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F ür uns ist die Freiheit keine Gn a- dengabe des Staates und auch keine Ermächtigung zum schrankenlosen egoistischen Denken“, erk l ä rte Bu n d e s- kanzler a. D. Dr. Helmut Kohl bei der Er ö f f n u n g s veranstaltung des Wi rt- schaftstages 2003 in Berlin. „Wir stehen für die Freiheit des Einzelnen und Ve r- antwortung für den Nächsten.“ Da rum sei es auch selbstverständlich gewesen, dass die Christdemokraten die Idee der Deutschen Einheit niemals aufgegeben hätten. Anlässlich des 50. Ja h restages des Volksaufstands am 17. Juni 1953 in der damaligen DDR erinnerte Kohl daran, dass seinerzeit in fast 400 Städten mehr als eine Million Menschen gegen die Unter- drückung des SED-Regimes und für die Freiheit auf die Straße gegangen seien. „ Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war der erste mutige Versuch, das SED- Regime zu stürzen und die Unfreiheit abzuschütteln“, betonte Kohl. Zwar sei der erste Versuch damals g e s c h e i t e rt. Auf Dauer aber könne keine Diktatur die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung auslöschen. „ Das haben unsere Landsleute in der DDR bei ihren großen Demonstrationen im Herbst 1989 bewiesen“, sagte Kohl. Anders als 1953 sei es diesmal gelungen, die Ma c h t des SED-Staates zu erschüttern und schließlich zum Ei n s t u rz zu bringen. Kohl erinnerte daran, dass sich hunderttausende Menschen auf Straßen, Plätzen und in den K i rchen zum Protest und Gebet versam- melten. „Der Mut und die Entschlossenheit u n s e rer Mitbürger in der damaligen DDR zählte zu den besten Kapiteln deutscher Geschichte“, sagte Kohl. Ohne die Un t e r- stützung von Partnern und Freunden im Ausland sei die Deutsche Wi e d e rve reini- gung indes nicht möglich gewesen, unter- strich der Bundeskanzler a. D. In diesem Zusammenhang würdigte Kohl insbesondere die Rolle des damali- gen sowjetischen Staatschefs Michail Go r- batschow, der mit der Pere s t roika eine Wende in der sowjetischen Politik einge- leitet habe. „Er ermutigte dadurch auch die demonstrierenden Menschen auf den Straßen und Pl ä t zen in der DDR“, betonte Kohl. Dass sich Gorbatschow in den achtziger Jahren für Menschenrechte und Offenheit entschieden habe, sei eine der entscheidenden Fügungen für die deutsche Geschichte gewesen. Aber auch ohne den damaligen ameri- kanischen Präsidenten George Bush wäre die Deutsche Einheit nicht denkbar gewe- sen. George Bush hatte sich als Freund der Deutschen erwiesen und die Deutsche Einheit ohne Wenn und Aber unterstützt. Sein republikanischer Vorgänger Ro l a n d Reagan habe durch seine kompromisslose Haltung gegenüber den Sowjets erst dazu beigetragen, dass die Sowjetunion zur Abrüstung bereit gewesen sei. Ein weiterer wichtiger Punkt für die deutsche Wi e d e rvereinigung war aus Si c h t des damaligen Regierungschefs das Ve r- halten der Ungarn, die im Sommer 1989 i h re Gre n zen öffneten, und ebenso die Rolle Polens, wo die Gewe rkschaft So l i- darnosc „als erste an den Ketten der Dik- tatur gerüttelt“ habe. Kohl sagte, die Deutschen seien in den vergangenen Jahren bei der Wiederherstel- lung der Einheit bereits weit vorangekom- men. „Es ist Gewaltiges geleistet worden.“ Zwar seien auch Fehler gemacht worden, aber schließlich mussten in den Ja h re n 1989 und 1990 „rund um die Uhr En t- scheidungen getroffen we rden“. „Wir waren eben nicht im Seminar für Wi rt- schafts- und Sozialpolitik, um in nach- denklicher At m o s p h ä re Entscheidungen t reffen zu können“, sagte Kohl. Wer aber heute mit offenen Augen durch die neuen Bundesländer fahre, we rde feststellen, dass d o rt in den zurückliegenden zwölf Jahren ein riesiger Erfolg erreicht worden sei. „Seit der Wi e d e rve reinigung sind in den neuen Bundesländern 550.000 mittelständisch geprägte Unternehmen entstanden, die mehr als 3,2 Millionen Arbeitnehmer beschäftigen“, unterstrich Kohl. Mit enormem persönlichen Einsatz, Fleiß und Hi l f s b e reitschaft seien in den neuen Ländern vielero rts tatsächlich „blühende Landschaften“ entstanden. Zur gleichen Zeit sei die Einigung Eu ro p a s 14 t r end III. Quartal 2003 W I E D E R V E R E I N I G U N G Verantwortung in Freiheit Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland a. D. ...

trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

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trend Dokumentation Wirtschaftstag 17.06.2003

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Page 1: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Für uns ist die Freiheit keine Gn a-dengabe des Staates und auch keineErmächtigung zum schrankenlosen

egoistischen Denken“, erk l ä rte Bu n d e s-kanzler a. D. Dr. Helmut Kohl bei derEr ö f f n u n g s veranstaltung des Wi rt-schaftstages 2003 in Berlin. „Wir stehenfür die Freiheit des Ei n zelnen und Ve r-a n t w o rtung für den Nächsten.“ Da ru msei es auch selbstverständlich gewe s e n ,dass die Christdemokraten die Idee derDeutschen Einheit niemals aufgegebenhätten.

Anlässlich des 50. Ja h restages desVolksaufstands am 17. Juni 1953 in derdamaligen DDR erinnerte Kohl daran,dass seinerzeit in fast 400 Städten mehr alseine Million Menschen gegen die Unter-drückung des SED-Regimes und für dieFreiheit auf die Straße gegangen seien.„ Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953war der erste mutige Versuch, das SED-Regime zu stürzen und die Un f re i h e i tabzuschütteln“, betonte Kohl.

Zwar sei der erste Versuch damalsg e s c h e i t e rt. Auf Dauer aber könne keineDiktatur die Sehnsucht der Menschen nachFreiheit und Selbstbestimmung auslöschen.„ Das haben unsere Landsleute in der DDRbei ihren großen Demonstrationen imHerbst 1989 bewiesen“, sagte Kohl. Andersals 1953 sei es diesmal gelungen, die Ma c h tdes SED-Staates zu erschüttern undschließlich zum Ei n s t u rz zu bringen. Ko h le r i n n e rte daran, dass sich hundert t a u s e n d eMenschen auf Straßen, Pl ä t zen und in denK i rchen zum Protest und Gebet ve r s a m-melten. „Der Mut und die En t s c h l o s s e n h e i tu n s e rer Mitbürger in der damaligen DDRzählte zu den besten Kapiteln deutscherGeschichte“, sagte Kohl. Ohne die Un t e r-stützung von Pa rtnern und Freunden imAusland sei die Deutsche Wi e d e rve re i n i-gung indes nicht möglich gewesen, unter-strich der Bundeskanzler a. D.

In diesem Zusammenhang würd i g t eKohl insbesondere die Rolle des damali-gen sowjetischen Staatschefs Michail Go r-

b a t s c h ow, der mit der Pe re s t roika eineWende in der sowjetischen Politik einge-leitet habe. „Er ermutigte dadurch auchdie demonstrierenden Menschen auf denStraßen und Pl ä t zen in der DDR“,betonte Kohl. Dass sich Gorbatschow inden achtziger Jahren für Menschenrechteund Offenheit entschieden habe, sei eineder entscheidenden Fügungen für diedeutsche Geschichte gewesen.

Aber auch ohne den damaligen ameri-kanischen Präsidenten George Bush wäredie Deutsche Einheit nicht denkbar gewe-sen. George Bush hatte sich als Freund derDeutschen erwiesen und die De u t s c h eEinheit ohne Wenn und Aber unterstützt.Sein republikanischer Vorgänger Ro l a n dReagan habe durch seine kompromissloseHaltung gegenüber den Sowjets erst dazubeigetragen, dass die Sowjetunion zurAbrüstung bereit gewesen sei.

Ein we i t e rer wichtiger Punkt für diedeutsche Wi e d e rve reinigung war aus Si c h tdes damaligen Re g i e rungschefs das Ve r-halten der Ungarn, die im Sommer 1989i h re Gre n zen öffneten, und ebenso dieRolle Polens, wo die Gewe rkschaft So l i-darnosc „als erste an den Ketten der Dik-tatur gerüttelt“ habe.

Kohl sagte, die Deutschen seien in denvergangenen Ja h ren bei der Wi e d e r h e r s t e l-lung der Einheit bereits weit vo r a n g e k o m-men. „Es ist Gewaltiges geleistet word e n . “Zwar seien auch Fehler gemacht word e n ,aber schließlich mussten in den Ja h re n1989 und 1990 „rund um die Uhr En t-scheidungen getroffen we rden“. „Wi rw a ren eben nicht im Seminar für Wi rt-schafts- und Sozialpolitik, um in nach-denklicher At m o s p h ä re En t s c h e i d u n g e nt reffen zu können“, sagte Kohl. Wer aberheute mit offenen Augen durch die neuenBundesländer fahre, we rde feststellen, dassd o rt in den zurückliegenden zwölf Ja h re nein riesiger Erfolg erreicht worden sei. „Se i tder Wi e d e rve reinigung sind in den neuenBundesländern 550.000 mittelständischgeprägte Unternehmen entstanden, diemehr als 3,2 Millionen Arbeitnehmerbeschäftigen“, unterstrich Kohl.

Mit enormem persönlichen Ei n s a t z ,Fleiß und Hi l f s b e reitschaft seien in denneuen Ländern vielero rts tatsächlich„blühende Landschaften“ entstanden. Zu rgleichen Zeit sei die Einigung Eu ro p a s

14 trend III. Quartal 2003

W I E D E RV E R E I N I G U N G

Verantwortungin Freiheit Dr. Helmut KohlBundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland a. D.

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mit großen Schritten vo r a n g e k o m m e n ,unterstrich Kohl. „Und sie ist mit derWirtschafts- und Währungsunion unum-kehrbar gew o rden.“ Ohne die euro p ä i s c h eIntegrationspolitik seit Konrad Adenauerw ä re auch die deutsche Einheit nichtmöglich gewesen, sagte Kohl.

Mit der Wi rtschafts- und W ä h ru n g s-union habe eine neue Epoche in dere u ropäischen Geschichte begonnen. „Ni e-mand hat nach der Ei n f ü h rung des Eu ronoch eine Chance, aus dem Haus Eu ro p aauszuscheiden.“ Der „gemeinsame Bau desHauses Eu ropa“ hinge indes auch von derAußen- und Sicherheitspolitik ab, die wie-d e rum auf zwei Säulen ruhe: Auf der Säuleder europäischen Einigung und der Säuleder deutsch-amerikanischen Fre u n d s c h a f t .„ Dieser Freundschaft ve rdanken wir dielängste Friedensperiode in der modernenGeschichte Deutschlands“, sagte Ko h l .

P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003

15trendIII. Quartal 2003

W I E D E RV E R E I N I G U N G

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„Es ist Gewaltiges geleistet worden“

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Page 3: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Zu Recht wird zurzeit intensiv überdie Zukunft Deutschlands disku-t i e rt. Doch so, wie die Di s k u s s i o n

im Moment geführt wird, greift sie zuk u rz. Denn die Menschen nehmen dieDebatte vor allem als eine Debatte umEinschnitte und Kürzungen wahr. Das istauch der Grund dafür, weshalb sie mit denReformen eher Ängste als Ho f f n u n g e nverbinden.

Die eigentliche Frage aber, die sichdoch stellt, wird gar nicht beantwort e t :Was will Deutschland erreichen? Un dwomit wollen wir in Zukunft unser Geldve rdienen? Diese Fragen sind genausowichtig wie die Reformmaßnahmen imBe reich der sozialen Si c h e ru n g s s y s t e m e .Nur wenn wir auch diese beantwort e n ,we rden wir die Menschen auf dem Weg zuReformen mitnehmen.

Für mich sind die Antworten klar: Ichhabe 35 Jahre in einem Teil Deutschlandsgelebt, der überall auf der Welt als derzurück gebliebene Teil Deutschlands galt.Deshalb wünsche ich mir heute umsom e h r, dass Deutschland auch nach derWi e d e rve reinigung ein erf o l g reiches Landist, dessen positive Entwicklungen in derWelt Beachtung finden. Diesen Anspruchsollten wir alle haben. Das müssen wir denMenschen vermitteln.

Und wir müssen in Deutschland vielmehr die Chancen, die sich aus der Glo-b a l i s i e rung ergeben, wahrnehmen. Da s21. Ja h r h u n d e rt wird von einem perma-nenten We t t b ewerb der St a n d o rte geprägtsein. Wir können unseren Wo h l s t a n dnicht alleine durch Tätigkeiten im unte-ren Lohnbereich erhalten, sondern wirmüssen unseren Anteil an den weltweiten

In n ovationen vergrößern: Ge n t e c h n o-logie, Medizintechnik, chemische undp h a r m a zeutische Industrie – das sindbeispielhaft einige Bereiche, in die wir inZukunft ve r s t ä rkt inve s t i e ren müssen. Ei nMoratorium für die grüne Gentechnolo-gie ist genau so kontraproduktiv wie eineü b e rd i m e n s i o n i e rte Förd e rung der Wi n d-energie. Leider ist das aber die Politik derrot-grünen Bundesregierung.

Aufgabe der Politik ist es, Rahmen-bedingungen zu schaffen, in denenWachstum und Beschäftigung sich entfal-ten können. Deutschland muss wiederattraktiv für internationale In ve s t o re nwerden. Das ist unser Ziel, denn es machtu n s e re Arbeitsplätze we t t b ewe r b s f ä h i g .Dazu gehört, dass wir die Be d i n g u n g e n ,unter denen bei uns gearbeitet und pro-d u z i e rt wird, überprüfen. Vor allem dieHürden für Neueinstellungen müssen soschnell wie möglich weg. Oberste Pr i o r i t ä tliegt deshalb bei der Ne u o rdnung desA r b e i t s m a rktes, dann folgen die Re f o r-men in den sozialen Sicherungssystemenund eine große Steuerreform.

Kündigungsschutz lockern, um Einstellungen zu erleichtern

Der Ge s e t ze n t w u rf der Bu n d e s re g i e-rung zum Kündigungsschutz sieht vo r,dass Betriebe mit bis zu fünf Be s c h ä f t i g t e nkünftig we i t e re Mitarbeiter befristet ein-stellen können, ohne dass dadurch derKündigungsschutz ausgelöst wird. Ic hhalte eine solche Regelung für Unsinn. Si ewürde lediglich dazu führen, dass Unter-nehmer mit mehr als fünf Be s c h ä f t i g t e neinen Teil ihrer Mitarbeiter erst einmalentlassen, um sie anschließend wiederbefristet einzustellen.

CDU und CSU fordern im Gegensatzdazu, die Schwelle für den besondere nKündigungsschutz auf 20 Be s c h ä f t i g t eanzuheben. Ansonsten sollen bei jederNeueinstellung – unabhängig von der Be-triebsgröße – Arbeitnehmer und Arbeit-geber künftig die Möglichkeit haben, sichauf eine Abfindungsregelung als Alterna-t i ve zum Kündigungsschutz zu einigen.Diese Regelung gäbe den Unternehmernmehr Planungs- und Re c h t s s i c h e r h e i t .Der Vorschlag der Bundesregierung, vonFall zu Fall zu entscheiden, wenn die Ent-lassung vor der Tür steht, ist nicht hilf-reich. Kaum ein Unternehmer stellt frei-willig Leute ein, wenn er nicht weiß, wel-

16 trend III. Quartal 2003

D E U T S C H L A N D

Politik für mehrWachstum inDeutschlandDr. Angela MerkelVorsitzende der CDU Deutschlands und derCDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

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Page 4: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

che Risiken bei einer betriebsbedingtenKündigung auf ihn zukommen.

Platz frei für betrieblicheBündnisse für Arbeit

Da der St a n d o rt we t t b ewerb unterganz unterschiedlichen Be d i n g u n g e nstattfindet, muss der Fl ä c h e n t a r i f ve rt r a güberarbeitet we rden. Wenn die Abwe i-chung vom Fl ä c h e n t a r i f ve rtrag im Rah-men eines Sozialplanes möglich ist,w a rum können wir dann nicht schoneinen Schritt früher etwas für die Beschäf-t i g u n g s s i c h e rung tun? Wir brauchen Pl a t zfür betriebliche Bündnisse für Arbeit,gesetzlich ve r a n k e rt und auch ohneZustimmung der Tarifparteien. Auch dieSozialdemokraten werden um ein an denErf o rdernissen der Gl o b a l i s i e rung orien-t i e rtes Arbeitsrecht auf Dauer nichtherum kommen. Deutschland kann nichtewig darauf warten, bis Bu n d e s k a n z l e rSchröder endlich den Mut aufbringt, einesolche Reform gegen den Widerstand derGewerkschaften und den Betonköpfen inseiner eigenen Fraktion durchzusetzen.

Längere Arbeitszeiten, umwettbewerbsfähig zu bleiben

Wir müssen auch über die Dauer derA r b e i t s zeit bei uns sprechen. De u t s c h l a n dhat im internationalen Vergleich die kür-zesten Arbeitszeiten. Bei einem Vergleichder Arbeitszeiten in Deutschland mitdenen in der Schweiz fällt auf, dass dieS c h we i zer im Schnitt 42 Stunden proWoche arbeiten – an 220 Tagen im Jahr.In Deutschland arbeiten wir 38 Stundenpro Woche – an 176 Tagen im Jahr. Lauteiner Studie des Instituts der deutschenWi rtschaft arbeitet eine Vo l l ze i t k r a f theute im Schnitt 1556 Stunden im Jahr –das ist faktisch eine Vi e r - Ta g e - Wo c h e .1991 waren es noch 210 Stunden mehr.Schuld daran sind nicht nur die kurze nWo c h e n a r b e i t s zeiten, sondern auch dievielen Feier- und Urlaubstage. Allein dieL o h n f o rtzahlung während der Ur l a u b s ze i ts owie das Urlaubsgeld kosten die Un t e r-nehmen 42 Mi l l i a rden E im Ja h r. Di e sf ü h rt zu einer erheblichen Be e i n t r ä c h-tigung der internationalen Wettbewerbs-fähigkeit. Deshalb müssen wir hier flexi-bler werden.

Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent

Schon im gemeinsamen Wa h l p ro-gramm von CDU und CSU haben wir

das Ziel formuliert, die Lohnzusatzkostenunter 40 Prozent zu bringen. Das bedeu-tet: Fünf Pro zent Arbeitslosenve r s i c h e-rung, 13 Pro zent Krankenve r s i c h e ru n gund nicht mehr als 20 Pro zent für dieRe n t e n ve r s i c h e rung. In ve s t o ren, die beiuns Arbeitsplätze schaffen wollen, müssensich darauf verlassen können. Das bedeu-tet, dass wir grundlegende Reformen inder Renten-, Kranken- und Pflegeve r-sicherung brauchen – verzahnt mit einerw i rklich großen St e u e r reform. Die Be l a-stungen aus der demografischen Entwick-lung lassen sich nur gerecht auf die Gene-rationen ve rteilen, indem man einendemografischen Faktor in die Rentenver-sicherung einführt – so wie es die Unionb e reits im Ja h re 1998 vo r g e n o m m e nhatte. Und wenn auch unser Ge s u n d-heitssystem die Last der demografischenVe r ä n d e rung in Zukunft tragen soll, kom-men wir um Selbstbehalte nicht heru m .Bestimmte Leistungen – wie jetzt ineinem ersten Schritt der Zahnersatz –müssen ausgegliedert und in einer priva-ten Pfli c h t ve r s i c h e rung erbracht we rd e n .Diese Vorhaben muten allen Versicherteneiniges zu. Aber wenn wir das Abrutschenin die Zwe i - K l a s s e n - Medizin ve r h i n d e r nwollen, ist dies der einzige Weg. Und ichbin fest überzeugt: Richtige und gerechteReformen we rden von den Me n s c h e nauch angenommen.

Freiräume schaffen durchSteuersenkungen

Die Voraussetzung für mehr Eigenbe-teiligung in den sozialen Sicherheitssyste-men ist zunächst einmal, dass die Me n-schen wieder mehr Geld in der Ta s c h ehaben. Das Vorziehen der nächsten Stufeder St e u e r reform wäre ein Ei n m a l e f f e k t ,d u rch den nichts gewonnen wäre, we n ndie Steuersenkung mit höheren St e u e r-belastungen in anderen Bereichen gekop-pelt sein sollte. Was wir tatsächlich brau-chen, ist ein transpare n t e res, ehrlichere sSteuersystem. Nicht mehr Um ve rt e i l u n gund mehr Restriktion, sondern mehr Fre i-heit und mehr Wettbewerb müssen unserZiel sein.

Deutschland braucht die zweiten Gründerjahre

Die Soziale Ma rk t w i rtschaft ist nachwie vor die einzige Gesellschaftsform, dieden Bestand unserer Gru n d we rte Fre i h e i t ,Solidarität und Ge rechtigkeit garantiert .Nur im Rahmen der Sozialen Marktwirt-

schaft ist es möglich, Wohlstand für alleund sozialen Ausgleich zwischen Starkenund Schwachen zu schaffen. Doch umdiese Solidarität auch in Zukunft ausübenzu können, müssen wir unsere wirt-schaftliche Leistungsfähigkeit verbessern.Du rch die wachsende Gl o b a l i s i e ru n gsteht der Wi rt s c h a f t s s t a n d o rt De u t s c h-land vor erheblichen neuen Herausforde-rungen. Diese gilt es zu meistern, damitauch künftige Generationen die Chancehaben, ihr Leben in Freiheit und Se l b s t-bestimmung zu verwirklichen.

Wenn wir in dieser sich stetig ve r ä n-dernden Zeit Fortschritte erzielen wollen,dann müssen wir alle bereit sein, Verant-w o rtung zu übernehmen. Dies gilt sow o h lfür die Politik, die Wi rtschaft, dieGewe rkschaften als auch für die Me n-schen in diesem Land. Deutschland ist eswert, dass wir alle wieder die Ärmel hoch-krempeln. Deutschland muss wieder neu-gierig werden. Wir brauchen so etwas wieeinen zweiten Gründergeist in De u t s c h-land – Menschen, die Visionen und Mutzum Risiko haben. Unser Ziel muss sein,Deutschland wieder dahin zu führen, woes hingehört: an die Spitze Europas – beiden Fo r s c h u n g s i n vestitionen, bei Be s c h ä f-tigung und beim Wachstum. V

Aus Rede Wirtschaftstag 2003

17trendIII. Quartal 2003

D E U T S C H L A N D

„Deutschland braucht die zweiten Gründungsjahre“

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Page 5: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Richard Perle erinnerte an die terro-ristischen Anschläge auf die Zw i l-lingstürme des World Trade Cen-

ters am 11. September 2001 in New York.3000 Menschen seien getötet word e n ,weil fanatische islamische Terroristen derWelt ihre Vorstellungen ihrer Ge s e l l-schaftsordnung und Religion aufzwingenwollten. Für die Amerikaner hätten dieseAngriffe zum einen eine Zäsur in ihre mDenken und ihrer Gefühlswelt herbeige-führt, sagte Perle. „Aber auch die Politikund die Strategie der amerikanischenRegierung hat sich nach den Anschlägenverändert.“

Perle betonte, dass die Amerikanergelernt hätten, dass es möglich sei, aufeine erk e n n b a re Be d rohung zu spät zu re a-

g i e ren. Die Anschläge seien absehbargewesen, weil es zuvor bereits eine Reihevon Anschlägen auf amerikanische Ei n-richtungen gegeben habe, die an Heftig-keit mit jedem Mal zugenommen hätten.

Die Folgen der Te r roranschläge vo m11. September für die Politik der Ameri-kaner würden im Ausland häufig unter-schätzt, sagte Perle. Die Amerikaner seiennach Prüfung der ihnen vo r l i e g e n d e nDokumente und nach Verhören von Mit-gliedern der Te r ro rorganisation Al Qu a i d ad a von überzeugt, dass diese Ma s s e n ve r-nichtungswaffen einsetzen würd e n ,sobald sie in deren Besitz gelangten.„ Wenn sie Ma s s e n ve r n i c h t u n g s w a f f e nbekommen könnten, wenn sie chemischeoder biologische Waffen in ihren Be s i t z

brächten, dann kann kein Zweifel mehrbestehen, dass sie diese auch einsetze n “ ,betonte Perle.

Und diese Massenvernichtungswaffenw ü rden mit Sicherheit dazu eingesetzt,eine möglichst große Anzahl an Me n-schen zu töten. „Vor dem 11. Septemberhaben wir zu lange gew a rtet: Wir habenzu lange gew a rtet, weil alles, was wir nach-her getan haben, auch schon hätten vor-her tun können“, sagte Perle.

So hätten die Amerikaner vor allemdie Te r ro rorganisation Al Quaida inAfghanistan bereits vor dem 11. Septem-ber entschlossener bekämpfen können.„Das haben wir versäumt – ein Fehler, dashaben wir gelernt, den wir nie wiedermachen werden.“

Dies sei einer der zentralen Gr ü n d e ,w a rum der ehemalige irakische Di k t a t o rSaddam Hussein habe aus dem Amt gejagtwe rden müssen. Saddam Hussein habe dieResolutionen der Ve reinten Na t i o n e nmissachtet. Saddam habe Te r roristen ve r-schiedener Organisationen Un t e r s c h l u p fund Unterstützung gew ä h rt. Und nichtzuletzt habe der Di k t a t o r, wie von denVe reinten Nationen dokumentiert, gro ß eMengen chemischer und biologischerWaffen pro d u z i e rt. Als die In s p e k t o re nder Ve reinten Nationen den Irak 1998 ve r-lassen hätten, seien weiterhin große Me n-gen dieser Ma s s e n vernichtungswaffen imLand geblieben, über deren Verbleib Sa d-dam Hussein niemals Rechenschaft abge-legt habe. Bis heute sei nicht klar, was mitdiesen chemischen und biologischen Wa f-fen passiert sei. „Bis heute hat es keineErk l ä rung gegeben“, erinnerte Perle.

Obwohl es bislang kaum Spuren überden Verbleib der Waffen gebe, zeigte Perlesich zuversichtlich, dass sie gefunden wer-den. „Lassen sie mich gerade den Skepti-kern sagen: Ich bin sicher, dass wir dieWaffen finden werden“, betonte Perle.

Er erinnerte daran, dass im Irak Orga-nisationen mit einer Stärke von mehr als6.000 Mitarbeitern die alleinige Aufgabegehabt hätten, die Ma s s e n ve r n i c h t u n g s-waffen vor den Augen der UN-Inspekto-ren zu verbergen und Sp u ren zu ve rw i-schen. Je weniger verängstigt irakischeRe g i m e - Insider indes seien, je mehr siesich trauten, offen mit den US-Behörden

18 trend III. Quartal 2003

A M E R I K A

Das deutsch-amerikanischeVerhältnisRichard PerleMitglied des Defence Policy Boards und Resident Fellow, American Enterprise Institute, Washington D.C.

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Page 6: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

über die Wa f f e n p rogramme Saddams zus p rechen, desto mehr In f o r m a t i o n e nkämen jedoch ans Licht. Deshalb bestehtnach Auffassung Perles nicht der geringsteZweifel, dass die Amerikaner im Irak Ma s-senvernichtungswaffen finden werden.

Aus Sicht der Amerikaner sei der Kriegim Irak ein Be f reiungskrieg gewesen, sagtePerle. Mehr als 50 Länder hätten die Ver-einigten Staaten dabei unterstützt. Na c hder erf o l g reichen Ve rt reibung Sa d d a m shätten nun 25 Millionen Iraker wiedereine Zukunft vor sich. „Sie we rden dieFreiheit bekommen, die wir in Amerikaund Eu ropa längst haben“, sagte Pe r l e .Freiheit und Frieden seien hingegen nichtvorstellbar gewesen, wenn Saddam Hu s-sein im Amt geblieben wäre. St a t t d e s s e nhätte es weitere Massenexekutionen gege-ben. Durch die Entdeckung der Massen-gräber we rde für jeden augenfällig, wiem e n s c h e n verachtend das irakische Re-gime gewesen sei, sagte Perle.

Kritisch äußerte er sich zur Rolle derBu n d e s re g i e rung. „Wir haben nicht umUnterstützung für einen Wa f f e n g a n ggebeten“, sagte Perle. „Aber wir habenVerständnis erw a rtet.“ Kein Amerikanerhabe die deutsche Bu n d e s re g i e rung vo rdem Irak-Krieg um Waffen- oder Tru p-penunterstützung gebeten. Dennoch habeder deutsche Bu n d e s k a n z l e r, Ge r h a rdSchröder (SPD) ungefragt von vo r n e-h e rein klar gemacht, dass mit Hilfe undUnterstützung der Deutschen nicht zurechnen sei. Mehr noch: Auch das Ve r-ständnis für ihre Position sei den Ameri-kanern ve rwe h rt worden. „Das war einegroße Enttäuschung für uns“, sagte Perle.

Die US-Administration sei nicht derAuffassung, dass die Deutschen den Ame-rikanern aufgrund ihrer historischenSituation etwas schuldig seien. Er erin-n e rte daran, dass sich die Amerikaner nachder Herrschaft der Nationalsozialisten inDeutschland für Frieden und Freiheit ein-gesetzt hätten, dass sie stolz darauf seien,aber in keiner Weise eine Belohnung oderKompensation dafür erw a rteten. „Wi rw ü rden es wieder tun“, sagte Perle. De n-noch habe man im Zusammenhang mitdem Irak-Krieg mehr Verständnis derdeutschen Bu n d e s re g i e rung erw a rtet.

Perle ist der Auffassung, dass die Posi-tion des deutschen Bundeskanzlers im

vergangenen Herbst besonders von denanstehenden Bundestagswahlen beein-flusst gewesen sei. „Es kann kaum Zweifeldaran bestehen, dass Kanzler Schröderseine Chancen zur Wi e d e rwahl dadurc hverbessern wollte, dass er ve r s t ä n d l i c h eZweifel in der Be v ö l k e rung hinsichtlicheines Irak-Krieges verstärkte.“

Die Zweifel der Menschen am Si n neines Krieges seien in einer demokrati-schen Gesellschaft völlig normal. „Di eMenschen versuchen immer, einen Kriegzu vermeiden“, betonte Perle. „Ein diffe-re n z i e rtes und umfassendes Urteil überdie No t wendigkeit eines Wa f f e n g a n g skann man sich aber nur erlauben, wenn inder Debatte die Positionen und Argu-mente beider Seiten unvoreingenommengeprüft werden“, betonte Perle. Die deut-sche Regierung indes habe nur die Argu-mente der Kriegsgegner unterstützt, ohnedabei die Position der Amerikaner zuberücksichtigen. „Darum waren wir ent-täuscht“, sagte Perle.

Diese Enttäuschung sei indes allerVoraussicht nach temporär. Die funda-mentalen Interessen und Werte der Ame-rikaner und Deutschen seien die gleichenund eng miteinander verbunden. „Da ru mist es unvo r s t e l l b a r, dass wir unser gutesVerhältnis nicht wieder herstellen“, unter-strich Perle. Dies we rde allerdings nocheine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.

Perle verwies ferner auf die besondereRolle der Bundesrepublik im transatlanti-

schen Verhältnis. Ve rk ü rzt ausgedrücktgebe es das Ko n zept der Fr a n zosen oderinsbesondere von Präsident Jaques Chiracund dessen Außenminister Dominique deVillepain, denen ein Europa als ein welt-politisches Ge g e n g ewicht zu den Ve re i-nigten Staaten vorschwebe. Auf der ande-ren Seite stehe das Ko n zept der Pa rt n e r-schaft, bei dem die USA und Europa sichals gemeinsame Ve rfechter und Ve rt e i d i-ger ihrer fundamentalen We rte wie Fr i e-den und Freiheit in der Welt stark mach-ten. Letztere Ko n zeption schwebe vo rallem den neuen Mitgliedern der Eu ro p ä i-schen Union in Mittel- und Os t e u ro p avor, weil diese die Auswirkungen totalitä-rer Regime noch stärker in Er i n n e ru n ghätten.

Für eine dieser beiden Positionen geltees nun, eine Gru n d s a t zentscheidung zut reffen, sagte Perle. „Und ich glaube, eshängt von den Deutschen ab, ob Eu ro p akünftig nach den Vorstellungen der Fr a n-zosen oder nach einem part n e r s c h a f t l i c h e nKo n zept konstru i e rt wird“, sagte Perle.

Gl e i c h zeitig zeigte er sich zuve r s i c h t-lich, dass sich Deutschland in der Tr a d i-tion des ehemaligen Bundeskanzlers He l-mut Kohl für den Weg der transatlanti-schen Pa rtnerschaft entscheiden we rd e .„ Ich hoffe und bin überzeugt, dassDeutschland von Menschen re g i e rt wird ,die diese gro ß a rtige Tradition fort s e t ze nwe rden.“ V

P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003

19trendIII. Quartal 2003

A M E R I K A

„Ich hoffe, dass die großartige Tradition fortgesetzt wird“

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Page 7: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Andrew Sheng, Chef der Securitiesand Futures Commission, die fürdie Re g u l i e rung von Kapital-

märkten verantwortlich ist, betonte, dassin Asien 55 Prozent der gesamten Weltbe-völkerung lebten. Ein Viertel der weltweitgetätigten Ex p o rte komme vom asiati-schen Kontinent. Hier werde überdies einDrittel des globalen Bruttosozialproduktserwirtschaftet. Vor dem Hintergrund die-ser ökonomischen Eckdaten machteSheng deutlich, dass seiner Ansichtzufolge das tatsächliche ökonomischeWunder des 21. Jahrhunderts nicht tech-nologischer Natur sei.

Aus ökonomischer und politischerSicht bemerk e n s we rter sei, dass sich diebeiden asiatischen Riesenreiche Chinaund Indien, wo zwei Fünftel der Weltbe-völkerung lebten, auf einen nachhaltigenWachstumspfad begäben. „Indien undChina ziehen sich langsam aber sicherselbst aus der Armutsfalle und nehmen in

der Weltgemeinschaft den Platz ein, derihnen zusteht“, sagte Sheng.

Historisch habe China bis zum 17.Ja h r h u n d e rt über die stärkste Vo l k s w i rt-schaft der Welt ve rfügt. Im Laufe des 17.und 18. Ja h r h u n d e rts habe es aber seineökonomische Führerschaft an We s t e u ro p aabgeben müssen. Selbstgefällige Büro k r a-tien, kontro l l i e rte Märkte, ineffizienteinstitutionelle Re g e l we rke im öffentlichenwie privaten Sektor sowie der Verlust seinerIn n ovationskraft hätten letztlich zum wirt-schaftlichen Niedergang Chinas geführt .Ge g e n w ä rtig aber seinen die Chinesendabei, die Lücke zu den Eu ropäern und denUSA wieder zu schließen, erk l ä rte Sheng.

Die Erfolgsgeschichte Eu ro p a sbegründete Sheng mit dem We t t b ewe r bzwischen den europäischen Staaten, diem e rkantile Or i e n t i e rung des Ha n d e l s ,eine nach außen gerichtete Ex p a n s i o nund In vestitionen in Wissenschaft und

Technik. Asien hingegen habe sich in denvergangenen beiden Ja h r h u n d e rten vo rallem auf eine nach innen orientierte undsehr selbstgenügsame Politik beschränkt.

Die Japaner indes seien seit der Mi t t edes vergangenen Ja h r h u n d e rts erf o l g re i c hg ewesen, weil sie Elemente des euro p ä i-schen Me rkantilismus kopiert hätten undfür offene Gre n zen beim Handel gesorgthätten. Zu den Problemen des wirt s c h a f t-lichen Niedergangs und der De flation zumEnde des vergangenen Ja h r h u n d e rts sei esgekommen, weil das duale japanischeModell neben offenen Gre n zen für In-dustriegüter gleichzeitig auf einen staatlichgeschützten Dienstleistungs- und Agrarsek-tor gesetzt habe. „Damit wurden die Pro b-leme gesät, die nach der Boomphase inJapan zu beobachten waren“, sagte Sheng.

Tatsächlich sei der Wa c h s t u m s s c h u bin einigen asiatischen Ländern daraufzurückzuführen, dass es eine junge, wach-sende Be v ö l k e rung gebe, die von den poli-tischen Eliten durch ein stabiles politi-sches System und attraktive Bedingungenfür ausländische In ve s t o ren unterstütztw o rden sei. „Dennoch: Die Krisener-scheinungen und strukturellen Problemezeigen, dass auch Asien Schwierigkeitenhat, sich an die Gl o b a l i s i e rung anzupas-sen“, betonte Sheng.

Es seien vier zentrale Fa k t o ren, diesowohl Asien als auch Europa zu schaffenmachten: Die langfristige demographi-sche Entwicklung, die Institutionen, dieSt a a t s g ewalt und die Um we l t p ro b l e m e .So stehe auch China ein fundamentalesProblem bei der demographischen En t-wicklung bevo r. Einerseits ve rfüge die chi-nesische Vo l k s w i rtschaft zwar noch übereine junge, wachsende Be v ö l k e ru n g .Andererseits aber wachse auch der Anteilder Alten, wodurch der Druck auf diesozialen Si c h e rungssysteme Rente undGesundheit stetig wachse. Diese Pro b l e m eseien in Japan und Eu ropa bereits deut-licher zu beobachten, sagte Sheng. Di emeisten asiatischen Länder pro f i t i e rt e ng e g e n w ä rtig von einer hohen Sparrate derBe v ö l k e rung. Große Summen strömtenwegen der hohen Sp a rquote in den vo nBanken dominierten Fi n a n z s e k t o r. De rFinanzsektor in China wachse ständig.

Die Gl o b a l i s i e rung decke allerd i n g sauch Schwächen der asiatischen Transfer-

20 trend III. Quartal 2003

A S I E N

Asien als Motor der We l t w i rt s c h a f tAndrew ShengChairman Securities and Futures Commission, Hong Kong

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Page 8: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

systeme auf. „Die asiatischen So z i a l s y s-teme stehen vor der riesigen Herausforde-rung, langfristig die We rthaltigkeit derErsparnisse sichern zu müssen“, sagteSheng. Gleichwohl bestehe eine guteChance für die asiatischen Länder, dieIneffizienzen ihrer Sozialsysteme zu besei-tigen, weil sie gegenwärtig noch über denVorteil einer jungen, schnell wachsendenBe v ö l k e rung und eine hohe Sp a rq u o t everfügten. „Wenn die Bevölkerung hinge-gen altert, führen die Rentenlasten entwe-der zu steigenden Schulden für die kom-menden Generationen oder zu höhere nSteuern für eine immer kleinere Anzahlproduktiver Erwerbstätiger“, sagte Sheng.

Wie diese Probleme und He r a u s f o rd e-rungen bewältigt we rden, hängt nach denWo rten Shengs von der Qualität der staat-lichen und privaten Institutionen undRe g u l i e rungen ab. Ökonomisches Wa c h s-tum könne nur stattfinden in einem stabi-len politischen System. Um zu den hochentwickelten westlichen In d u s t r i e s t a a t e naufzuschließen, müsse Asien, insbesondereChina, große He r a u s f o rd e rungen bei derReform seiner Institutionen bewältigen.

Zum einen sei die Frage zu klären, wieein effizienter öffentlicher Sektor ohneKo r ruption und ohne prohibitiv hoheSteuern zu organisieren sei. Zweitens seivon Bedeutung ein modernes Un t e r n e h-m e n s recht, dass privaten Un t e r n e h m e ne rf o l g reiches unternehmerisches Ha n d e l nermögliche, wobei rentensuchendes Ve r-halten durch staatliche Institutionen unter-bunden we rden müsse, da dies In ve s t o re nschade. Entscheidend sei ein ausgew o g e n e sVerhältnis zwischen dem öffentlichen undp r i vaten Se k t o r, sagte Sheng.

Zum einen müssten Unternehmen aus-reichend Freiräume erhalten, weil sie derMotor des Wachstums seien. Zum andere nmüsse aber auch ein effektiver öffentlicherSektor geschaffen we rden, der hochwe rt i g eöffentliche Güter wie In f r a s t ru k t u r, Ge-s u n d h e i t s vorsorge und soziale Si c h e r h e i tbiete. China sei bereits auf dem richtigenWeg, weil seit dem Jahr 2000 private Ei-g e n t u m s rechte ve rf a s s u n g s rechtlich garan-t i e rt seien. Damit habe die Vo l k s re p u b l i ka n e rkannt, dass ein privater Sektor unve r-zichtbar ist für ökonomisches Wa c h s t u m .

Zur Herausbildung einer funktionie-renden Marktwirtschaft sind nach Auffas-

sung Shengs aber auch noch internationalanerkannte Institutionen für die Bereichedes Rechts, der Rechnungslegung und derstaatlichen Re g u l i e rung notwendig. Da sjapanische Experiment habe gezeigt, dasses beim Übergang von einem rein vo nBanken dominierten Finanzsystem hin zueinem uneingeschränkt leistungsfähigenFinanzsektor im Kern darauf ankomme,die Eigentumsrechte der Investoren übereinen gesamten demographischen Zykluszu garantieren.

So sei es zum Beispiel für Staat undUnternehmen gleichermaßen unverzicht-bar, die Pensionslasten der Beamten undAngestellten in der Rechnungslegung vollzu berücksichtigen. „Jede Volkswirtschaftmuss sich dem Problem stellen, wie Kapi-t a l m ä rkte und Pensionsfonds organisiertwerden müssen, um die realen Werte derPensionen einer alternden Be v ö l k e rung zusichern“, sagte Sheng.

Gl e i c h zeitig machte er deutlich, dassdie Um welt den Menschen natürlicheGre n zen des ökonomischen Wa c h s t u m ss e t ze. Dies zeige sich bei der globalenErwärmung, der zunehmenden Ve r-schmutzung und auch bei der kürz l i c ha u f g e t retenen epidemischen Lu n g e n-krankheit SARS. „SARS hat alle asiati-schen Re g i e rungen dazu gebracht, überdas Konzept des nachhaltigen Wachstumsnachzudenken“, sagte Sheng. Jene Länder,die sich im Zuge der Gl o b a l i s i e rung amschnellsten an die verändernden Umwelt-bedingungen anpassten, we rden nachAuffassung Shengs in Zukunft die erfolg-reichsten Vo l k s w i rtschaften sein. „Aller-dings braucht es viel Mut und Vi s i o n e nder Politik, um die Menschen davon zuü b e rzeugen, dass schnelle Anpassung ini h rem ureigensten In t e resse liegt“, re s ü-mierte Sheng.

P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003

21trendIII. Quartal 2003

A S I E N

„Schnelle Anpassung liegt im ureigenen Interesse“

„Die asiatischen Sozialsysteme stehen vor riesigen Herausforderungen“

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Page 9: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Für Polen müsse sich mit dem Beitrittzur Europäischen Union (EU) auchdas politische Se l b s t ve r s t ä n d n i s

ändern, sagte der Präsident der polnischenNationalbank, Leszek Ba l c e rowicz. „Wi rsind nicht mehr diejenigen, die an die T ü rder Eu ropäischen Union klopfen. Wi rd ü rfen, nein, wir müssen uns als In s i d e rder EU verstehen“, betonte Ba l c e row i c z .Polen bekomme nun die Chance, an derGestaltung Europas teilzunehmen.

Die Bu n d e s republik De u t s c h l a n dwe rde dabei der wichtigste Pa rtner fürPolen sein. Die Eu ropapolitik sei nebenden bilateralen Beziehungen der beidenLänder das wichtigste Gebiet der Zusam-menarbeit. „Hier wird sich die Pa rt n e r-schaft unserer Länder bewähren müssen“,sagte Ba l c e rowicz. Pa r a d oxe rweise fallejedoch der große Triumph der EU-Os t -Erweiterung in die Zeit einer Vertrauens-

krise unter den Eu ropäern. „Ein tiefer Rissgeht durch den Kontinent, vor allem amVerhältnis zu Amerika scheiden sich dieGeister“, konstatierte der Präsident derNationalbank.

Nach Ansicht Ba l c e rowiczs führt derWiderspruch gegen die Vereinigten Staa-ten jedoch zu einem gespaltenen Europa,das den alten Kontinent schwäche. „Wirbrauchen eine Partnerschaft mit Amerikaauf der Grundlage der gemeinsamen Ver-antwortung für die Welt, vor allem für dieglobale Sicherheit“, sagte Balcerowicz. Esgebe zwar Differenzen zwischen Amerikaund Europa. Diese seien aber zweitrangigim Vergleich zu den Ge m e i n s a m k e i t e nzwischen den Eu ropäern und den Ve re i-nigten Staaten. „Es ist sinnlos und unklug,diese Di f f e re n zen hochzuspielen“, sagteBalcerowicz. Die Welt brauche eine guteZusammenarbeit des alten und des neuen

Kontinents. In diesem Sinne werde Polenals Mitglied der Europäischen Union sei-nen Beitrag zur Entwicklung der gemein-samen Außen- und Sicherheitspolitik leis-ten.

Balcerowicz hob hervor, dass die wirt-schaftliche Dynamik in Eu ropa in denvergangenen Ja h ren deutlich nachgelassenhabe. Deutschland sei in der Vergangen-heit ein Land gewesen, das insbesondereseinen östlichen Nachbarn „anre g e n d esoziale und ökonomische Lösungen“ habeanbieten können. Heute sei es aus polni-scher Sicht wichtig, dass De u t s c h l a n dseine strukturellen Probleme in den Griffbekomme, auch weil die Bundesrepublikder wichtigste Handelspartner Polens sei.„Deutschlands Erfolg ist auch ein Erfolgfür die Ost- und Mitteleuropäischen Län-der“, sagte Balcerowicz.

Je größer ein Land sei, desto größer seiauch seine Verantwortung für seine wirt-schaftlichen und politischen Partner.

Nach Einschätzung Ba l c e rowiczs kanndie Erweiterung der Union Europa einenWachstumsschub bringen. Dies geltes owohl für die alten wie für die neuenMi t g l i e d s l ä n d e r. „Der Reiz der In t e g r a-tion liegt eben darin, dass sie kein Nu l l-summenspiel ist“, sagte Ba l c e row i c z .In w i eweit die Chancen der Erwe i t e ru n gindes tatsächlich wahrgenommen wür-den, hinge von den politischen und öko-nomischen Rahmenbedingungen ab,betonte der Ze n t r a l b a n k c h e f. „De s h a l bsollte der Stabilitäts- und Wachstumspaktausdrücklich bestätigt und gestärkt we r-den“, forderte Balcerowicz.

Die Gru n d s ä t ze des St a b i l i t ä t s p a k t ssollten aus polnischer Sicht vor allem vonden großen EU-Ländern De u t s c h l a n dund Fr a n k reich unbedingt eingehaltenwerden, weil nur so auch in Polen die fis-kalische Disziplin gestärkt werden könne.„ In der Treue zum Pakt liegt also eingemeinsames In t e resse der reifen Ma rk t-wirtschaften und der Länder, die sich erstum die Reife bemühen müssen“, unter-strich der Chef der polnischen No t e n-bank.

Auf der anderen Seite können die Bei-trittsländer nach Einschätzung Ba l c e ro-wiczs den Druck hin zu St ru k t u r re f o r-men in den alten Mi t g l i e d s l ä n d e r n

22 trend III. Quartal 2003

E U R O P A

Europas Zukunftnach derOsterweiterungProf. Leszek Balcerowicz Ph. D.Präsident der Nationalbank von Polen

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Page 10: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

erhöhen. „Diese Hoffnung ist begründet,sollte aber nicht missverstanden werden“,stellte der Notenbanker klar: „Die En t-scheidung muss jedes Land für sich selbstt reffen.“ Die Ve r a n t w o rtung für tiefgre i-fende St ru k t u r reformen könne einem nie-mand abnehmen.

Gl e i c h zeitig machte der polnischeNotenbankchef deutlich, dass er Ve r-ständnis habe für die politischen Gründebei den Übergangsfristen im Zusammen-hang mit dem EU-Beitritt der mittel- undo s t e u ropäischen Länder. „Auf längere Ze i taber schaden wir uns nur, wenn wir unsd u rch künstliche Schutzmechanismendem We t t b ewe r b s d ruck ve rweigern. Wi rsollten ihn nicht durch einen Ha r m o n i-s i e ru n g s d ruck ersetzen“, warnte Ba l c e ro-wicz.

Der polnische Notenbankchef drück-te die Hoffnung aus, dass die EuropäischeUnion künftig jene Politiken förd e r nwe rde, die zu mehr wirt s c h a f t l i c h e mWachstum führen. „So halte ich es zumBeispiel für eine logische Konsequenz deseuropäischen Binnenmarktes, die Libera-l i s i e rung des Di e n s t l e i s t u n g s ve rkehrs zuvollenden und Wettbewerbsverzerrungenabzubauen.“ Dazu gehöre auch dieBeschneidung öffentlicher Subventionen,sagte Balcerowicz.

Ferner ford e rte der No t e n b a n k c h e fdie Eu ropäische Union auf, jenen Anteilder Haushaltsausgaben zu erhöhen, diedie We t t b ewerbsfähigkeit des Di e n s t l e i s-tungssektors förderten und der modernenWirtschaft zugute kämen. Polen stehe vorder „enormen He r a u s f o rd e rung“, dieKluft zu den Ländern, die bei modernenTechnologien und in wissensorientiert e nFeldern führend seien, abzubauen.

Das erf o rd e re zunächst eigeneA n s t rengungen, die Eu ropäische Un i o nmüsse Polen dabei jedoch helfen, forderteBa l c e rowicz. „Am besten geholfen wäreuns mit den In s t rumenten der We t t b e-werbs-, Technologie- und Forschungspo-litik.“ Diese Po l i t i k - In s t rumente solltenauf europäischer Ebene we i t e re n t w i c k e l twe rden, regte Ba l c e rowicz an. „Ich ve r-spreche mir viel von steigenden Direktin-vestitionen aus dem Ausland“, sagte derNo t e n b a n k c h e f, denn dadurch würd e nzwei wichtige Impulse ausgelöst: „Erstenswe rden die Unternehmen durch neue

Technologien und bessere Ma n a g e m e n t-methoden modernisiert“, sagte Ba l c e ro-wicz. „Und zweitens führen Investitionenzur Schaffung von Arbeitsplätzen, was inPolen angesichts einer Arbeitslosigkeitvon 3,3 Millionen Menschen einenbesonderen Stellenwert hat.“

Hinsichtlich der Diskussion um denEn t w u rf einer europäischen Ve rf a s s u n gm e rkte Ba l c e rowicz an, dass sich dieDebatte schwerpunktmäßig mit dem Ver-hältnis des Einzelnen zum Staat auseinan-d e r s e t zen sollte. Eine gute Ve rf a s s u n gmüsse vorrangig die Gru n d rechte undFreiheiten des Ei n zelnen schützen. Imdemokratischen Europa sei es unumstrit-ten, dass die politischen Rechte und dieBürgerrechte unantastbar seien.

Die ökonomischen und die sozialenRechte ließen sich hingegen in zwei Gru p-pen aufteilen: „Die ersten sind mit derFreiheit des Wi rtschaftens verbunden undtragen zur Dynamik der En t w i c k l u n gbei“, sagte Ba l c e rowicz. „Ich bin festdavon überzeugt, dass diese Rechte gefes-tigt werden sollten.“ Sie seien die Quellejeden Arbeitsethos und Grundlage wirt-schaftlicher Entwicklung. Dadurch seiensie auch das beste Mittel zur Armuts-bekämpfung.

„Dagegen ist Vorsicht geboten, wennes darum geht, die andere Gruppe der

Rechte, die der sozialen Rechte, festzu-s c h reiben“, warnte der No t e n b a n k p r ä s i-dent. Diese könnten bei einer we i t e re nAu s weitung die unternehmerische Fre i-heit und die Wettbewerbsfähigkeit behin-dern.

„ Ex ze s s i ve soziale Garantien we rd e nEu ropa sicherlich nicht helfen, mehrWachstum zu generieren und den We t t-b ewerb mit den anderen Regionen derWelt zu gewinnen“, stellte Ba l c e row i c zk l a r. Sie ve r s t ä rkten nur das Anspru c h s-denken gegenüber dem Staat, was schonheute mitve r a n t w o rtlich für die Wa c h s-tumsschwäche Europas sei.

Zur Rolle Polens und dessen Be i t r a gzur Europäischen Union sagte der Noten-bankpräsident, dass die Hälfte der Bevöl-k e rung der EU-Beitrittsländer in Po l e nlebe und sich daran auch der Stellenwertdes Landes in der EU zu bemessen habe.Der EU-Beitritt sei überdies ein entschei-dender Beitrag zur wirtschaftlichen Stabi-lisierung der neuen Mitgliedsländer, weildas Risiko einer Wi rtschaftskrise erheb-lich sinken werde. Die Kosten, die auf diealten Mitgliedsländer zukämen, würd e nd u rch die steigende Nachfrage nachGütern und Dienstleistungen aus denBeitrittsländern mehr als kompensiert ,sagte Balcerowicz. V

P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003

23trendIII. Quartal 2003

E U R O P A

„Exzessive soziale Garantien werden Europa sicherlich nicht helfen“

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Page 11: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Am 17. Juni 2003, am NationalenGedenktag des Deutschen Vo l-kes, jährte sich zum 50. Mal der

Aufstand in der ehemaligen DDR.

Präsident Ku rt J. Lauk erinnerte andiesem Tage anlässlich der Bu n d e s d e l e-g i e rt e n versammlung und des Wi rt s c h a f t s-tages auch an das 40-jährige Bestehen desWi rtschaftsrates: ,,Die Menschen habensich damals vor die Pa n zer gestellt und ihrLeben für die Freiheit eingesetzt. Wi rhaben diesen – für unser Volk so besonderswichtigen – Tag bewusst gewählt, um das40-jährige Bestehen des WR zu begehen.

Bei der konstituierenden Mi t g l i e d e r-versammlung am 9. Dezember 1963 hatuns Ludwig Er h a rd aufgeford e rt: Di eWirtschaft muss sich in der Politik stärkerGehör verschaffen – und Mi t ve r a n t w o r-tung für eine freiheitliche Ge s t a l t u n gu n s e rer Wi rt s c h a f t s o rdnung übernehmen!In den 40 Ja h ren der Geschichte des Wi rt-schaftsrates sind wir dieser großen He-rausforderung gerecht geworden.

Daher ist es mir eine hohe Ehre, auchim Namen des Präsidiums den ersten Vo r-s i t zenden des WR, unser Eh re n m i t g l i e dund Träger der Lu d w i g - Er h a rd - Ge d e n k-

m ü n ze, Dr. Klaus H. Scheufelen, zubegrüßen. Dr. Scheufelen hat sich um denWR verdient gemacht.

In diesen Dank schließe ich dendamaligen Stellvertretenden VorsitzendenAlphons Ho rten und Dr. Josef Rust ein,die wir in dankbarer Er i n n e rung behalten.Die dankbare Erinnerung gilt auch Man-fred Schäfer als zweitem Vorsitzenden desWR in schwieriger Zeit.

Es ist eine große Eh re und Fre u d e ,meinen Vorgängern im Amt des Präsiden-ten Dr. Philipp von Bismarck, Dr. Heiner

63trendIII. Quartal 2003

Engagement im Dienste der Sozialen MarktwirtschaftKurt J. Lauk: „Herausforderungen gerecht geworden“

40 JahreWirtschaftsrat

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Page 12: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Weiss und Dr. Dieter Murmann für ihrhohes Engagement und ihren Einsatz fürden Wirtschaftsrat zu danken. Dr. Weiss,Dr. Murmann und die in ihrer Zeit mit-entscheidenden Präsidiumsmitglieder ha-ben die schweren Lasten beseitigt, die derWirtschaftsrat zu tragen hatte. Sie habensich als verantwortlich handelnde Unter-nehmer mit besonderem persönlichemEngagement für Freiheit und soziale Ver-antwortung eingesetzt.

Hu n d e rte von Frauen und Männernhaben seit 1963 wichtige ehre n a m t l i c h eAufgaben für den WR erfüllt: im Pr ä s i-dium und Bu n d e s vorstand, in den Lan-d e s verbänden, in den Se k t i o n s vo r s t ä n d e n ,in den Kommissionen und Arbeitsgru p-pen. Ihnen allen gebührt unsere hoheAnerkennung und unser herzlicher Dank.

Wir stehen in der Tradition der Sozia-len Marktwirtschaft, wie sie von LudwigErhard und Alfred Müller-Armack gestal-tet wurde.

Ludwig Er h a rd hat im Wi d e r s t a n dgegen die Na z i - Diktatur Carl Go e rd e l e rzugearbeitet. Gemeinsam konnten sie aufden Denkschriften des ‚Freiburger Kre i s e s’aufbauen, die uns bis heute verpflichten.Ihr Credo war: Die Abkehr von der St a a t s-w i rtschaft und die Ei n f ü h rung einer Wi rt-schafts- und Ge s e l l s c h a f t s o rdnung, die aufder Freiheit des Einzelnen aufbaut sowiedas Privateigentum und den Wettbewerb

bejaht. Dies war die erste maßgeblicheWeichenstellung.

Mit der zweiten Gru n d e n t s c h e i d u n gw u rde die Ei g e n ve r a n t w o rtung der Pe r s o nin den Mittelpunkt gestellt. Die wahreStaatsautorität ist darauf gegründet, dasssie – im Gegensatz zur ideologischen Dik-tatur – den Bürger nicht bevo r m u n d e t ,sondern auf seine Mündigkeit baut.

,Sie muss‘ – wie es von dem Theolo-gen Helmut Thielecke formuliert wordenist – ,auf Ve rtrauen ruhen, statt auf gro ß e r,stummer und blinder Un t e rwe rf u n g . ‘Philipp von Bi s m a rck hat hierfür das Leit-motto geprägt: Freiheit in Ve r a n t w o rt u n g .In der Na c h k r i e g s zeit kam es darauf an,Deutschland vor allem als verantwortlichhandelnden Pa rtner in eine größer we r-dende europäische Gemeinschaft einzu-binden. Alle Völker Eu ropas sollten dieChance erhalten, Frieden, wirt s c h a f t-lichen und sozialen Ausgleich, Wohlstandund Fortschritt zu erreichen.

Wenn wir auf 40 Jahre Wirtschaftsratzurückblicken, so sind wir dankbar für 40Jahre Frieden und Fortschritt. Wollen wirder geschichtlichen Wahrheit gerecht we r-den, so müssen wir auch erkennen, dassunser großes Engagement und unserhoher Einsatz auf allen Ebenen unsere rOrganisation allein nicht ausgereicht hat,unser Land vor der schwersten wirtschaft-lichen Krise zu bewahren.

Wir haben als WR in der Vergangen-heit dramatische Kämpfe geführt undSchlachten geschlagen. Wir haben vieleserreicht und gemäß unserem Auftrag derStimme des Un t e r n e h m e rtums Ge h ö rverschafft. Wir haben aber auch Schlach-ten ve r l o ren: Ich erinnere an unseren mas-s i ven Widerstand gegen die Mi t b e s t i m-mung in den 70er Ja h ren. Wir habenschon damals vorausgesagt, dass damit dieUnternehmenskultur beschädigt und ze n-trale Gewe rkschaftsorgane einen über-g roßen Einfluss gewinnen können, derzur Blockade des Un t e r n e h m e rt u m sführen kann.

Ich erinnere an unsere ständigen War-nungen vor der Explosion der Lohnzu-satzkosten. Im Jahr der Gründung desWR betrugen sie 25 Pro zent, während wirheute auf 43 Pro zent zulaufen.Da m a l shatten wir nur 90.000 Arbeitslose, diesenWinter könnten wir erstmals die Fünf-Millionen-Grenze überschreiten.

Ich erinnere an unsere Fo rd e ru n g e n ,soziale Si c h e rungssysteme ve r s t ä rkt miteiner Kapitalbasis zu unterlegen. Die Pfle-g e ve r s i c h e rung war ein Kampf, der unsnoch allen in Erinnerung ist.

Ich erinnere an unsere Warnungen vo rder Überregulierung des Arbeitsmarktes.

Ich erinnere an unsere Forderung zurSenkung der Lohnfortzahlung im Krank-heitsfall. Bei der Umsetzung sind danna l l e rdings auch einige Un t e r n e h m e ngegenüber den Gewe rkschaften einge-knickt.

Wir können auf unsere Weitsicht stolzsein. Wir können aber keine Freude darü-ber empfinden, dass heute unsere SozialeMa rk t w i rtschaft in der tiefsten Krisesteckt. Seit die CDU 1966 Ludwig Er h a rda b g ewählt hat, sind seine Ideen immermehr ve rk ü m m e rt. Die Aushöhlung derSozialen Ma rk t w i rtschaft hat viele unso-ziale Ergebnisse produziert: hohe Arbeits-losigkeit, nicht mehr finanzierbare Sozial-systeme, eine überhöhte Staatsquote undeinen Haushaltsnotstand, eine hohe Aus-w a n d e rungsquote gut ausgebildeter jun-ger Menschen und deflationäre Te n d e n-zen. Diese unsozialen Ergebnisse entstan-den durch eine Überbetonung des Wortes,sozial‘ und durch eine Un t e r b ewe rt u n gdes Wortes ,Marktwirtschaft‘.“ V

64 trend III. Quartal 2003

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65trendIII. Quartal 2003

Anlässlich des Wi rt s c h a f t s t a g e s2003 und des 40-jährigen Beste-hens des Wirtschaftsrates forderte

Dr. Helmut Kohl eine Rückbesinnung aufdie Gru n d we rte der Sozialen Ma rk t w i rt-schaft.

Der Bundeskanzler a. D. und frühereVo r s i t zende der Christdemokraten danktedem Wi rtschaftsrat ausdrücklich für seineRolle bei der Gestaltung der Wi rt s c h a f t s -und Gesellschaftspolitik in den ve r g a n g e-nen vier Ja h rzehnten seit seiner Gr ü n d u n g1963. „Damals wie heute sind die Mi t g l i e-der des Wi rtschaftsrates davon überze u g t ,dass es für unser Land wichtig ist, wenn sichder Unternehmer als Bürger und Patriot inder Gesellschaft engagiert, nicht zuletzt inder Politik“, sagte Ko h l .

„ Ich finde es gut, dass sich über die Ja h r-zehnte viele Unternehmer in diesem Landi h rer Mi t ve r a n t w o rtung für unsere So z i a l -und Wi rt s c h a f t s o rdnung bewusst sind.“

Re g i e rung und Parlament könnten vo mRat der Unternehmer nur pro fit i e re n ,betonte Kohl. Er sei dem Wi rt s c h a f t s r a td a n k b a r, dass er als ein „wichtiger Sp re c h e rdes unternehmerischen Sa c h verstandes inu n s e rem Land“ arbeite. „Wir brauchen ihnheute nötiger denn je“, unterstrich Ko h l .Der Wi rtschaftsrat habe sich seit seinerGründung immer klar zur Sozialen Ma rk t-w i rtschaft im Sinne Ludwig Er h a rd sbekannt. Auch die CDU habe sich immerals Pa rtei der Sozialen Ma rk t w i rtschaft ve r-standen.

Kohl würdigte in diesem Zu s a m m e n-hang insbesondere die Arbeit des ehemali-gen Ersten Vo r s i t zenden des Wi rt s c h a f t s r a-tes, Klaus Scheufelen: „Wie viele andere imersten Ge s a m t vorstand war er selbst Un t e r-n e h m e r. Das gilt auch für Alphons Ho rt e nund Josef Rust, beide St e l l ve rt reter imWi rtschaftsrat“, erinnerte Kohl. In beson-d e rer Weise in der Politik aktiv gewe s e nseien überdies Franz Et zel, der Bu n d e s-

finanzminister unter Bundeskanzler Ko n-rad Adenauer (1957-1961) und Ku rtS c h m ü c k e r, von 1963 bis 1966 Bu n d e s-w i rtschaftsminister unter Bu n d e s k a n z l e rLudwig Er h a rd.

Gleichermaßen würdigte Kohl die Vo r-s i t zenden des Wi rtschaftsrates Philipp vo nBi s m a rck (1969-1983) und Dieter Mu r-mann (1988-2000). „Ich nutze gerne dieGelegenheit, Herrn Murmann und He r r nvon Bi s m a rck noch einmal für allen Ratund alle Hilfe sowie für die gute Zu s a m-menarbeit zu danken“, sagte Ko h l .

Be s o n d e rer Dank des ehemaligen Bu n-deskanzlers erging zudem an Rüdiger vo nVoss. „Er ist seit diesen Tagen genau zwan-zig Ja h re Bu n d e s g e s c h ä f t s f ü h rer bez i e-h u n g s weise Ge n e r a l s e k retär des Wi rt-schaftsrates. Er ve rk ö r p e rt in guter We i s edie Kontinuität des Verbandes“, sagte Ko h l .Von Voss habe den Wi rtschaftsrat in denvergangenen beiden Ja h rzehnten zu einer

Gratulation zum Jubiläum

Regierung und Parlamentkönnen vom Rat der Unternehmer nur profitierenHelmut Kohl: „Es geht um Freiheit und Verantwortung“

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straffen und einflu s s reichen Or g a n i s a t i o nausgebaut. ,,Wenn ich von Treue und Ve r-lässlichkeit spreche, muss ich mit besonde-rem Na c h d ruck und in großer Da n k b a rk e i tRüdiger von Voss erwähnen. Er ist einGlücksfall für unsere Pa rtei und für denWi rtschaftsrat in diesen 20 Ja h ren gewe s e nund ich hoffe, das bleibt so. “

Kohl ve rwies ferner auf die theore t i-schen Vorarbeiten Alfred Müller-Armacksund das Ei n t reten des Wi rtschaftsrates fürdie Soziale Ma rk t w i rtschaft. „Alfred Mül-ler-Armack ist der eigentliche Schöpfer desBegriffs und hat den kommenden Ge n e r a-tionen wichtige We g weisungen für dieZukunft hinterlassen“, sagte Kohl. „Müller-

Armack war Ludwig Er h a rds We g g e f ä h rt ein einer entscheidenden Zeit“, betonteKohl. Sein Ziel sei es gewesen, die Po s i t i o-nen der katholischen So z i a l l e h re, der eva n-gelischen Sozialethik und Teile der libera-len und sozialen Bewegung zu versöhnen.

Kohl erinnerte daran, dass in den Au f-b a u j a h ren der Bu n d e s republik auch derEi n fluss der Freiburger Schule und ihre rProtagonisten Walter Eucken und Fr a n zBöhm zu spüren gewesen seien. „Leiderw i rd sich heute zu wenig an diese Wu rze l ne r i n n e rt“, bedauerte Kohl. Ludwig Er h a rdhabe die Ideen Böhms, Euckens und Mül-ler-Armacks weiter entwickelt. „Er wurd eschließlich zur Pe r s o n i fikation der So z i a l e n

Ma rk t w i rtschaft in Deutschland und derWelt“, sagte Kohl. „Ich wünsche mir, dassim Wi rtschaftsrat und auch in der CDU dieEr i n n e rung an diese gro ß a rtigen Männer,die wirkliche Denker für die Zu k u n f tw a ren, erhalten bleibt!“ betonte Ko h l .Einige der Wu rzeln liefen bereits Ge f a h r,verschüttet zu we rden, warnte er.

Die Gedanken Ludwig Er h a rds seienindes heute aktueller denn je. Eine „sozialve r p flichtende Ma rk t w i rtschaft“ bedeutetenach den Wo rten Kohls insbesondere, „dasssie das Individuum zur Geltung kommenlässt, dass sie den We rt der Pe r s ö n l i c h k e i toben anstellt, und dass sie der Leistung denve rdienten Ertrag zukommen lässt“.

Dies sei eine klare Absage an jeglicheLenkungs- und Pl a n w i rtschaft, sagte Ko h l .Im Vo rd e r g rund gestanden habe bei Er h a rddas Prinzip der Freiheit in Ve r a n t w o rt u n g ,des We t t b ewerbs und des sozialen Au s-gleichs für die Schwächeren. „Das ist nochheute unsere Vorstellung von einer mensch-lichen Gesellschaft“, betonte Ko h l .

Die CDU habe sich immer zum Pr i n-zip der Sozialen Ma rk t w i rtschaft bekannt,sich aber gegen einen „puren Ma n c h e s t e r -Kapitalismus“ gewendet. „Und ich habe nieVerständnis dafür gehabt, wenn mit kalterMimik allein nach der Entwicklung derA k t i e n m ä rkte und des Sh a reholder Va l u e sgeschaut wird“, unterstrich der frühereRe g i e ru n g s c h e f. „Wenn wir für mehrEi g e n ve r a n t w o rtung und We t t b ewerb ein-t reten, dann nicht als Se l b s t z weck, sondernum einen Beitrag zur Zukunft der Me n-schen zu leisten. Es geht um ihr wirt s c h a f t-liches und soziales Wo h l e r g e h e n . “

Der Wi rtschaftsrat habe sich in den ve r-gangenen 40 Ja h ren immer klar zur So z i a l e nMa rk t w i rtschaft im Sinne Ludwig Er h a rd sbekannt. „Und er hat durch viele seiner he-rausragenden Persönlichkeiten ganz we s e n t-lich dazu beigetragen, dass auch die CDUganz selbstverständlich die Pa rtei der So z i a-len Ma rk t w i rtschaft wurde“, sagte Kohl.

In den vergangenen Ja h rzehnten hät-ten Politiker aller Couleur von der Arbeitdes Rates pro fit i e rt. „Das Mo t i v, das die 34Persönlichkeiten hatten, die 1963 denWi rtschaftsrat gegründet haben, ist nochheute hochaktuell“, betonte Kohl. „De n nwir stehen heute in der Ge f a h r, die Idee derSozialen Ma rk t w i rtschaft auszuhöhlen“,

66 trend III. Quartal 2003

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Page 15: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

warnte das neue Eh renmitglied des Wi rt-schaftsrates. Mit der Gründung des Wi rt-schaftsrates habe das In t e resse der Un t e r-nehmer an der Mitgestaltung der Po l i t i kund des öffentlichen Lebens gestärkt we r-den sollen. „Und mehr als heute war esfrüher beste Un t e r n e h m e rtradition, dasssich Kaufleute, Industrielle und Ha n d we r-ker bemühten, ihren Beitrag zum Wo h lder Allgemeinheit zu leisten“, sagte Ko h l .„ Und wer aufmerksam in die Welt derDeutschen hineinschaut, weiß, dass wirdiesen Sa c h verstand heute nötiger brau-chen denn je.“ Heute wie damals gehe esum Freiheit in Ve r a n t w o rtung. „Für uns ist

die Freiheit keine Gnadengabe des St a a t e s ,und schon gar nicht eine Ermächtigung zuschrankenlosem Egoismus“, sagte Ko h l .„ Wir stehen für die Freiheit des Ei n ze l n e n ,die in Ve r a n t w o rtung für den Nächstengelebt wird.“

Kohl betonte, er sei dankbar, „dass dieFrauen und Männer des Wi rt s c h a f t s r a t e sder CDU in den vergangenen Ja h rze h n t e ndie gro ß a rtige Idee der Sozialen Ma rk t w i rt-schaft kämpferisch ve rt reten haben“. Un der sei gleichfalls dankbar, dass diese Fr a u e nund Männer sich immer für die deutscheEinheit und den Bau des Hauses Eu ro p a

s t a rk gemacht hätten. „Ich wünsche mir,dass der Wi rtschaftsrat auch in den kom-menden Ja h rzehnten mit Überzeugung derSozialen Ma rk t w i rtschaft treu bleibt“, sagteKohl. Vor allem aber auch, dass er mit sei-nem Sa c h verstand und seinen Erf a h ru n g e ndie Politik unterstütze.

„ Und ich wünsche mir, dass sich derWi rtschaftsrat in der Öffentlichkeit auch inZukunft überzeugend zu Wo rt meldet“,betonte Kohl. Deutschland stehe vo rg roßen He r a u s f o rd e rungen: „Aber ich binz u versichtlich, dass wir die Au f g a b e ngemeinsam lösen we rd e n ! “ V

67trendIII. Quartal 2003

Der Wi rtschaftsrat der CDU e.V.hat anlässlich seiner Bu n d e s d e l e g i e rt e n-versammlung und des Wi rt s c h a f t s t a g e s2003 Bundeskanzler a. D. Dr. He l m u tKohl zu seinem Eh renmitglied beru f e nund ihn mit der „Lu d w i g - Er h a rd -Ge d e n d k m ü n ze in Gold“ ausgeze i c h-n e t .

Der Präsident des Wi rt s c h a f t s r a t e s ,Pro f. Dr. Ku rt J. Lauk, erk l ä rte in sei-ner Laudatio: „Zieht man eine histori-sche Bilanz, dann bezeugen wir mit derEh rung einem Staatsmann Respekt, dervon den europäischen Staaten zumEh renbürger Eu ropas ernannt wurd e .Wir ehren einen Staatsmann, der in derdeutschen und europäischen Ge-schichte seinen Platz gefunden hat alsherausragender Mitgestalter des eu-ropäischen Ei n i g u n g s p ro zesses und alsKanzler der deutschen Wi e d e rve re i n i-gung.“

Die überaus kluge Politik He l m u tKohls sei geprägt worden von Maß undZu verlässigkeit, von außen- und sicher-heitspolitischer Kalkulierbarkeit undBe s t ä n d i g k e i t .

Lauk: „Helmut Kohl hat die Fu n d a-mente für Freiheit, Demokratie undRechtsstaat gestärkt. Diese Fu n d a-mente haben Deutschland zu einerwe l t weit anerkannten Position geführt .Helmut Kohl hatte in seiner Re g i e-ru n g s zeit stets eine Vision für die

Zukunft Eu ropas. Die Vision vom Eu roist bereits Realität – und hat enormeÄ n d e rungen in Eu ropa auf den We ggebracht. Der Eu ro hat eine große wirt-schaftliche Dynamik ausgelöst. Bis heu-te ist kein we i t e rer derartiger Anstoßf o r m u l i e rt word e n . “

Ludwig-Erhard-Gedenkmünze in Goldund EhrenmitgliedschaftBundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl ausgezeichnet

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Page 16: trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 2003

Die Bu n d e s re g i e rung hat unser Landin die außenpolitische Is o l a t i o nund das wirtschaftliche Ab s e i t s

g e f ü h rt. Seit Monaten wird die innerpar-teiliche Auseinandersetzung in der SPDund mit den Gewe rkschaften auf Ko s t e nder Bürger und Unternehmen ausgetra-gen. Wir haben Feuer unter dem Da c h .Unser Land ist im freien Fall. Die Agenda2010 stoppt diesen Fall nicht. Immer häu-figer entsteht der Ei n d ruck, dass die Re g i e-rungskoalition den Überblick ve r l o ren hat.

Nicht Ro t - Grün re g i e rt, sondern dieFakten diktieren die Politik. Ro t - Gr ü n

hetzt von Notoperation zu Notoperation– ohne ganzheitliches Ko n zept für denPatienten. Nach wie vor flüchten unserePolitiker vor unbequemen Wa h r h e i t e n .Weder die „Agenda 2010“ noch die Vor-schläge der Opposition reichen bisherauch nur annähernd aus, um De u t s c h l a n dwieder zu einem wachstums- und beschäf-tigungsstarken Land zu machen.

In Deutschland echte Re f o r m e nd u rc h z u s e t zen ist mittlerweile schwieriger,als auf dem Mond zu landen. „Brüder, zurWahrheit!“ – so der Appell des Vorsitzen-den der Lu d w i g - Er h a rd - Stiftung an die

Adresse der sozialdemokratisch geführtenBundesregierung.

Grund genug für ehrlicheBestandsaufnahme

Wir haben allen Grund für eine ehrli-che und ungeschönte Bestandsaufnahme:

L Obwohl es für den Wohlstand allerauf mehr we t t b ewerbsfähige Arbeits-p l ä t ze ankommt, räumen wir dieA r b e i t s m a rktblockaden nicht ent-schlossen genug aus dem Weg.

L Statt die Leistungskraft von Bürgernund Unternehmen mit niedrigen undeinfachen Steuern zu stärken, reißt derStaat immer mehr Aufgaben an sich,bevormundet die Bürger und produ-ziert dabei Rekordschulden.

L Obwohl die Sozialsysteme kollabie-ren, weil unsere Gesellschaft zuneh-mend älter und kinderärmer wird ,fehlen Mut und Überze u g u n g s k r a f t ,die Menschen für eine re c h t ze i t i g eEigenvorsorge zu gewinnen.

L Und schließlich: Statt durch mehr Bi l-dung und In n ovationen in die Zu-kunft junger Menschen zu inve s t i e re n ,lassen wir zu, dass mit unseren bestenKöpfen auch die Forschungsstandortezunehmend ins Ausland abwandern.

Widersprüche und Politikverdrossenheit

Es sind vor allem diese Widersprüche,die für die wachsende Po l i t i k ve rd ro s s e n-heit verantwortlich sind. Immer häufigerwe rden wir im Ausland gefragt: Wa n nübernehmen eure Politiker wiederF ü h ru n g s ve r a n t w o rtung? Von allen Se i t e nw i rd geford e rt: Wir wollen De u t s c h l a n dals den Partner wiederhaben, wie wir ihnvon früher kennen. Expertengremien undRunde Tische sind kein Ersatz für dasHandeln der gewählten Vo l k s ve rt re t e r.Der fehlende Mut für schwierige politi-sche Entscheidungen geht einher mit

68 trend III. Quartal 2003

Bundesdelegierten-Versammlung 2003

Wir haben Feuerunter dem DachGezielte Aushöhlungdemokratischer Institutionen

Kurt J. Lauk

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einer gezielten Aushöhlung demokra-tischer Institutionen. In t e n s i ver als jezuvor hat sich der WR deshalb im letztenJahr dafür eingesetzt, Bu n d e s re g i e ru n gund Union zu eigenen Reformkonzeptenzu treiben.

„Reformmotor der Union“Be reits im Fe b ruar 2002 haben wir die

„10 Leitlinien zur Erneuerung der Wirt-schafts-, Finanz- und Sozialpolitik“ vo r g e-legt. Diese Fo rd e rungen wurden durc hdas 20-Pu n k t e - Programm des Sa c h ve r-ständigenrates im November 2002 nahez uvollständig übernommen. Nicht nur dasHandelsblatt hat uns zu unserer Initiativegratuliert: „Wirtschaftsrat als Reformmo-tor der Union.“ Auf große Resonanz tra-fen darüber hinaus:

L unsere „Reformagenda Soziale Markt-wirtschaft“ vom Juni 2002,

L die Fo rd e rungen für ein Re g i e ru n g s-programm zur 15. Legislaturperiode

L und unsere „7 Punkte für den Au f-schwung“ vom Dezember 2002.

An vielen Stellen haben wir damit diepolitischen Programme der Pa rt e i e nb e e i n flusst. Wir wissen aber auch: We i t e remassive Anstrengungen sind erforderlich,um die tatsächliche Umsetzung durc h-greifender Reformen zu erreichen.

Reformbausteine Für die zentralen Handlungsfelder lie-

gen bereits konkrete Reformbausteine desWR vor:

L Unser Ge s u n d h e i t s re f o r m - Ko n ze p t„ Statt rot-grüner Staatsmedizin: Mi tmehr Ei g e n ve r a n t w o rtung aus der Be i-tragsfalle“ haben wir im Oktober 2002p r ä s e n t i e rt. Die Pre s s e resonanz hat esauf den Punkt gebracht: „Wi rt s c h a f t s-rat macht der Union die Hölle heiß!“

L Im Februar fand unser Bundessympo-sion zur Steuerpolitik statt. Wir hat-ten mit 400 Gästen gerechnet – über-wältigende 1.500 Unternehmer undPolitiker haben teilgenommen. De rAnlass war die Vorlage unseres „Fi-nanzpolitischen Pe r s p e k t i v k o n ze p t s2003 bis 2010“ unter dem Leitmotto:Weniger Steuern, weniger Staat,weni-ger Schulden. Friedrich Me rz undAngela Merkel haben öffentlich zuge-sagt, dass unser Modell die Grundlage

69trendIII. Quartal 2003

Rückführung der Staatsquote –Programm für mehr Wohlstand

für einen eigenen St e u e r re f o r m vo r-schlag wird. Die Union wird noch indiesem Jahr ihr Ergebnis vorlegen. Fürden WR ist das ein besonderer Erfolg:Die Op p o s i t i o n s p a rteien sollten sichnämlich nicht auf die Kritik an Regie-ru n g s e n t w ü rfen beschränken, sonderneigene Vorschläge präsentieren.

Zugleich haben wir bis in die letztenStunden hinein mit Friedrich Me rzüber das St e u e rerhöhungspaket derBundesregierung beraten.

Letztlich ist es gelungen, 36 von ur-sprünglich 48 St e u e rerhöhungen dessogenannten St e u e rve r g ü n s t i g u n g s -Abbaugesetzes zu stoppen.

Manifest gegen den Zukunftspessimismus

Zum ersten Mal haben das Präsidiumund die Vo r s i t zenden aller Bu n d e s f a c h-kommissionen für den Wi rt s c h a f t s t a g2003 ein gemeinsames Manifest des Wi rt-schaftsrates vorgelegt. Über 500 Un t e r-nehmer und Ab g e o rdnete aus den Bu n-desfachkommissionen haben daran mit-gewirkt. Das Motto lautet ganz bewusst:,,12 Prioritäten für Deutschlands Wi e d e r-aufstieg zur erf o l g reichen Wi rt s c h a f t s n a-

tion“. Wir wollen damit auch verhindern,dass sich die Menschen vom Zu k u n f t s-pessimismus der Bundesregierung immermehr anstecken lassen.

Elementare Zusammenhängenicht erkannt

Bundeskanzler Schröder hat auf denRe g i o n a l k o n f e re n zen zur ‚Agenda 2010’allen Ernstes erk l ä rt: ,,Die Zeiten desWachstums sind vorbei.“

Hier sind elementare wirt s c h a f t l i c h eZusammenhänge nicht erkannt. Es isteine Schande, dass ein führendes Indust-rieland von wirtschaftlichen Di l l e t a n t e ngeführt wird, denen die großen Industrie-verbände auch noch Beifall klatschen,wenn sie unzureichende Reformen an-kündigen. Heute spendet die GesellschaftBeifall für Mi n i m a l p rogramme und be-straft mit Anerkennungsentzug diejeni-gen, die den Mut zur Wahrheit haben.

Es zeigt sich heute, dass die Empfeh-lungen des WR dort, wo sie nicht verhalltsind, den Geist Ludwig Erhards als Wirt-schaftskompetenz der Union gefestigt undweitergetragen haben. Lassen Sie mich diewichtigsten Punkte in fünf Reformthesenzusammenfassen und begründen:

Eine hohe Staatsquote erstickt jedesdynamische Wachstum. Alle Länder mithohen Staatsquoten beweisen dies täglich.Deutschland gehört dazu. Der Rückzugdes Staates ist kein Schre c k e n s s zenario mitder Folge öffentlicher Armut, sondern einFi t n e s s p rogramm für mehr Wo h l s t a n d !Gerade weil bereits jeder zweite Eu rod u rch die Hände des Staates geht, bekom-men wir die Staatsschulden nicht in denGr i f f. Die Bu n d e s re g i e rung will uns Gl a u-ben machen, das neue Haushaltsloch vonüber 20 Mi l l i a rden E sei von einem Ta gauf den anderen über uns gekommen.

Bundesbankpräsident Welteke hat dieWahrheit auf den Punkt gebracht: Ur s a c h efür den Anstieg der Ha u s h a l t s d e fizite ist –anders als vielfach behauptet – kein Kaputt-s p a ren, sondern eine exze s s i ve Ha u s h a l t s-politik nicht nur beim Bund, sondern auch

bei vielen Ländern. Aber anstatt nun end-lich reinen Tisch zu machen, beschließt dieRe g i e rung eine „Agenda 2010“, die aufvollständig überholten Ha u s h a l t s z a h l e nb a s i e rt und keinerlei Ko n s o l i d i e ru n g s k o n-zept enthält. Gift sind erst recht die ständi-gen St e u e rerhöhungsdebatten – von derWi e d e rerhebung der Vermögensteuer bishin zur Heraufsetzung der Me h rwe rt s t e u e rb z w. der Ei n f ü h rung einer Au s b i l d u n g s a b-gabe. Ein Land auf der Kippe zur Reze s s i o nd a rf keine Steuern erhöhen!

Der WR spricht sich vielmehr nach-drücklich für ein Haushaltssicherungsge-setz und ein Sparkonzept zur dauerhaftenSanierung der Staatsfinanzen aus.

Wir müssten unverzüglich Ausgaben-kürzungen von über 20 Milliarden E aufden Weg bringen,

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rufe Ihnen zu – Ihre Vetozeit ist abgelau-fen! Deutschland sollte sich endlich ausder Geiselhaft der Gewe rk s c h a f t e nb e f reien! Auch die CDU hat ihre nGewerkschaftsflügel, der blockiert. Dieserist zwar bei weitem nicht so stark wie beider SPD, aber er ist stark genug, um dieCDU an der Mehrheitsfähigkeit für klarew i rtschaftspolitische Fo rtschritte zu hin-dern.

L Das gilt auch für den Kündigungs-schutz.

Unter 18 OECD-Ländern haben nurdie Niederlande einen noch höhere ngesetzlichen Schutz als wir! Diese Einstel-l u n g s h ü rden müssen endlich fallen! De rvolle Kündigungsschutz sollte generell erstin Betrieben mit mehr als 20 Mi t a r b e i t e r ngelten! Darüber hinaus sollten die Unter-nehmen mit ihren Arbeitnehmern bereitsbei der Anstellung folgende Option ve r-e i n b a ren können: Verpflichtet sich derA r b e i t n e h m e r, auf eine Kündigungs-schutzklage zu ve rzichten, so hat er imGegenzug Anspruch auf die zuvor verein-barte Abfindung.

L Arbeit muss sich in De u t s c h l a n dwieder lohnen!

Tatsache ist: Es gibt bei uns zu vieleTr a n s f e re m p f ä n g e r, die in Ab h ä n g i g k e i tvom Familienstand ein höheres Einkom-men haben als ve r g l e i c h b a re Arbeitneh-mer im Niedriglohnbereich. Warum soll-ten diese Menschen eine Arbeit anneh-men? Für neue Arbeitsanre i ze brauchenwir dringend die tatsächliche Zusammen-legung der Arbeitslosenhilfe und So z i a l-hilfe, und zwar auf dem Ni veau der So z i a l-hilfe. Erwerbsfähige, die ein Arbeitsange-bot ablehnen, sollen künftig 30 Pro ze n tweniger Sozialhilfe erhalten. Bei fort g e-setzter Arbeitsverweigerung ist die Sozial-hilfe völlig zu streichen.

L Das Arbeitslosengeld sollte – wieinternational üblich – für alle Arbeits-losen auf zwölf Monate begrenzt sein.

Aktuelle Vo rw ü rfe zur Be n a c h t e i l i-gung älterer Arbeitnehmer übersehen: Di eA r b e i t s l o s e n ve r s i c h e rung ist allein dazuda, die Zeit zur nächsten Beschäftigung zuüberbrücken – und nicht, um die Fr ü h-ve r rentung zu finanzieren. Aber geradeh i e rzu lädt das Arbeitslosengeld von bis zu

L um die Haushalte aus der Ve rf a s-sungswidrigkeit zu führen

L und die De f i z i t - Gre n ze der Eu ro p ä i-schen Stabilitätspakts zumindest imkommenden Jahr wieder deutlich zuunterschreiten.

Dazu gehören konkret:

L Einschnitte bei der Bundesanstalt fürArbeit von mindestens zehn Mi l l i a r-den E;

L ein Subventionsabbau in der Größen-ordnung von 15 Milliarden E sowie

L der Abbau von Ge m e i n s c h a f t s a u f g a-ben und die Eindämmung der öffent-lichen Verschwendung – Einsparvolu-men insgesamt sechs Milliarden E imJahr.

Es ist völlig inakzeptabel, dass Bu n-desfinanzminister Eichel vom versproche-nen Haushaltsausgleich bis 2006 abrückt.Das ist der falsche Abschied! Ohne Haus-haltsdisziplin gibt es keine Rückkehr zumWachstum. Der Ko n s o l i d i e ru n g s d ru c kfür alle öffentlichen Haushalte muss euro-p a weit erhalten bleiben. Das darf aller-dings nicht auf Kosten der dringend not-wendigen Entlastung von Bürgern undUnternehmen gehen.

Der WR hat in seinem steuerpoliti-schen Re f o r m k o n zept Ko n s o l i d i e ru n g s-

d ruck und Entlastung für Bürger und Un-ternehmen intelligent zusammengeführt .Wir halten daran fest und raten der Un i o n ,es alsbald zu übernehmen. Es ford e rt :

L die Abschaffung und nicht die von derBu n d e s re g i e rung geford e rte Er h ö-hung der Gewerbesteuer.

L Zur Si c h e rung der Ko m m u n a l f i n a n-zen setzen wir auf ein Zuschlagsrechtzur Einkommen- und Körperschaft-steuer.

L Zweiter Kernbestandteil ist ein St u-f e n k o n zept für eine neue Ei n k o m-m e n s t e u e r reform. Bis 2006 wollen wirdie Gesamtsteuerbelastung auf maxi-mal 34 Pro zent und die Ei n g a n g s b e-lastung auf nur noch 10,5 Pro ze n tsenken.

Damit erreichen wir:

L eine international we t t b ewe r b s f ä h i g eUnternehmensbesteuerung;

L eine erhebliche St e u e rve re i n f a c h u n gund

L deutliche Steuerentlastungen für brei-te Bevölkerungsschichten.

Unternehmen und Bürger werden inder Endstufe um 40 Milliarden E im Jahrentlastet.

70 trend III. Quartal 2003

Arbeitsmarkt: WR fordertDezentralisierung der Tarifpolitik

Es ist unsere feste Überzeugung: Ke i n eder Volksparteien geht bei den Reformenauf dem Arbeitsmarkt weit genug! Na c hmonatelangen Debatten sind die von derHa rt z - Kommission vo r g e s c h l a g e n e nKonzepte in einer völlig unzureichendenForm umgesetzt worden.

L Statt 300.000 angekündigter Ich-AGsrechnet die Regierung jetzt selbst nurnoch mit 50.000!

L Der so oft gepriesene „Jo b - Fl o a t e r “hat auch durch seine Na m e n s ä n d e-rung nicht an Attraktivität gewonnen:Nur 3.000 Unternehmen nutzen dasneue Programm „Kapital für Arbeit“ –Ziel waren aber 50.000!

Diese Misserfolge sollten allen Anlassdazu geben, mutige Reformen zügig um-z u s e t zen – die aktuellen Ko n zepte von Re-g i e rung und Opposition bleiben jedochvöllig unzureichend. Was erw a rten wirvon den Volksparteien?

L Mi t t l e rweile ford e rt zwar jedes Ar-b e i t s m a rk t k o n zept betriebliche Bünd-nisse für Arbeit.

Näher betrachtet handelt es sich abermeist um einen Etikettenschwindel –denn die Gewerkschaften sollen sich nachwie vor gegen die In t e ressen der Be l e g-schaft bei der Schaffung von Arbeitsplät-zen querlegen können. Meine He r re nFu n k t i o n ä re von den Gewe rkschaften: Ic h

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zahler auf einen Rentner. Durch Kinder-mangel und zunehmende Lebenserw a r-tung laufen wir in Deutschland bis 2045auf ein Verhältnis von eins zu eins zu.

Zweitens: In den 70er Ja h ren betrug died u rchschnittliche Lebensarbeitszeit noch42 Ja h re, heute sind es vier Ja h re we n i g e rund das, obwohl sich unsere Lebenserw a r-tung um zehn Ja h re erhöht hat.

Drittens: Der Ab s o l vent einer deut-schen Hochschule ist heute knapp 30Ja h re alt und geht mit 60 in Rente. Be ieiner Lebenserwartung von 80 Jahren ste-hen damit 30 Ja h ren Be rufstätigkeit 50Jahre Transferleistungen gegenüber.

Diese Beispiele zeigen ganz klar: Ei nallein umlagefinanziertes Re n t e n s y s t e mw i rd nicht länger funktionieren. Um sou n verständlicher ist, dass Mitglieder derR ü ru p - Kommission und die Gewe rk-schaften Selbstständige und Beamte ge-rade in dieses Um l a g e ve rf a h ren hinein-zwingen wollen. Auch Kapital- und Miet-einkünfte sollen künftig in dieses zu-kunftslose Kollektivsystem einbezo g e nwe rden. Ein solcher Weg ist schlichtwe gve r a n t w o rtungslos. Zu Recht urteilt unserf r ü h e rer Bundespräsident Roman He rzo g :

„Wer den Bürgern verspricht, kapital-gedeckte Ergänzungen der solidarischenSi c h e rungssysteme seien ve rz i c h t b a r, derist entweder dumm oder er sprichtbewusst die Unwahrheit.“

Zur Si c h e rung des Lebensstandard sim Alter kommen wir an mehr und recht-

In kaum einem anderen Land derWelt ist der Sozialstaat so stark ausgebautwie bei uns. Tro t zdem scheut die Po l i t i kd a vor zurück, den Menschen die Wa h r-heit zu sagen, dass wir unabweisbare Ein-schnitte brauchen, um die Basis unsere rsozialen Sicherung zu erhalten.

Wann endlich verabschieden sich dieVo l k s p a rteien von der über viele Ja h r-zehnte gehätschelten Lebenslüge, dass wiru n s e ren Lebensstandard im Alter alleinmit der gesetzlichen Rente halten können?Zu viele Menschen glauben immer noch,unsere gesetzliche Rentenversicherung seiein Sparkonto, bei dem sie die Einzahlun-gen im Alter mit Zins und Zi n s e s z i n szurückbekommen.

Wahr ist: Das Um l a g e ve rf a h ren dergesetzlichen Rentenversicherung lebt vonder Hand in den Mund. Jeder von dena k t i ven Arbeitnehmern eingezahlte Eu rowird sofort wieder an die Rentner ausge-zahlt. Schon heute muss der Bund 30 Pro-zent seines Haushaltes zusätzlich für dieRente verwenden – also 70 Milliarden Eim Ja h r. Wenn es nicht zu Re f o r m e n

kommt, werden es in wenigen Jahren 80Pro zent des Bundeshaushaltes sein. LassenSie mich die dramatische Schieflage unse-res Rentensystems an drei Be i s p i e l e nerläutern:

Erstens: Bei der Ko n z i p i e rung dergesetzlichen Re n t e n ve r s i c h e rung in den50er Ja h ren kamen noch acht Be i t r a g s-

32 Monaten ein. Die Folge ist: InDeutschland arbeiten nur noch 40 Pro-zent der 55- bis 65-Jährigen! In Däne-mark und den USA sind es 60, in Schwe-den sogar 70 Prozent.

Alle Umfragen zeigen uns, das unsereSt a n d o rtdefizite vor allem in den Be re i-chen Steuern, Abgaben und Überbüro-kratisierung des Arbeitsmarktes liegen. Inletzter Zeit wird ein we i t e rer Be re i c himmer häufiger genannt: die deutscheMitbestimmung.

Wir alle wissen aus der täglichen Pra-xis: Unternehmen können nur gemein-sam mit ihren Mitarbeitern erf o l g re i c hsein.

Doch in keinem anderen Land derWelt ist die Mitbestimmung so ineffizientwie bei uns. Nirgendwo sonst könnenexterne Gewerkschaftsfunktionäre in denAufsichtsräten betriebliche En t s c h e i d u n-

gen so behindern. Mit der neuen Europa-AG wird es ab Oktober 2004 nochschlimmer:

W ä h rend Gesellschaften mit deut-scher Beteiligung weiter der paritätischenMitbestimmung unterliegen, können aus-ländische Eu ro p a - AG s mit Sitz inDeutschland mitbestimmungsfrei agie-ren. Für eine moderne Corporate Gover-nance brauchen wir:

L eine Wa h l f reiheit auch für deutscheUnternehmen, sich gegen paritätischbesetzte Aufsichtsräte zu entscheiden,sowie

L eine Option, auf die strikte Trennungzwischen Vorstand und Au f s i c h t s r a tzu verzichten.

Zugleich sollten unsere Au f s i c h t s r ä t eauf die Hälfte verkleinert und die jüngsteNovelle des Be t r i e b s ve rf a s s u n g s g e s e t ze szurückgenommen werden.

71trendIII. Quartal 2003

Unabweisbare Einschnitte zurErhaltung sozialer Sicherung

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zeitiger Privatvorsorge nicht vorbei. Es istdeshalb völlig inakzeptabel, dass die Bun-d e s re g i e rung die Überprüfung der Ries-t e r rente und der Rentenformel auf dasJahr 2005 hinausschiebt.

Nach Auffassung des WR sollte noch2003 eine neue Rentenreform im Gesetz-buch stehen. Kernelemente sind:

L ein gesetzlicher Rentenbeitrag vo ndauerhaft unter 20 Pro zent; 23 Pro-zent sind zu hoch und lassen denMenschen zu wenig Spielraum für ihrePrivatvorsorge.

L Die Kapitaldeckung ist auf mindes-tens 40 Pro zent der Alterseinkünfteauszubauen. Diesem internationalen

St a n d a rd sollten wir uns auch inDeutschland nicht mehr verschließen.

L Das Eintrittsalter für die volle Re n t esollte schrittweise auf 67 Ja h re an-gehoben we rden. Te u re Vo r ru h e-standsmodelle und eine dadurc hwachsende Belastung der aktiven Be i-tragszahler können wir uns nicht län-ger leisten.

Im Herbst diesen Ja h res wird derWirtschaftsrat ein durchgerechnetes Kon-zept für eine neue Re n t e n reform vorlegen.

Die dramatische Alterung der deut-schen Be v ö l k e rung belastet auch unserGe s u n d h e i t s wesen sogar zweifach. Di eFakten sind eindeutig:

L die aktiven Beitragszahler we rd e nimmer weniger,

L zugleich verdoppelt sich bis 2040 derAnteil der über 65-Jährigen – in die-sem Alter steigen die Gesundheitskos-ten auf das Fünffache.

Hierauf gibt die Bundesregierung bis-lang keine Antworten. Im Gegenteil: IhreGe s u n d h e i t s reform läuft bislang in dievöllig falsche Richtung:

L Erhöhung der Tabaksteuer – ändertnichts an der Ineffizienz der Gesund-heitsversorgung.

L Eine neue Regulierungsbehörde wür-de zur Bevormundung der Leistungs-erbringer führen – statt den We t t b e-werb zu intensivieren.

L Zudem sind Wahltarife und Selbstbe-teiligungen notwendig. Sie sind unsnoch von Bundeskanzler Schröder imMärz versprochen worden.

Wir können die Union nur darin bestär-ken, sich beim we i t e ren parlamentarischenVe rf a h ren auf keine faulen Ko m p ro m i s s eeinzulassen – weder im Bundestag noch imBundesrat. Der Wi rtschaftsrat setzt sichstattdessen für eine grundlegende Um s t e l-lung unseres Ge s u n d h e i t s wesens ein.

Hierzu gehören:

L der Einstieg in die kapitalgedeckteEigenbeteiligung – zehn Pro zent bis2010 und 30 Prozent bis 2030;

L die Ei n f ü h rung sozialve rt r ä g l i c h e rSelbstbehalte bis zu 500 E im Jahr;

L die private Absicherung von Freizeit-unfällen, des Za h n b e reichs und desKrankengeldes;

L mehr We t t b ewerb bei Ärzten, Ap o-theken, Kassen und Krankenhäusern.

In der Union hat es nach der Vo r l a g eu n s e res Ko n zeptes im Oktober 2002 einespannende Debatte gegeben. Wir könnenes als Fo rtschritt verbuchen, dass sich dieSp i t ze der Bundestagsfraktion inzwischenzur schrittweisen Abkopplung der Kran-k e n ve r s i c h e rung vom Be s c h ä f t i g u n g s ve r-hältnis bekennt. Jetzt kommt es darauf an,dass sich die Union auch für die Kapital-unterlegung des Ge s u n d h e i t s wesens starkmacht – und sich nicht wie bei der Re n t evon den Ko a l i t i o n s p a rteien überholen lässt.

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Wir Unternehmer spüren längst, dassbei den andauernden St re i t e reien umSteuern und Abgaben ein Schlüsselthemavollkommen vernachlässigt wird. Es lau-tet: „Leadership in In n ovation – Wi eschaffen wir die Rückkehr zur We l t-spitze?“ Der WR hat dazu mit einer Spit-zenpräsenz aus Wi rtschaft und Un i o n s-fraktion eine Klausurtagung veranstaltet.Es geht dabei vor allem um die Zukunftder jungen Generation. Un s e re bestenKöpfe verlassen das Land, weil sie an-derswo besser ausgebildet we rden unddeutlich bessere berufliche Pe r s p e k t i ve nvo rfinden. Ähnliches gilt für unsere Un-ternehmen.

Beispiel Pharma: Früher war De u t s c h-land die „Apotheke der Welt“ – heutebefinden sich von den weltweit 130 gro-ßen Forschungsstandorten nur noch zehnin Deutschland. Deshalb hat sich allein inden letzten zehn Ja h ren der Anteil deri n n ova t i ven Medikamente aus De u t s c h-land von einem Drittel auf ein Fünftelreduziert.

Beispiel Patente: Früher waren wir diegrößten Ex p o rt e u re von Wissen – heutemüssen wir es teuer einkaufen. Di e s eneuen Verhältnisse sind keine Schicksals-schläge der Gl o b a l i s i e rung, sondern einedeutliche Aufforderung, die Innovations-fähigkeit am St a n d o rt Deutschland zuverbessern: Wir müssen unseren jungenMenschen wieder eine Zukunft im eige-nen Land bieten! Das Ausmaß der Au s-wanderung der jungen, gut ausgebildetenGeneration ist besorgniserregend. Jährlichsind es bereits 100.000. Das sind die Leis-tungsträger der Zukunft, die sich in keinerpolitischen Partei mehr zu Hause fühlenund sich eine andere Gesellschaft suchen.

Es wird besondere Anstre n g u n g e ne rf o rdern, diese Generation in De u t s c h-land zu halten. Diese Generation – leis-t u n g s b e reit, risikobereit und weltoffen –ist die ureigene Klientel des WR. Di e s ejungen Leute passen zu uns, diese jungenLeute wollen wir einbinden. Gemeinsammit dem RCDS we rden wir uns imHerbst eben diesem Thema widmen: Wir

müssen die Auswanderung stoppen! Wirmüssen uns auch darüber klar we rden, mitwelchen Industrien wir in De u t s c h l a n dzukünftig unser Geld verdienen wollen –und darauf unsere Anstrengungen kon-zentrieren. In einigen wenigen Bereichensind wir noch Spitze, z. B. bei der Nano-technologie und der Te l e k o m m u n i k a t i o n .Hier dürfen wir unseren Vorsprung nichtverspielen – wie schon in der Ke r n f o r-schung, die wir rot-grünen Id e o l o g i e ngeopfert haben.

In vielen Zukunftsfeldern sind wirjedoch noch weit davon entfernt, im Ko n-zert der innovativen Nationen mitspielenzu können.

Dabei sind In n ovationen für Un t e r-nehmen das, was Sauerstoff für den Men-schen ist.

Um diese Defizite wettzumachen, umalso zu überleben, benötigen wir neuePrioritäten, in der Bildungs- und in derForschungspolitik. Die wichtigsten An-satzpunkte:

L Wir sollten endlich unsere Ho c h b e-gabten fördern. Die Politik derGl e i c h m a c h e rei macht uns lediglichzu den weltbesten Pro d u zenten vo nMittelmaß.

L Wir sollten die Hochschulen so mitder Wi rtschaft ve rzahnen, dass ausIdeen Produkte und Un t e r n e h m e nwerden können, anstatt in Elfenbein-türmen zu verstauben.

L Letztlich können unsere Un i ve r s i t ä t e nerst dann wieder zu In n ova t i o n s ze n-tren werden, wenn wir uns von Beam-tenmentalität und Ko s t e n l o s k u l t u rverabschieden: Einen Qu a l i t ä t s s p ru n gin Forschung und Lehre wird es ohnes o z i a l ve rträgliche St u d i e n g e b ü h re nnicht geben. Damit können wir dieUniversitäten personell und finanziellauf internationales Niveau bringen.

Vor allem aber werden unsere Studen-ten ganz genau hinschauen, an we l c h e rUniversität ihr Einsatz – auch der finanzi-elle – die bestmögliche Rendite für dieZukunft abw i rft. St u d i e n g e b ü h ren bedeu-ten deswegen noch lange nicht, dass derZugang zu Bildung eine Frage des Geld-beutels wird – es gibt längst Fi n a n z i e-rungsmodelle für Studenten aus sozialschwächeren Familien.

Au ß e rdem – es ist nur recht und billig,wenn sich die angehenden Akademiker anden Kosten ihrer Ausbildung beteiligen:Einen Kindergartenplatz bezahlen die El-tern, eine Meisterausbildung bezahlt größ-tenteils der Ha n d we rk e r, nur die Kosten fürdie Ausbildung unserer Ärzte, In g e n i e u reund Historiker bezahlt die Allgemeinheit.

L Die Versäumnisse unseres Bi l d u n g s-systems fangen allerdings nicht erst an

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Neue Prioritäten in der Bildungs- und Forschungspolitik

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den Universitäten an, sondern begin-nen schon in der Schule. Am Ab i t u rnach zwölf Schuljahren durch mehrLeistungsorientierung sowie die Stär-kung der naturw i s s e n s c h a f t l i c h e nFächer führt deshalb kein Weg vorbei.Di p l o m i e rte Mu s e u m s w ä rter habenwir bereits genug – woran es uns man-gelt, sind In g e n i e u re und In f o r m a t i-ker.

Bei allem Verständnis für Ga n z t a g s-schulen – wir lassen uns die Erz i e h u n gu n s e rer Kinder nicht aus den Händenreißen. Wenn SPD-Ge n e r a l s e k retär Ol a fScholz ford e rt: „Wir wollen die Lu f t h o-heit über den Kinderbetten ero b e r n “ ,dann sollten wir wissen: Genau das woll-ten auch schon die Kommunisten!

Die wichtigste Aufgabe bei der Erzie-hung haben die Eltern, das ist unsere festeÜberzeugung.

Auch die jüngsten massiven Be l a s t u n-gen des transatlantischen Ve r h ä l t n i s s e sgeben uns Anlass zur Sorge wie die dro-hende Handlungsunfähigkeit der Eu ro p ä i-schen Union. Alle Anstrengungen müssendarauf gerichtet we rden, den Zu s a m m e n-halt Eu ropas, des transatlantischen Bünd-nisses und der internationalen V ö l k e r g e-meinschaft gegen Te r rorismus und tota-l i t ä re Di k t a t u ren zu stärken. In der Au ß e n -und Sicherheitspolitik sollte die EU end-lich mit einer Stimme sprechen.

Die Bu n d e s re g i e rung spaltet Eu ro p a ,wenn sie an „Pralinengipfeln“ mit denmilitärischen Schwe r g ewichten Lu xe m-burg und Belgien teilnimmt, anstattGe m e i n s c h a f t s - In i t i a t i ven wie die Eu ro p ä i-sche Ei n g re i f t ruppe vo r a n z u t reiben. Ei n ePro fil i e rung auf Kosten der transatlanti-schen Pa rtnerschaft kann keinen Erf o l gbringen. Bundeskanzler a. D. Kohl sprach1998 beim We l t w i rt s c h a f t s f o rum in Da vo s

von dem Haus Eu ropa mit Wohnungen fürdie Völker Eu ropas und einem Da u e r-w o h n recht für unsere amerikanischenFreunde. Der Wi rtschaftsrat hat im ve r-gangenen Herbst als erster Verband denAppell an die führenden Unternehmer inDeutschland gerichtet, in der Politik ze r-s t ö rtes Ve rtrauen zwischen De u t s c h l a n dund den USA neu aufzubauen. Zu g l e i c hzählte der Wi rtschaftsrat zu den Ha u p t-i n i t i a t o ren des De u t s c h - A m e r i k a n i s c h e nUnternehmergipfels, der im Mai in Wa s-hington stattfand. Die europäische Ei n i-gung lebt von Visionen. Helmut Kohl hattein seiner Re g i e ru n g s zeit stets eine Vi s i o nfür die Zukunft Eu ropas. Die Vision vo mEu ro ist bereits Realität – und hat enormeÄ n d e rungen in Eu ropa auf den We ggebracht. Der Eu ro hat eine große wirt-schaftliche Dynamik ausgelöst. Bis heute istkein we i t e rer derartiger Anstoß formuliertw o rden. Der Lissabon-Beschluss, Eu ro p abis 2010 zur we t t b ewerbsfähigsten unddynamischsten Wi rt s c h a f t s region der We l tzu machen, ist bis heute ohne Ko n k re t i s i e-rung. Aber nur Ko n k re t i s i e rung löst wirt-schaftliche Dynamik aus – der Eu ro istdafür ein glänzendes Be i s p i e l .

Der Wi rtschaftsrat ist das Un t e r n e h-men der Un t e r n e h m e r. Als Sp e e r s p i t ze derEr n e u e rung können wir auf Dauer nure rf o l g reich bleiben, wenn es uns gelingt,die politischen Pa rteien zur Um s e t z u n gder notwendigen Reformen zu tre i b e n .Dafür brauchen wir einen starken Wi rt-schaftsrat, der für die Gru n d we rte ein-steht, die dieses Land erfolgreich gemachthaben:

L Leistung und Ei g e n ve r a n t w o rt u n gsowie

L Solidarität mit den wirklich Bedürfti-gen.

Wir sind überzeugt davon, dass wirden freien Fall stoppen und wieder zu denw i rtschaftlich erf o l g reichen Nationen auf-schließen können.

Deshalb haben wir diesen Wi rt-schaftstag bewusst unter das Mo t t ogestellt: Wahrheit Mut Aufstieg. Wahr-heit – das steht für die ungeschönteBestandsaufnahme der deutschen St ru k-turprobleme. Mut – auch zu schmerzhaf-ten und unpopulären Reformen sowie derAufstieg – zu neuem Wohlstand. Di e s e sZiel wollen wir gemeinsam erreichen. V

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75trendIII. Quartal 2003

Die 4. Bu n d e s d e l e g i e rt e n ve r s a m m-lung in Berlin ist ein Tag der Bi-lanz unserer Arbeit und der Fo r-

m u l i e rung unserer zukünftigen Au f g a b e n .Zugleich wird über das finanzielle Funda-ment entschieden, das unser Ha n d e l nmaßgeblich bestimmen wird.

Die veröffentlichte Positionierung desWi rtschaftsrates zeigt, dass unser Landd u rch ein tiefgreifendes St a a t s ve r s a g e ngefährdet wird. In den Kommentaren derzurückliegenden Monate zur Lage derNation wird klar, dass wir von einer Krisezu sprechen haben, die uns alle vo rschwierigste Auseinandersetzungen stellenwird.

Gefahrenpotenzialerechtzeitig benannt

Schon im Bericht vor der Bundesdele-g i e rt e n versammlung des vergangenen Ja h-res haben wir uns darum bemüht, Strate-gien gegen das St a a t s versagen zu ent-wickeln. Der Präsident des Bundesverfas-sungsgerichtes hat uns ebenso bestätigtwie der Sa c h verständigenrat. Er hat uns inu n s e ren ordnungspolitischen Au s s a g e nbestätigt, für die wir in den letzten Jahrenvon den Gegnern durchgreifender Refor-men kritisiert und auch als „unsozial“ dif-famiert worden sind.

Eine Übersicht der Po s i t i o n i e ru n g e ndes Wi rtschaftsrates der letzten Ja h re

zeigt, dass wir die Gefahrenpotenziale fürden Standort Deutschland rechtzeitig be-nannt haben. Die ord n u n g s p o l i t i s c h e nRe f o r m vorschläge des Wi rt s c h a f t s r a t e sfinden ihre volle Bestätigung. Dies giltp a rt e i ü b e r g reifend bis hinein in das Re g i e-rungslager, das um eine eigene Mehrheitund zugleich um seine politische Über-lebensfähigkeit ringt.

Die mit dem Antritt der ro t - g r ü n e nKoalition verbundene grundlegende Ab-sage an eine wachstumsorientierte Wi rt-schafts-, Finanz- und Sozialpolitik wareine schwe rwiegende strategische Fe h l e n t-scheidung. Diese ist bis heute nicht aus-reichend korrigiert worden. Es wurde einWind gesät, der sich inzwischen wie einSturm mit ze r s t ö rerischer Wi rkung füru n s e re gesamte Wi rtschafts- und Ge s e l l-s c h a f t s o rdnung auswirkt. Sichtbar wirdn u n m e h r, dass Freiheit ohne Se l b s t ve r a n t-w o rtung nicht gewährleistet we rden kann.

Wenn heute von einer umfassendenGe f ä h rdung des Ge n e r a t i o n e n ve rt r a g e sgesprochen wird, sind damit nicht nur dieGa r a n t i ezusagen an die kommendenGenerationen gemeint. Insbesondere voninternational anerkannten Sachverständi-gen wird uns seit Ja h ren vorausgesagt, dassdas Ausbleiben tiefgreifender Strukturre-formen die Grundlagen von Demokratieund Sozialer Marktwirtschaft erschütternw i rd, wenn wir uns weiterhin weigern, dieharten ökonomischen Fakten zur Kennt-nis zu nehmen. In anderen uns umgeben-den Ländern hat dies schon längst zu einerVe r ä n d e rung ihrer Ordnung und zustrukturellen Korrekturen geführt, die wirauch bei den angekündigten Re f o r m e nbei weitem nicht erreichen werden.

Hochmut sozialistischerideologischer Vorstellungen

Es ist der alte und wieder neuerwachte Hochmut sozialistischer ideolo-gischer Vorstellungen, die das politischeKlima in Deutschland vergiften und zueiner Ko n f rontation führen, die uns alleauf das Äußerste besorgen muss. Wi rmüssen ernst nehmen, wenn von Unbere-c h e n b a rkeit, Realitätsflucht und man-gelnder Zivilcourage gesprochen wird .Allein dies muss uns mit größter So r g ee rfüllen. Von der Be re c h e n b a rkeit undpragmatischen Vernunft De u t s c h l a n d shängt in weitem Maße die Zukunft derGestaltung Europas ab.

Tiefgreifendes Staatsversagengefährdet unser LandBürger haben ein feines Gespür für die Arroganz der Macht

Rüdiger von Voss

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76 trend III. Quartal 2003

Dies sagen uns wichtigste Re p r ä s e n t a n-ten unserer Nachbarstaaten und unsereB ü n d n i s p a rt n e r. Sie fragen uns: Wo sinddie „Vo rkämpfer“ der freiheitlichen Ge-sinnung, einer maßvollen und ve r n u n f t o r i-e n t i e rten Politik Deutschlands? Wo ist dieKraft der Überzeugungen, die es euchermöglicht haben, Freiheit und „Wo h l s t a n dfür Alle“ Wi rklichkeit we rden zu lassen?

Was hast Du zu Deiner Zeit getan, umDeinen freiheitlichen Gesinnungen zumDurchbruch zu verhelfen und Dein Landvor einer tiefgreifenden Krise zu bew a h-ren?

Ordnungspolitischer Anwalt der Sozialen Marktwirtschaft

In diesem Geiste ist der Wi rt s c h a f t s r a tgegründet worden. Vor 40 Ja h ren tratenFrauen und Männer an, um persönlich füreine freiheitliche und sozialve r a n t w o rt e t ePolitik für Staat und Wi rtschaft zu kämp-fen. Diese selbst übernommene Ve r p fli c h-tung hebt den Wi rtschaftsrat über eine all-gemeine In t e re s s e n ve rt retung unternehme-rischer St a n d e s i n t e ressen hinaus. Wi rd diesvergessen, wird der Wi rtschaftsrat kaumfähig und imstande sein, den Ve r p fli c h t u n-gen zu entsprechen, die den ve r a n t w o rt-lichen Unternehmer als Kernbestand einerf reiheitlichen Ordnung defin i e re n .

Das Handeln des Wi rt s c h a f t s r a t e süber die langen 40 Jahre hinweg war auchstets von einer Staatsverantwortung getra-gen, die ihn befähigte, als ordnungspoliti-scher Anwalt der Sozialen Ma rk t w i rt-schaft zu agieren: Nicht immer stimmte

man uns zu, aber stets wurde anerkannt,dass wir kritisch und konstruktiv an derFortentwicklung unserer demokratischenOrdnung und insbesondere der Ordnungder Sozialen Ma rk t w i rtschaft mitarbeite-ten.

Es geht um Herz und VerstandUns allen ist bewusst, dass wir den

Gremien des Wirtschaftsrates, dem Präsi-dium, dem Bundesvorstand, den Landes-vorständen, unseren Se k t i o n s vo r s t ä n d e nund allen Mitgliedern ein stabiles Funda-ment für die Erfüllung unserer Aufgabengewährleisten müssen. Wir werden heuteüber die zukünftige Be i t r a g s o rdnung zus p rechen haben. Bei der En t s c h e i d u n gw i rd es darauf ankommen, ob wir unsere nHandlungsrahmen sichern und dannfähig sind, den zukünftigen Au f g a b e nauch gemeinsam gerecht zu werden.

Ein Staatshaushalt gibt Auskunft überErfolg oder Mi s s e rfolg von politischenZielen und ist das wahre Buch der Na t i o n .Der Haushalt des Wi rtschaftsrates istRückversicherung für die tatkräftige Ver-tretung der Interessen unserer Mitglieder,des gesamten Verbandes auf allen Ebenen.

Darüber hinaus ist unser Budget Aus-druck unserer ordnungspolitischen Über-zeugungen. Die Entscheidungen, die wirt reffen, we rden nicht nur den „Ap p a r a t “des Wi rtschaftsrates berühren. Es wirdjedes Mitglied in den durch die Mitglied-schaft begründeten Ve r p f l i c h t u n g e nb e t reffen. Mit unseren En t s c h e i d u n g e nmüssen wir unserer Satzung entsprechen.

Der Bundesfinanzhof hat uns in ders c h we rwiegenden Auseinandersetzung umu n s e ren Status als Be ru f s verband vo rGericht und Öffentlichkeit zugeru f e n :Wer denn sonst als die Unternehmer kannfür die Freiheit der Unternehmer eintre-ten? Dies war die eigentliche Legitimationund praktische Begründung für die Er h a l-tung unserer Organisation als unterneh-merischen Be ru f s verband. Zugleich wur-den wir als eine Organisation bestätigt, diesich bewusst zur Sozialen Ma rk t w i rt s c h a f tund zugleich zu den politischen Tr ä g e r nbekannt hat, die die Soziale Ma rk t w i rt-schaft zum politischen Programm fürDeutschland gemacht haben. Es gehtimmer um He rz und Verstand. Wer seinHe rz in schwieriger Zeit nicht in dieWaagschale wirft, wird mit dem Ve r s t a n dalleine nicht die charismatische Wi rk u n gentfalten können, die von einem fre i h e i t-lichen Programm, von einer Be re i t s c h a f tder sozialen Mi t ve r a n t w o rtung für einesolche Ordnung als Ga n zes ausgeht.

Der amerikanische Journalist Ge o r gWill hat einmal formuliert: „Statecraft issoulcraft“. Dies meint: Ohne Seelenkraftkann man eine freiheitliche Überzeugungnicht politisch wirksam werden lassen!

Dienst- und Überzeugungsgemeinschaft

Aus diesem Grunde haben wir uns stetsd a rum bemüht, deutlich we rden zu lassen,dass wir einer über unseren Verband hin-a u s reichenden Aufgabe dienen. Dieser Ve r-band ist also nicht nur eine „Überze u-gungsgemeinschaft“. Er ist eine „Di e n s t g e-meinschaft“ für das höhere Ziel, Fre i h e i t ,Ge rechtigkeit, Mi t ve r a n t w o rtung, Su b s i-diarität und Solidarität gleichermaßend u rch praktisches Handeln zu sichern.Dies ist der eigentliche „Return on In ve s t-ment“, der uns heute beschäftigen muss.

Der große französische Au ß e n m i n i s t e rTalleyrand hat gesagt: „Man muss denLeitsätzen, zu denen man sich sein Lebenlang bekannt hat, treu bleiben.“ Or i e n-tiert an dieser wichtigen Grundlage einesethisch wie politisch integralen Handelnsund orientiert an den von uns vertretenenw i rtschafts- und gesellschaftspolitischenZielen haben Präsidium und Bundesvor-stand uns den Auftrag gegeben, überunsere Arbeit kritisch nachzudenken, umVorschläge zu erarbeiten, die unsereHandlungsfähigkeit stärken sollen.

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In enger und vertrauensvoller Zusam-menarbeit mit der Agentur von Ma n n-stein haben wir bei Beibehaltung unserestraditionellen Namens ein Design ent-w o rfen, das die Ausrichtung unsere rArbeit auf Deutschland als Ga n ze se rkennbar we rden lässt. Es war das Zi e l ,u n s e re zukunftsorientierte Position auchsichtbar zu machen. Es kam uns daraufan, eine „Corporate Difference“ zu visua-l i s i e ren, die uns eine deutliche Stellung imMa rkt verleiht und unserer tatsächlichgeleisteten Arbeit Ausdruck gibt.

Wir wollen uns unterscheiden von dervom politischen Wettbewerb vielfach dis-k re d i t i e rten bloßen wirt s c h a f t l i c h e nInteressenwahrnehmung einzelner Unter-nehmer. Dies war nie die eigentliche Auf-gabe des Wirtschaftsrates. Wir dürfen unsauch nicht in dieses Raster einbinden las-sen, weil dies nur zu En t t ä u s c h u n g e nführt. Im gleichen Zuge bemühen wir unsalso darum, aus dem bisherigen Wa h r-nehmungsraster der Medien auszubre-chen, das den Wirtschaftsrat einseitig mitder Großindustrie gleichsetzt und unsvom Mittelstand separiert.

Es geht darum, unseren ordnungspo-litischen Auftrag aufzuzeigen und neueA n s t rengungen zu defin i e ren. Es ist kei-n e s wegs eine Re volution! Es ist dasBemühen um eine Evolution, eine We i-t e rentwicklung unserer inhaltlichen Ziele.

Wir verlassen nicht unsere „lineare “Bindung zu den Gru n d s ä t zen christlich-demokratischer Politik, die das Fu n d a-ment der Sozialen Ma rk t w i rtschaft aus-machen. Wir ergänzen das Be k e n n t n i sd u rch eine Or i e n t i e rung an neuenAnstrengungen für Deutschland.

Als Leitlinie für die En t w i c k l u n gdieser „Corporate Di f f e rence“ gilt: Di eMenschen und die Medien wollen nichtin erster Linie wissen, von wem man her-kommt, sondern wofür man einsteht,wofür man kämpft und handelt. Si efragen nicht nur nach Opposition. Si ee rw a rten Kooperation im In t e resse desSt a a t e s .

Anspruch: „Wirtschaftsrat Deutschland“

„Wirtschaftsrat Deutschland“: Das istunser Anspruch, die Wirtschaftspolitik inumfassender Weise auf nationaler Eb e n emitzuprägen und damit auch den eu-ropäischen und globalen Maßstäben un-seres Handelns besser zu entsprechen, alsuns das bisher gelungen ist. Selbstkritischauf der einen Seite, offen für Neues undim vollem Bewusstsein, dass dies nichtohne neue Anstrengungen zu haben ist.

Das öffentliche Erscheinungsbild istnicht eine Frage „l’art pour l’art“. In derGestalt auch eines Verbandes wird sicht-b a r, ob hier ein „Impulsgeber“ tätig ist:Notfalls streitbar und kritisch, aber kon-s t ruktiv in der Be reitschaft, sich selbstn o t wendigen Auseinandersetzungen zustellen und zu einem friedvollen Weg zuReformen durchzustoßen, die diesemLand wieder neue Kraft geben und denAufstieg wagen lassen können. Ge m e i n tist ein Handeln im Dienst eines vitalendeutschen In t e resses. Gewollt ist damiteine größer angelegte wirtschafts- undsozialpolitische Dimension, die nicht nuraus einer verbandspolitischen In n e n a n-sicht und Notwendigkeit begründet ist.

Einem modernistischen Ze i t g e i s thaben wir uns dabei ebenso verwehrt, wiedem allzu vorsichtigen Festhalten an Tra-

d i e rtem. Maßstab für uns war die funk-tionale No t wendigkeit dieses Schrittes,der es uns erleichtern wird, unsere Anlie-gen nach außen wirk u n g s voller zu kom-m u n i z i e ren. Dies allerdings setzt natürlichauch Tatkraft und gesicherte Handlungs-fähigkeit voraus. Es bleibt ein entschei-dendes kommunikatives Ziel unsere sHandelns, unser Gewicht in der öffent-lichen Diskussion auszubauen und dafürden entsprechenden Rahmen zu schaffen.

Ein konkretes „Wir-Gefühl“

Unser Se l b s t b ewusstsein, auch ge-genüber den Medien und den ordnungs-politischen Gegnern, muss dadurch deut-lich werden, dass wir mit einer Stimme zusprechen im Stande sind. Dies schafft unsGehör.

Mit einer Stimme zu sprechen, heißtauch, dass unser „Wi r - Gefühl“ ausre i-chend dokumentiert wird und erkennbarist. Es ist eben dieses „Wi r - Gefühl“, dasuns auf der Plattform des Wirtschaftsratesunsere Ziele effektiv und ohne innere Rei-b u n g s verluste ve rfolgen lässt. Wa h r h e i t ,Mut, Aufstieg, dafür wollen wir alle ein-stehen. Deshalb ist ein Signet des „WIR“im Wi rtschaftsrat hervo rzuheben. Di e smeint uns selbst!

Wir wollen mit dieser neuen Ausrich-tung unserer gesamten Erscheinung unddes daraus folgenden Handelns ein kon-k retes „Wi r - Gefühl“ bew i rken. Es istkeine Gefühlsduselei, sondern ein Erfor-dernis, um als „ordnungspolitische Über-zeugungsgemeinschaft“ erkannt und da-

„Corporate Difference“ – Weiterentwicklung inhaltlicher Ziele

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mit als innovativer Faktor der ordnungs-politischen Mitgestaltung akze p t i e rt zuwerden.

Das „WIR“ im Begriff Wirtschaftsratwird durch die Gestaltung herausgehobenund damit zu einer inhaltlichen Wo rt -Bild-Marke ausgerichtet. Das heißt: „Wirfür Deutschland“. Wir müssen uns in die-ser Weise darstellen, wenn wir nicht imKo n ze rt der In t e re s s e n ve rt retungen ve r-schwinden wollen, die ihren Nu t ze negoistisch definieren und rücksichtslosdurchzusetzen versuchen, selbst dort, woes den In t e ressen der Nation als Ga n ze swiderspricht.

Eigene Kompetenz überprüfen

Dies ist auch die Be reitschaft, denDienst an Demokratie und So z i a l e rMa rk t w i rtschaft neu zu legitimieren. Di e sist dann auch Ausdruck der Bereitschaft,dem Vermächtnis und den Leistungenderjenigen zu entsprechen, die uns nachdem Zweiten Weltkrieg politisch ermög-licht haben, als freie Bürger, als freie unds o z i a l ve r a n t w o rt u n g s b ewusste Un t e r n e h-mer, als Verband verantwortlicher Unter-nehmer qualifiz i e rt zu sein und qualifiz i e rtzu bleiben.

No t wendig ist es, seine eigene Ko m-petenz zu überprüfen. Es reicht nicht,Besitzstände zu ve rteidigen. Es kommt aufdie gesamte Pe r s p e k t i ve an, an der mansich selbst misst und an der man sich mes-sen lassen muss, wenn man älter werdenwill als 40 Jahre.

Stärkung der InfrastrukturWer sich nicht anstrengt, verliert seine

Arbeit. Wer sich nicht zeigt, wird nichtgesehen. Wer seine Stimme nicht erhebt,w i rd nicht gehört. Wer nicht wahrgenom-men wird, gilt nicht als wirkungsmächtig.Wer nicht als wirkungsmächtig angesehenw i rd, scheidet aus dem gesamten politi-schen Prozess aus und gibt seine Selbstbe-stimmung damit zugleich auf. Er wirdf remdbestimmt und bevormundet unds t ru k t u rell unterlegen sein in der politi-schen Auseinandersetzung.

Wir können es nicht deutlich genugsagen: Es sind herausfordernde Au f g a b e n ,die ohne entsprechende St ä rkung unsere rIn f r a s t ruktur und unserer Arbeitsinstru-mente nicht bewältigt we rden können. In

der Be reitschaft, neue und zu Te i l e nschwierige Aufgaben zu bewältigen, misstman Wi rtschaft und Politik gleichermaßenund die Qualitäten, die eigentliche Füh-rung ausmachen. Wenn man das Risikomeiden will, das mit solchen Aufgaben ve r-bunden ist, muss man sich von der Mo d e r-nität verabschieden und fällt zurück in eineOr g a n i s a t i o n s s t ru k t u r, die auf Dauer nichtüberlebensfähig ist. Dies weiß man in derPolitik, dies weiß man zunehmend deutli-cher in allen Verbänden. Und dies mussman wissen, wenn man bestehen will.

Verantwortung, Zivilcourageund Führungskultur sind gefragt

Ludwig Er h a rd hat im Juni 1965 imGe l e i t w o rt zum ersten Ja h resbericht des

Wirtschaftsrates seit der Gründung 1963die Gründungsmitglieder des Wi rt s c h a f t s-rates dafür gelobt, sich über ihre eigenenunternehmerischen Aufgaben hinaus zueiner Zusammenarbeit im politischenBereich zur Verfügung zu stellen.

Ludwig Er h a rd bewe rtete den Wi rt-schaftsrat als we rt volles In s t rument derMeinungsbildung und sagte: „Angesichtsder immer enger werdenden Verflechtungvon Politik und Wirtschaft bedarf unseref reiheitlich, moderne, auf gesundem, öko-nomischen Fundament ruhende staatlicheOrdnung der politischen Mi t ve r a n t w o r-tung der Wi rtschaft. Politik kann daswohlabgewogene Urteil der wirtschaftlichErfahrenen nicht entbehren“. Erhard hat

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Es war nötig, dass wir uns mit demErscheinungsbild beschäftigen. Es iste rf o rderlich, dass wir uns mit unseren Bot-schaften auseinandersetzen und danachhandeln. Nötig ist ein wirksames Ma n a g e-ment einer Botschaft, eines Pro fils, dasd u rch entsprechende inhaltliche und for-male Au f b e reitungen ergänzt wird. Eskommt auf die externe In f o r m a t i o n s s t e u e-rung und zugleich auf die interne Ko m-munikation und ihre Wi rksamkeit an.

Wir benötigen eine offensive St r a t e-gie. Es sind fünf T h e m e n b e reiche, dieuns in Folge dieser Bu n d e s d e l e g i e rt e n-versammlung differe n z i e rt beschäftigenwerden:

StrukturoffensiveEine „St ru k t u ro f f e n s i ve“ und damit

eine neue Aufstellung der In f r a s t ru k t u rdes Wirtschaftsrates zur effizienten Nut-zung neuer Medien. Wir brauchen einenzusätzlichen, auf die modernen Me d i e nspezialisierten Mitarbeiter mit dem dop-pelten Profil journalistischer Qu a l i f i k a-tion und der dazugehörigen Marketing-kompetenz, um unsere bisherige Öffent-lichkeitsarbeit zu unterstützen, zu ve r b e s-sern und voranzutreiben.

AngebotsoffensiveWir benötigen eine „Angebotsoffen-

sive“ der mediengerechten Aufbereitung

p ro g r a m m a t i s c h e r, informativer undtagesaktueller Inhalte als Bestandteil vons e rv i c e o r i e n t i e rtem Ma rketing unsere rBotschaften. Es ist ein „Message-Marke-ting“ notwendig, das uns in Stand setzt,das zu tun, was in allen Untersuchungenüber die eigene Arbeit von der Arbeits-gruppe in Baden-Württemberg bishin zuu n s e ren Kommissionen auf Bu n d e s e b e n eund auch von Mitgliedern geford e rtwird.

DialogoffensiveWir benötigen eine „Di a l o g o f f e n-

s i ve“. Wir müssen das Ne t z we rk unter-einander ve r s t ä rken und einen „Ma rk t-platz der Informationen“ bilden. Be i d e szusammen soll den Wi rtschaftsrat alsKommunikationsebene stärken undunsere Dienstleistungsangebote im Rah-men des Möglichen ausbauen. Beschrei-ten wir diesen Weg der „inneren Ko m-munikation“ nicht, werden wir nicht imStande sein, unsere Problemlösungsqua-lität bei veränderten Wirtschaftslagen zuvermitteln und unsere Vorschläge wirk-sam in den wirtschafts- und ord n u n g s p o-litischen Willensbildungs- und Entschei-dungsprozess einzubringen.

Die Parlamente und Re g i e ru n g e nsind mehr denn je auf unternehmeri-schen Sa c h verstand angewiesen. Di e szeigt das Scheitern des Beratungskonzep-

Neue Strategie für Kommunikationnach außen und innen

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damals dem Wi rtschaftsrat erf o l g re i c h e sWirken bestätigt und seine Überzeugungzum Au s d ruck gebracht, dass der Wi rt-schaftsrat auch in schwierigen Auseinan-dersetzungen dieser großen Aufgabe mitTatkraft entsprechen wird.

Wir haben einleitend über die deut-lichen Anzeichen einer auf uns zukom-menden Staatskrise gesprochen. Wir wis-sen heute, dass nicht Te i l reformen ge-nügen. Eine tiefgreifende St ru k t u r re f o r mvon Staat, Wi rtschaft und Gesellschaft istu n vermeidlich. Dazu gehört eine Pe r-s p e k t i ve auf den Staat als Ga n zes. Ni c h tbloße Pa rteilichkeit ist gefragt, sondernVe r a n t w o rtung, Zivilcourage und einee n t s p rechende Führungskultur auf allen

Ebenen von Staat, Wi rtschaft und Ge s e l l-schaft.

Bei einem we i t e ren Fo rtdauern derVe rwe i g e rung der St ru k t u r reformen inDeutschland vollzieht sich ein schonheute sichtbarer Prozess der „Delegitima-tion“ und Entwertung unserer Demokra-tie und Ordnung der Sozialen Marktwirt-schaft. Wer Führung an der Demoskopieorientiert, dem wird der Wind wechseln-der Mehrheiten in das Gesicht schlagen.Die Frage lautet also nicht nur: „Habt ihrgut opponiert?“ Die eigentliche Frage, dievon immer mehr Bürgern an Politik undWirtschaft gestellt wird, lautet: ,,Seid ihrfähig zu Alternativen für den Staat alsGa n zes?“ Diese Frage zielt insbesondere

auf die Opposition und auf die Mandats-t r ä g e r, die sich als Anwälte der So z i a l e nMarktwirtschaft verstehen.

Der politische Ge n e r a l s t reik derGewe rkschaften in Österreich wie inFr a n k reich gegen die Re n t e n reform –Ko n zepte der Re g i e rungen – we rfen eingefährliches Schlaglicht auf die Durchset-zungskraft einer demokratisch gewähltenRe g i e rung. Auch in Deutschland bewe g e nwir uns auf eine Konfrontation zu, die zueiner anhaltenden Beschädigung der„ In n e ren So u veränität“ des demokrati-schen Staates führen könnte. Dies giltunabhängig davon, wer dieses Landregiert.

Repräsentative Demokratie versus Verbändestaat

Der stru k t u relle Wandel der moder-nen Demokratie lässt sich überdeutlich anden seit Ja h rzehnten zu beobachtendenMa c h t verschiebungen ablesen, die sich imVerhältnis des Staates, seiner In s t i t u t i o n e nzu den Verbänden und organisiert e nInteressengruppen vollziehen. Die Front-linie heißt: Re p r ä s e n t a t i ve De m o k r a t i eversus Verbändestaat!

Die strukturellen Verwerfungen führ-ten schrittweise in den 70er Jahren dazu,dass sich die parteienstaatliche demokrati-sche Ordnung auf die Verbände zube-wegte. Sie öffnete diesen den organisier-ten Zugang zum Kernbestand des Regie-rungshandelns und zu den Vorrechten desParlaments als Forum der Staatspolitik.

Schon zu Beginn der Bundesrepublikkonnte man an den Au s e i n a n d e r s e t z u n-gen „St a a t s w i rtschaft“ oder „So z i a l eMa rk t w i rtschaft“ sehen, dass sich derideologische Schwelbrand zwischen denunterschiedlichen Ko n zepten über dieWi rtschafts- und Ge s e l l s c h a f t s o rd n u n gfortsetzen werde.

Zu keinem Tag – bis heute – haben diedeutschen Gewe rkschaften von ihre mKonzept der Wirtschaftsdemokratie, for-m u l i e rt von Fritz Naphtali in den 20erJahren im Auftrag des Allgemeinen Deut-schen Gewe rkschaftsbundes, Ab s c h i e dgenommen. Die Paritätische Mi t b e s t i m-mung, radikale Arbeitsze i t ve rk ü rz u n g e nauf allen Ebenen des Arbeitslebens,Um ve rteilung der privaten Ve r m ö g e n ,o p t i m i e rte staatliche Tr a n s f e r l e i s t u n g e n

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tes dieser Koalition überdeutlich. Es sindja nicht die Beiräte, die den politischenPro zess leiten dürfen. Es kommt daraufan, die „Reform-Scheu“ auf der politi-schen Ebene zu durchbrechen, die Wahr-heit in der Wahrnehmung unserer wirt-schaftlichen Realitäten zu verstärken, umendlich den Weg zu einem tatsächlichenWiederaufstieg zu erkämpfen.

DistributionsoffensiveUn ve rzichtbar wird es in diesem Ko n-

text sein, eine „Di s t r i b u t i o n s o f f e n s i ve “auszulösen. Wir müssen unsere Landes-verbände ve r s t ä rkt als Di s t r i b u t o re nu n s e rer Positionen und Botschaften wirk-sam werden lassen. Auch hier geht es umdie Medienkompetenz, die für ru n d1.200 Veranstaltungen im Wirtschaftsratgenutzt we rden muss. Die „mediale“Wahrnehmung unserer Ve r a n s t a l t u n g e nmuss verstärkt werden.

Die inhaltliche Qualität unserer Ve r a n-staltungen muss besser als bisher zu eineroffensiven Verbreitung unserer Botschaf-ten eingesetzt werden. Nur so ziehen wirq u a l i f i z i e rtes Personal für Ve r a n s t a l t u n-gen an. Nur so we rden wir auffällig alsPartner des Dialoges, als Mitgestalter ei-ner Politik im In t e resse der Regionen, derLänder und der Nation als Ga n zes. Eskommt darauf an, das praktisch Erf o r-derliche nun zu tun, um die kritischeMasse auffangen zu können, die mit dazuf ü h rt, dass die Bi n d u n g s b e re i t s c h a f tschwindet.

Die Voraussage ist sicher: Gelingt esuns nicht, die junge Generation durc h

die Qualität und Wirkung unserer Arbeitanzuziehen, wird uns in Zukunft diew i rtschaftliche Elite noch stärker alsschon heute aus dem Lande entfliehen.

PräsenzoffensiveWir benötigen schließlich eine „Prä-

s e n zo f f e n s i ve“. Der „Digitale Wi rt-schaftsrat“, das ist die Definition, um ander permanenten digitalen Messe derInformationen teilnehmen zu können.Wir müssen darüber nachdenken, wiewir ein „Frühwarnsystem“ über relevanteaktuelle wirtschaftliche En t w i c k l u n g e neinrichten können.

Auch wir müssen die Fragen beant-w o rten können, was sich bewegt, was unsb e d roht und was uns zugleich Au s s i c h tdafür bietet, auftretende Probleme lösenzu können. Es kommt auf ein praxisge-rechtes Di e n s t l e i s t u n g s i n s t rument an,das sich am Informations- und Kommu-n i k a t i o n s b e d a rf von Medien und Mi t-gliedern orientiert.

Uns ist natürlich bewusst, dass diesehier genannten fünf Aufgaben nicht vonheute auf morgen zufriedenstellende rfüllt we rden können. Un s e re Absicht istes allerdings, ein solches Angebot zu defi-n i e ren und dann auch praktisch umzu-setzen.

Stellen wir uns den neuen Anford e-rungen einer kommunikationsorien-t i e rten, digitalen Welt nicht, dann we r-den wir marginalisiert wie die Zünfteund Stände im ausgehenden 18. Ja h r-hundert.

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80 trend III. Quartal 2003

für soziale Sicherheit, Solidarität vor Sub-sidiarität stehen unve r ä n d e rt auf derAgenda.

Zu Beginn der 50er Jahre drohten dieGewe rkschaften Adenauer und Er h a rdbeim St reit um die Ei n f ü h rung derBetriebsverfassung mit einem politischenGeneralstreik. Heute drohen die Gewerk-schaften in Deutschland wie in Österre i c hund Fr a n k reich mit dieser ve rf a s s u n g s-widrigen Waffe bei der alltäglichen Au s-einandersetzung um St ru k t u r re f o r m e n ,die inzwischen von „Jedermann“ fürunausweichlich gehalten werden. Die se-mantisch verhüllende Bezeichnung „Ab-wehrstreik“ ist in Wahrheit ein politischerSt reik. Dies ist und bleibt nach deutschemVe rf a s s u n g s recht eine Gre n z ü b e r s c h re i-tung.

Im Verdacht derpolitischen Erpressung

Mitbestimmung ausüben wollen undg l e i c h zeitig gegen die Überlebensfähigkeitund Leistungskraft der Unternehmen undgegen die flexible Erhaltung von Arbeits-p l ä t zen streiken, das geht nicht! Das ze i g teinen Ma c h t a n s p ruch, den keine fre i h e i t l i-che und sozialve r a n t w o rtete Ordnung aus-halten kann. Wer so handelt, setzt sich demVe rdacht der politischen Er p ressung aus.

Wenn sich diese Entwicklung fort-setzt, bewegt sich Deutschland auf eineinstitutionelle Krise des demokratischenStaates auf allen Ebenen der St a a t s a rc h i-tektur zu. Die Abgabe politischer Vo r-rechte von Parlament und Re g i e rung an

die Ko n zeption einer instru m e n t a l i s i e r-ten, angeblichen „Konsenspolitik“ mitTeilnahme der Verbände an der Formulie-rung und Du rchsetzung von gemeinwohl-bestimmter Staatspolitik hat sich als falscherwiesen.

Die „Ko n ze rt i e rte Aktion“ war derBeginn. Das „Bündnis für Arbeit“ mar-kiert das Ende eines Weges, der die InnereSo u veränität des demokratischen St a a t e sgetroffen und zugleich beschädigt hat.

Parlamente werden sich wehren müssen

Weichen die genannten Re g i e ru n g e nvor der Attacke gegen die Innere Souverä-nität des demokratischen Staates zurück,werden sich die Parlamente als einzig legi-t i m i e rte Mandatsträger der re p r ä s e n t a t i-ven Demokratie wehren müssen, um derGefahr der Delegitimation der Ordnungals Ganzes zu entgehen. Diese Auseinan-dersetzung kann die Gewissensfrage auf-rufen.

Politik beginnt mit der Fähigkeit zurWahrnehmung der Wirklichkeit und derEinhaltung der Ordnung von De m o k r a t i eund Rechtsstaat. Dies gilt für die Verfas-sung ebenso wie auch für die ungeschrie-benen Gesetze der demokratischen Spiel-regeln. Das Gemeinwohl hängt davon ab,dass die Handlungsrahmen und auch dieGrenzen zwischen dem politischen Man-dat und dem gesellschaftlichen, ve re i n s-rechtlich definierten Ve r b a n d s m a n d a tbeachtet werden. Praktisch und auch rhe-torisch!

Jedes Mandat, ob im staatspolitischenoder im gesellschaftlichen Raum derIn t e re s s e n verbände ist zeitlich begre n z t .Die ist nur ein bedingter Trost, vielleichtaber eine Hoffnung auf die Bew a h ru n gund Sicherung unserer Ordnung.

Die Bürger haben ein feines Ge s p ü rfür die Arroganz der Macht und unbe-rechtigte Selbstüberschätzung. Immerhingilt noch: Wer nach der politischen Ent-scheidungsmacht greifen will, muss sichdemokratischen Wahlen stellen. Es gibtkeinen „gewerkschaftlichen Gottesstaat“.

Der schwerwiegendste Verdacht rich-tet sich auf totalitäre und autoritäreTe n d e n zen, die es auch in einer De m o-kratie geben kann. Dies ist von Alexis deTocqueville bis Friedrich A. von Ha ye kbeschrieben worden.

Wille zum Handelnmuss authentisch sein

Allmacht und Ohnmacht: Auf dieserScheidegrenze bewegen sich die Gewerk-schaften. Der Widerstand gegen die Re-f o r m b l o c k i e rer formiert sich. Man mussbei notwendiger kritischer Au s e i n a n d e r-setzung für eine solche freiheitssicherndePolitik nur wissen: Demokratische Zivil-courage ist nicht für eine leichte Münzezu haben.

Nur diejenigen we rden Ge f o l g s c h a f tg ewinnen, die sich zur Wahrheit bekennenund auch mutig und sichtbar handeln.Der Wille und das Handeln müssen glei-chermaßen authentisch sein. Wer so han-deln will, darf sich vor schwierigen En t-scheidungen nicht drücken. Die Du rc h-setzungskraft politischer Führung hängtunmittelbar davon ab, dass man notfallsb e reit ist, ein politisches Risiko einzuge-hen. Wir müssen uns notwendigen En t-scheidungen stellen. Mit Charakter undL oyalität, mit dem Mut, sich dann selbstan seinem Tun messen lassen zu müssen.

DankIch danke den Vorsitzenden und Prä-

sidenten der zurückliegenden 20 Ja h re ,Dr. Philipp von Bi s m a rck, Dr. He i n e rWeiss, Dr. Dieter Murmann und Pro f.Kurt Lauk, dem Präsidium und den Vor-ständen für alle Unterstützung. Ich dankemeinen Kollegen und Mitarbeitern in denLandesverbänden und hier in Berlin. Ichdanke allen für treue Hilfe. V

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1. Staatsstruktur erneuern –Reformfähigkeit stärken

Unser Staat steht sich bei Re f o r m e nselbst im Weg. Aufgabenüberlast, Ko m p e-t e n z w i r rwarr und Mi s c h fin a n z i e rung beiBund, Ländern und Gemeinden sow i epermanente Wahltermine sind die Ha u p t-ursachen. Für die Rückkehr zu einem

i n n ova t i ven We t t b ewe r b s f ö d e r a l i s m u ssind erforderlich:

L die En t flechtung der Ge s e t z g e b u n g s-k o m p e t e n zen – statt wie heute 60 Pro-zent sollten künftig wieder maximal10 Prozent aller Gesetze im Bundesratzustimmungspflichtig sein;

L eine klare Au f g a b e n z u o rdnung anBund, Länder und Gemeinden –wenn alle zuständig sind, ist letztlichniemand verantwortlich;

L statt Mi s c h f i n a n z i e rungen mehreigene St e u e rquellen der Ge b i e t s k ö r-perschaften – Maxime: Wer bestellt,

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12 Prioritäten fürDeutschlands Wiederaufstiegzur erfolgreichen Wirtschaftsnation

Seit Ja h ren flüchtet die Politik inDeutschland vor unbequemenWahrheiten. Weder die „Agenda

2010“ noch die Vorschläge der Op p o s i-t i o n s p a rteien reichen bisher annäherndaus, um Deutschland wieder zu einemwachstums- und beschäftigungsstark e nLand zu machen.

L Obwohl es für den Wohlstand allerauf mehr wettbewerbsfähige Arbeits-p l ä t ze ankommt, räumen wir diehohen Arbeitsmarktblockaden nichtentschlossen aus dem Weg.

L Statt die Leistungsfähigkeit von Bür-gern und Unternehmen mit niedri-

gen und einfachen Steuern zu stär-ken, reißt der Staat immer mehr Au f-gaben an sich, bevormundet die Bür-ger und pro d u z i e rt dabei Re k o rd-s c h u l d e n .

L Obwohl die Sozialsysteme kollabie-ren, weil unsere Gesellschaft zuneh-mend älter und kinderärmer wird ,fehlen Mut und Überze u g u n g s k r a f t ,die Menschen für eine re c h t ze i t i g eEigenvorsorge zu gewinnen.

L Statt durch mehr Bildung und Inno-vationen die Zukunftschancen jungerMenschen zu verbessern, lassen wirzu, dass unsere besten Köpfe abwan-

dern und immer mehr Unternehmenihre Forschung ins Ausland verlagern.

In dieser dramatischen Lage ist diePolitik mehr denn je geford e rt, wiederF ü h ru n g s ve r a n t w o rtung zu überneh-men, statt sich hinter Ex p e rt e n g re m i e nund Runden Tischen zu verstecken. De rWiederaufstieg Deutschlands erf o rd e rtein ordnungspolitisch überze u g e n d e sGe s a m t k o n zept mit klaren Pr i o r i t ä t e nfür wirtschaftliches Wachstum. Hi e rz ulegen das Präsidium und die Bu n-desfachkommissionen des Wi rt s c h a f t s-rates anlässlich des Wi rt s c h a f t s t a g e s2003 eine gemeinsame „12-Pu n k t e - St r a-tegie“ vo r :

Wirtschaftstag 2003

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bezahlt;L die Reform des leistungsfeindlichen

Finanzausgleichs – die Länder brau-chen mehr Anreize für eine standort-freundliche Wirtschaftspolitik.

Die Anzahl der Bundesländer solltevon heute 16 auf maximal neun ve r r i n g e rtwerden. Ohne die Bürgernähe der politi-schen Entscheidungen und öffentlichenVe rwaltungen zu gefährden, ermöglichtdies Kostensenkungen im mehrstelligenMilliardenbereich.

2. Sparen statt neue Schulden in allen öffentlichen Haushalten

Der Rückzug des Staates ist keinSchreckensszenario mit der Folge öffent-licher Armut, sondern ein Fi t n e s s p ro-gramm für mehr Wohlstand. Trotz einerStaatsquote von fast 50 Pro zent we rd e nwir die Maastrichter De f i z i t - Gre n ze imHaushaltsjahr 2003 mit rund vier Prozenterneut massiv überschreiten. Dem Bu n dd roht die höchste Ne u verschuldung seitder Wi e d e rve reinigung, und die Me h rz a h laller Länder- und Ko m m u n a l h a u s h a l t eläuft in die Ve rfassungswidrigkeit. De n-noch fehlt in den aktuellen Be s c h l ü s s e nder Bundesregierung ein konkretes Kon-zept zur Sa n i e rung der St a a t s f i n a n ze n .Wir fordern:

L ein Haushaltssicherungsgesetz für dasJahr 2003;

L konkrete Einspar-Vorschläge zur Ein-haltung der Schuldenkriterien deseuropäischen Stabilitäts- und Wachs-

tumspaktes;L bis 2006 den Staatshaushalt ohne

neue Schulden;L bis 2010 den Abbau der St a a t s q u o t e

auf unter 40 Prozent.

Hi e rzu ist es notwendig, drastischer alsje zuvor bei den konsumtiven St a a t s a u s g a-ben zu sparen, eine Rückführung der Su b-ventionen um mindestens 20 Pro zent zue r reichen und die Pr i va t i s i e rung von staat-lichen Leistungen sowie von über 100.000Staatsbetrieben vo r a n z u t reiben. Ge s e t ze s-dschungel und Ge n e h m i g u n g s b ü ro k r a t i emüssen mit der Axt und nicht mit derNa g e l s c h e re auf das unbedingt No t we n-dige zurückgeschnitten we rden. Der Pe r s o-nalbestand des öffentlichen Dienstes solltebis 2006 im Rahmen der natürlichen Fl u k-tuation von vier Pro zent um mindestens100.000 Stellen pro Jahr abgebaut we rd e n .

3. Steuersenkungen –jetzt auf denWeg bringen!

Statt anhaltender St e u e re r h ö h u n g s-debatten brauchen wir ein ve r l ä s s l i c h e sKo n zept für Steuersenkungen und einedrastische Ve reinfachung des St e u e r s y s-tems. Die Behauptung der Bu n d e s re g i e-rung, Deutschland sei kein Ho c h s t e u e r-land, offenbart einen erschreckenden Re a-l i t ä t s verlust. Bei Unternehmensteuern lie-gen wir in Eu ropa nach wie vor an derSpitze – und mit 66 Prozent Grenzbelas-tung haben wir die höchsten Abgaben fürA r b e i t n e h m e reinkommen. Kein andere sLand der Welt mutet seinen Bürgern 37

Steuerarten zu. Der Wirtschaftsrat fordertdeshalb in seinem „Finanzpolitischen Per-spektivkonzept 2003 bis 2010“:

L die Abschaffung und nicht die von derBu n d e s re g i e rung geford e rte Er h ö-hung der Gewerbesteuer durch dieEi n b eziehung von Fre i b e ruflern undwe i t e ren Einkünften (Mieten, Zi n s e n ,Pachten und Leasing-Raten);

L die Si c h e rung der Ko m m u n a l fin a n ze ndurch einen 10-prozentigen Zuschlagzur Einkommen- und Körperschaft-steuer;

L ein St u f e n k o n zept zur Ei n k o m m e n-s t e u e r reform, das bis 2006 zu einerjährlichen Nettoentlastung für Bürgerund Unternehmen von 40 MilliardenE führt:– Zum 1. Januar 2004 den Abbau der

rot-grünen Mittelstandsnachteile ge-genüber den Kapitalgesellschaften;

– bis 2006 eine international wettbe-werbsfähige Ge s a m t s t e u e r b e l a s t u n gvon max. 34 Prozent und eine Ein-gangsbelastung von nur 10,5 Pro-zent;

L den Verzicht auf die Wiedererhebungder Vermögensteuer und die klareAbsage an eine Me h rwe rt s t e u e re r h ö-hung.

4. Arbeitsmarktkonzepte derVolksparteien unzureichend!

Re g i e rung und Opposition gehen miti h ren Reformen auf dem Arbeitsmarkt nichtweit genug – die Ke r n p robleme des deut-schen Arbeitsmarktes bleiben nach wie vo rungelöst. Der Bundeskanzler sollte sich end-lich aus der Geiselhaft der Gewe rk s c h a f t e nb e f reien. Der Wi rtschaftsrat ford e rt deshalb:

L die Zulassung betrieblicher Bündnissefür Arbeit mit qualifizierter Mehrheitder Belegschaften, aber ohne Ve t o -Recht der Gewerkschaften;

L die Zusammenlegung der Arbeits-losen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfe-n i veau und für erwerbsfähige, aberarbeitsunwillige Empfänger Kürz u n gum 30 Prozent;

L beim Arbeitslosengeld die Ei n f ü h ru n geines Karenzmonats und die Kürzungder Bezugsdauer auf internationalübliche zwölf Monate;

L die Anhebung der gesetzlichen Kün-digungsschutz-Schwelle nicht nur fürNeueinstellungen, sondern für alleArbeitnehmer in Betrieben mit bis zu

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20 Beschäftigten;L die Ve reinfachung der So z i a l a u s w a h l

bei betriebsbedingten Kündigungen,um Leistungsträger im Unternehmenhalten zu können.

Die angestrebte Ausweitung der Zeit-arbeit wird nur zu erreichen sein, we n nder Tarifzwang für die Leiharbeitnehmerwieder abgeschafft wird.

5. Mehr Effizienz in der deutschen Mitbestimmung

Unternehmen können nur gemein-sam mit ihren Mitarbeitern erf o l g re i c hsein, doch in keinem anderen Land derWelt ist die Mitbestimmung so ineffi-zient. Nirgendwo sonst können externeGewe rk s c h a f t s f u n k t i o n ä re in den Au f-sichtsräten betriebliche En t s c h e i d u n g e nbehindern wie bei uns. Das schre c k tInvestoren ab und treibt deutsche Unter-nehmen ins Ausland. Für eine moderneCorporate Governance – insbesondereauch im Hinblick auf die Einführung derEu ropa AG zum Oktober 2004 – brau-chen wir:

L ein Wa h l recht deutscher Un t e r n e h-men, sich für paritätisch besetzte Auf-sichtsräte zu entscheiden sowie

L eine Option, auf die strikte Trennungzwischen Vorstand und Au f s i c h t s r a tzu verzichten;

L die Ve rk l e i n e rung der Au f s i c h t s r ä t evon Unternehmen auf die Hälfte.

Zugleich sollte die jüngste Novelle desBe t r i e b s ve rf a s s u n g s g e s e t zes zurückge-nommen werden, die mit einer Fülle vonzusätzlichen Kosten und neuen Inflexibi-litäten verbunden ist. Ge n e rell sollte diebetriebliche Mitbestimmung bei Un t e r-nehmensgründungen in den ersten fünfJahren ausgesetzt werden.

6. Neue Rentenreformnoch 2003 ins Gesetzbuch

Die Politik sollte sich von der Lebens-lüge verabschieden, der Lebensstandardim Alter könne nur durch die gesetzlicheRente aufrechterhalten we rden. Trotz stei-gender Beiträge brechen die Leistungenfür die jungen Generationen immer wei-ter ein. Ursachen sind der Anstieg derL e b e n s e rw a rtung pro Dekade in De u t s c h-land um zwei Jahre und von Generationzu Generation ein Drittel weniger Kinder.

An einem Ausbau des privaten Vorsorge-Sp a rens führt daher kein Weg vo r b e i .Hierzu brauchen alle Bürger finanziellenSpielraum, um stärker und schneller vor-zusorgen. Notwendig sind:

L die dauerhafte Begrenzung des gesetz-lichen Rentenbeitrags auf unter 20Prozent;

L die schrittweise Anhebung des Ei n-trittsalters für die volle Rente auf 67Jahre;

L der Ausbau der privaten Kapitalde-ckung auf mindestens 40 Prozent derAlterseinkünfte;

L z wei statt elf Riester-Kriterien bei derPr i va t - Vorsorge – Auszahlung nachdem 60. Lebensjahr und No m i n a l we rt -Garantie der eingezahlten Be i t r ä g e .

7. Gesetzlichen Krankenkassen-beitrag auf zehn Prozent senken

Der Re g i e ru n g s e n t w u rf zur Ge s u n d-h e i t s reform schafft nicht den dringend not-wendigen Ku r s wechsel: Die gegenwärt i g e nVorschläge laufen darauf hinaus, zu steigen-den Kosten die Leistungen immer weiter zuverringern. Weder auf die demographischeHe r a u s f o rd e rung noch auf den kostspieli-gen medizinischen Fo rtschritt gibt die Bu n-d e s re g i e rung eine Antwort. Statt Re f o r m -St ü c k we rk brauchen wir eine gru n d l e g e n d eUmstellung des Ge s u n d h e i t s wesens. Na c hdem W R - Ko n zept können die gesetzlichenKassenbeiträge auf zehn Pro zent gesenktwe rden. Dies erf o rd e rt :

L den Einstieg in die kapitalgedeckte

Eigenbeteiligung von zehn Pro zent bis2010 und insgesamt 30 Pro zent bis2030;

L die Ei n f ü h rung sozial ve rt r ä g l i c h e rSelbstbehalte von jährlich bis zu 500 E;

L die private Absicherung von Freizeit-unfällen, des Za h n b e reichs sowie desKrankengeldes;

L mehr Ve rt r a g s f reiheiten und We t t b e-werb für Ärzte, Apotheken, Kassenund Krankenhäuser sowie

L den Abbau von mindestens 50.000Krankenhausbetten.

8. Leadership in Innovation – die Märkte der Zukunft gewinnen

Deutschland ve r l i e rt als In n ova t i o n s-s t a n d o rt zunehmend an Be d e u t u n g .Unsere besten Forscher wandern ins Aus-land ab. Statt mehr in die Zukunft jungerMenschen zu inve s t i e ren, erreichen wirbei den Bildungsausgaben nicht einmalmehr den OECD-Du rchschnitt. Un s e rBildungssystem braucht dringend mehrWettbewerb, mehr Leistungsorientierungund eine gezielte Elitenförderung:

L eine Studentenauswahl durch dieHochschulen – nicht durch die ZVS;

L die Ei n f ü h rung sozialve rt r ä g l i c h e rStudiengebühren für einen Qualitäts-sprung in Lehre und Forschung;

L eine Verbeamtung von Lehrern undProfessoren nur in Ausnahmefällen;

L die Förd e rung von Un t e r n e h m e n s a u s-gründungen aus den Un i ve r s i t ä t e n ,um die Vermarktung von Forschungs-

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ergebnissen zu beschleunigen.Un s e re Zukunft in der globalen In f o r-

mationsgesellschaft hängt mehr denn je da-von ab, dass wir die Medienkompetenz allerBürger stärken, die pre i s we rte Nutzung derKo m m u n i k a t i o n s n e t ze ermöglichen undzugleich unseren internationalen Rück-stand beim e-Government überw i n d e n .

9. Energie- und Umweltpolitik zum Standortvorteil entwickeln

Energie- und Um weltpolitik we rd e nimmer mehr zu einem ideologiegetriebe-nen Experimentierfeld, statt sie zu einemStandortvorteil zu entwickeln. Die einsei-tige Ausrichtung der Bundesregierung aufu m weltpolitische Ziele ohne jeglicheKo s t e n - Nu t zen-Analyse gefährdet einew i rtschaftliche En e r g i e versorgung, tre i b tu n s e re Schlüsselindustrien ins Au s l a n dund schadet damit letztlich der Umwelt.Wir brauchen dringend ein konsistentesenergie- und umweltpolitisches Ge s a m t-konzept mit folgenden Eckpunkten:

L einen ausgewogenen Mix aller En e r-gieträger für eine langfristig sichere ,we t t b ewerbsfähige und umwe l t ve r-trägliche Versorgung;

L mehr Wettbewerb bei Strom und Gasin Deutschland – möglichst auf Basisder Ve r b ä n d e ve re i n b a rungen; Büro-kratie und Kosten einer neuen Wett-b ewe r b s b e h ö rde müssen niedrig ge-halten werden;

L die Abstimmung von En e r g i e s t e u e r ns owie Klima- und Um we l t re g e l u n g e n

auf nationaler und europäischer Eb e n e ;L die Förd e rung der En e r g i e f o r s c h u n g

zur Beschleunigung der Ma rk t re i f eund Wi rtschaftlichkeit Er n e u e r b a re rEnergien sowie neuer umweltfreund-licher Energiesysteme; die Rück-f ü h rung der St e i n k o h l e - Su bve n t i o-nen.

10. Wirtschaftswachstum braucht mehrMobilität

Gl o b a l i s i e rung, EU-Os t e rwe i t e ru n gund Wi rtschaftswachstum erf o rd e r nmehr und nicht weniger Mobilität. Di eBu n d e s re g i e rung hingegen will demp ro g n o s t i z i e rten Ve rk e h r s w a c h s t u md u rch eine im internationalen Ve r g l e i c hwe i t e re Ve rt e u e rung von Ve rk e h r s l e i s t u n-gen über Steuern und Abgaben begegnen.Dabei sind deutsche Anbieter im interna-tionalen We t t b ewerb schon heute massivbenachteiligt. Zur St ä rkung der Leis-tungsfähigkeit unseres Ve rk e h r s s y s t e m ssind notwe n d i g :

L mehr Pu b l i c - Pr i va t e - Pa rtnerships zurFi n a n z i e rung der Ve rk e h r s i n f r a s t ru k-tur;

L die vollständige Ve rwendung derLKW-Maut für die Straße;

L ein neuer Bu n d e s ve rk e h r s we g e p l a n ,der sich an Ma rk t b e d ü rfnissen undnicht an Ideologien orientiert;

L die St ä rkung des We t t b ewerbs imS c h i e n e n ve rkehr – national und inter-national;

L der we l t weite Abbau von Su bve n t i o-

nen im Luftverkehr.11. Handlungsunfähigkeit und Spaltung der EU beenden

Ohne größere Tr a n s p a renz undHandlungsfähigkeit ve r l i e rt Eu ropa dieUnterstützung seiner Bürger. In derAußen- und Sicherheitspolitik sollte dieEU endlich mit einer Stimme spre c h e n .Der Wi rtschaftsrat setzt sich für einene u ropäischen Ve rf a s s u n g s ve rtrag ein, dereinen föderalen und konsequent mark t-w i rtschaftlichen Kurs der EU sichert .Dies erf o rd e rt:

L keinen neuen Zentralismus in derWi rtschafts-, Sozial- und Be s c h ä f t i-gungspolitik, sondern die Be s c h r ä n-kung auf konkret benannte EU-Kom-petenzen;

L ein De f i z i t ve rf a h ren ohne Veto derE U - Finanzminister und den Er h a l tder Unabhängigkeit der EuropäischenZentralbank;

L schlanke Institutionen und effizienteAbstimmungsregeln; ein Kongress derVölker oder ein starker Ratspräsidentverwischen nur die Zuständigkeiten;

L eine Deckelung des EU-Ha u s h a l t sauch nach 2006 und die Ve r h i n d e-rung eines neuen Pro t e k t i o n i s m u sgegen die Beitrittsländer.

Die Integration offener Märkte mitf reiem We t t b ewerb muss die Tr i e b f e d e rfür den Au f h o l p ro zess der mittel- und ost-e u ropäischen Staaten sein. En t s c h e i d e n dfür den Beitritt zur Euro-Zone bleibt dieErfüllung der Maastrichter Kriterien.

12. Kräfte freisetzen für mehr Leistung

Deutschland braucht keine neuenDe t a i l reformen, sondern eine gru n d l e-gende Neuorientierung der Wirtschafts-,Finanz- und Sozialpolitik.

L Leistung muss sich wieder lohnen!

L Ei g e n i n i t i a t i ve darf nicht länger durc hB ü rokratie und Be vormundung er-stickt werden.

Mit seinen Prioritäten möchte derWirtschaftsrat einen Anstoß für den wirt-schaftlichen Wiederaufstieg De u t s c h l a n d sgeben. Die Menschen sind durchaus zuEinsparungen und Opfern bereit. Sie ver-langen allerdings von der Politik zu Recht

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Karl-Josef BaumGeneralbevollmächtigter der Metro AG

Der Ge n e r a l b e vollmächtigte derMe t ro AG, Karl-Josef Baum, ford e rte Bu n-d e s re g i e rung und Opposition zur Zu s a m-menarbeit auf. „Die Politik hat nun dieAufgabe, sich den He r a u s f o rd e ru n g e nauch in einer selbstkritischen Art undWeise zu stellen und die Zukunft De u t s c h-lands aktiv zu gestalten“, sagte Baum. Di eMe t ro AG begrüße jeden Schritt der Po l i-tik in die richtige Richtung. So habe zumBeispiel die positive Erf a h rung mit derTe i l l i b e r a l i s i e rung des Ladenschlussgeset-zes mit ve r l ä n g e rten Öffnungszeiten anSamstagen um vier Stunden gezeigt, dasses in Deutschland wirtschaftliche Po t e n-ziale gebe, die relativ einfach fre i g e s e t z twe rden könnten. Konsum habe viel mitder Einschätzung der künftigen En t w i c k-lung, mit „Konsumlaunen“ zu tun. Di erot-grüne Koalition habe aber in ihre rA m t s zeit viel zur Ve ru n s i c h e rung der Ko n-

sumenten beigetragen. Der Ge n e r a l b e vo l l-mächtigte der Me t ro AG betonte, dass nunalle Pa rteien geford e rt seien, ernsthaft undk o n s t ruktiv zusammenzuarbeiten und aufwahltaktische Auseinandersetzungen zu

Die Reform der Staatsordnung – Flexibilitätund Dynamik gewinnen

Podium I

In das Thema ,,Die Reform derStaatsordnung – Flexibilität und Dyna-mik gewinnen“ führten ein: Erwin Teu-fel MdL, Ministerpräsident des LandesBa d e n - W ü rttemberg sowie Pro f. Dr. Dr.Udo Di Fabio, Richter des Bu n d e s ve r-fassungsgerichtes.

Unter der Moderation von St e f a nBa ron, Chefredakteur Wi rt s c h a f t s w o c h e ,d i s k u t i e rten: Karl-Josef Baum, Ge n e r a l-b e vollmächtigter der Me t ro AG; El m a rBrok Md E P, Vo r s i t zender des Au s s c h u s-ses für Au s w ä rtige Angelegenheiten undVo r s i t zender der EV P - Gruppe im EU-Ko n vent zur Zukunft Eu ropas; Dr.Nikolaus Schwe i c k a rt, Vo r s i t zender desVorstandes der Altana AG sowie Pro f. Dr.Wolfgang Wi e g a rd, Un i versität Re g e n s-burg, Vo r s i t zender des Sa c h ve r s t ä n d i g e n-rates zur Begutachtung der gesamtwirt-schaftlichen En t w i c k l u n g .

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Udo Di Fabio, Richter am Bu n d e s-ve rfassungsgericht, ve rtrat die Au f f a s s u n g ,dass sich die Bu n d e s republik bereits häu-figer in Krisen wähnte, die bei Lichtbetrachtet gar keine gewesen seien. He u t eaber erschalle der „Ruf der Kassandra“ ausdem Mund seriöser Wi s s e n s c h a f t l e r, inter-nationaler Organisationen, Banken undstatistischer Ämter. „Deutschland scheintheute in einer tief greifenden St ru k t u r-krise“, sagte Di Fa b i o.

Zur Diskussion um eine Reform desinstitutionellen Staatsgefüges sagte derVe rf a s s u n g s r i c h t e r, dass die „demokrati-sche Selbstblockade“ durch die stark eL ä n d e rkammer in der föderal ve rf a s s t e nBu n d e s republik hemmend wirken könne.Dennoch sei zu bedenken, dass der Ei n-fluss der Länderkammer auf die Bu n d e s-gesetzgebung den Volkswillen widerspie-gele.

„ Wer den Ei n fluss des Bundesrates aufdie Bundesgesetzgebung beschneidenwill, beschneidet zugleich den Vo l k s w i l-len, der seit Ja h rzehnten über die Länder-parlamente Mäßigung und Ko r rektur derRe g i e rungsmehrheit im Bund erstre b t , “warnte Di Fa b i o.

Gleichwohl sei heute darüber nach-zudenken, ob der „ve r ä n d e ru n g s a ve r s e “B ü r g e rwille in der Realität noch so akze n-

t u i e rt bestehe, wie dies durch die Praxis inden beiden Kammern des Pa r l a m e n t e szum Au s d ruck komme. Da rum müsse imEinklang mit der Gru n d k o n zeption derDeutschen Ve rfassung ein „Rückbau derSt ru k t u ren mit Mi s c h ve r a n t w o rt u n g “betrieben we rd e n .

„ K l a re re Muster von Ko m p e t e n ze nund Risiken würden womöglich aufKosten der einheitlichen Lebensve r h ä l t-nisse gehen, aber die Ve r a n t w o rtung vo nL a n d e s re g i e rungen und Landesparlamen-ten wieder sichtbarer machen“, betonteDi Fabio: „Das hieße: Klare Ko m p e t e n z-a b g renzung, Trennung der St a a t s e i n n a h-men nach Ebenen, Ab flachung der ve rt i-kalen und horizontalen Au s g l e i c h s s y s-teme.“

Die eigentlichen He r a u s f o rd e ru n g e nDeutschlands seien einerseits die In t e r n a-t i o n a l i s i e rung und die Eu ro p ä i s i e rung derpolitischen Herrschaft und andere r s e i t sder Verlust von Vitalität und Wa c h s t u m s-kräften durch die Überalterung und ge-sellschaftliche Kinderarmut.

Die beiden Entwicklungen we rd e nnach Einschätzung Di Fabios aber nochnicht angemessen erfasst. „Doch wieimmer das Schicksal von Re f o r m a n s ä t ze naussehen wird, insgesamt wirkt die deut-sche Gesellschaft ve r g l e i c h s weise unbe-weglich und ohne ausreichend scharf e nBlick für die Grundlagen des Wi rt s c h a f-tens und Re g i e rens“, kritisierte der Ve r-f a s s u n g s r i c h t e r.

Die europäischen Völker stehen nachden Wo rten Di Fabios vor der Frage, obsie als Subjekt im Pro zess der We l t g e s e l l-schaft noch eine tragende Rolle spielenkönnen und wollen. „Die we i t e re Ze n t r a-l i s i e rung der Eu ropäischen Union (EU)kann eine Antwort, sie kann aber aucheine Illusion sein“, warnte der Richter.

St a rk sei die Eu ropäische Union nur,wenn ihre Mitgliedstaaten zentrale Pro b-leme in eigener Ve r a n t w o rtung lösenkönnten. „Un b ewegliche und überschul-dete, durch ein zu enges Korsett desRechts eingeschnürte Staaten sind keinegeeignete Grundlage für eine gesunde

Integration“, mahnte Di Fa b i o. „Die EUd a rf nicht zu einem Riesen auf tönernenFüßen we rden.“

Auch die hausgemachten Pro b l e m eder Mitgliedstaaten könne die Eu ro-päische Union nicht lösen. „Die EU darfnicht die Fehler in der wohlfahrt s t a a t-lichen Entwicklung und des St a a t s i n t e r-ventionismus wiederholen“, betonte DiFa b i o.

Wenn Deutschland im In n e ren Fl e x i-bilität zurückgewinnen wolle, sollte eszudem nicht ohne we i t e res einer Fo rt e n t-wicklung des Eu ropäischen Ve rt r a g s re c h t szustimmen, die durch die Ei n f ü h rung vo nMehrheitsentscheidungen in ze n t r a l e nFeldern wie der Ei n w a n d e rung, demUmfang von Sozialleistungen, der fin a n-ziellen Ausstattung der EU oder der We i-t e rentwicklung der Ve rt r a g s g ru n d l a g e ndem Mitgliedsland Ei g e n s t ä n d i g k e i tn i m m t .

„ Die Au s weitung der Me h r h e i t s e n t-scheidung wahrt die Fu n k t i o n s f ä h i g k e i tder Union und ihrer Staaten nur dann,wenn dies mit einer klaren Zu s t ä n d i g-keitsbeschränkung einhergeht“, sagte DiFa b i o.

Nachhaltige Dynamik we rde überd i e skünftig nur dann entstehen, wenn died e rzeitige Altersentwicklung der deut-schen und europäischen Gesellschaft imTrend angehalten oder umgekehrt we rd eund die individuelle Leistungsbere i t s c h a f tdeutlicher als bisher zum Maßstab staat-licher Ve r h a l t e n s s t e u e rung gemachtwe rde. „Wenn die Ve rfassung re f o r m i e rtwe rden soll, wäre es an der Zeit, dieGe m e i n s c h a f t s g rundlagen der Re p u b l i kwieder klar anzusprechen: Wi rt s c h a f t-licher Leistungswille,

Gemeinschaftssinn und El t e r n ve r a n t-w o rtung sind die Fundamente jeder Ge-sellschaft – alle drei Einstellungen müssenviel nachdrücklicher als bisher geförd e rtwe rden“, re s ü m i e rte Di Fa b i o. Nur aufdiesen Fundamenten lasse sich die „gro ß eIdee“ der Sozialen Ma rk t w i rt s c h a f tf o rt f ü h ren, unterstrich der Ve rf a s s u n g s-r i c h t e r.

Prof. Dr. Dr. Udo Di FabioRichter des Bundesverfassungsgerichtes

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ve rzichten. „Jammern ist keine unterneh-merische Aktion“, sagte Baum. Krisenseien auch eine He r a u s f o rd e rung, aus derdie weitsichtig orientiert Ha n d e l n d e ng e s t ä rkt hervorgingen. Die in der „Agenda2010“ formulierten Ziele für die Wi rt-schafts- und Sozialpolitik seien zwar einrichtiger Ansatz, die jedoch bei we i t e mnicht ausreichten, um die stru k t u re l l e nProbleme in Deutschland zu lösen und dieBu n d e s republik zurück auf einen nachhal-tigen Wachstumspfad zu führen.

Elmar BrokVorsitzender des Ausschusses für AuswärtigeAngelegenheiten und Vorsitzenderder EVP-Gruppe im EU-Konventzur Zukunft Europas

„Für die Eu ropäische Union ist derAbschluss des Ve rf a s s u n g s k o n vents ein

historisches Ereignis“, sagte Elmar Bro k(CDU), Vo r s i t zender der EV P - Gruppe imE U - Ko n vent zur Zukunft Eu ropas. Di eArbeiten des Ve rf a s s u n g s k o n vents seienein wesentlicher Fo rtschritt im Ve r g l e i c hzum Ve rtrag von Nizza. „Was die 105 Mi t-glieder der ersten Eu ropäischen Ve rf a s-sung erarbeitet haben, geht weit über dashinaus, was in Maastricht, Amsterd a mund Nizza erreicht wurde“, sagte Bro k .Seiner Ansicht nach sollte das beschlos-sene Paket von den EU-Re g i e ru n g s c h e f snicht aufgeschnürt we rden. Brok beze i c h-nete die Arbeit der EV P - Gruppe im Ve r-f a s s u n g s k o n vent als Erfolg, weil sie vo nAnfang an Ziel orientierte Fo rd e ru n g e neingebracht habe und diese auch maßgeb-lich habe umsetzen können. „Vor allem istdie Ve rfassung an We rte gebunden“, soder CDU-Po l i t i k e r, „manches könntezwar besser sein, aber es ist schon fast ein

Wu n d e r, dass sich die Ve rt reter so vielerVölker auf eine Ve rfassung einigen konn-ten“. Brok betonte, dass der Ko n vent einvollständiges Ve rfassungsmodell und nichtverschiedene Optionen vorgelegt habe.Be d a u e r n s we rt sei indes, dass die institu-tionelle Balance bei dem Ve rf a s s u n g s e n t-w u rf nicht gew a h rt sei. „Die Schaffung desneuen hauptamtlichen Ratspräsidentenim Be reich der gemeinsamen Außen- undSicherheitspolitik wird unauswe i c h l i c hdazu führen, dass Konflikte mit demKommissionspräsidenten und den Au ß e n-ministern pro g r a m m i e rt sind“, warnte derC D U - Po l i t i k e r.

Dr. Nikolaus SchweickartVorsitzender des Vorstandes der Altana AG

Nikolaus Schwe i c k a rt ford e rte, dasssich die geistigen, politischen und wirt-schaftlichen Eliten des Landes an dieSp i t ze eines Reformkurses stellen solltenund die Bürger mit der „unerf re u l i c h e nRealität“ konfro n t i e ren müssten. „Da sklingt banal, findet aber schon bei Wahl-kämpfen regelmäßig nicht statt“, konsta-t i e rte der Vorstandschef von Altana. Di e„Agenda 2010“ der Bu n d e s re g i e rung seiein richtiger Ansatz, könne aber nur einAnfang sein, betonte Schwe i c k a rt. De rAltana-Chef regte ferner an, die Gesetzge-b u n g s k o m p e t e n zen zwischen Bund undLändern neu zu regeln. „Die Länder sollendabei mehr Eigenständigkeit erhalten undder Bund nur die Aufgaben übernehmen,die einer einheitlichen bundesstaatlichenLösung bedürfen.“ Die Mitsprache derLänder bei der Bundesgesetzgebung sei imGegenzug zu begre n zen. Auch eine Ab-

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schaffung des Bundesrates müsse in die-sem Zusammenhang erwogen we rd e n .„Das Subsidiaritätsprinzip sollte maßgeb-liches Organisationsprinzip unserer gesell-schaftlichen Ordnung sein“, betonte derManager. In der Tendenz müsse bei einer

Reform des St a a t s o r g a n i s a t i o n s re c h t smehr Verantwortung „nach unten“ verla-gert werden, dazu parallel solle die Steuer-hoheit der Länder und die Stellung derGemeinden gestärkt we rden. „Der Tre n-nung von Aufgaben muss zudem die klareZu o rdnung von Finanzmitteln folgen“,sagte Schwe i c k a rt. Er kritisierte, dassheute mehr als vier Fünftel der Steuerein-nahmen in den Ländern eingenommenw ü rden und anschließend mit einemk o m p l i z i e rten Schlüssel zwischen Bu n d ,Ländern und Gemeinden aufgeteilt wür-den. „Da d u rch ist die politische und

finanzielle Ve r a n t w o rtung kaum mehrzuzuordnen.“

Prof. Dr. Wolfgang WiegardUniversität Regensburg, Vorsitzender desSachverständigenrates zur Begutachtungder gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Für den Vo r s i t zenden der Wi rt s c h a f t s-weisen, Wolfgang Wi e g a rd, sind dieföderalen Institutionen und En t s c h e i-d u n g s s t ru k t u ren mitve r a n t w o rtlich fürden viel beklagten Reformstau inDeutschland. „Selbst bescheideneRe f o r m vorhaben der Bu n d e s re g i e ru n gd rohen im Bundesrat blockiert zu we r-den“, kritisierte der Wirtschaftsweise. AlsBeispiele führte Wiegard die Reform derHandwerksordnung, das geplante Vorzie-hen der St e u e r reform und die Bl o c k a d e-politik des einstigen SPD-Vo r s i t ze n d e n

Oskar Lafontaine an. Moralische Appellean die jeweilige Opposition, die in denLändern die Mehrheit habe, gingen amKern des Problems vorbei, erläuterte derWirtschaftswissenschaftler. „Die jeweiligeBundesratsmehrheit verhält sich aus ihrerSicht durchaus rational, das Problem sinddie institutionellen Regelungen, die einsolches Bl o c k a d e verhalten ermöglichen.“Diese seien darum so zu ändern, dassZuständigkeiten und Ve r a n t w o rt u n g e nklar zugewiesen we rden und effizienteEn t s c h e i d u n g s s t ru k t u ren entstehen.„ Grundsätzlich gilt: Der kooperativeFöderalismus muss durch einen We t t b e-

werbsföderalismus ersetzt we rden“, for-derte Wiegard. Dazu müssten die folgen-den drei Prinzipien re a l i s i e rt we rd e n :Autonomie, fiskalische Äquivalenz unddas Konnexitätsprinzip.

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Prof. Dr. Kurt FaltlhauserBayerischer Staatsminister der Finanzen

Die Steuerpolitik der Bu n d e s re g i e-rung ist nach Einschätzung des baye r i-schen Finanzministers Ku rt Fa l t l h a u s e r(CSU) die wesentliche Ursache für einenVe rt r a u e n s verlust der Be v ö l k e rung in dieRe g i e rung. „Die Bu n d e s re g i e rung hat dieUnternehmen und die Bürger in derSumme nicht wirklich entlastet, sondernd u rch eine Vielzahl von St e u e re r h ö h u n-gen belastet“, stellte Faltlhauser fest. De rMinister betonte, dass die Fi n a n z p o l i t i kdazu beitragen müsse, die Leistungs-b e reitschaft der Menschen, den In ve s t i-tionswillen der Unternehmen und damitdie Grundlage für wirt s c h a f t l i c h e sWachstum nicht zu beeinträchtigen.Faltlhauser zufolge sind die entscheiden-den Fa k t o ren für eine gute St e u e r p o l i t i kl a n gfristige Verlässlichkeit, eine deutlicheSenkung der Steuerbelastung, Tr a n s p a-renz und Einfachheit des St e u e r s y s t e m s

und nicht zuletzt St e u e r g e re c h t i g k e i t :„ Nur eine konstante, nicht von hekti-schen Schnellschüssen und Zi c k z a c k -Entwicklungen belastete St e u e r p o l i t i kschafft Ve rtrauen für Bürger und In ve s-

Neue Prioritäten in derSteuerpolitik – Entlastungund Strukturreformen

Podium II

In das Thema ,,Neue Prioritäten inder Steuerpolitik – St ru k t u r re f o r m e nund Entlastung“ führten ein: Pro f. Dr.Hermann Re m s p e r g e r, Chefvo l k s w i rtund Mitglied des Vorstandes der Deut-schen Bundesbank sowie RA Fr i e d r i c hMe rz MdB, stellve rt retender Vo r s i t ze n-der der CDU/CSU-Fraktion im De u t-schen Bundestag.

Unter der Moderation von Carl Gr a fHohenthal, stellvertretender Chefredak-t e u r, Die Welt, diskutierten: Pro f. Dr.Ku rt Faltlhauser MdL, Ba ye r i s c h e rStaatsminister der Fi n a n zen; Vo l k e rHalsch, Staatssekretär im Bundesminis-terium der Finanzen; Dr. Jochen Kraut-ter, Finanzvorstand und persönlich haf-tender Gesellschafter der Henkel KGaAsowie Dr. Michael Rogowski, Präsidentdes Bu n d e s verbandes der De u t s c h e nIndustrie e.V.

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„ Die deutsche Wi rtschaft befindetsich in einer hartnäckigen St o c k u n g s-phase, die auch durch den Reformstau inder Wi rtschafts- und Finanzpolitik ve r-ursacht worden ist“, kritisierte der Chef-vo l k s w i rt der Bundesbank, He r m a n nRe m s p e r g e r. Zur Überwindung derWachstumsschwäche seien vo rd r i n g l i c hverlässliche staatliche Rahmenbedingun-gen für das wirtschaftliche Ha n d e l nerforderlich, sagte Remsperger.

Der Chefvo l k s w i rt der Bu n d e s b a n kbetonte, dass insbesondere an einer Kon-s o l i d i e rung der öffentlichen Ha u s h a l t ekein Weg vorbei führe. „Sie ist auch kon-junkturpolitisch nicht schädlich“, sagteRe m s p e r g e r. Hohe staatliche De f i z i t -und Schuldenquoten nährten hingegendie Be f ü rchtung we i t e rer Ab g a b e n e r-höhungen in der Zukunft, wodurch derAttentismus von Konsumenten undUnternehmen weiter geförd e rt we rd e .„ Eine klare Ko n s o l i d i e rungslinie, diem ö g l i c h e rweise sogar die Erw a rt u n geiner sinkenden Abgabenlast stützt, kanninsofern wachstumsfördernd wirk e n “ ,sagte Remsperger.

Um dieses Ziel zu erreichen, müsseder geplante Defizitabbau allerd i n g sg l a u bw ü rdig sein und von den politi-schen Entscheidungsträgern hinre i c h e n dk o n k re t i s i e rt we rden. „Auch sollten nicht

von vorne herein Me h reinnahmen auseiner erhofften Wachstumsbelebung indie Planungen einkalkuliert we rd e n “ ,warnte Re m s p e r g e r, weil eine wachs-t u m s g e rechte Ko n s o l i d i e ru n g s p o l i t i kwegen der hohen Ab g a b e n b e l a s t u n gnicht zu St e u e rerhöhungen Zu f l u c h tnehmen dürfe.

Die deutsche Finanzpolitik stehe des-halb vor der No t wendigkeit, auf dereinen Seite die Ko n s o l i d i e rung derStaatsfinanzen betreiben zu müssen undauf der anderen Seite die staatlichenAbgaben zu senken. „Daraus folgterstens: Der dringend erforderliche Defi-zitabbau darf nur über die Ausgabenseitee rfolgen. Zweitens kommen we i t e reSt e u e rentlastungen erst in Frage, we n ndafür nach erfolgtem Defizitabbau haus-haltspolitischer Spielraum besteht“,betonte der Chefvo l k s w i rt der Bu n d e s-bank.

Remsperger hob ferner hervo r, dassdas deutsche Steuersystem durch einehohe tarifliche Grenzbelastung geprägtsei, die zu zahlreichen Ausweichreaktio-nen der Steuerpflichtigen führe. Da h e rbestehe Bedarf, die Grenzbelastung wei-ter zu senken. „Wie schnell und wie weitman hier gehen kann, hängt von derstaatlichen Haushaltslage und den Mög-lichkeiten der Ge g e n f i n a n z i e rung ab“,stellte Remsperger klar. Wolle man wei-t e re Steuersenkungen vor dem De fiz i t a b-bau realisieren, müssten diese vollständigg e g e n f i n a n z i e rt we rden. „Hi e rfür kom-men ein umfassender Abbau von Steuer-vergünstigungen und eine Um s c h i c h-tung von direkten zu indirekten Steuernin Betracht“, sagte Remsperger.

Angesichts der drängenden Fi n a n z-p robleme der Kommunen sprach sichder Chefvo l k s w i rt gegen eine „Re v i t a l i-sierung“ der Gewerbesteuer aus, wie siedie Bu n d e s re g i e rung plant. Er ford e rt estattdessen ein kommunales Zu s c h l a g s-recht der Gemeinden zur Ei n k o m m e n -und Körperschaftsteuer und eine höhereBeteiligung an der Umsatzsteuer.

Remsperger betonte, dass die Steuer-politik vor allem wieder kalkulierbare r

werden müsse. „Weitere steuerpolitischeReformen sollten in ein konsistentesGe s a m t k o n zept integriert we rden, dassden Wirtschaftsakteuren verlässliche län-gerfristige Perspektiven aufzeigt.“

Das St e u e r recht müsse sich wiederauf seine Kernaufgabe der staatlichenEi n n a h m e e rzielung konze n t r i e ren undd u rch den Abbau von St e u e rve r g ü n s t i-gungen wieder neutraler we rden unddamit auf politisch beabsichtigte Len-kungswirkungen verzichten.

„ Dies würde auch die Tr a n s p a re n zf ö rdern und zum Bürokratieabbau bei-tragen“, sagte Re m s p e r g e r. Auf dieseWeise könne auch der Weg zu niedrige-ren Steuersätzen geebnet werden.

Ferner sollten bei einer umfassendenReform des Steuerrechts Unterschiede inder Be s t e u e rung der Gew i n n ve rwe n-dung, der Ei n k o m m e n s a rten und derUn t e r n e h m e n s rechtsformen abgebautwerden, um die damit verbundenen allo-kativen Verzerrungen zu beseitigen.

Dringend erf o rderlich sei auch eineNe u o rdnung und Ha r m o n i s i e rung derBe s t e u e rung von Kapitaleinkommen.„ Eine Abgeltungsteuer auf Kapitalert r ä g ew ä re hier ein richtiger Schritt“, sagteRemsperger. Um jedoch das Risikokapi-tal nicht zu benachteiligen und dieFre m d f i n a n z i e rung nicht zu begünsti-gen, müsse der Abgeltungssteuersatz inHöhe des Körperschaftsteuersatzes fest-gelegt werden, betonte der Bundesbank-Volkswirt.

„Auch wenn ein solch durchgreifen-der Re f o r m e n t w u rf nicht in den kom-menden Jahren realisierbar wäre, könnteer doch als steuerpolitisches Leitbild die-nen“, sagte Re m s p e r g e r. Mit ve r l ä s s-lichen Pe r s p e k t i ven, die eine sinkendeAbgabenlast einschlössen, ließe sich dieVe ru n s i c h e rung der Wi rt s c h a f t s a k t e u reü b e rwinden. „Ein unve rz i c h t b a res El e-ment einer solchen Strategie müsste frei-lich ein glaubhafter, auf Au s g a b e n b e-g renzung gerichteter Ko n s o l i d i e ru n g s-kurs sein“, betonte der Bu n d e s b a n k -Volkswirt.

Prof. Dr. Hermann RemspergerChefvolkswirt und Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank

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„ Niemand in der Union ist gegenSteuersenkungen“, stellte der stellvertre-tende Fr a k t i o n s vo r s i t zende der Union imBundestag klar. „Wir befürw o rten unddringen auf eine möglichst schnelle undd u rc h g reifende Entlastung.“ Indes kön-ne die Union nach Auffassung von Merzdem von der rot-grünen Bu n d e s re g i e-rung geplanten Vo rziehen der St e u e r re-form 2005 um ein Jahr auf den Anfangdes Jahres 2004 im Bundesrat nur unterBedingungen zustimmen.

Vo rdringlich ist für Me rz, dass zuvo rdie Prioritäten bei der Reform desA r b e i t s m a rktes und der So z i a l s y s t e m erichtig gesetzt we rden. „Zunächst mussin Deutschland der Arbeitsmarkt inOrdnung gebracht we rden“, ford e rte derC D U - Po l i t i k e r. Nach Auffassung vo nMe rz gehört dazu insbesondere eineNe u j u s t i e rung der Lohnfindungssys-teme. Der stellve rt retende Un i o n s f r a k-tionschef ve rwies darauf, dass Bu n d e s-kanzler Ge r h a rd Schröder (SPD) in sei-ner Re g i e ru n g s e rk l ä rung am 14. Märzdiesen Ja h res vor dem Deutschen Bu n-destag eine Öffnung der Fl ä c h e n t a r i f-ve rträge in Aussicht gestellt habe, soferndies notwendig sei. Nach Au f f a s s u n gvon Me rz hat spätestens der St reik derIn d u s t r i e g ewe rkschaft Metall in Os t-deutschland diesen „casus belli“ gelie-f e rt.

Erforderlich sei darum, dass der Ge-setzgeber in Abweichung von Fl ä c h e n-tarifverträgen betriebliche Bündnisse fürArbeit legalisiere. „Das hat wirt s c h a f t s-politisch absolute Priorität“, betonteMe rz. „Die Ta r i f ve rt r a g s p a rteien habenoffenkundig durch die Blockadehaltungeiner Reihe von Gewe rk s c h a f t s f u n k-t i o n ä ren gezeigt, dass sie nicht mehr inder Lage sind, durch ihre Tarifabschlüssegesamtwirtschaftliche Verantwortung zudokumentieren“, kritisierte Merz.

Es sei nicht länger hinnehmbar, dasssich solche Vorgänge mit dem Ve rwe i sauf die Tarifautonomie jeglicher Ko m-m e n t i e rung durch die Politik entzögen,weil die daraus resultierenden Problemeschließlich zu Lasten der Allgemeinheitgingen. Vor einer breit angelegtenSteuerentlastung muss nach Ansicht vonMerz ferner eine Übereinkunft über eineg rundlegende Reform der beiden sozia-len Sicherungssysteme stehen.

„Wir werden seit Jahren darauf hin-g ewiesen, dass wir in unseren sozialenTransfersystemen falsche Anre i ze gegeneine Rückkehr in den regulären Arbeits-m a rkt setzen“, sagte Me rz. Für arbeits-fähige Sozialhilfeempfänger müsse künf-tig der Grundsatz gelten, dass keine Leis-tung mehr ohne Gegenleistung gewährtwe rde. „Im Klartext: Über eine solcheg rundlegende Reform der sozialen Tr a n s-fersysteme Arbeitslosen- und So z i a l h i l f emuss vor jeder steuerlichen En t l a s t u n geine Entlastung der öffentlichen Ha u s-halte auf der Ausgabenseite dauerhaft sta-tuiert werden“, forderte Merz.

In diesem Zusammenhang kritisierteder CDU-Po l i t i k e r, dass den gro ß e ns t ru k t u rellen Problemen der So z i a l k a s s e nin der Vergangenheit häufig mit einerUmfinanzierung von Beiträgen zu Steu-ern begegnet worden sei. „Wenn mehr als30 Prozent des Bundeshaushalts als lau-fender Zuschuss in die Re n t e n ve r s i c h e-rung zu zahlen sind, dann muss vor jedergrundlegenden Steuerreform und weite-ren Steuersenkung dieses Problem miteiner grundlegenden Reform der deut-schen Re n t e n ve r s i c h e rung gelöst we r-den“, betonte Merz.

Eine höhere St e u e rf i n a n z i e rung seiindes genau der falsche Weg. „Wir befin-den uns in einem weltweiten Steuerwett-b ewe r b, und dies muss De u t s c h l a n dbeachten, wenn es hier zu langfristig trag-fähigen Konzepten kommen soll“, sagteMerz. Vordringliche Aufgabe der Steuer-politik sei gegenwärtig das Zu r ü c k g e-winnen von Ve rtrauen. „Ve rtrauen istaber nicht zurück zu gewinnen, wenn beijeder sich bietenden Gelegenheit über dieWi e d e re i n f ü h rung der Ve r m ö g e n s t e u e r,über die Erhöhung der Er b s c h a f t s t e u e r,über die Erhöhung der Me h rwe rt s t e u e rund über die Erhebung einer Au s b i l-dungsplatzabgabe diskutiert wird“, sagteMe rz an die Ad resse der ro t - g r ü n e nRegierungskoalition.

Die von der Bu n d e s re g i e ru n gg e f ü h rte Debatte über St e u e re r h ö h u n g e nmüsse umgehend beendet we rd e n .„Dann wird es auch wieder Vertrauen inden Wi rt s c h a f t s s t a n d o rt und in denFinanzplatz Deutschland geben“, sagteMerz.

Der Fr a k t i o n s v i ze von CDU/CSUsprach sich ferner dafür aus, bei einerReform der Ko m m u n a l f i n a n zen dieGewerbesteuer abzuschaffen. Dies müssezwingend mit einer Reform der Einkom-men- und Körperschaftsteuer verbundenwerden.

Me rz betonte, Ziel jeder groß ange-legten Steuerreform müsse ein einfache-res und transparentes Steuersystem sein,das auf einer breiten steuerlichen Bemes-s u n g s g rundlage ruhe und sich durc hniedrige Steuersätze für alle auszeichne.

„ Professor Homburg hat uns erstkürzlich auf einer großen Veranstaltungdes Wi rtschaftsrates deutlich gemacht,dass dieses Ziel erreichbar ist“, sagteMe rz mit Bezug auf das St e u e r re f o r m-modell des Wi rtschaftsrates und desHa n n overaner Professors Stefan Ho m-burg. „Höheres wirtschaftliches Wa c h s-tum, mehr Beschäftigung, Abbau deröffentlichen Defizite bei gleichze i t i g e rAbsenkung der Steuer- und Abgabenlastfür die Bürger in Deutschland sind mög-lich“, betonte Merz.

RA Friedrich Merz MdBStellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

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t o ren.“ Da rum dürfe es in den kommen-den Ja h ren definitiv keine we i t e reErhöhung der Steuerlast geben, die an-gekündigten St e u e r reformstufen müss-ten auch vo l l zogen we rden und das Ve r-mögensteuergesetz müsse aus Gr ü n d e nder Rechtssicherheit nicht nur ausgesetzt,sondern formell abgeschafft we rden. „Ic hlehne eine Steuerpolitik ab, die den Bür-gern auf der einen Seite ve r m e i n t l i c hEntlastung bringt, auf der anderen Se i t ejedoch über Ökosteuern, höhere Ve r s i-c h e ru n g s t e u e r, höhere Ta b a k s t e u e r, Ve r-schiebung von ve r s p rochenen Ei n k o m-m e n s t e u e r - Entlastungen und andere nAbgabenerhöhungen das Geld wieder ausder Tasche zieht“, sagte Faltlhauser mitBlick auf die Finanzpolitik der ro t - g r ü-nen Bu n d e s re g i e rung. „Unterm St r i c hmuss für den Bürger mehr in der Ta s c h eb l e i b e n . “

Volker HalschStaatssekretär im Bundesministerium der Finanzen

Nach Einschätzung der Bu n d e s re g i e-rung geht es Volker Halsch zufolge beieiner Entscheidung um Steuersenkungenzunächst um die Umsetzung der „Agenda2010“, die Bundeskanzler Ge r h a rd Schrö-der (SPD) bei seiner Regierungserklärungam 14. März vor dem Deutschen Bu n-destag vorgestellt hat. Der St a a t s s e k re t ä rim Bundesfinanzministerium führte diedarin enthaltenen Strukturreformen hin-sichtlich des Arbeitsmarktes und dersozialen Si c h e rungssysteme an. Se i n e rAuffassung nach liegen rot-grüne Bu n d e s-re g i e rung und Un i o n s - Opposition beidiesen Fragen gar nicht so weit auseinan-d e r, wie es in der Öffentlichkeit denAnschein habe, sagte Halsch. W ä h re n düber die Grundkonzepte oft weit gehende

Einigkeit bestehe, bezögen sich dieschwierigen Auseinandersetzungen vo rallem auf die Details. Nach den Wo rt e nHalschs beabsichtigt die Bundesregierungnicht, dass bereits im Bundesrat geschei-t e rte „St e u e rve r g ü n s t i g u n g s a b b a u g e s e t z “erneut auf die politische Tagesordnung zubringen. Gleichwohl sei die ro t - g r ü n eKoalition entschlossen, den Subventions-abbau voranzubringen. Über die De t a i l smüsse jedoch in der diesbezüglich einge-richteten Arbeitsgruppe der Ministerprä-sidenten Peer Steinbrück (SPD) undRoland Koch (CDU) verhandelt werden.

Dr. Jochen KrautterFinanzvorstand und persönlich haftenderGesellschafter der Henkel KGaA

Ein Land am Rande zur Reze s s i o nd ü rfe die Steuern nicht erhöhen, sagteJochen Krautter, Fi n a n z vorstand des He n-k e l - Ko n zerns. „Die internationale We t t-b ewerbsfähigkeit der Unternehmen undmehr Wachstumsdynamik für neue Ar-b e i t s p l ä t ze in Deutschland erf o rdern eineumfassende Reform unseres St e u e r s y s-tems“, ford e rte Krautter. Die Sa n i e ru n gder St a a t s f i n a n zen we rde jedoch nichtgelingen, wenn der Staat den Leistungs-willen der Bürger und die We t t b ewe r b s-fähigkeit der Unternehmen durch höhereSteuer- und Abgabenbelastungen we i t e reinschränke. „Es muss Schluss sein mit derpermanenten St e u e re r h ö h u n g s d i s k u s s i o n ,die Bürger und Unternehmen nachhaltigve ru n s i c h e rt und uns noch tiefer in dieWachstumsfalle und den Schuldenstaatt reibt“, mahnte der He n k e l - Vo r s t a n d .Nach den Wo rten Krautters würde zum

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Beispiel eine Wiederbelebung der Ve r m ö-gensteuer die Kapitalflucht ins Au s l a n d

a n h e i zen. Zudem würde ihre Er h e b u n geinen erheblichen Büro k r a t i e a u f w a n dnach sich ziehen, der in keinem Ve r h ä l t n i szu den Erträgen stehe. „Die Ve r m ö g e n-steuer ist nichts anderes als eine populis-tische Neidsteuer“, kritisierte Krautter.Eine Anhebung der Erbschaftsteuer birgtnach seiner Einschätzung außerdem eine„existenzielle Gefahr“ für mittelständischeFamilienunternehmen, weil der ohnehinschwierige Betriebsübergang auf die nach-folgende Generation zusätzlich belastetwe rde. „Die Folge wären we i t e re Be t r i e b s-aufgaben“, warnte Krautter.

Dr. Michael RogowskiPräsident des Bundesverbandes derDeutschen Industrie (BDI)

Wesentliche Voraussetzung für mehrWachstum und Beschäftigung sind aus

Sicht der Industrie we t t b ewe r b s g e re c h t eund verlässliche Rahmenbedingungen fürInvestoren. „Diese Grundlagen für erfolg-reiches unternehmerisches Handeln sindg e g e n w ä rtig in keinem Punkt gegeben“,k r i t i s i e rte der Präsident des Bu n d e s ve r-bandes der Deutschen Industrie (BDI),Michael Ro g owski. „Was wir auf keinenFall brauchen, sind täglich neue Di s k u s-sionen über St e u e rerhöhungen“, warnteder BDI-Chef mit Blick auf die St e u e r -und Finanzpolitik der Bu n d e s re g i e ru n g .Nach den Wo rten Ro g owskis gelte es nun,jegliche Steuer- und Abgabenerhöhung zuvermeiden. Die Bu n d e s re g i e rung planegleichwohl tiefe Eingriffe in gew a c h s e n eUnternehmensstrukturen. „Diskussionenum die Ei n f ü h rung einer Mi n d e s t b e-

s t e u e rung, eine pauschalierte Be s c h r ä n-kung des Betriebsausgabenabzugs und derGe s e l l s c h a f t e r - Fre m d f i n a n z i e rung sow i edie Einschränkung des Ve r l u s t a u s g l e i c h sbei stillen Gesellschaften sind pure St e u e r-erhöhungen“, kritisierte Ro g owski. So l c h eMaßnahmen überzögen die Un t e r n e h-men überdies mit we i t e rem büro k r a t i-schem Aufwand und seien Ba r r i e ren aufdem Weg zu mehr Wachstum. Ne b e neinem Ve rzicht auf St e u e re r h ö h u n g e nnannte Rogowski die Konsolidierung derStaatshaushalte als wichtigstes Ziel derFinanzpolitik. „Wieder steigt die St a a t s-verschuldung ungebremst“, monierte derIndustriepräsident. Die Folge seien einenoch höhere Steuer- und Ab g a b e n b e l a-stung in der Zukunft. „Deshalb muss derStaat zukünftig Aufgaben und Au s g a b e nnoch erheblich weiter einschränken“, for-derte Rogowski. V

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Dr. Jan BoetiusVorstandsvorsitzender derDKV Deutsche Krankenversicherung AG

Die Überalterung der Ge s e l l s c h a f tb e d roht nach Einschätzung des DKV-Vo r s t a n d s vo r s i t zenden Jan Boetius dieFinanzierbarkeit der staatlichen Sozialver-sicherungssysteme. Die gesetzliche Kran-k e n ve r s i c h e rung (GKV) sei wegen derdemographischen Entwicklung in Ve r b i n-dung mit dem medizinisch-technischenFo rtschritt doppelt betroffen: „Da m i tpotenzieren sich die Kosten, weil sie mitdem Alter der Ve r s i c h e rten überpro p o r-tional steigen“, warnte Boetius. Di eLebenserwartung habe sich innerhalb dervergangenen 100 Ja h re ve rdoppelt, zudemgingen seit 1970 die Ge b u rten starkzurück. Im Jahr 2050 würden Be v ö l k e-rungsprojektionen zufolge 38 Prozent derBevölkerung 60 Jahre und älter sein und85 Prozent der Gesundheitskosten verur-sachen. Nach den Worten des DKV-Vor-standschefs führt darum an einer stärk e-ren Eigenbeteiligung und an einem Aus-

bau des Kapitaldeckungsve rf a h rens imGe s u n d h e i t s wesen kein Weg mehr vo r b e i .Nur so sei die Generationensolidarität zugewährleisten, sagte Boetius. Zur Begrün-dung führte er die hohe Belastung derjungen Generation an. „Die junge Gene-ration wird doppelt belastet: Sie zahlt

Die Sozialordnung erneuern –Solidarität braucht mehr Eigenverantwortung

Podium III

In das Thema ,,Die So z i a l o rd n u n gerneuern – Solidarität braucht mehrEi g e n ve r a n t w o rtung“ führten ein: Dr.Dieter Hundt, Präsident der BDA, sow i eProf. Dr. Bernd Raffelhüschen, Univer-sität Freiburg.

Unter der Moderation von Dr. PeterGillies, diskutierten: Dr. Jan Boetius,Vo r s i t zender des Vorstandes der DKV;Dr. Ursula En g e l e n - Ke f e r, stellve rt re-tende Vo r s i t zende des Deutschen Ge-werkschaftsbundes; Günther Fleig, Mit-glied des Vorstandes, Personal undA r b e i t s d i re k t o r, Da i m l e r C h rysler AG ;Dr. Michael Hessling, Mitglied des Vor-standes der Allianz Lebensversicherung-AG; Karl-Josef Laumann MdB, Vo r s i t-zender der Arbeitsgruppe Wi rt s c h a f tund Arbeit der CDU/CSU-Fraktion imDeutschen Bundestag sowie JürgenUhlemann, Vo r s t a n d s vo r s i t zender derjobs in time holding AG, Tarifkommis-sion Bundesverband Zeitarbeit e.V.

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96 trend III. Quartal 2003

Arbeitgeberpräsident Dieter Hu n d tzeichnete ein dramatisches Bild der sozia-len Si c h e rungssysteme in De u t s c h l a n d :„Wir sind mitten in einer Krise des Sozi-alstaats“, sagte der Präsident der Bundes-vereinigung der Deutschen Arbeitgeber-verbände (BDA). Diese sei ve ru r s a c h td u rch eine Politik des „Ve rdrängens, Ve r-schleppens und Verschiebens“.

„ Von einem Gl e i c h g ewicht, von einerBalance in der Wi rtschaft und auf denM ä rkten kann – auch bei allem Wo h l-wollen und Optimismus – schon langenicht mehr die Rede sein“, sagte Hundt.Die Ausgaben überstiegen schon seit Ja h-ren die Einnahmen, betonte der Arbeit-geberpräsident. Sowohl Renten-, Kran-ken- als auch Pflegeversicherung schrie-ben seit Jahren rote Zahlen.

Die Folge seien permanent steigendeBe i t r a g s s ä t ze; zu Beginn dieses Ja h re shabe die Beitragssatzsumme bei 42 Pro-zent des Bruttoeinkommens gelegen.„ Doch in Wi rklichkeit liegen wir sogardeutlich über 50 Pro zent“, betonteHundt mit Ve rweis auf die Bu n d e s z u-schüsse zur Re n t e n ve r s i c h e rung, dieÖ k o s t e u e rzuschüsse zur Rente und dieBu n d e s z u weisungen an die Bu n d e s a n-stalt für Arbeit, die in diesem Jahr vo r-aussichtlich zehn Mi l l i a rden E a u s m a-chen dürften.

Diese Zuschüsse entsprächen umge-rechnet rund zehn weiteren Beitragssatz-punkten, wodurch die Belastung mitLohnnebenkosten auf ein unerträglichesMaß gestiegen sei. „Die gebetsmühlen-a rtigen Ankündigungen der Bu n d e s-re g i e rung und des Bundesministers fürWirtschaft und Arbeit, die Beitragssatz-summe in der Sozialversicherung wiederauf unter 40 Pro zent zurückzuführe n ,w a ren und sind leere Ve r s p re c h u n g e n “ ,kritisierte der BDA-Chef.

Notoperationen und Flickwerk aberhülfen in der gegenwärtigen Lage ebensowenig weiter wie ein Herumdoktern anSymptomen. „Beides hatten wir langegenug und zu Genüge“, moniert eHundt. „Wir brauchen eine Radikalkur,neue Weichenstellungen und einen Para-digmenwechsel“, forderte der Verbands-präsident.

Nun komme es auf die richtigeMischung zwischen umlagefinanziert e rSo l i d a rve r s i c h e rung und kapitalgedeck-ter Risikovorsorge an. Um l a g e f i n a n z i e-rung und Kapitaldeckung hätten beideVor- und Nachteile. „So viel Staat wienötig und so viel Privat wie möglich“, seider Leitgedanke, nach dem die So z i a l-kassen reformiert werden müssten, sagteHundt.

Für die gesetzliche Re n t e n ve r s i c h e-rung schlug der Arbeitgeberpräsidentvor, ab 2012 schrittweise das gesetzlicheRentenalter von 65 auf 67 Jahre anzuhe-ben. Ferner solle sofort ein Demografie-oder Nachhaltigkeitsfaktor in die Re n-tenanpassungsformel eingefügt we rd e n ,der das Nettorentenniveau von heute 70auf schrittweise 60 Prozent absenke.

„ Ku rzfristig geht auch kein Weg aneiner Aussetzung der nächsten Re n t e n-anpassung und einer Anhebung derAbschläge bei vorzeitigem Rentenbeginnvon 0,3 auf 0,5 Prozent pro Monat vor-bei“, sagte Hundt. Die kapitalgedecktep r i vate und betriebliche Altersvo r s o r g emüssten parallel dazu ausgebaut werden.

Für die gesetzliche Krankenversiche-rung (GKV) schlug der Arbeitgeberprä-

sident vor, „mindestens 20, besser noch30 Milliarden E einzusparen“, damit derd u rchschnittliche Beitragssatz auf unter13 Prozent der Bruttolöhne gesenkt wer-den könne.

Unverzichtbar sind nach den WortenHundts zu diesem Zweck auch eine Aus-g l i e d e rung privater Unfälle und derZahnbehandlung aus dem Leistungska-talog der gesetzlichen Krankenkassen.Hundt forderte ebenso einen Ausbau derSelbstbeteiligung durch einen durchgän-gigen prozentualen Anteil der Versicher-ten und eine Praxisgebühr für alle Arzt-besuche.

Zusätzlich sei aber auch eine Intensi-vierung des Wettbewerbs auf allen Ebe-nen des Gesundheitswesens erforderlich.Ferner sollten nur das Schwangerschafts-und das Mutterschaftsgeld künftig ausSteuermitteln fin a n z i e rt we rden, die re s t-lichen versicherungsfremden Leistungensollten aus dem Pflichtkatalog der gesetz-lichen Kassen gestrichen we rden, for-derte Hundt.

Der BDA-Präsident beklagte, dassauch die Union zu lange gebraucht habe,ein geschlossenes Ko n zept zur Ge s u n d-h e i t s reform vo rzulegen. „Nur Nein zusagen reicht nicht aus“, kritisierte derArbeitgeberpräsident.

Nach Einschätzung Hundts ist die„Agenda 2010“ der Bu n d e s re g i e rung nurein erster Schritt bei den notwe n d i g e nReformen in der Wi rtschafts- und So-zialpolitik. We i t e re Reformen, so Hu n d t ,müssten vorrangig auf der Ausgabenseitea n s e t zen. Ziel sei, die kollektiv, paritä-tisch und umlagefinanzierten Sy s t e m eauf eine Basissicherung mit Kernleistun-gen zu reduzieren und zu konzentrieren.Die Erschließung neuer Ge l d q u e l l e n ,zum Beispiel durch höhere Steuern undhöhere Beitragsbemessungsgrenzen seiendagegen tabu, erk l ä rte Hundt. „Da sbedeutet auf der anderen Seite auch mehrHandlungs- und En t s c h e i d u n g s s p i e l-raum für die Ve r s i c h e rten zur Ab s i c h e-rung ihrer Lebensrisiken und zur indivi-duellen Gestaltung des persönlichenSchutzniveaus.“

Dr. Dieter HundtPräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

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97trendIII. Quartal 2003

Der Freiburger Fi n a n z w i s s e n s c h a f t l e rBernd Raffelhüschen hält die langfristigeFi n a n z i e r b a rkeit der deutschen So z i a l-versicherungssysteme angesichts des sichrapide zuspitzenden doppelten Alte-ru n g s p ro zesses für nicht mehr gew ä h r-leistet. „Alle in Bismarckscher Traditione n t w o rfenen Si c h e rungssysteme wieRenten-, Kranken- und Pflegeve r s i c h e-rung fußen auf dem gleichen Pr i n z i p,dem Ge n e r a t i o n e n ve rtrag, und habenalle das gleiche langfristige Pro b l e m :Immer weniger gesunde Junge finanzie-ren immer mehr Alte, die immer älterwerden und deren Krankheits- und Pfle-g e b e d ü rftigkeit deutlich zunimmt“, sagteRaffelhüschen.

Die sich daraus ergebenden Fi n a n z i e-rungslücken in der Zukunft machtendrastische Leistungskürzungen unum-gänglich, wenn den kommenden Gene-rationen keine So z i a l ve r s i c h e ru n g s-beiträge in einer Größenordnung von 60Pro zent der Bruttoeinkommen hinterlas-sen we rden sollen.Allein die So z i a l ve r-s i c h e rungssysteme hätten bereits heuteeine implizite Verschuldung von mehr alsz wei In l a n d s p rodukten angehäuft, sagteRaffelhüschen.

Der Fi n a n z w i s s e n s c h a f t l e r, der auchMitglied der Rürup-Kommission zur Re-form der Sozialsysteme ist, errechnete mit

dem Konzept der Generationenbilanzie-rung eine Nachhaltigkeitslücke des deut-schen Staatshaushalts einschließlich derSo z i a l ve r s i c h e ru n g s z weige Rente, Ge-sundheit und Pflege von 6,8 Billionen E.

Das entspräche fast dem dreieinhalb-fachen des deutschen Bruttoinlandspro-dukts, betonte Raffelhüschen. Od e randers gewendet: Um künftigen Genera-tionen keine Schulden zu hinterlassen,müssten die Deutschen drei Ja h re undvier Monate lang allein für die St a a t s k a s s eund die gesetzlichen So z i a l ve r s i c h e ru n g s-systeme arbeiten, sagte Raffelhüschen.Die gegenwärtige Fiskal- und Sozialpoli-tik der Bu n d e s republik sei darum we i tdavon entfernt, nachhaltig zu sein.

„ Eine wirtschaftliche Entwicklung istimmer dann nachhaltig, wenn sie dieBe d ü rfnisse der Ge g e n w a rt befriedigt,ohne zu riskieren, dass künftige Genera-tionen ihre eigenen Be d ü rfnisse nichtbefriedigen können“, erk l ä rte der Fre i-burger Finanzwissenschaftler.

Die Freiheit künftiger Generationenwerde jedoch durch die Leistungsgesetzeder heutigen Fiskal- und So z i a l p o l i t i kerheblich eingeschränkt. Insofern beein-flussten nach den Wo rten Raffelhüschensheutige Entscheidungen die ökonomi-schen Wa h l h a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t e nkommender Generationen entschei-dend.

Das Ko n zept der Ge n e r a t i o n e n b i l a n-z i e rung biete eine geeignete Gru n d l a g ezur Be u rteilung der Nachhaltigkeit. Eswe rde unterstellt, dass alle politökono-mischen Stellschrauben in der Zu k u n f tunverändert bleiben.

Entsprächen sich in diesem Fall Ein-und Ausgabenströme im Ba rwe rt, geltedie Finanzpolitik als nachhaltig. Gelingeder Budgetausgleich nicht, müssten zumzukünftigen Zeitpunkt Einnahmen undAusgaben des öffentlichen Sektors ange-passt werden.

„ Der Gesamtbetrag, der in diesemFall aufgewendet werden muss, um denBudgetausgleich über die Zeit herzustel-

len, ist die Nachhaltigkeitslücke, die dietatsächliche St a a t s verschuldung bez i f-fert“, erläuterte Raffelhüschen.

Diese statistisch nirgendwo explizita u s g ewiesenen Ansprüche heutiger Be i-tragszahler an zukünftige Sozialversiche-rungshaushalte seien Staatsschulden, alsoAnsprüche heute lebender Generationenan zukünftige Haushalte, die zum Groß-teil von künftigen Generationen finan-ziert werden müssten. „Genau darin liegtdas Problem“, erläuterte Raffelhüschen.

Aus der Krise des heutigen So z i a l-staates führt nach seinen Worten darumnur eine Stärkung marktwirtschaftlicherund kapitalgedeckter Elemente in allenZweigen der So z i a l ve r s i c h e rung. „Nu rd a d u rch, dass die bereits existiere n d e np r i vaten Anstrengungen zum Ausbau derp r i vaten Altersvorsorge erhöht undd u rch private Gesundheits- und Pfle g e-vorsorge ergänzt werden, kann zukünftigmehr Nachhaltigkeit in die Ge n e r a t i o-nenverträge getragen werden“, sagte Raf-felhüschen.

In der Re n t e n ve r s i c h e rung müssezudem das gesetzliche Re n t e n e i n t r i t t s-alter von heute 65 Ja h ren schrittweise auf67 Ja h re angehoben we rden. Ferner seiein Nachhaltigkeitsfaktor in der gesetz-lichen Umlagekasse erforderlich, der denAnstieg der Renten bremsen müsse. DasRe n t e n n i veau we rde für den Du rc h-schnittrentner in Zukunft um etwa zehnbis 15 Pro zent sinken müssen, betonteRaffelhüschen. „Für die geburtenstarkenJahrgänge der 50er und 60er Jahre ist dieBotschaft klar: Länger arbeiten für weni-ger Rente“, sagte Raffelhüschen.

Bei der gesetzlichen Krankenkasseseien allerdings noch tiefer gre i f e n d e reEinschnitte erforderlich: „Grundvoraus-setzung für jegliche Reformschritte ist es,den Preis für Gesundheit spürbar zumachen“, sagte der So z i a l e x p e rte. Di e skönne zum Beispiel durch einen jähr-lichen Selbstbehalt für ambulante Leis-tungen und Medikamente erreicht wer-den. „Jeder entscheidet dann selbst, obBagatellbehandlungen wirklich ihr Geldwert sind“, meinte Raffelhüschen.

Prof. Dr. Bernd RaffelhüschenUniversität Freiburg

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heute für die Alten und, wenn sie selbst altist, noch einmal für sich selbst, weil danndie Jungen fehlen“, sagte Boetius. Gene-r a t i o n e n g e rechtigkeit könne nur wieder-hergestellt we rden, indem jede Ge n e r a-tion ihre künftigen Lasten selbst finan-ziert. „Nur Kapitaldeckung kann das leis-ten, weil heute für morgen angespartwird.“

Dr. Ursula Engelen-KeferStellvertretende Vorsitzendedes Deutschen Gewerkschaftsbundes

Mehr Ei g e n ve r a n t w o rtung bedeutetnach Auffassung der St e l l ve rt re t e n d e n

Vo r s i t zenden des Deutschen Gewe rk-schaftsbundes (DGB), Ursula En g e l e n -Ke f e r, in wirtschaftlichen Krisenzeiten vo rallem weniger soziale Sicherheit. „Tro t zaller Eigenverantwortung für die sozialenSi c h e rungssysteme brauchen wir den Au s-gleich zwischen Kranken und Gesunden,zwischen Besser- und Ge r i n g ve rd i e n e r n ,zwischen Jungen und Alten“, betonteEn g e l e n - Ke f e r. Als Beispiel für mehrEi g e n ve r a n t w o rtung führte die Gewe rk-schafterin Wahltarife in der gesetzlichenKrankenversicherung (GKV) an. Um dieBeiträge zu senken, we rde die ve r m e i n t-liche Freiheit in Aussicht gestellt, denUmfang der Kassenleistung und damit die

Höhe der Beiträge selbst zu bestimmen.„Für junge und gesunde Menschen aufden ersten Blick ein Vorteil, doch was pas-s i e rt mit den chronisch Kranken undbehinderten Menschen?“, fragte Engelen-Kefer. Diese müssten draufzahlen, weil sieauf eine regelmäßige medizinische Ve r s o r-gung angewiesen seien und es sich nichterlauben könnten, Leistungen abzu-wählen. „Also müssen sie die höchstenBeiträge zahlen. Das wäre das Ende dersolidarischen Krankenve r s i c h e rung“, kri-tisierte Engelen-Kefer. Nach den Worten

der DGB-Vi ze vo r s i t zenden würde dieserWeg auch zu einem „Dammbruch bei der

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Solidarität zwischen den Ge n e r a t i o n e n “f ü h ren. Die Jungen und Gesunden solltentrotz der hohen Abgabenbelastung darandenken, dass sie auch einen Beitrag zurSolidarität untereinander leisten.

Günther FleigMitglied des Vorstandes, Personal- undArbeitsdirektor der DaimlerChrysler AG

Die in der „Agenda 2010“ vorgesehe-nen Maßnahmen zur Reform der Sozial-systeme würden in der Öffentlichkeitzwar als sehr weitgehend empfunden,sagte der Personal- und Arbeitsdire k t o rder DaimlerChrysler AG, Günther Fleig.Gleichwohl reichen sie nach seinen Wor-ten bei weitem nicht aus, um die Sozial-o rdnung wieder auf ein solides Fu n d a-ment zu stellen. „Es müssen echte Refor-men kommen, um unsere Unternehmenwe t t b ewerbsfähig zu halten und unseresozialen Sicherungssysteme zukunftsfähigzu machen“, forderte Fleig. Dazu gehörennach Auffassung des Da i m l e r C h ry s l e r -Vorstandes folgende Kernpunkte: Ei n eRe d u z i e rung der Staatsquote und deröffentlichen Subventionen. Damit müsseeine Entlastung von Steuern und Ab g a b e nverbunden we rden. Mehr In ve s t i t i o n e nund Qualität im Erziehungs- und Bi l-dungssektor seien ebenfalls von zentralerBedeutung. Mehr Flexibilität bei denTarifverträgen, um Arbeitsplätze rentabelzu halten, sei dabei genauso wichtig. „DieTarifpolitik muss stärker auf die Be d ü rf-nisse der Be t r i e b s p a rteien eingehen“, sagteFleig. Ferner hält er eine Anhebung derL e b e n s a r b e i t s zeit verbunden mit einerBew u s s t s e i n s ä n d e rung, bei der der Ei n-zelne mehr Verantwortung trägt für seine

Beschäftigungsfähigkeit, für geboten.Eine dauerhafte Absenkung der Lohnne-benkosten erachtet Fleig für unve rz i c h t-b a r. Und nicht zuletzt sei mehr Kapital-deckung und Ei g e n vorsorge in den gesetz-lichen Sozialversicherungssystemen sowieeine Konzentration auf eine Absicherungder Grundrisiken für Krankheit, Alterund Arbeitslosigkeit erforderlich.

Dr. Michael HesslingMitglied des Vorstandes der AllianzLebensversicherung-AG

Die finanzielle Basis der So z i a l e nMarktwirtschaft ist nach den Worten vonA l l i a n z - Vorstand Michael Hessling akutg e f ä h rdet. „Ein zentrales Ziel der Wi rt-schafts- und Gesellschaftspolitik muss esd a rum sein, die internationale We t t b e-werbsfähigkeit der deutschen Wi rt s c h a f tt rotz überd u rchschnittlicher Alterung zuerhalten und damit die Grundlage füreinen hohen Lebensstandard zu schaffen“,sagte Hessling. Die dramatische Verschie-bung im Altersaufbau der deutschenBe v ö l k e rung habe nicht nur Au s w i rk u n-gen auf die Fi n a n z i e rung der So z i a l s y s-teme, sondern auf we i t e re gesellschaftlicheund wirtschaftliche Pro zesse. So gingezum Beispiel die Zahl der jungen innova-t i ven Arbeitnehmer zurück. „De s h a l bmüssen Leistungsbereitschaft, In n ova t i-onsfähigkeit und Mobilität gezielt geför-d e rt we rden, damit Wi rtschaft undGesellschaft nicht erstarren“, betonte

Hessling. Der Allianz-Vorstand unter-strich ferner, dass die sozialen Sicherungs-systeme dazu entscheidend beitragenkönnten, indem Kapital für Zukunftsin-vestitionen und altersgerechte Arbeits-p l ä t ze bereitgestellt we rde, Fl e x i b i l i t ä tgeschaffen we rde, um die Lebens-arbeitszeit an individuelle und wirtschaft-liche Rahmenbedingungen anzupassen.„Durch eine Stärkung der kapitalgedeck-ten Vorsorge wird langfristig Kapital zurVe rfügung gestellt“, betonte He s s l i n g .Dieses könne zur besseren Ausstattung derA r b e i t s p l ä t ze eingesetzt we rden, um dieProduktivität in Deutschland trotz derAlterung der Gesellschaft auf einem wett-bewerbsfähigen Niveau zu halten.

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Karl-Josef Laumann MdBVorsitzender der Arbeitsgruppe Wirtschaftund Arbeit der CDU/CSU-Fraktion imDeutschen Bundestag

„Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Unterdieser Maxime fasste der Vorsitzende derArbeitsgruppe Wirtschaft und Arbeit derUn i o n s - Fraktion im Bundestag, Karl-Josef Laumann, die Richtschnur der Wi rt-schafts- und Sozialpolitik aus Sicht vo nCDU und CSU zusammen. Für dieS c h we s t e r p a rteien stehe darum das Zi e l„ Drei mal 40“, also eine Senkung derStaatsquote, der Sozialabgaben und derSteuersätze auf unter 40 Prozent im Vor-d e r g rund. Im Be reich der Arbeitslosen-

ve r s i c h e rung müssen nach Au f f a s s u n gLaumanns die Beiträge so rasch wie mög-lich von heute 6,5 Prozent auf unter fünfPro zent der Bruttogehälter gesenkt we r-den. Zu diesem Zweck sei der Leistungs-katalog der Bundesanstalt für Arbeit einer„gründlichen Aufgabenkritik“ zu unter-ziehen. „Zu prüfen ist, welche der ve r s i-cherungsfremden Leistungen künftig ent-fallen oder anderweitig finanziert werdensollen“, sagte der Un i o n s p o l i t i k e r. CDUund CSU träten auch dafür ein, die Vor-aussetzungen für den Bezug von Leistun-gen im Fall der Arbeitslosigkeit strenger zufassen. „Künftig soll die Bezugsdauer desArbeitslosengeldes im Regelfall bis zuzwölf Monate betragen, mit einer höhere nZahl an Beitragsjahren soll diese Leistunghöchstens 18 Monate lang bezogen we r-den“, sagte Laumann. Die Bew ä l t i g u n gk u rzfristiger Arbeitslosigkeit soll nach denVorstellungen der Union künftig stärk e rin die Ve r a n t w o rtung des Ei n zelnen gelegtwerden. Eine Kürzung der Sozialhilfe seijedoch nur dann gerechtfertigt, wenn eineangebotene Arbeit von einem St e l l e n s u-chenden abgelehnt werde.

Jürgen UhlemannVerhandlungsführer der Tarifkommissiondes Bundesverbandes Zeitarbeit e.V.(BZA) und Vorstandsvorsitzender derjobs in time holding AG, Hamburg

Der Ze i t a r b e i t s e x p e rte Jürgen Uhle-mann übte scharfe Kritik an der Bundes-

regierung: „Zeitarbeit gilt seit langem alsVo rdenkerin und Promotorin der neuenArbeit. Mit den Ha rt z - Ge s e t zen aberw u rde sie in Fesseln gelegt.“ Du rch diestaatlich subve n t i o n i e rten Pe r s o n a l - Se r-vice-Agenturen (PSA) entstehe eine „völ-lig perve rt i e rte Zeitarbeit“, die eine guteChance habe, zum Su bventionsgrab derBranche zu we rden. „Aus dem Ha rt z -Papier wurden alle Elemente, die dasPotenzial zur Chance gehabt hätten, inRisiken zurückgeführt“, sagte Uhlemann.Das Gesetz habe viele gute Ansätze bis zurUnkenntlichkeit „ve r re g u l i e rt“, teilwe i s esogar „ins Gegenteil perve rt i e rt“. So seibei Langzeitarbeitslosen ein Ei n t r i t t s k o r-ridor mit niedrigen Löhnen über 36 Mo-nate nötig. Stattdessen müsse aber nunnach In t e rvention der Gewe rk s c h a f t e ndas „Equal Treatment“ für die Leiharbeitberücksichtigt werden, wodurch für Zeit-arbeiter die vollen Lohnkosten derStammbelegschaft vom ersten Tag derBeschäftigung an gelten. „Was gutgemeint sein mag, richtet sich in der

Wi rklichkeit des Wi rtschaftslebens amEnde gegen die Arbeitslosen“, kritisiert eUhlemann. Die Eintrittshürden für Stel-lensuchende habe der Gesetzgeber nun sohoch gesetzt, dass sie kaum noch über-windbar seien. „Eine paradoxe Si t u a t i o nist entstanden“, re s ü m i e rte Uhlemann.„ In der schwierigsten konjunkture l l e nSituation, die die Zeitarbeit je gesehenhat, zwingt uns der Gesetzgeber ein ru i n ö-ses Equal Treatment auf.“ V

Berichterstattung Wirtschaftstag 2003:Erwin Lamberts und Peter Hahne

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