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Gulliver 1334 Trix Solier, Zauberlehrling voller Fehl und Adel Roman von Sergej Lukianenko, Christiane Pöhlmann 1. Auflage Trix Solier, Zauberlehrling voller Fehl und Adel – Lukianenko / Pöhlmann schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG BELTZ Weinheim 2012 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 407 74334 3

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Gulliver 1334

Trix Solier, Zauberlehrling voller Fehl und Adel

Roman

vonSergej Lukianenko, Christiane Pöhlmann

1. Auflage

Trix Solier, Zauberlehrling voller Fehl und Adel – Lukianenko / Pöhlmann

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

BELTZ Weinheim 2012

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 407 74334 3

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Leseprobe aus: Lukianenko, Trix Solier, Zauberlehrling, ISBN 978-3-407-74334-3© 2012 Beltz Verlag, Weinheim Basel

http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn= 978-3-407-74334-3

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1. Kapitel

Warum nur bekümmerte Trix, den einzigen undrechtmäßigen Erben des Co-Herzogs Rett Solier,

sein Äußeres so sehr?Er stand vor einem alten, trüben Spiegel, der schon seit

drei Generationen im Schlafgemach der männlichen Erbenhing, und betrachtete skeptisch sein Spiegelbild. Daran warder Spiegel gewöhnt. Er kannte die entsetzten Gesichterbeim Anblick eines sprießenden Pickels oder jener Kratzer,die eine ungeschickte und noch vor dem ersten Bartwuchsgewagte Rasur hinterlassen hatte, schließlich achteten allejungen Co-Herzöge im Hause Solier auf ihr Äußeres. Zu-mindest auf die wichtigen Details: ob die Hosen zugeknöpftwaren, ob sich die Taschen nicht zu sehr beulten, weil siemal wieder eine Menge interessanter Dinge enthielten (dienatürlich kein Erwachsener billigte), ob die Haare nichtnach allen Seiten abstanden und ob der frische blaue Fleckgut gepudert war (Puder war für die Angehörigen beiderleiGeschlechts unersetzlich).

Trotzdem schlug Trix irgendwie aus der Art. Die traditi-onellen Beschäftigungen für Kinder wie Jagd und Fechtenhatte er nie gemocht, stattdessen las er und verbrachte vielZeit mit den Hofzauberern und Chronisten. Was ihn amJagen und Fechten jedoch am meisten störte, war, dass esBeschäftigungen für Kinder waren. Zu seinem Leidwesen

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hatte auch noch seine Mutter, die Herzogin Solier, gewisseProbleme mit seinem Alter (und auch mit ihrem eigenen,denn sie war nun schon fünfzehn Jahre lang fünfundzwan-zig). So hatte sie ihm zum letzten Geburtstag ein prächtigesPferd geschenkt, einen Apfelschimmel. An dem hätte Trixnicht das Geringste auszusetzen gehabt – wäre er nicht ausHolz und mit Rädern gewesen. Morgen, zu seinem vier-zehnten Geburtstag, sollte er »sehr hübsche Büchlein« be-kommen. Zwar teilte Trix unbedingt die Ansicht, Bücherseien die schönsten Geschenke, seine Freude zügelte er abertrotzdem. Er vermutete nämlich, es würde sich um Büchermit Bildern handeln – und gewiss nicht mit solchen, wie ersie aus dem Folianten Eichenzweig und Lotusblume kannte,den er sich heimlich aus der herzoglichen Bibliothek besorgthatte.

Doch zurück zu Trix’ Spiegelbild. Fangen wir oben an.Oben waren die Haare. Schwarze Haare. Trix hätte blondebevorzugt, zur Not auch rote, denn das wäre immerhin un-gewöhnlich gewesen.

Alles in allem fand er sein Haar aber akzeptabel.Dann folgte das Gesicht, das Trix besonders aufmerksam

musterte. An den Einzelheiten war eigentlich nichts auszu-setzen. Stirn und Nase hatte er vom Vater, die Ohren vonder Mutter, normale Ohren übrigens, keine Segel-, Spitz-oder Riesenohren. Auch über den Mund beschwerte sichTrix nicht, schließlich erfüllte er seine Funktion tadellos.Das Kinn war nicht besser und nicht schlechter als jedes an-dere Kinn auch – sah er mal vom fehlenden Bartwuchs ab.

Was Trix aber überhaupt nicht gefiel, war die Art undWeise, wie sich diese Teile zusammensetzten. Was dabeiherauskam, ließ sich nämlich nur mit dem hässlichen Wort

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»Jüngling«, ja sogar mit dem noch schrecklicheren Wort»Junge« bezeichnen, auf keinen Fall aber mit »junger Mann«.

Zu allem Überfluss wirkte das Ergebnis auch noch ab-solut harmlos. Ob daran die vollen Lippen schuld waren?Trix presste sie aufeinander – und der Jüngling im Spiegelverwandelte sich in einen widerwärtigen Kerl. Diesen Trixbrauchte man bloß anzusehen und schon wollte man dasHerzogtum stürzen; den Mut und die Tapferkeit eines altenGeschlechts verkörperte er jedenfalls nicht.

»Ei pottstausend!«, fuhr Trix den Spiegel an. »Du blödesDing!«

Der Spiegel tat so, als habe er mit der Sache nichts zu tun.Trix wandte sich um und stapfte zur Tür. Ihm stand ein

weiterer öder Tag bevor, vollgestopft mit den Pflichten einesThronfolgers. Noch dazu ein Empfangstag. Da hieß es, zu-nächst den väterlichen Unterhandlungen mit Kaufleuten,Pächtern und Gildemeistern beizuwohnen. Sie alle wolltenweniger zahlen und mehr verdienen. Da genau das auch derCo-Herzog Rett Solier wollte, zogen sich diese langweiligenGespräche immer ewig hin.

Anschließend musste Trix selbst empfangen. Natürlichdurfte er noch keine Fragen von Bedeutung klären, sondernhatte Kinderprobleme zu lösen. Zum Beispiel, wenn dieLehrlinge der Schmiedegilde eine Schlägerei mit den Lehr-lingen der Bäckergilde angefangen hatten. Wer übrigensglaubt, dabei hätten die unschuldigen Nudelholzschwingervon den muskulösen Hammerschmieden eins auf die Nasegekriegt, befindet sich auf dem Holzweg. Die Gehilfen derSchmiede stehen ja die meiste Zeit am Amboss, pressen glü-hendes Metall mit einer Zange zusammen oder treten denBlasebalg. Diese Beschäftigungen kommen einzelnen Mus-

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keln zugute, nicht aber dem Körper insgesamt. Ganz andersdagegen die Bäckerjungen, die schwere Mehlsäcke oder Ble-che mit Backwaren schleppen müssen. Obendrein kriegenSchmiedelehrlinge nie genug zu essen, während Bäckerjun-gen gar nicht wissen, was Hunger ist.

Oder wenn sich Kinder kleiner Diebstähle und Gesetzes-verstöße schuldig gemacht hatten, die es nicht wert waren,von der städtischen Wache untersucht zu werden. Waisenund Söhne, die zu Unrecht von ihren Eltern ausgepeitschtwurden, baten Trix um Hilfe. Kurz und gut, es galt als heiligePflicht eines jeden jungen Erben, am Beispiel seiner Alters-genossen die Bedürfnisse seines Volkes kennenzulernen.

So ging Trix denn schnurstracks in den Thronsaal. DieTür stand halb offen, die andere, zum Palastvorhof führendeTür war noch verschlossen. Sein Vater saß bereits auf demHalben Thron, einer Metallkonstruktion, die zwar durch-aus bequem war, aber aussah, als handle es sich nur um dieHälfte eines riesigen Throns. Hier und da lugten die Spitzenoder Griffe von Schwertern hervor.

»Trix«, begrüßte sein Vater ihn mit einem verschämtwarmherzigen Blick.

»Eure Hoheit.« Trix verbeugte sich und ging zu der klei-nen Bank links des Halben Throns, die ebenfalls aus Metallund ebenfalls aus feindlichen Klingen geschmiedet wordenwar. Er nahm Platz. Wie schon so oft ging ihm der Gedankedurch den Kopf, dass er seinen Feinden weit mehr Sympa-thie entgegenbrächte, wenn sie mit Kissen und Strohkeulenkämpfen würden.

Nun öffneten zwei Palastwachen die Tür zum Palastvor-hof, damit die Untertanen zur Audienz in den Thronsaalströmen konnten.

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Der Tag begann.Entgegen allen Erwartungen waren die Ersten in der Reihe

keine Untertanen Soliers, sondern Ritter vom Co-HerzogSator Gris. Sie trugen Uniform, gemäß der Hofetikette aberkeine Panzer und Waffen.

Trix äugte zu seinem Vater hoch. Der betrachtete die Rit-ter mit unverhohlener Neugier.

»Eure Hoheit!« Der älteste Ritter ließ sich auf die Knienieder, die anderen folgten seinem Beispiel.

»Steht auf, edler Herr«, sagte der Co-Herzog Rett Solier.»Wir sind gekommen, um unsere Entschuldigung für die

Ereignisse des gestrigen Abends vorzubringen.« Der Rittermachte keine Anstalten, sich zu erheben. »Wir vertrauen aufdie Güte Eurer Hoheit …«

Trix fing an, sich zu langweilen. Er hatte schon gehört,dass es gestern in einer Bierstube eine Schlägerei zwischenden Rittern des Co-Herzogs Solier und denen des Co-Her-zogs Gris gegeben hatte. Zum Glück war kein Blut geflos-sen. Dann sind unsere Ritter wohl gerade bei Co-HerzogGris, dachte Trix. Routine. Wenn sich zwei Herrscher wiedie Co-Herzöge Solier und Gris die Macht teilten, warensolche Vorkommnisse keine Seltenheit.

»Ich nehme Eure Entschuldigung an«, sagte der Co-Her-zog Solier. »Steht auf, edle Herren. Ich will hoffen, der Co-Herzog Gris lässt gegenüber meinen Rittern ähnliche Mildewalten.«

Der Ritter erhob sich. Er fuhr mit der Hand über denMetallgürtel, der sein Wams hielt, worauf dieser klackte,sich versteifte und in eine schmale, aber äußerst scharf aus-sehende Klinge verwandelte. »Davon würde ich nicht aus-gehen«, entgegnete er.

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Das Türschloss war schon vor hundert Jahren eingerostet,der Schlüssel nicht viel später verloren gegangen. SoweitTrix wusste, waren die Gefängniszellen immer leer gewesen.Niemand hielt Wache, die Tür zum Gefängnistrakt standstets sperrangelweit offen, die Gittertüren der Zellen warenzwar zu, aber nicht abgeschlossen. In seiner Kindheit war erein paarmal hier unten gewesen, aber nie lange, dazu war derKeller einfach zu öde. Er war nicht einmal gruselig. Es gabwirklich nur verrostete Eisenstufen, rostzerfressene Fackel-halter, durchgerostete Türen und angerostete Gitter. Be-stimmt wären in der feuchten Luft auch noch die Wändeverrostet – wenn Stein hätte rosten können.

Vor drei Generationen waren die Soliers zu dem klugenSchluss gelangt, dass es weit vorteilhafter war, Verbrecherden städtischen Machthabern zu übergeben, statt sie in deneigenen Verliesen einzusperren. Es sparte nicht nur Geld,da die Notwendigkeit wegfiel, Gefängniswächter und einenHenker zu bezahlen, sondern ließ sie auch gut dastehen, dadie Soliers dann ja nicht für die Entscheidungen des Ge-richts verantwortlich waren. Als Zugabe traf es auch nochdie Verbrecher härter, denn ein Gericht mit neun anonymenSchöffen fällt strengere Urteile als ein einzelner Co-Herzog,warum auch immer.

Man hatte auch gar nicht erst versucht, die Tür hinterTrix abzuschließen, sondern einfach eine Zelle mit halbwegsstabiler Gittertür ausgesucht. Dann hatte ein wortkargerSchmied in einem tragbaren Schmelzofen einen Eisenstabzum Glühen gebracht und die Tür damit zugelötet.

Das sicherste Schloss auf der Welt ist nun mal eines ohneSchlüssel.

Trix saß in einer Ecke der Zelle auf seiner Jacke. Die Klei-

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dung hatten sie ihm gelassen, nur die Knöpfe abgeschnittenund den Gürtel aus den Hosen sowie die Schnürsenkel ausden Stiefeln gezogen. Damit er sich nicht umbrachte? EineZeit lang stellte sich Trix schadenfroh vor, wie er die Är-mel der Jacke abriss, einen Strick daraus knüpfte und sichan der Gittertür erhängte. Hatte sich nicht einer seiner Vor-fahren, Kelen Solier, bloß mit dem Taschentuch aufgehängt,mit dem seine zahlreichen Wunden verbunden gewesenwaren?

Doch schon in früher Kindheit hatte Trix die Sache mitdem einen Taschentuch, mit dem zahlreiche Wunden ver-bunden gewesen sein sollten, kaum glauben können. Außer-dem wären seine Feinde vermutlich gar nicht traurig, wennsie den jungen Co-Herzog mit heruntergerutschten Hosenund heraushängender Zunge am Gitter baumeln sähen. ImGegenteil, er würde ihnen damit nur auf den Thron ver-helfen. Nein, besser, er ließ sich zum Tode verurteilen, mitallem, was dazugehörte: ein korruptes Gericht und die An-wesenheit seines treulosen Volkes. Da würde er seinen gro-ßen Auftritt haben. Genau wie sein Vorfahr Diego Solier,dessen Rede auf dem Schafott sogar den Henker zu Tränengerührt hatte. Oder wie Renada Solier, die Räubern in dieHände gefallen war, sie aber mit einer flammenden Redeüberzeugen konnte, ihr verbrecherisches Handwerk aufzu-geben und der Palastwache beizutreten.

Trix schnaubte. Sicher, er war erst vierzehn und schwärmtefür alte Chroniken – aber so naiv war er nun auch wiedernicht! Diego Solier war geköpft worden, selbst wenn derHenker geheult hatte, als er das Beil schwang. Und RenadaSolier musste den Chef der Räuberbande drei Tage und dreiNächte überreden, wobei Trix den unklaren Eindruck hatte,

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die Nächte seien dabei wesentlich wichtiger gewesen als dieTage.

Es ist leicht, von Heldentum zu träumen, während mandie zarten, vergilbten Seiten der alten Chroniken umblät-tert. Weitaus schwieriger ist es, wenn die Werkzeuge desFolterknechts deine eigenen zarten Finger zerquetschen.

Natürlich war Folter im Herzogtum streng verboten,mit Ausnahme jener Fälle, die klar und eindeutig geregeltwaren. Foltern, um den Thronverzicht herbeizuführen, dastauchte allerdings nirgends auf. Überhaupt war die Foltereines Kindes – und nach den Gesetzen des Herzogtums galtTrix immer noch als minderjährig – nur in Anwesenheiteines Arztes, eines Priesters oder einer »guten Frau aus demVolk« erlaubt, welche die Prozedur jederzeit unterbrechenkonnten.

Leider gab es etliche Formen der Folter, die keine Spu-ren hinterließen. Nachdem Trix einmal mit stockendemAtem knapp die Hälfte des Handbuchs für den ehrlichenInquisitor gelesen hatte, machte er sich da keine falschenHoffnungen. Die würden mit ihm machen, was sie wollten.Schließlich war es auch strikt verboten, einen Co-Herzogzu stürzen.

Trix stand auf, tigerte durch die Zelle und versuchte, dieBeine zu lockern. Dabei musste er die Hosen festhalten, dieständig herunterrutschten. Drei mal drei Schritt, was für einAlbtraum! Konnten Menschen wirklich jahrelang in sol-chen Verliesen sitzen? Bestimmt nicht! Doch eine gemeineStimme in seinem Innern flüsterte: »Du wirst es schon nochrauskriegen!«

Trix schüttelte den Kopf. Undenkbar! Entweder würdensie mit ihm darüber verhandeln, dass er auf den Thron ver-

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zichtete – oder ihn ermorden. Wenn sie ihn hier unten ver-modern ließen, würden sie sich ihr eigenes Grab schaufeln.Das bewiesen alle Schauspiele und Balladen. In denen fandsich stets ein treuer Diener, der seinen Herrn befreite. Oderder Held grub heimlich einen Gang aus dem Verlies. Unddann scharte er eine Armee um sich und ließ seinen Zorn anden Halunken aus.

Genau! Auch er würde seinen Zorn an ihnen auslassen!Trix griff nach dem Gitter, spannte die Muskeln an und

versuchte, die Stäbe auseinanderzubiegen. Klein und ma-ger, wie er war, würde er einfach durch die Stäbe hindurch-schlüpfen …

Richtig, er war klein. Und schwach. Die Stäbe gaben nichtnach, mochte der Zahn der Zeit auch noch so an ihnen ge-nagt haben. Trix beschmierte sich bloß mit feuchtem Rostund hätte sich beinahe den Kopf zwischen den Stäben ein-gequetscht – wahrscheinlich sehr zur Freude der Gefäng-niswärter!

Er trat ein paarmal gegen das Gitter, doch dieses bemerktedie Tritte nicht einmal.

Trix hockte sich wieder auf den Boden. Er hatte keineAngst. Nicht, weil er von Natur aus mutig war, sondern ein-fach, weil alles zu überraschend gewesen war … und zu banal.Niemand war handgreiflich geworden. Dabei hatte er sogarversucht, mit dem Schwert auf einen Ritter einzustechen.

Doch der hatte ihm schon beim ersten Ausfall das Schwertaus der Hand geschlagen. Seinen Dolch konnte Trix dann garnicht erst ziehen. Der kräftige Ritter bog ihm – behutsam! –die Arme auf den Rücken und brummte, er, Trix, solle besserkeinen Widerstand leisten, sonst müsse er, der Ritter, ihmwehtun. Dann waren noch zwei Schurken hinzugeeilt. Zu

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dritt hatten sie Trix aus dem Thronsaal gebracht, sein Vater,der sich ganz allein gegen den Rest der Angreifer zur Wehrsetzte, wurde da gerade in eine Ecke abgedrängt.

Sie hatten Trix schnell und sorgfältig durchsucht, ihm denGürtel und die Schnürsenkel abgenommen, die Knöpfe ab-geschnitten und das Futter der Jacke abgetastet. Anschlie-ßend wurde er ins Verlies gebracht. Nicht ein grobes Worthatten sie zu ihm gesagt! Im Keller hatte bereits der Schmiedgewartet. Der Hofschmied des Co-Herzogs Solier! Einmürrischer Mann, den aber niemand unter Druck setzte.Mit seinem Hammer – daran hegte Trix nicht den geringstenZweifel – hätte er die drei Ritter mühelos erledigen können,die neben ihm längst nicht mehr so kräftig wirkten.

Doch der Schmied brachte nur den Stab zum Glühenund verlötete damit die Tür. Dann war er weggegangen –ohne sein Werkzeug mitzunehmen, ohne sich noch einmalnach dem jungen Co-Herzog umzudrehen, ohne auf dessenwilde Schreie zu achten. Und auch die Ritter waren gegan-gen, nachdem sie die fast niedergebrannte Fackel in einenHalter gegenüber der Zelle gesteckt hatten.

Trix rieb sich verlegen die Stirn. Er hätte besser nicht ge-schrien. Schon gar nicht diese Worte. Dabei nahmen sie sichin den Chroniken so gut aus: »Dreihundert Jahre dientendeine Vorfahren den meinen treu und ergeben« und »Ver-rat lässt dein Herz verdorren« und »Es ist die Wahrheit, dieimmer siegt«.

In seinem feuchten Verlies klangen diese Worte jedochreichlich komisch. Oben, inmitten von farbenprächtigenGobelins und bunten Mosaikfenstern, hätten sie sich besserangehört. Glaubte er jedenfalls.

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