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Uber den ,,Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919". Von Prof. Dr. Josef Berze, Direktor der Wiener Landes-Anstalten ,,Am Steinhof" und ,,Baumgartnerh~he". (Eingegangen am 24. Februar 1922.) Wean auch ein jeder Entwurf zu einem deutsehen Strafgesetzbuche yon vornherein des grSl~ten Interesses auch des 5sterreichischen Psych- iaters sicher sein konnte, so trifft dies doch ffir den neuen Entwurf noeh um so mehr zu, als ihn der 0sterreicher sozusagen auch als seine eigene Angelegenheit betraehten daft. Der ,,Verein ffir Psychiatrie und Neurologie in Wien" hat sich unter Zugrundelegung eines eingehenden Referates des Herra Prof. Dr. Raimann fiber den ,,Entwurf vom Stand- punkt des Psychiaters" in mehreren Sitzungen (November und Dezem- ber 1921) eingehend mit dem Gegenstande befai~t und nach Entgegen- nahme der Vorschliige eines aus den Diskussionsrednern und dem ge- nannten Referenten bestehenden Ausschusses seine Stellungnahme zu dem Entwurfe festgelegt. Die folgenden Bemerkungen zum Entwurfe sind yon mir nur zum Teile in den Sitzungen des genannten Vereins oder des erwi~hnten Aus- schusses vorgebracht worden. -- I. Von grSBtem Interesse ffir den Psychiater ist der Komplex von Be- stimmungen, die sich auf die ,,fehlende und verminderte Zurechnungs- fi~higkeit" und ihre strafrechtliche Bedeutung beziehen. Zu diesem Komplexe geh5rt, was von den Psychiatera, die sich bisher mit dem Gegenstande befaBt haben, zumeist fibersehen worden zu sein scheint, schon derw 10 Abs. 2: ,,Schuldhaft handelt, wer den Tatbestand einer strafbaren Handlung vors~tzlich oder fahrl~sig ver- wirklicht and zur Zeit der Tat zurechnungsfi~hig ist." Er leitet den 4. Absehaitt ein und tri~gt zugleich die Disposition dieses Abschrdttes in sich; was in ihm zusammengefaSt ist, wird in den folgenden Para- graphen auseinandergelegt und einzeln erledigt: Wer vorsittzlich han- delt (w 11), wer fahrli~ssig handelt (w 14) und so aueh -- negativ ge- raint - - wer nicht zureehnungsfi~hig ist (w 18).

Über den „entwurf zu einem deutschen strafgesetzbuch von 1919“

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Uber den ,,Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919".

Von Prof. Dr. Josef Berze,

Direktor der Wiener Landes-Anstalten ,,Am Steinhof" und ,,Baumgartnerh~he".

(Eingegangen am 24. Februar 1922.)

Wean auch ein jeder Entwurf zu einem deutsehen Strafgesetzbuche yon vornherein des grSl~ten Interesses auch des 5sterreichischen Psych- iaters sicher sein konnte, so trifft dies doch ffir den neuen Entwurf noeh um so mehr zu, als ihn der 0sterreicher sozusagen auch als seine eigene Angelegenheit betraehten daft. Der ,,Verein ffir Psychiatrie und Neurologie in Wien" hat sich unter Zugrundelegung eines eingehenden Referates des Herra Prof. Dr. Raimann fiber den ,,Entwurf vom Stand- punkt des Psychiaters" in mehreren Sitzungen (November und Dezem- ber 1921) eingehend mit dem Gegenstande befai~t und nach Entgegen- nahme der Vorschliige eines aus den Diskussionsrednern und dem ge- nannten Referenten bestehenden Ausschusses seine Stellungnahme zu dem Entwurfe festgelegt.

Die folgenden Bemerkungen zum Entwurfe sind yon mir nur zum Teile in den Sitzungen des genannten Vereins oder des erwi~hnten Aus- schusses vorgebracht worden. - -

I. Von grSBtem Interesse f fir den Psychiater ist der Komplex von Be-

stimmungen, die sich auf die ,,fehlende und verminderte Zurechnungs- fi~higkeit" und ihre strafrechtliche Bedeutung beziehen.

Zu diesem Komplexe geh5rt, was von den Psychiatera, die sich bisher mit dem Gegenstande befaBt haben, zumeist fibersehen worden zu sein scheint, schon de rw 10 Abs. 2: ,,Schuldhaft handelt, wer den Tatbestand einer strafbaren Handlung vors~tzlich oder fahrl~sig ver- wirklicht and zur Zeit der Tat zurechnungsfi~hig ist." Er leitet den 4. Absehaitt ein und tri~gt zugleich die Disposition dieses Abschrdttes in sich; was in ihm zusammengefaSt ist, wird in den folgenden Para- graphen auseinandergelegt und einzeln erledigt: Wer vorsittzlich han- delt (w 11), wer fahrli~ssig handelt (w 14) und so aueh - - negativ ge- raint - - wer nicht zureehnungsfi~hig ist (w 18).

462 J. Berze :

Es ist fraglich, ob ein zusammenfassender Paragraph wie der w 10 fiberhaupt nStig war. Wie er aber dasteht, mug der Psychiater an ihm eine Ungenauigkeit konstatieren. Er entsprache nur dann, wenn die Unzurechnungsfahigkeit, wo sie gegeben ist, immer eine generelle ware. So liegt die Sache aber eben nicht; es gibt ja aueh eine partielle Un- zureehnungsfahigkeit, so namentlieh ffir gewisse Sexualdelikte, begangen unter dem Eirfflusse iibermachtiger abnormer Triebe, denen gegenfiber auch eia solcher Grad des Defektes der Fahigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, bzw. dieser Einsicht gemaf~ zu handeln, schon aus- reichen kann, der~ Tater als unzureehnungsfahig erscheinen zu lassen, der noch keineswegs Unzurechnungsfahigkeit ffir irgendeine anders- artige strafbare Handlung bedingte. In diesem Sinne weist z. B. der Strafrechtslehrer Janka 1) darauf hin, da$ es sieh immer um die Frage: zureehnungsfahig oder unzurechnungsfahig ,,der konkret zu beurteilen- den Tat gegeniiber" handle, da ,,die Frage nach den hier in Rede stehen- den Fahigkeiten nicht allen Delikten gegenfiber gleiehmal~ig beantwortet werden kann, so dag ein und dasselbe Individuum dem einen Delikte gegentiber als zurechnungsfahig, dem andern gegeniiber als unzurech- nungsfahig erscheinen kann". Und der sechste der Antrage zur Formu- lierung des Unzurechnungsfahigkeitsparagraphen, die v. Wagner- Jauregg am Osterreichischen Irreni~rztetage im Oktober 1907 vertreten hat, lautet: ,,Das Gesetz soll ausdrficklich bestimmen, dal~ die Beurtei- lung der Zurechnungsfahigkeit nicht blog im allgemeinen, sondern auch in Beziehung auf die konkrete Strafhandlung zu erfolgen habe."

In w 10 sollte es also m. E. etwa heil~en: ,,Schuldhaft handelt, wet . . . . . . ffir die Tat (oder: in bezug auf die Tat, oder: der Tat gegen- fiber) zur Zeit ihrer Begehung zurechnungsfahig ist." Das Interesse des Psychiaters an dieser praziseren Fassung ist, wie bereits angedeutet, besonders in der zweifellos anzunehmenden Beziehung des w 18 zum w 102) begrfindet. Wird der w 18 eingeleitet mit ,,nicht zureehnungs- fahig ist", so kSnnte dieser kurzen Formel im Falle der Annahme dieser Fassung des w 10 ohne weiteres der Sinn ,,nicht zurechnungsfahig fiir die Tat zur Zeit ihrer Begehung" unterlegt werden und ware es zur Erzielung dieser gr6f~eren Prazision keineswegs etwa erst n6tig, diesen immerhin schleppenden Ausdruck auch in den w 18 zu fibernehmen.

1) Vgl. die Ausfiihrungen AschaHenburgs fiber partielle Unzurechnungsf~hig- keit in ttc, ches ,,Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie" und u. a. aueh Berze, Zur Frage der partieUen Unzurechnungsfi~higkeit (Monatsschr. f. Kriminalpsychol. und Strafrechtsform, 1904).

2) Der dem w 10 des E. yon 1919 analoge w 16, Abs. 1 des E. yon 1913 lautet: ,,Strafbar ist nur, wer vorsi~tzlich oder fahrli~ssig handelt": der dem w 18 analoge w 20 wird einge]eitet mit ,,nicht schuldhaft handelt". Wiihrend also in beiden Paragraphen des E. von 1913 der Ausdruck ,,zurechnungsfiihig" noch vermieden wird. taucht er in beiden Paragraphen des E. yon 1919 auf.

('!bet den .Entwurf zu ebmm deutschen Strafg'esetzbuch yon 1919 ~. 463

Was den Ausdruck zurechnungsfi~hig selbst betrifft, kann nieht geleugnet werden, dab er im Grunde eine spraehliche MiBgeburt darstellt; ,,zureehnungs- fi~hig" bedeutet, genau genommen: f~hig, zuzureehnen, -- und nicht: fihig, dab einem etwas zugereehnet werde. Andererseits ist der Ausdruck so gelaufig, so gebr~uchlich, so verst~tndlieh und bezeichnend, dab es aus dem Sprachschatz wohl kaum mehr verschwinden dtirfte, selbst wenn es geliinge, ihn aus simtlichen deutseh geschriebenen Sprachgesetzbiichern auszumerzen. Daher kann ich der Ansicht, dab der Ausdruck zurechnungsfihig jedenfalls aus dem E. verschwinden mtisse, (lie Raimann in seinem Referate vertreten hat, trotz yeller Wtirdigung der sprach- itsthetischen und auch sprachlogischen Bedenken gegen ihn, nicht beipflichten. Wenn er aber doch ersetzt werden soil, so darf dies m. E. nur durch einen Aus- druek geschehen, in dem tats~chlich alles Wesentliche des Sinnes liegt, der dureh zurechnungsfi~hig ausgedriickt wird. Ftir die von Raimann vorgeschlagene Wen- dung ,,nicht gestraft wird", trifft dies nieht zu. DaB der Unzurechnungsf~thige nieht ,,gestraft wird", ist zweifellos die praktisch am meisten in die Augen ent- springende Konsequenz; die Unzurechnungsf~higkeit ist ein Stra/ausschlieBungs- grund. Aber mit ,,nicht zurechnungsfihig ist" wird mehr gesagt, ni~mlich dab der Tater nieht gestraft werden kann und zwar, weil -- wie es in anderen Strafgesetz- btichern bzw. Entwiirfen zu solchen heiBt -- ihm die Tat ,,nicht zur Schuld zugerechnet" werden kann, oder: weil im Falle des Vorliegens der Unzurechnungs- fi~higkeit ,,ein Verbrechen oder Vergehen nicht vorhanden ist"; die Unzurech- nungsfghigkeit ist vor allem ein SchuldausschlieBungsgrund. Der Ausdruck .,nicht zurechnungsfiihig" entspricht also -- im Gegensatze zu ,,nicht gestraft wird" -- auBer dem rein juristischen auch einem hSheren ethischen Gesichtspunkte. ]hn durch einen anderen Ausdruck zu ersetzen, der diesem Gesichtspunkte nicht Reehnung trigt, bloB wegen der erw~hnten spraehgsthetischen Bedenken, geht m. E. nieht an; Ethik geht wohl tiber Asthetik, auch wenn es sich um ein Strafgesetz- bueh handelt. -- Eher wiire, wenn man schon den Ausdruek ,,nicbt zurechnungs- fi~hig" unbedingt vermieden wissen will, daran zu denken, ihn dureh die im Ent- wurfe von 1913 (w 20) gebrauchte Wendung ,,nicht schuldhaft handelt" zu um- gehen, oder auch, ihn durch den im 5sterreiehisehen Entwurf verwendeten Aus- druck ,,nicht strafbar" zu ersetzen. Aus w l0 ergibt sich ja auch unmittelbar, (lab nicht ,,schuldhaft handelt", wer nicht ,,zurechnungsfi~hig" ist und dab nicht ,,strafbar" ist wer nicht ,,sehuldhaft handelt". Diese drei Ausdrticke kSnnen also im w 18 in einem gewissen Sinne ftireinander eintreten. Den vollen Begriffs- inhalt, der gemeint ist, driickt aber einzig und allein die Ftigung ,,nicht zureeh- nungsfihig ist" aus.

Was (lie Formul ie rung der biologischen Kri ter ien betrifft, schliel3e ich mich denen an, die fiir ,,wer zur Zeit der Ta t wegen GeistesstSrung, Geistesschwiche oder Bewui3tseinsst6rung unfi~hig i s t" e intreten. Der sehleppende Ausdruck des Entwurfes , ,krankhafte StSrung der Geistes- ti~tigkeit" k0,nn zweifellos durch , ,GeistesstSrung" ersetzt werden.

Statt,,GeistesstSrung, Geistesschwi~che oder BewuBtseinsstSrung" das eineWort ,,GeistesstSrung" zu setzen, wie Raimann will, halte ich nicht fiir gut. Das gewiB anzuerkennende Prinzip mSglichst kurzer Fassung der einzelnen Paragraphen daft nicht tiberspannt werden. Es wird ja nieht zu bestreiten sein, dab die am besten als ,,BewuBtseinsst6rung" charakterisierten Zustiinde auch unter den ent- sprechend weit gedeuteten Begriff ,,GeistesstSrung" subsumiert werden kSnnen und dab dies auch fiir die mit ,,Geistesschwi~ehe" gemeinten Zust~nde im allge- meinen zutrifft. Immerhin ist dazu aber eben sehon eine bestimmte Deutung nStig; darauf sell es aber m. E. nieht ankommen.

464 J. Berze:

Der Fassung der psychologischen Kriterien im w 18 des Entwurfes ist die von Raimann in seinem Referate vorgeschlagene Fassung ,,un- fi~hig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemii~ zu handeln" m. E. entschieden vorzuziehen. DaB start ,,das Ungesetz- liche" stehen solle ,,das Unrecht", meinen auch Wagner-Jauregg, G6ring 1) u.a. Ascha/lenburg2 ) dagegen t r i t t :[fir ,,das Ungesetzliche" ein: ,,Es ist :[fir den Durchschnittsmenschen sehr viel leichter zu be- urteilen, ob eine Handlung von dem Allgemeinbefinden verworfen wird, als zu er:[assen, ob in der Handlung die Bedingungen einer yore Rechte mit Strafe bedrohten Tat enthalten sind. Mir scheint der geistig Ab- norme durch die deutsche Fassung daher besser gestellt zu sein . . . " Darauf kommt es doch wohl nicht in erster Linie an, sondern darauf, was recht ist; darfiber urteilen aber m. E. die ,,Erl~uternden Bemer- kungen" zum 5sterreichischen Entwurfe richtig, wenn sie sagen, ,,dab es nicht auf die Kenntnjs oder KenntnismSglichkeit der gesetzlichen Bestimmungen ankpmmt", dab vielmehr ,,nur ein solches MaB der Einsicht, das den T~ter bef~higt, den gemeinsch~dlichen, antisozialen Charakter der Tat zu erkennen", in Frage kommt. Der Wunsch, den geistig Abnormen im Strafgesetzbuche mSglichst gut ,,gestellt" zu sehen, steht dem Psychiater zwei:[ellos sehr gut an; andererseits steht die Psychiatrie aber ohnehin, wenn auch unberechtigtermaBen, in dem Rule, im Streben, geistig Abnorme der Strafjustiz zu entziehen, zu weir zu gehen, und sollte sie daher nichts dazu tun, diesen Ruf zu :[estigen, - - zu einer Zeit, da sich durch Anerkennung der verminderten Zurechnungs- :[~higkeit im Stra:[gesetz die Aussicht auf eine entsprechendere straf- rechtliche Behandlung jener geistig Abnormen erSffnet, um derentwillen es bis dahin gewissermaBen gerechtfertigt war, den Kreis der Unzu- rechnungsf~higen nicht zu enge zu ziehen. - - DaB Raimann start der Worte des deutschen Entwurfes: ,,seinen Willen dieser Einsicht gem~B zu bestimmen", in ~bereinstimmung mit dem 5sterreichischen Ent- wurfe vom Jahre 1912 die Ascha//enburgsche l%rmel: ,,dieser Einsicht gem~B zu handeln" vorschl~gt, finder meine voile Zustimmung. Die l~edewendung ,,seinen Willen zu bestimmen" ist nicht nur, wie Ascha//en- burg mit Recht sagt, ungeschickt, sondern auch widersinnig; es geht nicht an, hinter dem Willen, der die Handlung bestimmt, noch einen zweiten, ihm fibergeordneten Willen anzunehmen, der wieder jenen be- stimmt, mfiBte doch dieses Spiel, einmal begonnen, konsequenterweise in infinitum fortgesetzt werden. Treffend :[aBt Wagner-Jauregg seine Kritik fiber die Formel des Entwur:[es in die Frage: ,,Bestimmt nun der T~ter den Willen oder der Wille den Ti~ter ?"

1) G6rlng, t~ber den neuen Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch. Diese Zeitschr., 70.

~) Ascha]]enburg, Bemerkungen zu dem ,,Entwurf zu einem deutschen Straf- g~etzbuch yon 1919". Diese Zeitschr. 72.

Uber den ~Entwuif zu einem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919". 465

Der Abs. 2 des w 18 sag t in der vor l iegenden Formul i e rung wohl alles, was er zu sagen h a t ; - - der Ausdruck , ,ve rminder t zurechnungs- fi ihig" aber i s t ve rmieden worden, wi~hrend n ich t nur in einzelnen Rubr i s (w 18, w 52 usw.), sondern auch im Texte einzelner P a r a g r a p h e n (w 52, w 88, w 111) ausdr i ickl ich von , ,ve rminder t Zurechnungsfi~higen" bzw. yon , ,ve rminder te r Zurechnungsf~higke i t " die Rede ist. Wi~re aber die Verwendung des Wor te s n i ch t gerade d o r t ganz besonders a m Platze , we der Begriff sozusagen in das S t ra fgese tzbuch eingef i ihr t wird ?

Raimann m6ehte an die Stelle des Passus ,,so ist die Strafe zu mfldern" (w 111) setzen: ,,so kann das Gerieht die Strafe naeh freiem Ermessen mildern". Klar ist, dab damit eine bedeutsame Differenz mit der Absicht des Entwurfes gegeben ware. Dieser steht, wie aus der ,,Denksehrift" zu ersehen ist, auf dem Stand- punkte, dab ,,die heute fast allgemein erhobene Forderung dahin geht, die ver- minderte ZurechnungsfKhigkeit als zwingenden Rec~tsgrund (von mir gesperrt! Verf.) zu berticksiehtigen", und ,,gibt diesem Verlangen Folge". Da das Straf- recht ,,auf dem Grundsatze der Schuldhaftung aufgebaut" ist und die Sehuld des ,,vermindert Zurechnungsfi~higen" als entsprechend geringer anzusehen ist, muff der vermindert Zureehnungsfithige milder bestraft werden.

Nach w 18 Ab. 2 ist aber nicht nur die Strafmflderung obligatoriseh, sondern aueh die Art der Strafmilderung genau vorgeschrieben; dies geschieht (lurch den Hinweis auf den w 111 in Parenthese. Raimann m6chte dagegen alles dem ,,freien Ermessen" des l~ichters iiberlassen. We bleibt da die Differenzierung der ,,ver- minderten Zurechnungsf~higkeit" gegen ,,die mildernden Umst/~nde" in dem Sinne des Gesetzes, jene Differenzierung, die der Entwurf ja zweifellos eingehalten wissen will, da er die Strafmilderung bei verminder~er Zureehnungsf~higkeit nach w 111, die Strafermi~Bigung bei mildernden Umsti~nden dagegen nach w 114, 115 in grunds~tzlieh differenter Art vorsehreibt? Im Kampfe, den die Psychiater um die Anerkennung der verminderten Zurechnungsf~higkeit zu ffihren hatten, ist ihnen u. a. immer wieder, unrichtigerweise, entgegengehalten worden, dab ihre besondere Berticksichtigung entbehrlich sei, weft die Bestimmungen fiber ,,mildernde Umsti~nde" dazu ausreiehten, auch den Zustanden, die mit verminderter Zurech- nungsfahigkeit gemeint seien, gerecht zu werden. Und jetzt, da der Begriff endlieh in das Strafgeset bueh Eingang finden sell, sollen es gerade wir Psyehiater sein, die dazu beitragen, dab er verwasehen und eines Teiles seines Wertes beraubt werde ?

Als Hauptargument fiir seine Auffassung ftihrt Raimann an, dab es unter den ,,vermindert Zurechnungsfi~higen" nicht wenige gebe, denen gegentiber nacb psyehiatriseher Ansicht Strafmilderung nieht am Platze sei. Dies sei ohne weiteres zugegeben; aber folgt daraus, was Raimann daraus folgert ? Man mug m. E. unter- seheiden zwischen Strafmilderung im Sinne einer Milderung des Strafvollzuges und Strafmilderung in dem Sinne, wie er imw 18, Abs. 2 gemeint ist, d. h. vor atlem im Sinne einer geringeren Strafbemessung. Was ersteren Punkt betrifft, kehrt der w 52 alles psychiatrischerseits Wfinschenswerte vor: wenn der Geisteszustand es e r f o r d e r t - und nut wenn er es erfordert, ~vie in der Denkschrift noch ganz besonders hervorgehoben wird -- sind die ,,vermindert Zurechnungsf~higen" in besonderen Anstalten oder Abteilungen unterzubringen. Erfordert der Geistes- zustand des als ,,vermindert zurechnungsf~higen" Verurteilten keine besondere Beriieksichtigung, so kann die Strafe gegen ihn genau so vollstreckt werden wie gegen einen yell Zureehnungsfi~higen. Was abet den zweiten Punkt betrifft, mug gesagt werden, dab der Psychiater wohl gewissen Fallen gegeniiber nicht nur fiir

Z, f. d. g. Neur. u, Psych. LXXVI. 31

466 J. Berze:

eine ungektirzte, sondern geradezu ftir eine m6gliehst verlangerte Dauer der sozialen Ausschaltung einzutreten hat, dab er aber andererseits durchaus nicht dazu be- rufen sein kann, die Erreichung dieses Effektes auf dem Wege anzustreben, dal~ er dem Gesetzgeber die Umwandlung der obligatorischen Strafmilderung (w 111) in eine fakultative naheleg% wo dochim Entwurfe noch eine zweite Form der sozialen Ausschaltung, eine Form, die tier psychiatrischen Auffassung weir besser ent- spricht als die Ausschaltung durch Freiheitsstrafe, vorgesehen ist, ngmlich, die soziale Ausschaltung durch ,,Verwahrung" (12. Abschnitt).

Wenn sich Wagner.Jauregg der Ansicht Raimanns deswegen anschlieBt, weil er annimmt, dab die ,,Verwahrung" die Strafhaft zu ersetzen kaum imstande seiu werde und vor alIem nicht die gleiche Sicherheit bieten werde wie letztere, mug freilich zugegeben werden, da$ das MaB der Wirksamkeit dieser MaSregel zum groBen Tefte vonder Art ,,des VoUzuges yon MaBregeln der Besserung und Siche- rung" abh/~ngen wird, die nach w 105 des Entwurfes durch das ,,Strafvollzugs- gesetz" zu bestimmen ist. DaB die ,,Verwahrung in einer 6ffentlichen Heft- oder Pflegeanstalt" im Sinne des w 88 die erforderliche Sicherheit im aUgemeinen nicht bieten wiirde, ist allerdings vorauszusehen. Abet gegen diese Zumutung an die Heft- und Pflegeanstalten mul~ ja iiberhaupt, wie yon allen Psychiatern, die sich his- her mit dem Entwurfe befaBt haben, hervorgehoben worden ist, auf das energischste protestiert werden, -- ganz abgesehen davon, dab es nachw 88 m6ghch w/~re, auch geistig gesunde Personen in eine Irrenanstalt einzuweisen, ,,falls" nur ,,die 6ffentliche Sicherheit diese Mallregel erfordert". Eine entsprechend eingerichtete staatliche Verwahrungsanstalt dagegen, eine ,,staatliche Anstalt ftir verbreche- risehe Irre" etwa, wie sie der 8sterreichische Vorentwurf (1909) in w 36 vorsieht, brauchte an Sicherheit und manchen anderen einer Strafanstalt wohl kaum naeh- zustehen, wie ich auf Grund der Erfahrungen mit dem ,,Verwahrungshause ffir gewaltt/~tige Kranke" der Anstalten ,,Am Steinhof" mit gutem Gewissen be- haupten kann.

w 52 (Strafvollzug gegen vermindert Zurechnungsf~hige) laut~t: ,,Bei der Vollstreekung yon Freiheitsstrafen gegen vermindert Zureeh- nungsfithige ist deren Geisteszus~,and zu beriicksichtigen. Wenn dieser es erfordert, sind die Gefangenen in besonderen Anstalten oder Ab- teilungen unterzubringen; Zuchthausgefangene sind yon anderen Ge- fangenen, soweit m6glieh, getrennt zu halten." Diese.Fassung ist zu begrtiBen. Sie wird einerseits den Fallen gereeht, in denen der Geistes- zustand eine gewisse Beriicksichtigung erfordert, zwingt diese anderer- seits dem Richter fiir die Fi~lle nicht auf, in denen sie nach psychiatri- schem Urteile nieht am Platze wi~re.

Naeh der , ,Denkschrift" bezieht sich die Vorschrift ,,zun~chst auf die F~lle, wo jemand n a c h w 18 Abs. 2 und w 19 Abs. 2 milder bestraft worden ist, well er zur Zeit der Tat vermindert zurechnungsf~hig war", trifft sie aber auch zu, ,,wenn die verminderte Zurechnungsf~higkeit erst nach der Tat, w~hrend des Verfahrens oder w~hrend der Strafvoll- streckung eintri t t" , gilt sie umgekehrt nicht, ,,wenn der T/~ter als ver- mindert zurechnungsf~hig verurteilt worden ist, zur Zeit des Strafvoll- zuges aber seine volle Zurechnungsfithigkeit wiedererlangt ha t" . Der Verfasser des E. will in diese Vorschrift also viel mehr hineingelegt wissen, als man ihr zun~chst ansieht. Die Erffillung aller dieser Ab-

Uber den ,Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919". 467

siehten, namentlieh die rechtzeitige Entdeckung der w~hrend der Strafvollstreckung eingetreteuen ,,verminderten Zurechnungsf~higkeit", hat eine fortgesetzte psychiatrisch fachm~nnische Beobachtung zur Voraussetzung, - - ein gewichtiger Grund mehr fiir die Berticksichtigung der l%rderung, dab nicht nur dem Anstaltspsychiater in allen Anstalten, in denen,,vermindert Zurechnungsfahige' 'a]s Gefangene oder als, ,Verwahrte" untergebracht werden sollen, ein weitgehender EinfluB abf den Vollzug der Strafe bzw. auf den Vollzug yon Ma~regeln der Besserung und Sicherung einger~umt werde, sondern dal~ auch daffir gesorgt sei, dab das Eintreten der verminderten Zurechnungsf~higkeit ,,w~hrend des Verfahrens oder w~hrend der Strafvollstreckung" rechtzeitig erkannt werde.

G6rlng (loc. cir.) wendct sich dagegen, dab im Falle des Vorliegens dcr ver- minderten Zurechnungsf~higkeit nach dem Entwurfe ,,genau so bestraft wird wio bei einem roll Zurechnungsf~higen, dessen StraFe aus irgcndeinem Grunde zu mildern ist", und erkl~rt: ,,die vermindert Zurechnungsf~higen k6nnen nicht unter allen Umst~nden, wenn das Gesetz es vorschreibt, mit Zuchthaus bestraft werden, wie ein voll Zurechnungsf~higer, der zu eincm Verbrechen anstiftet oder ~hnliches. Dem Richter muB beziiglich der Bestrafung der vermindert Zurechnungs- f~higen in weitestem Ma0e freic Hand gelassen werden." G6ring hat im Prinzip zweifellos recht; der Entwurf entspricht keineswegs dem psychiatrischen Ideal. Aber kann er es denn, solange das Strafrecht ,,auf dem Grundsatze dcr Schuld- haftung aufgcbaut" ist und der ,,vermindcrtcn Zurechnungsf~higkeit" keine andere Bedeutung beigemessen werdcn kann als die eines die Schuld in gleichem Maflo vermindcrnden Momentes ? So lange dies dcr Fall ist, mul3 wohl dem freicn Er- messen des Richters cine Grenze gesetzt sein, die Grenze eben, die durch die Gr6fle der (verminderten) Schuld gegeben ist. Die Riicksicht auf den Geisteszustand wird auf die Art der Stra]vollstreckung ,con gewichtigem Einflul3 sein; dafiir sorgt der w 52 und zwar m. E., ein entsprcchendcs Strafvollzugsgesctz (vgl. w 62) voraus- gesetzt, in durchaus zu billigender Weise. Und was namentlich die von G6ring hervorgehobenen Zuchthausstrafe bctrifft, kann sie, bei richtiger Anwendung des w 52, ihres ganzen Schrcckens bar gemacht werden und braucht yon ihr schlieBlich nicht mehr iibrigzublciben, als daft ,,die Zuchthausgefangencn von andcren Ge- fangcnen, soweit m6glich, getrcnnt zu halten sind", womit sich wohl auch jcder Psychiater einverstanden erkl~ren kann.

Die Mal3regel der ,,Verwahrung" der in w 88 genannten Personen begriil3t der Psychiater, ist sic doeh geeignet, einem namentlieh von seiner Seite immer wieder hervorgehobenen Ubelstand abzuhelfen, der ,,Gefahr fiir die 5ffentliche Rechtssicherheit", die aus der Freisprechung gemeingefahrlicher Kranker im Falle der Unzurechnungsf~higkeit resul- tierte (vgl. Ascha][enburg). Leider ist die Bestimmung aber in wiehtigen Teilen v611ig mil3raten. Gegen die ,,Verwahrung" yon Personen, die ,,wegen fehlender Zurechnungsfahigkeit freigesprochen oder aul3er Ver- folgung gesetzt oder n a c h w 18, Abs. 2 als vermindert zurechnungsf~hig verurteil t" werden, in einer 6ffentlichen Hell- oder P]legeanstalt muB, wie bereits oben erw~thnt, an sich sehon auf~ entsehiedenste protestiert werden. Dazu kommt aber noch, da~ nach dem Wortlaute des w 88

31"

468 J. Berze:

das Gericht die ,,Verwahrung" einer der bezeichneten Personen in einer 5ffentlichen Heft- oder Pflegeanstalt, d .h . in einer Irrenanstalt , aueh dann anzuordnen berechtigt wiire, wenn sie zur Zeit, da diese Mal]regel einsetzen soll, gar nieht mehr geisteskrank ist, bzw. niemals in einem geistigen Zustande war, der an sich die Unterbringung in einer Irren- anstal t begrtinden kSnnte, - - sofern nur die eine Bedingung erfiillt ist, (lab ,,die 5ffentliche Sicherheit diese Mal~regel erfordert". Die ,,Sffent- liche Heil- oder Pflegeanstalt" s~nke damit zu einer Detentionsanstalt fiir kriminell gewordene, gemeingefi~hrliche Geisteskranke und psycho- pathisch Minderwertige herab.

Aus der ,,Denkschrift" winkt ein leiser Hoffnungsschimmer, dab es doeh anders gemeint sei. Dort heiBt es: ,,Der Ausdruck ,Heil- oder Pflegeanstalt ' ist gew~hlt, um darauf hinzuweisen, da$ diese Art der Verwahrung nicht nur der Sieherung der Allgemeinheit, sondem zu- gleich den Interessen des Verwahrten, insbesondere in den Grenzen der M6glichkeit, seiner Heilung dienen soll." Hoffentlich ist also nur der Ausdruck gew~hlt worden und ist es nieht endgtiltig auf die bestehenden 6ffentlichen Anstalten abgesehen! Bekanntlich sind auch schon im ,,Vorentwurf zu einem 6sterreichischen Strafgesetzbueh" yore Jahre 1909 ,,Sicherungsmittel", analog den ,,MaSregel~ der Besserung und Sicherung" des vorliegenden E., enthalten. Der w 36 dieses Vorentwurfes sieht nun eine besondere ,,staatliche Anstal t" fiir verbreeherische Irre vor, an die Geisteskranke oder Trunkstiehtige, die wegen Zurechnungs- unf~higkeit nicht verfolgt oder nicht verurteilt werden k6nncn, abzu- geben w~ren. Fiir solche Personen aber, die den vermindert Zurech- nungsfahigen im Sinne des deutschen E. gleichkommen, ist im w 37 nach dem Vollzuge der Strafe vorgesehen die ,,Verwahrung in einer besonderen staatlichen Anstalt", die nach den ,,Erl~uternden Bemer- kungen" eine staatliehe Sicherungsanstalt 1) sein soll, oder, wenn eine solche noch nicht zu Gebote steht, in einer ,,besonderen Abteilung' der ,,staatlichcn Anstalt fiir verbrecherische Irre" . M.E. ist dies der einzig richtige Standpunkt und h~tte sich der deutsche E. ihm nach M6glichkeit zu niihern.

Ascha//enburg hat an w 88--90 zu beanstanden, dab eine ,,Bestimmung fiber die Rolle des Arztes, die doch schlieBlich wohl im Vordergrunde stehen miil]te", fehtt, und weist daraufhin, dab der 6sterr. E. vom Jahre 1912 im w 519/III vor- gesehen hat: ,,Das Gutachten yon Irren/~rzten ist einzuholen, wenn die Verwahrung auf Grund des w 36 stattfindet." Es ist wohl kaum anzunehmen, dab das ,,Straf- vollzugsgesetz", dasnach w 105 desE. ,,dasN/~hereiiber denVollzug yon MaBregeln der Besserung und Sicherung" zu bestimmen haben wird, diese geradezu selbst- verst/~ndliche Forderung unberiicksichtigt lassen wird. --

1) Diese Anstalt entspr/iche beil/~ufig der ,,Zwischenanstalt", wie sie fiir ver- mindert Zurechnungsf/ihigc von vielen Psychiatern schon scit langem, yon mir z. B. vor mehr als 20 Jahren, gefordert wordcn ist und in neuester Zeit z. B. von G6ring (loc. cir.) wieder gefordert wird.

()bet den ,Entwurf zu einem deuischen Strafgesetzbueh yon 1919". 469

Auger den besprochenen Paragraphen enthMt der 12. Abschnitt noeh eine ganze Reihe anderer, die den Psychiater mit interessieren. Nach w 91 kann das Gericht dem, ,,der zu Ausschreitungen im Trunke neigt" und ,,wegen einer Straftat, die er in selbstverschuldeter Trunkenheit begangen hat, oder wegen sinnloser 'Prunkenheit (w 274) verurteilt" wird, das Gericht ,,fiir eine bestimmte Frist ver- bieten, sich in Wirtsh/~usern geistige Getriinke verabreichen zu lassen". Die Denk- sehrift meint, dab dieses ,,Wirtshausverbot", wie die Mal]regel nicht ganz richtig im Rubrum genannt wird, insbesondere auf dem Lande und in kleineren St/~dten, zu einer Besserung der yon der Mal3regel Betroifenen beitragen kSnnen wiid. Der Psyehiater wird diese Ansicht wohl kaum teilen, vielmehr der Meinung sein, dab man einigermal]en berechtigte Hoffnungen erst auf den w 92 setzen k6nne, nach welehem das Gerieht die Unterbringung eines naeh w 274 verurteilten Trunkstich- tigen in eine Trinkerheilanstalt anordnet, falls diese MaBregel erforderlich ist, ,,urn ihn an ein gesetzm~Biges und geordnetes Leben zu gew6hnen." Die Entlassung aus der Trinkerheilanstalt hat nach 8 94 crst zu erfolgen, ,,sobald der Zweck der MaBregel erreicht ist". Als Maximaldauer der Anhaltung wird die Frist yon zwei Jahren festgesetzt; m. E. mit Recht sagt die ,,Denkschrift". dab ,,dieser Zeitraum nach den bisherigen Erfahrungen, wenn iiberhaupt Aussieht auf Heilung besteht, geniigen diirfte, um den gewiinschten Erfolg zu erreichen". w 95 best.immt: ,,Ist eine Straftat auf Liederlichkeit oder Arbeitsscheu zuriickzuftihren, so kann das Gericht auf Unterbringung des Verurteilten in einem Arbeitshaus erkennen, wenn diese Mal3regel erforderlich ist, um den Verurteilten an ein gesetzm/~13iges und arbeitsames Leben zu gewShnen." (Weiter werden in 8 95 und in den folgenden his w 99 Einzelheiten, die sich auf den Vollzug dieser Bestimmung beziehen, fest- gelegt.) In den 8w 100--102 endlich wird die Sicherungsverwahrung (nach Ver- hiiflung der Strafe) gefi~hrlicher Gewohnheitsverbrecher geregelt.

Raimann spricht sich fiir eine ,,einheitliche Regelung der Detention der sog. vermindert Zurechnungsfi~higen" aus, indem ,,an Stelle der Worte ,Sffentliche Heil- und Pflegeanstalt' (w 88, 89), ,Trinkerheilanstalt' (92--94), ,Arbeitshaus' (95--97) die allgemeine Bezeichnung ,Verwahrungs-' oder ,Staatsanstalt' gesetzt wird.'" Gegen diesen Vorschlag diirfte kaum Wesentliches einzuwenden sein. Die ,,Staats- anstalt" im Sinne Raimanns entsprache beili~ufig der ,,staatlichen Anstalt", wie sie im 8 36 und 8 37 des 5sterr. E. gemeint ist. ,,Staatliche Anstalt fiir verbreche- rische Irre", wie imw 36 dieses E., diirfte sie allerdings nicht heil~en, wenn sie allen yon Raimann zusammengefal3ten Zwecken zu dienen h/~tte, sondern etwa: ,,Staat- liche Verwahrungsanstalt" oder ,,Staatliche Sicherungsanstalt" -- ohne weiterer Beifiigung, die ja auch bei der Eindeutigkeit und Unverbrauchtheit dieser Be- zeichnung unn6tig erscheint. Fiir die im 8 88 gemeinten Geisteskranken und geistig Minderwertigen paBt sie zweifellos. Sie eignet sich ferner auch fiir die Unter- bringung Trunksiichtiger, wenn sie dann auch voraussichtlich mehr einem Trinker- asyl als dem Ideal einer Trinkerheilanstalt entsprechen wird. Und dab schlieBlich auch die Liederlichen und Arbeitsscheuen im Sinne des w 95 mit den vorgenannten Kategorien zusammen untergebracht werden kSnnen, wo sie doch zum allergrSflten Teil wohl aueh zu den Psychopathen, bzw. zu den geistig Minderwertigen gehSren werden, ist nicht zu bestreiten. In Betracht zu ziehen ist auch, dab der E. nach der ,,Denksehrift" beabsichtigt, ,,das Arbeitshaus zu einer Arbeitserziehungsanstalt auszubauen", w/~hrend es ,,in seiner praktischen Ausgestaltung zur Zeit im wesent- lichen nichts anderes ist als eine MaBnahme, durch die gewisse sozial schi~dliche Elemente auf 1/~ngere Zeit der Allgemeinheit ferngehalten werden sollen" (w 86). Je mehr das Arbeitshaus dieser Absicht entsprechen wird, desto mehr wird es sich in seinem Wesen dem der Anstalten n~hern, die in den w 88, 89 bezw. w 92--94 gemeint sind. lmmer wird es tibrigens m0glich sein, in den ,,Staatlichen Sicherungs- anstalten" besondere Abteilungen einzurlchten, die besonderen Zwecken dienen.

470 J. Berze:

Der w 130 (fehlende Zurechnungsf~,higkeit bei Jugendlichen) ent- spricht der Erkenntnis , da$ ,,eine fiber die allgemeine Unzurechnungs- fahigkeit hinausgehende besondere Unzurechnungsfahigkei t Jugend- licher anzuerkermen" sei (vgl. die ,,Denkschrift") n~mlich ffir die F~lle, in denen das Fehlen der psychologischen Merkmale der Zurechnungs- fghigkeit - - sie sind im w 130 genau so gefal~t wie i m w 18 - - die Folge zurfickgebliebener Entwicklung oder geistiger oder sittlicher Unreife ist.

In der Wiener Debatte ist yon mehreren Seiten die Meinung vertreten wordcn, dab der w 130 entfallen k6nne, da die F/ille, die auf Grund dieser Bestimmung als nicht zureehnungsf/ihig zu erkennen w/iren, auch unter den w 18 -- als wegen Geistessehw/iche nicht zurechnungsf/ihig -- subsumiert werden k6nnten. ]Vl. E. ist diese Meinung unriehtig. Zun/ichst geht aus dem Texte des w 130 und noch deutlicher aus der ,,Denkschrift" hervor, da$ i m w 130 ein anderes biologisches Kriterium angegeben ist, namlich ,,eine verz6gerte Entwicklung oder yon der Regel abweichende geistige oder sittliche Unreife" (vgl. die ,,Denkschrift"), also Momente, die ,,zur Annahme der allgemeinen Unzureehnungsf/ihigkeit nicht ge- niigen". Andererseits kann wohl kaum behauptet werden, dab diese Momente nie anders als im Vereine mit Geistessehwi~ehe, bezw. Geistess~Srung (,,krank- halter StSrung der Geistest/~tigkeit" im Sinne des w 18 des Entwurfes) in Erschei- hung treten. Woes sich urn UIff/ihigkeit, ,,das Ungesetzliche der Tat einzusehen", handelt, wird allerdings zumeist aueh ,,Geistessehw/iche" vorliegen. Sie aber auch in alien den F/iIlen zu konstatieren, in denen -- bei zureichender Einsicht -- Un- f/~higkeit, der Einsieht gem/i0 zu handeln (,,seinen Willen dieser Einsicht gem/il~ zu bestimmen"), vorliegt, wird kaum angehen, man mtigte denn dem Begriff Geistessehw/~che einen ungebiihrlich weiten Sian geben. Birnbaum 1) hebt mit l~eeht auller anderen kriminalprognostisch erheblieh ins Gewicht fallenden ,,StSrungen des nattirlichen sozialpsychischen Reifungsvorganges" die ,,Entwicklungsgleich. gewichtsverschiebungen mit partiellen psychischen Reifungsvorg/ingen" hervor, yon denen er u. a. sagb: ,,Diese EntwieklungsstSrung wirkt vor allem durch das zeitliehe Auseinanderfallen der intellektuellen und charakterologisch-sittliehen Ent- wicklung kriminell gef/ihrdend. Ein kindlich unentwiekeltes, ungehemmtes und unreguliertes Geffihls- und Triebleben tritt damit neben sonstige psychiscim, speziell intellektuelle F/ihigkeiten der Vollreife und verwertet diese in seinem Dienste." Die Subsumtion soleher F/ille unter den w 18 des E. gel/inge nur unter der Voraussetzung einer Interpretation, auf die wohl nicht mit Sicherheit zu rechnen ist, die auch kaum zureiehend zu rechtfertigen w/ire. Der Gerichtspsychiater hat also m. E. allen Grund, den w 130 als einen bedeutenden Fortschritt zu begrtiBen; er tiberhebt ihn des Zwanges, sieh bei der Beurteilung des Geisteszustandes Jugend- licher unter allen Umst/inden" an eine Schablone zu halten, die fiir sie oft nieht reeht pal3t.

Der Erlal~ steht auf dem Standpunkte , dal~ auch die verminderte Zurechnungsf~higkeit anerkannt werden mu$. Dami t scheint es mir nicht recht im Einklange zu stehen, daI] im w 130 nur v o n d e r Un- zurechnungs/dhigkeit Jugendlicher auf Grund der in ihm angefiihrten Kriterien die Rede ist, n icht aber auch yon verminderter Zurechnungs- f~higkeit in den F/~llen, in denen aus den gleichen Griinden die F~hig- keit, das Unrecht der Ta t einzusehen oder dieser Einsicht gema$ zu

1) Birnbaum, Kriminal-Psyehopathologie, Berlin 1921.

0"ber den ,Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919". 471

handeln, ,,nur in hohem Grade vermindert" war. Praktisch wird dies aber wohl kaum als Mangel ffihlbar werden, da der Richter nach den fibrigen Bestimmungen des 15. Absehnittes bei der Behandlung Jugend- licher die grSl~te Bewegungsfreiheit hat und von Strafe sogar ganz ab- sehen kann, wenn er ErziehungsmaBregeln fiir ausreichend halt (vgl. w 132).

Der w 130 gilt nur fiir Jugendliehe, d.h. die in ibm angegebenen biologischen Kriterien: Zuriiekgebliebene Entwicklung, Mangel geistiger oder sittlieher Reife, kSnnen nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahre des T~ters in Betraeht gezogen werden; hat der T~ter das 18. Lebens- jahr vollendet, so kSnnen nur mehr die biologischen Kriterien des w 81 in Betraeht kommen. Sollte es nun aber wirklich am Platze sein, dab ,,verzSgerte Entwicklung oder yon der Regel abweichende geistige oder sittliche Unreife" bei ein und derselben Person heute noch unter Um- st~nden dazu ausreieht, ihre volle Unzurechnungsf~higkeit zu begriin- den, morgen aber, wenn diese Person eben gerade das 18. Lebensjahr vollendet hat, fiberhaupt nieht mehr als ein ihre Zurechnungsf~higkeit beeintr~chtigendes Moment erachtet und hSehstens noch als mildernder Umstand bei der Strafbemessung in Anschlag gebracht werden kann ? Sollte es nicht vielmehr angesichts der Tatsaehe, da$ der Erla$ aueh die verminderte Zurechnungsf~higkeit kennt, angebraeht sein, auch bier sozusagen einen Ubergang zu schaffen in dem Sinne, da$ T~tern, die das 18. Lebensjahr fiberschritten haben - - eine Grenze nach oben mfi$te selbstverst~ndlich auch da gezogen werden! - - im Falle des Zutreffens der biologischen und psyehologischen Kriterien des w 130 ,,verminderte Zurechnungsf~higkeit" zugebilligt wird ? Birnbaum fiihrt (loe. eit.) aus, da$ ,,die kriminell gef~hrdende Unreifephase gewShn- lieh fiber die natfirlichen physischen Entwicklungsjahre hinaus anh~lt und infolge gewisser, diesen Konstitutionen anhaftender psychischer Entwicklungsst~rungen, Versp~tungen und Verlangsamungen der gei- stigen Ausreifung, meist bis in die drei$iger Jahre hineinreicht". So weit kann das Gesetz die Grenze freilich nicht stecken. Auch der Psych- Jater kSnnte kaum dafiir eintreten. Die Ubergangsphase, um die es sieh handelt, w~re m. E. etwa mit dem vollendeten 21. oder 22. Lebens- jahre zu begrenzen. Jedenfalls sollte aber, wie die Natur keine Spriinge macht, auch alas Strafgesetz keine Spriinge machen, wenn es auf Bio- logisehes ankommt. Der Einwurf aber, dai~ eine Beriicksiehtigung der erw~hnten Ubergangsphase im Sinne des w 130 aus dem Grunde un- nStig sei, weil Personen, die mit vollendetem 18. Lebensjahre noch immer nicht die fiir die volle Zureehnungsf~higkeit erforderliehe ,,gei- stige oder sittliche Reife" erlangt haben, wohl ausnahmslos in dem Mal3e geistesgestSrt oder geistesschwaeh seien, dab sie naeh w 18 als vermindert zurechnungsf~hig zu erkl~ren w~ren, w~re m. E. nieht ge-

472 J. Berze:

leehtfer t igt ; wie bereits erw~hnt, geht namentl ich aus der ,,Denk- schrift" klar hervor, dab die biologischen Kriterien des w 130 mit denen des w 18 nicht zusammengeworfen oder verwechselt werden diiffen.

Der E. enthalt noch einen weiteren Unzurechnungsfahigkeits-Paragraphen: nach w 19 ist ein Taubstummer nicht zurechnungsfahig, ,,der wegen zuriickge- bliebener geistiger Entwicklung unfahig ist, das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemaI] zu bestimmen." Warum gerade der Taubstumme im Gegensatz zu den mit anderen Sinnesdefekten, bezw. tIirn- sch/~digungen Behafteten diese besondere Berticksichtigung linden soll, wird in der ,,Denkschrift" trefflich begriindet: ,,Der Taubstumme muB anders behandelt werden, als ein Mensch, der hSren und sprechen kann. Ihm fehlen die wichtigsten M6glichkeiten, sich geistig zu entwickeln, und wenn auch die geistige Fortbildung Taubstummer in Deutschland in der letzten Zeit wesentliche Fortschritte gemacht hat, so wird es doch immer noch Fallc geben, wo der Taubstumme sp/iter als andere Menschen den Zustand geistiger Entwicklung erreicht, der es erm6glicht, ihn ftir seine Handlungen voll verantwortlich zu machen." Wenn gesagt worden ist, dab dieser Paragraph es mit sich bringen diirfte, dab in Zukunft fast jeder taub- stumme Tater der psychiatrischen Begutachtung zugeftihrt werden wiirde, so k6nnte ich darin keinen Nachteil und keinen Grund gegen seine Aufnahme erblicken. Im Gegenteile.r GeistesstSrung und ebenso Geistesschwache namentlich niederen Grades1), kann bei einem Taubstummen, wie die Erfahrung lehrt, leicht lange verborgen bleiben. Dem Gerichtsdolmetseh fiir Taubstumme wird es wohl nicht iiberlassen bleiben diirfen, solche geistige St6rungen oder Defekte aufzudecken; nur die psychiatrische Untersuchung bietet da eine zureichend sichere Gewahr.

l I .

AuBer den im ersten Teile besprochenen BestimmungeI1 ist noch eine gro~e Reihe anderer fiir den Psychiater von erheblichem Interesse. Ein kleiner Teil der letzteren soll im folgenden noch kurz beriihrt werden.

Nach P u n k t 6 des w 9 ist , ,Gewalt: auch die Anwendung der Hyp- nose oder eines bet~ubenden Mittels zu dem Zwecke, jemanden bewuI]t- los oder widerstandsfithig zu machen" . Das Tatbes tandsmerkmal der , ,Gewalt" verwendet der Erlafl in einer grSl]eren Anzahl von Para- graphen, so namentl ich in w 312 (NStigung), w 314 (Notzucht), w 320 (NStigung zur Unzucht) , w 369 (Raub), w 370 (Erpressung).

Da{] eine strafgesetzliche Bes t immung gegen die Anwendung der Hypnose zu verbrecherischen Zwecken dringendst nStig ist, s teht auBer Zweifel. Ob aber die Art, in der der ErlaB dem Problem beizukommen sucht , die richtige ist, muB zumindest als zweifelhaft erscheinen. Der Grundgedanke mag ja richtig sein: Wer durch Hypnose ,,bewuBtlos cder widerstandsunfi~hig" gemacht ist, ist dem gleich zu erachten, der (lurch physische Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt usw. (vgl. z. B. w 312) widerstandsunfghig gemacht ist; die NStigung eines Hypno-

1) Auch solche StSrungen oder Defekte sind nach w 19 zu beriicksichtigen. Im 2. Absatze heil]t es: ,,War die Fahigkcit zur Zeit der Tat aus diesem Grunde nur in hohem Grade vermindert, so ist die Strafe zu mildern (w l l l ) ."

Uber den .Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919". 473

t i s ie r ten ,,zu einer I-Iandlung, Du ldung oder Un te r l a s sung" mul3 daher geradeso bes t r a f t werden, wie die einer auf andere Weise widers tands- unf~hig gemach ten Person. Aber dieser offenbar r icht ige Gedanke wird in der A r t des Erlasses n ich t r ich t ig zum Ausdrucke gebracht . K a n n der widerstandsunfi~hige Zustand des Hypno t i s i e r t en , wie gesagt , dem des in anderer Weise Vergewal t ig ten gle ichgesetz t werden, so geh t e,~ doch andererse i t s n ich t an, ,,die Anwendung der H ypnose . . . zu dem Zweck, j emanden bewuBtlos oder widers tandsunf i th ig zu machen", dem. was un te r Gewal t gew6hnlich ve r s t anden wird, gleichzusetzen.

Unter Gewalt wird wohl die Anwendung yon Zwangsmitteln gegen eine Person. unter ~berwindung ihres aktiven Widerstandes, zu verstehen sein. DaB sich diese Deutung auch ffir die als ,,Gewalt" hingestellte ,,Anwendung der Hypnose" auf- drangt, geht schon daraus hervor, dal3 sich die Diskussion fiber diesen Punkt in der mehr erwahnten Wiener Debatte yon Anfang an und fast ausschliefllich datum drehte, ob es denn fiberhaupt mSglich sei, eine Person gegen ihren Willen zu hyp- notisieren. (Es wurde davon gesproehen, daft entgegen dem Laienurteile, naeh dem diese MSglichkeit auBer Zweifel steht, der wissenschaftliche Nachweis ihres Ge- gebenseins noch keineswegs geffihrt und yon einwandfreien Fallen in der wissen- schaftlichen Literatur jedenfalls nichts zu finden sei. Dies zugegeben, daft mall m. E. aber doch nicht so welt gehen, diese MSglichkeit tiberhaupt in Abrede zu stellen. Es liegt m. E. im Gegenteile die Annahme nahe, daft eine leieht hypnoti- sierbare Person auch gegen ihren Willen yon einem oder dem anderen ttypnotiseur hypnotisiert werden kann, wenn sie etwa unter dem suggestiven Einflusse der ~ber- zeugung yon der ,,damonischen Macht" seines Blickes und ihrer Wehrlosigkeit gegen diese Macht steht. Und wenn -- wieder im Sinne der Ablehnung dieser M(ig- lichkeit -- gesagt wurde, die Hypnose sei doch eine Leistung des Mediums und nieht des Hypnotiseurs, so muff erwidert werden, dab das Hypnotisieren eben darauf beruht, daft diese Leistung des Mediums durch die Einwirkung des Hypnotisierenden ausgelSst, hervorgerufen wird, voraus sich ergibt, da~ mit jener Konstatierung die Frage keineswegs entschieden wird, indem auch sie die MSglichkeit des Erzwingens der in Betracht kommenden Leistung des Mediums, unter Ausnutzung der dutch Suggestionen der oben erw~hnten Art gegebenen Situation, immer noch often l~flt.) Sicher steht, dab die Bestimmung (w 9, Punkt 6) ein Schlag ins Wasser ware, wenn tats~chlich nur die Falle unter sie zu subsumieren w~ren, in denen die An- wendung der tIypnose wider den Wfllen der hypnotisierten Person effolgt ist- denn abgesehen davon, daI3 sich diese F~lle an sich jedenfalls als grofle Raritaten erweisen miiBten, sttinde man in jedem einzelnen Falle, in denen diese MSglichkeit tiberhaupt zu erw~gen ware, vor der kaum je sicher beantwortbaren Frage, wie es im entscheidenden Momente um den ,,Willen" bestellt war.

Die Begu t ach tung der F~lle, in denen die Anwendung dieser Be- s t immung in F rage k o m m t , wird zu den schwierigsten Aufgaben ge- hSren, vor die der Psych ia t e r ges te l l t werden kann. Es wird zun~chst zu beur te i len sein, ob die Person, an der oder mi t te l s welcher das be- t reffende Verbrechen ver f ib t worden ist , sich zur kr i t i schen Zeit im hypno t i s i e r t en Zus tande befunden ha t . Schon diese Beur te i lung wird bei dem heut igen S tande unseres gesicher ten Wissens fiber den Gegen- s t and oft aul3erordentl ich sehwierig sein, zumal - - nur ganz seltene F~ille ausgenommen - - dem Gutach te r , abgesehen v o n d e r Dars te l lung

474 J. Berze:

des Vorfalles und yon den Ergebnissen seiner Untersuchung der angeblich hypnotisierten Person, kein anderes Substrat gegeben sein wird, als die subjektiven Angaben dieser Person. Weiters wird abet auch zu erheben sein, inwieweit der Hypnotisierende den Hypnotisierten zur kritischen Zeit in seine Gewalt gebracht hatte. Bekanntlich bestehen hinsichtli'ch dieses Punktes weitgehende prinzipielle Differenzen der An- schauungen. Den Autoren gegenfiber, die meinen, dal] der EinfluI~ des Hypnotiseurs auf den Hypnotisierten unbegrenzbar sei, dab also der Hypnotisierte den Suggestionen des Hypnotiseurs, auch solchen krimi- neller Natur, entsprechende Tiefe der Hypnose vorausgesetzt, ganz widerstandslos ausgeliefert sei, kann Wagner-Jauregg mit Recht er- kl~ren, dal~ es sich da nur um eine Annahme handle und dal~ noch kein Fall bekannt geworden sei, der den einwandfreien Beweis fiir ihre Richtigkeit zu liefern geeignet w~re. Auch Forel ffihrt in seinem be- kannten Werke : Der t typnotismus oder die Suggestion und die Psycho- therapie (8. u. 9. Aufl., Stut tgart 1919) aus: ,,Der blinde automatische Gehorsam des Hypnotisierten ist nie ein vollst~tndiger. Die Suggestion hat stets Grenzen." Und an anderer Stelle: ,,Es ist fiberhaupt ein fun- damentaler Irrtum, zu glauben, der t typnotisierte sei unter vSlliger Abh~ngigkeit des Hypnotiseurs." Wie aber der Psychiater in gewissen Einzelfi~llen, in denen es sich um die Frage handelt, ob die in w 9, Punkt 6 gemeinte Widerstandsunf~higkeit tats~chlich gegeben war oder nur vor- gegeben wird - - man denke besonders an w 314 und w 320! - - , eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung treffen soll, ist nicht recht er- sichtlich. In einer betri~chtlichen Zahl yon solchen Fi~llen wird schliel~- lich ein Non liquet auszusprechen seinl). Damit wird aber die Bedeu- tung der Bestimmung grSI~tenteils illusorisch. Es liegt der Gedanke nahe, da~ man der verbrecherischen Anwendung der Hypnose straf- gesetzlich nut dann halbwegs beikommen kann, wenn man den Kampf gegen den MiI~brauch der Hypnose iiberhaupt aufnimmt. Unter welchen Umst~tnden die Anwendung der Hypnose als erlaubt zu gelten hat, unter welchen Umst~nden sie dagegen als strafbar anzusehen ist, be- darf selbstverst~indlich der Kl~rung, die schwer zu gewinnen sein wird. - -

Eine Reihe yon Bestimmungen des Erlasses betrifft die strafrecht- ]iche Behandlung der Trunkenheit bzw. Trunksucht. Nach w 274 wird, ,,wer sich schuldhaft in Trunkenheit versetzt", bestraft, ,,wenn er eine Handlung begeht, wegen d e r e r nicht bestraft werden kann, weil er in- folge der Trunkenheit nicht zurechnungsf~hig war".

Naeh w 18, Abs. 2 trit~ die Milderung der Strafe bei verminderter Zurechnungs- f~higkeit nicht ein, ,,bei BewufltseinsstSrungen, die auf selbstverschuldeter Trunken- heir beruhten." ,,Eine gleiehartige Bestimmung fiir die ]ehlende Zurechnungs-

1) Beil~ufig das gleiche muB tibrigens auch beziiglich der durch Anwendung tines ,,bet~ubenden Mittels" bewirkten Widerstandsunf~higkeit gesagt werden.

Uber den ~Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch von 1919". 475

fi~higkeit zu treffen, geht nicht an, da eine solche Vorschrift mit den Grundlagen der Schuldlehre unvermeidbar wgre. Die Schuld des Tgters liegt in solehen Fgllen ausschlieBlich darin, dab er sieh schuldhaft in Trunkenheit versetzt; hinsichtlich der Tat selbst, die er in diesem Zustande begeht, fehlt es an einer Schuld in straf- rechtlichem Sinne. Der Trunkene kann deshalb nicht fiir die Tat als solche, sondern nur wegen der selbstverschuldeten Trunkenheit strafreehtlieh verantwortlieh ge- macht werden. Dies geschieht in w 274." So die Denkschrift. Hat sie ganz recht? Wenn der Trunkene ,,ftir die Tat also solehe" strafreehtlieh nicht verantwortlich gemaeht werden kann, wie kann dann diese Tat den AusseMag geben, dab er daftir, ,,dab er sich schuldhaft in Trunkenheit versetzt" hat, bestraft wird, w~thrend er olme ,,die Tat als solche" straflos ausgegangen wgre? Der Tgter wird nach w 274 zwar nieht ]~r ,,die Tat als solehe" bestraft, abet doch wegen dieser Tat, obwohl er fiir sie nieht verantwortlieh ist. Hat die Person, die sich schuldhaft in Trunken- heit versetzt hat, z. B. das Ungltiek, in eine Situation zu kommen, die sie zu einer sehweren Gewalttat bringt, so wird sie naeh w 274 bestraft, hat sie das Gliiek, im trunkenen Zustand keinerlei Versuchung ausgesetzt zu sein, kommt sie straflos dutch. Diese Bedenken zu betonen, ist freilich nicht Sache des Psvchiaters. Mit ihnen fertig zu werden, ist Sache des Juristen.

Wie Ascha]]enburg (loe. eit.) mi t Rech t betont, sprccher~ die Er- fahrungen anderer L~nder ,,nieht ftir eine nennenswerte absehreekende Wirkung" der Bestrafung der Trunkenheit . Andererseits ha t aber sicherlich auch G6ring recht, wenn er sagt, dab der ErlaB mit dem w 274 ,,dem Reehtsempfinden des Volkes Reehnung tr~gt" . Darauf k o m m t es hier aber auch welt mehr an. Zur Bekampfung der Trunk- sucht kann das Strafgesetzbueh ja beitragen, seine eigentliche Aufgabe ist sie nieht. Was den voraussiehtliehen Nutzen des w 274 betrifft, so wird er darin liegen, daft immerhin die ,,Zweckri~usehe" in vielen l~i~llen und wohl auch noch andere Fi~lle ,,sinnloser Trunkenhei t " erfal~t werden kSnnen, und besonders wird es der 2. Absatz des w 274 ermSglichen, gegen gewaltti~tige Gewohnheitstr inker energisch vorzugehen. Zu er- wi~gen ist m. E., ob nicht noch andere erschwerende Umst~nde den in diesem Absatze angefiihrten hinzuzufiigen wi~ren; ich denke da vor allem an den oft gegebenen Umstand , dal3 dem T~ter von frfiher her seine Neigung zur Gewaltti~tigkeit oder zu sonstigen kriminellen Hand- lungen im Rausche sehon ganz gu t bekannt war, und aueh daran, dal3 sich nicht selten der ]~all ereignen dfirfte, besonders zu Beginn der Wirksamkei t des w 274, dab der ersten gerichtlichen Verurteilung wegen sinnloser Trunkenhei t wiederholte polizeiliche Ansti~nde wegen mehr oder weniger schwerer Trunkenheitsexzesse oder auch Internierungen in Beobachtungsabtei lungen oder Hell- und Pflegeanstal ten wegen ,pathologischer Rausehzusti~nde" u. dgl. vorausgegangen sind.

Hinsichtlich der fibrigen Mal3nahmen gegen trunksiiehtige Ti~ter habe ich den Bemerkungen anderer nichts Wesentliches hinzuzufiigen. - -

Raimann ist in seinem Wiener Referate bei Besprechung des w 274 auch fiir die Anerkennung eines ~trafbaren Tatbestandes ffir den Fall eingetreten, dal3 jemand einen anderen in Trunkenhei t versetz~. M . E . ist

476 J. Be~e:

ihm beizustimmen. MSglich ware es ja vielleicht, dab der w 9, Abs. 6, wonach ,,Gewalt" auch ,,die Anwendung . . . eines betaubenden Mittels zu dem Zwecke, jemanden bewu$tlos oder widerstandsunfahig zu machen" ist, auf einzelne Fi~lle anwendbar ware, - - gewiB aber nicht auf alle Falle, die Raimann im Auge hat, und wo iiberhaupt, nur unter der Voraussetzung einer best immten Interpretat ion dieser Bes t immung . - -

Nach w 276 des Erlasses wird (mit Gefangnis bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 3000 Mark) bestraft, ,,wer es vorsatzlich unter- lal3t, Kinder oder Jugendliche, die unter seiner Aufsieht stehen und zu seiner hi~uslichen Gemeinschaft gehSren, v o n d e r Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung abzuhalten". Was nach dieser Vorschrift fiir Kinder und Jugendliche gilt, sollte m. E. auch /i~r Geisteskranke gelten. Aufklarung dariiber, was sich in dieser Hinsicht aus dem Entwurfe er- gebe, ist mir yon besonders schi~tzenswerter juristischer Seite zuteil ge- worden. Herr Professor Dr. Wenzel Gleispach hat te die Giite, mir fol- gendes mitzuteilen: Wenn eine Person, die etwa kraf t ihrer Anstellung, eines Vertrages usw. die besondere Pflicht hat, den Geisteskranken zu iiberwachen und den Gefahren zu begegnen, die yon ihm drohenl), die Hinderung vorsiitzlich unterlal3t, dann kann man sagen, sie mache sieh durch diese Unterlassung des Verbrechens sehuldig, dessen Tatbestand der Geisteskranke verwirklicht, und zwar als Tater oder - - (gestiitzt auf w 29/1) - - als Gehilfe (beachte Sehlul~ des w 29, Abs. 1; die Hilfe- leistung lage in der pflichtwidrigen Unterlassung der Hinderung). Die Konstruktion ist aber nicht unanfechtbar und man kann gegen sie ge- rade w 276 geltend maehen. Eine besondere Vorschri]t analog w 27(i Mitte vieles /i~r sich (Gleispach). - -

Nach w 193 des Erlasses wird (mit Gef~ngnis bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe) bestraft, ,,wer au]~er den Fallen des w 191 ~) jemanden. der auf beh6rdliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird, aus der Verwahrung befreit oder sein Entweichen f6rdert". Fiir die Aufnahme dieser Bestimmung war nach der ,,Denkschrift" folgendes mal3gebend: ,,Da der Entwurf die Fi~lle, in denen jemand auf beh6rdliche Anord- nung in einer Anstalt untergebracht wird, ohne als Gefangener gelten zu kSnnen, durch die Ausgestaltung der sichernden Mai3nahmen er-

z) Fiir andere Leute besteht, nach Prof. Gleispachs Ausfiihrungen, eine Straf- barkeit wegen der Nichthinderung im allgemeinen fiberhaupt nieht. Nur fiir be- sondere Fiflle kann a) w 291 (Unterlassung der Rettung aus einer Lebensgefahr) in Betracht kommen und b) mittelbar w 226 (beaehte bes. Abs. 2), hier wird die Unterlassung der Anzeige bedroht; aber da die Strafe bei erfolgreichem Bemtihem das drohende Unheil abzuwenden, wegfi~llt, wirkt die Vorschrift immerhin auch auf die Hinderung him -- Wenn man nicht aUgemein die Nichthinderung yon Verbrechen mit Strafe bedrohen will, dann wird man denselben Standpunkt auch bei Geisteskranken einnehmen miissen.

~) Betrifft die Befreiung von Ge]angenen.

~ber den :~Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919". 477

heblich vermehrt, so mul3 die Lficke (sc., die schon bisher hinsieht- lich der Befreiung aus einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt be- stand. Verf.) ausgeffillt werden." Danach scheint sich w 193 nur auf die ,,Verwahrung" im Sinne des 12. Abschnittes des Erlasses und keines- wegs etwa auch auf die einfache Unterbringung eines Geisteskranken in einer 6ffentlichen Heil- und Pflegeanstalt, woffir ja auch der Aus- druck ,,Verwahrung" als durchaus unpassend abgelehnt werden mfil~te, zu beziehen. Es ware aber m. E. doch sicherlich zumindest zu erwi~gen, ob nicht auch die Anstiftung und Beihilfe zur Flucht eines Geistes- kranken aus einer Heil- und Pflegeanstalt, wenigstens unter gewissen Umst~tnden (konstatierte Gemeingefi~hrlichkeit, erwiesene Selbstmord- gefahr u. a.), als eine Handlung anzusehen ist, die mit Strafe zu be- drohen ware, auch wenn es sich nicht um ,,Verwahrung auf beh6rdliche Anordnung" handelt. Ich mSchte, wie oben gesagt, entschieden daffir eintreten. Auch Vocke 1) halt eine ,,Sonderbestimmung fiber die Be- freiung yon Kranken aus der Obhut einer Irrenanstalt" ffir dringend notwendig; eine Sonderbestimmung deshalb, weil, ~de er richtig sagt, die Befreiung bestimmter Kategorien von Kranken nicht unter den Para- graphen ,,Gefangenenbefreiung" subsumiert werden daft. - -

Each w 308 wird bestraft, ,,wer einen anderen einsperrt oder auf eine andere Art der Freiheit beraubt". Es ist vorgebraeht worden, daf~ im Interesse des Psychiaters zu wfinschen wi~re, dab vor ,,einsperrt" eingeffigt werde: ,,widerrechtlich" oder ,,unbefugt". Eine Bestimmung des ,,Allgemeinen Teiles", der w 20, besagt nun aber: ,,Eine strafbare Handlung liegt nicht vor, wenn die Rechtswidrigkeit der Tat durch das 6ffentliche oder bfirgerliche Reeht ausgeschlossen ist." Dies trifft zu, wenn ein Schuldausschlie~ungsgrund oder wenn ein Reehtfertigungs- grund (z. B. Zfichtigungsrecht, Disziplinarbefugnisse usw.) vorliegt. Die dem erwhhnten Wunsche zugrunde liegenden Bedenken sind also gegen- standslos, sofern nur der Psychiater bei Einleitung der Freiheitsbe- schri~nkung eines Geisteskranken noch bestem Wissen un~l Gewissen vorgeht. - -

Nach w 313 wird bestraft, ,,wer einen anderen gegen seinen Willen zu Heilzwecken behandelt", und zwar tr i t t die Strafe auch dann ein, ,,wenn der T~ter fahrl~,ssig angenommen hat, dal3 der and~re mit der Behandlung einverstanden war". Dal~ diese Bestimmung geeignet ist, Bedenken und Befiirchtungen auf ~rztlicher Seite zu erwecken, kann nicht geleugnet werden. Haberda hat bereits darauf hingewiesen (Ver- handlungen der ,,(~sterreichischen kriminalistischen Vereinigung" fiber den Entwurf), da[3 zu beftirehten sei, dab Antri~ge auf Verfolgung des Arztes aus erpresserischen Motiven gestellt werden kSnnen, zumal sogar

1) Psychiatr.-neurolog. Wochen~chr. 1910/1911, S. 450.

478 J. Berz(,: Ober den ,,Entwurf zu cinem deutschen Strafgesetzbuch yon 1919".

auch bei fahrlassiger Annahme der Einwilligung des Patienten Strafe eintrete. Was speziell die Behandlung Geisteskranker betrifft, wird sich der Arzt, bei der rechtlichen Irrelevanz des Willens des Patienten selbst, stets der Einwilligung einer ffir diesen einzutretenden berech- tigten Person zu versichern haben. Ist er in dieser Hinsieht unvor- sichtig, so kann er nach dem Wortlaute des w 313 zweifellos in eine schiefe Situation geraten. - -

Nach w 325 werden mit Gefi~ngnis bestraft ,,Mi~nner, die miteinander eine beisehlafahnliche Handlung vornehmen". Die besseren Griinde im Streite der Meinungen fiber diesen Gegenstand sprechen m. E. dafiir, dal] diese Bestimmung entfalle. Daft, wenn dies geschehen sollte, erst recht zu verlangen ware, daft die Bestimmungen zum Schutz der Ju- gendlichen (Abs. 2 und 5) in vollem Umfange aufreehterhalten werden, stellt AschaHenburg (loc. cit.) mit vollem Reehte lest. Das gleiche gilt aber, wie ich glaube, auch ffir das gewerbsmaftige Begehen der Tat (Abs. 3--5). - -

DaB aueh der w 326, der beisehlafahnliche Handlungen mit Tieren betrifft, fallen zu lassen ware, diirfte nicht ernstlich zu bestreiten sein.