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Kunststoffe 9/2018 www.kunststoffe.de Trendbericht AUTOMOBILBAU 131 E in probates Mittel, Gewicht zu sparen, ist nach wie vor, die Dichte von Werk- stoffen zu reduzieren. Dass das auch bei den an sich schon leichten Schaumstof- fen so ist, wurde auf dem diesjährigen Kongress Plastics in Automotive Engi- neering (PIAE) in Mannheim am Beispiel einer Instrumententafel (Bild 1) demons- triert. Sie besteht aus einer Formhaut- oberfläche, einem Polsterschaum und einem Thermoplast-Träger und wurde von der Covestro AG, Leverkusen, in Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG, Wolfsburg, entwickelt [1]. Die Herstellung derartiger Instrumen- tentafeln erfolgt dabei in drei Schritten: W 1. Einlegen der Formhaut in die untere Werkzeughälfte und des Spritzguss- trägers in die obere Werkzeughälfte. W 2. Eintrag der flüssigen Schaumkom- ponenten mittels eines Mischkopfs, meist robotergesteuert in das offene Werkzeug, das anschließend geschlos- sen wird. W 3. Das Gemisch schäumt auf, in dieser Phase ist es sehr klebrig, füllt den Raum zwischen Formhaut und Träger (unter Ausgleich von Toleranzen) aus und bildet nach Ende der Reaktions- zeit ein stabiles Sandwich – den Instru- mententafel-Rohling, der dann aus dem geöffneten Werkzeug entformt werden kann. So zeichnet sich die jüngste Bayfill- Halbhartschaum-Generation dadurch aus, dass die schon sehr gering erscheinende formgeschäumte Dichte von 150 kg/m³ auf 120 kg/m³ reduziert werden konnte, ohne an anderer Stelle Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Die Bedeutung die- ser um etwa 20 % leichteren Version wird noch verstärkt, wenn man bedenkt, [FAHRZEUGBAU] [MEDIZINTECHNIK] [VERPACKUNG] [ELEKTRO & ELEKTRONIK] [BAU] [KONSUMGÜTER] [FREIZEIT & SPORT] [OPTIK] Kunststoffe für die Mobilität von morgen Neue Polymere, effiziente Prozesse und fortschrittliche Bauteile für die Automobilindustrie Digitalisierung, Elektromobilität, Energie- und Ressourceneffizienz prägen zukünftige Fahrzeuge. Diese Trends spiegelten sich auch auf dem diesjährigen Branchentreff PIAE in Mannheim wider. Um die ökologischen und ökonomischen Herausforderungen der nächsten Jahre zu meistern, sind Kunststoffe ein wesentlicher Schlüssel. Cockpit des 5er-BMW mit hochglänzenden Echtholz-Zierleisten, im Werkzeug in One-Step-Technik mit selbstheilender kratzfester Oberfläche lackiert (© BMW) » ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- © 2018 Carl Hanser Verlag, München www.kunststoffe.de/Kunststoffe-Archiv Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern

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Kunststoffe 9/2018 www.kunststoffe.de

Trendbericht AUTOMOBILBAU 131

Ein probates Mittel, Gewicht zu sparen, ist nach wie vor, die Dichte von Werk­

stoffen zu reduzieren. Dass das auch bei den an sich schon leichten Schaumstof­fen so ist, wurde auf dem diesjährigen Kongress Plastics in Automotive Engi­neering (PIAE) in Mannheim am Beispiel einer Instrumententafel (Bild 1) demons­triert. Sie besteht aus einer Formhaut­oberfläche, einem Polsterschaum und einem Thermoplast­Träger und wurde von der Covestro AG, Leverkusen, in Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG, Wolfsburg, entwickelt [1].

Die Herstellung derartiger Instrumen­tentafeln erfolgt dabei in drei Schritten:

W 1. Einlegen der Formhaut in die untere Werkzeughälfte und des Spritzguss­trägers in die obere Werkzeughälfte.

W 2. Eintrag der flüssigen Schaumkom­ponenten mittels eines Mischkopfs, meist robotergesteuert in das offene Werkzeug, das anschließend geschlos­sen wird.

W 3. Das Gemisch schäumt auf, in dieser Phase ist es sehr klebrig, füllt den Raum zwischen Formhaut und Träger (unter Ausgleich von Toleranzen) aus

und bildet nach Ende der Reaktions­zeit ein stabiles Sandwich – den Instru­mententafel­Rohling, der dann aus dem geöffneten Werkzeug entformt werden kann.

So zeichnet sich die jüngste Bayfill­ Halbhartschaum­Generation dadurch aus, dass die schon sehr gering erscheinende formgeschäumte Dichte von 150 kg/m³ auf 120 kg/m³ reduziert werden konnte, ohne an anderer Stelle Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Die Bedeutung die­ser um etwa 20 % leichteren Version wird noch verstärkt, wenn man bedenkt,

[FAHRZEUGBAU] [MEDIZINTECHNIK] [VERPACKUNG] [ELEKTRO & ELEKTRONIK] [BAU] [KONSUMGÜTER] [FREIZEIT & SPORT] [OPTIK]

Kunststoffe für die Mobilität von morgen

Neue Polymere, effiziente Prozesse und fortschrittliche Bauteile für die Automobilindustrie

Digitalisierung, Elektromobilität, Energie- und Ressourceneffizienz prägen zukünftige Fahrzeuge. Diese Trends

spiegelten sich auch auf dem diesjährigen Branchentreff PIAE in Mannheim wider. Um die ökologischen und

ökonomischen Herausforderungen der nächsten Jahre zu meistern, sind Kunststoffe ein wesentlicher Schlüssel.

Cockpit des 5er-BMW mit hochglänzenden Echtholz-Zierleisten, im Werkzeug in

One-Step-Technik mit selbstheilender kratzfester Oberfläche lackiert (© BMW)

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132 AUTOMOBILBAU Trendbericht

zial gefunden [1]. Die traditionelle PVC­Slush­Haut mit deren Qualität der VW­ Konzern seit mehr als einem Jahrzehnt Benchmarks setzt, wird durch eine IMC­ Sprühhaut ersetzt. Durch die geringere Dichte des dabei verwendeten PUR im Vergleich zu PVC­P sind abhängig vom Design weitere 5 bis 10 % Gewichtsein­sparung möglich. Die Bayflex­ Sprühaut kann, wie die klassische Sprühhaut der Recticel N. V., mittels Maskentechnik zwei­farbig gestaltet werden. Die Verwendung eines Isocyanatvernetzers im 2K­IMC­Lack der iSL­Chemie GmbH & Co. KG, Kürten, erfordert allerdings einen regelmäßigen Trennmittelauftrag. Bereits in Serie be­findliche 2K­IMC­Lacke mit Carbodiimid­ Vernetzung [2] oder 1K­In­Mold­Coats, wie bei der BMW AG praktiziert, kommen weitestgehend mit Permanenttrennmit­teln auf der (Galvano­)Werkzeugoberflä­che aus.

dass die Schaumstoffschicht ein ähnli­ches Gewicht wie die Formhaut auf die Waage bringt.

Eine niedrigere Schaumdichte bietet sogar noch weitere Vorteile im Zusam­menspiel mit den sehr weit verbreiteten Formhäuten aus weichgemachtem Poly­vinylchlorid (PVC­P). Die Schaummasse und damit auch deren Aufnahmevermö­gen für Weichmacher reduzieren sich. Das trägt zu einer höheren Alterungsbe­ständigkeit des Verbunds und dem bes­seren Erhalt der Tieftemperaturflexibilität, die für die Crash­Sicherheit bedeutsam ist, bei.

Gleichzeitig konnte Covestro mit die­sem System die im asiatischen Raum ge­forderte Reduktion der Acetaldehyd­ Emissionen einhalten, was für Autover­käufe in China sehr bedeutend ist.

Aber auch bei der Formhaut haben die Partner noch Gewichtseinsparpoten­

Bild 1. Schemati-

scher Instrumenten-

tafelaufbau aus

IMC-PUR-Sprühhaut,

Polsterschaum und

thermoplastischem

Spritzgussträger

(© Covestro)

Neue Alternativen bei Thermoplasten

Unter dem Namen Xiran [3] entwickelt und vertreibt Polyscope Polymers B. V., Geleen/Niederlande, Copolymere von Styrol und Maleinsäure­Anhydrid (SMA). Diese Polymere lösten Ende der 90er­ Jahre die bis dahin dominierenden PC+­ABS­Blends als Trägermaterial für Instru­mententafeln mit hinterschäumten Form­häuten ab. Die Hydrolyseempfindlichkeit von PC, insbesondere im Kontakt mit PUR­Schäumen und ­Lacken, machte das Risiko von Feldausfällen zu groß.

Nachdem die Automobilzulieferer die Oberflächenaktivierung von PP­Com­pounds beherrschten, entstanden auch zwischen formal unverträglichen PUR und glasfaserverstärktem PP langzeitsta­bile Sandwiches. Diese Materialien konn­ten sich wegen der Gewichts­ und Kos­tenvorteile schnell durchsetzen. Als Nach­teil gegenüber den amorphen SMA und PC­Blends erweist sich jedoch die Teilkris­tallinität des PP. Nur durch zusätzliche konstruktive Maßnahmen gelingt es, die stärkere Verzugsneigung der meist höher gefüllten Materialien zu kompensieren. Aber auch der Steifigkeitsverlust bei höheren Temperaturen bereitet zuneh­mend Probleme.

Mit der chemischen Modifikation [4] von SMA zu Styrol­Maleïnsäure­Anhydrid­ N­Phenylmaleimid­Terpolymer (SMI) ist ein hochwärmebeständiger transparen­ter Kunststoff entstanden. Dieser kann je nach Zusammensetzung der Monomer­bausteine Temperaturen bis knapp 200 °C widerstehen. Aufgrund seiner Kompatibi­lität durch schwach polare Styrol­Molekü­le und hochpolare Maleinsäurederivate in der Kette wird SMI auch als „Heatbooster“ (Warenname von Polyscope) sehr vielen technischen Kunststoffen beigemischt. So lässt sich beispielweise die Einsatztem­peratur von ABS, ASA oder PMMA um bis zu 30 K erhöhen.

Als Highlight der diesjährigen PIAE konnte Polyscope eine ganz neue Poly­merklasse als Weiterentwicklung seiner Xibond­Produkte [5] vorstellen. Den Ent­wicklern ist dabei eine echte chemische Verbindung zwischen den beiden Ther­moplastwelten „amorph“ und „teilkristal­lin“ gelungen. Beim Compoundieren re­agieren die Amino­Endgruppen von PA6 mit den Maleinsäure­Gruppen in der SMI­ Kette chemisch unter Wasserabspal­tung (Bild 2) im Extruder. So entsteht bei

-H2O

H2O

H2O

verknüpfte SMI-PA6-Molekülketten (schematisch)

CH2

CH2

N

H H

5

CH

CH–HCCH–HC

CH–HC CH–HC

C

C NH

O

C

CO OC C

OO O

CH2 5

CH2

N

HH

CH

C C

C O

OCC

O OO

Imidverzweigung

SMI-Kette

PA6-Kette

Bild 2. Chemische Vernetzung von Styrol-Maleinsäureanhydrid-N-Phenylmaleimid-Terpolymer

mit Polyamid 6 zu einem Polymer-Blend aus amorphen und teilkristallinen Bausteinen

(Quelle: Polyscope)

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Trendbericht AUTOMOBILBAU 133

(KraussMaffei Technologies GmbH) und ClearMelt/ColorMelt (Engel Austria GmbH und Hennecke GmbH) [8] bekannt ge­worden, an.

In einem reaktiven 2K­Spritzgießpro­zess wird ein thermoplastischer Träger aus auf dieses Verfahren optimiertem transparentem Thermoplast mit einem 2K­PUR­RIM­ oder 2K­PUA­RIM­System überflutet. Die Oberfläche des lichtech­ten (aliphatischen) PURx­Lacks wird durch das Werkzeug geprägt. Das bietet den Vorteil, dass auch 3D­Konturen und matte oder hochglänzende Oberflächenstruk­turen nebeneinander, gleichzeitig präzise und reproduzierbar abgebildet werden können (Bild 3).

Durch Kombination mit der Hinter­spritzung von Dekor­ und Funktionsfolie (Holzfurniere) (Titelbild) oder LED­Integra­tion + kapazitiven Schaltfunktionen und Verschwinde­Effekt, kann ein dekoriertes und funktionales Bauteil in einem Pro­duktionsschritt hergestellt werden. Für diese Film­Insert­Molding­Technologie (FIM) haben sich kompatible bedruckte PC­Folien mit entsprechender Oberflä­

chenbeschichtung für Kratz­, UV­ und Kosmetika­Beständigkeit bereits bewährt. Die Technik erlaubt gleichzeitig eine ein­fache Diversifikation, da lediglich ein neu­es Druckdesign erstellt werden muss, um die entsprechenden Inserts zu erzeugen (siehe auch Seite 139).

Optisch funktionale Verkleidungsteile

Als weitere Option, um die Fülle an Infor­mationen ohne Überfrachtung und Überforderung der Insassen und Fahrer zu transportieren, bietet sich die tem­poräre Nutzung von Verkleidungsteilen an. An einer smarten Heckklappe hat die Rehau KG & Co., Rehau, demonstriert, wie unterschiedliche optische Informati­onen ausgetauscht werden können. Vie­les davon sollte auch auf den Innenraum übertragbar sein (siehe auch Kunststoffe 3/2018 , S. 51).

Um optische Signale durch Verklei­dungsbauteile zu transportieren, müssen diese grundsätzlich eine bestimmte Transparenz aufweisen. Die klassischen Lackierungen stellen schon das erste Hindernis dar. Aber auch die meisten ver­wendeten Thermoplaste, insbesondere füllstoffhaltige, sind nicht transparent. Besonders schwierig ist es bei plättchen­förmigen Füllstoffen, die bei PP sehr häu­fig verwendet werden. Für das transpa­rente Verkleidungsteil bei Rehau wurde deshalb ein eher sphärischer, gecoateter Füllstoff ausgewählt, der sicherstellt, dass das mechanische Eigenschaftsniveau auf dem geforderten Level bleibt (Bild 4). Gleichzeitig kann man durch geeignete Beschichtung der Füllstoffpartikel den Übergang des Brechungsindex zwischen den optisch unterschiedlich dichten Ma­terialien kontinuierlich anpassen und so die Streuung an der Phasengrenze

Bild 3. Durch Ein-

bringen von glän-

zenden und mikro-

strukturierten Ober-

flächenbereichen

sowie unterschiedli-

chen Schichtdicken

im RIM-Verfahren

wurde ein 3D-Effekt

auf der Bauteilober-

fläche erzeugt

(© Rühl)

entsprechender Auswahl der Kompo­nenten und Prozessbedingungen ein weitmaschiges Netzwerk. Diese Kopp­lung sorgt, anders als bei rein physika­lischen Blends, dafür, dass das mechani­sche Eigenschaftsbild über einen sehr weiten Temperaturbereich konstant bleibt und wirkt wie eine Schlagzähmo­difikation. Dieser Werkstoff gibt den Konstrukteuren zusätzliche Optionen für hochwärmebeständige, schlagzähe und kriecharme Bauteile, wie sie im klassi­schen Motorraum, aber auch im Umfeld der Leistungselektronik von Elekroan­trieben oder auch von Leistungs­LEDs zu finden sind.

Traditionell nimmt neben der Werk­stoffentwicklung und Produktion bei Po­lyscope auch das Schließen der Stoffkreis­läufe, insbesondere der hochwertigen Produktionsabfälle bei der Bauteilferti­gung, einen vorrangigen Platz ein. Mit dem langjährigen Recycling­Partner [6] Wipag Deutschland GmbH (seit 2018 Al­bis­Gruppe), Neuburg a. d. Donau, ist auch das Recycling derartiger Thermo­plast­Schaum­Sandwiches mittels Ver­bundtrennung in die Entwicklung mitein­bezogen, um das hochwertige Material im Kreislauf zu führen.

Interieur der Zukunft

Der Innenraum der Zukunft wird von völlig neuen Konzepten geprägt wer­den. Im autonomen Fahrzeug soll sich das Interieur zu einem multifunktionalen Lebensraum verändern [7]. Hierzu bietet sich eine Weiterentwicklung des in den letzten Jahren zur Serienreife entwi­ckelten DirectCoating­Verfahrens, auch unter den Bezeichnungen ColorForm

»

Licht-Input

PP-EPDM T20/30(Standard)

ABS + PC mitSpezialfüllstoff

Licht-Output

Talkum

10 µm Licht-Input

Licht-OutputFüllstoffanforderungen

• keine Plättchenform• geringe Lichtabsorption• Brechungsindex

(Lichtstreuung)• keine Eigenfarbe

Bild 4. Modifizierung von Thermoplasten zur Verbesserung der optischen Transparenz von

Verkleidungsteilen (Quelle: Rehau)

© Kunststoffe

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134 AUTOMOBILBAU Trendbericht

vermindern, was sich positiv auf die Durchleuchtung auswirkt.

Selbstheilende Oberflächen

Glänzende Oberflächen, wie der so be­liebte Klavierlack im Interieur, sind der Stolz jedes Neuwagenbesitzers. Leider hält das oft nicht sehr lange an. Schwarze Hochglanzflächen sind Staubmagneten und machen die kleinste Berührung mit dem Finger sichtbar. Das provoziert häufi­ges Abwischen, auch mit ungeeigneten Mitteln. Dies oder ein Missgeschick mit Schlüsselbund, Brille, o. ä. hinterlassen schnell Kratzer. So wird schon lange nach Wegen gesucht, diese abzumildern.

Der bisherige Weg war, die Oberflä­che immer härter zu machen, um den Kratzwiderstand zu erhöhen. Der härtes­te Thermoplast ist bekanntlich PMMA und dessen Grenzen sind hinlänglich be­kannt. Viele Metalle und vor allem (mine­ralischer) Staub sind deutlich härter und brechen Partikel aus der spröden Ober­fläche (Bild 5, oben rechts). Anders verhal­ten sich zäh­harte oder teilkristalline Kunststoffe wie Polyamide. Die punktu­ell eingetragene Energie lässt die Kristal­lite lokal aufschmelzen, verdrängt Mate­rial an der Oberfläche und erhöht so die Oberflächenenergie. Oberhalb der Glas­übergangstemperatur kann sich diese Verformung wieder mehr oder weniger stark zurückbilden und sich so dem energieärmeren Ausgangszustand annä­hern (Bild 5, unten).

Den Effekt der viskoelastischen Rück­stellung hat die Rühl Puromer GmbH,

Friedrichsdorf, in Zusammenarbeit mit der Novem Car Interior Design GmbH, Vorbach, bei seinen PUR­Systemen für den 2­stufigen ClearCoatMolding­Prozess (CCM) bei Holzzierteilen ausgenutzt (Animation dazu auf www.kunststoffe.de/selbstheilende_oberflaechen). Eine vorläu­fige Krönung findet diese Entwicklung in einem One­Step­Prozess (ColorForm), bei dem in einem reaktiven 2K­Prozess Echtholzfurniere hinterspritzt und an­schließend in einer zweiten Kavität mit einem durch interne Trennmittel selbst­trennend eingestellten PUR­System über­flutet werden. Erstmalig hat Novem die­se Technik bei den Holzzierleisten von Türen und Instrumententafel der aktuel­len 5er­Reihe von BMW in die Serie ein­geführt (Titelbild).

Kratzfestigkeit bleibt eine Herausforderung

Durch Reduzierung des Reibungskoeffizi­enten an der Oberfläche gleitet das krat­zende Medium über die Oberfläche und kann die zerstörerische Kraft nicht ins Ma­terial eintragen – „es rutscht ab“. Diese Möglichkeit wird von Zierteilherstellern, teils unbewusst, ausgenutzt.

Reste des Finish vom finalen Polier­prozess oder Spuren von Prozesshilfen, wie Entformhilfen, vermindern den Rei­bungskoeffizienten der Bauteiloberfläche und erschweren oder vermindern damit Kratzschädigungen. Diese Verfahrens­weise hat aber mehrere Nachteile:

W Die Menge des „Kratzschutzes“ ist un­definiert.

W Die Wirkungsdauer ist begrenzt, da durch mechanische Beanspruchung und insbesondere Reinigungsprozes­se mit nicht auf diese „Beschichtung“ freigegebenen Mitteln die Schichten abgetragen werden.

W Je nach Lage im Fahrzeug und Bauart kommt auch noch photo­oxidativer Abbau hinzu, der diese Stoffe wasser­löslich oder zumindest dispergierbar und damit leicht entfernbar macht.

Die Evonik Industries AG, Essen, bietet schon seit geraumer Zeit seine Plexi glas­Compounds auch in inhärent kratzfest ausgerüsteter Form an [9]. Die Gleitmittel [10] aus dem eigenen Konzern sind be­reits fest im Compound fixiert und liefern so definierte Oberflächeneigenschaften, die den üblichen Belastungen wesentlich besser widerstehen. Im Vergleich zu den Basistypen ist das sonstige Eigenschafts­niveau der kratzfest ausgerüsteten TX­ Reihe nahezu identisch, was ihren Einsatz sehr vereinfacht.

Ein weiterer Fakt bezüglich Kratzfes­tigkeit ist die Verarbeitung selbst [11]. Die Kratzbeständigkeit ist umso höher, je spannungsärmer das Bauteil hergestellt wird: Hohe Masse­ und Werkzeugtempe­raturen sind ebenso hilfreich, wie geringe Scherung durch Einspritzgeschwindigkeit und Angussgestaltung.

Wärme- und Lichtbeständigkeit

Eine weitere Herausforderung bildet die Lichttechnik am und im Automobil. Die enormen Leuchtdichten moderner Hoch­leistungs­LEDs für großflächige Ambien­tebeleuchtung und immer größere Dis­plays führen zu erheblicher Wärmeent­wicklung nahe der LED, was bisher we­gen seiner höheren Wärmeformbestän­digkeit zum Einsatz von optischem Polycarbonat geführt hat. In der Praxis zeigt sich aber, dass PC bei langer thermi­scher Belastung zur Vergilbung neigt, was letztlich zu farblicher Veränderung und Lichtverlust führt. Mit Pleximid, einem Po­lymethylmethacrylimid (PMMI), hat Evon­ik einen wärmebeständigeren Verwand­ten des PMMA im Portfolio, der dessen Transparenz nahezu erreicht und die von PC gering übertrifft. Beide Methacrylpo­lymere besitzen eine hervorragende UV­Beständigkeit und zeigen auch nach sehr langer thermischer Belastung nur geringe Vergilbungsneigung sowie Trans­parenzverlust. Beide Klassen verfügen

Bild 5. Schadbilder

von Kratzern sche-

matisch (oben) und

Selbstheilung von

Kratzern an duktilen

Kunststoffen (unten) plastische Verdrängung Sprödbruch Materialabtrag

plastische Verformung viskoelastische Rückstellung

Rückstellkräfte

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Kunststoffe 9/2018 www.kunststoffe.de

Trendbericht AUTOMOBILBAU 135

Die Bedeutung von thermoplasti­schen Faserverbund­Kunststoffen (TP­FVK) nimmt ständig zu. Das ist einerseits den geringeren Materialkosten und der vielseitigen hochautomatisierten Verar­beitungstechnik, andererseits aber auch dem mittlerweile wesentlich einfache­ren Recycling in geschlossenen Kreisläu­fen zuzuschreiben.

Gleichzeitig war aber auch ein Grundtenor des diesjährigen PIAE­Kon­gresses, dass der reine FVK­Verbau we­der wirtschaftlich noch technisch alle notwendigen Anforderungen erfüllen kann. Hybridstrukturen aus Metall und Kunststoffen – mit und ohne Faserver­stärkungen – sind gegenwärtig die zu­kunftsträchtigsten Technologien.

Diese Materialkombinationen erfor­dern aber im Gegenzug geeignete Füge­techniken, um die gewünschten Verbun­de herzustellen. Die Kömmerling Chemi­sche Fabrik GmbH, Pirmasens, demons­trierte in der begleitenden Ausstellung [12] eine mit dem Institut für Verbund­werkstoffe GmbH, Kaiserslautern, entwi­ckelte Hybridfügetechnik als Schlüssel für effizienten Leichtbau (Bild 6). Im ersten Schritt werden die Metalloberflächen mit thermisch polymerisierbaren Haftver­mittlern, die Kömmerling zunächst für PP entwickelt hat (Bezeichnung: Köratac), beschichtet. Haftvermittler für weitere TP­FVK­Kombinationen sind bereits in Entwicklung. Die notwendigen Schicht­dicken liegen dabei unter 35 µm. Im nächsten Schritt erfolgt dann das Fügen mit den FVK (in diesem Falle PP­Basis) durch das gut automatisierbare Indukti­onsschweißverfahren (Bild 7).

Dieser Prozess erfüllt praktisch meh­rere Anforderungen des hybriden Leicht­baus für die automobile Serienproduk­tion:

W hochfeste Verbindung zwischen FVK und Metall durch Haftvermittler,

W geringe Investitionskosten für An­lagentechnik,

W energetisch hocheffizientes Fügever­fahren,

W Wärmeerzeugung direkt im Bauteil, d. h. hoher thermischer Wirkungs­grad und keine Schädigung der Fa­serstruktur. W

über ein „optisches Selbstheilungspoten­zial“ unter dem Einfluss von hohen Licht­strömen. So reduziert sich der Gelbwert und der Transmissionsverlust bei Wärme­langzeitbelastung in Gegenwart von ho­hen Lichtströmen auf weniger als die Hälfte [11].

Hybridstrukturen und Hilfswerkstoffe

Zur verbesserten Fertigung von Hybrid­bauteilen, die sich auf der PIAE als ent­scheidendes Element für den unver­zichtbaren Leichtbau herauskristallisiert haben, gehören auch angepasste Ver­bindungstechniken mit Oberflächenvor­behandlung, Haftvermittlern und Kleb­stoffen.

14

MPa

10

8

6

4

2

0Entfetten Druckluft-

strahlenfeine Laser-

strukturierunggrobe Laser-

strukturierungKöratacHL400

KöratacHL403

0

2,6

6,87,2

11,712,1

Zugs

cher

fest

igke

it

Bild 6. Einfluss unterschiedlicher Oberflächenvorbehandlungen auf die Haftung von Stahl-PP-

GMT-Hybridstrukturen (Quelle: Kömmerling)

Der AutorBernhard Klein, PolymerConsulting & Service, Neuburg a. d. Donau, arbeitet als Fachexperte für reaktive Oberflächen-technik, Werkstoffentwicklung und Verar-beitung vorrangig im Bereich der Auto-mobil-Industrie; [email protected]

ServiceLiteratur & Digitalversion

B Das Literaturverzeichnis und ein PDF des Artikels finden Sie unter www.kunststoffe.de/6622197

English Version B Read the English version of the article

in our magazine Kunststoffe international or at www.kunststoffe-international.com

© Kunststoffe

Bild 7. Induktions-

schweißkopf beim

automatisierten

Fügen von Metall

mit GMT-PP zu

leichten Hybridbau-

teilen (© Institut für

Verbundwerkstoffe)

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