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ORAL HISTORY OF EUROPE IN SPACE Interview mit Dr. Jan-Baldem Mennicken Transkription des Interviews Das Gespräch führte Prof. Dr. Helmuth Trischler und Dr. Matthias Knopp vom Deutschen Museum in München. Es fand am 13. April 2010 im Deutschen Museum statt.

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ORAL HISTORY OF EUROPE IN SPACE

Interview mit Dr. Jan-Baldem Mennicken Transkription des Interviews

Das Gespräch führte Prof. Dr. Helmuth Trischler und Dr. Matthias Knopp vom Deutschen Museum in München. Es fand am 13. April 2010 im Deutschen Museum statt.

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00:00 Helmuth Trischler (HT): Vielen Dank, Herr Mennicken, dass Sie sich bereit erklärt haben, dieses Interview mit uns zu führen. Die erste Frage, die ich stelle, ist immer die, welcher Weg Sie in die Raumfahrt geführt hat. Es gibt viele Wege in den Weltraum und in die Raumfahrt hinein. Bei Vielen ist diese früh in der Biographie angelegt, und über die Befassung mit Science Fiction-Literatur erfolgt eine sehr frühe Prägung, gleichsam in Wernher von Braunscher Manier. Viele andere interessieren sich erst im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit und damit kontingent-zufällig für dieses Feld. Wie war das bei Ihnen, wie sind Sie zur Raumfahrt gekommen?

00:41 Jan-Baldem Mennicken (JBM): Ich bin am 16. Juni 1986, als ich in Bonn im Bundesforschungsministerium war, zu dem damaligen Minister Heinz Riesenhuber gebeten worden. Er hat mir eröffnet, dass der bisherige Leiter der Raumfahrtabteilung in den Ruhestand versetzt wurde, und er hat mich dann mit sofortiger Wirkung zum Leiter der Abteilung Luft- und Raumfahrt, Meeresforschung, Umwelt und Verkehrsforschung im Forschungsministerium ernannt. Das heißt mit anderen Worten: Ich hatte überhaupt keine Vorprägung für diesen Aufgabenbereich, sondern er war einer unter denjenigen, die mir im Rahmen meiner beruflichen Entwicklung im Forschungsministerium übertragen worden sind. Ich hatte wenig Zeit, um mich einzuarbeiten, weil ich sofort in diese Aufgaben eintreten musste und habe damals als erstes, daran erinnere ich mich, alle in Deutschland an der Raumfahrt beteiligten Kreise aus der Industrie, aus der Wissenschaft und aus dem DLR, damals noch DFVLR, zu einer großen Gesprächsrunde eingeladen. Ich habe auf diese Art und Weise versucht, mir überhaupt erst einmal einen Überblick über dieses Tätigkeitsfeld zu verschaffen.

02:30 HT: Das war das berühmte Treffen in der Lochmühle?

02:34 JBM: Nein, das mit der Lochmühle kam später. Das Treffen in der Lochmühle war ein Strategietreffen und ein Brainstorming mit den Führungskräften in der DARA.

Was habe ich bei der Übernahme im Ministerium eigentlich mitgebracht? Mitgebracht habe ich die Erfahrung aus dem internationalen Bereich. Ich war zunächst im Rahmen einer speziellen Ausbildung für internationale Aufgaben und Verwaltungsführungskräfte – sie wurde vom Innenministerium durchgeführt – 1968/1969 ein halbes Jahr in Wien bei der Internationalen Atomenergieorganisation und bin im Anschluss an dieses Praktikum dann vom Bundesgesundheitsministerium, in dem ich meine Ministeriallaufbahn begonnen hatte, ins Forschungsministerium gewechselt. Nachdem ich dort ein Jahr gewesen war, wurde ich an die deutsche Vertretung bei der Europäischen Gemeinschaft nach Brüssel geschickt und habe dort die Aufgabengebiete Forschung, Technologie, Euratom, vor allem nukleare Zusammenarbeit und auch die ersten Ansätze der Umweltpolitik vertreten. 1974 kam ich zurück ins Forschungsministerium, habe mich mit Großforschungseinrichtungen befasst – mit Strukturen und Managementaufgaben der Großforschungseinrichtungen – und erhielt wenige Jahre später die Möglichkeit, als Generaldirektor der Euratom-Versorgungsagentur wieder nach Brüssel zu gehen. Dort war mein Aufgabengebiet der nukleare Brennstoffkreislauf. Das habe ich bis Ende 1982 gemacht, bis mich Minister Riesenhuber nach dem Regierungswechsel 1982 überredet hat, nach Bonn zurück zu kommen und im Ministerium zunächst mit der Unterabteilung Personal und Haushalt zu beginnen.

Was habe ich mitgebracht aus der Zeit? Vor allem internationale Erfahrung und in besonderer Weise den Umgang mit dem französischen Partner, was gerade in der

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Nuklearfrage sehr deutlich wurde wegen der eigenständigen Rolle, die Frankreich dort gespielt hat und, wie ich sagen muss, auch spielen musste. Wenn man die Energiepolitik auf die Nuklearseite ausrichtet und bemerkt, dass man andere Mitgliedsstaaten hat, die zögerlich sind und bremsen wollen, dann muss man so eine Politik fahren. Diese Erfahrung der Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen hat mir sicherlich auch den Einstieg in die Raumfahrt erleichtert, weil ähnlich wie im Nuklearbereich es für mich von Anfang an klar war, dass man die Führungsrolle Frankreichs auf dem Gebiet akzeptieren muss und dass es überhaupt keinen Sinn macht, zu versuchen, eine ähnlich dominante Rolle wie Frankreich spielen zu wollen. Vielmehr muss man versuchen, sich strategisch so auszurichten, dass man in Kooperation mit Frankreich weitere Gebiete abdeckt und diese dann für sich sichert und ausbaut, und das Ganze möglichst im engen Schulterschluss mit allen Mitgliedsstaaten.

Das brachte ich im Wesentlichen mit. Zudem kannte ich natürlich die deutsche Forschungslandschaft aufgrund meiner Tätigkeiten für die Großforschungseinrichtungen. Ich wusste also, wo ungefähr was vorhanden ist. Was mir gefehlt hat, war technisches Verständnis. Ich bin Jurist von der Ausbildung und habe daher ein tieferes technisches Verständnis nie gewinnen können, sondern habe mit Bewunderung gesehen, wie mir das von den Kollegen, die das verstehen, erklärt wurde. Ich habe ihnen auch die Verantwortung gegeben, diese Dinge zu beurteilen.

07:15 Matthias Knopp (MK): Gab es in dieser Phase einen Zeitpunkt, zu dem Sie gesagt haben: Jetzt hat es mich gepackt, jetzt fasziniert mich das Ganze?

07:21 JBM: Ja, es hat mich gepackt, und ich muss sagen, es ging relativ schnell, und zwar, weil mehrere Dinge zusammen kamen. Es war zum einen das politische Element, das in der Raumfahrt immer eine große Rolle spielt. Weil es staatlich finanziert wird, ist es per definitionem politisch. Zum anderen ist sie international per definitionem. Dazu kommt die Verbindung in die Wissenschaft hinein, und das hat mich fasziniert. Ich hatte auch, ehrlich gesagt, nicht viel Zeit, einen Annäherungsversuch zu unternehmen, denn als ich 1986 anfing, standen zwei große Aufgaben vor mir. Die eine war die Vorbereitung der Den Haager Ministerkonferenz und die andere war die Neuordnung des deutschen Raumfahrtmanagements. In beide bin ich quasi sofort hinein gegangen oder gezwungen worden, hinein zu gehen.

08:31 HT: Dazu kommen wir noch intensiv. Ich will doch noch einmal die Frage auf den Hintergrund Ihrer Erfahrung mit Euratom richten, das ja eine prekäre Entwicklung hinter sich hatte: hochfliegende Pläne in der Anfangsphase der europäischen Integration, enge Zusammenarbeit, die sich dann aber in der Umsetzung als schwierig erwiesen hat. Das haben Sie durchlebt, Sie waren in der zweiten Phase dann gestaltend mit tätig. Haben Sie dabei schon auf den Referenzraum ESA bzw. ELDO und ESRO geschaut und darauf, wie das in der Raumfahrt gelaufen ist und wie das im Vergleich dazu im Bereich der Zusammenarbeit in der Kernenergie gelaufen ist? Waren das Felder, die Sie als kompatibel angesehen haben?

09:23 JBM: Das war eine Welt, die ich noch nicht beobachtet hatte. Das Hauptproblem bei Euratom damals war, dass der Vertrag, so wie er konzipiert worden war, nicht zur Anwendung gekommen war, und dass ich mich in diesen fünf Jahren darum bemühen musste, die wenigen Rechte, die man noch zur Anwendung bringen konnte, auch durchzusetzen, was bei den Nicht-Kernwaffen-Staaten, also Deutschland, Italien, Belgien, Niederlande ohne weiteres möglich war, aber mit Frankreich eben nur in einem sehr reduzierten Umfang. Aber andere internationale

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Organisationen habe ich nicht als beispielhaft empfunden. Wichtig ist, dass die atlantische Komponente schon eine große Rolle gespielt hat. Sie werden sich vielleicht erinnern, das war die Zeit, als Carter die Nonproliferationspolitik verkündet hatte, mit einem weltweiten Versuch, Abkommen zu schließen, die die Nicht-Kernwaffen-Staaten sauber von den Kernwaffen-Staaten trennten, und so spielte eben die Frage Europa/USA auch damals schon eine Rolle. Das hat sich später in der ESA in gewissem Sinne in einer anderen Art und Weise wiederholt: das europäische Element auf der einen Seite und das atlantische, wobei es nötig war, dann doch Prioritäten zu Lasten des einen oder des anderen Elements zu setzen.

11:06 HT: Das zweite Stichwort ist 1982, die Neuausrichtung der Forschungspolitik durch die Koalition. Damals ist viel von einem Paradigmenwechsel in der Forschungspolitik geredet worden. Sie haben sich auch publizistisch betätigt in dieser Phase und in einem Sammelband über diesen Paradigmenwechsel publiziert. Wie intensiv war dieser damals und wie hat sich der Paradigmenwechsel in der Arbeit des Ministeriums manifestiert im Sinne eines Wechsels von der direkten Förderung zur indirekten Förderung? Ich spreche dabei noch gar nicht so sehr von Ihrem späteren Tätigkeitsfeld der Raumfahrt, sondern mich würde interessieren, wie Sie diese Phase eines Wandels der sozialdemokratischen Politik in ihrer Endphase seit den späten 70er Jahre, als man schon stärker auf indirekte Maßnahmen setzte, wahrgenommen haben: War das ein Paradigmenwechsel oder war es nicht vielmehr ein allmähliches Umsteuern der Forschungspolitik?

12:19 JBM: Das waren zwei wesentliche Richtungsänderungen. Das eine war die verstärkte Förderung der Grundlagenforschung. Das war Riesenhubers richtiger Ansatz, die Grundlagenforschung zu stärken. Die so genannte Humustheorie ist Ihnen sicherlich geläufig. Und das zweite war die indirekte Förderung im Bereich der Industrie, weg von diesen Großprojekten, obwohl da die Umsteuerung natürlich nicht so sichtbar werden konnte. Denn was er geerbt hatte, waren die großen Klötze. Das war der Schnelle Brüter, das war der Hochtemperaturreaktor, und ein großer Teil der Mittel und der Arbeitskraft wurde dadurch absorbiert. Das Zweite, was wir geschaffen haben, waren bestimmte neue Instrumente der Förderung, gerade für die kleineren und mittleren Unternehmen. Das Dritte war, dass er sich stärker um die Frage der Methoden für Evaluierung und Bewertung gekümmert hat. Ich weiß noch, dass wir damals angefangen haben, zusammen mit dem ISI, dem Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe, diese Dinge wie Literaturindex und Patentindex zu verfolgen. In die Richtung ging jedenfalls dieser Paradigmenwechsel. Bei der Grundlagenforschung ist es auch manifest geworden im Budget, in der indirekten Förderung und durch die Entwicklung neuer Instrumente. Aber Sie haben Recht: Es war schon etwas eingeleitet worden.

14:25 HT: Ihr Tätigkeitsfeld waren früher einmal die Großforschungseinrichtungen, die als Tanker schwer umzusteuern gewesen sind.

14:32 JBM: Ja.

14:34 HT: Dadurch hatten sie schon damals die DLR bzw. die DFVLR, die erst 1990 umbenannt wurde, im Blick. Die DFVLR war kein „Gemischtwarenladen“ wie viele andere Großforschungseinrichtungen, sondern hatte ein klares Profil, und dennoch gab es sicherlich Probleme. Wie haben Sie vor Ihrer Tätigkeit für die Raumfahrt die DLR gesehen?

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14:57 JBM: Das habe ich gar nicht so im Fokus gehabt, denn ich war stark beschäftigt im Aufsichtsrat des Hahn-Meitner-Instituts. Die GMD und die DFVLR hatte sich mein damaliger Abteilungsleiter vorbehalten, ich habe ihn nur bei Personalfragen vertreten. Nein, die habe ich nicht im Blick gehabt. Nun muss ich sagen, diese Phase, als ich die Großforschungseinrichtungen betreute, lag in der Zeit, als ich das erste Mal aus Brüssel kam, 1974 bis 1977, und da ging es unter dem Stichwort Humanisierung des Arbeitslebens und um die Stärkung der Mitarbeiterrechte, als Volker Hauff als Parlamentarischer Staatssekretär diese etwas stärker sozialdemokratisch orientierten Elemente in die Politik gebracht hat.

16:02 HT: Damit kommen wir nun tatsächlich zu dem Punkt, an dem wir gestartet sind. Sie sind ins kalte Wasser gesprungen oder mussten springen.

16:25 JBM: Ja, richtig.

16:30 HT: Im wahrsten Sinne des Wortes dann wohl, als Sie sich dann Gedanken darüber gemacht haben, wie man die Raumfahrt neu positionieren und neu strukturieren musste. Wie sind Sie dabei vorgegangen, um eine Art Benchmarking zu machen – neudeutsch formuliert – und eine Problemanalyse zu erheben? Gab es da schon ministeriale „Direktiven“ von Riesenhuber, oder aber wie frei waren Sie, dieses Feld neu zu bestellen?

16:44 JBM: Ich hatte keinen großen Freiraum, denn die Dinge waren ja im Fluss. Alle Projekte, die damals in der ESA diskutiert wurden, waren im Fluss: die Ariane 5, die Mitarbeit an der Internationalen Raumstation, die Neuausrichtung des Wissenschafts-programms. Die Erdbeobachtung kam als neueres Element an sich hinzu, aber die anderen Dinge waren im Fluss. Und dort von einer Neuausrichtung zu sprechen, das wäre überzogen. Zudem hatte ich ja auch ausgesprochen bewährte Mitarbeiter – ich muss sagen Kollegen, Hermann Strub, der schon seit vielen Jahren diese Aufgabe wahrgenommen hatte, und Prof. [Gottfried] Greger, der ein Bollwerk in der deutschen Raumfahrtpolitik war. Ich muss sagen, es war nicht so, dass man eine Aufgabe übernimmt und sagt: Jetzt fange ich hier an und denke mir neue Strategien aus. Vielmehr bin ich in einen fahrenden Zug eingestiegen und habe dann natürlich versucht, im Laufe der Zeit, mit meinem persönlichen Stil in diesen Zug etwas hinein zu bringen. Aber die Richtung, in die das Ganze ging, war vorgegeben.

18:23 HT: Das betrifft wahrscheinlich vor allen Dingen die konzeptionelle Planung der Programme, in die man ohnehin schon eingebunden war und die man ja kaum noch national machte, sondern die ja bereits international verknüpft waren. Meine Frage zielt vor allem auf die Neuorganisation in Richtung DARA ab.

18:41 JBM: Da hatte ich in der Tat die Möglichkeit, diese Frage wirklich unvorein-genommen angehen zu können. Wir haben uns seinerzeit des Sachverstandes der IABG [Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft] bedient, um ein Gutachten erstellen zu lassen, Schwachpunkte zu identifizieren und Vorschläge zu entwickeln, wie man das Ganze besser machen kann. Und in diesem Prozess war es dann doch möglich, die eine oder andere Erfahrung einzubringen, vor allem solche Gesichtspunkte wie die Notwendigkeit, zu einer einheitlichen strategischen Aussage zu kommen. Das hatte mich schon früher auch in anderen Aufgabengebieten des BMFT immer wieder, ja ich würde das schon sagen, genervt, wenn wir international unterwegs waren und dann quasi jedes Mitglied der Delegation seine eigene Meinung vertrat und das quasi von Sitzung zu Sitzung.

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19:54 MK: Woher kamen die Hauptanstöße, einen Umdenkprozess in Sachen Organisationsstruktur einzuleiten? War das hauptsächlich der Vergleich zu den großen anderen Raumfahrtinstitutionen?

20:09 JBM: Der Druck kam stärker von innen und zwar aus der Industrie und aus der Wissenschaft, weniger von außen. Unseren Mitstreitern war es vielleicht sogar ganz recht, wenn wir nicht so stark auftraten. Nein, der Druck kam von innen, einerseits von der Wissenschaft, die diese Doppelfunktion der DFVLR als nicht korrekt empfand, und sie war es auch nicht. In Klammern gesagt, finde ich es nicht gut, dass offensichtlich, nachdem Rüttgers das Rad wieder zurück gedreht hat, das Ganze wieder in diese Richtung geht. Und dann von der Industrie, die sich dabei allerdings erhoffte, eine stärkere Förderung zu erhalten. Also die Industrie aus Eigeninteresse.

21:06 HT: Das ist ein Lamento, das sich seit den 60er Jahren durch alle Stellungnahmen der Industrie zog, von der Gesellschaft für Weltraumforschung bis zum Raumfahrttechnischen Bereich der DFVLR, dass das Weltraummanagement nicht richtig funktioniere und neu positioniert werden müsse. Das haben Sie dann aufgenommen und umgesetzt. Die Frage von Herrn Knopp ging sicher auch in die Richtung, ob man dabei auf Frankreich, auf CNES und auf die NASA geschaut hat, vielleicht auch geschaut hat, wie das in der Sowjetunion gemacht wird. Mit anderen Worten, was waren die Modelle, an denen man sich orientiert hat?

21:43 JBM: Das ist richtig. Wir haben natürlich Untersuchungen einbezogen, wie das in anderen Ländern ist. Aber auch da gab es ja eine große Spannbreite. Das reichte in den verschiedenen Ländern von der Aufgabenwahrnehmung durch das Ministerium selbst bis zu den sehr starken Organisationen wie CNES und NASA. In einzelnen Ländern, in der Schweiz etwa, war es auch das Department selbst, das diese Aufgabe wahrnahm. Anders in Belgien und in anderen Ländern, da kamen direkt die Industrievertreter. Wir haben darauf geschaut, und wir hatten ja auch verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Wir haben uns dann, wie das in der Natur der Sache liegt, für einen Kompromiss entscheiden müssen, denn es haben viele an diesem Rad gedreht.

22:37 MK: Gab es denn auch Stimmen, die gesagt haben, man sollte die Forschungs-einrichtungen verstärken, wie beispielsweise bei der NASA, die ja große Centers hat. Gab es also auch Stimmen, die gesagt haben, man müsste der DLR größere Forschungseinrichtungen ermöglichen, um solche Projekte nicht der Industrie überlassen zu müssen?

22:59 JBM: Es ist mir nicht mehr in Erinnerung, dass es solche Stimmen gab. Das würde auch nicht in die deutsche Landschaft gepasst haben, denn vieles ist auch seinerzeit durch die Industrie vorangetrieben worden, weniger durch die Forschungseinrichtungen – abgesehen natürlich von den Wissenschaftssatelliten. Die sind wie der berühmte ROSAT von der Wissenschaft – Sie erwähnten Prof. Trümper – konzipiert worden. Nein, ich glaube nicht, dass man das sagen kann, also mir ist das jedenfalls nicht geläufig. Sicher, es gab Modellüberlegungen zu sagen, wir strukturieren das in der DLR etwas anders, so ähnlich, wie das heute ist. Aber das war nur eine schlechte Lösung.

23:47 HT: Die DARA als Kompromiss ist sicher eine gute Formel – umso mehr als man ja nicht gleichsam von Grund auf ohne Berücksichtigung von Interessen, die relativ stark formiert sind, die ideale Landschaft bauen kann, sondern darauf fußen muss, was gegenüber den starken Akteuren im Feld kompromissfähig ist. Als Sie Ihr

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benchmarking gemacht und die IABG durch ihre Studien die Szenerie erhoben hat, was haben Sie sich da gewünscht, auch noch mit umsetzen zu können, was dann aber aufgrund der Notwendigkeit zum Kompromiss auf der Strecke bleiben musste?

24:29 JBM: Was wir sicher gerne gehabt hätten, wäre eine starke Einbindung der anderen Ressorts gewesen, die Raumfahrtaufgaben wahrgenommen haben. Es wäre wünschenswert gewesen, die Aufgaben, die im Verkehrsministerium und Verteidigungsministerium, später dann auch im Umweltministerium lagen, von vornherein verpflichtend mit in den Aufgabenkatalog der DARA zu übernehmen. Rückblickend weiß ich heute natürlich, was wir hätten ändern müssen – nämlich aus der DLR die Betriebszentren herauszunehmen, so ähnlich wie das beim CNES ist. Die Betriebszentren hätten auch in den Aufgabenbereich der DARA übernommen werden sollen, denn so saß letztendlich das DLR doch immer wieder mit am Tisch. Dadurch hatten wir nach wie vor diese Doppel- oder Dreifachstruktur. Denn auch im Ministerium saßen Leute, die weiter mitmachen wollten.

25:54 HT: Ich glaube, das war der Punkt von Herrn Knopp, dass man der DARA eine Infrastruktur gibt und sie dadurch unabhängig von der DLR macht, das dort am längeren Hebel sitzt.

26:10 JBM: Es wäre sicherlich richtig gewesen, wenn man es so gemacht hätte. Aber das ist eine Erkenntnis, die uns erst später gekommen ist. Das hat am Anfang nicht die große Rolle gespielt.

26:20 HT: Der zweite Punkt – und den haben Sie auch schon erwähnt –, der von Industrieseite häufig kritisiert wurde, war, dass die DARA immer noch zu stark am Gängelband des Ministeriums hing und zu wenig Flexibilität und Freiheit vor bürokratischen Zugriffen hatte. Das konnte man wahrscheinlich damals noch nicht absehen. Aber aus heutiger Sicht war das ein Geburtsfehler. Hätte man den mit der vorhandenen Struktur lösen können?

26:51 JBM: Diese Kritik der Industrie habe ich nie völlig nachvollziehen können, denn da es sich um öffentliches Geld handelt, muss das öffentliche Haushaltsrecht in gewisser Weise zur Anwendung kommen. Wenn man Steuergeld ausgibt, müssen die Regeln für das Ausgeben beachtet werden. Aber darüber hinaus, finde ich, ist es doch in großer Flexibilität möglich gewesen, mit der Industrie Projekte zu entwickeln und in vernünftiger Art und Weise vorzugehen. Ich kenne diese Kritik, aber man hätte es nicht ändern können. Man konnte der DARA nach deutschem Haushaltsrecht unmöglich einen eigenen Haushaltstitel geben, so wie das bei der NASA der Fall ist. Und selbst bei der NASA haben wir ja hautnah erlebt, und erleben es soeben schon wieder, wie stark die Politiknähe ist. Wenn der Präsident hustet, wird das Programm geändert.

28:00 MK: Welche Vorteile hatte die Organisationsform der GmbH gegenüber anderen Konstellationen?

28:10 JBM: Ja, Vorteile was die Personalführung anging. Obwohl auch das wieder ein bisschen Theorie ist, weil im öffentlichen Bereich dann sofort der BAT gilt, der ja weitgehend stringent ist. Aber wir waren doch ein bisschen freier, auch was Zeitverträge angeht oder auch das Umsetzen von Mitarbeitern und das Zusammenfassen in Gruppen oder in Teams. Da bestand schon eine größere Flexibilität. Sicherlich hatte die DARA, weil sie eine GmbH war, wieder einen Betriebsrat, aber in dem Betriebsrat saßen raumfahrtbegeisterte Mitarbeiter, was ein Unterschied zu einem Ministerium ist.

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29:00 HT: Den einen Punkt, die administrative Veränderung, haben wir jetzt behandelt. Der zweite Punkt, an dem Sie ins kalte Wasser gesprungen sind, war, wie Sie sagten, die Vorbereitung der nächsten Ministerratssitzung. Auch dabei mussten sie auf einen fahrenden Zug aufspringen. Was waren die Aufgaben und vor allen Dingen die Herausforderungen, die Sie erwartet haben, und wie sind Sie dann mit der europäischen Raumfahrt umgegangen?

29:30 JBM: Die Hauptaufgabe war, das Wünschbare in Übereinstimmung mit dem Möglichen zu bringen. Das war eine politische Aufgabe, nämlich zunächst in Richtung auf den Haushalt und die Mittel, und auf der anderen Seite im Rahmen der ESA auf das programmatische Ergebnis hin, weil beides in einer gewissen Wechselbeziehung steht: Wenn man nicht genügend Geld hat, muss man am Programm drehen. Da ging es dann darum, dass wir unsere Kerninteressen im Rahmen der ESA nicht aus den Augen verloren und versucht haben, sie durchzusetzen, und das dann wiederum innerhalb der Regierung so zu kommunizieren, dass die entsprechenden Mittel dafür auch bereitgestellt werden.

30:35 HT: Stichwort Kerninteressen. Sie haben es ja erwähnt, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre stand das Ziel einer einheitlichen Strategie ganz oben: nämlich dass man nicht einfach nur das macht, was einem zugeschoben wird im Rahmen der europäischen Arbeitsteilung, sondern für sich eine Kernkompetenz entwickelt und diese dann auch strategisch weiter durchzieht. Was waren aus Ihrer Sicht die deutschen Kernkompetenzen und die deutschen Kerninteressen, die Sie dann strategisch weiter verfolgt haben?

31:10 JBM: Vorgegeben war der Schwerpunkt der Bemannten Raumfahrt. Mit der Spacelab-Mission war eine gewisse Richtung vorgegeben und auch das Engagement im Bereich der Schwerelosigkeitsforschung. Von daher kam unser Interesse, eine führende Rolle bei der Entwicklung von Columbus zu spielen. Das war eine ganz klare Zielrichtung. Und die zweite strategische Zielsetzung war, dass wir bei der Ariane 5 besser dabei sein wollten als bei der Ariane 4, was vor allem die Oberstufe anging. Wie gesagt, das war der zweite Punkt. Und der dritte Punkt, der wesentlich war, waren die beiden deutschen Standorte, nämlich das Betriebszentrum ESOC in Darmstadt, und daneben etwas Neues aufzubauen, das GSOC (German Space Operations Centre), das wir hier in Oberpfaffenhofen haben. Dazu kam noch die Astronautenausbildung. Das heißt also, wir wollten auch stärker mit nationalen Standorten in dem Geschäft sein. Das ist ein gutes Beispiel für die einheitliche Strategie, denn es ist uns – wenn ich uns sage, meine ich damit das Ministerium, denn damals gab es ja noch keine DARA – gelungen, mit den Ländern Bayern und Nordrhein-Westfalen Vereinbarungen zu treffen, dass beide Länder sich mit erheblichen zusätzlichen Mittel beteiligten, um diese Standorte ausbauen zu können. Das war auch ein Pfund, mit dem man dann in die internationalen Verhandlungen im Rahmen der ESA gehen konnte. Ein weiteres Element – das war der Beginn der Zeit der Klimadiskussion – war die Erdbeobachtung. Dort waren wir sowohl von der wissenschaftlichen Seite her interessiert – es kam aus den verschiedenen Forschungseinrichtungen –als auch von der technischen Seite her, was wiederum aus der Industrie kam. Und schließlich ein vierter Aufgabenbereich, für den sich Deutschland stark gemacht hat: das war die Stärkung des Wissenschaftsprogramms. Mit den exzellenten Einrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft, die über einen hervorragenden internationalen Ruf verfügten und auch mit Persönlichkeiten wie Joachim Trümper, Gerhard Haerendel und anderen. Das war ebenfalls ein Pfund, mit dem man wuchern konnte. Das heißt, es sind vier Bereiche gewesen, auf die wir uns

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konzentriert haben. Ich kann vielleicht rückblickend sagen, es waren zu viele, aber vom Ergebnis her haben wir dort unsere Interessen wirklich durchsetzen können.

34:50 MK: Welche Rolle hat die Aufteilung zwischen den internationalen Projekten, die man im Rahmen der ESA gemacht hat, und den nationalen Projekten gespielt? Beispielsweise war die Ausbildung von Astronauten damals ein rein nationales Geschäft.

35:10 JBM: Ja, richtig.

35:13:MK: In dieser Zeit kamen ja auch andere Projekte, z.B. das Sänger-Projekt hoch, auch das ein rein nationales Projekt, das manchmal in Konkurrenz zu anderen gemeinschaftlichen Projekten stand. Wie war dabei die Gewichtung?

35:22 JBM: Die Priorität lag bei der ESA und, allerdings schon wieder erschwerend, weil wir zu viel auf einmal wollten, in der atlantischen Zusammenarbeit. Ein nationales Programm war aber unbestreitbar nötig. Um international mitspielen zu können, muss man über nationale Kompetenz verfügen können. Also hat das nationale Programm von Anfang an eine wesentliche Rolle gehabt, um die internationale Position zu unterfüttern. Aber wenn es galt, ganz entschieden zu sagen, es geht nur eines von beiden, dann war sehr viel stärker das Gewicht auf der ESA-Seite zu sehen.

36:16 HT: Würden Sie sagen, das ist eine konsequente Politik gewesen, die sich aufgrund der bundesdeutschen Verantwortung für Europa ergeben hat, da Deutschland als der treibende Faktor europäischer Integration hier noch stärker gefordert war als andere Länder wie etwa Frankreich, sich als Vorreiter europäischer Integration zu engagieren. Von Seiten der Industrie ist dann in den 70er Jahren vielfach kritisiert worden, das nationale Programm sei zu schwach entwickelt im Vergleich zu den internationalen Ausgaben. Man bräuchte nicht ein Verhältnis von 2:1 zu Gunsten der internationalen Programme, sondern zwei Drittel für das nationale Programm, um auf einer starken Wissens- und Technologiebasis auf gleichem Fuße mit Frankreich oder mit den USA kooperieren zu können. Aber Sie sagen es ja, das Schwergewicht lag auf der europäischen Integration, weil sich Deutschland aufgrund seiner historischen Mission, nach 1945 Vorreiter von Europa zu sein, festgelegt hatte. Politikwissenschaftler reden von Pfadabhängigkeiten: man war auf diesem Pfad und kam davon nicht mehr runter.

37:42 JBM: Ich würde nicht so weit gehen, hier davon zu sprechen, dass es deutsches Interesse war. Ich kann nur für mich persönlich sagen, dass es meine persönliche Überzeugung ist – das hat bereits angefangen, als wir das erste Mal in Brüssel waren –, dass es für uns Deutsche wesentlich ist, im Westen verankert zu sein und die Integration soweit wie möglich zu fördern. Das war meine persönliche Richtung gewesen. Dass diese koinzidiert mit der Politik, ist prima und hat es leichter gemacht. Aber es war nicht so, dass man das in Gesprächen beim Minister oder in den Ressorts als Staatsgrundsatz formuliert hätte. Nein, das ist meine persönliche Triebkraft gewesen.

38:41HT: Aber man musste diese Richtung durchaus immer wieder rechtfertigen und durchsetzen.

38:55 JBM: Ja, man muss es auch sorgfältig rechtfertigen. Aber ich meine, das ist einfach so. Gerade bei derartigen Großprojekten geht es gar nicht anders, als dass man sie international macht. Sicher, man möchte und man muss auch etwas Nationales machen. Sie haben Sänger erwähnt. Das war ein nationales Unterfangen, das wir allerdings erst richtig eingeleitet haben, nachdem Hermes gekippt worden war, und

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mit dem wir in der Tat – da stand ich voll dahinter – versuchen wollten, eine Kompetenz auf diesem Gebiet zu erzielen, Bis heute zeigt sich, dass es absolut notwendig ist, ein rückkehrfähiges Raumfahrzeug zu haben. Dass das Projekt später gekippt wurde, fand ich nicht richtig, aber damals war ich bereits aus dem Spiel raus.

39:37 MK: Es hat ja dann eine gewisse Rolle gespielt, dass man Technikfolgenabschätzung gemacht und in die Politik mit eingebunden hat. Das war, glaube ich, ein Novum in dieser Zeit.

39:52 JBM: Ich meine, die Technikfolgenabschätzung hätte schon in den 70er Jahren angefangen. In der Raumfahrt, da haben Sie Recht, kam das später. Aber da muss ich sagen, ich habe oft viele motiviert und es auch für mich persönlich in der Raumfahrt so gehalten: Das ist ein Gebiet, auf dem man auch etwas wagen muss. Da kann man nicht mit einer Messlatte rangehen, wohin führt das. Ich meine, das hat mich immer überzeugt, wenn man mir gesagt hat, es gibt nur einen Schuss mit einer Rakete oder mit einem Satelliten, und wenn er nicht klappt, dann ist es vorbei. Deshalb muss man etwas wagen.

40:32 HT: Aber wie Herr Knopp formuliert hat, ist Sänger im Wesentlichen am Ende daran gescheitert, dass es dieses Technikfolgenabschätzungsprojekt gab und Graßl und andere entscheidende Argumente vorgebracht haben, warum es als Flugzeug im Dauerbetrieb nicht funktionieren würde. Das haben Sie dann auch so mitgetragen?

40:58 JBM: Das will ich auch gar nicht bestreiten. Aber dass man es versucht hat, das fand ich richtig. Wir hatten seinerzeit auch eine Absprache mit der Industrie getroffen, dass sie sich darauf konzentrieren und auf anderen Gebieten etwas zurückstecken sollte. Da war schon der gemeinsame Wille vorhanden, etwas nach vorne zu bringen. Es gab ja noch ein weiteres Projekt, das ebenfalls erst später gekillt wurde: das Flugzeug von Grob, das auch gestrichen wurde. Später hat man es dann wieder aufgegriffen. Strato 2 sollte es heißen. Wir hatten das begonnen, weil es eine glänzende Idee war, aber das ist dann auch nicht weitergeführt worden. Es lag auch daran, dass später auch der Promotor aus Bayern nicht mehr kräftig auf den Tisch hauen konnte. Sie wissen, wen ich meine. Er fehlte dann nach einer gewissen Zeit.

42:09 MK: Damals ist die Mikrogravitationsforschung, die man ja auch mit der Bemannten Raumfahrt machen wollte, stark in die Kritik gekommen in der wissenschaftlichen Welt selbst, gerade auch bei Physikern. Wie haben Sie diese Konfliktzeit in der DARA real erlebt?

42:30 JBM: Sehr stark, denn die Deutsche Physikalische Gesellschaft war einer der Hauptgegner des Engagements auf diesem Gebiet – wobei das aber nicht nur Argumente waren, die wissenschaftlich unterfüttert waren, sondern das war z.T. auch Futterneid, wenn ich das einmal so formulieren darf. Und so habe ich es dann auch behandelt, so haben wir es behandelt. Wir haben uns nicht zu sehr beirren lassen, sondern haben versucht, Anhänger zu finden, was schwierig war.

43:14 HT: Sie haben es ja bereits gesagt: Es waren ein paar mächtige Stimmen in diesem Konzert: die DPG, Trümper, Pinkau, Hasselmann und wie sie alle hießen. Die haben kräftig mitgezogen und waren zugleich „Kunden“ von Ihnen.

43:35 JBM: Richtig. ROSAT.

43:40 HT: Mit großer Prominenz, die sicherlich dann an der Spitze des Ministeriums aufgetreten ist. Wie sind Sie damit umgegangen, dass Ihnen gleichsam Ihre Freunde in die Suppe spuckten?

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43:53 JBM: Ich habe es während meiner gesamten beruflichen Laufbahn als etwas Wunderbares empfunden, dass die Umgangsformen immer sehr freundlich und positiv waren. Ich hatte zu all den Herren, die Sie erwähnten, aus meiner Sicht jedenfalls, ein sehr gutes persönliches Verhältnis, so dass es überhaupt kein Problem war, ein Gegenargument entgegen zu nehmen und zu sagen, ich mache es aber doch anders. Gerade auch mit Herrn Trümper: Ich meine, die gemeinsame Begeisterung für den ROSAT und unser Einsatz dafür, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, um das Leben dieses Satelliten zu verlängern. Wir haben auf der persönlichen Ebene überhaupt keine Spannung aufkommen lassen. So habe ich es empfunden. Ich hoffe, dass es Herr Trümper auch so versteht, aber ich glaube es schon.

44:49 MK: Er hat seinen Frieden mit der Bemannten Raumfahrt gemacht.

44:55 HT: Herrn Haerendel haben wir in der vergangenen Woche interviewt.

45:02 JBM: Das ist auch eine dieser Persönlichkeiten, die ich immer sehr geachtet habe. Das ist überhaupt das Faszinierende an so einem Beruf – ich hatte im Ministerium ja nicht nur die Raumfahrt, sondern auch noch andere Gebiete –, dass man mit solchen Menschen aus den Bereichen Wissenschaft und Industrie und auch aus der Politik zusammen kommt. Obwohl die Politik schon schwieriger war.

45:28 HT: Gehen wir noch kurz auf den ROSAT ein. Aus dem Gespräch mit Herrn Trümper – und auch aus einer Dissertation, die wir hier dazu laufen gehabt haben – über das ROSAT-Projekt ist so manche Weichenstellung, die getroffen worden ist, immer noch nachfragebedürftig. Es gab die Direktive, die im Ministerium vorgegeben wurde, solche Großprojekte zu internationalisieren und internationale Partner zu finden. Beim ROSAT ist man gerade den umgekehrten Weg gegangen. Das war ein internationales Projekt, das dann nationalisiert wurde.

45:50 JBM: Richtig.

45:55 HT: Können Sie nochmals aufdröseln, warum das so gelaufen ist?

46:03 JBM: Nein, das kann ich nicht, weil das auch ein Projekt ist, das ich im Wesentlichen in seiner Konfiguration vorgefunden habe. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum das so gelaufen ist.

46:18 HT: Aber als Sie es betreut haben, war es ja ein Erfolgsprojekt schlechthin.

46:25 JBM: Das war ein Erfolgsprojekt, und wir hatten ja internationale Partner aus den USA und Großbritannien.

46:35: HT: Als Sie 1986 ins kalte Wasser geworfen wurden, gab es ja noch eine andere Weichenstellung, das Challenger-Unglück, das auch vieles neu konstelliert hat. Genau in der Phase, in der Sie neu anfangen mussten, passierte so ein gewaltiges Ereignis, das in vielem Rückwirkungen auf das gesamte Feld der Raumfahrt hatte. Wie haben Sie das erlebt und wie sind das Ministerium und die DARA damit umgegangen?

47:10 JBM: Die DARA gab es damals noch nicht. Wir im Ministerium waren mitten in der Diskussion über eine stärkere europäische Rolle auf diesem Gebiet und haben dann ein solch schreckliches Ereignis nicht so wahrgenommen, dass es unsere Ausrichtung hätte beeinflussen können. Wir haben weitergemacht. Wir hatten ja auch die D2-Mission schon lange geplant.

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47:44 MK: Hat das Challenger-Unglück eigene bemannte Projekte gefördert wie z.B. den Hermes-Raumgleiter? Hat es dazu geführt, dass man gesagt hat, wir müssen stärker in diese Richtung gehen?

47:58 JBM: Ich persönlich habe diesen Zusammenhang nicht gesehen.

48:11 MK: In dieser Zeit ist noch ein anderes Ereignis passiert: der Fall der Mauer und die Wende. Wir haben über viele internationale Projekte gesprochen, wie hat sich dieses Ereignis in der Raumfahrtpolitik manifestiert? Hat das Ende des Kalten Krieges eine Rolle gespielt? Stichwort: neue deutsch-russische Projekte.

48:30 JBM: Ja natürlich. Da sind wir voll reingesprungen. Was Russland anging, hatte das schon ein Jahr früher angefangen. 1988 war ich in Moskau und habe das deutsch-russische Abkommen ausgehandelt. Da waren wir schon auf dem Wege einer Kooperation. Ich habe das damals verhandelt und dann auch zum Erfolg geführt. Als die Mauer fiel, haben wir sofort ein Projekt in Angriff genommen, das Express-Projekt. Die Kapsel ist dann leider in Afrika gelandet.

49:14 MK: Haben Sie sie wieder gefunden?

49:18 JBM: Glücklicherweise haben wir sie wieder gefunden. Was wir in der DARA dann sehr stark betrieben haben – aufgrund Weisung aus der Politik, aber auch aus persönlicher Überzeugung – war die Überführung der Institute aus der DDR in unsere gesamte Struktur und den Aufbau einer, wenn auch kleineren, Industrie, Stichwort CHAMP. Wir haben seinerzeit ein spezifisches Projekt konzipiert, um diese Fähigkeiten in den Neuen Bundesländern zu bündeln und zur Entfaltung zu bringen. Die Vorhandenen wurden nach Neustrelitz überführt und dann die Institute nach Adlershof. Das war in der Tat eine wichtige Aufgabe, die sowohl auf der politischen Linie als auch auf der Linie der DARA lag und von mir persönlich sehr intensiv wahrgenommen wurde.

50:21 HT: Auf das Institut für Kosmosforschung und dessen Überführung in die gesamtdeutsche Landschaft kommen wir vielleicht noch zu sprechen. Die Kooperation mit Russland ist es für sich genommen wert, dass wir darüber etwas länger sprechen, zumal es ein ganz anderes System von Raumfahrt gewesen ist: eher robuste Technologie und politisch ganz anders organisiert. Es musste ja immer auf der obersten politischen Ebene verhandelt werden.

50:45 JBM: Richtig.

50:48 HT: Und es waren völlig andere Einschränkungen und Handlungsbedingungen, mit denen man zu tun hatte. Wie haben Sie sich darauf eingestellt und was hat das an Anpassung und an Umdenken auf der politischen Managementebene erfordert?

51:16 JBM: Rückblickend betrachtet, ist es an sich erstaunlich, wie relativ geschmeidig und ohne größere Probleme sich das Ganze abgewickelt hat. Auch, wie Sie schon sagten, auf höherer Ebene, aber sobald dort eine persönliche Beziehung hergestellt war, wurde der ganze Prozess enorm erleichtert. Es ist uns gelungen, es ist mir gelungen, zu der Leitung der damaligen russischen Raumfahrtagentur ein sehr gutes persönliches Verhältnis zu entwickeln. Das ging erstaunlich reibungslos, zumal wir ja mehrere Projekte zugleich gemacht haben. Wir haben die Marsmission gemacht, die leider nicht zum Erfolg geführt hat, und den Flug mit Reinhold Ewald. Ich bin dann selbst zweimal in Baikonur gewesen, das klappte erstaunlich gut.

52:50 MK: War die westdeutsche Industrie am Anfang nicht sehr zurückhaltend? Ich kann mich erinnern, dass hauptsächlich das mittelständische Unternehmen Kayser-

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Threde aus München relativ früh gute Kontakte zu Moskau hatte und das erste Büro in Moskau eröffnete. Aber MBB beziehungsweise DASA taten sich doch relativ schwer.

53:11 JBM: Ja, das waren kleinere Unternehmen, das war auch Herr Fuchs von OHB, der sich dann später auch stärker engagiert hat. Sie haben schon Recht, es waren eher die kleineren Unternehmen. Wir hatten auf diese Art und Weise auf einmal Zugriff auf Startmöglichkeiten bekommen, und das gab dann eher wieder Probleme in der Abgrenzung zur Ariane hin, weil uns die Franzosen anschließend geschickt überholt haben in dieser Frage.

53:42 MK: Hatten Sie sich dabei mit dem Auswärtigen Amt abzustimmen?

53:45 JBM: Ja sicher.

53:50 MK: Das war dann doch noch keine Selbstverständlichkeit?

53.54 JBM: Nein, das ist selbstverständlich. Das war ein Vorteil der DARA später, bei der der Aufsichtsrat so gestaltet war, dass in ihm auch die Vertreter der Ressorts saßen und zwar alle auf Abteilungsleiterebene. Das heißt, es gab immer einen ausgesprochen kurzen Draht in die verschiedenen Ministerien – wobei das Auswärtige Amt, um das einmal zu sagen, immer ein Förderer der Raumfahrt gewesen ist, von Genscher bis in die Abteilungen hinein. Von dort hat es immer Unterstützung gegeben und keine Schwierigkeiten. Die Zusammenarbeit mit Russland lief an sich ganz gut. Wie Sie es schon sagten, wir haben das Museum gesehen, in dem der Buran steht, diese klobige Industrie, aber diese Dinger sind ja geflogen.

54:44 MK: Was war auf der russischen Seite das Hauptinteresse? Hatten Sie den Eindruck, das Hauptinteresse lag auf der wissenschaftlichen Seite, oder hatten Sie eher den Eindruck, die Russen wollten vor allem in den kommerziellen Markt der Satelliten-Transporteure einsteigen?

55:00 JBM: Sie wollten, dass von ihren Möglichkeiten gegen Geld Gebrauch gemacht wird, das war das Hauptinteresse, denn sie hatten ja eine sehr schwere Zeit nach der „Wende“. All diese Organisationen waren darauf angewiesen, sich zunächst einmal von außen her alimentieren zu lassen. Nein, das war Geschäftsinteresse, und das hat auch dazu beigetragen, dass es relativ reibungslos lief.

55:32 HT: Wir haben jetzt mehrfach davon geredet, welche Optionen es gab. Es gab die Optionen des nationalen Programms, der europäischen Kooperation und der transnationalen Zusammenarbeit mit Russland. Drohte es zu einer Überdehnung der Möglichkeiten zu führen, als man dann auch noch mit Russland kooperierte. Wie ließ sich die Balance zwischen all den Möglichkeiten halten, die bestanden?

56:01 JBM: Da haben Sie Recht. Das wurde etwas schwierig, zumal die Mittel im nationalen Programm, die man ja dann weitgehend für internationale Projekte brauchte, reduziert waren. Es war in der Tat schwierig, all diese internationalen Kontakte aufrecht zu erhalten. Es kamen nicht nur, wie erwähnt, die Russen, es waren auch die Japaner, mit denen wir versucht haben, etwas Gemeinsames zu machen, und mit den Indern. In der Tat, wir haben die Möglichkeiten, die man für internationale Kooperationen vielleicht gehabt hätte, nicht ausschöpfen können, einfach weil die Mittel nicht reichten. Das Interesse war zum Teil da. Das DLR hatte ja ein optisches Gerät, das auf einem indischen Satelliten geflogen ist, und mit den Japanern haben wir diesen Kapselexpress, ein gemeinsames Experiment gemacht. Aber groß ausgebaut werden konnte das nicht. Also das Hauptgewicht lag auf der ESA und auf den Vereinigten Staaten sowie Russland in Einzelfällen. Auch die ESA hat die

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Möglichkeiten wahrgenommen, dass man fliegen konnte. Der Merbold-Flug war, ein ESA-Flug mit Russland ebenso wie Euromir mit Reiter.

57:28 HT: Kommen wir nun auf die ESA zu sprechen, die haben wir jetzt noch außen vor gelassen haben. Zu Ihrer Zeit war Reimar Lüst noch ESA-Generaldirektor. War es eine glückliche Konstellation, dass wir einen deutschen Vertreter an der Spitze der ESA sitzen hatten, oder aber sind die Deutschen dadurch gleichsam noch stärker Europäer gewesen, wie das häufig der Fall war? Wie haben Sie die Ära Lüst als Generaldirektor der ESA erlebt?

58:02 JBM: Lüst habe ich rückhaltlos bewundert für die Art, wie er die Geschäfte geführt hat. Nein, er hat die Deutschen nicht bevorzugt. Aber wenn man jemanden hat, der die deutschen Verhältnisse kennt und der die deutsche Sprache kennt, dann ist es sicher einfacher, den eigenen Standpunkt verständlich zu machen. Darin sehe ich auch den entscheidenden Punkt, dass man jemanden aus dem eigenen Land dort hat. Und da Lüst die gesamte deutsche Landschaft kannte, er war ja zuvor MPG-Präsident gewesen und verkehrte auf oberstem politischem Niveau, waren ihm gewisse Zwänge durchaus verständlich und nahe zu bringen. Er hat das sicherlich in seine strategischen und auch in seine taktischen Überlegungen mit einbezogen. Aber er hat uns nicht dazu geführt, noch europäischer zu werden. Im internationalen Bereich muss man durchaus eine europäische Grundhaltung haben, aber man erwirbt sich nicht Achtung dadurch, dass man keinen eigenen Standpunkt hat, sondern man muss einen eigenen Standpunkt haben und diesen konsequent, aber in aller Freundlichkeit vertreten und ihn dann reduzieren, wenn man sieht, dass es nicht geht. Aber ganz ohne Standpunkt, das geht nicht, da kann man überhaupt nichts durchsetzen.

59:37 HT: Sicherlich ist von deutscher Seite immer auch erwartet worden, dass Sie diesen Standpunkt formulieren und als starker Partner einbringen.

59:50 JBM: Ja, immer wieder. Es gab viele, die darauf gesetzt haben, in Deutschland ein Gegengewicht zu Frankreich zu setzen, und die diese Dominanz des Französischen etwas eingeschränkt sehen wollten, weil sie wiederum die Furcht hatten, dass die ESA so französisiert wird, dass sie nur noch französischem Interesse dient.

1:00:08 HT: Und das war das ein Problemfaktor, der Sie in Ihrer Arbeit gehemmt hat?

1:00:15 JBM: Nein, gehemmt nicht, aber das ist etwas, was man wahrgenommen hat. Und es war offensichtlich, etwa in den Diskussionen über die Finanzierung von CNES oder in der Managementaufgabe, die CNES wahrgenommen hat, und in der Verteilung des Budgets und auch in der einen oder anderen Personalfrage. Der Nachfolger von Lüst war Luton, da war die Personalfrage ohnehin weitgehend gelöst. Aber die Diskussion um Kourou, welche Rolle andere Länder dabei spielen könnten und ob das nun rein Französisch ist oder nicht, und ob die ESA mehr unter der französischen Flagge verkauft wird als unter dem europäischen Gesichtspunkt, das spielte schon in der einen oder anderen Argumentation eine Rolle.

1:01:19 HT: Wie haben Sie und das Ministerium deutsche Interessen innerhalb der ESA zur Geltung gebracht? Es gibt die Experten, die in den verschiedenen Gremien der ESA arbeiten, aber sie sind wahrscheinlich weniger politisch bestimmt, sondern wissenschaftsbestimmt. Wenn jemand im Space Science Advisory Committee (SSAC) mitarbeitet, wird er ja nicht von Deutschland delegiert. Und doch gibt es Einflussmöglichkeiten von der nationalen Ebene aus in diesem Konglomerat von

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verschiedenen Interessen. Wie haben Sie die deutschen Interessen innerhalb der ESA zur Geltung gebracht?

1:01:56 JBM: Ja, wie bringt man Interessen zur Geltung? Sie sagten es schon: durch die Mitarbeit in den Gremien und durch bilaterale Absprachen, und durch indirekte Maßnahmen, indem man die Kontakte, die in der wissenschaftlichen und in der industriellen Szene bestehen, mit in die Diskussion einbringt.

1:02:27 HT: Ein Interesse, das ja auch legitim ist und immer wieder betont wird, ist dasjenige, dass von dem Geld, das man einzahlt, dann auch Aufträge zurückkommen, das Fair Return-Prinzip. Das Fair Return-Prinzip war eine Maxime des Handeln, wie ich annehme. Aber wie stark hat es die „tägliche Arbeit“ bestimmt?

1:02:54: Also das war immer ein Problem, der Juste Retour, weil, wenn ich mich richtig erinnere, wir natürlich die größten Zahler im ESA-Pflichtprogramm waren und auch in den freiwilligen Programmen eine starke Rolle spielten und nicht das zurück bekommen haben, was wir eingezahlt haben. Ja, das hat eine Rolle gespielt. Es gab eben das Bemühen bei der Verteilung der Aufträge in den verschiedenen Gremien. Im Industrieausschuss und im Verwaltungsausschuss gab es immer das Interesse, die eine oder andere Firma zu berücksichtigen und mit hinein zu bringen, und das erforderte zum Teil ziemlich hartnäckige Diskussionen, und wie das so in internationalen Gremien üblich ist, auch eine Menge an Kompromissen und do ut des. Auch da war es wichtig, dass man sich für den einen oder anderen Fall Verbündete suchte. Das fing schon in der Industrie an. Das war so, dass ein Hauptauftraggeber sich bemühte, aus verschiedenen Ländern einzelne Unterauftragnehmer zu gewinnen. Dadurch hatte man eine Gruppe, die sich für eine bestimmte Sache einsetzte. Das ist eben dieses enge unbürokratische Zusammengehen zwischen der Industrie und der Wissenschaft und dem Management.

1:04:35 HT: Das haben Sie also grundsätzlich positiv wahrgenommen und als erstaunlich elegant und unaufgeregt gelöst. Man könnte ja vermuten, dass es aufgrund der Konkurrenz zwischen der süddeutschen Schiene und der norddeutschen Schiene, MBB versus ERNO, Konflikte gegeben hat

1:04:55 JBM: Die hat es auch gegeben, aber auch dabei gab es dann Möglichkeiten der gemeinsamen Absprache, mit denen man versucht hat, sich auf bestimmte Claims zu verständigen.

1:05:10 MK: War man denn trotzdem flexibel genug, oder ist man nicht zu weit gegangen, eine paritätische Aufteilung bis in einzelne Projekte hinein zu betreiben?

1:05:20 JBM: Das ist etwas, was im Rahmen der ESA immer wieder kritisiert worden ist und wo auch eine Reihe von Reformbestrebungen unternommen worden sind, weil das in der Tat ein extrem aufwändiges Geschäft gewesen ist, das sich aber aus dem Juste Retour-Prinzip ergibt. Das ist ein Punkt, an dem wir – wenn ich sage wir, meine ich als deutsche Delegation, getrieben vom Bundesfinanzminister – häufig die anderen unangenehm berührende, bohrende Fragen nach der Verwendung des Geldes gestellt haben, und was ein Finanzminister immer in die Diskussion einbringt. Da sind wir sicherlich manchen in der ESA lästig gewesen.

1:06:14 HT: Die Reformdiskussion, das Juste Retour-Prinzip globaler zu verstehen, indem man Pakete schnürt und es nicht in jedem einzelnen Projekt erfüllen muss, gab es die schon zu Ihrer Zeit oder kam die erst später?

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1:06:30 JBM: Das fing schon an, und die Diskussion war sehr stark, aber zum Erfolg ist sie, glaube ich, erst in den letzten Jahren geführt worden, als Herr [Hans] Kappler diese Aufgabe im Rahmen der ESA wahrgenommen hat. Wie das heute ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das schon als Problem erkannt wurde im Rahmen der Überlegung, enger mit der Europäischen Union zusammen zu arbeiten, da die Regeln der Europäischen Union so etwas natürlich nicht ermöglichen und erlauben. Das war einer der Punkte, die damals schon diskutiert wurden, aber nicht perfekt gelöst worden sind, in meiner Zeit jedenfalls nicht. Es gibt auch kein Patentrezept dafür.

1:07:15 HT: Das ist heute ein wichtiger Punkt: Wie positioniert sich die ESA gegenüber der EU? Die Rahmenprogramme der EU gab es zu Ihrer Zeit noch nicht. Sie war noch nicht der starke Player im Rahmen der Konstituierung eines europäischen Forschungsraums. Die ESA war mächtig und es gab noch nicht die Notwendigkeit, sich mit der EU abzustimmen, aber dennoch hat sich die EU entwickelt. Wie war diese Konstellation zu Ihrer Zeit?

1:07:49 JBM: Das habe ich damals nicht als größeres Problem wahrgenommen. Wie Sie sagen, in der EU war das noch nicht so weit entwickelt. Das fing natürlich an, ich habe mich auf die Suche gemacht, weil die EU schon eine Weltraumabteilung hatte. Aber die eigentliche Diskussion ist erst später geführt worden. Inzwischen sind auch bestimmte Gremien geschaffen worden, und trotzdem, wenn ich das im Rahmen von ESPI (European Space Policy Institute) höre, ist das Problem immer noch nicht gelöst. Eine dieser Schwierigkeiten ist das Juste Retour-Prinzip. Zudem gibt es eine andere Diskussion, die damals auch schon anfing, nämlich, inwieweit die ESA zur friedlichen Weltraumforschung gegenüber der breit aufgestellten Europäischen Union für Sicherheitspolitik ist und dann die unterschiedlichen Mitgliedschaften in beiden Organisationen. Aber es war noch nicht so ein dominantes Problem, so habe ich es jedenfalls nicht in Erinnerung.

1:09:11 HT: Mit dem Ende des Kalten Krieges hat die ESA mehr Mitgliedstaaten gewonnen, und diese Diskussion ging in Ihrer Zeit schon los. Haben Sie die als rundum positiv wahrgenommen?

1:09:25 JBM: Ja.

1:09:27 HT: Dass die ESA sich erweitern musste?

1:09:30 JBM: Da waren keine kritischen Staaten dabei. Die Probleme, die man in der EU hat, sind mir in der ESA nicht geläufig. Österreich ist damals dazu gekommen, und das war nur willkommen.

1:09:42 HT: Wir sind noch wenig auf einzelne Projekte eingegangen, Sie hatten vorher einige genannt. Ein Stichwort, das heute besonders wichtig ist, ist die Erdbeobachtung. Das ist losgegangen mit dem Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, das sicherlich sehr stark war, und dem Max-Planck-Institut in Mainz. Generell war die Max-Planck-Gesellschaft, Sie haben es ja schon erwähnt, ein starker Partner im Wissenschaftsprogramm. Wo lagen aus Ihrer Sicht gleichsam die Orte der Institutionalisierung von Weltraumforschung? Wir haben auf der einen Seite die DLR als Großforschungseinrichtung, und wir haben die Max-Planck-Institute. Gab es einen adäquaten Mix von Instituten, die einerseits eher grundlagenorientiert waren, Max-Planck, und andererseits eher anwendungsorientiert waren, DLR? Oder haben Sie angefangen, hier auch ein bisschen umzusteuern und die Dinge zu konzentrieren oder zu verlagern?

1:10:45 JBM: Also ich wüsste nicht, wie ich diese Frage angehen soll.

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1:10:50 MK: Die Universitäten haben auch eine große Rolle gespielt.

1:10:57 JBM: Wir hatten seinerzeit in der DARA eine Landkarte erstellt, wo welche Institute sich mit Raumfahrtfragen befassen. Es war, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ein sehr beeindruckendes Bild, wie viele Institute dazu beitragen. Wenn ich das als Grundlage für die Beantwortung nehme, würde ich sagen, das war an sich so in Ordnung und bedurfte keiner Steuerung. Ich muss sagen, früher beim Projektträger, bei der DARA, da kann ich es natürlich besser beurteilen, da gab es so hervorragende Mitarbeiter, die in ihrem jeweiligen Bereich die Community bis ins Detail kannten und mit in ihren Aktionsrahmen aufgenommen haben. Und das dann noch mal höher aggregiert in den Beraterkreisen, wo Sie mit Recht sagen Vertreter der Universität saßen, ich denke gerade an Bonn, Siewers im Bereich der mikrobiologischen Forschung unter Schwerelosigkeitsbedingungen. Das Bemühen, das möglichst breit zu streuen, hat geklappt. Ich glaube nicht, dass es da rückblickend etwas zu kritisieren gibt.

1:12:35 MK: Hat damals der Ausbildungsaspekt eine Rolle gespielt? Heute machen die Universitäten ja teilweise kleine Satellitenprojekte, Picotubes und Nanosatelliten und wie sie alle heißen.

1:12:45 JBM: Das haben wir gezielt gesteuert, und zwar beispielsweise in Berlin, das Projekt TUBSAT und BREMSAT. Wenn es möglich war, haben wir solche Projekte gezielt gefördert. Sie haben Recht, mittlerweile gibt es das an mehreren Universitäten, und auch im Rahmen der ESA hat man Möglichkeiten geschaffen, diese dann als Piggyback auf den Trägern mit zu nehmen.

1:13:26 HT: War die Nachwuchsausbildung eine Aufgabenstellung der DARA?

1:13:30 JBM: Nein, das nicht.

1:13:33: HT: Oder hat man das den Universitäten überlassen?

1:13:36 JBM: Das war eine generelle Diskussion: Nachwuchs im naturwissenschaftlichen Bereich. Dieses Thema fing schon Mitte der 1990er Jahre, oder noch früher, an, Sorge zu bereiten, und inzwischen zeigt es sich, dass diese Sorge berechtigt gewesen ist. Nachwuchsförderung als solche war aber sicherlich nicht die Aufgabenstellung.

1:13:55 HT: Erdbeobachtung, Klimaforschung, Umweltforschung sind – abgesehen von der Frage der Prioritätensetzung – ebenfalls als Themen angestanden. Ist es schwierig gewesen, in der Umweltforschung mit Satelliten, die zum Einsatz gekommen sind – und auch das Klimarechenzentrum, das aufzubauen war –, eine Balance zwischen den verschiedenen Interessen zu halten, die sich formiert haben und neu hinzugekommen sind?

1:14:27 JBM: Das war ein Gebiet, das ich besser wahrgenommen habe, als ich im Ministerium war, weil der Aufgabenbereich in meiner Zuständigkeit war. Als Hauptproblem habe ich es damals empfunden, einen Gesamtansatz formulieren zu können, die verschiedenen Bereiche und Aktivitäten zusammen zu führen und zu versuchen, dem Ganzen eine Struktur zu geben. Es gab ja viele Bemühungen. Das fing an bei den Kernforschungszentren, heute Forschungszentrum Jülich und Karlsruhe. Sie erwähnten das Max-Planck-Institut für Meteorologie. Dann haben wir das Geoforschungszentrum Potsdam neu gegründet und die Klimafolgenforschung in Potsdam, sowie das Umweltforschungszentrum in Leipzig. Zudem gab es einzelne Aktivitäten, die plötzlich auftauchten. Hier in der Gegend etwa musste das

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Schneefernenhaus gerettet werden. Dann kam die Weltraumkomponente, und dann kam die Rechnerei dazu. All das war auf eine Art und Weise zusammen zu führen, dass Doppelarbeit vermieden wurde, und dabei war in einer strukturierten Weise vorzugehen. Ob das bis heute gelungen ist, weiß ich nicht. Wir haben es auch international versucht. Mit dem Committee on Earth Observation Satellites, CEOS, haben wir ein internationales Gremium aufgebaut, und aktuell ist es immer noch in der Diskussion mit GMES, dem Global Monitoring for Environment and Security.

1:16:20 MK: Ich möchte eine Frage zur Öffentlichkeitsarbeit stellen, die auch in Ihr Aufgabenfeld fällt. Hat die DARA und haben wir da das Richtige gemacht? Oder ist die Öffentlichkeitsarbeit ein Bereich, in dem wir noch gewaltig nachlegen müssen? Die Deutschen gelten ja als besonders technikkritisch.

1:16:52 JBM: Wir hatten dafür in der DARA fantastische Leute, Herr Fuhrmann und Frau Weber, die mit Ihnen diese Ausstellung gemacht haben. Die haben das vorzüglich gemacht. Sie verfolgen das auch. Es ist schwer, die Raumfahrt als ständiges Thema zu bringen, aber wenn es Ereignisse gibt, dann wird das, etwa durch Frau Werth beim ZDF, vorzüglich referiert. Wenn etwas mit dem Shuttle geschieht, wird das referiert. Wenn sensationelle Entdeckungen gemacht werden, wird das referiert. Ich glaube nicht, dass man sehr viel mehr machen kann. Ich bin allerdings kein Spezialist.

1:17:38 MK: Es war also nicht eine der Prämissen, nur ausgewiesene Fachleute einzusetzen? Man hat das gemacht, was notwendig, war, aber keinen Schwerpunkt gesetzt.

1:17:50 JBM: Nein. Die haben sich schon sehr viel Gedanken gemacht und auch Ideen entwickelt; allein diese Formulierung „Für die Erde ins All“, und dann die gesamte Öffentlichkeitsarbeit unter dieses Thema zu stellen. Man muss versuchen, in die Medien zu kommen, Ausstellungen zu machen und bestimmte Veranstaltungen durchzuführen für Schüler oder für die Volkshochschulen, und was es alles an Möglichkeiten gibt. Ich glaube nicht, dass man mehr hätte tun können. Die Politik beeinflusst das jedenfalls relativ wenig. Die Politik beeinflusst das, was im Wahlkreis des jeweiligen Abgeordneten eine Rolle spielt.

1:18:28 MK: Ich habe schon ein bisschen auf die schulische Ausbildung abgehoben. Die NASA ist auf diesem Gebiet sehr vorbildhaft gewesen und hat sehr früh schon Unterrichtsmaterial erstellt. Ich habe den Eindruck, die ESA hat das auch irgendwann gemerkt und dann auch nachgelegt, und das DLR als nationale Einrichtung hat es heute auch verstanden.

1:18:45 HT: Schülerlabore?

1:18:48 MK: Schülerlabore, richtig.

1:18:52 JBM: Richtig. Da haben sie Recht.

1:18:54 MK: Aber ich hatte den Eindruck. das ist erst relativ spät gekommen.

1:18:58 JBM: Ja, wobei das beim DLR natürlich über die Raumfahrt hinausgeht. Die haben es vielleicht versucht, aber nicht in dem wünschenswerten Maße. Das konnten sie auch wiederum nicht.

1:19:14 HT: Ich will noch einmal zur transatlantischen Zusammenarbeit fragen. Das war sicherlich immer ein schwieriges Geschäft. Auf gleichem Fuße zu kooperieren, war ohnehin nicht möglich. Man ist immer als Juniorpartner angesehen worden. Die

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NASA hat die Direktive, wenn sie etwas macht, dann ist sie federführend. Insofern hatten Sie sicherlich constraints, die stärker waren als im europäischen Raum. Gab es einschneidende Erlebnisse, von denen Sie geprägt worden sind. EURATOM war ja Ihre Referenz im europäischen Rahmen. Gab es ähnlich weichenstellende Erlebnisse oder jedenfalls Erfahrungen, die Sie geprägt haben in Ihrer Einstellung gegenüber den Möglichkeiten der transatlantischen Zusammenarbeit in der Raumfahrt?

1:20:06 JBM: Also Euratom war das weniger, wie gesagt. Da ging der politische Anstoß von den Vereinigten Staaten aus. Und dem hatten sich dann Kanada und Australien angeschlossen und damals in beschränktem Maße Südafrika, mit denen man an sich nichts durfte aber von denen trotzdem Impulse kamen. Nein, die Zusammenarbeit mit den Amerikanern ist nicht nach dem Prinzip David und Goliath, also nach dem Prinzip groß und klein, durchgeführt worden, sondern im bilateralen Bereich sind unsere Beiträge zum Teil sehr wesentlich gewesen. Bei Galileo damals haben wir mit diesem Motor die Mission gerettet. Bei SRTM haben wir eine wesentliche Rolle gespielt. Was enervierend war und vielleicht auch heute noch ist, ist die politische Unzuverlässigkeit. Am Anfang wird Druck aufgebaut, etwas gemeinsam zu unternehmen und sich auf ein Konzept zu verständigen. Dann aber wird dieses Konzept nicht politisch und juristisch so verankert, dass es stabil ist, sondern es kann mit einem Federstrich von heute auf morgen beseitigt werden, wie wir das bei der Raumstation Freedom brutal erlebt haben. Von einem Tag auf den anderen standen die Europäer und andere internationale Partner quasi vor dem Nichts. Das ist das Quälende dabei gewesen. Ich muss sagen: So erfreulich das zum Teil bilateral war, aber unter dieser Unzuverlässigkeit, ich nenne das wirklich Unzuverlässigkeit, leidet das Projekt. Das Letzte, was ich gemacht habe, war 1997 SOFIA. Und heute haben wir 2010.

1:22:14 MK: Das ist immer noch nicht gestartet. Als Sie in die Raumfahrt kamen, war das Spacelab-Projekt quasi schon gelaufen. Würden Sie im Nachhinein sagen, das war das Meisterstück, was wir abliefern mussten, um von den Amerikanern als ernsthafter Partner wahrgenommen zu werden.

1:22:34 JBM: Das kann ich nicht beurteilen. Ich hatte den Eindruck, dass das, was dann später kam, durchaus sehr positiv anerkannt wurde. Aber ich glaube schon, dass SPACELAB eine Eintrittskarte in den Club war.

1:22:55 MK: Genau, weil die Bemannte Raumfahrt bis dahin etwas besonders war. Merbold durfte als erster überhaupt beim Jungfernflug des Spacelab mitfliegen.

1:23:07 JBM: Das war sicher eine Eintrittskarte. Das Problem mit den Amerikanern lag vor allem bei der Raumstation. Dieses lange Verhandeln – Herr Feustel-Büechl wird Ihnen auch über diese langen Verhandlungen, die wir führen mussten, um die Kostenseite abzudecken, berichtet haben –, die komplizierten Berechnungen und das Hin und Her, bis das dann endlich in einer abschließenden wirklich hochinteressanten Sitzung in Paris, der ich auch noch vorsitzen durfte, weil ich Leiter der ESA-Arbeitsgruppe war, die Russen, die Amerikaner, die Japaner und die Europäer sich auf das Abkommen verständigt haben. Aber war es das wert, nachdem man in Amerika jetzt kurzerhand einseitig – ob vielleicht verständlich oder nicht, das weiß ich nicht – entschieden hat, wir fliegen nicht mehr?

1:24:05 MK: Man wartet auf den nächsten Präsidenten.

1:24:09: Ja, das ist schrecklich. Sie haben uns immer erklärt, sie könnten keine völkerrechtlichen Verträge machen. Das sei zu kompliziert, das müssten sie in den

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Senat bringen. Dann sind das immer Vereinbarungen unterhalb von Regierungsabkommen und die haben natürlich keine Stabilität. Und wir Europäer, wir gehen dann her und ratifizieren diese Verträge. Da bleibt schon ein gemischtes Gefühl übrig, abgesehen von den persönlichen Kontakten. Das war nicht optimal, und da hätte man auch vielleicht noch lernen können für die Zukunft. Überhaupt war diese ganze Diskussion um die Columbus-Plattform und das, was heute davon übrig geblieben ist, auch in Deutschland sehr schwer zu führen, und sie war auf der Kippe. Ich bin der festen Überzeugung, dass wenn die DARA, mein Kollege Klaus Berge und ich, nicht die Stange gehalten hätten, wäre das gekippt worden. Rüttgers wollte es kippen, und auch im DLR gab es nicht nur Begeisterung dafür.

1:25:29 HT: Nach Rüttgers ist mit Frau [Edelgard] Bulmahn eine heftige Kritikerin der bemannten Raumfahrt dann Ministerin geworden.

1:25:36: JBM: Ja, aber später ist sie enorm begeistert gewesen.

1:25:42: HT: Ja, genau und sie hat sich dann umstimmen lassen. Daran sieht man auch, was ein Amt an Bürde mit sich bringt, und dann muss man eben in die Pflicht treten. Wie haben Sie diese politischen Diskussionen erlebt, die die Raumfahrt nicht immer befördert haben?

1:26:00 JBM: Die Zeit, in der ich im Ministerium und in der DARA war, war eine politisch stabile Zeit. Das war eine politisch stabile Lage und deswegen hat sich das Thema nicht so gestellt. Frau Bulmahn war an sich auch immer positiv aufgeschlossen. Sie hatte natürlich eine gewisse Kritik an der bemannten Raumfahrt, aber sie war aufgeschlossen, man konnte mit Ihr reden.

1:26:31 HT: Sie war damals im Forschungs- und Technologieausschuss.

1:26:37 JBM: Und dort saßen auch ein Reihe von Abgeordneten, die sich sehr engagiert haben. Ja, das lief an sich ganz gut.

1:26:50 MK: Am Ende habe ich noch einmal eine generelle Frage. Sie sind Jurist von Haus aus. Hat Ihnen das Ihre Arbeit erleichtert, gerade im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Gremien, in denen größtenteils Naturwissenschaftler und Ingenieure saßen?

1:27:13 JBM: Jetzt laufe ich natürlich Gefahr, falsch verstanden zu werden. Aber meine Antwort ist eindeutig ja. Es hat nämlich den Vorteil, dass ich mich nicht in technischen Einzelheiten verliere, weil ich diese gar nicht beurteilen kann, sondern die anderen Gesichtspunkte rein bringe, nämlich das Politische, das Budgetäre und das Programmatische. Man sagt immer so nett: Juristen können alles. Ich finde, das hat mir sehr geholfen. Im Übrigen waren im ESA-Rat auch viele Vertreter öffentlicher Behörden, die einen ähnlichen Hintergrund hatten.

1:28:04 HT: Von meiner Seite noch die abschließende Frage nach Ihrer Bilanz der bundesdeutschen Raumfahrtpolitik in Ihrer Ära. Wo sind da besondere Akzente gesetzt worden, und wo sind Potentiale noch unausgeschöpft geblieben?

1:28:30 JBM: Das ist schwer zu sagen. Ich werde übermorgen nach Oberpfaffenhofen fahren, und da hoffe ich, zunächst einmal einen Bereich zu sehen, für den in meiner Zeit Wurzeln gelegt wurden, nämlich das Operationszentrum. Und wenn ich nach Köln komme, sehe ich einen zweiten Bereich, für den die Grundlagen gelegt wurden, nämlich das ESA-Astronautenzentrum. Das sind aus meiner Sicht positive Elemente aus dieser Aufbruchzeit. Im industriellen Bereich ist es schwierig, da ist in der Zwischenzeit sehr viel weg gebrochen. Ich kann wiederum nur positiv feststellen, dass

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die Unterstützung, die zielgerichtet vom Ministerium und auch von der DARA gerade in den Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen gegangen ist, in einem Fall zur Blüte geführt hat. Das ist positiv zu sehen. Im Bereich der ESA ist es sicherlich so, dass das Beharren auf einem großen Wissenschaftsprogramm, das auf deutscher Seite immer sehr stark unterstützt worden ist, auch zu den positiven Dingen gehört. Ich freue mich immer wieder, noch von Satellitenstarts zu hören, die damals entschieden und geplant wurden. Jetzt kommen natürlich neue dazu, und im Bereich der Erdbeobachtung hat es sich auch rentiert, dass wir als Deutsche mit Hartnäckigkeit an der Entwicklung von so wichtigen Instrumenten festgehalten haben, wie sie jetzt auf Envisat und ERS 2 fliegen. Also ich glaube, da ist die Bilanz auch nicht so schlecht. Rückblickend betrachtet, war es für mich beruflich jedenfalls eine besonders großartige Zeit.

1:30:48 HT: Das ist ein gutes Schlusswort. Vielen Dank für diese Interview, Herr Mennicken.