftretende Erscheinung oder 15
außersprachliche Aktivität bis zur Kennzeichnung * 16
unbedingt Betonung des Wortes 17
da/ äh Abbruch/ Korrektur eines Wortes oder Satzes 18
mhm, hmh Aufmerksamkeitsmarkierer des Verstehens und Zuhörens 19
20
21
Im Interview erwähnte Personen: 22
Mama - Mutter Frau Berger 23
Lars - jüngerer Bruder von Tim, 7 Jahre alt 24
Nadine Sonntag - Erzieherin und Hausleiterin von Tims Haus 25
Nina - Mädchen aus Tims Haus 26
Robert - Auszubildender als Erzieher 27
28
29
K.: = Kind und Erzähler 30
I.: = Interviewer 31
32
33
I.: So (.), es läuft. 34
K.: Hmh. 35
I.: Bereit? 36
K.: Ja. 37
I.: O.k.. Also (.) Tim, Du kannst Dich bestimmt noch an das Interview erinnern 38
(..), ähm das wir zusammen gemacht haben, ’ne? 39
K.: Ähm (.) ja. 40
Anhang – Interview I b 2
I.: Und ähm (.) ich hab’ da noch ’n paar Fragen an Dich, was mir noch nich’ so 1
(.) klar is’ und (.) kannst Du mir noch mal so erzählen (.) ähm wie das damals 2
so war (.) als Du hier eingezogen bist? 3
K.: Wie ich hierher gekommen bin? 4
I.: Ja (..). 5
K.: Ähm (.) wo (..) ich halt in der alten Wohnung war, das war so, als ich sieben 6
oder acht war (.). Und (..) ja (.) ähm (…) ja und dann (.) wurde mir halt gesagt, 7
dass ich ins Kinderdorf musste. Ähm (.), da war ich halt (.) neun oder so und 8
mit zehn bin ich dann ins Kinderdorf gekommen (.). 9
I.: Mhm. 10
K.: Ähm und (.) dann sind wir halt hierher gefahr’n (…) ähm ja (.) und dann (.) 11
ham wir halt alles ausgepackt und mir wurd’ das Zimmer gezeigt und so (.). 12
Und ähm (.) dann sind wir halt erstmal zum Abendessen gegangen (..) und ja 13
bis (.) jetzt bin ich (.) vier Mal umgezogen. 14
I.: Mhm. Und was war zu Hause, dass Du dort nicht bleiben konntest? 15
K.: Mh (..) ja, wir hatten halt viel Streit (…). 16
I.: Wer hatte Streit? 17
K.: Ähm (.), meine Eltern (..). 18
I.: Und ihr Kinder? (.) 19
K.: Eigentlich nich’ (..) so. 20
I.: Und wieso? 21
K.: Ähm, weil (.) die Mama sich nich’ richtig kümmern kann (…). 22
I.: Um Dich? 23
K.: Mhm (..4..). 24
I.: Hast Du das Gefühl auch, dass das so is’? 25
K.: Nee, net immer. 26
I.: In welchen Situationen? (..6..) Also wann hast Du das Gefühl, das sie sich 27
nich’ kümmern kann? 28
K.: Mh (…) eigentlich ähm zum Beispiel wenn der Lars halt ähm nich’ hört (..) 29
dann. 30
I.: Mhm. Und (..) was passiert dann, wenn er nich’ hört? 31
K.: Ja, dann kriegt er halt Ärger. Manchmal macht er nich’ das, was er machen 32
soll (..). 33
I.: Und dann? (..) 34
K.: Mh (…) ähm (..) dann schimpft die Mama und (.) dann muss er manchmal ins 35
Bett oder irgendwas anderes und das macht er dann halt auch nich’ (…). 36
I.: Und dann streiten die sich ganz doll? 37
K.: Hmh. 38
I.: War das bei Dir früher auch so? 39
K.: Manchmal. 40
I.: Mhm (…). Kannst Du Dich vielleicht noch an so ’ne Situation erinnern, wo 41
das so war? 42
K.: Mh (..) nein (..5..). 43
Anhang – Interview I b 3
I.: Hast Du sonst noch irgendwann das Gefühl gehabt, dass Deine Mama sich 1
nich’ kümmern kann? (..) 2
K.: Nee, eigentlich nicht. 3
I.: Und das war auch so das Einzige, was gesagt wurde, warum das so ist? 4
K.: Ja (..) und halt (undeutlich gesprochen bis *) dass sie nich’ so viel Geld hat* 5
I.: Nich’ so viel Geld hat? 6
K.: Ja (…). 7
I.: Hmh, und wer hat Dir das alles erklärt? 8
K.: Ähm (.) halt später die Nadine. 9
I.: Hmh. 10
K.: Ja (.). 11
I.: Und in den Gesprächen, so bei den Hilfeplangesprächen, wurde Dir das da 12
mal erklärt? 13
K.: Mh, nein (..5..). 14
I.: Wie findste’n das, wenn die Erwachsenen ähm (..) nich’ mit Dir reden? 15
K.: Blöd (.). Ich find’s auch blöd, dass so die Erwachsenen immer kommen und 16
geh’n (.). 17
I.: Wer kommt und geht? 18
K.: Dass halt ähm (.) viele Erwachsene kommen und geh’n, dass halt einer mal 19
Nachtdienst hat und die anderen geh’n. 20
I.: Also der Dienst hier? 21
K.: Hmh. 22
I.: Wie hättest es denn gerne? 23
K.: Wenn’s halt nur zwei Erzieher gäbe und die würden halt hier arbeiten (.). 24
I.: So abwechselnd? 25
K.: Ja. 26
I.: Oder zusammen? 27
K.: Halt (.) abwechselnd. 28
I.: Also einer im Dienst würd’ Dir reichen? 29
K.: Hmh. 30
I.: Und wie is’ das für Dich, wenn Du/ wenn Du so viele Erwachsene zum 31
Beispiel in so ’nem Gespräch hast, die so über (.) Dich reden? 32
K.: Geht so (…). 33
I.: Hast Du das Gefühl, dass Du da Mitspracherecht hast (..). Also dass Du auch 34
sagen kannst: „Hey Leute, ich bin auch da und ich möchte das und das?“ 35
K.: Ja schon (…) mhm. 36
I.: Also, Du wirst da schon mit einbezogen? 37
K.: Ja. 38
I.: Bereitest Du Dich auf solche Gespräche vor? 39
K.: Na ja, eigentlich nich’ so (.). 40
I.: Nee, denkste nich’ mal so aus: „Och, was könnt’ ich denn sagen und was (.) 41
stell’ ich mir so in dem nächsten halben Jahr vor (.) für mich?“ (..) 42
K.: Nee (..6..). 43
Anhang – Interview I b 4
I.: Fragt da denn mal jemand: „Hey Tim, sag’ mal, wie geht’s dir ’n so?“ 1
K.: Ja doch halt (.), ähm dann sag’ ich halt immer: „Gut.“ 2
I.: Und warum sagst Du „gut“, wenn’s Dir eigentlich gar nich’ gut geht? 3
K.: Ja, dann sagen sie halt nix weiter, dann fragen sie halt nich’ weiter (..). 4
I.: Also Du bist eher so ’n Typ, der (.) gefragt werden will? 5
K.: Nee, eigentlich net (lacht). Ja, wenn sie halt immer so sich anhör’n, als 6
würden sie ’n langes Gespräch anfangen, so „wie geht’s ’n Dir?“, dann sag’ 7
ich halt immer: „Gut“ (..). Dann hör’n sie halt auf (..5..). 8
I.: Warum sagste denn dann nicht mal: „Mir geht’s net gut“? (..) 9
K.: Ich weiß nich’ (...). Ähm (..7..) mh (.) gute Frage (…) ich weiß net. 10
I.: Weil schau mal, das Problem is’ irgendwo, find’ ich zumindest, wenn ich das 11
so seh’ (..), dass dann (.)/ also Du hattest ja schon im letzten Interview 12
erzählt, dass Du Dich hier nich’ wohlfühlst, ne? 13
K.: Hmh (.) 14
I.: Dass Du Dich dann auch nich’ so wirklich hier wohl fühl’n kannst, weil’s Dir 15
nich’ gut geht und es keiner weiß. 16
K.: Ja (..). 17
I.: Und vielleicht könnte man irgendwas verändern, dass es Dir gut geht oder 18
dass es Dir hier besser geht (..), wenn Du was sagen würdest (..). 19
K.: Mh, glaub’ ich nich’ (..5..). 20
I.: Kannst Du mir nich’ ’n bisschen erklär’n, warum’s Dir net gut geht hier? 21
K.: Mh (…) ja (..) ja, das Kinderdorf will ja halt für uns Gutes tun, gell? 22
I.: Ja. 23
K.: Sag’ ich mal so (.), wahrscheinlich stimmt’s ja, egal. Ähm (..) und (...) was 24
gute Familien haben auch haben, ja? 25
I.: Hmh. 26
K.: Ja, zum Beispiel (...) Haus W, Haus Y und Haus Z, ja? 27
I.: Hmh. 28
K.: Ham zum Beispiel bessere Einrichtung und da lebt sich’s halt besser mit ’m 29
(..4..) mh ja net mit so ’nem (..) alten/ halt so ’ner alten Einrichtung irgendwie 30
(.). Da hat man schon kein Bock ’reinzugeh’n irgendwie. Weiß nich’ (..). Und 31
hier geht auch viel mehr kaputt irgendwie. 32
I.: Hier geht mehr kaputt? 33
K.: Ja. 34
I.: Also es wird mehr kaputt gemacht? 35
K.: Ja. 36
I.: Von den ander’n Kindern? 37
K.: Ja, und ähm dass das Kinderdorf nich’ so viel Geld hat, is’ auch voll blöd (..). 38
I.: Was hätteste denn gerne? 39
K.: Ja, das kann man eigentlich gar net (..). Ähm ja also vielleicht ’ne (..) für’s 40
ganze Haus ’n besseren Computer. Oder (.) wenn alle wollen ’ne X-Box oder 41
so. Weiß ich nich’ (...). 42
Anhang – Interview I b 5
I.: Und Du hast gerade gesagt (...), dass das Kinderdorf (..) äh was Gutes für 1
Euch tun will. 2
K.: Ja, und ich muss extra in ’nen anderes Haus, um ’ne ähm alte X-Box spiel’n 3
zu können (.). 4
I.: Und Du meinst, dass sie nich’ Gutes tun? 5
K.: Wie? Wer denn? 6
I.: Das Kinderdorf. Geht’s Dir da eher so um solche Dinge, so wie eben X-Box, 7
’n ordentlichen Computer? 8
K.: Ja, ich will jetzt halt nich’ sagen, ähm dass hier Breitbildfernseher und (..) ja 9
so was. 10
I.: Und jetzt mal weg von den materiellen Dingen, geht’s Dir dann gut? Also 11
geht’s Dir so (..) rein gefühlsmäßig gut hier? Fühlst Du Dich hier verstanden 12
von den Erwachsenen (..), fühlst Du Dich ähm (..), was gibt’s denn noch? 13
K.: Ja (.), eigentlich fühl’ ich mich net wohl, weil die einzigen Lebewesen in 14
meinem Zimmer sind die Blumen (..) außer mei Spinnen halt. Und (.) die 15
wurden halt auch umgeknickt bis auf eine (...). Und wahrscheinlich (..) 16
verstümmeln alle. Und ähm ja (..). 17
I.: Also es gibt Schwierigkeiten mit den ander’n Kindern, die Dir Sachen kaputt 18
machen? 19
K.: Ja (..). 20
I.: Kümmern sich denn da die Erzieher nich’ drum, dass so Sachen dann ersetzt 21
werden oder so? 22
K.: Ja, dann is’ es ja schon passiert, da kann man ja auch nix mehr machen. 23
I.: Das stimmt schon. Aber versuchen kann man’s, oder? 24
K.: Mh (…). 25
I.: Und wie fühlst Du Dich mit den Erwachsenen, wie is’ es da so? 26
K.: Mh (..5..). 27
I.: Glaubst Du, dass sie Dich kennen? 28
K.: Nee, nur von der äh wie heißt das noch mal (…) Akte her und (.) irgendwie 29
fühlt man sich hier in so ’ner Massenproduktion. Irgendwie wie so ’n 30
Hühnerstall oder so (…). 31
I.: Weil’s so viel Kinder sind? 32
K.: Ja (.) und wie halt einer sagt was, alle machen’s (...). 33
I.: Einer is’ jetzt ’n Erwachsener? 34
K.: Ja (..). 35
I.: Und alle Kinder machen das dann? 36
K.: Ja (.). Und jeden Tag dasselbe halt (.). Aufsteh’n, runtergeh’n und immer 37
diese blöde Glocke da (.) ähm (.) 38
I.: Die Glocke? 39
K.: Ja, zum Essen die halt. 40
I.: Die nervt? 41
K.: Ja (...). 42
Anhang – Interview I b 6
I.: Kannst Du denn zu den Erwachsenen geh’n, wenn irgendwie so was is’? (..) 1
Hast Du da Hilfe, wenn Du sie brauchst? 2
K.: Mh (…), eigentlich ähm (..) geh’ ich da (.) seit ’nem bestimmten Zeitpunkt 3
nich’ mehr dahin. 4
I.: Hm? 5
K.: Na, zu den Erziehern und frag’ da halt um Hilfe. 6
I.: Und warum nich’? 7
K.: Weil halt (..4..) ähm (.) es kam halt mal so, dass ähm (.) manchmal wird halt 8
immer das Zimmer ausgemistet und so, ja? (.) 9
I.: Mhm. 10
K.: Und (.) ja, und da lagen halt (.) fast ’n halber Meter hoher Stapel, wo ich halt 11
in regelmäßigen Zeitspannen was Gutes gemalt hab’. Hab’ ich mindestens ’n 12
Jahr dafür gebraucht (.). 13
I.: Hmh. 14
K.: Halt für manche Zeichnungen sogar ’n ganzen Monat. Wollt’ ich meiner 15
Mama schenken, ja? Und die wollt’s aufhängen und alles wurde 16
weggeschmissen (..). 17
I.: Alles? 18
K.: Ja (..). Und drei gute Autos hab’ ich auch gemalt, hat ewig lang gedauert und 19
die hatt’ ich halt auf dem Schreibtisch. Die wurden auch weggeschmissen (..). 20
I.: War das in Deinem Beisein? 21
K.: Nein (..), am nächsten Tag wollt’ ich gucken (.) alles weg. 22
I.: Also Du hast das Zimmer jetzt nich’ mit ausgemistet, hab’ ich das richtig 23
verstanden? 24
K.: Nein. 25
I.: Das ham die Erzieher allein gemacht oder wer? 26
K.: Das wurde halt als (.) Müll bezeichnet. 27
I.: Und Du hast dann nachgefragt: „Wo sind meine Sachen?“ 28
K.: Ja. 29
I.: Und sie ham Dir erzählt, dass sie’s weggeworfen haben? 30
K.: Ja (..). 31
I.: War das für Dich so was wie ’n Vertrauensbruch? 32
K.: Halt mehr (...), halt jetzt sind die Erzieher für mich nur Menschen, die mir was 33
sagen und das mach’ ich halt. Mehr sind die nich’ mehr für mich (...). 34
I.: Seit diesem Tag? 35
K.: Ja (.). Auch aus dem Grund, weil man’s halt nich’ mehr ersetzen kann (...). 36
I.: Also Privatsphäre (.) vermisst Du schon, dass Leute halt nicht an Deine 37
Sachen gehen, egal ob groß oder klein? 38
K.: Ja. Und daran denk’ ich halt immer, wenn ich was anfang’ zu malen (..). 39
Kaum greif’ ich zu dem Stift, denk’ ich daran und hab’ dann schon gar keinen 40
Bock mehr was zu malen. Weil (.) wahrscheinlich wird doch eh alles 41
weggeschmissen. 42
I.: Hmh. 43
Anhang – Interview I b 7
K.: Früher hab’ ich auch so ganz viele Geschichten geschrieben (..) und 1
nachdem wurde mein Geschichtenbuch auch weggeschmissen. 2
I.: Aber jetzt sag’ mal, wird das Zimmer regelmäßig ausgemistet? 3
K.: Nein, halt (.) auch wenn/ wegen den Läusen, wo die Kinder Läuse hatten, 4
ähm ja wurde halt auch was weggeschmissen. 5
I.: Das Zimmer wurde dann praktisch desinfiziert oder wie auch immer, weil 6
einige Läuse hatten und dabei wird Dein Zimmer ausgemistet? 7
K.: Ja (.) und halt (.) das find’ ich irgendwie blöd, aber da kann man halt nix 8
gegen machen. 9
I.: Hast Du das dann mal gesagt danach, hast Du’s mal angesprochen? 10
K.: Ja. 11
I.: Aber? 12
K.: Ja (.), jetzt is’ es halt schon weg. 13
I.: Und was ham se dazu gesagt? (..) 14
K.: „Ja, räum’ halt besser auf!“. 15
I.: Hä? 16
K.: Ich soll es halt in ’ne Mappe tun. Und dann schmeißen sie die Mappe weg 17
(…). 18
I.: Aber für solche Fälle und für solche Dinge sind die Hilfeplangespräche da (..), 19
dass Du dann da auch sagen kannst: „Das fand’ ich richtig Scheiße!“, wenn 20
ich das jetzt mal so ausdrücke. 21
K.: Ja gut, aber jetzt is’ es doch längst passiert. 22
I.: Ja gut, aber hast Du dann nich’ das Gefühl, dass man das dann noch klär’n 23
muss? 24
K.: Nein, es is’ halt so gelaufen (..5..). 25
I.: Aber Du bist doch auch Teil vom Haus. Du lebst hier (.) und deswegen hast 26
Du auch das Recht, dazu beizutragen und zu sagen: „Das passt mir nicht und 27
das geht für mich nicht (..), dass ihr in meinen Sachen ’rumwühlt und meine 28
Sachen wegschmeißt, ohne dass ich gesagt hab’, ihr dürft es 29
wegschmeißen.“ (..7..) 30
K.: Die Hauptsache is’, dass das Zimmer ordentlich is’. 31
I.: Dass das die Hauptsache is’? 32
K.: Sagen sie. 33
I.: Mh (…) o.k., jetzt hab’ ich verstanden, warum Du Dich hier nicht wohl fühlst. 34
K.: Ja (.) und das is’ hier halt jeden Tag nix anderes als das (.). 35
I.: Mhm, und Du siehst die Erwachsenen so, dass sie Dir was sagen und Du 36
das machst (.), so wie sie es woll’n. 37
K.: Ja (..). 38
I.: Also is’ es nich’ so, wie Du vorhin gesagt hast, dass Du (.) glaubst, dass Du 39
mitentscheiden kannst? 40
K.: Mhmh (Kopfschütteln) (..) Bei manchen Situationen, bei manchen nicht. 41
I.: Und warum machst Du das, was sie Dir sagen? (..) 42
K.: Mh (..7..). 43
Anhang – Interview I b 8
I.: Oder wie ist es, wenn Du’s nich’ machen würdest? 1
K.: Dann heißt’s entweder: „Ja, früher ins Bett“ oder „Heimfahrt gestrichen“ und 2
so (.). 3
I.: Zu den Eltern? 4
K.: Ja (…). 5
I.: Also Du machst das dann eher (.), um halt die Strafen nich’ zu kriegen? 6
K.: Ja halt, manches is’ mir auch egal. 7
I.: Und dann machst Du’s nich’? 8
K.: Ja. 9
I.: Is’ das bei Deinem Verhaltensplan auch so? 10
K.: Ja. 11
I.: Und dann gibt’s Ärger? (.) 12
K.: Ja manchmal halt (.). 13
I.: Stell Dir mal vor (.) ähm (.), Du würdest morgens aufwachen und Dir würde ’s 14
gut geh’n (…). Was hätte sich verändert? 15
K.: Ähm (.) als erstes fang’ wir mal früh’s an, die Glocke (..). Ähm die Erzieher 16
können sich die Mühe machen, in jedes Zimmer zu geh’n und „Essen“ (.) 17
rufen. Dann ähm (.) alle Kleinen ins andere Haus. Ähm (..) und dann (.) ähm 18
wie viel Wünsche? (.) 19
I.: Alle. 20
K.: So viele? 21
I.: Ja (.), so dass es Dir gut geht (.). 22
K.: O.k. ähm (..), mehr Raum für mich (.) und ähm (.) und vielleicht, dass ich 23
ungefähr weiß, wie lang ich hier bleib’ oder so. Und von den Erziehern noch 24
ähm (.) nich’ jemand der motzt (..4..) und halt jemand der freundlich is’ (...). 25
I.: Und hast Du auch Wünsche an die Erzieher, die ähm (.) schon hier sind? 26
K.: Ähm puh (.), dass sie nich’ so streng sind, mehr erlauben und (..) halt, dass 27
sie auch an was denken, die sagen immer, wir soll’n an alles denken (.). Und 28
ähm Versprechen halten, obwohl die’s manchmal auch nich’ ähm halten (.) 29
und ähm (.) nicht schlecht über die ähm (.) Eltern denken, (..) reden. Auch 30
zum Beispiel wo ich da war ham se über Nina ihre Eltern gelästert (...). 31
I.: Da warst Du dann mit im Raum und hast das gehört? 32
K.: Ja (..6..). Dann denk’ ich (.) mh (.), dass die Erzieher denken: “Hauptsache 33
das Kind mag mich“ (..). Und manchmal stimmt das eigentlich auch gar nich’ 34
(…). 35
I.: Was sie über die Eltern sagen? 36
K.: Ja (..). 37
I.: Und was war (.)/ Du hast grade angesprochen, dass (.) sie ihr Versprechen 38
halten sollen? (..) Was/ kannst Du Dich da noch an ’ne Situation erinnern, wo 39
(.) das nicht gehalten wurde? 40
K.: Mh (..4..), ähm (…) wie beim halt/ bei allen , aber das weiß ich nich’ mehr so 41
genau (.). Aber (.) letztens war’s beim Robert (.), ähm (.) der hat ja gesagt, 42
ähm (.) er tut dann ähm (..), wenn er halt was Schlechtes erfährt über uns, tut 43
Anhang – Interview I b 9
er halt nich’ gleich sagen, ähm wir war’n das oder so, sondern (.) ähm fragt 1
erstmal nach. Und (.) letztens hat die Nadine mich gefragt, ähm ob der 2
Robert mit mir gut Hausaufgaben macht. Dann hab’ ich g’sagt: „Ja“ (.). Und 3
dann hat sie halt gesagt: „Und der spielt immer mit seinem Handy ’rum.“ Und 4
dann habe ich „Nein“ gesagt. Und (.) die Nadine hat dann irgendwann dem 5
Robert gesagt, dass ähm (..) ähm ich hätte ihr gesagt, dass der Robert immer 6
mit seinem Handy ’rumspielt und dann hat der Robert halt mir gesagt, dass 7
(.) dass ich das nich’ sagen soll und so (..6..). 8
I.: Hmh (..6..). Und wer hat da welches Versprechen nich’ eingelöst? 9
K.: Mh, ja der Robert. Und eigentlich auch ich, weil (.) der hat dann gesagt ähm 10
(.), ich soll ihn nich’ an den Pranger hängen und so (…). 11
I.: Hmh (..). Und weißte noch ’ne (.) Situation? (..) 12
K.: Ja, das war hat vieles (.). Aber (.) ähm (..) das Jugendamt auch. Wer hält sich 13
schon an so ’n Plan? Von 15 Uhr bis 16.30 Uhr (..) soll ich da wieder hingeh’n 14
(.) und genau sagen, was ich machen will (..). 15
I.: Ist Dir das zuviel? 16
K.: Ja, is’ halt voll blöd und (.) wir soll’n in die Bücherei und ähm (.) ’n Ausweis 17
machen lassen (.) und die war halt schon zu und dann hab’ ich halt/ hat 18
meine Mama gesagt: „Die is’ zu und da gibt’s noch ’ne andere.“ Aber da 19
kostet’s pro Buch ein Euro und dann hat sie halt gesagt: „Nee, das Geld tu’ 20
ich lieber net ausgeben“ und dann/ die hat ja extra noch Rücksicht 21
genommen (.) und die ähm (.)/ dann sind wir halt irgendwo anders (.) in so ’n 22
Buchladen und ham halt geguckt und dann sind wir halt heim und dann hat 23
die Nadine gesagt: „Ihr habt Euch nicht daran gehalten.“(...). 24
I.: Und (.) das Jugendamt, was hat das dazu gesagt? (..) 25
K.: Ähm, nix. Und dann (.) ähm/ (.) wir sollten uns halt dreimal im Monat oder so 26
treffen. Und jetzt is’ es noch einmal oder zweimal, weil’s net geklappt hat (.). 27
I.: Wegen solchen Sachen mit der Bücherei? 28
K.: Ja (..). 29
I.: Hmh. 30
K.: Das kann auch gar nich’ so genau auf die Uhrzeit und so klappen (..). 31
I.: Wie hättest Du das denn gerne? (.) 32
K.: Na, eigentlich das weglassen (.). 33
I.: Was? 34
K.: Na, das mit dem Plan um so und so viel Uhr (.). 35
I.: Und (.) wie dann? 36
K.: Na, halt wie früher immer, dass es frei (.)/ dass es der Mama überlassen 37
wird. 38
I.: Also Du möchtest, dass Dir (.) und Deiner Mama mehr zugetraut wird? 39
K.: Ja (.). 40
I.: Mhm (.). So abschließend ähm (.), was wäre denn nur für Dich gut? 41
K.: Mh (..), halt dass nich’ so viel passiert wär’ (…). 42
I.: Hmh (.). O.k.. 43
Anhang – Interview I b 10
K.: Mh (..4..). 1
I.: Gut (..), dann wünsch’ ich Dir, dass sich das alles hier (.) ’n bisschen bessert. 2
K.: Mhm. 3
I.: Ja (.). Danke schön, dass Du noch mal so viel erzählt hast. 4
K.: Mhm (..). Was machst Du da? 5
I.: Aus. 6
Anhang – Interview II 1
Transkription des Interviews II: 1
„Tims Lebensgeschichte“ – Die Perspektive der Mutter 2
3
Das Interview wird am frühen Nachmittag des 27.11.2004 mit Frau Berger im 4
großen Raum des Gartenhauses der Einrichtung durchgeführt. Andere Personen 5
im Raum, wie auch im gesamten Gartenhaus sind nicht anwesend. Der Raum ist 6
ebenerdig, mit Blick auf den Garten, und beinhaltet eine Reihe von Tischen, 7
einen Schrank mit Büchern und einem Fernsehgerät. Interviewte und 8
Interviewerin sitzen an einem beiseite geschobenen kleinen Tisch und kennen 9
sich seit drei Jahren im Rahmen der Elternbesuchskontakte der Einrichtung. 10
Dauer des Interviews: ca. 78 Minuten. 11
12
Angewandte Transkriptionszeichen (vgl. Glinka 1998, 62): 13
14
(.) Pause, jeder Punkt bedeutet ca. eine Sekunde 15
(..5..) Pause ab drei Sekunden, die Zahl bedeutet die ungefähre 16
Dauer der Pause 17
(lachen bis *) nebensprachlich auftretende Erscheinung oder 18
außersprachliche Aktivität bis zur Kennzeichnung * 19
unbedingt Betonung des Wortes 20
da/ äh Abbruch/ Korrektur eines Wortes 21
[... …] Satz oder Wort unverständlich 22
Mhm, hmh Aufmerksamkeitssignale des Verstehens oder Zuhörens 23
24
25
Im Interview erwähnte Personen: 26
Tim - Handlungsfigur, 13 Jahre alt 27
Herr Teichert - ehemaliger Lebensgefährte der Mutter, Vaterersatz für Tim 28
und leiblicher Vater von Lars 29
Sabine - jüngere Schwester von Tim, 12 Jahre alt 30
Lars - jüngerer Bruder von Tim, 7 Jahre alt 31
Herr Wertz - Leiter des Kinderdorfes 32
Frau Schmitt - Psychologin des Kinderdorfes 33
Frau Hall - zuständige Jugendamtsmitarbeiterin der Erziehungshilfen 34
Thomas - ehemaliger Junge aus Tims Haus 35
36
37
M.: = Mutter Frau Berger und Erzählerin 38
I.: = Interviewerin 39
Anhang – Interview II 2
I.: Okay (..). Also (.), das Band läuft (.). Ich möcht’ Sie dann bitten, mal Tims 1
Lebensgeschichte zu erzähl’n (.), ähm (.) so wie Sie (.) das in Erinnerung 2
haben und ähm (.) mit dem ehesten anzufangen, an was Sie sich erinnern 3
können wie so eins zum andern gekommen is’ bei Tim. 4
M.: (..) Mh, wo soll ich da anfangen? 5
I.: Mit dem frühesten, an was Sie sich erinnern können bei Tim. 6
M.: Ja, dass er ziemlich bald angefangen hat zu laufen (..) und (..) er hat immer 7
viel getrunken (lacht) und war halt ziemlich stark (..) und da hat der Arzt 8
sogar g’sacht, dass er eben (..) abnehmen müsste. 9
I.: Mhm. 10
M.: (..) Und im Gegensatz zu jetzt, wenn ich (.) das Bild jetzt anschau’, dann 11
kann ich mir das gar net vorstell’n (.) 12
I.: Mhm. 13
M.: Mh (..4..), was gibt’s noch? Äh (..17..) (innerhalb der Pause sichtlich 14
steigende Nervosität der Mutter) 15
I.: Überlegen Sie ruhig, wir ham ganz viel Zeit (..13..). Erzähl’n Sie mal einfach 16
die Lebensgeschichte von Tim so aus ihrer Sicht. (..13..) 17
M.: Mh, ich weiß net, wo ich da anfangen soll. 18
I.: Fangen Sie einfach vorne an und dann (.) so bis heute. So, wie Sie das 19
erlebt haben, so die einzelnen Stationen (…). 20
M.: Mh (…) 21
I.: Also erst war er ja ganz klein, 22
M.: mhm 23
I.: dann Kindergarten, dann Schule, irgendwann is’ er hierher gekommen(..). 24
So darüber so ’n bisschen, ähm wie Sie das so erlebt haben. Also wie war 25
es, als er klein war, wie war er/ wie war’s im Kindergarten (.) und wie in der 26
Schule (..), so von Ihrer Sicht her. 27
M.: Mh (..4..) ja, ich hab’ mich halt (.) sehr (.) früh oder bald vom Vater getrennt 28
und (..19..) er war dann ziemlich klein, wie er (.) bei seinem Vater war. Und 29
(.) der kann sich auch praktisch (.) jetzt (.) nimmer d’ran erinnern, wie er 30
ausschaut oder (.) wo er wohnt (..7..). 31
I.: Mhm. 32
M.: Ja, im Kindergarten (.) äh da war er damals in (.) B-Stadt gewesen (.) und 33
das war grad in Umbau. Da war’n sie so in ’nem Container/ war’n die Kinder 34
da untergebracht. Und (..) da hat er sich eigentlich recht gut zurecht 35
gefunden (..). Und in der Schule (..4..) da wurd’ er eben meistens 36
gehänselt, weil er net (.)/ weil er eben anders war wie ’n ander’s Kind (…). 37
Des war auch (.) daheim, wo ich gewohnt hab’ (.), weil ich ihn da zur 38
Fußballgruppe äh ’reingetan hab’ (..) 39
I.: hmh 40
M.: und dann wurd’ er immer zurückgestuft (.), also in die kleinste Gruppe (...) 41
und (.) das hat ihn schon mitgenommen. 42
I.: Mhm (…). 43
Anhang – Interview II 3
M.: Ja, dann kam noch (.) der Umzug noch, Wohnungssuche. Weil (...) da durft’ 1
er halt dieses und jenes net machen (.) von den (.) Vermietern aus. 2
I.: Mhm. 3
M.: Und das hat sich halt immer noch weiter gesteigert. 4
I.: Hmh. 5
M.: Und dann hab’ ich halt a’ Wohnung gefund’n (..). In der Zwischenzeit is’ er 6
weiter in die Schule ’reingegangen und die ham dann nich’ mehr äh (.) 7
genommen, die war’n halt kann man (.) sagen, fertig mit ihrem Talent. 8
I.: Mhm. (..) 9
M.: Ja und dann kam’s halt dazu, dass er (..) in so ’n Kinderheim eben (.) geht. 10
I.: Mhm. (…) 11
M.: Ja, am Anfang war’s halt schwierig ähm, weil er noch ’ne Woche daheim 12
bleiben musste (..), weil der Lehrer ihn net (.) genomme’ hat 13
I.: Mhm. 14
M.: und ich auch net wusst’, wo er eben (.) äh hinkommt (..). Da is’ ihm halt 15
sämtliche Sachen eingefall’n (..8..). Ja da kam dann ’n Anruf, dass dann die 16
Frau (.) ähm Hall was gefunden hat. Ich hab’s dann vorher angeschaut (..) 17
und (...) dem Tim hat’s halt gefall’n und mich natürlich auch. (…) Mh na 18
dann kam halt der Tach, wie die Sachen zu packen und herzufahr’n und (.) 19
Abschied zu nehme’ (.). Nja, dann die Kontakt(.)sperre oder wie sagt’s da? 20
I.: Ja. 21
M.: War dann gewesen und (…) im Gegensatz früher und jetzt (.) hat er sich 22
schon (.) gut gemacht. 23
I.: Mhm. 24
M.: (..20..) (verunsichert) Woll’n Sie jetzt noch Fagen stell’n? 25
I.: Mhmh. (.) Ähm, ich musste jetzt darauf warten, dass Sie (.) abschließen. 26
Deshalb hab’ ich jetzt so lang gewartet. Ähm (..) also, Sie haben ja jetzt so 27
erzählt, wie Sie das erlebt haben mit dem Tim, ne? 28
M.: Mhm. 29
I.: So bis heute und ähm wie war das denn, als er klein war (.) ähm also so im 30
Säuglingsalter, das hatt’ ich grad nich’ so wirklich verstanden. Hat er dann 31
bei Ihnen gelebt oder bei dem Vater, als Sie sich von Ihm getrennt haben? 32
M.: Bei mir. 33
I.: Bei Ihnen. 34
M.: Ich war dann schwanger und (.) äh bei der Trennung, wo Tim noch nich’ auf 35
der Welt war (räusper), ähm (..) war ich im Frauenhaus. 36
I.: Mhm. 37
M.: Bis ich die Wohnung wieder gekriecht hab’. Und dann (.) bin ich dann 38
wieder zurück. Und (.) hab’ den Tim dann gekriecht. Er war zwar dabei bei 39
der Entbindung (.) und (..) danach dann auch, hat ihn dann zum Besuch 40
g’habt. 41
I.: Mhm (…) also der Tim hat durchgehend bei Ihnen gelebt, nich’ mal beim 42
Vater? 43
Anhang – Interview II 4
M.: Ne. 1
I.: O.k., das war mir grad nich’ so klar. Wie würden Sie denn das/ die 2
Beziehung zwischen ihm und seinem Vater beschreiben? So bei den 3
Besuchen? 4
M.: Später als ich ähm (..) die Sabine eben g’habt hab’, da war er ungefähr drei 5
(..), da hat er ihn das letzte Mal eben geseh’n. 6
I.: Mhm. Und wie würden Sie so die Beziehung zwischen den Beiden 7
beschreiben? Wie wie ham Sie das so erlebt, so Ihr Eindruck? (..) 8
M.: Na ja, des is’ halt ziemlich lang her. Ich weiß ja net, wie (…) 9
I.: Können Sie sich nich’ mehr dran erinnern, wie der Tim heim kam? 10
M.: Doch das weiß ich, aber ich weiß jetzt net, ob ich das (.) so sagen soll. 11
I.: Sagen Sie einfach, wie Sie’s denken. 12
M.: (lacht) Der hat halt immer (.) ziemlich oft gestritten, 13
I.: mhm 14
M.: weil die Besuchskontakte war’n (…) net direkt bem Frauenhaus, sondern ’n 15
Stück weiter weg. 16
I.: Ja. 17
M.: Ja, da hat er (.) die Wut an mir und an der Sabine ausgelassen. 18
I.: Der Tim? 19
M.: Ne, der Vater. 20
I.: Hmh. 21
M.: Und hat mich dermaßen beschimpft (..). Der Tim der kam dann verstört (..) 22
ähm wie sagt man (..), aufgehetzt 23
I.: mhm 24
M.: zurück und ließ dann wieder des (.) an der Sabine aus. Entweder (.) er hat 25
sie ’runtergeschmissen (.), er hat sie geboxt (.), dann war er bös’ auf mich 26
und (..). 27
I.: Wie alt war die Sabine da? 28
M.: 10 Monat’. 29
I.: Mhm. 30
M.: (..) Na ja, dann hat sich halt das Ganze gesteigert und dann war’s dann (..) 31
letzten Besuch kann man sagen ja (…) äh kam er/ hab’ ihn dann ganz 32
verstört abg’holt (..) 33
I.: mhm 34
M.: und da hab’ ich auch gemerkt, dass was net stimmt. 35
I.: Mh? 36
M.: Ähm (.) da (.) ging er halt wieder auf die Sabine los (..), dann is’ er 37
’rausgerennt und (.) wollt sich halt über’n Balkon (.) springen. 38
I.: Hmh. 39
M.: Dann hab’ ich ihn grad noch erwischt (..5..). Dann bin ich mit ihm ins Bad 40
gegang’n und (..) hab’ dann g’fragt eben, was eben los war oder (..). 41
I.: Mhm. 42
Anhang – Interview II 5
M.: Da hat er so ’rumgedruckst (..) und hat halt eben g’sagt: „Der (..) Papa hat 1
sein Pissi bei mir in mein Popo nei gesteckt“. 2
I.: Hmh. 3
M.: Das hat er nur mir g’sagt (..). Ich hab’ dann (.) zu ihm g’sagt: „Ich helf’ Dir“ 4
(..) und hab’ dann näxten Tach gewartet, bis die eben (.) vom Haus komme’ 5
sind. 6
I.: Ja. 7
M.: Und da gab’s dann eben extra welche für (.) die Eltern und (.) für die Kinder 8
dann extra äh (.) Erzieher oder wie man da sacht. 9
I.: Mhm. 10
M.: Dann hab ich’s denen g’sacht (..) und die ham’s natürlich net geglaubt (…) 11
und ich hab’ dann ’n Termin ausgemacht (.) bei ’ner Beratungsstelle für 12
mein Sohn. 13
I.: Mhm. 14
M.: [… Satz unverständlich…]. Und dann hat sich die eine Frau, wo für die 15
Kinder zuständig is’ äh unterhalten mit ihm. Da hat er nur ’n Bild gemalt und 16
(.) hat’s zusammengerissen und drauf ’rumgetret’n und hat gesacht: 17
„Endlich is er tot, der böse Papa!“ (..). 18
I.: Mhm. 19
M.: Da musst’ ich ihn weiterhin (.) äh trotzdem mitgeb’n (.), aber ich hab’ das 20
dann so gestaltet (..) äh bei der Beratungsstelle (.) in B-Stadt, 21
I.: mhm 22
M.: dass er dorthin kommt und dort den Sohn abholt und (.) damit die seh’n, 23
wie er is’. 24
I.: Ja. 25
M.: Na ja, ich bin dreimal hingang’n (.) und dreimal umsonst (..). Das dritte Mal 26
hat er dann angeruf’n (.) und hat den Leiter oder wie man sacht man da? 27
I.: Ja, der da die Beratungsstelle da leitet, ne? 28
M.: Äh (…) zusamm’n geschimpft und hat nur gesacht: (..)„Ich will nix mehr 29
wissen (.), die soll mit dem Bangert1 machen, was sie will!“ Das war das 30
letzte, was ich dann (.) eben g’hört hab’. 31
I.: Mhm (..) und der Tim, also hat der Tim noch mal was von ihm gehört? 32
(Kopfschütteln der Mutter) Gar nich’? 33
M.: Nein. 34
I.: Also das war auch so das Letzte, was der Tim von ihm mitgekriegt hat? 35
M.: Ich weiß ja net, ob er/ keine Ahnung wieviel er da noch weiß. 36
I.: Sie haben grad’ gesagt, dass (..) die Ihnen natürlich nich’ geglaubt hätten. 37
M.: Ne, ich hab’s dann eben zur (.) Anzeige gebracht, die is’ dann mit mir (.) zur 38
Polizei, der Tim war dabei und 39
I.: Die Frau von der Beratungsstelle? 40
M.: Ne, die wo für die Kinder eben zuständig is’ die Frau. 41
I.: Äh, von wem jetzt? Also (.) 42
1 „Bangert“ = fränkisch; bedeutet so viel wie „Bengel, Lausbub“
Anhang – Interview II 6
M.: Vom vom Frauenhaus. 1
I.: Okay, mhm. 2
M.: Und natürlich hat er sich da net/ nix eben (.)/ der hat zu denen nix gesacht. 3
I.: Mhm. 4
M.: Warum, weiß ich ich jetzt auch net. Vielleicht weil sie fremd war’n oder äh 5
(..) 6
I.: Mhm. 7
M.: Kann sein. Dann wurde das eben unter ’n Teppich gekehrt. 8
I.: Und warum? 9
M.: Weiß ich net. Ich hatte ja den Termin da eben g’habt und die ham dann dort 10
ang’rufen und ham gesacht, weil die sich untereinander gekannt haben so 11
so so Freunde war’n die gewesen, die ham dann gesacht: „Da war nix“ und 12
äh (..) ich brauch auch da net hin (..). 13
I.: Wohin? 14
M.: Zu der Beratungsstelle. 15
I.: Mhm (..). Wie war denn zu dem Zeitpunkt das Verhältnis zwischen Ihnen 16
und dem Tim? (…) Also, wie würden Sie das so (.) sehen, weil sie sagten 17
grad’, dass der Tim viel Wut an Ihnen und der Sabine ’rausgelassen hat. 18
M.: Mhm. Wie sacht man? (…) Auf der einen Seite wollt’ ich helfen (..), konnt’ 19
ich oder durft’ ich net. (..) Ja, und auf der andern Seite war ich irgendwie (.) 20
hilflos. 21
I.: Mhm. (…) Hatten Sie da zu dieser Zeit ’n neuen Lebenspartner, der mit bei 22
Ihnen gewohnt hat? 23
M.: Ja2. 24
I.: Wie hat sich der Tim mit dem verstanden? 25
M.: Äh (.), am Anfang (.) hat er halt die beiden Kinder gemocht. Na ja, dann 26
hab’ ich dann noch eins gekriecht und dann hat er halt eben (..)/ is’ er mit 27
denen net zurecht gekommen. Dann hat er quasi den ganzen Tach nur (.) 28
geschrieen (..), is’ net mit den Kindern zurecht komme. 29
I.: Und warum? 30
M.: Ich weiß net. Der hat halt nur (.)/ ich weiß net, der war so komisch. Der/ den 31
hat halt alles gestört (..). Als Beispiel beim Essen. Wenn sie geredet ham 32
oder mh (..) jede Kleinigkeit, is’ er gleich aufgebraust 33
I.: mhm 34
M.: und da hab’ ich halt ihm (..) scho’ ’n paar Mal g’sacht, dass er halt eben (..)/ 35
dass ich mich dann trennen will. 36
I.: Mhm. 37
M.: Na ja, das hab’ ich dann auch gemacht (..). 38
I.: Also Sie ham sich auch von ihm getrennt, weil er mit den Kindern nicht 39
zurecht kam. 40
M.: Mhm, ja. 41
I.: War die Trennung vor der Zeit, bevor Tim ins Kinderdorf kam? 42
2 Anm. d. Interviewerin: Frau Berger meint hier Herrn Teichert
Anhang – Interview II 7
M.: Nee, das war danach. 1
I.: Mhm (.). Also er hat die Aufnahme von Tim auch noch miterlebt? 2
M.: Ja. 3
I.: Hat er für den Tim so ’ne Vaterfunktion gehabt oder hat er immer noch? 4
M.: Mh (.) schon. Er sacht auch Papa zu ihm. 5
I.: Mhm (..4..). Als dann feststand, dass Tim ins Kinderdorf geht, ham Sie sich 6
dann mit dem Tim darüber unterhalten, dass er in ein Heim soll? 7
M.: Ja, ich hab’s ihm halt gesacht. Äh (..) da war er halt total aufgeregt und 8
wusst’ net (..) warum, weswegen und was los war und (.). Na dann hab’ 9
ich’s ihm halt erklärt (.) und ham uns dann die Heime halt angeschaut. 10
I.: Und was haben Sie ihm da erklärt? 11
M.: Dass halt eben (…) besser für ihn is’, wenn er in ein Heim halt eben geht 12
und dort zur Schule. 13
I.: Mhm (.). 14
M.: Und dass er sich eben (..) wohler fühlt (..) und zurechtkommt. 15
I.: Und was war denn letztendlich (.) der Auslöser dafür, dass Sie gesagt 16
haben: „Ne, das schaff’ ich nich’ mehr mit dem Tim“? 17
M.: Ja, die (..) Schule3 hat mich dann angesprochen und hat g’sacht, ich soll 18
mich halt eben (..)/ dass die net zurechtkommen mit ihm, weil er (.)/ er hat 19
Proben verbessert (.), er hat sie durchgestrich’n, im Unterricht net 20
aufgepasst (..), dann (..) sämtliche Verstecke gekannt, was (.) ähm also 21
unmögliche Sachen angestellt (…). Na, das hat sich halt total hoch 22
gesteigert, weil er eben net so is’ (.) oder war wie eben ’n anders Kind. 23
I.: Mhm. 24
M.: Weil eben net (..) äh die ham halt ihm gezeigt, dass er eben net (.) zu 25
denen gehört oder ham sich net mit ihm abgegeben (.). Gar nix. 26
I.: Ich kann mir das noch nicht so wirklich vorstell’n (.) ähm (..) weil sie sagten 27
vorhin mal dass er sich im Kindergarten ganz gut zurecht gefunden hat, ne? 28
M.: Das war woanders. 29
I.: Ach so. Und was is’ denn (..) 30
M.: Da hat er ja/ da war/ da war er eben noch nich’ so. 31
I.: Aber wie (..) wie war er denn damals? 32
M.: Ähm im Kindergarten ruhig und (…) das Ganze hat sich dann halt 33
gesteigert in der Schule und (..) ja mit dem (.) Lebensgefährten, dann mit 34
dem Umzug, weil ich ewig keine Wohnung gefunden hab’ (..). Das war’n 35
über zwei Jahr. 36
I.: Mhm. Und in dieser Zeit wurde er dann immer ruhiger? 37
M.: Nee, da war er nich’ ruhiger. 38
I.: Ach da war er nicht ruhiger. 39
M.: Nee (lacht). 40
3 Anm. d. I.: Schule zur Erziehungshilfe = für Schüler, die durchschnittlich intelligent sind,
aber aufgrund ihres Verhaltens nicht die Regelschule besuchen können
Anhang – Interview II 8
I.: Ach, im Kindergarten war er ruhig und dann (.) 1
M.: hat sich das gesteigert. 2
I.: Und wie äußerte sich das dann so (.) beim Tim, dass ich mir das so 3
vorstell’n kann? 4
M.: Mh (…), der hat ’n Tic eben gehabt. Wenn man halt genau hinschaut, dann 5
(.) hat er’s jetzt noch (..). Aber früher war’s schlimmer. 6
I.: Hmh, wie hat sich das gezeigt? 7
M.: Mh (…) an den Augen dann mit der Hand, dann (..4..)/ der wurde halt richtig 8
veräppelt (.) von den Erwachsenen aus und von den Kindern. 9
I.: Wegen seinen Tics? 10
M.: So is’ es. 11
I.: Ham Sie dann mal erlebt, wie der Tim dann darauf reagiert hat (.), wenn er 12
das gemerkt hat, dass er veräppelt wird? 13
M.: Ich hab’s halt denen erklärt äh (.) wie’s is’. Wie sie’s halt aufgenomme’ ham, 14
weiß ich net (..). Und (.) ich hab’ halt immer zu ihm gehalten. 15
I.: Mhm (.). Und was hat der Tim in so ’ner Situation gemacht? 16
M.: Er hat’s dann g’spürt. (..) Die ham ihn halt quasi/ die ham gewusst, dass er 17
eben wenn er aufregt is’, ’n Tic hat (..). Und dann ham sie ihn noch (.) mehr 18
aufgepuscht, kann man sagen. Zum Beispiel äh (.) in der Fußballgruppe 19
wurd’ er zurückgestuft (..) von der großen Mannschaft in die ganz kleine. 20
Also das heißt dann scho’ (...) einiges. Und mei Tochter war da noch dabei 21
gewesen, die war dann (.) ziemlich stark, konnt’ sich net bewegen. Dann 22
hat die noch ’n Dämpfer abgekriecht von den Erwachsenen. 23
I.: Mhm (..). Und hat er sich irgendwie gewehrt? Oder hat er sich eher 24
zurückgezogen? 25
M.: Nee, wie sacht man da (..) äh (.) er hat auf seine Schwester aufgepasst, 26
weil sie die auch veräppelt ham (..) Er war halt praktisch der Große dann in 27
der Gruppe und hat halt sein Bestes gemacht. 28
I.: Mhm. 29
M.: Dann hab’ ich ihn dann ’rausgetan (..) und ähm (...) den Tach dann (..) sind 30
dann die ganze Gruppe ans Haus hingekomme’ und ham ihn dann (.) 31
veräppelt 32
I.: Und was hat er dann daraufhin gemacht? 33
M.: (…) Die ham ihn auch so veräppelt, weil er (.) extra mit ’m Bus abgeholt 34
worden is’ und wieder gebracht is’ und eben net in die Schule ’gange is’, wo 35
wir im Dorf g’wohnt ham. 36
I.: Also er wurde von den Kindern gepiesackt und ausgegrenzt? 37
M.: Genau. 38
I.: Mhm (.). Und ham Sie da mal mit ihm drüber gesprochen, wie er sich fühlt? 39
M.: Nee, ich hab’s halt gemerkt und (…) quasi, er hat halt keine Freunde g’habt 40
(..). 41
I.: Also war er dann schon viel alleine? 42
Anhang – Interview II 9
M.: Ja. Ich hatt’ auch keine Freunde (..). Kann man sagen fast fünf Jahr lang 1
net. 2
I.: Mhm. 3
M.: Und (..) na ja dann hab’ ich dann versucht, wechzuzieh’n (..4..). 4
I.: Mhm (..). Also Sie kannten da auch niemanden im Dorf? 5
M.: Doch ich kannt’ viele, aber (.) die ham sich net (..) mit mir ab’geben (.). 6
Auch wie die Kinder sich net mit ’m Tim ab’geben ham (..). Die ham mich 7
ausg’schlossen (..). Es gab nur eine Frau, die (..) äh (.) kann man sagen, 8
die zu mir g’halten hat und die auch mich verstanden. 9
I.: Mhm (.) und (.) wurden Sie ausgeschlossen (.) wegen ihren Kindern? 10
M.: Ich vermut’ es. 11
I.: Sie wissen’s gar nich’? 12
M.: (sehr leise) Nee. 13
I.: Mhm (..). Und (.) es gab ja dann irgendwann solche Schwierigkeiten, dass 14
sie gesagt haben: „Ich brauch Hilfe“. Wie war das denn? 15
M.: Die äh (.) Schule hat’s halt (.) mir g’sacht und dann hab ich’s halt eben (..) 16
äh (.) im Jugendamt g’sacht und die ham dann g’sacht die und die Frau wär 17
dafür zuständig (..). Und dann ham wir dann Gespräche geführt und dann 18
ham sie g’sacht das (.) macht halt eben die (..) Frau Hall. 19
I.: Mhm. 20
M.: Und (..) die hat halt eben (.) zwei Heime vorg’schlagen und (…) 21
I.: Also Sie sind ins Jugendamt gegangen und haben gesagt, also die Schule 22
hat Sie praktisch angerufen, dass es in der Schule nimmer klappt. 23
M.: Ich bin halt dort hin’gange zum Gespräch (..) und (…) weil se halt eben 24
gesagt ham, sie sind am Ende (.) so ungefähr. 25
I.: Aber die hatten das Jugendamt noch nicht eingeschaltet? 26
M.: Nein, das hab’ ich dann g’macht. 27
I.: War das auch mit ’n Auslöser, dass die Schule nich’ mehr Tim zurecht 28
kam? 29
M.: Ja, die ham ihn ja nimmer genomme’, wo das fünfte Schuljahr angefange’ 30
wäre. 31
I.: Aufgrund seiner Auffälligkeiten, die sie vorhin erzählten? 32
M.: Ja (..). 33
I.: Gab es auch Schwierigkeiten zuhause? 34
M.: Ja, er war halt recht/ ja (..) er hat noch Tagestätte g’habt (.) und (..) da is’ er 35
halt auch immer erst nachmittag heim’komme’. 36
I.: Mhm. Die Tagesstätte war die da angegliedert an die Schule? 37
M.: Ja, kann man sagen. Der Tach war fast ’rum und (..) da hat er eigentlich 38
dann net viel g’macht. Außer am Wochenende dann die Hausaufgaben 39
g’macht (...) und (..) hat auch viel gelesen (.). Draußen (.) war er eigentlich 40
(.) net viel, außer wenn ich ’raus’gangen bin. 41
I.: Mhm. 42
Anhang – Interview II 10
M.: Und (.) mei Mutter hat damals noch ’n Garten g’habt und da is’ er dann (.) 1
viel mit ’rausgangen. 2
I.: Und als die Schule ähm (.) dann gesagt hat, sie können ihn nich’ mehr 3
nehmen, war er dann (.) den ganzen Tag zuhause? 4
M.: Ja. 5
I.: Und (.) wie hat das geklappt? Also, hat er sich denn da an die Regeln 6
gehalten? 7
M.: Machmal (..) ging’s, manchmal net. Kam drauf an, wie er eben (..) grade is’. 8
I.: Mhm (..), und so nach Ihrer Meinung war da ausschlaggebend Tims 9
Verhalten in der Schule, dass dann die Entscheidung getroffen wurde, dass 10
er in ein Heim geht oder war’s eher zuhause? 11
M.: Die Schule. 12
I.: Mhm. Und (..) dann wurde entschieden, dass er geht und dann was es für 13
Möglichkeiten gibt. 14
M.: Mhm. 15
I.: Und dann haben Sie ja gesagt, dass zwei Heime zur Entscheidung 16
standen. Hat der Tim sich beide angeguckt mit Ihnen zusammen? 17
M.: Ja, ja 18
I.: Und ihm gefiel es dann hier besser? 19
M.: Die erste, die war (..) äh (.) da hat er sich irgendwie unwohl gefühlt (…). Ich 20
weiß auch net warum (lacht). Bei mir war’s (..) dasselbe gewesen. 21
I.: Mhm. 22
M.: Und (…) dann hab’ wir dann die ang’schaut und (..) hat ihm recht gut 23
gefall’n. 24
I.: Und Ihnen? 25
M.: Mh (..), der Anfang war a weng4 schwer (…). 26
I.: Mhm. Können Sie mir ’n bisschen so von dem Tag erzählen, wie der so 27
abgelaufen is’, als sie des erste Mal hierher kamen? 28
M.: Ja, die (..) hat mir am Anfang das (..) äh Haus halt dann gezeigt. Net das 29
eben wo der Tim jetzt drin is’, sondern (..) glaub’ ich Haus Y. 30
I.: Ach, ’n anderes? 31
M.: Ja, er sollte erst in das. 32
I.: Mhm. 33
M.: Ja, dann (.) hat er halt eben das Haus g’sehen und (…) gleich, das ’n 34
Kicker eben unten war und (.) (lächelt bis *) war da recht begeistert 35
gewesen * (..). 36
I.: Mhm. 37
M.: Und (.) dann is’ dann später dann g’sacht worden, dass die ihn nehmen (.) 38
und aber in Haus (..) Y, wo er eben jetzt is’. 39
I.: Mhm. Und die Erzieher von Haus Y haben sie beide dann nicht 40
kennengelernt vorher? 41
4 „a weng“ = fränkischer Dialekt, bedeutet „ein wenig“
Anhang – Interview II 11
M.: Nee. 1
I.: Mhm (..). 2
M.: Ja und dann (…) ham wir ihn halt gebracht. 3
I.: Also Sie (.) und ihr damaliger Lebensgefährte? 4
M.: Ja. 5
I.: Waren die ander’n zwei Kinder auch dabei? 6
M.: Mh (…), glaub’ scho’, ja (sehr leise gesprochen) (…). 7
I.: Mhm. Und dann ham sie sich ja alle in Haus Y erstmal kennen gelernt. Und 8
ähm (.) erinnern Sie sich noch wer alles dabei war´? 9
M.: Ja, die Frau Hall und die Frau Sonntag. 10
I.: Und Sie und ihr Lebengefährte und die Kinder. 11
M.: Die ham im Auto gewartet. 12
I.: Und wie war der Tag, also wie haben Sie den so erlebt? 13
M.: Mh (…), na ja fremd. 14
I.: Mhm (.). Und wusste der Tim, dass er da bleiben wird? 15
M.: Ja, ich hab’s ihm vorher g’sacht. 16
I.: Mhm, und was haben sie dann so gemacht? 17
M.: Am Anfang ham (..) äh (.) Frau Sonntag halt das Haus gezeigt und (.) dann 18
halt eben Kaffee getrunken. Und dann (.) ham wir äh (..) die Sachen aus’m 19
Auto g’holt. 20
I.: Mhm (.). Können Sie sich noch erinnern, was Sie für ein Gefühl hatten ihren 21
Sohn da zu lassen? Also (..) hatten Sie das ähm (.) das Gefühl, dass Tim in 22
guten Händen is’ und so „Ja, das is o.k. für mich“? 23
M.: Mh (..6..) äh (..) ja und nein (..). 24
I.: Ja (..) wieso? 25
M.: Mh (.), dass er eben was (.) ander’s sieht. Dass er vielleicht 26
Spielkameraden find’ (...) und ’n Neuanfang macht. 27
I.: Mhm (…). Und nein? 28
M.: Mh (..), na ja, was er halt noch alles mitmachen muss. 29
I.: Mh (…), hatten Sie an dem Tag das Gefühl, dass sich das Kinderdorf 30
bemüht (.) den Kontakt weiterhin aufrecht zu erhalten, also dass sie 31
weiterhin wichtig sind für den Tim? 32
M.: Mh (..20..) ja. 33
I.: Ich muss das mal aus/ 34
35
(Tonband abgebrochen für ca. 2 Minuten. Frau Berger wurde unruhig und 36
nervös, mied Augenkontakt zu mir, starrte auf den Tisch und fing an zu weinen. 37
Ich sprach sie darauf an, warum sie so reagierte. Sie antwortete, dass sie Angst 38
habe, dass alles noch schlimmer wird, wenn die wissen, was sie sagt. Ich wies 39
sie nochmals darauf hin, dass ich trotz meiner Tätigkeit im Kinderdorf unter 40
Schweigepflicht stehe und wenn sie erzählen möchte, mir vertrauen kann. Sie 41
gab mir ihr Einverständnis, das Tonband wieder anzustellen.) 42
Anhang – Interview II 12
M.: Also wenn ich das anschau’ (.) wo mei Tochter is’ und vergleich’ des mit (.) 1
dem Heim vom Tim (..), is’ es scho’ ’n großer Unterschied (…). Es gehört 2
halt (...) mehr gemacht. 3
I.: Wie meinen Sie mehr gemacht? 4
M.: Ja (…) mh (…), mit den Eltern zusammen (.) und mit den Kindern (..). 5
I.: Mhm (.) und haben Sie da irgendwie ’n konkreten Vorschlag, was Tim und 6
Ihnen gut tun würd’? 7
M.: Ja ich kann des halt nur vergleich’, äh da wo jetzt mei Tochter is’. 8
I.: Was machen die denn anders? 9
M.: Ähm, die ham zwar auch viel ähm (.) wie sacht man Mitarbeiter? 10
I.: Mhm. 11
M.: Und (..) da is’ einer für mei Tochter zuständig, der ähm (..) mit mir redet. 12
Und ähm (…) mehr Angebote für die Kinder, mit Tieren zum Beispiel oder 13
vor ’m Hilfeplangespräch so ’n (..) Elterntreffen. Man hat halt g’merkt man 14
g’hört dazu. Und danach (..) ham wir dann Kaffee getrunken und noch 15
geredet. Mh (…), naja und hier kenn’ ich bloß eins, wo immer alle Jahr’ is’, 16
wo halt die ganzen Eltern zusammen sind und das is’ Weihnachten. 17
I.: Also Sie wünschen sich auch mehr Kontakt zu den anderen Eltern? 18
M.: Ja. 19
I.: Haben sie das mal angesprochen? 20
M.: Ähm (…) nee. 21
I.: Warum nich’? 22
M.: Na, ich hab’ halt immer (..) versucht mitzumachen, wie’s halt ging. 23
I.: Mhm (..). Und so der Kontakt zum Jugendamt, also die Zusammenarbeit, 24
wie haben Sie das so erlebt? 25
M.: Mh (..4..), es geht. 26
I.: Mhm (..5..) Als Sie dann heimgefahren sind und ähm der Tim hier 27
geblieben is’, mh (.) wie ging’s denn dann weiter? 28
M.: Dann gab’s halt eben diese äh (.) Kontaktsperre. 29
I.: Mhm. Wie lang hat die gedauert? 30
M.: Acht Wochen. 31
I.: Acht Wochen? 32
M.: Ja (…). 33
I.: Durften Sie denn anrufen in der Zeit und sich mal nach Tim erkundigen? 34
M.: Nee (..). 35
I.: Und nach diesen acht Wochen, wie is’ es dann weiter gegangen? 36
M.: Ja, dann hab’ ich ang’rufen und g’schrieben und er hat zurück g’schrieben 37
(.). Und (…) ja dann kam es dann zum (..) Hilfeplangespräch. Ja und dann 38
wurde dann die (..) Besuche und das Zeug g’regelt (…). 39
I.: Mhm. Wissen Sie was das Ziel des Hilfeplans ist oder war? 40
M.: Ja, das (…) der Tim mit sich zurecht kommt (.), mit den Kindern 41
I.: mhm 42
Anhang – Interview II 13
M.: und (..) in der Schule sich zurecht findet (.), dass er net ausg’schlossen wird 1
(.). Ja und (..) dass er eben die Regeln macht, was er vom Haus machen 2
muss (…). 3
I.: Ähm, nach dieser Kontaktsperre, wie wurde denn dann der Kontakt zu den 4
Erziehern hergestellt? 5
M.: Ja, ich hab’ dann immer nachgefracht (..) ähm (.) wo die Frau Sonntag 6
eben is’ und (..) ham dann (..) beim Hilfeplangespräch dann ausg’macht, 7
welchen Tach ich anruf’ (.) und mich halt eben unterhalt’ (.) mit den 8
Erziehern oder (.) mit ’m Tim halt sprechen kann. 9
I.: Mhm, und das klappt auch so. 10
M.: Mh, ja manchmal sind sie net da (..), aber sonst klappt’s. 11
I.: Mhm (.). Und dass sie damals mal nach der Kontaktsperre eingeladen 12
worden sind, um sich (.) besser kennen zu lernen (.), um zu wissen mit 13
wem man’s da eigentlich zu tun hat ähm (..) kam da von der Seite des 14
Kinderdorfs irgendwas? 15
M.: Ja, ich hab’ halt dann ausg’macht mit denen (..), dass ich dann einmal im 16
Monat halt komm’ und mach’ was mit den Kindern (…). Und da (.) war’n 17
dann immer (.)/ fast immer and’re Erzieher da gewesen (.). 18
I.: Hatten oder ähm (.) haben Sie denn da so eine Ansprechperson? 19
M.: Bis jetzt noch nich’. Ja, das Blöde is’ halt, weil eben so viele da war’n (.), 20
hat keiner von den ander’n was gewusst (.). Vielleicht wurd’s net 21
ausgerichtet oder (…). 22
I.: Also das is’ auch mal passiert? 23
M.: Ja. 24
I.: Mhm (…). Wissen Sie, wie’s dem Tim ging (.), so in der ersten Zeit? Hat er 25
da mal irgendwas erzählt? 26
M.: Nee, ich kann mir schon vorstell’n, dass das schwer gewesen (..). Und (...) 27
der war dann am Anfang auch allein im Zimmer. 28
I.: Mhm. 29
M.: Und dann später is’ dann (..) äh ’n Bub dann zu ihm g’kommen und (..) mit 30
dem hat er sich net (...) gut verstanden oder (.) der hat halt immer was 31
ang’stellt und (.) hat’s dann auf’n Tim g’schoben und (…) dann (..) war’n 32
halt immer Missverständnisse da (..4..). 33
I.: Und wie’s dem Tim so gefiel oder wie er sich eingelebt hat, hat er nich’ 34
erzählt (..) oder ob er sich wohlfühlt? (..4..) 35
M.: Der hat (..) zwar net gesagt: „Gut“ (.), aber (…) ich hab‘s halt gemerkt, dass 36
es ihm net gut ’gange is’. 37
I.: Woran? 38
M.: An der Sprache (.) oder an die Briefe oder an der Schrift (.) oder (..) wie er 39
halt eben (.) redet mit mir. 40
I.: Und was glauben Sie, warum es ihm nich’ gut ging? 41
M.: Mh (…), vielleicht weil er mich zu wenig sieht oder (..) mh (…) ich weiß 42
auch net. 43
Anhang – Interview II 14
I.: Ähm (.) und wie is’ es jetzt, also hat sich da was verändert? 1
M.: Jetzt (..) kann ich sagen, dass es ihm gut geht (…). Das merkt man auch. 2
Er hat zwar immer/ er sieht mich halt net so oft, aber (..) es geht ihm gut. 3
I.: Wieso sieht er sie nich’ so oft? 4
M.: (…) Weil ich erst umgezogen bin und (…) da ham die dann die Besuche 5
dann weil ich mich von meinem Lebensgefährten getrennt hab’ (..) die 6
Besuche dann eingestellt (..). 7
I.: Zu Ihnen? 8
M.: Ja. 9
I.: Und aufgrund der Wohnungssituation? 10
M.: Ja und (..) wegen der Trennung. 11
I.: Gab es da Streit mit dem Tim? 12
M.: Ja, der Herr Teichert is’ halt immer ’komme ohne mein Wissen und wollt’ 13
halt den Tim immer hol’n. 14
I.: Mhm (..). 15
M.: Ja und dann gab’s da immer Schwierigkeiten. 16
I.: Und dürfen Sie denn den Tim hier besuchen? 17
M.: Beim Hilfeplangespräch (..) wurd’ mit der Frau Hall ausg’macht äh (.) dass 18
ich Tim äh (.) dreimal im Monat (.) seh’n kann (.) also sprich (.) er kann 19
zweimal was aussuch’n, was wir unternehmen. 20
I.: Mhm. 21
M.: Und (.) ich dann einmal. Und einmal am Wochenend’, dass er zu mir 22
kommt. (..) Da ham sie auch g’fragt, ob ich das machen kann, da hab’ ich 23
g’sacht: „Ja“. Und (.) da war aber das noch nich’ mit meiner Tochter, wie (.) 24
die eben (.) Besuchsdinger sind. 25
I.: Ja. 26
M.: Und da hab’ ich g’sacht: „Ja, wenn was is’, dann kann ich’s ja mitteil’n.“ 27
I.: Mhm (..). 28
M.: Ja, dann ham sie g’sacht, ich soll (.) ’ne Beratungsstelle aufsuchen. Das 29
wiederum hab’ ich g’macht (..) und hab’ denen das g’sacht, weil sie g’sagt 30
ham, ich soll denen mitteilen, wann der erste Termin is’ und äh wann ich da 31
war und wie das Gespräch war. Dann (.) könnt’ ich eben meinen Sohn 32
seh’n. 33
I.: Mhm. 34
M.: Und das hab’ ich dann g’macht (..). Und dann hat’s geheißen: „Ja, das 35
genügt net.“ 36
I.: Hmh. 37
M.: Ja (.) und dann hat die Frau von der Beratungsstell’ die ähm Frau Hall 38
ang’rufen. Und (.) dann hat die Frau Hall zu der Frau g’sacht (..), dass ich 39
die Besuche so starten kann, wie sie sie eben im Hilfeplan festg’halten hat. 40
Und (.) äh da hab’ ich dann wieder ang’rufen und hab’ nachg’fragt, und da 41
hat dann die Frau Sonntag zu mir g’sacht, ich (..) soll die Mitarbeiter net 42
belästigen (.) zwecks Besuchsanfrage und so und so (…). Ja dann (.) hab’ 43
Anhang – Interview II 15
ich wieder die Frau Hall ang’rufen und die hat g’sacht ich soll den Herrn 1
Wertz anruf’, ich soll’s mit dem ausmachen, und der wiederum hat mich 2
abgewimmelt und hat g’sacht, ich soll’s mit ’m Haus ausmachen. 3
I.: Hmh. 4
M.: Ja, die Frau Sonntag hat dann nur g’sacht: „Wir seh’n uns dann am (..) 20..“ 5
Das war alles. Sie war ja dann (.) im Urlaub gewesen, keine Ahnung, die 6
hat da net g’sacht, ob ich kommen soll, ob ich den Tim sehen äh (..) darf 7
oder was. Gar nix. 8
I.: Mhm. Und wann ham sie dann erfahr’n, dass sie letzten Samstag kommen 9
konnten? 10
M.: Ja, den Tag vorher hat mich (.) die Frau Sonntag ang’rufen. 11
I.: Aber eingeplant war das nich’? 12
M.: Ne, eingeplant war ja mei Tochter. 13
I.: Letzte Woche Samstag? 14
M.: Ja. 15
I.: Und das ham sie jetzt verschoben? 16
M.: Ja. 17
I.: (..) Hmhm. Na, das ist aber auch ’n bisschen wirr. Da blick’ ich jetzt nicht 18
durch. 19
M.: Ja, ich auch net. 20
I.: Kann ich versteh’n. Ähm (..) Hat der Tim denn jetzt noch Kontakt zum Herrn 21
Teichert? 22
M.: Nee. 23
I.: Und zu seiner Schwester und seinem kleinen Bruder? 24
M.: Nee. 25
I.: Will er das nich’? Also glauben Sie, dass er das nich’ will oder woran liegt 26
das? 27
M.: Doch er möchte schon, weil (…) damals ich ihn mal besucht hab’ (..), da 28
gab er mir extra Briefpapier mit (.) ähm von Diddl und (.) extra eins wo halt 29
(.) ähm riecht. 30
I.: Mhm. 31
M.: Und hat halt g’sacht, ich soll an die Sabine schreiben und (...) das Papier 32
dann benutzen. 33
I.: Mhm (..). Und warum glauben Sie haben die Beiden dann keinen Kontakt? 34
Kommt das dann von Sabines Seite, dass die nich’ will oder? 35
M.: Doch die will auch. 36
I.: Aber an was scheitert das dann? 37
M.: An mir net. 38
I.: Und ihrer Meinung nach? 39
M.: Na ja (.), wie g’sacht, es g’hört (.) halt mehr g’macht. 40
I.: Mhm (…) Wenn Sie so in die Zukunft gucken, was würden Sie sich denn da 41
wünschen für den Tim und für sich selber? 42
Anhang – Interview II 16
M.: Dass er wieder bei mir is’ (..). Und die Sabine dann (.) auch wieder bald da 1
is’. 2
I.: Und was für Veränderungen könnten dabei helfen auf diesen Weg dahin? 3
M.: Ja, schon. 4
I.: Und was? 5
M.: Dass er vielleicht (..) ähm (…) die Sabine auch mal b’suchen darf (.) oder 6
ihr schreiben darf (.). Oder sie zum Beispiel anruf’n darf, wenn sie 7
Geburtstag hat. 8
I.: Mhm. Könnten Sie denn auch was dafür tun, dass der Tim nach Hause 9
kann? 10
M.: Mh (..). Könnt’ und wollt’ ich, aber (.) tu’ ich net. 11
I.: Und was zum Beispiel? 12
M.: Na ja, wenn ich mal (…) oder wenn die mich anruf’n würden (.) und dann 13
sagen würden, ich könnt’ den Tim jetzt heimhol’n (..), dass ich in der Zeit 14
alles in Ordnung g’macht hab’. 15
I.: Also dass sie die Vorraussetzungen vom Jugendamt dafür geschafft haben, 16
dass Tim heim könnte? 17
M.: Ja (weint) (..5..). 18
I.: O.k., dann wünsch’ ich Ihnen ganz viel Glück und Erfolg auf diesem Weg 19
und danke schön, dass Sie so viel erzählt haben und so offen war’n. 20
M.: Mhm. 21
Anhang – Interview III 1
Transkription des Interviews III: 1
„Tims Lebensgeschichte“ - Die Perspektive der Erzieherin 2
3
Das Interview wird am frühen Nachmittag des 11.12.2004 mit Tims Erzieherin 4
und Hausleiterin Frau Sonntag im großen Raum des Gartenhauses der 5
Einrichtung durchgeführt. Das Gartenhaus wird für Feste aller Art, für Musik- und 6
Werkangebote und für Gespräche und Konferenzen genutzt. Andere Personen 7
im Raum, wie auch im gesamten Gartenhaus sind nicht anwesend. Der Raum ist 8
ebenerdig, mit Blick auf den Garten. Interviewte und Interviewerin sitzen an 9
einem beiseite geschobenen kleinen Tisch, um die räumliche Größe zu 10
verkleinern und kennen sich seit dem Jahr 2000 als Mitarbeiterinnen des 11
Kinderdorfes. Dauer des Interviews: ca. 58 Minuten 12
13
Verwendete Transkriptionszeichen (vgl. Glinka 1998, 62): 14
15
(.) Pause, jeder Punkt bedeutet ca. eine Sekunde 16
(..5..) Pause ab drei Sekunden, die Zahl bedeutet die ungefähre 17
Dauer der Pause 18
(lachen bis *) nebensprachlich auftretende Erscheinung oder 19
außersprachliche Aktivität bis zur Kennzeichnung * 20
unbedingt Betonung des Wortes 21
da/ äh Abbruch/ Korrektur eines Wortes 22
mhm, hmh Aufmerksamkeitssignale des Verstehens und Zuhörens 23
24
25
Im Interview erwähnte Personen: 26
Tim - Handlungsfigur, 13 Jahre alt 27
Frau Berger - Mutter 28
Herr Teichert - ehemaliger Lebensgefährte der Mutter, Vaterersatz für Tim 29
und leiblicher Vater von Lars 30
Sabine - jüngere Schwester von Tim, 12 Jahre alt 31
Lars - jüngerer Bruder von Tim, 7 Jahre alt 32
Herr Wertz - Leiter des Kinderdorfes 33
Frau Schmitt - Psychologin des Kinderdorfes 34
Frau Hall - zuständige Jugendamtsmitarbeiterin der Erziehungshilfen 35
Thomas - ehemaliger Junge aus Tims Haus 36
Nadine - ehemaliges Mädchen aus dem Kinderdorf 37
Herr Martin - behandelnder Kinderpsychologe 38
Frau Roos - Psychologin einer Beratungsstelle und Therapeutin von Tim 39
40
41
E.: = Erzieherin Frau Sonntag und Erzählerin 42
I.: = Interviewerin 43
Anhang – Interview III 2
I.: Also, ich möchte Dich dann bitten (.), die Lebensgeschichte von Tim zu 1
erzählen (..) ähm, wie so eins zum ander’n gekommen is’ und ähm (.) bis 2
dahin wo er heute is’ (..) und ähm fang’ bitte damit an (.), woran Du Dich am 3
frühesten erinnern kannst. 4
E.: (…) Ja (.), als erstes erinner’ ich mich dran, dass ich (.) die Akte vom Ti/ Tim 5
auf’m Schreibtisch liegen hatte (.), 6
I.: mhm 7
E.: mit der Bitte, mir das mal durchzulesen, weil das ja auch das Jugendamt A-8
Stadt wär’. Die Akte wär’ schon mal in ’nem anderen Haus gewesen und ich 9
möcht’ mir den Jungen doch mal angucken (..). 10
I.: Mhm. 11
E.: Ja (.), in der Akte stand net so viel drin (.) und ich hab’ dann g’sacht, das 12
interessiert mich alles net, was drin steht, ich hätt’ ihn gern mal g’sehn. Und 13
dann (..) kamen sie, (lacht bis *) die Mutter, der Tim und die Frau Hall.* 14
I.: Mhm. 15
E.: Mh (.), und wie war’s dann (.)? Ja, dann ham wir zusammen Kaffee 16
getrunken und der Tim saß halt auf der Eckbank und war fürchterlich unruhig 17
und die Mutter hat mir erstmal so ’n ganzen Medikamenten(..)korb gebracht 18
(.), was der Tim alles bräuchte und war fürchterlich besorgt, ob wir das 19
überhaupt richtig machen (.). 20
I.: Ja. 21
E.: (..) Ja, und (.) dann hat sie mit mir noch ’rumdiskutiert, dass sie (..) dass der 22
Tim Amphetamine nehmen müsste, aber dass sie das eigentlich gar net will 23
(..). Und dann hab’ ich eben gemeint: „Also, wir geben ihm das jetzt erstmal 24
und warten mal bis zum nächsten Termin beim Doktor 25
I.: mhm 26
E.: und dann entscheiden wir neu.“ (.) Und (..) joa, dann hat der Herr Teichert 27
sämtliche Kisten aus’m Auto ’rausgetragen und der Tim is’ richtig 28
eingezogen. Mit bestimmt zwanzig Kartons mit Spielsachen und Klamotten. 29
I.: Mhm. 30
E.: (…) Und dann is’ (.) die Mutter gegangen mit der Frau Hall, und der Tim is’ 31
da geblieben und was ich sehr interessant fand, war (..), äh die Mutter war 32
zwar sehr besorgt (.), aber der Tim hat meist gar nix g’sacht, außer dass er 33
unruhig überall dran ’rumgefingert hat. Und als es dann drum ging (.), sich zu 34
verabschieden (..), is’ er aber nimmer mit zum Auto oder so. Er is’ einfach 35
steh’n geblieben in der (..) Eingang/ im Eingangsbereich vom Haus. 36
I.: Mhm. 37
E.: Joa und dann hab’ ich zu ihm g’sacht, er soll sich Hausschuhe anzieh’n und 38
dann war er eigentlich (.) da. Und so diese ganze (.) Sorge, also das is’ mir 39
so aufgefall’n, dass er sich eigentlich so gar net gesorgt hat, sondern das 40
war einfach so: die Haustür war zu (.) und die Mama war weg (..). Ja, und 41
dann ham wir (.) am Abend, als die ander’n Kinder im Bett war’n, ham wir 42
Anhang – Interview III 3
dann (.) sämtliche Kisten ausgepackt (…). Und (..) joa (.), da war der erste 1
Tag scho’ gelaufen. 2
I.: Mhm. 3
E.: Und dann ham wir (.) am nächsten Tag in der Schule angerufen. Also (.) 4
bewusst in der Grundschule, obwohl in der Akte drinstand, er is’ in der E-5
Schule5. Und dann hab’ ich das am nächsten Tag geklärt, dass wir das 6
gerne (.) probier’n möchten (.), ihn doch ganz normal regel zu beschul’n. 7
Dann is’ er auch gleich (..) bei uns in die Grundschul’ gegangen. Also (..) das 8
ging auch ganz reibungslos. Dann hat er noch das erste Jahr ’n mobilen 9
sozialen Dienst gehabt, der nach ihm geguckt hat (.). Joa (..7..) was war da 10
noch? Ja, dann is’ die Mutter regelmäßig zu Besuch gekommen. Erst mal 11
alle vier Wochen (..) 12
I.: mhm 13
E.: und (.) da ham wir dann gemerkt, dass das aber a weng6 schwierig is’ so mit 14
Regeln einhalten und (..) was halt alles so wichtig wär’ für den Tim (.). Und 15
dann ham wir dann in verschiedenen Jugendamtsgesprächen eben geklärt 16
(.), immer wieder stufenweise geklärt, wie der Tim nach Hause kann, unter 17
welchen Bedingungen, mit Verhaltensplänen gekoppelt und so weiter (..) und 18
mittlerweile schaut’s so aus, dass der Tim erstmal hier is’ und die Mutter zu 19
Besuch kommen kann (..), wenn sie möchte. Also Heimfahrten kriegt der Tim 20
jetzt keine mehr (..). Hm (..4..), joa. Zum Tim selber, er hat es immer sehr 21
ungerecht empfunden, dass er als ältester Junge (.) ähm (.) als einziges aus 22
der Familie ’raus kam. Bis (.) zum Sommer diesen Jahres (.), da war’s dann 23
so, dass die Sabine jetzt auch in ’nem Kinderdorf lebt und das findet er jetzt 24
eigentlich gut. Also, er sacht selber immer: „Das is’ zwar traurig für die 25
Mama, 26
I.: hmh 27
E.: aber gut für die Sabine.“ Und (.) vor (.) vier oder fünf Wochen kam der Lars 28
(.) zum Herrn Teichert. Da hat das Jugendamt das gemeinsame Sorgerecht 29
neu geklärt (.) und seitdem erleb’ ich den Tim sehr entspannt. Und da (.) 30
kam auch (.) anstelle von Bestürzung eher so: „Jetzt hat die Mama gar kein 31
Kind mehr, das is’ sehr traurig, aber es is’ gerecht.“ Und seitdem hab’ ich so 32
das Gefühl, er entspannt sich da auch und kann 33
I.: mhm 34
E.: sich auch viel besser auf’s Kinderdorf einlassen als die (.) vergangene Zeit. 35
Also, er hat es immer so für sich akzeptiert (.), aber wenn dann die Mutter so 36
an ihm ’rum (.) gezogen hat oder er halt gemerkt hat, sie sucht sich so ihr 37
soziales Netz, mit dem sie (..) äh immer wieder versucht, den Tim 38
heimzuholen, das hat ihn halt sehr unruhig gemacht (.). Mh (.), aber das (.) 39
fällt jetzt also weg (..). Und was mir auffällt is’, dass mit jedem Kind, das aus 40
5 Anm. d. I.: Schule zur Erziehungshilfe = für Schüler, die durchschnittlich intelligent sind,
aber aufgrund ihres Verhaltens nicht die Regelschule besuchen können 6 „a weng“ = fränkischer Dialekt, bedeutet „ein wenig“
Anhang – Interview III 4
der Familie ’raus gekommen is’, es der Frau Berger eigentlich besser geht. 1
Also augenscheinlich besser geht. Ob’s ihr wirklich besser geht, weiß ich 2
net. Aber sie is’ einfach viel flotter gekleidet (.), sie wirkt viel fröhlicher (.), sie 3
erzählt auch einfach mal ganz normale Dinge aus ihrem Leben (.) 4
I.: mhm 5
E.: und man hat den Eindruck, dass sie (.) dieses „Nicht-erziehen-müssen“ also 6
eher befreit (..). Joa (..4..), das wär’ dann erstmal in Kurzform alles. 7
I.: Mhm (..), okay (.). Also, bevor der Tim zu (.) also hierhin gekommen is’ ähm 8
(.), was weißt Du denn über Tims Kindheit? 9
E.: (..5..) Mittlerweile einiges. Wobei ich immer nich’ so ganz weiß (.)/ also es 10
deckt sich nich’ immer. Das was der Tim erzählt und das was die Mutter 11
erzählt, deckt sich nich’ immer mit dem, was in der Akte steht (.). Und da 12
steht sehr wenig. Was ich weiß is’, dass er von Anfang an (.) wohl (.) für die 13
Mutter als sehr schwierig erlebt worden is’. Mhmh (räuspern). Er (.) soll vom 14
leiblichen Vater sexuell missbraucht worden sein, in wieweit der Verdacht 15
oder der Vorfall wirklich stimmt (..), das konnt’ ich bis jetzt noch net ’raus 16
finden. Ich weiß auch net, ob man das jemals noch ’raus findet. Jedenfalls 17
(…) mh (.) is’ es so, dass die Frau Berger halt an diesem/ an dieser 18
Geschichte dran geblieben is’ und g’sacht hat: „Das war so.“ Und ich weiß, 19
das der Tim irgendwann mit (.) fünf oder sechs (..), vielleicht war er auch 20
sieben, soll er (.) mit der Sabine so ’ne Art Doktorspielchen gespielt ham und 21
äh hätt’ ihm angeblich äh/ ihr Legosteine in die Scheide geschoben und (.) 22
von dem Zeitpunkt an war der Tim für die Frau Berger (.) sehr, sehr, sehr 23
schwierig. 24
I.: Mhm. 25
E.: Und (..) also ein Vorfall steht in der Akte, dass wenn (.) er sich (.) nicht 26
gegen die Mutter behaupten konnte, hat er sich dann auch nackt im Bus 27
ausgezogen und hat die Mutter also bis auf’s Letzte provoziert. Und sie (.) 28
war einfach nich’ in der Lage, ihm dann da ’nen Endpunkt oder ’ne Grenze 29
zu setzen und dann hat’s einfach (.), also so weiß es ich, eskaliert, weil sie 30
mit drei Kindern einfach auch überfordert war. 31
I.: Mhm (..). Also auch in alltäglichen Dingen gab’s da Schwierigkeiten? 32
E.: Ja, auch in alltäglichen Dingen. Also, die Mutter von der Frau Berger war ja 33
scheinbar (.) schon lange Zeit immer (.) in dem Haushalt mit dabei und hat 34
da so heimlich (.) mitgeholfen, so Wäsche bügeln, Essen kochen. 35
I.: Wohnten die zusammen in einem Haus? 36
E.: Mhm, und so hat es immer ausg’schaut, als würd’s die Frau Berger 37
irgendwie geregelt kriegen. Aber eigentlich war’s sie selber nich’, sondern es 38
waren die Leute außen ’rum, die ihr den Haushalt aufrechterhalten haben. 39
I.: Mhm. 40
E.: Also, es war der Herr Teichert (.), die Mutter von (.) der Frau Berger und (.) 41
der Onkel vom Tim, also der Bruder von der Frau Berger. Die ham da wohl 42
ganz viel mitgeholfen, dass das lange Zeit so ausgeschaut hat, als wär’ das 43
Anhang – Interview III 5
alles in Ordnung (..). Und dieses Stützsystem hat die Frau Berger immer so 1
ausschauen lassen, als würd’ sie sich in der Erziehung ihrer Kinder (.) viel, 2
viel Mühe geben (...). Joa (.) und dann, das wissen wir eigentlich (..) noch 3
nich’ so lang oder besser g’sacht, wir hatten zwar immer die Vermutung, aber 4
es hat sich jetzt eigentlich bestätigt: Je mehr Kinder aus dieser Familie ’raus 5
gekommen sind, umso mehr hat man g’sehen (.), wie viel die anderen Leut’ 6
getan haben für die Frau Berger und nich’ sie selbst. 7
I.: Mhm. 8
E.: Also (.) es war ja so, dass vor’m (..) halben, dreiviertel Jahr der Verdacht auf 9
den Herrn Teichert gefallen is’, er hätt’ die Sabine sexuell missbraucht (..). 10
Und (.) da hat sich ja dann ihre Mutter das erste Mal gegen die Frau Berger 11
g’stellt und hat g’meint: „Das is’ nich’ so.“ (.) Und die hilft ihr auch jetzt im 12
Haushalt nich’ mehr und dann is’ schlagartig diese komplette Familie 13
auseinander gebrochen. 14
I.: Hmh. (..) 15
E.: Also, jetzt scheint’s nich’ so zu sein, dass sich der sexuelle Missbrauch 16
bestätigt hat vom Herrn Teichert, weil er hat ja jetzt den Lars gekriegt für das 17
kommende Schuljahr. 18
I.: Ja (..). 19
E.: Also bis zum Ende des Schuljahres und dann will man gucken, wie’s dem 20
Lars damit geht. 21
I.: Mhm. (…) 22
E.: Ja. 23
I.: Ähm, hat der Tim jetzt oder im Vorfeld Kontakt zu seinem leiblichen Vater? 24
E.: In der Akte stand nix. Der Tim selber sagt, er (..) kennt den Papa nich’ mehr. 25
Er muss den mit vier das letzte Mal g’sehn haben, vielleicht war er auch fünf, 26
da müsst’ man jetzt zurück rechnen. Ähm (.), nachdem der Tim dann 27
gemerkt hat, die Familie fängt jetzt langsam das Bröckeln an und der Tim is’ 28
ja jetzt auch schon dreizehn (.), jetzt kommt dann öfter mal so die Frage, wo 29
komm’ ich eigentlich her und wer bin ich. Und da hat er dann auch die Frau 30
Hall g’fracht, ob er mit dem Papa Kontakt aufnehmen kann. 31
I.: Mhm. 32
E.: Und das war mir ganz wichtig, das vorher abzuklär’n, weil er selber sich (.) 33
laut der Frau Roos nich’ wirklich an den sexuellen Missbrauch erinnern kann. 34
I.: Mhm. 35
E.: Und (..) äh mir war dann halt einfach nich’ klar, wenn wir jetzt Kontakt zum 36
Vater aufnehmen und er war dann wirklich der Täter an sich (.), weiß man 37
nich’, was dann beim Tim alles hochkommt. Aber da is’ von Seiten des 38
Jugendamtes abgesichert, dass er das gerne machen kann. 39
I.: mhm 40
E.: Und wenn er Kontakt zum Vater aufnimmt, dann ham wir das auch gekoppelt 41
mit ’ner heilpädagogischen Hilfe, weil (.) mein Gedanke so war, dass er dann 42
wahrscheinlich jemanden bräucht’, der ihn da unterstützt. 43
Anhang – Interview III 6
I.: Ja. 1
E.: Kann auch sein, dass es gut läuft (.). 2
I.: Mhm. 3
E.: Aber den Tag X abzuwarten, ob’s gut läuft, das war mir dann zu riskant. 4
I.: Ja, wann soll denn der sexuelle Missbrauch stattgefunden haben, wie alt 5
war’n der Tim da? 6
E.: Ja (.), kurz bevor er die Familie verlassen hat, so mit drei oder vier soll das 7
gewesen sein. 8
I.: Mhm. 9
E.: Und dann (.) steht ja in der Akte, dass sich die Frau Berger da schon von 10
ihm getrennt hat. Also (.), das muss wahrscheinlich auch mit ein Auslöser 11
gewesen sein, warum die Ehe (.) nich’ mehr funktioniert hat oder dann 12
letztendlich beendet wurde. Aber ob’s so is’, da hab’ ich auch nie mit der 13
Frau Berger d’rüber geredet, weil da is’ sie sehr, sehr verschlossen. 14
I.: Mhm. 15
E.: Also wenn, dann muss man sie direkt fragen. Und ich denk’ mir halt immer, 16
wenn sie mir nix erzählt (..), dann geht’s mich erstmal nix an. 17
I.: Mhm (…) ähm (..), das Bild so von den Berichten oder von der Akte, die Du 18
gekriegt hast, was Du Dir da so (..) äh (.) vorgestellt hast, hat sich das mit 19
dem realen Bild, was Du dann von Tim kennen gelernt hast, hat sich das 20
gedeckt? 21
E.: (..) Eigentlich gar net. Also, ich war in dem M/ ich hab’ die Akte ja auf Seite 22
gelegt (.). 23
I.: Mhm. 24
E.: Ich hab’ sie ja nich’ bis zum Ende gelesen. Aber ich hab’ eigentlich (..) von 25
den Beschreibungen her ’n viel extremeres Kind erwartet. Also ich mein’, der 26
Tim (.) war damals noch ’n absolut (..) zierlicher, schmächtiger Junge. Der 27
hat auf mich gar net so gewirkt, als könnt’ er daheim das ganze Haus zum 28
Beben bringen (…). Und das war wahrscheinlich auch der 29
ausschlaggebende Grund, warum ich dann eben zum Herrn Wertz g’sacht 30
hab: „Wir probier’n das jetzt.“ (.) Weil sich die Akte viel viel schwieriger 31
gelesen hat (.). Dann im Nachhinein, also nachdem ich das g’sacht hab’, 32
hab’ ich dann die Akte gelesen. Und ich find’ nicht (.), dass es in allen Teilen 33
zusammen gepasst hat. Also ich hab’ eigentlich (..) auf ’n viel heftigeres Kind 34
gewartet. 35
I.: Mhm. 36
E.: Also er hat schon so seine Problemchen, aber so wie’s drin stand, eigentlich 37
net. 38
I.: Mhm (.). Und wer hat jetzt letztendlich entschieden, dass Tim aufgenommen 39
wird? 40
E.: Ja (lacht bis *), das is’ ’ne gute Sache *. Also da gab’s schon (.) ’n Gespräch 41
mit dem Herrn Wertz und der Frau Schmitt (..), wobei man aber ganz klar 42
sagen muss, dass die Frau Schmitt damals (.) nicht wirklich (.) sich dafür 43
Anhang – Interview III 7
ausgesprochen hat. Sondern aufgrund der Aktenlage hat sie immer g’sacht 1
(.), der Tim bräuchte eventuell ’ne andere Form von Hilfe, also ’ne 2
heilpädagogische (.) Einrichtung. Aber nachdem sich das Bild vom Tim nich’ 3
wirklich mit der Akte gedeckt hat (.), 4
I.: mhm 5
E.: ham wir uns dann drauf eingelassen, dass wir dann g’sacht ham: „Wir 6
probier’n das mal.“ (.) 7
I.: Und wann hast Du Tim dann kennen gelernt? 8
E.: (..) Das war so, dass der Tim mit ’m Jugendamt und der Mutter kam (.) und 9
er dann eigentlich auch da geblieben is’. 10
I.: Also er is’ direkt dann (.) an dem Tag beim Kennenlernen der Einrichtung da 11
geblieben? 12
E.: Ja ja 13
I.: Also, es gab irgendwie nichts im Vorfeld? 14
E.: Also es war (..) ich hatte vorher mit der Frau Hall telefoniert, dass ich mir 15
schon vorstell’n könnte, das mit dem Jungen (.) zu probier’n. 16
I.: Mhm. 17
E.: Dass ich ihn zwar gern vorher mal g’sehn hätt’ (.), aber das ging aus 18
irgendwelchen Gründen net. Also da wollt’ äh/ das sollte dann auch 19
möglichst schnell geh’n (.). Wobei es nich’ so war, dass von vornherein klar 20
war, er bleibt da. Sondern (.) die war’n schon wirklich auch den ganzen 21
Nachmittag im Haus und so (..) gegen fünf halb sechs äh war dann 22
eigentlich für alle Beteiligten klar: „O.k., man probiert des.“ Wenn wir dann in 23
dem Moment „Nein“ g’sacht hätten, hätt’ ihn auch die Frau Hall wieder 24
mitgenommen. Das war vorher so abgesprochen. 25
I.: Aha, und ähm (..) so die ander’n Erzieher, was ham die gesagt? 26
E.: Also das Team wusste von der Sache, aber (.) wirklich in die allerletzte 27
Entscheidung mit eingeschlossen war’n sie nich’, weil’s (.) einfach sehr, sehr 28
schnell geh’n musste und ich denk’ (.), so is’ das mit Notaufnahmen oder wie 29
auch immer man das nennen will (.), hier eigentlich dann immer. Kriegst ’ne 30
Akte, sollst sie lesen und sollst was entscheiden. Also die Leute, die im 31
Dienst da war’n (.), die ham sich den Tim auch ausge/ angeguckt, aber die 32
letztendliche Entscheidung lag schon beim Herrn Wertz. 33
I.: Mhm (..) Du hattest ja grade gesagt, dass Tim dann da geblieben is’, ne? 34
E.: Ja? 35
I.: Wie hat denn er so auf die ganze Sache reagiert? 36
E.: Ja also, er war sehr, sehr unruhig den ganzen Nachmittag über und musste 37
irgendwie alles anlangen und war sehr vorlaut. Also wenn die Mutter was 38
erzählt hat, dann is’ er da immer ins Wort gefall’n mit irgendwelchen 39
Witzchen und Sprüchchen (..). Bis zu dem Zeitpunkt, wo ich dann g’sacht 40
hab’: „Also (.) es langt jetzt. Wir unterhalten uns und Du bist still.“ Und dann 41
saß er da auch recht (..) ordentlich auf der Bank und (.) das Bild hat sich 42
aber dann für mich gewendet in dem Moment, als die Mutter gegangen is’. 43
Anhang – Interview III 8
Dann war er einfach so ’n bisschen (..)/ ich denk’, ihm hat so der Schutz der 1
Mutter gefehlt und dann war er einfach erstmal (.) die nächsten Tage ’n ganz 2
normales Kind, wo auch überhaupt net körperlich unruhig irgendwie oder 3
vorlaut, sondern (.) ich denk’, es hat ihm einfach erstmal (.) vielleicht auch ’n 4
bisschen Angst gemacht. 5
I.: Mhm. 6
E.: So dieses neue Haus, viele neue Leute, viele Kinder (..) und er hat dann 7
eigentlich erst so zwei drei Wochen später so gezeigt (.)/ also is’ wieder so in 8
die alten Verhaltensmuster ’reingerutscht. So „ich lang’ alles an, ich (.) 9
zappel viel, ich red’ sehr viel.“ (..) Ähm, ich würd’ net sagen, dass der Tim 10
heut’ sehr viel redet, aber ich denk’ (.) äh, er (..) macht halt ganz gern mal so 11
provokante Witzchen oder so, aber wirklich über sich oder das was ihn 12
wirklich beschäftigt reden, da macht er ’n ganz großen Unterschied. Da 13
überlegt er sich schon vorher ganz genau, wem er das erzählt. Also, er is’ (.) 14
nich’ so der Redenskünstler so im Haus den ganzen Tag. 15
I.: Ähm, hat er mal gesagt, was er an dem Tag gedacht hat oder (.) was er (.) 16
was er gefühlt hat und in ihm vorgegangen is’? 17
E.: Mh (.), das hab’ ich ihn nie gefragt (…). Also so im Nachhinein ham wir uns 18
da nie drüber unterhalten (.). Über was wir uns manchmal unterhalten is’ (.), 19
wie viele Sachen er damals dabei hatte und was (.) alles sein Eigentum war 20
und was auch heut’ noch so sein Eigentum is’. Weil das mich überrascht hat, 21
wie viel er mitgebracht hat. Er is’ ja wirklich richtig eingezogen, mit allem was 22
er hatte: Fahrrad, Roller (.), Inliner, Winterausrüstung, Sommerausrüstung. 23
Der hatte ja echt (..) sofort alles dabei. 24
I.: Mhm. 25
E.: Und in sämtlichen Kleidergrößen auch, also der war das erste Jahr ja 26
komplett ausgestattet (.). Und da unterhalten wir uns deshalb immer wieder 27
drüber, weil er natürlich (..) ich weiß gar net, welches letzte Zuhause er 28
wirklich kennt (.). Aber ich denk’ (.), das muss das im Landkreis A-Stadt 29
gewesen sein, da war’n sie recht lang zuhause. 30
I.: Also, die sind auch relativ oft umgezogen? 31
E.: Ja. Und (.) der Tim kannte seine Mutter ganz lange Zeit auf Kisten lebend. 32
I.: Mhm. 33
E.: Also weil ich dann zu ihm g’sagt hab’: „Mensch, da habt ihr aber lang 34
Sachen eingepackt (.), bis du hier wirklich da warst.“ „Nee, die standen alle 35
so daheim ’rum.“ (..) 36
I.: Hmh. 37
E.: Und äh, vom Herrn Teichert wurde dann bestätigt, dass (.) immer wieder 38
Schimmel in der Wohnung wär’ oder dass so schwierig wär’ Miete (.)/ äh ’ne 39
neue Mietswohnung zu finden. Und das is’ das, was dem Tim (.) eigentlich 40
auch in Erinnerung geblieben is’. Also, das sacht er jedenfalls mir immer. 41
Dass sie sehr oft umgezogen sind. 42
I.: Der Herr Teichert is’ der (.) vergangene Lebenspartner von der Mutter, ne? 43
Anhang – Interview III 9
E.: Ja, das is’ der Vater vom Lars. Und der Tim sagt auch Papa zu ihm. 1
I.: Hmh. 2
E.: Also die letzten (..) acht/neun Jahre war der Herr Teichert in dieser Familie 3
auch als Vaterersatz für den Tim mit drin (.). 4
I.: Hat der Tim noch Kontakt zu ihm? 5
E.: (.) Ja, also der Herr Teichert ruft regelmäßig an. Der war jetzt auch letzten 6
Sonntag zu Besuch (..). Ähm (.), ab März/April dieses Jahres hatten wir kein 7
Besuch (.) gewünscht vom Herrn Teichert, weil wir erstmal abwarten wollten, 8
wie das mit dem sexuellen Missbrauch an der Schwester is’ (.). Nachdem 9
sich das net bestätigt hat (.), kam der Herr Teichert dann letzten Sonntag (.) 10
mit dem Lars zu Besuch (..). Angeblich hätte der Lars den Besuch 11
eingefordert. Ähm (.), aber da steht ja auch erstmal nix im Weg, weil das 12
sind ja auch Halbgeschwister. 13
I.: Ja. 14
E.: Und die ham dann der ganzen Nachmittag miteinander verbracht. 15
I.: Hmh. 16
E.: Und der Herr Teichert hat dann auch versprochen, er ruft ihn regelmäßig an 17
und er kommt auch mal zu Besuch (..). Und da hatt’ ich jetzt net den 18
Eindruck, dass es dem Tim net recht is’. Er redet da zwar net viel drüber (.) 19
oder wenn man wissen will, muss man’s ihm schon richtig aus der Nase 20
zieh’n (.), aber er hat sich an dem (.) Tag gefreut und als ich g’sacht hab’, 21
der Herr Teichert (.) möcht’ gern öfter kommen, kam auch kein „Nein“. 22
I.: Mhm. Wie war denn so die Eingewöhnungszeit (.) von Tim? 23
E.: (..) Hm, aus meiner Sicht war das sehr schwierig, weil er hatte ’ne neue 24
Schule, er hatte ’n neues Umfeld (.). Es war aber (.) nich’ wegen dem Tim 25
allein schwierig, sondern weil die Mutter diese Unterbringung nich’ wirklich 26
akzeptiert hat. Also, sie hat sie zwar dem Jugendamt gegenüber akzeptiert, 27
weil sie wusste: „Da gibt’s wohl kein’ anderen Ausweg“ (.), aber so 28
gefühlsmäßig net. Und dann mussten wir ständig mit irgendwelchen Leuten 29
telefonieren, die wieder mit der Frau Berger telefoniert haben und die dann 30
wissen wollten, wie’s dem Tim ging (.). Und das hat der Tim alles mitgekriegt 31
und das hat ihn irgendwo fürchterlich unruhig gemacht auch (.). 32
I.: Mhm. Gab es denn auch ’ne Kontaktsperre, also diese vier Wochen am 33
Anfang? 34
E.: Die gab’s schon und beim Tim ham wir die auch (..), also normalerwei/ die 35
ham wir extrem verlängert, unbewusst verlängert. Also der kam (…) im 36
September, der hatte fast (..) bis Weihnachten keinen Besuch. 37
I.: Hmhm. 38
E.: Wirklich geplant war das nicht. Also, die Mutter hätte Ende Oktober dann (.) 39
kommen können, dann konnte sie irgendwie net (.), aus welchen Gründen 40
auch immer, da kann ich mich jetzt nimmer mehr dran erinnern. Und dann (.) 41
war’s aber so, dass sie auch fürchterlich Boykott gelaufen is’ gegen diese 42
ganzen Kinderdorfregeln und dann hat der Tim kurz vor Weihnachten die 43
Anhang – Interview III 10
Mutter eigentlich das erste Mal wieder g’sehn (..). Im Nachhinein würd’ ich 1
sagen, da hat jeder unbewusst diese (.) diese Kontaktsperre verlängert, weil 2
man gemerkt hat, es tut dem Tim nicht gut. Aber wirklich ausgesprochen der 3
Frau Berger gegenüber (..) oder es auch wirklich begründet, hat’s keiner. 4
Also, es sind einfach viele Wochen ins Land gezogen, bis man mal gemerkt 5
hat (.): „Hoppla (.), da müssten wir auch als Einrichtung mal wieder auf die 6
Mutter zugeh’n und müssten sagen, jetzt darf sie ihn besuchen.“ 7
I.: Hmh (.), hat sie sich denn innerhalb dieser Wochen gemeldet? 8
E.: Öfter mal abends, telefonisch. Also, an diese Regel hat sie sich gehalten. 9
Sie durfte ja dann mit den (.) Erziehern telefonieren. 10
I.: Ja. 11
E.: Das hat sie gemacht, wobei das für alle Beteiligten immer eher anstrengend 12
war. Weil es ging immer nur darum (…), man hat sich so ’n bisschen 13
ausgehorcht gefühlt: „Wie geht’s dem Tim?“ Hat man dann gesagt, er hat 14
grad ’nen Schnupfen, hat man g’sacht gekriegt, welches Medikament da in 15
der Kiste wär’. Das wär’ doch so wichtig, dass man ihm das gibt. Und wenn 16
er Bauchweh hat, braucht er die Wärmflasche und jenes. 17
I.: Mhm. 18
E.: Und man hat sich da eigentlich ganz schnell so ’n bisschen kontrolliert 19
gefühlt (..). 20
I.: Ähm, und wie war dann die Zeit für Tim, seine Mutter überhaupt gar nich’ zu 21
seh’n? 22
E.: Also, er kam zu ’nem Zeitpunkt ins Haus, wo sehr viele Kinder keinen 23
Kontakt zu Eltern hatten, weil da die Familiensituationen einfach so waren. 24
Von daher hat er am Anfang wohl erstmal gedacht, das is’ so (.). 25
I.: Hm. 26
E.: Und hat da (.) sich wahrscheinlich auch net getraut nachzufragen. Aber (.) 27
als er dann so gemerkt hat, die ersten Besuche von Eltern rollen an (..), hat 28
er dann schon mal gefragt: „Wann kommt die Mama?“ Und da konnt’n wir 29
ihm eigentlich nie ’ne ordentliche Auskunft geben, weil ich immer g’sacht 30
hab’, ich möchte das gern in Rücksprache (.) mit der Frau Schmitt und dem 31
Herrn Wertz machen (.) und die Hausgespräche sind ja immer nur im 32
Rhythmus von zwei Wochen und aus meiner Sicht musste er da schon sehr 33
lang’ warten und war da auch sehr geduldig. 34
I.: Mhm. 35
E.: Und es hat ihn teilweise, denk’ ich auch (..), vielleicht an manchen Tagen 36
aggressiver gestimmt, als man ihn gebraucht hätte, wenn, wenn da (.) 37
schneller ’ne Klarheit da gewesen wär’. 38
I.: Mhm. Habt ihr mal nachgefragt (.), wenn er nich’ nachgefragt hat? Also, ob 39
Ihr mal bei ihm nachgefragt habt, wie’s ihm so (.) geht ohne Mama? 40
E.: Ja also, so abends, wenn man ihn ins Bett gebracht hat oder so, kam schon 41
immer, dass er die Mama eigentlich vermisst (.). Und (.) das is’ ja auch heut 42
Anhang – Interview III 11
noch so. Er (.) fühlt sich sehr stark verantwortlich für des, was die Mama 1
macht oder was da mit der Mama passiert (.) 2
I.: mhm 3
E.: und findet auch deswegen oft gar keine Ruhe. Also grad am Anfang in 4
diesen ersten anderthalb Jahren, wollt’ er immer wissen: „Wie geht’s der 5
Mama?“ und „Was macht die grad so?“ Und erst jetzt fängt er so langsam an 6
(.) auch zu gucken: „Und wie geht’s mir als Tim?“ Aber wenn’s der Mama gut 7
ging, ging’s ihm auch gut und wenn’s der Mama schlecht ging, da hat er so 8
seine Stimmungen angepasst. Das hat man so (.) an Telefonaten auch 9
gemerkt. War die Frau Berger sehr weinerlich, dann is’ da der Tim ganz 10
stark (.) mitgegangen mit dieser Stimmung. Und (.) das macht er heut’ also 11
nix mehr so extrem. Also wenn die Mama dann anruft, (.) 12
I.: mhm 13
E.: dann kann’s auch mal sein, dass er sagt, er guckt grad Fernseh’n, er legt 14
jetzt auf. Oder (..) er merkt dann manchmal gar net mehr so bewusst, dass 15
die Mama jetzt vielleicht grad jammert. 16
I.: Hmh. 17
E.: Das war die ersten anderthalb Jahre wirklich viel viel heftiger. 18
I.: Und wie war’n dann so die ersten Kontakte mit der Mutter? 19
E.: Hm. (..) Die ersten Kontakte mit der Mutter, wenn sie hier (.) zum Kaffee 20
trinken da war oder den Nachmittag verbracht hat, war’n eigentlich immer 21
sehr anstrengend, weil man genau gemerkt hat, (.) sie kann das net wirklich 22
akzeptier’n. 23
I.: Mhm. 24
E.: Also, sie hat mich (..) als Person dann auch ’ne Zeit lang ganz massiv in 25
Frage gestellt. Hat mir auch (.) den einen oder anderen Therapeuten an den 26
Hals gehetzt (..), der dann mal prüfen sollte, ob die im Kinderdorf ihre Arbeit 27
richtig machen. (.) Und ich denk’, ich war für die Frau Berger schon lange 28
Zeit so dieser Prellbock, der „Ja“ gesagt hat zum Tim; ich hätt’ ja auch „Nein“ 29
sagen können. Also in ihrem Kopf war oft so (..), denk’ ich mal, so dieser 30
Gedanke: „Wenn die Frau Sonntag ‚Nein’ gesagt hätt’, wär’ der Tim vielleicht 31
noch bei mir.“ Obwohl des ja an sich schizophren is’, er wär’ trotzdem 32
weggekommen. Aber (.) 33
I.: mhm 34
E.: das hat die Zusammenarbeit wirklich erschwert (.), weil (.) sie alles 35
beobachtet hat, was wir gemacht ham. Alles auch so hinterfragt hat und 36
dann auch (lächelt bis *) oft so gute Ratschläge dabei hatte.* Und wir ham ja 37
dann (..). 38
I.: Zum Beispiel? 39
E.: Ja, wir ham ja/ zum Beispiel wir hatten ja (.) dann (.) gleich zu Anfang ’n 40
Termin bei der Kinderärztin. Und dann hab’ ich ihr die ganze 41
Medikamentenkiste gezeigt und dann hat sie gemeint: „Also bis auf das 42
Asthmaspray und das Amphetamin (.) kriegt er jetzt erstmal gar nix und wir 43
Anhang – Interview III 12
gucken mal, was das Kind wirklich hat.“ (..) Diese Botschaft hab’ ich dann 1
halt an die Frau Berger weiter gegeben, weil sie immer wissen wollte, wo die 2
Kiste is’. Und damit ging der Ärger eigentlich (.) erst richtig los. Weil (.) damit 3
hat sie sich so (..) mh als Mutter in Frage gestellt, g’sehen auch. Ja (..) weil 4
ich denk’, vieles is’ in ihrer Erziehung über die Pflege und über Medikamente 5
gegangen (.) und die waren plötzlich nimmer da. Und jetzt sind and’re Leute 6
da, die sich um den Tim kümmern. 7
I.: Mhm. 8
E.: Und das war dann bei diesen Besuchen immer so: „Ja und (.) wenn er jetzt 9
heut’ abend in die Badewanne geht, tun Sie dann auch das Fettölbad ’rein?“ 10
und bla. Also (.), man musste ihr ganz oft Zustimmung geben (.), für was, wo 11
man selber nich’ so den Sinn drin g’sehen hat. (.) Also, sicherlich is’ so ’n 12
Fettölbad was ganz Tolles, aber halt net jeden Samstag. 13
I.: Hmh(..). Wer hat sich denn (..) zuerst gemeldet nach dieser Zeit, war das 14
das Kinderdorf, was den Kontakt zur Mutter gesucht hat oder (.) war das (.) 15
die Frau (.) Berger, die dann eher so aktiv war, um (..) den Tim zu sehen? 16
E.: Also (.) in dieser Zeit, als der Tim so die Anfangszeit da war, war eigentlich 17
die Aktivere die Mutter. 18
I.: Mhm. 19
E.: Weil (..), ja sie wollte immer wissen, wie’s dem Tim geht, wann sie zu 20
Besuch kommen kann, ob wir alles richtig machen und so weiter (.). Jetzt (.) 21
die drei Jahre, wo er da is’ (.), ruft sie zwar immer noch an ihren (.) 22
Telefontagen regelmäßig an, aber ich denk’, das is’ mehr zur Gewohnheit 23
geworden. Am Anfang hat manchmal auch (.) dreimal in der Woche, viermal 24
in der Woche das Telefon geklingelt (..), einfach nur damit sie halt angerufen 25
hat (..) und (.) sie selber hat, glaub’ ich, mit der Kontaktsperre ganz große 26
Probleme gehabt. 27
I.: Mhm. 28
E.: Also (..), ich weiß es, dass wir einmal mit dem Tim beim Dr. Martin war’n und 29
dann muss man auch immer so erzähl’n, was weiß man von der 30
Lebensgeschichte und so weiter. Und da hat er eben nur mal g’sacht, dass 31
sie (.) äh Angst hat, wir würden ihr den Tim entfremden. (..) Und das war so 32
ihre größte Sorge. Und ich denk’, so ’ne Heimunterbringung entfremdet auch 33
erstmal den Eltern die Kinder, das is’ scho’ richtig. (.) Nur hat sie das halt (.) 34
so absolut auf sich bezogen und hatte halt wirklich Angst, wir würden in der 35
Erziehung auch ganz große Fehler machen. Das hat sie auch (.) in Worte 36
gefasst (..). 37
I.: Hast Du da mal mit ihr drüber gesprochen? 38
E.: Ähm (..), wir ham’s dann/ wir ham’s dann so gelöst, dass das mal in einem 39
Hilfeplangespräch angesprochen wurde, dass sie sehr unzufrieden wirkt mit 40
uns’rer Arbeit und so weiter. Und das sie auch mich als Person sehr stark in 41
Frage stellt (.) und ham das dann (.) über’n halbes Jahr so gekoppelt, dass 42
Anhang – Interview III 13
sie (..) äh einmal im Monat (…) oder nee es war’n sogar zwei (.) sie konnte 1
jedes zweites Wochenende einmal zum Basteln kommen. 2
I.: Hmh. 3
E.: Da hatt’ ich dann auch Dienst. (.) Das hat in der Elternarbeit insofern was 4
gebracht, dass sie gesehen hat, wie arbeite ich mit den Kindern (.). Dass sie 5
sich ’nen Bild von mir machen konnte, dass sie aber auch geseh’n hat, wie 6
lebt der Tim eigentlich und damit is’ die Frau Berger dann ruhiger geworden. 7
I.: Wird sie denn in den Hilfeplangesprächen, wird sie da in die Entscheidungen 8
miteinbezogen, (.) auch so was auch so alltägliche Sachen angeht oder (..) 9
irgendwie äh sonstige Aktivitäten von Tim? 10
E.: Also, ich denk’, oft kriegt sie’s einfach erstmal nur in Form von Information 11
erzählt (.). 12
I.: Hmh. 13
E.: In was sie stark in (.)/ mitbeteiligt war, war’n diese Verhaltenspläne, weil wir 14
lange Zeit gedacht haben, (..) die Heimfahrten sind dem Tim so wichtig, dass 15
wir das Verhalten dran koppeln könnte (.). Bis wir dann gemerkt ham, das 16
macht ihn eigentlich noch unruhiger als er überhaupt scho’ is’. 17
I.: Also die Verhaltenspläne jetzt? 18
E.: Ja. Also nich’ die Verhaltenspläne, sondern diese Anspannung und „ich 19
muss mich anstrengen 20
I.: mhm 21
E.: und dann darf ich zur Mama.“ Ähm (…) joa, richtig miteinbezogen im Sinne 22
von, dass sie als Mutter was entschieden hat, war sie dann eigentlich 23
wirklich nich’ mehr. Es war dann eher so, dass man ihr erzählt hat. Sie war 24
dann auch ’n paar Mal an (.) Elternabenden dabei (..), aber eigentlich ham 25
wir das mit dem Tim gemeinsam entschieden und ham’s der Mama 26
berichtet. Dass er zum Beispiel zum Schwimmen geht oder (.) ähm wo sie 27
miteinbezogen war, war in diesen Konfirmandenunterricht. 28
I.: Hmh. 29
E.: Weil sie das auch wollte, da hat dann der Tim eingewilligt. Aber eigentlich (.) 30
äh (..) war’n die Entscheidungen unsere. 31
I.: Hmh. 32
E.: Aber da kam auch nie irgendwie (..), dass ihr das alles net passt. Also in so 33
Hilfeplangesprächen sitzt sie dann auch oft drin und hört sich das Ganze an 34
und nickt das ab (.) und dann fällt ihr, wenn das Hilfeplangespräch ’rum is, 35
ein, was ihr nich’ gefällt. (.) Also so (.) im Nachgang dann (..). Aber 36
ansonsten sind diese Hilfeplangespräche immer sehr ruhig, weil die Frau 37
Berger eigentlich (..), wenn man sie nich’ direkt was fragt, sehr wenig spricht. 38
I.: Mhm. (...) Äh, was sind denn eigentlich so die Ziele äh, (.) was soll mit dieser 39
Hilfe erreicht werden? 40
E.: Mit dieser Hilfe sollte erreicht werden, dass der Tim seine schulischen 41
Leistungen (..) wirklich auch mal zeigen kann. 42
I.: Hmh. 43
Anhang – Interview III 14
E.: Äh, das Verhalten vom Tim sollte beeinflusst werden, also so dass er (.) 1
gesellschaftstauglicher (.) wird (.) und das war immer ein Ziel, dass die 2
Mutter die Erziehung vom Tim wieder in die Hand nehmen kann (..). Und 3
Rückführung (.) steht beim Tim (.) eigentlich als Ziel schon immer noch (.) in 4
den Hilfeplänen drin (.). Es is’ jetzt nur leider so, dass (.) dieses Ziel, die 5
Mutter tut was für sich, für ihre eigene Psyche, damit sie auch (.) dem Tim 6
oder auch den ander’n Geschwistern helfen kann (.) ähm da fehlt’s so an der 7
Umsetzung bei ihr. 8
I.: Hmh. 9
E.: Aber eigentlich war das Ziel schon, die Mutter zu stabilisier’n, zu gucken das 10
die (.)/ also das is eigentlich ’n Ziel, das kann das Kinderdorf nich’ 11
verwirklichen, aber das war ’n Ziel, was das Jugendamt hatte (.). Die Mutter 12
soll erstmal ihre häusliche Umgebung (..) ähm in Ordnung halten, 13
aufrechterhalten, für sich selber sorgen und zeigen, dass sie für sich selber 14
da sein kann. Und (.) dann, dass sie auch in der Erziehung ihrer Kinder (..) ja 15
(..4..) eben voll tatkräftig is’. Aber des (.) Ziel, ich weiß nich’, ob’s wirklich zu 16
erreichen is’. Aber ich denke, um die Frau Berger auch (..) für die Mitarbeit 17
zu motivier’n, is’ das Ziel schon immer noch da (.). Wobei ich selber 18
persönlich an eine Rückführung vom Tim nich’ glaub’ (…). Speziell auch 19
jetzt, wo die beiden anderen Kinder von der Frau Berger weg sind. Und er is’ 20
jetzt auch schon dreizehn, also wenn (.), dann denk’ ich (.), müsste da jetzt 21
auch schleunigst was passier’n, dass diese Rückführung auch greifen 22
könnte, weil die braucht ja auch immer Vorbereitung. 23
I.: Hmh, ja. Ähm, glaubst Du, dass ihr die Frau Berger da auch unterstützen 24
könnt (..) dabei? 25
E.: Wer kann wen unterstützen? 26
I.: Ihr die Frau Berger. 27
E.: Mh (…), ich denk’ nur indirekt. Also (..4..), ämh es sprengt eigentlich den 28
Rahmen, den wir haben. Weil sie bräucht’ wirklich jemanden, der ihr im 29
Leben sagt: „Und jetzt geh’ mal auf des Amt“, und: „Jetzt mach mal dies und 30
jetzt mach mal jenes“, damit sie erstmal (.) so die kleinen Dinge im Alltag 31
geregelt kriegen könnte. Ich mein’, sie lebt ja jetzt immer noch ohne Küche 32
(.). Sie is’ im (.) Mai da in die Wohnung gezogen und jetzt ham wir November 33
und (.) ’nen Herd hat sie immer noch net. 34
I.: Mhm. Und so im Bezug auf Tim, dass sie da so ’n bisschen (.) mehr 35
Sicherheit im Umgang mit ihm kriegt oder mehr (..) mehr 36
Durchsetzungsvermögen? 37
E.: Also, sie selber hat ja gewünscht, dass sie den Tim dreimal im Monat sehen 38
kann. 39
I.: Mhm. 40
E.: Das ham wir gekoppelt mit, wenn sie was für sich tut, sprich ’ne 41
Psychotherapie oder was. Weil man einfach immer wieder sieht, ihr geht’s 42
schlecht (...). Dem Wunsch is’ sie ja nich’ nachgekommen und im Moment 43
Anhang – Interview III 15
darf sie ja erstmal keinen Besuch haben. Also gar keinen in 1
Anführungszeichen, zumindest nich’ dreimal im Monat. Wenn sie einmal im 2
Monat kommt, is’ es schon viel. (.) Ähm (..), ich denk’, das is’ schwierig, sie 3
im Umgang mit dem Tim zu stützen, weil er in unser’m Umfeld ganz anders 4
reagiert, als wenn er mit der Mama alleine is’. Also (..), wenn die Frau Berger 5
zu Besuch is’, dann gibt’s da keine größeren Auseinandersetzungen. (.) 6
Vielleicht in Form von Erziehungsberatung, dass man ihr erzählt, was (.) wär’ 7
wichtig für den Tim, aber das tun wir ja auch die ganze Zeit. Und in der 8
Theorie (.) weiß die Frau Berger sehr viel. 9
I.: Hmh, o.k. (..). Wie is’ denn das Verhältnis von Tim zum gesamten Team? 10
E.: Mh, der Tim kommt schon immer wieder mal in Hausgesprächen auf’s 11
Tablett als schwieriges Kind im Haus (.), weil er sehr (.) äh sehr 12
personenabhängig reagiert. 13
I.: Hmh. 14
E.: Und auch seine Provokationen (…) dem einen oder anderen mehr oder 15
weniger zeigt. Und wir hatten jetzt zum Beispiel letzte Woche wieder ’n äh (.) 16
Hausgespräch (.), da hat dann die Frau Schmitt mal in ’nem Nebensatz 17
gesagt: „Der (..) also der Tim ist hier Zuhause, bis er achtzehn is’, aber die 18
(.) Erwachsenen müssen anfangen, ’ne Beziehung zu ihm aufzubau’n.“ 19
Ansonsten wird das Zuhause sehr schwierig und auch gefährdet sein, weil er 20
ja (.) sehr personenbezogen reagiert. 21
I.: Was heißt gefährdet sein? 22
E.: Ja also, der Tim hat Kontakte zu den Kindern und auch zu Jugendlichen hier 23
in der Einrichtung, 24
I.: mhm 25
E.: aber er macht da ja ganz große Unterschiede, zu wem will er Kontakt haben. 26
I.: Mhm. 27
E.: Und (.) er hat eigentlich (..) zu ganz wenigen Leuten im Team wirklich 28
Kontakt, also bodenständigen Kontakt. Und da sind die Erwachsenen auch 29
gefordert, wie bieten sie ihm ihre Beziehung an, damit er da überhaupt mit 30
einsteigen kann (..). Also, gefährdet im Sinne (.) dessen, wenn er keine 31
Beziehung zum Team hat, das ihn dann in der Pubertät in schwierigen 32
Zeiten vielleicht auch tragen soll, (…) mh dann wird’s schwierig. Kann ich 33
jetzt auch irgendwie grad net besser beschreiben. Also ich denk’ (.), ’n 34
schwieriges Kind trägt man leichter durch die Pubertät, wenn man ’ne 35
Beziehung hat (..). 36
I.: Hmh, (..) ähm schwierig heißt dann insofern, dass man sich überlegt, dass 37
Tim in eine andere Einrichtung kommen sollte (.), wenn’s so schwierig is’, 38
dass man’s nimmer tragen könnte, also wenn das Team das nich’ mehr mit 39
trägt? 40
E.: Also auszuschließen is’ es nicht. (..) Sprachlich auszuschließen is’ es nicht. 41
Wobei ich denk’, dass (.) da der Herr Wertz und auch die Frau Schmitt 42
mittlerweile schon ’ne klarere Haltung haben. Weil wir da auch immer wieder 43
Anhang – Interview III 16
g’sacht kriegen von Dr. Martin oder auch von der Frau Roos, dass er hier 1
emotional schon zu Hause is’ und diese Gefahr oder dieses Zeichen von „Ich 2
bau’ zu Dir keine Bindung auf“, die liegt beim Tim ja auch viel viel tiefer. Und 3
ihn jetzt einfach (.) ’rauszunehmen aus der Einrichtung und woanders ähm 4
(.) hinzuversetzten, das würd’ aus ihm auch kein anderes Kind machen. Das 5
würd’ ihm auch erstmal net helfen. 6
I.: Aber diese Diskussion gab es mal? 7
E.: Mh (.), die Diskussion gibt’s, denk’ ich, immer mal wieder, dass er 8
bestimmten Menschen einfach zu schwierig is’ und dass man gucken muss, 9
(..) kann man den Tim halten? 10
I.: Hmh. 11
E.: Aber er hat dann immer wieder so Höhen und Tiefen, sag’ ich mal. 12
I.: Weiß der Tim das, (.) also kriegt er das mit? 13
E.: Das weiß der Tim und das macht ihn auch unsicher. 14
I.: Mhm. 15
E.: Dass an seinem Zuhause immer wieder gerüttelt wird. 16
I.: Mhm. 17
E.: Und ich denk’, es ging’ ihm besser, wenn er das nich’ wüsste. Aber man 18
kann’s halt auch (.) nich’ immer geheim halten, weil’s einfach auch schon 19
Dienstintervalle gab, wo er sich dann mein’twegen am Treppengeländer 20
abgeseilt hat und geschrie’n hat: „Ich bring Euch alle um“ oder so. Und das 21
is’ natürlich erstmal für den diensthabenden Erzieher sehr, sehr (..) 22
anstrengend und auch beängstigend. (.) Wobei er, denk’ ich(.), an sich/ aus 23
meiner Sicht, immer noch ’n sehr ruhiger Junge is’, wenn man mit ihm 24
vernünftig redet. Auch sehr einsichtig (..). Aber ich denk’, das is’ so seine 25
große Angst, dass er hier irgendwann geh’n muss. 26
I.: Mhm. 27
E.: (..) Weil er das natürlich auch in schwierigen Momenten ganz 28
unpädagogisch menschlich dann auch mal g’sacht kriegt. Ja, wenn man 29
dann eben drei Stunden mit ihm ’rum diskutiert hat. 30
I.: Mh. (…) Was glaubst Du denn, was Ihr so machen könnt, dass der Tim da 31
so ’n bisschen mehr (.) ähm ja Beziehung kriegt und ’ne sicherere Position 32
bekommt? 33
E.: Mh, also im Moment fällt mir nur ein, dass die Erwachsenen eigentlich 34
gefordert sind, ihm Beziehung anzubieten durch (.) irgendwelche Aktivitäten, 35
die ihm Spaß machen, damit er erstmal merkt, die beschäftigen sich alle (.) 36
positiv mit mir. Und dass er dann über die Handlungsebene an die 37
Erwachsenen ’rankommt, das er (.) einfach auch (.) über den Sachbezug ’n 38
Bezug zu den Erwachsenen kriegt. Weil nur über die Beziehungsebene (.), 39
das reicht beim Tim, denk’ ich, net aus (..). 40
I.: Wie lange kennt er die Erzieher jetzt schon? 41
E.: Ähm (..), so in der jetzigen Konstellation (.) seit ungefähr ’nem Jahr. 42
I.: Also hat der Tim auch schon Wechsel miterlebt? 43
Anhang – Interview III 17
E.: Puh (…) joa. Eigentlich ein komplettes Team hat er durchlaufen (..). Würd’ 1
ich mal so sagen, also weil (..) die Menschen, die gegangen sind, sind 2
eigentlich alle in ’nem recht kurzen Zeitabschnitt gegangen und das Team 3
hat sich dann so auf einmal geleert und auf einmal wieder gefüllt (.). Also, so 4
würd’ ich das jetzt mal aus den Augen des Kindes betrachten. Da lag 5
vielleicht (..) so’n dreiviertel Jahr dazwischen, bis das Team wieder komplett 6
aufgefüllt war. Aber (.) eigentlich (.), wenn man die Praktikanten nich’ 7
mitzählt, war’n es denk’ ich vier. 8
I.: Und wie hat er das so erlebt? (.) Hatte er ’ne engere Beziehung zu dem 9
vorhergehendem Team als jetzt? 10
E.: Ne, er hatte ’ne Beziehung, aber ob die enger war, kann ich gar net sagen. 11
(..) Ich denk’, er war aufgrund dessen, dass er noch nich’ in der Pubertät 12
war, einfach leichter zu händeln. (..) Und da hatte man dann (.) ’ne and’re 13
Beziehung zu ihm. Aber ob das jetzt besser oder schlechter is’, kann ich net 14
sagen. Ich weiß auch nich’, ob er wirklich jemanden vermisst. 15
I.: Mhm (.) 16
E.: Das (..) is’ auch ’n Thema (…), das hab’ ich mit ihm so noch nie besprochen. 17
Aber so dass er mal bewusst fragt nach irgend jemanden aus dem alten 18
Team, is’ eigentlich nich’. 19
I.: Mhm (...) und wie is’ es so mit der Beziehung zu den anderen Kindern? 20
E.: Also, damals war’s einfach so, dass die Gruppe vom Alter her auch viel 21
gemischter war. Er kam ja (…) ins Haus (.), da war’n es fünf Mädels und ein 22
Junge (.). Und dann kam er noch dazu. (..) Äh, heut is’ er einer der Ältesten 23
im Haus. Ich denk’, das gibt ihm ’ne ganz andere Position. Einmal ’ne 24
Position von Macht, die mir selber net so gut g’fällt, weil er dann auf die 25
Jüngeren auch wirklich mal Macht ausübt. So im Sinne von: „Wenn Du net 26
mit mir spielst, mach’ ich Dir irgendwas kaputt“ oder so (..). 27
I.: Hmh. 28
E.: Aber ich würd’ sagen, er war (.) damals als er gekommen is’, einfach (..) so 29
’n „Mittendrin-Kind“. Es gab Ältere und es gab Jüngere (.) und er konnt’ 30
eigentlich mit jedem so spiel’n, (.) also zumindest mal für kurze Zeit. Zu wem 31
er ganz (.) gute Kontakte hatte, war der Thomas (…) und (.) jetzt is’ es 32
einfach so, dass er als ältester Junge zwischen den zwei großen Mädels 33
steht (.), und ich dann auch immer so in so Hausgesprächen sag’: „Wirklich 34
Kontakt knüpfen im Haus, is’ auch schwierig.“ Er hat ja dann (.) in 35
Anführungszeichen nur die Kleineren. 36
I.: Mhm. 37
E.: Weil die drei Großen zusammen, das funktioniert ganz schwierig, da zieht er 38
sich dann auch oft lieber (.) ’raus, bevor er zu irgend jemanden klar Stellung 39
bezieh’n muss. 40
I.: Mhm. Der Thomas war ja ’n Junge, der auch mit im Haus war, der dann 41
gegangen is’. Das hat Tim ja auch mitgekriegt (.) ähm, wie der praktisch 42
gehen musste. 43
Anhang – Interview III 18
E.: Das hat er miterlebt, ja. (.) Da ham wir uns auch mal drüber unterhalten und 1
das war auch in einer Zeit, wo der Tim (..) ich sag mal (.) 2
erziehungsschwieriger war als heute. Und er hat es eigentlich mit ’nem 3
lachenden und mit ’nem weinenden Auge g’sehn. Da hat er mich zum 4
Beispiel auch mal g’fragt: „Und, bin ich dann der Nächste?“ (..) Weil er 5
g’sehn hat, wie/ wie schnell es gehen kann, wenn Einrichtungen zusammen 6
arbeiten, dass ein Kind dann auch wirklich die Einrichtung wechselt, und das 7
hat ihn eher überrascht. (.) Oder auch irgendwo ’nen Stück weit betroffen 8
gemacht. 9
I.: Mhm. 10
E.: Und ich denk’, das hat er noch ganz gut im Kopf. Das (.) ähm das (.)/ er 11
bezieht dann oft so sein Verhalten auf das vom Thomas 12
I.: mhm 13
E.: und überlegt sich, was passiert denn dann jetzt mit mir. 14
I.: Hmh. 15
E.: Und (.)/ aber ich denk’/ ich hab’ immer so die Hoffnung, dass er merkt (.) 16
ähm, dass dass viele Dinge, die (.) manchmal auch einfach schief laufen im 17
Alltag, (.) so alltäglich sind, dass sein Zuhause erstmal net gefährdet is’. Also 18
da müsst’ er da drüben scho’ irgendwas Größeres (.) wirklich auch anstell’n. 19
I.: Mhm. 20
E.: Und dann versuch’ ich ihm auch immer zu erklären, dass es auch ’n Stück 21
weit in der Krankheitsgeschichte vom Thomas begründet war. 22
I.: Hmh. 23
E.: Aber Kinder seh’n ja erstmal nur das Verhalten. Und das Verhalten vom 24
Thomas war ja schon (..) auffällig, sodass jeder g’sehen hat, is’ in der 25
Gruppe eigentlich nich’ machbar. 26
I.: Hm. 27
E.: Ja (..4..) 28
I.: Und sonst so Freunde im Kinderdorf, engere Freunde? 29
E.: Im Moment hat er ganz gute Kontakte zu ’nem Jungen aus Haus X. Der is’ 30
zwar erst zehn (..), aber die Beiden können ganz gut miteinander. Dann hat 31
er (…) die ganze Zeit Kontakt zu Nadine g’habt. (.) Das verwundert mich 32
eigentlich. Also das ging irgendwie März, April los (..) ja müsst’ März, April 33
gewesen sein (.) und da ham sie immer so von Freundschaft geredet. Und 34
„Das is’ mein Freundin“ und „Der Tim is’ mein Freund“. Und (.) das beißt sich 35
so ’n bisschen mit der Tatsache, dass der Tim eigentlich (..) 36
beziehungsgeschwächt is’ oder auch keine Beziehung halten kann oder will 37
oder möchte oder wie auch immer. Es sieht dann ja immer auch jeder 38
anders. (.) Aber das Mädchen is’ ausgezogen Anfang (..) Oktober war’s 39
glaub’ ich (.) und äh er weigert sich/ and’re sagen dann immer: „Such dir halt 40
’ne neue Freundin, die is’ doch jetzt weg“ oder so. Das will er gar net. Also 41
da werden Briefchen g’schrieben, da wird auch angerufen und da will er 42
auch wissen, ob er mal über Nacht hin kann. (.) Und ich denk’, wenn man 43
Anhang – Interview III 19
mal davon ausgeht, dass er in Anführungszeichen ’n Junge is’, der schlecht 1
Beziehungen knüpft, (..) dann (.) is’ die Zeitspanne von März bis November 2
schon sehr lange (..). Weil das is’ ja eigentlich net sehr alterstypisch. 3
I.: Mhm, warum is’ er denn Deiner Meinung nach beziehungs(…)gestört? 4
E.: Äh, zum einen denk’ ich, weil jeder den Tim mit ander’n Augen sieht. Er 5
kriegt’s auch öfters eingeredet, dass er das wäre. 6
I.: Hä? 7
E.: Weil er nich’ unbedingt altersentsprechend entwickelt is’, grade was so sein 8
Spielverhalten anbelangt. 9
I.: Und von wem wird ihm das eingeredet? 10
E.: Mh (..), scho’ auch von den Erwachsenen, die mit ihm zu tun haben (.) im 11
Alltag. 12
I.: In was für Situationen? 13
E.: Na ja, wenn’s halt schwierig wird. Das Andere is’ natürlich auch, dass er 14
ganz große Verlustängste hat, dass wenn man mal sieht, wie viele 15
Menschen in seinem Leben gegangen sind, schon bevor er im Kinderdorf 16
war, (.) dann war’n das eigentlich ’ne ganze Menge. Und ich denk’ (.), er 17
hatte auch immer Angst Beziehungen aufzubau’n, weil die könnten ja wieder 18
kaputt geh’n. (..) Aber wirklich beziehungsunfähig würd’ ich ihn nich’ (.) 19
nennen, sondern eher (.)/ er überlegt sich vorher ganz genau, zu wem er 20
Kontakt haben will. Er is’ dann eher so das Kind, das sagt: „ Ich hab’ lieber 21
zwei gute Freunde und die hab’ ich“, anstatt von zwanzig losen Kontakten. 22
I.: Mhm. 23
E.: Davon (..) verspricht er sich selber auch recht wenig. (...5..) 24
I.: Mhm, ja. (..) Wie is’ denn die äh (.) wie würdest Du denn die Beziehung 25
zwischen dem Jugendamt und Tim beschreiben? 26
E.: Also ich denk’, das war unterschiedlich. Am Anfang war das Jugendamt 27
einfach ’ne Institution für den Tim, die ihn hierher gebracht hat ins Kinderdorf 28
(...). Und (.) die ham halt einfach entschieden. 29
I.: Mhm. 30
E.: Und mittlerweile is’ es so, dass er (..) äh wir war’n dann auch einmal dort im 31
Jugendamt und (.) da hab’ ich dann auch drauf Wert gelegt, dass ich g’sagt 32
hab’: „Tim, ich erzähl’ das jetzt net, was Du mir g’sagt hast, sondern mach 33
das mal selbst.“ (.) Äh (.), mittlerweile fängt er auch an und schreibt 34
Briefchen an die Frau Hall, wenn’s dann drum geht Entscheidungen zu 35
treffen, so wie „Ich möcht’ meinen Vater sprechen“ oder so. 36
I.: Mhm. 37
E.: Jetzt steht an (.), dass er möchte’, dass der Herr Teichert ihn öfter besucht. 38
(..) Da is’ es jetzt auch seine Aufgabe, mit dem Jugendamt Kontakt 39
aufzunehmen und ich denk’, da fühlt er sich, nachdem das dann immer 40
relativ schnell geht, so nach dem Motto: „ Ich ruf’ mal die Frau Hall an“ und 41
die sagt dann: „Ja, kann ein/ zwei Wochen dauern, aber ich ruf’ Dich zurück“, 42
(.) ähm wird das eigentlich immer besser. 43
Anhang – Interview III 20
I.: Mhm. 1
E.: Und er merkt halt auch in den Hilfeplänen, es geht nich’ nur um die Mutter, 2
sondern es geht auch um ihn. (.) Und des (.) des bekräftigt diese Situation 3
schon auch. Und ich denk’, er hat scho’ lang nich’ mehr nur noch im Kopf, 4
das Jugendamt is’ das, das mich da (.) ’rausgeholt hat, sondern (.) 5
mittlerweile sicht er’s auch (..), wenn er’s auch nich’ immer in Worte fasst, 6
aber er sieht’s dann auch scho’ als Hilfe. 7
I.: Mhm. 8
E.: Also, zumindestens (.) schliess’ ich das aus dem, was er sacht. Er hat 9
neulich dann zum Beispiel mal wieder g’sacht: „Wenn ich noch zuhause 10
wär’, wär’ ich bestimmt noch in der E- Schule.“ (..) Und ich denk’, so zieht er 11
seine Schlüsse (.), was für ihn besser is’ und was für ihn vielleicht nich’ so 12
gut is’. 13
I.: Mhm (..). Wenn’s jetzt so um die Zukunft geht (.) bei Tim, 14
E.: ja? 15
I.: was wünschte Dir denn da für ihn? 16
E.: Mh, also ich würd’ mir schon wünschen, dass er den Schulabschluss zu 17
Ende bringt (..). Vielleicht, dass er das auch mit dem qualifizierten 18
Hauptschulabschluss zu Ende bringt. Äh (.) wir fangen dann jetzt auch scho’ 19
an, dass er, (.) dass er einfach für, (.) für gewisse Dinge auch einsteh’n 20
muss. Zum Beispiel: „Wenn Du ’ne Briefmarke willst, dann fahr’ in die Stadt“ 21
und „Wenn Du die Post nich’ findest, musst Du sie halt suchen.“ (..) So 22
kleine Alltagsaufgaben (..) äh, weil nächstes Jahr soll er ja dann das erste 23
Mal zum Beispiel Praktikum machen (.) und er kann zwar noch nich’ 24
hundertprozent sagen, was er machen will (.), aber wenn man ihm ’n 25
Vorschlag macht, kann er hundertprozent sagen, was er nich’ will. Und das 26
is’ scho’ mal schön (.), weil dadurch grenzt sich das ein. Also ich hätt’ schon 27
die Hoffnung (.), dass das mir dem Schulabschluss klappt und dass er ’n 28
Beruf findet, der ihm dann auch Spaß macht. Also weil in so ’ner (.) 29
Kolpingbildungsstätte oder so könnt’ ich ihn mir nich’ vorstell’n. (.) Aber (.) 30
das (.) heißt auch und das hat er in den letzten Wochen auch gemerkt, dass 31
er da auch was für sich tun muss. 32
I.: Mhm. 33
E.: Aber ich denk’ (.), dass er das hinkriegen kann. 34
I.: Und so in Bezug auf (.) die Mutter? 35
E.: Mh, ich würd’ mir wünschen für den Tim, dass er’s schafft, sich noch weiter 36
von der Mutter abzunabeln. Dass er irgendwann dann mal (..) auch zu 37
Besuch hingeh’n kann, ohne Schuldgefühle zu haben (.). Aber des (.) kann 38
schon noch ’n langer Weg sein, denk’ ich. Aber er macht sich zumindest auf 39
’n Weg, dass er merkt: „Und mich (.) als Tim gibt’s auch noch.“ 40
I.: Mhm, wieso Schuldgefühle? 41
E.: Äh (..) ja, weil er is’ ja nich’ mehr bei der Mama. Und (.) der Mama ging’s ja 42
auch lange Zeit ganz schlecht oder wenn’s der Mama dann schlecht geht, 43
Anhang – Interview III 21
dann ruft sie ja auch im Kinderdorf an und er hat dann immer so das 1
Bedürfnis, ihr zu helfen. 2
I.: Mhm. 3
E.: Und im Kinderdorf kann er ihr ja nich’ wirklich helfen (..). Also daher so (.) die 4
Schuldgefühle. Und als es so darum ging (.), um diesen (.) Verdacht vom 5
sexuellen Missbrauch an (.) der Sabine, da kam dann auch immer so die 6
Frage: „Und wann tut die Mama was für sich?“ (.) 7
I.: Mhm. 8
E.: Und „Wird die Beziehung (.) halten zum Herrn Teichert oder nich’?“ und 9
„Warum macht sie das so?“. Und er gibt sich da auch schon auch Anteile 10
dran, dass die Mama so is’. 11
I.: Also die Mama is’ schon sehr sehr wichtig für ihn. 12
E.: Die wird nach wie vor sehr wichtig sein in seinem Leben. Aber ich hoff’ mal 13
(.), dass wenn er mal das Kinderdorf irgendwann verlässt, sich nich’ mehr (..) 14
auf die Schiene einlässt: „Und ich mach alles, was meine Mama will.“ 15
I.: Hmh (..). 16
E.: Weil aus dieser Schiene sind wir ja noch nich’ hundertprozent heraußen (.). 17
Also, ich könnt’ mir auch vorstell’n, wenn heut über Nacht ’n Wunder 18
g’schieht und er darf dann heim zur Mama, (.) äh dann würd’ ich mal so in 19
Anführungszeichen/ dann wär’s schon das Mamasöhnchen. Also dann (.)/ 20
weil er widerspricht der Mama ja heut auch noch ganz schwer (.). Nur am 21
Telefon. Wenn sie wirklich bewusst hier zu Besuch is’, dann widerspricht er 22
ihr ja net. Er (.) er sagt ja dann auch oft net mal, was er sich wünscht für den 23
Tag (.), weil er erstmal wartet, was kommt von der Mama (.). 24
I.: Hmh. (.) 25
E.: Und ich denk’, aus dieser Schiene muss er noch ’raus (..). Aber im Moment 26
hat er ganz gute Anzeichen dazu, dass er das auch hinkriegt (..). 27
I.: Wenn Du Dich jetzt mal in den Tim hinein versetzt (..), was glaubst Du, was 28
er sich wünscht? 29
E.: (..6..) Also, manchmal hab’ ich das Gefühl, er würd’ sich wünschen, dass die 30
Mama mal wirklich in die Pötte kommt für sich selbst (..), weil er einfach 31
merkt, die Mama is’ auch oft so der Dreh- und Angelpunkt für uns im 32
Kinderdorf, was so Entscheidungen betrifft. Er würd’ ja dann auch gern mal 33
über Nacht nach Hause oder ich denk’, er hat scho’ den Wunsch nach 34
Hause zu geh’n, aber er merkt einfach, dass da ganz viel (.) äh von der 35
Mama kommen muss. 36
I.: Mhm. 37
E.: Und er sieht halt, dass da ganz wenig kommt. Aber so sein (.) sehnlichster 38
Wunsch is’ denk’ ich schon (..) vielleicht nich’, dass die Familie komplett in 39
Ordnung kommt (.), weil sie ja auch (.) ähm drei Kinder sind von drei 40
verschiedenen Männern. Also diese Illusion hat er denk’ ich nich’. Aber das 41
er manchmal (.) so den Traum hat, bei der Mama zu leben, das glaub’ ich 42
schon. 43
Anhang – Interview III 22
I.: Mhm (..7..). Okay, das war’s dann so weit von meiner Seite. 1
E.: Gut. 2
I.: Danke schön. 3
E.: Bitte. 4
Anhang – Interview IV
1
Transkription des Interviews IV: 1
„Tims Lebensgeschichte“ – Die Perspektive des Jugendamtes 2
3
Das Interview wird am Mittag des 09.12.2004 im Landratsamt A-Stadt mit der 4
zuständigen Jugendamtsmitarbeiterin der Erziehungshilfen durchgeführt, die Tim 5
seit Einleitung der Hilfe im September 2001 betreut und fachlich begleitet. Der 6
Raum beinhaltet einen Schreibtisch, Aktenschränke und eine kleine Sitzgruppe 7
und bietet einen Blick auf den Innenhof. Interviewte und Interviewerin kennen 8
sich seit 2 Jahren aus dem Praktikum im Rahmen des Studiums im 9
Handlungsfeld „Arbeit mit Familien – die Aufgaben des Jugendamtes nach dem 10
KJHG“ und aus dem Kinderdorf im Rahmen der Hilfeplanung. Dauer des 11
Interviews: ca. 51 Minuten 12
13
Verwendete Transkriptionszeichen (vgl. Glinka 1998, 62): 14
(.) Pause, jeder Punkt bedeutet ca. eine Sekunde 15
(..5..) Pause ab drei Sekunden, die Zahl bedeutet die ungefähre 16
Dauer der Pause 17
(lachen bis *) Nebensprachlich auftretende Erscheinung oder 18
außersprachliche Aktivität bis zur Kennzeichnung * 19
unbedingt Betonung des Wortes 20
da/ äh Abbruch/ Korrektur eines Wortes oder Satzes 21
mhm, hmh, etc. Aufmerksamkeitssignale des Verstehens und Zuhörens 22
23
24
Im Interview erwähnte Personen: 25
Tim Fischer - Handlungsfigur, 13 Jahre alt 26
Frau Berger - Mutter 27
Herr Teichert - ehemaliger Lebensgefährte der Mutter, Vaterersatz für Tim 28
und leiblicher Vater von Lars 29
Sabine - jüngere Schwester von Tim, 12 Jahre alt 30
Lars - jüngerer Bruder von Tim, 7 Jahre alt 31
Frau Sonntag - Leiterin von Tims Haus 32
Herr Wertz - Leiter des Kinderdorfs 33
Frau Schmitt - Psychologin der Einrichtung 34
35
36
E.: = Jugendamtsmitarbeiterin Frau Hall und Erzählerin 37
I.: = Interviewerin 38
Anhang – Interview IV
2
I.: Also (.), ich möchte Dich dann bitten, die Lebensgeschichte von Tim zu 1
erzählen (.) ähm so wie Du sie so aus Deiner Sicht erlebt hast (..) und ähm 2
(..) wenn’s geht, fang’ bitte mit dem an, woran Du Dich am frühesten erinnern 3
kannst. 4
E.: Mhm (..). Also bekannt geworden is’ mir der Tim dadurch, dass er in ’ner (.) 5
heilpädagogischen Tagesstätte war. 6
I.: Mhm. 7
E.: Damals war (.) für die Hilfeplanung der ASD zuständig, die Kollegin vom 8
ASD, die mich dann gebeten hat zum nächsten Hilfeplangespräch 9
mitzukommen (.), weil sie große Sorgen hatte um den Tim und weil die 10
Tagesstätte auch signalisiert hat, das ist alles recht schwierig. Ähm (.) damals 11
war so aktuell (.) ’ne Geschichte mit sexuellem Missbrauch, wo die Mutter (.) 12
vom Tim gesagt hat, der Tim hätte seine Schwester sexuell missbraucht 13
I.: hmh 14
E.: und ähm (.) dass wir gemeinsam einfach mal (.) so die Familiengeschichte 15
näher angucken (.) und auch um zu gucken, reicht denn die HPT7 für den Tim 16
aus oder braucht er darüber hinaus noch weitere Hilfen. 17
I.: Mhm. 18
E.: Ähm (..) so an das Tagesstättengespräch kann ich mich jetzt im Einzelnen (.) 19
nich’ mehr so erinnern, ich weiß nur, dass (..) dann erstmal nicht viel 20
verändert wurde, es wurden dann Ziele aufgestellt wie die Tagesstätte mit 21
dem Jungen arbeiten soll und wie die Mutter mit dem Jungen arbeiten soll. 22
Irgendwann kam dann aber von der Tagesstätte das Signal, der Junge is’ 23
derart neben dem Wind, der muss unbedingt in ein therapeutisches Heim (.) 24
vollstationär untergebracht werden (.). Er soll von der Mutter getrennt werden 25
(.) ähm (.) der (.) Tim (.) sei (.) in sich total gestört (.) und zerstört und braucht 26
(.) ’n sehr intensiven therapeutischen Rahmen. 27
I.: Mhm. 28
E.: Hmhmhm (Räuspern). Ich hab’ mir dann noch mal so die ganze Akte 29
durchgelesen und hatte dann auch noch mal ’nen Gespräch mit der Mutter 30
(.). Hab’ dann so für mich überlegt, dass der Junge einfach viel (.) Ruhe 31
braucht, viel (.) äh Struktur und (.) dass er wissen muss, woran er ist. Also 32
Regeln, Struktur, ’n ordentlichen Tagesablauf und jemand, der sich wirklich 33
kontinuierlich um ihn kümmert. Also wo er weiß, auf diese erwachsene 34
Person kann ich mich verlassen und ich hab’ dann damals gesagt, ich würde 35
den Tim nicht in ein therapeutisches Heim tun (..), weil ich irgendwie das 36
Gefühl hatte (.), der muss weg von der Mutter. Mit der Mutter ähm (.), das 37
wird schwierig sein, da viel zu verändern und ich hatt’ damals schon den 38
Eindruck, dass es hier um ’ne (.) langfristige Unterbringung geht und ’nen 39
therapeutisches Heim ist ja immer nur für ein bis zwei Jahre, 40
I.: mhm 41
7 Anmerkung d. Verf.: „HPT“ = Abk. f. „Heilpädagogische Tagesstätte“.
Anhang – Interview IV
3
E.: und dann wird das Kind zurückgeführt. Dann hat die Tagesstätte aber damals 1
gesagt, der soll in ein therapeutisches Heim, weil er den Bedarf hat (.) und 2
danach (.) soll er in ein anderes Heim. Und dann (…) hab’ ich eben (.) wieder 3
so, das war so ’n Gefühl äh gehabt, dass der Junge eine feste Bezugsperson 4
braucht und wenn der sich jetzt ein bis zwei Jahre auf eine Bezugsperson 5
I.: mhm 6
E.: einlässt und dann wieder ’n Abbruch hat und wieder in ein Heim soll (.), hat er 7
zum Einen schon so ’nen Alter, wo man sagen muss, da kannste mit der 8
Beziehungsarbeit dann auch nich’ mehr so viel (.) tun und hab’ dann halt (.) 9
so (.) mir überlegt (..), ihn in ’ne kleinere Einrichtung zu tun, wo auch klar is’, 10
da kann er bleiben (.). Ähm (.), die vielleicht familienähnlich is’. Denn 11
Pflegefamilie is’ (.) ’rausgefallen, dafür war er wirklich zu (.) anstrengend. 12
I.: Mhm. 13
E.: Ähm (.) und Kleinstheime, also ich wollt’ ihn in der Nähe von A-Stadt 14
belassen, einfach dass er den Kontakt zur Mutter auch weiterhin hat (..) und 15
hab’ ihn daraufhin ins Kinderdorf dann (..) im Kinderdorf untergebracht. Das 16
Vorstellungsgespräch dort (lacht bis *) is’ so gelaufen, dass die (.) 17
Psychologin und der Leiter damals äh (.) mir gleich ’ne Absage gegeben 18
haben *, so ’n Kind (..) können sie nicht aufnehmen (lacht bis *) das sei viel 19
zu schwierig und zu anstrengend *, die wollten den Tim nich’ (.) nehmen, die 20
ham (.) sich überfordert gefühlt oder ham gesagt, wir sind nich’ die richtige 21
Einrichtung für den Jungen (..) mit diesen Auffälligkeiten. 22
I.: Hmh. 23
E.: Und ich hab’ dann mit dem Herrn Wertz, war das glaub’ ich, gesprochen (..) 24
und auch mit der Frau Schmitt und hab’ denen dann noch mal mein 25
Statement gegeben, warum ich (.) das Kinderdorf ausgesucht hab’ und nich’ 26
’ne therapeutische Einrichtung und hab’ dann halt die gleichen Argumente 27
noch mal vorgebracht wie vorhin, dass er (.) 28
I.: ja 29
E.: einfach ähm viel Sicherheit braucht, viel Struktur, viel Regeln und dass ich 30
mir vorstellen kann, dass man dann gut mit ihm (.) klar kommt und (.) 31
I.: mhm 32
E.: jetzt weiß ich nich’ mehr, was das Ausschlaggebende war, auf jeden Fall 33
haben sie ihn dann doch genommen. (..) Es gab ja dann anfänglich auch 34
Schwierigkeiten (.) mit der Schule (.) 35
I.: mhm 36
E.: und mit der Tagesstätte, aber (..) ich hoff’, (lacht) ich sag jetzt nichts falsches 37
(.) ähm (.) aber das hat sich dann relativ schnell gelegt. In der Tagesstätte, 38
weiß ich noch, der Psychologe, der (..) fand das damals gar net gut, die 39
Entscheidung, dass er ins Kinderdorf geht (.). Der hat also wirklich gesagt: 40
„Nee, der braucht ’ne therapeutische Einrichtung!“ und hat das B-Heim 41
empfohlen in XY-Stadtteil, ’ne? 42
I.: Ah, mhmh! 43
Anhang – Interview IV
4
E.: (..) Gut, so vom Verhalten her damals war das so, dass man an den Tim 1
überhaupt nich’ rangekommen is’, dass die Lehrer nich’ rangekommen sind, 2
dass die Tagesstätte große Probleme hatte (.), dass er sich während dem 3
Unterricht einfach unter’n Tisch verkrümelt hat, da hat er sich versteckt, 4
festgehalten (.) ähm (..) es konnt’ keiner eigentlich so richtig Zugang zu dem 5
Tim finden. 6
I.: Mhm. 7
E.: (…) Ich weiß jetzt gar net, ob er/ also er war ein sehr verstörtes Kind. Nach 8
außen hin wirkte er auch sehr verwahrlost (.) ähm (…), er war so ’n bisschen 9
beziehungslos (.) auch. Er hat (.) mit niemanden so eigentlich richtig Kontakt 10
aufgenommen. (..5..) Ja, ich weiß jetzt gar nimmer, ob er auch aggressiv war, 11
also das weiß ich (.) nich’ mehr, das müsst’ ich jetzt noch mal nachblättern. 12
(lacht bis *) Echt ohne Blätter! * (..) Also, was ja damals schon immer war, 13
dass die Mutter sehr unklar war (.), 14
I.: hmh 15
E.: dass die Mutter sehr zu gemacht hat, also die (..) mh (räusper) (..) sie macht 16
immer so den Eindruck einer schwerstdepressiven Frau, wobei nie klar war, 17
ob sie das (.) tatsächlich war (.) oder ob sie das nur (.) so funktionalisiert hat. 18
Sie war sicherlich psychisch sehr angegriffen, aber (.) man hat sie dann auch 19
manchmal woanders gesehen, nich’ im Jugendamt (..). Wenn sie 20
unbeobachtet war, hat man sie für ’ne ganz normale Frau halten können, ne. 21
Aber so in den Gesprächen mit ’m Jugendamt hatte sie immer ’ne schwarze 22
Sonnenbrille auf und hat nie ’n Wort gesagt und war immer in sich versunken 23
und (.) 24
I.: mhm 25
E.: man hat immer das Gefühl gehabt, sie bricht jetzt jeden Moment zusammen. 26
(.) War auch wenig kooperativ, ne (.) und hat dann auch lange Zeit (.) 27
sämtliche Helfer gegeneinander ausgespielt (..5..) ja (..12..). Ja, das war jetzt 28
so das, an (.) was ich mich erinnern kann (lacht). Achso ja (.), und das (.) 29
ähm (.) Thema sexueller Missbrauch, das war immer in der Familie irgendwie 30
’n Thema. Die Mutter hat ja gemeint, dass der Tim seine Schwester sexuell 31
missbraucht hätte (..), das hab’ ich damals schon in Frage gestellt, da war der 32
Tim ja selber ’n Grundschulkind (.). 33
I.: Mhm. 34
E.: (..) Da denk’ ich, kann man nich’ von sexuellem Missbrauch sprechen, 35
sondern einfach (.) Dinge (.) äh, die er eventuell selber erlebt hat, die er dann 36
auch ausprobiert hatte mit seiner Schwester (.) oder übersteigerte 37
Doktorspiele. Also die Mutter hat’s auch nie so genau benennen können. Und 38
(.) hat aber auch immer gesagt, dass der Tim selber von seinem leiblichen 39
Vater missbraucht worden sei. 40
I.: Mhm, ja (..). 41
E.: Und der Tim hatte nie Kontakt nach der Scheidung (.) zu seinem Vater, also 42
der (..) hätte sich wohl am Anfang ähm (..) noch mal gekümmert oder gerührt, 43
Anhang – Interview IV
5
aber das is’ dann ziemlich schnell eingeschlafen. (…) Und das ist jetzt eben 1
im Moment wieder sehr aktuell für den Tim mit seinem Vater, ’ne? 2
I.: Ja. 3
E.: (.) Ja mhm, ja. (..8..) Der Tim war sehr lang in der HPT, also die HPT geht ja 4
in der Regel (.) zwei Jahre, er war aber drei Jahre und (.) war sogar 5
angedacht, dass er noch ’n viertes Jahr geht, aber dann kam das mit dem 6
Heim (.) einfach dazwischen (...). 7
I.: Mhm. 8
E.: (…) Gut! (lacht) (...5...) Willst auch wissen über/ äh an was ich mich jetzt noch 9
so erinner’, was jetzt is’ im Moment? 10
I.: Ja, ja! 11
E.: Ja.(..) Hm (räuspern) (…) also mein Eindruck vom Tim is’ ähm (.), dass es 12
ihm sehr schwer gefallen is’, sich aufs Kinderdorf einzulassen. Das is’ aber 13
nur eine Vermutung, weil die Mutter riesige Probleme damit hatte, dass der 14
Tim wegkommt von ihr. 15
I.: Mhm. 16
E.: Ähm (.), die Entscheidung, dass er ins Heim kommt, war letztendlich doch 17
freiwillig, aber wenn die Mutter äh (.) sich nich’ freiwillig geäußert hätte, 18
hätten wir das Ganze übers Familiengericht erwirken müssen, also wir hätten 19
ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen (.). Die (sehr deutlich 20
gesprochen bis *) Mutter (.) hat (.) meines Erachtens * dem Tim immer 21
signalisiert, dass das Jugendamt (.) ’ne böse (lacht bis *) Institution is’ * und 22
dass sie selber gar nich’ möchte, dass er im Heim is’. Und da hat der Tim 23
lange Zeit drunter gelitten (..), der war sehr ambivalent (.), nee er war net 24
ambivalent, er war ablehnend gegenüber der Einrichtung 25
I.: mhm 26
E.: und hat sich von daher sehr schwer getan, sich da drauf einzulassen, ’ne? 27
Und dann (.) am Anfang hatt’ ich auch sehr viele Gespräche mit (.) der (.) 28
Hausleiterin Frau Sonntag ähm (..), es (.) wurde/ war auch ganz schlecht 29
möglich, dass (.) die (.) Mutter sich entsprechend (.) abgrenzt, also die hatt’ 30
da immer sehr vieles mit äh (.) verwickelt und verwurschtelt und (.) was 31
eigentlich so auf der Erwachsenenebene hätte geklärt werden müssen, hat 32
sie sehr viel über den Tim ausgetragen. (.) Der Tim hat sich sehr solidarisch 33
mit der Mutter erklärt (.), war aber absolut überfordert mit seiner Rolle, der 34
hatte sehr starkes Heimweh, wollte immer nach Hause 35
I.: mhm 36
E.: und (.) dementsprechend schwierig war es dann für den Tim sich dort im 37
Heim einzulassen (..) und die Mutter hat sich anfangs auch an keine An/ 38
Absprachen halten wollen (.). Ähm wir haben dann immer versucht mit ihr 39
auch Pläne zu machen, wann sie (.) den Tim anrufen kann, wann sie ihn 40
sehen kann und (..) es war immer irgendwie zum Nachteil vom Tim, also der 41
Tim war da (..) sehr (..) so zwischen den Fronten. 42
I.: Hmh. 43
Anhang – Interview IV
6
E.: (.) Es war so ähm konfrontativ zwischen der Mutter und Frau Sonntag, also 1
war ’ne große Konkurrenz. Die Frau Berger hatte wirklich Angst, dass die 2
Frau Sonntag so ihre Position einnimmt, dass die Frau Sonntag jetzt die 3
Mutter wird (..) und der Tim war auch da sehr solidarisch mit seiner Mutter. 4
(lacht bis*) Die Rolle war besetzt *. 5
I.: mhm 6
E.: Und ähm (.) äh (...) wir hatten sehr viele Gespräche mit der Frau Berger (…) 7
und ham ihr dann auch versucht klar zu machen, dass sich der Tim so lange 8
nich’ einlassen wird, (.) bis er nich’ von seiner Mutter das Signal bekommt: 9
„Es is’ in Ordnung, dass Du da bist.“ Und (..) mittlerweile hat der Tim, glaub’ 10
ich, für sich doch auch (.) die guten Seiten entdecken können. Er (..) hatte 11
sehr viel Verantwortung übernommen für seine Mutter, auch für deren 12
Krankheiten, für deren (..) äh Stimmungsschwankungen, ’ne? 13
I.: Mhm. 14
E.: Der war immer sehr abhängig, also wenn’s der Mutter schlecht gegangen is’, 15
dann is’ es dem Tim auch schlecht gegangen, wenn’s der Mutter besser ging, 16
is’ es dem Tim auch besser gegangen. 17
I.: Hmh. 18
E.: Also das war so ’n Seismograph, der hat so alle Stimmungen immer 19
aufgenommen. Ähm (.), das hieß halt in der Zeit auch, dass er sich gar nich’ 20
auf sich konzentrieren konnte, weil er immer so beschäftigt war mit seiner 21
Mutter (..). Ich denke, das hat sich jetzt gelegt (..). Liegt wohl auch daran, 22
dass er jetzt in der Pubertät is’, (.) dass er sich sowieso jetzt so ’n bisschen 23
abgrenzen (lacht bis *) muss von der Mutter * und (.) ähm (.) es kam dann ’ne 24
Zeit, da ging’s (.) mit ihm besser (.) im Heim und da hat er sich dann (.) 25
wirklich auch einlassen können. Die Erzieherinnen ham (..) haben mit ihm 26
arbeiten können, sind an ihn rangekommen (.), er hat schulisch auch (..) 27
Fortschritte gemacht (.) und war insgesamt klarer (...) erreichbarer, ’ne? 28
I.: Hmh. 29
E.: Aber (.) er is’ nich’ stabil, ich denk’, das kippt, das fällt (..) oder kippt immer 30
noch mit dem Zustand der Mutter. Also wenn die Mutter stark interveniert (..) 31
ähm, kann sich der Tim noch nich’ lösen, so vom Einfluss der Mutter. Das 32
war auch immer auch Hauptthema in den Hilfeplangesprächen (..), wie kann 33
sich die Mutter genügend abgrenzen von ihrem Sohn 34
I.: mhm 35
E.: und um der Mutter auch klar zu machen, das is’ ein Kind (.) oder jetzt ’n 36
Jugendlicher, der braucht viel pädagogische Unterstützung, aber er kann 37
nicht die Verantwortung für die Mutter übernehmen (..). 38
I.: Hmh. 39
E.: Ähm (.), schwierig war es für den Tim auch immer (..) sich im Heim (.) oder 40
sich aufs Heim einzulassen, weil seine beiden anderen Geschwister noch zu 41
Hause waren. Er hat nie verstanden, warum er weg muss und die Anderen 42
dürfen daheim bleiben(..). Und (.) das (.) war auch so, denk’ ich (..), das 43
Anhang – Interview IV
7
Gefühl bei ihm, er is’ das ungeliebte Kind (..), vielleicht hat er sich auch viel (.) 1
Schuld aufgeladen, denn er muss ja gehen. Aber das is’ jetzt nur eine 2
Phantasie, das weiß ich nich’ (...). Und ähm (.), schwierig war es dann auch 3
immer, wenn er Kontakt hatte mit der Mutter, weil da die Mutter auch (.) ’n 4
sehr (..) undurchsichtigen Lebenswandel hatte und es war auch nich’ so 5
genau klar (.), was jetzt wirklich gelaufen is’. Ich denk’, dass der Tim viele 6
Erfahrungen gemacht hat an den Wochenenden (.) 7
I.: hmh 8
E.: und ähm (.) die ihn (…) irgendwie wieder zurückgeworfen haben so in seiner 9
Entwicklung. Wir haben dann letztendlich erstmal (.) ’n Umgangsstopp (.) 10
erwirkt, noch nicht beim Gericht, wir haben das immer versucht, freiwillig 11
(lacht bis*) mit der Mutter * zu machen. 12
I.: Mhm. 13
E.: Waren auch bis jetzt nicht beim Familiengericht, aber es waren (.) harte, zähe 14
Gespräche (lächelt bis*) mit der Mutter *, (.) die sich dann (.) auch an die 15
Erziehungsberatungsstelle gewandt hatte und da immer versucht hat, so die 16
Leute für sich (.) arbeiten zu lassen. Die haben dann immer interveniert und 17
(lacht) (..) aber es wurde denen dann auch klar, dass es für den Tim besser 18
is’, wenn er erstmal seine Mutter nich’ so viel trifft. (…) Und aktuell is’ es so, 19
dass die Mutter ihn jetzt drei Mal im Monat im Kinderdorf besuchen kann (.), 20
um dann mit dem Tim (..) so seine Dinge zu machen, die er gern machen 21
möchte. 22
I.: Mhm. 23
E.: ’Ne Beurlaubung nach Hause is’ im Moment noch nich erlaubt. (.) Ich hab’ 24
aber das Gefühl, dass es für den Tim grad nich’ mehr so schlimm is’, er wollte 25
ja immer nach Hause (..). Ähm (.), wobei ich jetzt aber auch ’n paar Wochen 26
schon gar nichts mehr gehört hab’ vom Tim, aber ich glaub’, dass (.) es (.) 27
jetzt für ihn in Ordnung is’ wie’s is’. (…) Jetzt is’ ja die Schwester vom Tim 28
auch im Heim (.) und ich hatte so das Gefühl, das war für ihn dann auch (.) 29
die Möglichkeit, wo er gesagt hat: „Aha, es liegt doch net nur an mir (..), ähm 30
es liegt jetzt überhaupt auch an andern.“ (.) 31
I.: Mhm. 32
E.: (..) Liegt vielleicht auch ’n bisschen an der Mutter, dass es nich’ klappt, ’ne? 33
Und (.) ich seh’ da auch ’ne Chance für ’n Tim drin, 34
I.: ja 35
E.: dass er da einfach sich so ’n bisschen lossprechen kann von Schuldgefühlen 36
oder von Verantwortungsgefühlen (.) der Mutter gegenüber. 37
I.: Mhm. 38
E.: (...) Ja (..4..) mh, ja mit der Schule, also es gab da auch immer Auf und Ab’s. 39
(…) Ähm, mal war er wirklich (.)/ also er is’ ja jetzt in der Regelschule, 40
I.: mhm 41
E.: das war ja auch am Anfang nich’ klar, ob er in der Regelschule bleiben kann 42
oder ob er auf die E-Schule soll.(…) Ich denk’, der Tim is’ ’n Junge, der hat 43
Anhang – Interview IV
8
viele Ressourcen, (..) mit dem (.), also in dem steckt einiges und (.) mh (..) ja 1
wenn man so den Draht zu ihm hat oder wenn man raus hat (..) ähm, wie’s 2
geht, dann kann man ihn auch sehr gut fördern (.). Immerhin hat der Tim 3
einen sehr starken Willen (lacht bis *), also wenn er was nich’ will, da kann er 4
da auch ganz gut äh (.) stur sein *, 5
I.: mhm 6
E.: dann kommt man schlecht an ihn ran. 7
I.: Ja. 8
E.: Es gibt einige Themen, die müssen (.) einfach noch aufgeklärt werden mit ’m 9
Tim. (.) Das is’ so dieses Thema sexueller Missbrauch, das hat die Mutter 10
ihm, denk’ ich, sehr stark so in den Kopf gesetzt (.). Auch jetzt hat sie ja 11
behauptet, dass die Tochter Sabine (..) äh vom Stiefvater missbraucht 12
worden is’, also das is’ immer so ’n Thema. Und da (.) denk’ ich, muss der 13
Tim einfach Unterstützung kriegen, dass er sich davon befreien kann (.) ’ne? 14
Das nich’ (.), wenn was schief geht auf der Welt, dass dann immer (.) 15
irgendwie ’n sexueller Missbrauch schuld war (.), der (.) denke ich, auch gar 16
nich’ (.), den hat’s gar nich’ gegeben, also jetzt im letzten Fall bei der 17
Schwester, ’ne? 18
I.: Mhm, mhm, (…) mhm (..4..). 19
E.: Ja, was weiß ich noch vom Tim? (..7..) Ja, also insgesamt denk’ ich, is’ der 20
Junge, is’ der Tim einfach ’n Junge, der (..) sehr davon profitiert, wenn er 21
weiß: „Das sind Menschen (.), die meinen’s ernst mit mir (.) ähm (..) und die 22
haben Regeln aufgestellt, die gelten heute, die gelten morgen, die sind 23
einfach (.) gültig, ’ne? Und (.) die sind verlässlich (..), die sind erreichbar 24
I.: mhm 25
E.: für mich.“ Da (.) denk’ ich, wenn er dann geschafft hat, genug Vertrauen 26
aufzubauen (.), dass er dann auch wirklich (.) bereit is’, was anzunehmen, 27
’ne? Und wenn er das Gefühl aber hat (.), da is’ jemand sehr unsicher, das 28
kennt er ja von seiner Mutter, ’ne? 29
I.: mhm 30
E.: dann fällt er glaub’ ich, ziemlich schnell wieder zurück. 31
I.: Ja. 32
E.: Drum braucht er halt auch Leute, die wirklich (..) sehr ähm (.) klar sind und 33
sehr konsequent. 34
I.: Mhm. 35
E.: (..4..) Gut. (.) Mehr fällt mir jetzt grad gar net ein. 36
I.: O.k., das war doch schon ganz viel. 37
E.: Ja. 38
I.: (…) Gehn wir mal zurück ähm (.) in die Zeit vor der Heimaufnahme. Ähm (.), 39
wie wurdest denn Du damals (.) in der Familie (.) als Vertreterin des 40
Jugendamtes vom Tim (..) anerkannt? 41
E.: Ähm (.) vom Tim jetzt? 42
I.: Ja. 43
Anhang – Interview IV
9
E.: (..7..) Ich de/ da muss ich noch mal zurückgreifen auf das Verhalten der 1
Mutter. Die Mutter war ja wahnsinnig misstrauisch. 2
I.: Mhm. 3
E.: Sehr. Die hat ja alles abgelehnt, was mit Jugendamt zu tun hatte. Und der 4
Tim hat sich damals ja noch sehr stark solidarisiert mit seiner Mutter und 5
demnach hat er auch die Leut’ vom Jugendamt (.) ziemlich abgelehnt. Also 6
(.), ähm (.) der hat sogar gescheut, so Blickkontakte aufzunehmen. 7
I.: Hmh. 8
E.: Und der hat sich (.)/ wirklich, also da ging gar nichts am Anfang, man konnte 9
ihn nicht angucken, man konnte auch gar nicht mit ihm reden (.) äh Fragen 10
stellen (.) war ganz schwierig, er hat keine Fragen beantwortet. Er hat immer 11
dann, wenn’s ihm zu blöd war oder zu viel war, hat er einfach irgendwas 12
erzählt (.) un/ oder is’ laut geworden, is’ aggressiv geworden, is’ motorisch 13
sehr unruhig geworden (.) ähm, sodass ich nich’ wirklich weiß, wie er mich 14
überhaupt wahrgenommen hat. Also (..), ich denke eher, dass er mich 15
absolut abgelehnt hat, weil er das so bei der Mutter (.) gesehen hat. 16
I.: Mhm. 17
E.: Die Mutter lehnt das Jugendamt (.) total ab, und der Tim (..) äh (.) hat 18
gedacht, wenn meine Mutter das macht, dann is’ das richtig. 19
I.: Mhm. 20
E.: Dann (..) also (..) er war da auch eher ablehnend (…). 21
I.: Wie is’ denn damals eigentlich dieser Fall bekannt geworden? Ähm, hat (..) 22
sich die Mutter an das/ an irgendwelche Hilfen gewandt oder (.) war’s eher 23
die Schule, die äh gesagt hat, (..) sie braucht Hilfe? 24
E.: Das weiß (..) weiß ich nich’ mehr. Es war ja dann ähm (..) ganz am Anfang 25
war ja die Kollegin vom ASD Ansprechpartner, 26
I.: mhm 27
E.: die hat dann (.) auch in der Person ’n paar Mal gewechselt. 28
I.: Hmh. 29
E.: (.) Ähm (..), ich vermute fast, dass die Schule sich ans Jugendamt gewendet 30
hat (.). Ich glaub’ (.) nicht, dass die Frau Berger sich ans Jugendamt 31
gewendet hat. 32
I.: Mhm. (.) 33
E.: Der Tim sollte ja damals in die heilpädagogische Tagesstätte und (.) ähm (..), 34
das läuft in der Regel so, dass die Lehrerin das (.) empfiehlt und die Eltern 35
müssen ja dann ’n Antrag stellen, weil das Jugendamt die Kosten übernimmt. 36
Wir (.) prüfen dann, ob das dann tatsächlich ’n Kind is’, mit ’nem 37
heilpädagogischen Förderbedarf (..). Ich vermute, dass es auf der Schiene 38
zum Erstkontakt gekommen is’ (.). Vielleicht auch schon vorher im Rahmen 39
der Scheidung, die sind ja geschieden. Da wird ja das Jugendamt auch 40
immer informiert, wer bekommt jetzt (.) die elterliche Sorge, wie is’ es mit der 41
Umgangsregelung. Ich vermute, dass die Kollegin vom ASD damals schon 42
Kontakt hatte, (.) aber (..) das weiß ich nich’. 43
Anhang – Interview IV
10
I.: Okay. (..) Und (.) ähm wie war denn so das Verhältnis zwischen Tim und 1
seiner Mutter? Also, warst du da auch mal in der Familie mit drin oder (.) so/ 2
gab es eher (..) Gespräche hier? 3
E.: Äh, es gab Gespräche im Jugendamt und in den Einrichtungen, also zuerst in 4
der Tagesstätte und dann im Heim. (.) Ähm (..4..), es war auffällig, dass die 5
Mutter immer sehr (.) fürsorglich war, was so die (.) die Gesundheit anging 6
vom Tim, ’ne? (.) Ähm (.), dass sie ihn da gut versorgt haben wollte (.) mit (.) 7
Medikamenten und weil er (.) ähm Neurodermitis hat, dass er nur in dem und 8
dem Schaumbad (.) äh badet, weil das gut is’ für seine Haut. Also, es waren 9
so praktische Dinge, die mir aufgefallen sind. So auf der emotionalen Ebene 10
is’ mir wenig aufgefallen, das war (.) auch nich’ so sehr viel (..) Augenkontakt 11
oder Körperkontakt da. 12
I.: Hmh. 13
E.: (..4..) Und das is’ eigentlich ähm (..), er sucht schon immer die Nähe, so die 14
körperliche Nähe (.), aber (…) es war jetzt nie so überschwänglich, dass mir 15
das jetzt noch so in Erinnerung geblieben wäre. 16
I.: Und heute? Hat sich da irgendwas verändert zwischen den (..) Beiden? 17
E.: Ja, ich denk’, dass is’ jetzt (.) eher pubertär bedingt, dass er sowieso nich’ 18
mehr (.) auf den Schoß von der Mama (lacht bis *) will *. Ähm (..) was halt (.), 19
was schon auffällig is’, es fehlt, glaub’ ich wirklich, so die (.) die klare 20
Ansprache zwischen Mutter und Sohn, ’ne? Dass die Mutter den Sohn 21
anguckt und mit ihm spricht, (.) dass sie ihn wirklich wahrnimmt und ich 22
glaub’, der Tim hat da auch Schwierigkeiten mit, so seine Mutter wirklich 23
wahrzunehmen und mit ihr in Kontakt zu gehen. Es is’ so ’n bisschen, (.) 24
könnt’ man fast sagen, beziehungslos (..). ’N bisschen, aber ähm (.) da muss 25
man immer vorsichtig sein, weil Eltern sind oft sehr aufgeregt, wenn das 26
Jugendamt dabei is’ und da sind die auch nich’ so echt (.) wie sie, wie sie (.) 27
vielleicht sonst zuhause sind, ne. Aber (…) mh, so ’ne (.) so ’ne intensive 28
Beziehung hab’ ich nich’ spüren können. 29
I.: Mhm. (…) Als (..) dann das Kinderdorf ausgesucht wurde (..), war da (..) Tim 30
auch an der Entscheidung beteiligt, dass er da hingeht (.) oder dass er da hin 31
gehen möchte? 32
E.: Nee (.), ich glaub nich’, nee. 33
I.: Eher schon festgelegt dann, als das Kinderdorf sein okay gegeben hat? 34
E.: Ja. Also beim Thema, dass er (.) weg soll von der Mama, da war er mit dran 35
beteiligt, wobei er da sehr ambivalent war, aber für die Einrichtung selber (.) 36
da war er wenig beteiligt. Er war (.) natürlich aber (.) beim 37
Vorstellungsgespräch mit dabei und sollte sich das auch angucken, ’ne? Und 38
da war aber klar, dass er grundsätzlich nicht (...) in ein Heim will. 39
I.: Ah, mhm. 40
E.: Ja (..). 41
I.: Und (.) is’ das (.) zeitgleich gewesen? 42
Anhang – Interview IV
11
E.: Nein, das war verschoben. Ähm (.) wie gesagt, wir hatten das 1
Vorstellungsgespräch im Kinderdorf. Ich hab’ ja dann am nächsten Tag ’ne 2
Absage bekommen (lacht bis *), die (.) können * sich das nicht vorstellen mit 3
dem Tim, 4
I.: ja 5
E.: der passt da nich’ hin, der braucht was therapeutisches (.). Und (.) nachdem 6
ich da (.), wie (.) ich so vorhin schon gesagt hab’, noch mal so meine 7
Sichtweise erläutert hab’, 8
I.: mhm 9
E.: ham se sich ’s dann noch mal überlegt und gesagt: „Okay sie probieren es.“ 10
Ich glaub’, das war ’ne Woche später. Also es is’ (.) bei ’ner 11
Heimunterbringung is’ es nie (. ) am gleichen Tag, es sei denn, es is’ wirklich 12
ähm (.) Gefahr 13
I.: mhm 14
E.: da. Gibt ’s eigentlich (.) praktisch nie. Also wirklich nur dann, wenn ganz klar 15
is’, das Kind kann (.) nich’ mehr nach Hause. Dann ham wir das in 16
Ausnahmefällen schon mal gemacht. Ich hab’ das aber, glaub’ ich, erst ein 17
einziges Mal gemacht (..), dass ’n Kind gleich dageblieben is’. 18
I.: Mhm 19
E.: Also, es kann natürlich sein, dass Kinder in Obhut genommen werden, ’ne? 20
(.) 21
I.: Mhm. 22
E.: Oder dass sie in den Jugendschutz kommen, das war beim Tim nich’ der Fall 23
(.). Der is’ wieder nach Hause gegangen, der war ja auch noch in der 24
Tagesstätte damals, ’ne? 25
I.: Mhm, ja. 26
E.: Also er war ja tagsüber versorgt (…) Und ähm, (.) ich weiß noch, dass die 27
Mutter sich sehr schwer getan hat damit, den Tim überhaupt ins Heim zu 28
geben. Also das war auch für sie ganz furchtbar (.) als Mutter. 29
I.: Mhm (..4..). Gab es denn am Tag der Aufnahme noch mal ’n Gespräch? 30
E.: Mit der Mutter? 31
I.: Mit allen Beteiligten (.) 32
E.: Ähm (…) 33
I.: Also, hast du den miterlebt, den Tag der Aufnahme? 34
E.: (…) War ich da dabei? (..5..) Ich glaub’, ich war da dabei (...). Es kann aber 35
auch ’n anderes (..) ich weiß es nich’ mehr, ob ich ’s durcheinander bring’, 36
aber ich glaube, ich war am Tag der Aufnahme dabei (.). Und ich kann mich 37
nämlich an eine Szene erinnern, da war das so furchtbar, da konnt’ sich die 38
Mutter (.) nicht verabschieden vom Tim und der Tim auch nich’, ’ne? Wo wir 39
dann (.) g’sagt ham, die Frau Sonntag und ich, (.) wir äh müssen das jetzt 40
abbrechen. Wir müssen die Mutter jetzt einfach (.) fortschicken, ’ne? Weil der 41
Tim, der wurde dann immer auffälliger dann, ’ne? 42
I.: Hmh. 43
Anhang – Interview IV
12
E.: Der war (..) also ansprechbar sowieso nicht (.). Wenn man was (.) zu ihm 1
gesagt hat, der hat überhaupt nich’ gehört und reagiert, aber der war sehr 2
laut und sehr aggressiv, sehr wütend und (.) 3
I.: mhm 4
E.: (..) hat irgendwelches Zeugs erzählt, völlig zusammenhanglos und ich meine, 5
das war das Aufnahme (..) äh Gespräch, also an dem Tag, wo er dann 6
gekommen ist (..). 7
I.: Ja. 8
E.: Weil irgendwie kann ich mich auch noch daran erinnern, dass die Mutter 9
wahnsinnig viel Zeugs mitgebracht hat. (..) 10
I.: Mhm. 11
E.: Ich glaub’, das war die Aufnahme. 12
I.: (…) Ähm, wie haben denn die ander’n Erzieher oder ähm (.) Kinder vom 13
Haus so auf Tim reagiert? 14
E.: Ich kann mich eigentlich nur an die Frau Sonntag erinnern. (..) Ähm, ich weiß, 15
dass die Frau Sonntag sehr empathisch (.) war. Ob/ Also, der Tim war (.) 16
wahnsinnig anstrengend. Ich weiß noch, dass ich dann da saß und gedacht 17
hab’: „Oh scheiße, was hast ’n da entschieden (lacht bis *). Das wird ja nie 18
was.“ * Und (.) die war wirklich (.) ähm (.) sehr klar (.) in dem Moment. Ähm 19
(.), is’ auf ’n Tim sehr eingegangen, hat aber auch gemerkt, wo’s keinen Sinn 20
macht und hat ihn dann auch in Ruhe lassen können, ’ne? 21
I.: Mhm. 22
E.: Und (.) ich weiß jetzt nur noch, dass ich sie da (.) bei dem Gespräch (.) 23
klasse fand. Und das hab’ ich dann auch dem Herrn Wertz zurückgemeldet, 24
’ne? Dass der (..) dass die Aufnahme wider Erwarten dann doch relativ (.) 25
glimpflich abgelaufen is’. Also, es war sehr anstrengend, ’ne? 26
I.: Ja. 27
E.: Ich hatte (..) äh man hat selten solche Aufnahmen dann, ’ne? Die laufen 28
meistens doch glatter ab (.). Aber das war (.) puh (.), ich hab’ da ganz schön 29
geschwitzt. Aber sie hat das gut (.) gemeistert. Und ich kann mich an keine 30
andere Erzieherin erinnern. Ich weiß noch, da war irgendwann mal (.) oben, 31
wo die Schlafräume sind, ’ne jüngere Erzieherin (.), aber die hab’ ich jetzt net 32
so wahrgenommen (..), weiß net, wer das war (…). ’Ne relativ junge Frau. Die 33
Frau Sonntag war ja auch schon sehr jung, aber die war noch jünger (.). 34
I.: Hmh. 35
E.: Und ähm (..), nee. Also (.), da is’ mir jetzt nix in Erinnerung geblieben. 36
I.: Mhm. Du sagtest grade, dass es so schwierig war. Was was (..), kannst du 37
da irgendwie ähm es noch genauer definieren, was so (.) schwierig war? 38
E.: Mhm. Also, so von der Atmosphäre her war es ganz schwierig, weil die Frau 39
Berger ja mit ihrer (.) ganzen Körperhaltung, mit ihrer Mimik und Gestik (.) so 40
(..) das absolute Opfer (.) ausgedrückt hat: „Du böses Jugendamt, ihr nehmt 41
mir mein Kind und du böses Kinderheim“ (..). Ähm, also da war alles nur so 42
(.) so schwer, so traurig, so trist und die Frau Berger hatte ja auch immer so 43
Anhang – Interview IV
13
’ne Stimme (.) ähm (.), man hat gedacht, man is’ auf ’ner Beerdigung, ’ne? 1
Und den Tim, äh (.) den hat das derart verunsichert, ’ne? Der war äh (.) saß 2
am Tisch, hat rumgezappelt und immer nach unten geguckt und man konnt’ 3
wirklich nich’ mit ihm reden, ’ne? Aber (.) ähm (..5..) und ich hatte so das 4
Gefühl, ich bin wirklich hier die Böse vom Jugendamt, dann hatt’ ich das 5
Gefühl: „Oh Gott es war doch nich’ die richtige Entscheidung, ich glaube, das 6
is’ (.) das falsche Heim für ihn (.).“ Und musste jetzt aber doch (.) irgendwie 7
das Ganze (.) gut (.) zu ’nem guten Ende bringen. 8
I.: Mhm. 9
E.: Ich war (.) war sehr verunsichert (.) in dem Moment, ’ne? (..) Ob das jetzt hier 10
wirklich (.) das wird, was ich mir so vorgestellt hab’. 11
I.: Mhm. 12
E.: Und ähm (.) wie gesagt, es war halt auch schwierig, ich hatte (…) keine 13
richtige Ansprechpartnerin in der Mutter, die war ja wirklich nur sauer und nur 14
böse (.) und hat sich so in ihrer Depression versteckt. Der Tim war auffällig 15
hoch drei, also (.) war wirk/ also es war von der Atmosphäre her ganz 16
schlimm (.) auszuhalten, ’ne? 17
I.: Mhm. 18
E.: Und da (.) hab’ ich gedacht, es wär’ jetzt eigentlich gut, wenn (..) die 19
Psychologin da wär’, ’ne? Also ich hätt/ da hab’ ich mir auch so ’n bisschen 20
Hilfe auch gewünscht, ne? 21
I.: mhm 22
E.: Und vielleicht hab’ ich daher auch gedacht, dass die Frau Sonntag das (.) mit 23
Bravour gemacht hat, ’ne? Die is’ also (.), die is’ wirklich ruhig geblieben. Ich 24
hab’ sie dann später auch anders erlebt, ’ne? Weil die kann ja auch ganz 25
schön (..) und ähm kann auch oft sehr subjektiv sein (.). Aber bei dem 26
Gespräch war sie wirklich sehr klar und sehr strukturiert und das (.) war (.) 27
glaub’ ich für den Tim genau das Richtige. 28
I.: Ja. (.) war bei diesem äh Gespräch auch der (.) damalige Lebensgefährte von 29
der Frau Sonntag, äh (..) der Herr (.) Teichert dabei? 30
E.: Ich glaub’, der hat draußen gewartet im Auto (..). Oder war der mit drin? Der 31
war ’n paar Mal mit drin und ’n paar Mal hat er im Auto gewartet. Aber ob er 32
da jetzt mit dabei war (..)? Ich weiß es nich’ (…). Wobei das gar net so sehr 33
viel verändert hätte, glaub’ ich (.) oder geändert hätte. (..) Der Tim hätte sich 34
dann jetzt halt auch noch auf den Herrn Teichert konzentrieren müssen, 35
wenn der dabei gewesen wär’. 36
I.: Mhm. 37
E.: So hat er sich halt nur auf seine Mutter konzentriert, ’ne? (…). Mhm 38
I.: Ähm (..5..) was is’ denn eigentlich das Ziel damals (.) vom Hilfeplan gewesen 39
(..) vom ersten Hilfeplangespräch? 40
E.: Mhm (.) also (..) ich denke, so deutlich hab’ ich’s sicher nich’ (.) in den 41
Hilfeplan ’reingeschrieben, aber was ganz wichtig war is’, dass man den 42
Jungen (.) vor der Mutter schützt. Nich’ weil die Mutter äh (.) wissentlich böse 43
Anhang – Interview IV
14
is’ (.) oder fahrlässig böse, das is’ sie sicher nich’. Aber die Mutter is’ so mit 1
sich selbst beschäftigt (..) und so äh (.) damals zumindest psychisch auffällig 2
gewesen, dass der Tim nur darunter gelitten hat. Also, der Tim is’ am 3
Verhalten der Mutter einfach kaputtgegangen. 4
I.: Mhm. 5
E.: Und für mich war es ganz wichtig, dass der wegkommt von der Mutter. Dass 6
er da (.) einfach die Möglichkeit hat, sich selbst zu entwickeln. 7
I.: Mhm. 8
E.: Und ähm (.) was halt auch ganz (.) offensichtlich war diese Solidarität mit der 9
Mutter. Also, die hatt’ (..) äh den Tim so für sich (..) funktionalisiert, dass der 10
Tim überhaupt keine Möglichkeit hatte, sich (.) kindgerecht zu entwickeln, 11
’ne? (..). Also es war (.) in erster Linie (.) Schutz vor der Mutter (..) ihn da weg 12
zu bringen, ’ne? 13
I.: Mhm. 14
E.: (…) Ja. Und (.) gut das war halt das Hauptziel, ich hab’ das sicherlich so nich’ 15
’reingeschrieben, (lacht) weil (.) man is’ ja da auch sehr angreifbar, aber (.) 16
ähm (.) ich denke, wichtig war auch (.) Struktur, Ordnung, Rahmen, wie ich’s 17
vorhin schon gesagt hab’, 18
I.: mhm 19
E.: dass er wissen muss, wo er hingehört (.), das er äh weiß, das sind 20
verlässliche Leute (.), die sind (.) psychisch seelisch stabil (.). Er kann zu 21
denen kommen und kriegt von denen Hilfe und bisher war’s ja umgekehrt. Er 22
(.) musste ja seine Mutter auch immer irgendwie mittragen und die (.) Mutter 23
stützen und hat sehr viel miterlebt, denk’ ich (.), bei der Mutter. 24
I.: Mhm. 25
E.: Und (.) ähm, dass er jetzt einfach mal die Möglichkeit hat, sich als Kind (.) 26
altersgerecht entwickeln zu können und gefördert zu werden, ’ne? 27
I.: Ja (..). Ähm und so dieses (.) ganz große Ziel, is’ das (.) soll das irgendwann 28
mal die Rückführung sein in die Familie, also zur Mutter? 29
E.: Ich kann’s mir nich’ vorstellen. 30
I.: Mhm 31
E.: Wirklich nich’. 32
I.: Weiß der Tim das? 33
E.: Also das (..) so deutlich weiß er’s nich’, weil das natürlich knallhart is’ für so ’n 34
Jungen. Und das is’ ja jetzt auch nur meine Einschätzung, ’ne? 35
I.: Mhm. 36
E.: Es kann natürlich sein, dass die Frau Berger irgendwann doch (.) ähm bereit 37
is’ (.), sich therapieren zu lassen. Also im Moment seh’ ich keine Bereitschaft 38
bei ihr (.), dass sich wirklich so viel verändert bei ihr, dass sie stabil genug is’ 39
(.), um den Tim zu erziehen oder den Tim zu sich zu nehmen. Und im 40
Moment seh’ ich das ganz weit weg (…). 41
I.: Is’ das Thema (.) so in den Hilfeplangesprächen? 42
Anhang – Interview IV
15
E.: Äh, vom Tim schon (.). Der Tim hat von Anfang immer (.) wieder gefragt: 1
„Wann komm ich nach Hause?“ 2
I.: Mhm. 3
E.: Das war so ’ne stereotypische Frage: „Wann darf ich wieder heim (.), wann 4
darf ich wieder heim?“ Die Frau Berger hat dann (.) die Schuld immer (.) dem 5
Jugendamt gegeben: „Wenn das Jugendamt es erlaubt.“ Und (lacht bis *) 6
wann erlaubt es das Jugendamt? * 7
I.: mhm, mhm, mhm 8
E.: Und da war halt immer wieder Thema, dass die Mutter therapeutische Hilfe (.) 9
in Anspruch nehmen soll und (.) die tut’s nicht. 10
I.: Mhm 11
E.: Also (.), das war auch im letzten Hilfeplangespräch (..) ganz klar, sie muss 12
eine (.) Therapie machen (..). Sie ist daraufhin wieder (..) ähm nur zur 13
Erziehungsberatungsstelle gegangen, die hat dann bei mir auch angerufen, 14
die (.) Frau von der Erziehungsberatungsstelle (.), die is’ Heilpädagogin oder 15
auch Familientherapeutin und ich hab’ dann (.) zu ihr gesagt, das hat die Frau 16
Berger schon seit Jahren bekommen (.), die braucht keine 17
Erziehungsberatung, die braucht für sich (.) ganz viel. Ich glaub’ sogar, dass 18
sie medizinische Unterstützung braucht, ’ne? (.). Und (.) sie macht’s nicht. 19
Also, sie (.) guckt wieder nur (.), was bei ihren Kindern schief läuft und was 20
müssen die Kinder ändern, was muss man da anders machen, aber (.) dass 21
(.) sie selber große Anteile hat, sieht sie bis jetzt noch nicht. 22
I.: Mhm. 23
E.: Und äh (.) solang sich da nichts ändert, macht’s kein Sinn, den Tim heim zu 24
geben (.). Ich mein, wenn der Tim mal 16 is’ (.) und sagt, ich will nach Hause 25
zur Mutter äh (.), wir werden ihm das nich’ verbieten, ’ne? Dann (.) soll er 26
gehen. 27
I.: Hmh (..6..). 28
E.: Hm weil (..) es dann sowieso kein Sinn mehr macht, ’ne? Wenn er dann 29
immer noch so drauf is’, er will unbedingt zur Mutter, dann wird er sich auch 30
aufs Kinderdorf nimmer einlassen können (.). Aber mein Plan wär’ schon, 31
dass er bis zur Verselbstständigung dort bleibt (..4..). Ja, das is’ eigentlich 32
hart, das machen wir ja auch selten, ’ne? Im Jugendamt. Das machen wir 33
wirklich nur in den Fällen, wo ganz klar is’ (.), das Zuhause is’ derart (.) 34
zerstört oder zerstörend (.), da wird man nichts mehr richten können (..). Und 35
(…) im Moment sieht’s auch so aus, dass sich da nichts (..) richten lässt. Also 36
(.), die beiden andern Kinder sind ja auch beide weg jetzt. Der Lars lebt beim 37
Vater, die Sabine is’ im Heim, die Mutter is’ im Moment (.) ohne Kinder. 38
I.: Mhm (…). 39
E.: Ja (…). 40
I.: In den Hilfeplangesprächen, hast du das Gefühl, dass sich der Tim oder auch 41
die (.) die (.) das Team jetzt oder die Erzieherinnen mit dem Tim (.) ähm 42
vorbereiten (..) auf das Gespräch 43
Anhang – Interview IV
16
E.: mhm 1
I.: und bringt er sich da (.) oder kann er sich da mit einbringen? 2
E.: Also (.), grundsätzlich denk’ ich (.) bereiten die sich vor, mit dem Tim 3
zusammen. Das is’ so von der Qualität her (..) mal mehr, mal weniger, glaub’ 4
ich. Aber ich denk’, das hängt mit ’m Tim auch sehr zusammen, wie er grad 5
bereit is’, sich einzulassen. Also, ich kann mich auch erinnern, dass er ’n paar 6
Sachen aufgeschrieben hat, weil er sich nich’ getraut hat, sie so zu fragen 7
(..). 8
I.: Mhm (.). 9
E.: Oder (.) wenn ich ihn dann gefragt hab’: „Tim, was is’ denn so für dich 10
wichtig, was müssen wir ’n heut besprechen, welche Frage äh/ was sollen wir 11
denn zuerst besprechen?“ „Weiß ich nich’, weiß ich nich’.“ Also, da is’ er dann 12
schon mal von der Frau Sonntag auch angestupst worden: „Komm Tim, was 13
hast ’n mit mir besprochen?“, ’ne? (.). Also ich hab’ (..) den Eindruck, dass die 14
(.) das wirklich vorbereiten. Aber das es schon davon abhängig is’, wie der 15
Tim (.) Lust hat (.) 16
I.: mhm 17
E.: oder wie er drauf is’, ’ne? Ich denk’, dass es für ihn immer ne Belastung is’, 18
wenn’s Jugendamt kommt (..). Ich hoff’, dass wir das im letzten Gespräch 19
auch ’n bisschen (.) dass wir ihn da haben entlasten können, ’ne? (.). Weil wir 20
da doch manches auch geklärt haben, aber (..) er is’ ja dann auch mal zu mir 21
gekommen ins Jugendamt. Er wollte (.) mit der Frau Sonntag allein ins 22
Jugendamt, weil er ’n paar Fragen hatte, die er sich so net getraut hat zu 23
fragen, ’ne? Oder (.) wo die Mutter nich’ dabei sein sollte. Und (.) von daher 24
denk’ ich (.) ähm (..) hat sich da einiges verändert und es liegt sicherlich auch 25
(.) am Kinderdorf mit, ’ne? Wie die damit umgehen, mit dem Thema (.) 26
I.: hmh 27
E.: „Jugendamt“ und „Hilfeplangespräche“ (…). 28
I.: Ähm, hast du das Gefühl, dass das äh/ jetzt wirklich von deinem Erleben (.) 29
ähm (..), dass sich das Team da einig is’ (..), mit dem Umgang von Tim? 30
E.: Wer is ’n das Team jetzt? 31
I.: Das sind jetzt vier Erzieherinnen und der Auszubildende. 32
E.: Da krieg’ ich überhaupt nichts mit (.). 33
I.: Mhm. 34
E.: Also bei den Hilfeplangesprächen is’ ja immer die Frau Sonntag (.) dabei, der 35
Herr Wertz und die Frau Schmitt (.). Vom Herrn Wertz krieg’ ich kaum was 36
mit (.), das meiste macht die Frau Sonntag und die Frau Schmitt interveniert 37
dann ab und zu mal (.). Ähm (..), da hab’ ich immer das Gefühl, auf der 38
Ebene stimmt’s nich’ (.). Da würd’ (.) ich manches ändern wollen. Aber was 39
jetzt bei den Erziehern läuft, da (.) da kann ich überhaupt nichts sagen durch 40
das Hilfeplangespräch. 41
I.: Mhm. 42
Anhang – Interview IV
17
E.: Also, ich hab’ (.) ja dann (.) ’ne Zeit lang öfters angerufen (.), weil die Frau 1
Sonntag um Rückruf gebeten hat, aber (.) da war die Frau Sonntag dann 2
grad nich’ da, weil sie entweder grad kein Dienst hatte oder unterwegs war, 3
und da war dann immer irgendwie ’ne andere Erzieherin (..) dran (.). Äh (..) 4
und nee (.) ich glaub’ (.), so (.) der Schwerpunkt liegt schon bei der Frau 5
Sonntag, so an Entscheidungen (..). Weil’s dann immer geheißen hat: „Gut, 6
ich richt’s der Frau Sonntag aus und die wird sich dann wieder bei Ihnen 7
melden.“ Also die Erzieher dort (.), da kam glaub’ ich recht wenig (.), was ich 8
hätte verwenden können (.). 9
I.: Mhm. 10
E.: Aber ich (.) weiß es (.) nich’ wirklich. 11
I.: Mhm. 12
E.: Also, ich hab’ schon andere Erzieher erlebt, die wirklich viel selbstbewusster 13
aufgetreten sind. Ich hab’ schon Erzieher erlebt, die ham Hilfeplangespräche 14
gemacht (.), ohne (.) dass irgendwie ’ne Leitung dabei gewesen wäre. Und 15
das is’ glaub’ ich im Kinderdorf nich’ so (..). Da denk’ ich (..), ich weiß es nich’ 16
woran’s liegt, ich hab’ eigentlich als Ansprechpartnerin, als kompetente 17
Ansprechpartnerin, nur die Frau Sonntag (.). Von den andern Erziehern (…), 18
ich weiß es net. 19
I.: Mhm (…), ähm die Entwicklungsberichte, die werden dir ja immer regelmäßig 20
vor den Hilfeplangesprächen geschickt. 21
E.: mhm, mhm 22
I.: Äh (.), so die Person Tim, die da drin beschrieben wird, hast du das Gefühl 23
oder (.) deckt sich die deiner Meinung nach mit der reellen Person Tim? 24
E.: (..) Ich denk’, zum größten Teil schon. Wobei ich sagen muss, das was im 25
Entwicklungsbericht drin steht, das wird ja so auch wieder im 26
Hilfeplangespräch erzählt, ’ne? (lacht) (..). 27
I.: Mhm. 28
E.: Mhm (..), ja. 29
I.: Aber so das, was du von Tim dann auch wahrnimmst? 30
E.: Doch, ich glaub’ schon. Das is’ ziemlich deckungsgleich. Es gibt sicherlich 31
Nuancen, aber das lässt sich ja nie vermeiden, ’ne? (…). 32
I.: Mhm. 33
E.: Hm (..). 34
I.: Ähm (…), kriegst du irgendwas mit von der Elternarbeit mit der Frau Berger 35
(.), die das Kinderdorf leistet? 36
E.: Ähm (..), also Elternarbeit in dem Sinne, denk’ ich, wird wenig gemacht. Ich 37
hab’ ja da auch mal mit der Frau Schmitt gesprochen, ob sie als Psychologin 38
da nich’ (.) was tun kann (.) und (..) ähm, das war glaub’ ich praktisch (.) nich’ 39
so sehr machbar, weil die nur (.) mit zehn Stunden oder so nur beschäftigt is’, 40
wo ich gedacht hab’: „Och schade!“. Und das war auch mit ’n Grund vom 41
Kinderdorf, dass sie damals gesagt haben: „Die Frau braucht ’ne intensive 42
Elternarbeit, die können wir nich’ leisten“, ’ne? (.). Ähm, was ich halt weiß is’, 43
Anhang – Interview IV
18
dass die Frau Sonntag ganz viele Auseinandersetzungen hatte mit der Mutter 1
(.) 2
I.: mhm 3
E.: wo ich dann auch immer gedacht hab’, die Frau Sonntag is’ überfordert. Die 4
Frau Sonntag braucht hier Anleitung (.). Dann irgendwann hatt’ ich aber das 5
Gefühl, dass die Frau Sonntag ’ne Anleitung bekommen hat oder ’ne 6
Supervision, ich weiß es nich’, weil sich dann plötzlich viel verändert hatte (..), 7
I.: mhm 8
E.: auch so im Umgang mit der Mutter. Ähm (…), dann hatt’ ich ja (.) hat die Frau 9
Sonntag sehr oft hier angerufen: „Was soll’n wir denn da machen?“ Und dann 10
hab’ ich zur Frau Sonntag gesagt, irgendwann mal (..): „Das is’ ganz klar 11
auch Ihre Entscheidung (.). Wie Sie das, also mit dem Umgang, ich geb’ 12
Ihnen meine Empfehlung, ich sag Ihnen das so wie ich es sehe, aber 13
entscheiden können Sie das letztendlich selber“, ’ne? 14
I.: Mhm. 15
E.: Da ging’s wirklich so um minutiöse Absprachen und (.) ähm, das muss die 16
Einrichtung einfach machen. Das sind auch so/ sie müssen gucken, wie das 17
(.) bei ihnen (.) passt, ’ne? Und ich weiß, dass die Frau (..) Sonntag, die hatte 18
viel Ärger mit der Berger. Die Frau Berger hat wirklich die Frau Sonntag als 19
Riesenkonkurrentin gesehen und die is’ auf so ’ne ganz (.) emotionale Ebene 20
gegangen und da ham die sich gefetzt, ’ne? Und das hat sich irgendwann 21
verändert (…). Ähm (..), ich weiß nich’, woran’s liegt, aber ich glaub’, dass 22
das jetzt wirklich besser geworden is’, dass die Frau Sonntag da vielleicht 23
auch ’nen bisschen professioneller jetzt mit umgeht (.). 24
I.: Mhm. 25
E.: Denn die war überfordert einfach am Anfang. Und das war so der Zeitpunkt, 26
wo wir beim Hilfeplangespräch (.) wo ich angefragt hab’, ob nich’ die Frau 27
Schmitt die (.) die (.) Arbeit machen kann 28
I.: ja 29
E.: und die dann gesagt hat: Nee, sie kann gern mit der Frau Sonntag 30
Gespräche führ’n und auch mal ab und zu mit der Frau Berger, aber 31
grundsätzlich is’ das nich’ möglich (..). Ähm (.), wir haben dann aber immer 32
versucht, in den Hilfeplangesprächen so viel wie möglich festzulegen, weil wir 33
(.) einfach gedacht haben, mit der Frau Berger is’ so vieles umsonst, was 34
man bespricht, aber wenn man das so schwarz auf weiß (.) hinschreibt, das 35
und das wurde vereinbart, dass sie dann quasi so ’ne Arbeitsanleitung hat, 36
wie sie sich zu verhalten hat (.), die Frau Berger, ’ne? und (.) 37
I.: Mhm 38
E.: das war sehr zäh, aber ’n bisschen hat’s glaub’ ich doch geholfen. Also, die 39
schwankt (..) immer mal wieder 40
I.: mhm (..). Also, sie wurde 41
dann auch so in den Gesprächen ähm (..) mit einbezogen (.), wenn es um 42
irgendwelche Entscheidungen ging? 43
Anhang – Interview IV
19
E.: Die Frau Berger? 1
I.: Ja. 2
E.: Immer (..). Ja, immer. 3
I.: Hast du das Gefühl, dass es auch außerhalb der Hilfeplangespräche (.), also 4
im ähm (.) Alltag so is’? Also, wenn’s um Dinge geht, die äh (.) Tim betreffen? 5
E.: Mhm, am Anfang war’s ganz schwierig dahinter (.) zu blicken, weil die Mutter 6
war ganz oft sauer, die (.)/ also die wollte da glaub’ ich auch sehr viel 7
vorschreiben. Da (..)/ ich nenn’ jetzt mal so ’n Beispiel: „Der Tim (.), der soll 8
kein blaues T-Shirt anziehen, sondern ’n rotes“, ne. Also, die wollt’ (.) wirklich 9
so akribisch genau alles wissen und beherrschen (.) und (.) die ham sich in 10
so ’n Kampf begeben, (lacht bis *) da ging’s wirklich um so Kleinigkeiten * und 11
als das aufgedröselt wurde (..), als auch der Frau Berger klar gemacht wurde, 12
diese Personensorge, die hat jetzt (.) das Kinderdorf, ’ne? Da (.) muss sie 13
sich ’rausziehen, da kann sie sich auch ’n Stück weit ’rausziehen. Es is’ dann 14
für sie auch besser geworden (..). Also, die hat sich am Anfang ganz stark 15
drüber aufgeregt, dass das Kinderdorf ihr irgendwelche Infos nich’ gegeben 16
hat, aber wenn man genau hingeguckt hat, war’n das solche Sachen, ’ne? 17
I.: Mhm, mhm 18
E.: Dass die Mutter nich’ damit einverstanden war, dass er das und das T-Shirt 19
angezogen hat oder dass er ähm (..) äh die Behandlung bekommen hat, 20
wenn er krank war, dass er zu dem Arzt geht und solche Sachen (..). Und ich 21
glaube (.) is’ jetzt aber nur ’n Verdacht (.), 22
I.: Ja. 23
E.: dass die Frau Sonntag da auch ähm (..4..) so ’n bisschen Macht(.)spielchen 24
gespielt hat. Am Anfang. 25
I.: Mhm. 26
E.: Aber ich denk’, weil’s wirklich sehr, sehr schwierig war (.) und weil sie keine 27
andere Möglichkeit gesehen hat, ’ne? Und das hat sich (.) denk’ ich 28
entspannt. Liegt wohl auch daran, dass wir dann irgendwann mal im Hilfeplan 29
festgelegt ham, dass die Frau Berger in die Einrichtung kommt, den Tim dort 30
besucht, das sie den Tim in seinem Umfeld sieht, dass sie in seinem Umfeld 31
was mit ihm macht und dass sie dann teilnimmt einfach (.) am Leben im 32
Kinderdorf. 33
I.: mhm mhm 34
E.: Und ich glaub’, das war für die Frau Berger (.) ’ne gute Sache. Und da (.) 35
war’n dann, glaub’ ich, die Elterngespräche auch anders, ham ’ne andere 36
Qualität bekommen. Die Frau Berger hat sich ernster genommen gefühlt als 37
Mutter und ich glaub’, die Frau Sonntag hat sich als Erzieherin auch (.) oder 38
als Hausleiterin auch ernster genommen gefühlt (..) und dann ging das, 39
glaub’ ich, auch besser (.). 40
I.: Mhm. 41
E.: Ja (..) aber was die so inhaltlich im Einzelnen besprechen, weiß ich nich’. 42
Anhang – Interview IV
20
I.: Ähm (..), gibt es vom Tim den Wunsch oder ähm (.) so die Frage nach dem 1
Herrn Teichert oder nach seinem Vater? 2
E.: Ähm, er hat es mal thematisiert. „Wo lebt der Herr Teichert jetzt?“, hat er 3
gefragt und „Was macht der jetzt?“, aber mehr wollte er nich’ wissen (.). 4
I.: Mhm. 5
E.: Was jetzt (.) ähm (..) das letzte Mal beim letzten Hilfeplangespräch und auch 6
da, als er mich da im Jugendamt besucht hat, für ihn viel wichtiger war, is’ so 7
die Frage nach dem leiblichen Vater (.). Und da hat sich die Mutter ja lange 8
Zeit bedeckt gehalten 9
I.: hmh 10
E.: und hat jetzt aber doch (.) nach zähem Ringen die Adresse ’rausgerückt oder 11
beziehungsweise das Geburtsdatum, sodass wir beim Einwohnermeldeamt 12
nachfragen konnten (..). Und die Adresse hat er jetzt vom Vater bekommen, 13
ich weiß jetzt nich’, was er da jetzt gemacht hat damit. Also (.), der Herr 14
Teichert war (..) mal Thema, aber (.) ich hatte nich’ das Gefühl, dass es so 15
furchtbar wichtig für ihn war. 16
I.: Mhm (…) okay (..). So zukünftig, ähm was wären für dich (.) so Wünsche 17
oder Vorstellungen, die (.) ähm (…) ja oder Veränderungen, die es dir leichter 18
machen würden ähm so in Bezug auf die Arbeit mit ’m Kinderdorf aber auch 19
mit dem Tim? 20
E.: (..5..) Mh (.) also mit ’m Kinderdorf (..8..). Ähm (.), was am Anfang sehr 21
schwierig war is’, dass die Frau Sonntag ganz oft angerufen hat und (.) mir 22
stundenlang Storys erzählt hat und ich eigentlich oft nich’ wusste, was will sie 23
denn jetzt eigentlich von mir. Wo soll ich jetzt intervenieren, wo braucht sie 24
jetzt Unterstützung vom Jugendamt, wo will sie sich einfach nur (.) ähm 25
befreien, ’ne? (..). Da hab’ ich immer gedacht: „Mensch, das kann doch nich’ 26
Aufgabe vom Jugendamt sein, das muss doch der Herr Wertz machen oder 27
die Frau Schmitt.“ Da hab’ ich immer gedacht, da fehlt (.) irgendwas. 28
I.: Mhm. 29
E.: So ’ne Entlastung (.), also das wär’ ja indirekt oder direkt ’ne Entlastung für 30
mich auch gewesen. Ich hab’ gesagt, ich kann ja die Leute (.) vom Kinderdorf 31
net anleiten, das is’ net mein Job. Hab’s dann aber immer gemacht, weil ich 32
schon gemerkt, dass die Frau Sonntag absolut schwimmt, ’ne? (..). Aber das 33
is’ jetzt nich’ mehr. Also, ich glaub’, die is’ jetzt wirklich viel sicherer geworden 34
in ihrem Tun (..). Ich hatte manchmal so das Gefühl (…) ähm, das is’ sehr 35
personenbezogen. So die Frau Schmitt, die (.) die hat wahnsinnig viel Macht 36
und der Herr Wertz, der eigentlich der Leiter is’, der hat sich so 37
untergeordnet. Und das is’ für mich schwierig, weil für mich is’ der Herr Wertz 38
der Leiter(.), mit dem ich im Ernstfall Dinge besprech’ und die Frau (.) Schmitt 39
is’ Psychologin. Und das hat sich so verwechselt und so verschoben (.) und 40
das macht mich dann auch manchmal unsicher. Und (.) im Hilfeplangespräch 41
(.) fänd’ ich’s besser, wenn der Herr Wertz mehr sagen würde (..), wenn der 42
klarer wäre (.). 43
Anhang – Interview IV
21
I.: Mhm. 1
E.: Also, er sagt dann schon manchmal was, aber das geht dann eher so in 2
Richtung Tim und is’ ansonsten sehr zurückhaltend, ’ne? Da denk’ ich (..): 3
„Nee, das is’ sein Job.“ Also wenn er dabei is’ im Hilfeplangespräch. Ähm (.) 4
also ich hab’ manchmal das Gefühl, dass ich so (.) am meisten da machen 5
muss in den Gesprächen und da (.) wünsch’ ich mir so (..), weil ich ja doch 6
den wenigsten Einblick hab’, ’ne? Den meisten Einblick hat doch die Frau 7
Sonntag, die macht sehr viel, also die ackert wirklich. Aber ich find’, der (.) 8
Herr Wertz oder die Frau Schmitt (…) obwohl die Frau Schmitt sagt auch 9
(lacht bis *) genug. Ich * kann mit dem manchmal nichts anfangen, was die 10
Frau Schmitt sagt, ’ne? 11
I.: Hmh. 12
E.: Das is’ mir zu weltfremd oder (…) ähm ich kann’s nich gut integrieren. Und 13
dann denk’ ich immer: „eigentlich is’ es Job vom Herrn Wertz, da jetzt ’nen 14
bisschen mehr zu intervenieren“ und ich glaub’, das würde mir mehr helfen. 15
(..5..) (lacht bis *) Werden die das lesen ? 16
I.: (lacht bis **) Nein, nein, nein (..4..).* ** Und so für Tim, was würdest du dir da 17
wünschen? 18
E.: Für seine zukünftige Perspektive? 19
I.: Genau, mhm. 20
E.: Also, ich wünsch’ mir einfach, dass er (.) sich wirklich ähm (…) so weit von 21
seiner Mutter distanzieren kann und aus dieser Solidarität rausgeht, dass er 22
für sich einfach lernt (..) ähm sich um sich zu kümmern. Im wahrsten Sinne 23
des Wortes, ’ne? Dass er sich unabhängig machen kann von seiner Mutter, 24
was jetzt nich’ heißen soll, dass er (.) sich emotional von ihr löst. Das mein 25
ich nich’, ’ne? Aber so diese Aufgabe, die er von der Mutter übergestülpt 26
bekommen hat, dass er sich wirklich ganz klar davon distanzieren kann (..). 27
Und dass er so die Möglichkeit hat, sich wirklich zu entwickeln, weil ich glaub’ 28
echt, dass (.) er (.) wirklich (.) gute Ressourcen hat. 29
I.: Mhm. 30
E.: Ja und das (.) natürlich solche Sachen, dass er ’n guten Schulabschluss 31
bekommt und ’ne gute Ausbildung macht. Und (..) ich wünsch’ mir wirklich, 32
dass es ihm gelingt, dass er sich aufs Kinderdorf einlassen kann. Und dass er 33
(.) ähm (.) weg kommt von dem Gedanken: „Ich muss zu meiner Mutter“ oder 34
„Mein Glück liegt nur bei meiner Mutter“. Weil ich denk’ (.), das wär’ kein 35
guter Ansatz für ihn (…). 36
I.: Hmh. 37
E.: Ja. Und ich glaub’, bei ihm geht’s auch immer viel um Schuld, wer is’ Schuld. 38
Und dass er sich von diesem Schuld(.)komplex befreien kann. Durch diesen 39
blöden Missbrauch, der da immer wieder so erwähnt wurde oder (.) er merkt 40
ja auch ähm (..), wenn’s seiner Mutter schlecht geht, ’ne? Und er merkt dann 41
auch (.) oder hat dann immer das Gefühl, er muss jetzt ganz viel tun, dass es 42
Anhang – Interview IV
22
seiner Mama wieder besser geht. Und das is’ ja ’ne Wahnsinnsbelastung. 1
Dass er sich (.) da wirklich befreien kann (.) davon. 2
I.: Mhm (…). 3
E.: Ja, das reicht erst mal (lacht bis *), das is’ ja schon ’ne ganze Menge. 4
I.: (lacht bis **) Ja. 5
E.: Dass er glücklich wird und ’ne nette Frau findet und schöne Kinder kriegt 6
(..6..)* ** 7
I.: Gut (...) 8
E.: War’s das schon? 9
I.: War’s das für dich oder ähm (.) 10
E.: Ja, ich denke schon (.) 11
I.: fehlt dir noch irgendwas? 12
E.: Mhmh. Also im Moment nich’, nee (…). Was ich nur noch sagen kann, is’, 13
dass ich mich dann doch (.) sehr gefreut hab’, dass das Kinderdorf dann doch 14
den Mut hatte zu sagen: „O.k., wir probieren’s doch mit ’m Tim“. Und am 15
Anfang war’s ja sehr, sehr schwierig, wo ich dann plötzlich umgekippt bin und 16
gedacht hab’: „Oh Mist“. 17
I.: Mhm. 18
E.: Aber dass die dann dran geblieben sind. Und ich glaube, das lag wirklich sehr 19
an der Frau Sonntag auch, ’ne? So durch ihre Art, einfach so das Praktische, 20
das Tatkräftige, ’ne? Und (.) da freu’ ich mich für den Tim einfach sehr, dass 21
er da nich’ wieder ’n Beziehungsabbruch hatte oder (.) geseh’n hat: „Ich bin 22
wieder der Böse, ich bin der Schuldige, ich muss auch da wieder gehen“. Das 23
war ja immer so sein Problem, 24
I.: ja 25
E.: warum muss er aus der Familie geh’n? Und (.) die ham da irgendwie (.) 26
festgehalten an dem Jungen. Und ich glaub’, das tut ihm ganz gut. 27
I.: Ja (..). 28
E.: Mhm (..) ja (...4..). 29
I.: Okay (..), dann danke schön (.) für das Interview und deine Offenheit. 30
E.: Bitte schön. (lacht bis *) Viel Spaß beim Auswerten. 31
I.: (lacht bis **) Danke* ** 32