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384 Zeitschrift fiir anorganische und allgemeine Chemie, Band 247. 1941 Uber das Losevermogen von Salzsaure fur Chloride Von WERNER FISCHER Mit 1 Abbildung im Text Die in den beiden voraufgehenden Abhandlungen mitgeteilten Beobachtungen uber das Verhalten von Chloriden gegenuber Salzsaure wurden dort im wesentlichen nur unter den PraktischenGesichtspunkten der analytischen bzw. praparativen Chemie ausgewertet. Im folgenden wird nun ein Vergleich zwischen den Loslichkeits,verh&;Itnissen der verschiedenen Chloride in Salzsiiure gezogen. Das uberraschende Bild, das sich dabei ergibt, entzieht sich vorliiufig noch einer eingehenden Deutung; es so11 aber diskutiert werden, in welcher Richtung grund- siitzlich eine Erkliirung gesucht werden muB. $ 1. In Abb. 1 ist die Loslichkeit einiger Chloride in Salzsaure von 00 in Abhangigkeit von der HCI-Konzentration dargestellt, und zwar im oberen Teil fur einige Chloride der Hauptgruppen des Peri- odischen Systems, im unteren fur einige der Manganidenreihe. Um den zum Teil mehrere Zehnerpotenzen umfassenden EinfluB der HCl- Konzentration auf die Loslichkeit uberblicken zu konnen, ist die Loslichkeit in logarithmischem MaBstab aufgetragen. Die ausgezogenen Kurven veranschaulichen die Verhiiltnisse in wiiBriger Salzsaure, wiihrend die Kreise die Loslichkeit in dem bei 00 mit HC1 gesattigten Gemisch gleicher Volumina von Athylather und Wasser (vgl. S. 333 ff.) wiedergeben. Der Abbildung liegen unsere Messungen, die in den beiden vorstehenden Abhandlungen angefuhrte sowie die in GMELIN’S Handbuch referierte Literatur zugrunde. Soweit Untersuchungen der mit waBriger Salzsaure im Gleichgewicht stehenden Bodenkorper bis zu hochsten HC1-Konzentrationen vorlagen, ist die Zusammensetzung der Bodenkorper in der Abb. neben dem zugehorigen Kurvenast vermerkt ; die Grenzen verschied;ner Bodenkorper sind durch Pfeile markiert. $ 2. Der auffalligste Eindruck, den man beim Vergleich der Loslichkeitskurven fur waBrige Salzsaure in Abb. 1 erhalt, ist folgender: Wahrend sich die Loslichkeitswerte dieserl) leicht los- lichen Chloride in reinem Wasser um kaum eine halbe Zehner- 1) Sowie zahlreicher weiterer Chloride.

Über das Lösevermögen von Salzsäure für Chloride

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384 Zeitschrift fiir anorganische und allgemeine Chemie, Band 247. 1941

Uber das Losevermogen von Salzsaure fur Chloride

Von WERNER FISCHER Mit 1 Abbildung im Text

Die in den beiden voraufgehenden Abhandlungen mitgeteilten Beobachtungen uber das Verhalten von Chloriden gegenuber Salzsaure wurden dort im wesentlichen nur unter den PraktischenGesichtspunkten der analytischen bzw. praparativen Chemie ausgewertet. Im folgenden wird nun ein Vergleich zwischen den Loslichkeits,verh&;Itnissen der verschiedenen Chloride in Salzsiiure gezogen. Das uberraschende Bild, das sich dabei ergibt, entzieht sich vorliiufig noch einer eingehenden Deutung; es so11 aber diskutiert werden, in welcher Richtung g r u n d - s i i tz l ich eine Erk l i i rung gesucht werden muB.

$ 1. In Abb. 1 ist die Loslichkeit einiger Chloride in Salzsaure von 00 in Abhangigkeit von der HCI-Konzentration dargestellt, und zwar im oberen Teil fur einige Chloride der Hauptgruppen des Peri- odischen Systems, im unteren fur einige der Manganidenreihe. Um den zum Teil mehrere Zehnerpotenzen umfassenden EinfluB der HCl- Konzentration auf die Loslichkeit uberblicken zu konnen, ist die Loslichkeit in logarithmischem MaBstab aufgetragen. Die ausgezogenen Kurven veranschaulichen die Verhiiltnisse in wiiBriger Salzsaure, wiihrend die Kreise die Loslichkeit in dem bei 00 mit HC1 gesattigten Gemisch gleicher Volumina von Athylather und Wasser (vgl. S. 333 ff.) wiedergeben. Der Abbildung liegen unsere Messungen, die in den beiden vorstehenden Abhandlungen angefuhrte sowie die in GMELIN’S Handbuch referierte Literatur zugrunde. Soweit Untersuchungen der mit waBriger Salzsaure im Gleichgewicht stehenden Bodenkorper bis zu hochsten HC1-Konzentrationen vorlagen, ist die Zusammensetzung der Bodenkorper in der Abb. neben dem zugehorigen Kurvenast vermerkt ; die Grenzen verschied;ner Bodenkorper sind durch Pfeile markiert.

$ 2. Der auffalligste Eindruck, den man beim Vergle ich d e r Los l i chke i t sku rven f u r waBrige Sa lz sau re in Abb. 1 erhalt, ist folgender: Wahrend sich die Loslichkeitswerte dieserl) l e i ch t los- l i chen Chloride in reinem Wasser um kaum eine halbe Zehner-

1) Sowie zahlreicher weiterer Chloride.

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potenz unterscheiden, und wahrend die Loslichkeitskurven bei kleinen HC1-Konzentrationen in allen Fallen in fast gleicher Weise schwach absinken, treten bei hohen HC1-Konzentrationen nicht nur un- erwartet groBe quantitative Unterschiede auf, sondern es ist auch

Abb. 1. Los l i chke i t von e in igen Chlor iden i n Salzsiiure var iab le1 K onzen t r at i on bei Oo

Die Abbildung stellt den Logarithmus der Loslichkeit L als Funktion der HC1-Konzentration dar;.. L und die HC1-Konzentration sind gemessen in

Aquivalenten je 1000 g Liisung Ausgezogene Kurven: Loslichkeit in wiiEriger Salzsliure

Kreise: Loslichkeit in &ther.-walk SalzsIiure (nach Tab. 3, S. 347 umgerechnet)

fast jedes Chlorid durch ausgepragte individuelle Besonderheiten qualitativer Art im Verlauf der Loslichkeitskurven gekennzeichnetl) : Dem schwachen Abfall bei LiCl steht ein steiler beim NaCl, und diesem wieder ein gemafiigtes Absinken mit anschliel3endem Wieder- anstieg beim KC1 gegenuber2). Wahrend das Verhalten des BeCl,

l) Diese Unterschiede setzen durchweg bei HC1-Konzentrationen groBer als N 6 Aquivalente je 1000 g Losung ein. Etwa bei dem gleichen HCl-Gehalt be- ginnt auch der HCl-Partialdruck wiiBriger Salzsiiure merklich zu werden und der H,O-Partialdruck stiirker abzufallen; vgl. GMELIN, 8. Aufl. C1, S. 145. Diems Zummmentreffen diirfte nicht zufUg sein; die g e m e h m e Urmche dieser Erscheinungen ist wohl in den in 3 5 bwprochenen Verhiiltnissen zu suchen.

2) Nur daa NH,Cl verhiilt sich erwartungsgemiiI3 iihnlich dem KCl; vgl. Tabelle 1 der voretehenden Abhandlung S. 369.

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dem des LiCl gleicht, fallen die Kurven von CaCl, und von MgCl, deutlich schwlicherl) ab, als die der entsprechenden Alkalichloride. Auf diese Abschwiichung der Loslichkeitsbeeinflussung beim MgC1, folgt dann aber beim AlCl, wieder ein unerwartet schroffer Abfall iiber nicht weniger als 4Zehnerpotenzen, der noch dazu in einer anderen Kurvenform erfolgt als der lihnlich steile bei NaCl; auch die sonst vielfach auffallende Bhnlichkeit von Aluminium- und Beryllium- verbindungen fehlt hier vollig. Das Bild, das man so vom Verhalten der Chloride edelgasiihnlicher Kationen erhalt, ist also bemerkens- wert uneinheitlich, und man wurde in Verlegenheit geraten, wenn man danach etwa den Verlauf der Loslichkeitskurve des Scandium- chlorids extrapolieren wollte.

Auch bei den Chloriden nichtedelgasiihnlicher Ionen treten solch unerwartete Unterschiede outage, sehr auffgllig z. B. - wie schon von friiheren Bearbeitern betont - beim Nickelchlorid im Ver- gleich,) mit seinen Nachbarn im Periodischen System (vgl. Abb. 1 unten). Leider liiBt sich der Vergleich aus Mange1 an Daten nicht iiber die ganze Reihe der zweiwertigen Manganidenchloride von CaC1, bis ZnC1, erstrecken. Doch ist qualitativ bekannt, daB MnCl, sich ahnlich wie CaCl, (vgl. Abb. 1) verhalt und ZnC1, sich dem CuCl, anschliefit, aber noch leichter loslich ist als dieses. Auch die Man- ganidenreihe bietet also einen durchaus uneinheitlichen Eindruck, der noch verstiirkt wird durch das Ergebnis einiger Versuche, die HEINZ PLEMPE hier ausfuhrte; danach wird niimlich dieLijslichkeit von Eisen(I1)- chlorid durch HCI fast so stark vermindert wie die von Nickelchlorid.

Noch mannigfaltiger wird das Gesamtbild, wenn man hinzu- nimmt, daB zwar bei den bisher behandelten, leicht loslichen Chlo- riden der Chlorwasserstoff im wesentlichen loslichkeitserniedrigend wirkt, daB er aber im Gegensatz dazu bei den schwer loslichen Chloriden eine Loslichkeitserhohung hervorruft, die ebenfalls erheb- liche AusmaBe annehmen kann und E. B. im Falle des Silberchlorids nach ERBER~) mehr als 3 Zehnerpotenzen betragt.

Man konnte die angefuhrten Beispiele noch um das eine oder andere vermehren; aber es mangelt an systematischen Unter-

l) Bei dem in Abb. 1 verwandten logarithmischen MaBstab kommt der Unterschied nur abgeschwiicht zur Geltung.

2) Die verschiedene Zusammensetzung der Bodenkorper in diesen drei Fillen hat sicher keinen entscheidenden EinfluB auf den Unterschied der Loslich- keitskurven, zumal die Bodenkorperformeln bei CuCI, und CoCI, vie1 starker von- einander abweichen aIs bei CoCI, u. NiCI,.

3, W. ERBER u. A. SCHUHLY, J. prakt. Chem. N. F. 158 (1941), 176.

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suchungen, insbesondere bei den hochsten HC1-Konzentrationen. Von einer geplanten Vervollstiindigung dieser Messungen darf man nach dem bisher vorliegenden Material weitere ifberraschungen erwarten.

$ 3. Vergleichen wir die Loslichkeitswerte in HC1-gesattigter, atherisch-wiiBriger Salzsgure (Kreise in Abb. 1) mit denen in wgBriger Salzsiiure gleicher HC1-Konzentration, so liiBt sich das Er- gebnis in groBen Zugen in folgende Regel zusammenfassen: Andert der Chlorwasserstoff in wiiBriger Losung die Loslichkeit eines Chlorides nur wenig, so gilt dies auch fur die Wirkung des Atherzusatzes; er- niedrigt der Chlorwasserstoff die Loslichkeit eines Chlorides in waBriger Losung stark, so lie@ die Loslichkeit in der atherisch-wiiBrigen Salz- siiure noch niedriger. Die zum Teil groBen Loslichkeitsunterschiede, die verschiedene Chloride in wiiBriger Salzsiiure aufweisen, sind in der iitherisch-wiiBrigen Salzsiiure also noch krasser. Dieses Verhalten ist verstiindlich, wenn man bedenkt, daB ein Atherzusatz iihnlich wie ein Wasserentzug wirken wird. Die praktische Auswirkung dieser Verhiiltnisse liegt z. B. in der analytischen Anwendbarkeit der Fiillung von AlC1, -&&O aus atherisch-wiiBriger SalzsZiure.

Im einzelnen sieht man die oben aufgestellte Regel in Abb. 1 bestiitigt bei BeCl,, CoC1, und CuCl, als Beispielen geringer Loslichkeitsbeeinflussuq und bei NaCI, AlC1, und besonders NiCI, als Beispielen starker Beeinflussung. KCI, MgCl, und CaC1, nehmen eine gewisse Mittelstellung ein. Von den weiter in iitherisch- waBriger SalzSHure gepriiften Chloriden (vgl. Tabelle 3, S. 347) gehoren die von Titan, Vanadium(IV), Eisen(II1) und Zink eindeutig, von Mn(I1) wahrscheinlich zur ersten, violettea Chromchlorid zur zweiten Gruppe. Einen zahlenmiiBigen Ver- gleich fiir diem Chloride zu geben, ist nicht moglich, weil der Verlauf ihrer Los- lichkeit mit der HC1-Konzentration nur qualitativ oder nicht bei den uns inter- essierenden Eedingungen bekannt ist.

$4 . Wenn man nach den Ursachen der Loslichkeitsbeein- flussung der Chloride durch den Chlorwasserstoff fragt, so wird man zuniichst an die Loslichkeitserniedrigung durch den gleichionigen Zusat z und die loslichkeitserhohende Wirkung der Komplex- bi ldung denken. Da letztere vornehmlich erst bei hoherer Konzen- tration zur Geltung kommt, erkliirt das Zusammenwirken der beiden Faktoren insbesondere das Auftreten von Loslichkeitsminima im Verlauf steigender HC1-Konzentrationl).

Bei den Chloriden der nichtedelgasiihnlichen Kationen besteht uber die Existenz komplexer Chlorosiiuren kein Zweifel: So tritt unter den Beispielen der Abbildung 1 die Verbindung HCuC1,-3H20 als Bodenkorper aufz), wahrend zahlreiche weitere Beispiele aus der

l) Unter Umstiinden kann sich die Komplesbildung auch nur in einer Schwiichung des Uslichkeitsabfalls bemerkbar machen.

2) H. W. ROTE, J. Amer. chem. SOC. 45 (1923), 663.

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Literaturl) bekannt sind ; desgleichen mussen die Farbunterschiede ver- diinnt wiiBriger gegenuber konzentriert salzsauren Losungen mancher Chloride (vgl. z. B. Tab. 3, S. 347 und Tab. 9, S. 381) wohl auf die Existenz von Chlorokomplexen in den salzsauren Losungen zuruckgefuhrt werden, auch wenn die entsprechenden Chlorosiiuren in fester Form nicht existie- ren. Yon den Chloriden der ersten drei Hauptgruppen kennt man aber bisher weder HC1-Anlagerungsprodukte noch Chlorokomplexe inLosung ; im Einklang damit flillt die Loslichkeit hier meist mit steigender HC1-Konzentration ohne Unterbrechung ab (vgl. Abb. 1). Bezuglich der Ausnahme beim KCI vgl. die Ausfuhrungen in Q 6.

Die Wirkungen des gleichionigen Zusatzes und der Komplex- bildung lassen also die wesentlichen Zuge der Loslichkeitskurven der Abb. 1 und iihnlicher Fa11e qualitativ verstehen. Eine zahlenmiil3ige Behandlung scheitert vorlaufig aber an den bekannten Schwierig- keiten bei konzentrierten Losungen starker Elektrolyte. Dazu kommt, da13 aul3er den beiden genannten Faktoren noch weitere von EinfluB auf die Loslichkeit sind.

5 5. Wir miissen namlich ferner,) berucksichtigen, daB der geloste Chlorwasserstoff einen Teil des Wassers durch Solvat a t ion bean- sprucht, so daI3 die zur Auflosung des Chlorids our Verfugung stehende Wassermenge verringert wird (,,Aussalzcc-Effekt). Diesem Effekt mu13 in vnserem Falle eine groI3e Bedeutung zugemessen werden, denn die bei Oo und AtmosphBrendruck gesiittigte wiifirige Salzsilure besitzt die Zu- sammensetzung 1 HC1: 2,5H,O. Diese 2,5 Wassermolekule werden aber wahrscheinlich fast restlos und nicht nur sehr locker vom HCl bzw. seinen Ionen gebunden, denn der Wasserdampfpartialdruck bei Oo gesattigter Selzsliure betragt kaum noch 5% von dem Dampfdruck des reinen Wassers und die thermische Analyse des Systems HCl/H,O hat ge- zeigt3), da13 HC1-Hydrate mit l , 2 und 3 Molekulen H,O im festen Zu- stande existieren, die erst, bei -15, -18 bzw. -25O schmelzen und durch Schmelzpunktsmaxima gekennzeichnet sind. Man darf also mit der Existenz solcher Hydrate auch im geschmolzenen Zustande bei unserer nicht vie1 hoher liegenden Vergleichstemperatur von Oo rechnen, wobei es dahingestellt bleibt, in welchem Umfange es sich um hydrati- sierte H,O+- und C1--1onen bzw. hydrstisierte HC1-Molekule handelt.

Der Anteil an freien Wassermolekulen der hochstkonzentrierten 1) GMELINS Handbuch der anorg. Chem. 8. Aufl. C1, S. 224. 2, tfber weitere Effekte, wie z. B. die stmke elektrische Feldwirkung der

weitgehend in Ionen gespaltenen konzentrierten Salzsiiure, lii& sich noch kaum etwas aussagen.

8) GMELINS Handbuch der anorg. Chem. 8. Aufl. C1, S. 137.

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Salzsaure ist demnach nur noch sehr gering. Diese Tatsache braucht aber nicht unbedingt eine Loslichkeitserniedrigung zur Folge zu haben. Wir konnen namlich nach den obigen Oberlegungen die konzentrierte Salzsiiure als ,,geschmolaenes Chlorwasserstoffhydrat" auffassen, das zwar sicher nicht einheitlich ist und mehrere Hydrate nebeneinander im Gleichgewicht enthalt, das aber ein selbstlndiges, von seinen Komponenten H,O und HC1 verschiedenes Individuum darstellt; somit diirfen wir auch erwarten, da13 ihm ein eigenes charakteristisches Losevermogen zukommt, das sowohl von dem des Wassers als auch von dem des verflussigten Chlorwasserstoffsl) ver- schieden ist und ebensogut groBer wie kleiner sein kann. Hierin sehen wir den wichtigsten Ausgangspunkt zur Erklarung der ausgesprochen individuellen Erscheinungen bei den Losungen von Chloriden in konzentrierter Salzsaure.

Dazu kommt, daB in diesenLosungen eine Konkurrenz der gelosten Metallkationen und der H+- bzw. H,O+- und C1'-Ionen um die Wasser- molekule vorliegt2) und unter Urnstanden kleine Differenzen in der Hydratationsstarke sweier Metallionen groBe Unterschiede in der Los- lichkeit ihrer Chloride in konaentrierter Salzsaure hervorrufen konnen.

SchlieBlich kann auch eine Solvatation durch HC1-Hydrate als Ganzes erfolgen; dafiir spricht die schon VOR ENGEL betonte Fest- stellung, daB alle bekannten Chlorosauren stets wasserhaltig kri- stallisieren,), also als Anlagerung etwa von HC1.2H2O an die be- treffenden Metailchloride aufgefaBt werden konnen4), wahrend man entsprechende komplexe Sauren mit anderen Saureresten durchaus auch wasserfrei kennt 5).

$ 6. Unter den Loslichkeitskurven der Chloride edelgasahnlicher Kationen in Abb. 1 nimmt das Kaliumchlorid mit seinem Loslich- keitsminimum eine Sonderstellung ein, der wir eur Zeit nur das ent- sprechende Verhalten des Ammoniumchlorids (vgl. Tabelle 1, S. 369)

In verflussigtem Chlorwasserstoff sind alle salzartigen Metallchloride praktisch unloslich.

2) Dies ist wohl die Ursache fiir die von LEIXINA und NOWOSSELOWA (vgl. S. 371, Anm. 1) gemechte Beobachtung, da13 sich bei 0' und Atmosphiirendruck in geaiittigter BeCl,-Losung mit dem stark hydratisierten Be2+-Ion nur 35% HC1 gegeniiber 45% in reinem Waaser losen. Ahnlich liegen die Verhaltnisse im System LiCl/HCl/H,O; vgl. YANNAKIS, Bull. SOC. chim. [4] 37 (1925) 260.

3, GMELINS Handbuch der anorg. Chem. 8. Aufl. C1, S. 224. - R. SCHWARZ u. G.MEYER, Z. anorg. allg. Chem. 166 (1927), 190.

') A. WERNER u. P. PFEIFFER, Neuere Anschauungen, Braunschweig 1923, 5. Aufl. S. 104.

6) Z. B.: H,Fe(CN),, H,Fe(CN),, H$'e(SO,)e, H,Fe(SO,),; vgl. GMELINS Handbuch der anorg. Chem. 8. Aufl. Fe, B. Beziiglich der Alkalihydrogenfluoride vgl. Anm. 1 auf S. 390.

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an die Seite stellen konnen. Allerdings steht bei mehreren Chloriden edelgasiihdicher Kationen gerade noch die Untersuchung in hochst- konzentrierter Salzsiiure aus ; es ist also mit der Moglichkeit zu rechnen, dal3 weitere ahnliche Falle existieren.

Diesea Loslichkeitsminimum wiire wiederum am einfachsten zu erkliiren, wenn man in den HC1-reichsten Losungen die Existenz von Komplexen annirnmt; dabei kann es sich um Chlorokomplexe vom Typus [KCIJ- oder um Solvatation von KCl (oder seinen Ionen) durch die nach Q 5 als Losungsmittel aufzufassenden HC1-Hydrate (oder ihre Ionen) handeln, welche beiden Moglichkeiten wohl nicht prinzipiell voneinander verschieden sind. Doch widerspricht diesen Annahmen die bisherige chemisohe Erfahrung insofem, als bei Alkalichloriden sonst noch keinerlei Anzeichen fiir die Existenz derartiger Komplexe vorliegenl). Nur von dem ebenfalla edelgasiihnlichen Ti4+-Ion kennt2) man den Komplex [TiC1,]2-; doch ist das vierwertige Titan als starker Komplexbildner bekannt, und es bleibt auffiillig, daB ein Loslichkeitsminimum gerade bei dem besonders wenig zur Kom- plexbildung neigenden K+-Ion, nicht aber z. B. bei Be2+ oder A13+ auftritt.

Es muB deshalb auch an eine Deutungsmogliohkeit gedacht werden, bei der die Annahme von Komplexen iiberfliissig ist. Es ware denkbar, daB KCI und NH4C1 in geschmolzenem HC1-Hydrat leicht loslich sind, weil etwa aus K+Cl- und H,O+Cl- eine Mischschmelze von der Art entsteht, wie sie z. B. in einer ge- schmolzenen Mischung von Alkalihalogeniden vorliegt, nur mit dem Unterschied, daB die eine Komponente sehr vie1 tiefer schmilzt. Es wiirde so wegen der Ahn- lichkeit der Ionenradien von K+, NH4+ und H,O+ vielleicht auch verstiindiich, warum jene Besonderheit gerade bei KCI und NH4C1 auftritt. Zur Erkliirung des Loslichkeitsminimums wke dann nur noch eine Deutung fiir die Loslichkeits- erniedrigung bei Wasserzusatz zur konzentriert salzsauren Losung erforderlich; dafiir gibt es mehrere Wege, von deren Diskuseion hier abgesehen sei.

Eine Entscheidung zwischen diesen verschiedenen Moglichkeiten ist vorerst nicht zu treffen. Der Zweck der vorstehenden Diskussionen war vornehmlich der, auf die Rolle der HC1-Hydrate bzw. der Pro- dukte ihrer elektrolytischen Dissoziation hinzuweisen, die sie bei der Verwendung konzentrierter Salzsiiure als Losungsmittel fur Chloride spielen konnen. Bei der Vielfaltigkeit der moglichen Wechselwirkungen jedes Bestandteiles dieser Losungen mit jedem anderen werden ferner - worauf oben S. 389 bereits in einem speziellen Falle hingewiesen wurde - kleine Differenzen in den Eigenschaften der gelosten Metall- kationen bald den einen, bald den anderen Effekt uberwiegend zur Geltung bringen konnen, so da13 die ausgepragten Unter schiede im Loslichkeitsverhalten der verschiedenen Chloride somit prinzipiell ver- stiindlich werden; doch ist eine mehr ins einzelne gehende Deutung vorlaufig noch nicht moglich.

9 7. In allen hier besprochenen Fallen nimmt mit steigender HC1-Konzentration die Summe der geliisten Ionen zu; man mu13 also

I) Die - nur formal iihnlichen - Alkalihydrogenfluoride diirfen hier nicht a18 Analoga angefiihrt werden, weil sie nach der Strukturbestimmung (vgl. EWALD- HERMANN, Strukt. Ber. I, 271-286) nicht als Halogenosiiuren, sondern als Alkali- salze Dolvmerer Fluorwasserstoffsiiuren. wie etwa KTHF-1 aufzufassen sind. Fiir dieE&s&nz entsprechender Verbindungen des ChlorwakwrGoffs fehlt jeder Hinweis.

2) Vgl. S. 378, Anm. 1.

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in dieser Richtung mit einer Abnahme des Wasserdampfpartialdruckes der Losungen rechnen. So wird verstiindlich, dafi bei steigender HC1- Xonzentration oft wasseriirmere Hydrate als Bodenkorper auftreten (z. B. bei BeCl,, CoCl,, NiC1,). Im gleichen Sinne mufi ein Ather- zusatz wirken; damit wird erkliirlich, dafi wir aus atherisch-wiifiriger Salzsiiure wahrscheinlich wasserfreies NiCl, und intermediar wasser- freies CuCI, als Bodenkorper erhielten (vgl. S. 348).

f 8. Der Unterschied der Loslichkeiten von NaC1 und KC1 in konzentrierter Salzsaure erinnert an die verschiedene Temperaturabhtingigkeit der Lijclichkeit dieser beiden Salze in Wasser (L1,,,,* : Loo = 1,07 fiir NaCI, 1,64 fiir KCl). Auch bei einigen anderen Chloriden der Hauptgruppen sind kleine Temperaturkoeffi- zienten und grab HC1-Abhingigkeit der Liislichkeit und umgekehrt miteinander gekoppelt, es gibt aber auch zahlreiche Ausnahmen.

Q 9. Zusammenfassung. Die Chloride chemisch ahnlicher Ele- mente werden hinsichtlich ihrer Loslichkeit - die sich in Wasser nur wenig unterscheidet - durch HC1-Zusatz qualitativ und quan- titativ aufierordentlich verschieden beeinflufit; in iitherhaltiger wiifiriger Salzsiiure werden die Unterschiede noch krasser. Wkhrend Wasser als Losungsmittel nivellierend wirkt, treten in konzentrierter Salasiiure viele individuelle Unterschiede eutage. Bei der Diskussion der moglichen Ursachen fiir diese Erscheinungen wird - abgesehen von anderen, geliufigen Faktoren - besonders auf folgendes hin- gewiesen: 1. Der Gehalt konzentrierter Salzsiiure an f r e i e m Wasser ist infolge der Hydratation sehr gering und fur ihr Losevermogen von untergeordneter Bedeutung. 2. Kondentrierte SalesSiure stellt als ,,geschmolzenes HCI-Hydrat" ein selbstlindiges Individuum mit ihm eigenem Losevermogen dar. 3. Bei dem Wettstreit der zahlreichen, auf die Loslichkeit erhohend oder erniedrigend wirkenden Wechsel- wirkungsmoglichkeiten zwischen den verschiedenen Bestandteilen einer Metallchloridlosung in konzentrierter Salzsiiure konnen kl eine Unterschiede der fur diese Wechselwirkungen verantwortlichen Eigen- schaften bei verschiedenen gelosten Metallchloriden gro Be U-nter- schiede ihrer Loslichkeit in Salzsiiure hervorrufen. Damit ist die Vielfiiltigkeit des Erscheinungsbildes, das wir beim Vergleich der Lijs- lichkeiten verschiedener Chloride in Salzsaure erhalten hatten, grund- siitzlich verstiindlich geworden.

Pm4bwrg 4. Br., Anorganische Abteilung des chemisehen Uni- versit atslaboratoriums.

Bei der Redaktion eingegangen am 17. Juni 1941.