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Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main Trockeneis: Ein aktuelles Unfallgeschehen aufgrund unsachgemäßen Umgangs mit CO 2 Matthias Bundschuh, Alexander Gerber M. Bundschuh, A. Gerber: Trockeneis: Ein aktuelles Unfallgeschehen aufgrund unsachgemäßen Umgangs mit CO 2 . Zbl Arbeitsmed 63 (2013) 348–349 Schlüsselwörter: Kohlenstoffdioxidintoxikation, Trockeneis Zusammenfassung: Der folgende Artikel gibt eine aktuelle Übersicht zu dem tragischen Unglücksgeschehen infolge eines unsachgemäßen Um- gangs mit festem Kohlenstoffdioxid (Trockeneis). Ein Wiesbadener Gastronom war während eines Transports von Trockeneis in seinem Wagen durch das während der Fahrt ausströmende CO 2 tödlich verunglückt. Der Artikel beschäftigt sich neben dem aktuellen Geschehen mit der Substanz des Trockeneis und ist aufgrund zahlreicher Expositionsmöglichkeiten auch in Betrieben von großer Bedeutung für die Arbeitsmedizin. Dry ice: A current accident occurrence M. Bundschuh, A. Gerber: Dry ice: A current accident occurrence. Zbl Arbeitsmed 63 (2013) 348–349 Key words: carbon dioxide intoxication, dry ice Summary: The following article gives a current overview of the tragic accident happening as a result of improper handling solid carbon dioxide (dry ice). A caterer from Wiesbaden was killed during a transportation of dry ice in his car while driving through the escaping CO 2 . The article deals with current events in addition to the substance of dry ice and is due to numerous exposure opportunities in companies of great importance to occupational medicine. Kontakt: Matthias Bundschuh Zentrum für Gesundheitswissenschaften Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin Geschäftsführender Zentrumsdirektor: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. D. Groneberg Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7 Haus 9b 60590 Frankfurt am Mai Tel.: +49 69 6301–4364 Fax : +49 69 6301–7053 Email: [email protected] Aktuelles Ein tragischer Unfall mit Todesfolge ereignete sich im Juli 2013 in der Lan- deshauptstadt Wiesbaden. Ein Gastro- nom transportierte in seinem Wagen eine Ladung Trockeneis und sei dann am ehesten durch das aus den Kisten mit dem Trockeneis ausströmende Kohlen- stoffdioxid (CO 2 ) ums Leben gekommen. Messungen im Fahrzeug hatten eine erhöhte Kohlenstoffdioxidkonzentration ergeben [1]. Die meisten der in der medizinischen Literatur beschriebenen CO 2 -assoziierten Unfälle traten bei er- höhten CO 2 -Konzentrationen in engen geschlossenen Räumen (z.B. Tunnel, Si- lo, Weinkeller) [2] oder bei Verwendung von Trockeneis auf [3]. Des Weiteren werden einige Suizide durch Kohlen- stoffdioxid beschrieben [4]. Kohlenstoffdioxid Kohlenstoffdioxid (CO 2 ), ein bei Raumtemperatur farb- und geruchloses, nicht-reizendes Gas, ist neben Stickstoff (ca. 78,08 Vol.-%) und Sauerstoff (ca. 20,95 Vol.-%) ein natürlicher Bestand- teil der Atmosphäre (0,03 Vol.-%). Es ist das Produkt der Reaktion zwischen Sau- erstoff und Kohlenstoff mit der Sum- menformel CO 2 und entsteht sowohl bei der Verbrennung von kohlenstoffhalti- gen Substanzen als auch im Organismus von Lebewesen bei der Zellatmung [5]. In der Industrie wird es häufig in fester Form als Trockeneis zur Kühlung von Lebensmitteln, als Lösungsmittel, Ex- traktionsmittel oder bei der Herstellung von nicht-fermentativen kohlensäure- haltigen Getränken eingesetzt. Besonde- re Vorsichtsmaßnahmen sind erforderlich bei der Verwendung von Kohlenstoff- dioxidschnee (Trockeneis). Trockeneis ist gefrorenes, unter Druck stehendes Kohlenstoffdioxid, welches durch Kom- primierung von Kohlenstoffdioxid ent- steht. Bei einer Temperatur von –78 °C geht es aus dem festen Aggregatzustand (Trockeneis) durch Sublimation direkt in den gasförmigen Zustand über [5]. Aufgrund einer höheren Dichte von CO 2 im Vergleich zu Luft (1,98kg/m³ versus 348 Übersicht: Trockeneis: Ein aktuelles Unfallgeschehen aufgrund unsachgemäßen Umgangs mit CO 2

Trockeneis: Ein aktuelles Unfallgeschehen aufgrund unsachgemäßen Umgangs mit CO2

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Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Trockeneis: Ein aktuelles Unfallgeschehen aufgrund unsachgemäßen Umgangs mit CO2 Matthias Bundschuh, Alexander Gerber

M. Bundschuh, A. Gerber: Trockeneis: Ein aktuelles Unfallgeschehen aufgrund unsachgemäßen Umgangs mit CO2 . Zbl Arbeitsmed 63 (2013) 348–349

Schlüsselwörter: Kohlenstoffdioxidintoxikation, Trockeneis Zusammenfassung: Der folgende Artikel gibt eine aktuelle Übersicht zu dem tragischen Unglücksgeschehen infolge eines unsachgemäßen Um-

gangs mit festem Kohlenstoffdioxid (Trockeneis). Ein Wiesbadener Gastronom war während eines Transports von Trockeneis in seinem Wagen durch das während der Fahrt ausströmende CO2 tödlich verunglückt. Der Artikel beschäftigt sich neben dem aktuellen Geschehen mit der Substanz des Trockeneis und ist aufgrund zahlreicher Expositionsmöglichkeiten auch in Betrieben von großer Bedeutung für die Arbeitsmedizin.

Dry ice: A current accident occurrence

M. Bundschuh, A. Gerber: Dry ice: A current accident occurrence. Zbl Arbeitsmed 63 (2013) 348–349 Key words: carbon dioxide intoxication, dry ice Summary: The following article gives a current overview of the tragic accident happening as a result of improper handling solid carbon

dioxide (dry ice). A caterer from Wiesbaden was killed during a transportation of dry ice in his car while driving through the escaping CO2. The article deals with current events in addition to the substance of dry ice and is due to numerous exposure opportunities in companies of great importance to occupational medicine.

Kontakt:

Matthias Bundschuh ■ Zentrum für Gesundheitswissenschaften ■ Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin ■ Geschäftsführender Zentrumsdirektor: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. D. Groneberg ■ Goethe-Universität ■ Theodor-Stern-Kai 7 ■ Haus 9b ■ 60590 Frankfurt am Mai ■ Tel.: +49 69 6301–4364 ■ Fax : +49 69 6301–7053 ■ Email: [email protected]

Aktuelles Ein tragischer Unfall mit Todesfolge

ereignete sich im Juli 2013 in der Lan-deshauptstadt Wiesbaden. Ein Gastro-nom transportierte in seinem Wagen eine Ladung Trockeneis und sei dann am ehesten durch das aus den Kisten mit dem Trockeneis ausströmende Kohlen-stoffdioxid (CO2) ums Leben gekommen. Messungen im Fahrzeug hatten eine erhöhte Kohlenstoffdioxidkonzentration ergeben [1]. Die meisten der in der medizinischen Literatur beschriebenen CO2-assoziierten Unfälle traten bei er-höhten CO2-Konzentrationen in engen geschlossenen Räumen (z.B. Tunnel, Si-lo, Weinkeller) [2] oder bei Verwendung von Trockeneis auf [3]. Des Weiteren

werden einige Suizide durch Kohlen-stoffdioxid beschrieben [4].

Kohlenstoffdioxid Kohlenstoffdioxid (CO2), ein bei

Raumtemperatur farb- und geruchloses, nicht-reizendes Gas, ist neben Stickstoff (ca. 78,08 Vol.-%) und Sauerstoff (ca. 20,95 Vol.-%) ein natürlicher Bestand-teil der Atmosphäre (0,03 Vol.-%). Es ist das Produkt der Reaktion zwischen Sau-erstoff und Kohlenstoff mit der Sum-menformel CO2 und entsteht sowohl bei der Verbrennung von kohlenstoffhalti-gen Substanzen als auch im Organismus von Lebewesen bei der Zellatmung [5]. In der Industrie wird es häufig in fester

Form als Trockeneis zur Kühlung von Lebensmitteln, als Lösungsmittel, Ex-traktionsmittel oder bei der Herstellung von nicht-fermentativen kohlensäure-haltigen Getränken eingesetzt. Besonde-re Vorsichtsmaßnahmen sind erforderlich bei der Verwendung von Kohlenstoff-dioxidschnee (Trockeneis). Trockeneis ist gefrorenes, unter Druck stehendes Kohlenstoffdioxid, welches durch Kom-primierung von Kohlenstoffdioxid ent-steht. Bei einer Temperatur von –78 °C geht es aus dem festen Aggregatzustand (Trockeneis) durch Sublimation direkt in den gasförmigen Zustand über [5]. Aufgrund einer höheren Dichte von CO2 im Vergleich zu Luft (1,98kg/m³ versus

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1,29kg/m³) ist die Konzentration in Bodennähe am höchsten und es kann beispielsweise in Weinkellern oder Fut-tersilos wie mehrfach in der Literatur beschrieben zu CO2-Intoxikationen kom-men [2, 5, 6].

Klinik einer CO2-Intoxikation Die Toxizität von CO2 ergibt sich zum

einen aus den Wirkungen auf das Atem-wegszentrum und zum anderen durch eine Abnahme der Sauerstoffkonzentra-tion in der Atemluft, da es durch die Freisetzung von CO2 zur Verdrängung des Sauerstoffs aus der atmosphärischen Luft kommt. In niedrigen Konzentratio-nen stimuliert CO2 das Atemzentrum, während hohe Konzentrationen zu Atem-depression und Apnoe führen. Nach In-halation von hohen Kohlenstoffdioxid-konzentrationen kann es innerhalb weni-ger Minuten zu Bewusstlosigkeit und schließlich Tod kommen [7, 8]. Ab einer CO2-Konzentration von 10% in der Luft kann eine Bewusstlosigkeit eintreten, ein tödlicher Verlauf ist bei einer Kon-zentration von 20% und mehr zu erwarten (siehe Tab. 1). Die Hauptgefahr einer erhöhten Kohlenstoffdioxidkon-zentration besteht in dem Nichtvorhan-densein von körperlichen Warnsympto-men, die auf eine mögliche Überexpo-sition hinweisen könnten. Nach Eintritt von Bewusstlosigkeit inhaliert die be-treffende Person weiter CO2 und wird schließlich daran versterben [7]. Bei Hautkontakt kann es zu Erfrierungen (Kaltverbrennungen) kommen.

Bedeutung in der Arbeitsmedizin Im Rahmen der arbeitsmedizinischen

Tätigkeit kann der Umgang mit Tro-ckeneis auch von zentraler Bedeutung sein, da diese Substanz wie beschrieben, häufig in der Industrie zum Einsatz

kommt und es am Arbeitsplatz immer wieder zu teils schwersten Zwischenfäl-len beim Gebrauch oder Transport von Trockeneis kommt. Im EG-Sicherheits-datenblatt gemäß TRGS 220 [9] wird der vorschriftsmäßige Umgang mit Trocken-eis geregelt. Danach sollte Trockeneis möglichst nicht in Fahrzeugen transpor-tiert werden, deren Lagerraum nicht von der Fahrerkabine getrennt ist. Bei Haut-kontakt mit Trockeneisblöcken sind Hand-schuhe oder spezielle Greifvorrichtun-gen zu benutzen und die exponierte Per-son darf sich nicht in den Behälter beu-gen. Es ist eine effektive Be- und Entlüf-tung der Räumlichkeiten besonders im Bodenbereich sicherzustellen. Die per-sönliche Schutzausrüstung umfasst das Tragen von Sicherheitsschuhen, Schutz-kleidung, isolierten Schutzhandschuhen sowie eine dicht schließende Schutzbril-le. Volle und auch leere Behälter mit Trockeneis sind nur mit verschlossenem Deckel zu transportieren. Es muss si-chergestellt werden, dass CO2-Dämpfe aus dem Behälter entweichen können, weshalb auf eine ausreichende Belüf-tung der Räumlichkeiten zu achten ist. Generell wird das Risiko des Erstickens oft übersehen und muss bei der Unter-weisung der Mitarbeiter besonders her-vorgehoben werden [9].

Literatur: 1. Frankfurter Rundschau online (2013). „Gastronom soll an Trockeneis erstickt sein.“ Abgerufen am 16.07.2013 auf http://www.fr-online.de/rhein-main/gebhard-bucher-gestorben-gastronom-soll-an-trockeneis-erstickt-sein-, 1472796,23630916.html. 2. Romeo L, Prigioni P, Marcheselli S, Mar-chiori L, Cerpelloni M, Fiorini C, Brugnone F: Acute poisoning with carbon dioxide: report of 2 fatal cases. La Medicina del lavoro 2002, 93:26–33. 3. Srisont S, Chirachariyavej T, Peonim A: A Carbon Dioxide Fatality from Dry Ice. Journal of Forensic Sciences 2009, 54:961–962. 4. Atkinson P, Langlois NEI, Adam BJ, Grieve JHK: SUICIDE, CARBON-DIOXIDE, AND SUFFOCATION. Lancet 1994, 344:192–193. 5. Kettner M, Ramsthaler F, Juhnke C, Bux R, Schmidt P: A Fatal Case of CO2 Intoxication in a Fermentation Tank. Journal of Forensic Sciences 2013, 58:556–558. 6. Rupp W: Suicide by carbon dioxide. Forensic Sci Int 2013 Jun 19 pii: S0379–0738(13) 00283–1 doi: 101016/jforsciint201305013 2013. 7. La Harpe R, Shiferaw K, Mangin P, Burkhardt S: Fatality in a Wine Vat. American Journal of Forensic Medicine and Pathology 2013, 34:119–121. 8. Halpern P, Raskin Y, Sorkine P, Oganezov A: Exposure to extremely high concentrations of carbon dioxide: A clinical description of a mass casualty incident. Annals of Emergency Medi-cine 2004, 43:196–199. 9. EG-Sicherheitsdatenblatt (2010). Trocken-eis, CO2. Abgerufen auf www.strahlcenter-erin.de/trockeneisstrahlen/downloads-trockentech-nik.htm.

Tabelle 1: Klinische Auswirkungen von CO2 in der Atemluft [7]

0,03%

10–30%

� 2%

2–6%

6–10%

20%

30%

atmosphärische Luft

keine Auswirkungen

Tachypnoe

Dypnoe, Asthenie, Tachykardie, Sehstörungen, Vertigo, Cephalgien

Photophobie, Nystagmus, Hörstörungen, Erbrechen, Gesichtsfeld -einschränkungen, Stupor → Bewusstlosigkeit

Möglicher Tod

Sofortige Bewusstlosigkeit → schneller Todeseintritt

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