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Bertbelot : Ueber den Schwefel. 1 93 xxx. Ueber deli Sehwefel. VOli Berthelot. (Compt. 7.end. 1857. t. XLIV. (N. 7) p. 318 u. (N. 8) p. 378.) Die nachfolgendcn Untersuchungen betreffen die ver- schiedencn Zuslande dcs freien Schwefels und die Bezie- hungen, welche zwischen diesen Zusiiinden und der Xatur der Schwefelverbindungen existiren , aus welchen sie her- vorgehen konnen; letzterer Punkt ist Hauptgegenstand meiner Arbeit. Ich habe mir dabei hauptsachlich zwei Fragen vorge- legt, welche ich durch Versuche zu beantworten suchte. Diese sind: ob es nicht unter den vielen unahnlichen Zu- standen des Schwefels, welche durch den Einfluss der Tem- peratur und mehr oder weniger rascher Abkuhlung hervor- gehracht werden, und deren Mannigfaltigkeit fast unendlich ist, gewisse fundamentale, stabile Zustande giebt, auf welche alle anderen zuruckgefuhrt werden inussen ; sowie ob diese Zustinde, wenn sie existiren, nicht cine constante Bezieh- ung zu der Natur der Verbindungen zeigen! aus welchen der Schwefel abgeschieden werden kann? I. Zztstattd dcs Sclmefcls. L'nter allen Zustainden des Schwefels unterschcide icli zwei als wesentliche, auf welche alle andereii zuruckgefiihrt werden konnen ; niimlich den octaedrischen oder electronegativen Schwefel , welcher die Rolle eines Verbrei~nungsunterhslters spielt und den electro- positiven Schwefel, der die Rolle eines verbrennlichen Ele- ments spielt, im Rllgemeinen amorph und unloslich in deli eigentlichen Losungsmitteln ist.. Das Studium dieser zwei Zustandc vereinfacht dasjenige der Schwefelverbin- dungen und fuhrt sie auf eiiien furidamentalen Gegensatz zuruck: wenn sie nicht fur sich existiren, so sind wenig- stcns alle uhrigen, unendlich vielen, intermediare und tran- sitorische Zustande, welche auf unzweifelhafte Weise auf diese zwei Hauptzustgnde zuruckgefiihrt werden konnen. J,IIII.II. f. priikt. t:li+>iiiiiJ. I.XXII. 4. 13

Ueber den Schwefel

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Bertbelot : Ueber den Schwefel. 1 93

xxx. Ueber deli Sehwefel.

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Berthelot.

(Compt. 7.end. 1857. t. XLIV. (N. 7 ) p. 318 u. (N. 8) p. 378.)

Die nachfolgendcn Untersuchungen betreffen die ver- schiedencn Zuslande dcs freien Schwefels und die Bezie- hungen, welche zwischen diesen Zusiiinden und der Xatur der Schwefelverbindungen existiren , aus welchen sie her- vorgehen konnen; letzterer Punkt ist Hauptgegenstand meiner Arbeit.

Ich habe mir dabei hauptsachlich zwei Fragen vorge- legt , welche ich durch Versuche zu beantworten suchte. Diese sind: ob es nicht unter den vielen unahnlichen Zu- standen des Schwefels, welche durch den Einfluss der Tem- peratur und mehr oder weniger rascher Abkuhlung hervor- gehracht werden, und deren Mannigfaltigkeit fast unendlich ist, gewisse fundamentale, stabile Zustande giebt, auf welche alle anderen zuruckgefuhrt werden inussen ; sowie ob diese Zustinde, wenn sie existiren, nicht cine constante Bezieh- ung zu der Natur der Verbindungen zeigen! aus welchen der Schwefel abgeschieden werden kann?

I . Zztstattd dcs Sclmefcls. L'nter allen Zustainden des Schwefels unterschcide icli zwei als wesentliche, auf welche alle andereii zuruckgefiihrt werden konnen ; niimlich den octaedrischen oder electronegativen Schwefel , welcher die Rolle eines Verbrei~nungsunterhslters spielt und den electro- positiven Schwefel, der die Rolle eines verbrennlichen Ele- ments spielt, im Rllgemeinen amorph und unloslich in deli eigentlichen Losungsmitteln ist.. Das Studium dieser zwei Zustandc vereinfacht dasjenige der Schwefelverbin- dungen und fuhrt sie auf eiiien furidamentalen Gegensatz zuruck: wenn sie nicht fur sich existiren, so sind wenig- stcns alle uhrigen, unendlich vielen, intermediare und tran- sitorische Zustande, welche auf unzweifelhafte Weise auf diese zwei Hauptzustgnde zuruckgefiihrt werden konnen.

J, I I I I . I I . f. priikt. t:li+>iiiiiJ. I.XXII. 4. 13

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In der That gehdren ziim octa6drischen Schwefel zwei weniger feste Zustande, der prismatische Schwefel urid der weiche Schwefel der Polysulfurete ; beide wandeln sich freiwillig unter den1 Einflusse der Zeit in den octaedri- schen Schwefel urn. Dicse drei Varietatcn sind in Schwe- felkohlenstoff loslich.

Der electropositive Schwefel kann erhalten werden, indem man den Schwefel aus seinen Sauerstoff-, Chlor- oder Bromverbiridungen frei macht. Der Schwefel des Chlorurs und des Bromurs bildet den stahilsten Grenzzu- stand. Er ist amorph urid unloslich in den eigentlichen Losungsmitteln (Wasser, Alkohol, hether , Schwefelkohlen- stoff etc.)

Dem electropositiven Schwefel reihen sich drei andere weniger stahile Varietaten an.

a) Der weiche Schwefel der unterschwefligsauren Ver- bindungen, loslich in Schwefelkohlenstoff, aber durch einfaches Verdampfen der Liisungsmittel nach und nach unloslich werdend. Der durch Einfluss der Warme erhal- tene weiche Schwefel und der aus der Mischung eines Sulfurs mit einem unterschwefligsauren Salze (Wirkung der Alkalien auf Schwefel) entstehende , konnen als ein Gemenge der heiden Arten des weichen Schwefels be- trachtet werden , welche den zwei Fundamentalzustanden des Schwefels entsprechen.

bl Der unlosliche Schwefel, den man durch abwech- selndes dusziehen der Schwefelblumen mit Alkohol und mit Schwefelkohlenstoff erhalt.

c) Der unlosliche Schwefcl, welcher beim Erschopfen des durch Warme entstehenden weichen Schwefels mittelst Schwefelkohlenstoff zuruckbleibt. Diese letzte Varietat ist die am wenigsten bestandige; sie wird schon durch Ko- chen mit Alkohol wahrend einiger Minuten durch Contact- wirkung fast vollkommen umgewandelt in krystallisirbaren, in Schwefelkohlenstoff loslichen Schwefel.

Die E'arbe dieser verschiedenen Varietaten liegt zwi- schen citronengelh und dunkelroth; sie hangt ah von dell Urnstanden hei ihrer Bildung, oft auch von Spuren frem- der Korper.

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Sie unterscheiden sich von einander durch die grossere oder geringere Leichtigkeit , mit welcher sie sich sowohl durch eine Teniperatur vofi looo als auch bei gewohnlicher Temperatur durch den Contact mit verschiedenen Korpern (Alkalien und ihre Sulfiire , Schwefelwasserstoff und Alko- hol) in krystallisirbaren und loslichen Schwefel umwandeln.

Rlle diese Varietiiten des amorphen Schwefels konnen in die stabilste Fundamentalvarietat umgewandclt werden, v e n n man sie in der Kalte in Beriihrung hringt mit Chlor- schwefel, Bromschwefel, Jod und selbst his z u einem ge- wissen Punkte mit rauchender Salpetersaure.

Umgekehrt lassen sich alle diese Varietaten vollkom- men in octaedrischen Schwefel umwandeln, wenn man sie wiederholt schmilzt oder sublimirt, oder sie aus ihrer Auflo- sung in einem Alkali oder einem alkalischeri Sulfur aus- fallt od'er endlich wenn man sie wahrend einiger Wochen bei gewohnlicher Temperatur in1 Coiitacte mit Kalilosung zusammenstellt. Der prismatische Schwefel scheint in ge- wissen Fallen eines der Zwischenglieder dieser Umbildung zu sein.

Aile Formen des Schwefels lassen sich also auf zwei wesentliche Zustande zuriickfiihren: den electropositiven, amorphen und unloslichen Schwcfel und den electronega- tiven oder octaedrischen Schwefel. Von beiden Zustanden ist der letatere der stabilste.

Die vorstehenden Untersuchungen betreffen die Zu- stande , des Schwefels unabhangig von den Umstanden, unter welchen sie entstehen. Es bleibt daher noch ubrig die Beziehungen festzustellen, welche zwischen diesen Zu- standen und den Verbindungen bestehen, aus welchen der Schwefel erhalten werden lrann.

11. Der erste aufiAuklarende Punkt ist die Existenz einer constanten Beziehung zwischen dem Schwefel und den Verbindungen, aus welchen er sbstnmmt.

Es ist einerseits der Zustand, des aus einer Verbin- dung abgeschiedenen Schwefels unabhiingig von der Natur des zur Ahscheidung angewendeten Agens, wenn nur das- selbe nicht alkalisch und nicht oxydirend wirkt und seine Wirkung rasch und ohne merkliche Warmeentwicklung \nor

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sicb geht. Andererseits ist der Zustand des aus einer Verbindung abgeschiedenen Schwefels auch unabhangig von dem Zustande des Schwefels, niit welchem die Ver- bindung dargestellt wurrle. Ich habc verschiedene Varie- tateu des Schwefels bei gewohnlicher Temperatur mit fol- genden Korpern verbunden , a ls : Kali , alkalische Sulfure, wasserfreie SchwefelsBure, schwefelsaures Xatron, doppelt schwefligsaures Kali, Brom, Jod. Der aus allen dieseii Verbindungen abgeschiedene Schwefel zeigte einen con- stanten Zustand, der unalshangig war von dem urspriing- lichen Zustande.

111. Nach Feststellung dieser l ha t sachen kaiiti man versuchen die Zustiinde des Schwefels mit der Katur seiner Verbindungen in Vergleich zu bringen. Ich habe unter verschiedeneri Bedingungcn SchwTefel dargestellt, welcher folgende Eigenschaften besass :

1) Schzoefel dar,qesteZlt (lurch d ie elelitrisehe Slide. Wenn man durch die SBule eine wasserige Liisung von Schwefel- wasserstoff zersetzt , so scheidet sich a m positiven Pole in Schwefelkohlenstoff vollkommen loslicher urid krystal- lisirbarer Schwefel ah.

hus wasseriger schwefliger SBure und aus Schwefel- sauremonohydrat erhalt man durch Electrolyse am nega- tiven Pole amorphen und in Schwefelkohlenstoff unloslichen Schwefel.

2) Schwefel durch Zersctzztng eker Schwefelvorbinduny. Der durch freiwillige Zcrsetzung des Rasserstoffpolysulfurets (bereitet mit einem reinen hlkalipolysulfur) und des Cal- ciumpolysulfurs abgeschiedene Schwefel ist vollkommen unloslich in Schwefelkohleiistoff und krystsllisirt in Octag- dern. Dieselbe Eigenschaft besitzt der durch Siiuren aus reinem Katrium - oder hmmoniumpolysulfuret abgeschie- dene Schwefel. In allen diesen Verbindungen spielt der Schwefel die Rolle eines Vert)renners, elektronegativen Elements.

Dagegen erhiilt man aniorphen, unloslichen Schwefel durch Zersetzung mittelst Wasser oder Chlorwxsserstoffsaure der folgeriden Verbindungen : unterschwefligsaures Natron, trithionsaures Kali , tetrathionsaures Natron , Pentathion-

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sRure, Chlorschwcfcl, Chlor~chwefelkolile~istof~ Bromschwe- fcl und Jodschwefel. In allen diesen VelCindungen spielt der Schwefel die Rolle eines yerbrennlichen , electroposi- t iv en El ern en t s.

3) Sclwefel dirrch t i~echse lw ' t ip brsetzu.i ig des SchmefeP loasserstofs mittelst Schzuefelrci'rrre orlei, sclimefliger Sdure erhal- lett. Dieser Schwefel ist Lhnlich dem aus Thionverbin- dungen oder aus Chlorschwefel erhaltenen. Die Thion- sauren entstelien hekanntlich durch Reaktion der schwef- ligen Saure auf Schwefelwssserstoff und durch Zersetzung des Chlorschmefels. Der unter diesen Tlmstiinden gebil- dete Schwefel kann als durch unvollkommene Oxydation ab- geschieden betrachtet wertlen, ubercinstimmend niit Thatsa- chen, welche ich spater anfiihren werde.

4) Sc hwefel u.iiter osyrliretitlerL Lhtsluwttex dargestellt. Wenn man Schwefelwasserstoff oder Schwefelkohlenstoff unvoll- kommen verbrennen lasst , SO erhalt man amorphen uncl unliislichen Schwefel. J ede Schwefelverbindung, welche fahig ist Schwefel zu liefern, (Thionverbindungen , Schwe- felxasscrstoff, Qolgsulfiire von Wasserstofl' oder Ammoni- um, Sulfurc von Arscnik, Kupfer), gibt beim Behandeln mit rauchender Sslpetersaure amorphcn Schw-efel der sta- hilsten VarietBt. Amorpher Schwefcl entsteht auch bei Einwirkung von Schwefelwasserstoff auf schwefelsaures Ei- senoxyd und eine Mischung \-on doppelt chromsaurem Kali urid Schwefelsaure.

Die Bildung des elektropositiven oder verbrennbaren Schwefels unter oxydirenden L~mstanden ist auffallend; sie heweist, dass der Schwefel iinEnlstehungsmomente den Zu- stand annimmt, welchen er in der oxydirten Terbindung besitzt, die sich xu hilden strebt.

Diese Thatsache s teht ganz in Einklang mit den ver- schiedenen Contactwirkungen, welche ich ohen bei den Zustanden des Schwefels eAv5hnt habe. In der That wer- den durch Einfluss des Chlorschwefels, Bromschwefels, des Jods, der Salpetersaure, welche alle (lurch Contact wir- kende Korper sind, die verschiedenen VarietHten des amor- phen Schwefels umgewanddt in die stahilste aller Arten, d. h. in diejenige, welche sowahl in dem Chlorschwefel und

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Bromschwefel, als auch in der Schwefelsaure, die sich unter dem oxydirenden Einfluss der Salyeterslure bildet, zu pra- existiren scheint.

Unter dein Einfluss der Alkalien dagegen und der Schwe- felalkalien oder des Schwefelwasserstoffs, Substanzen, von deneri die einen den Schwefel als Verbrenner enthalten, und die andcren dahin streben. ihm diese Bolle spielen zu lassen, werderi die verschiedenen Varietaten des amor- phen Schwefels durch Contactwirkung umgewandelt in den Zustand des octaedrischen Schwefels oder des electrone- gativen Verbrenners. Man wird die Beziehungen be- merken, welche diese Thatsachen zwischen den Contact- wirkungen und den elektrischen Zustiinden der Korper feststellen. Es ist bekannt, dass der elektrische Sauer- stoff oder das Oxon, unter dem Einfluss des Phosphors urid verschiedener sehr oxydirbarer Korper entsteht; er giebt zu ahnlichen Bemerkungen Anlass. In allen angefuhrten Fallen scheinen der modificirende und der modificirte Kor- per, in Folge der chemischen Erscheinung, welche sie her- vorzubringen streben, entgegengesetzte electrische Zustande anzunehmen, woraus die Contactumwandlunpen des Schwe- fels und des Sauerstoffs hervorgehen.

Die Interpretation dieser Erscheinungen wird noch verstarkt durch verschiedene Beobachtungen bezuglich der ungleichen Leichtigkeit , mit welchen die vertchiedenen Arten des Schwefels sich mit den Metallen und mit andereii Substanzen vereinigen. Ich erwahne namentlich folgende Beobachtung : Der electropositive Schwefel lost sich leicht und schnell in doppelt-schwefligsaurem Kali, wahrend der octaedrische oder electroriegative sich darin nur ausserst langsam und, in sehr geringer Nenge lost. Die hiebei entstehehde Verbindung aber ist trithionsaures Kali, wel- ches dem electropositiven Schwefel entspricht.

-411e diese Thatsachen f*ren zu demselben allge- meinen Schlusse, dass namlich die Zustande des freien Schwefcls an die Rolle gekniipft sind, welche er in seinen Verhindungen spielt. Diese verschiedenen Umstande , ich wiederhole es , kijnnen zuriickgefuhrt werden auf zwei Fundamentalvarietaten , welche den doppelten Rollen des

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Schwefels entsprechen. Spielt der Schwefel die Rolle des electronegativen Elementes oder Verbrenners, analog dem Chlor oder dem Sauerstoff, so hat er dieForm des krystal- lisirten, octaedrischen Schwefels nnd ist loslich in Schwe- felkohlenstofl. Im anderen Falle, wenn er die Bolle des electropositiven oder verbrennlichen Elements spielt, ahn- lich detn Wasserstoff und den Netallen, nimrnt er die Form des amorphen in den eigentlichen Lijsungsmitteln unlosli- chen Schwefels an.

Diese Ueobachtungen liefern ein neues Beispiel der Beziehungen , welche zwischen den chemischen und den electrischen Erscheinungen bestehen. Sie legen dar, dass ein einfacher Korper unter dein Einfluss electrischer Krafte, welche in dem Augenblicke wirken. mo der Korper frei wird, mehrfache hleibende Zustgnde annehmen kann.

Die Bildung des Ozons (electronegativen SauerstofTs ?), fast alle dem Entstehungszustande zugeschriebene That- sachen und viele durch Contactwirkung hervorgebrachte Erscheinungen hahen ohne Zweifel analoge Ursachen. Der Schwefel aber stellt einen der vollkoinmensten und best charakterisirten Typus dieser Art von Erscheinungen dar.

Nicht weniger auffallend ist die Analogie zwischen den genannten Zustanden dcs durch Wiirme veriinderten Schwefels und denen, welche er durch Einfluss der Elec- tricitgt annimmt. Hier zeigt sich ein neuw Band, das um so wichtiger ist, als es sich auch beim Studium einer andern einfachen Snbstanz , den? Selen findet, und viel- leicht selbst bei dem Phosphor, wie ich versuchen werde, zu zeigen.

IT7. Die Eigenschaften, welche den Schwefel dem Selen niihern, sind bekannt : diese ztvei einfachen Korper bilden analoge und oft isomorphe Verbindungen. Auch finden sich diese Aehnlichkeiten selbst in den Modificationen wieder, welche das Selen unter dem Einfluss der Warme annimmt und in der Existenz verschiedener Varietatea des Selens. Man unterscheidet krystallisirbare, amorphe, in Schwefelkohlenstoff' losliche und unlosliche Varietiiten (Hi t- t o r f, M i ts c h e r l i c h, R e g n a u l t). Ferner ist hekannt, dass das &us den Verbindungen abgeschiedene Selen nicht

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ininier dieselben Eigenschaften besitxt: so ist z. B. das aus den Selenalkaliverbindungen erhaltene Selen lirystal- lisirhar, wahrend das aus der selenigen SBurc erhalterie amorph und glasig ist. Ohne in das Detail dieser ver- schiedenen, noch wenig bekannten Thatsachen niiher ein- zugehen, begniigte ich mich damit die Selenwasserstoffsaure und die selenige SIure durch die Saule z u zersetzen, um das Selen einerseits am positiven, andererseits am nega- tiven Pole zu erhalten.

Das am positiven Pole bei Zersetzung der Selenwas- serstoffsaure abgeschiedene Selen ist vollstandig oder fast volllrommen liislich in Schwefelkohlenstoff, wlhrend das durch Electrolyse der selenigen Saure am negativen Pole ab- geschiedene Selen grossentheils unlijslich ist und selhst der anfangs geloste Theil durch blosses Verdampfen bald wieder unloslich wird, beiriahe wie der Schwefel der un- terschwefligsauren Salze.

Diese Thatsachen sind denen ganz ahnlich, welche man bei Electrolyse dcr Sfuren des Schwefels beobachtet hat ; sie beweisen also die Existenz zweier Varietaten des Selens , einer electropositiven und einer electronegativen.

Die verschiedenen ZustRnde , welche der Phosphor unter dem Einflusse der Wiirrne annimmt, dcr rothe, amorphe, in Schwefelkohlenstoff unlosliche (Schrotter) und der weisse, krgst.allisirbarc und losliche sind gleichfalls ahnliche Zustande, wie die, welche cler Schwefel unter denselben Einfliissen annimmt. Leider kann man, wegen accessorischer Umstgnde den Phosphor nicht durch Electro- lyse aus den Verbilldungen abscheiden, in denen er eine an- tagonistische Kolle spielt. Man muss aber bedenken, dass der rothe Phosphor entsteht durch Einfluss von Jod. Brom und Chlor, sowie bei Einwirkung des Phosphorwas- serstoKq auf Chlorphosphor oder bei unvollstiindiger Ver- brennung des Phosphors und des Phosphorwasserstoffs. Diese Bedingungen sind aber ganz ahnlich einigen von denen, unter welchen der amorphe. electropositive Schwefel entsteht. Noch ist zu bemerlien, dass die Verbrennungs- warme des rothen Phosphors und die des amorphen Schwe-

fels heziehungsweise geringer ist , als die des weissen Phosphors und ctes octakdrischen Gchwefels (Fmre.1

Nach diesen verschicdenen Erschcinungen wird man darauf gcfuhrt, mit ciniger Wahrscheinlichkeit den rothen, amoryhen, unloslichen Phosphor als das Analogon des electropositiven, amorphen und unlfslichen Schwefels zu hetrachten J den weissen, krystallisirbaren. loslichen Phos- phor dagegen als cfas Analogon des electronegativen, Ids- lichen, krystallisirharen Schwefels.

Bis zu wclcheni Punkte qich nun diese Analogien er- strecken zwischen den Zustiiiiden des Schwefels, Selens, Phosphors uncl selhst des Sauerstoffs und den verschie- denen Zustiinden, wclche man hei den meisten 3'Ietalloi'den nnd namentlich hei dem Kohlenstoff, Bor und Silicium kennen gelernt hat , ist eirie bis jetzt nicht z u lasende Frage. Ich will nur bernerlren. dass der krystallisirte Koh- lenstoff arnorph unter dem Einflusse des electrischen Funkens wird und dass der aus Eisencarbur sich abscheidende Koh- lenstoff krystallisirt ist, Erscheinungen die bis zu einem gewissen Punkte analog denen sind, welche der Schwefel darbietet.

Diese Fragen sind uni so schwieriger, als die meisten einfachen Korper, nicht wie der Schwefel, aus ihren Ver- hindungen durch schwache und zu regelnde Wirkungen abgeschieden werden konnen und nicht fahig sind leicht verschiedene und scharf von einaniler unterscheidbare Zu- stznde anzunehmen. Andererseits spielen nicht alle zwei gut hestimmte antzgonistische Rollen und scheinen auch nicht alle fiiliig zu sein im freien Zustande in mehreren permanenten Gleichgewichtszustiinden auftreten zu konnen.

Dies sind aber die Zustande, welche der Untersuchung des Schwefels ein ganx hesonderes Tnt,eresse verleihen.

Freier Schwefel, Sauerstoff, Phosphor, freies Selen zei- gen sich in niehreren Zustiintlen, welche verschiedene phy- sikalische und chemische Eigenschaften besitzen , und ich glauhe, besonders fur den Schwefel gczeigt zu haben, dass diese Zustande auf die verschiedenen chemischen Func- tionen, welche der einfache Korper in seinen Verhindun- gen erfullt, bezogen werden konnen.

205 I’crsoniie. Ueher deli rotheii oder amorphen Phosphor.

In einer vorstehender Abhandlung beigefugten Notiz bemerkt Ch. S a i n t e - C l a i r e D e l - i l l c , dass er schon in friiheren Arbeiten, die er 1845 und I850 der Akademie vorgelegt habe und die in einer ausfiihrlichen Arbeit Arb- nnles de Chim. et de Ph!ys. 3. ser. t . X L V I I . niedergelegt sind. nachgewiesen habe, dass unter den vier Zustanden des Schwefels, dem octaedrischen, prismatischen, dem weichen Schwefel und dem unloslichen nur der octaedrische und der unlosliche Zustand stabil sind. (S. d. J. Bd. LVI. p. 359 und 363.)

XXXI. Ueber den rothen oder amorphen Phosphor.

vou J. Personne.

(Comnpt. rend. 1657. t . XLl V. (No. 3.) p . 113.)

Wirkintg dw Liift. Der rothe Phosphor verhindet sich in Form dicker Stucke der Luft ausgesetzt bei gewohnli- cher Temperatur nicht merkbar mit Sauerstoff, dagegen absorbirt er im fein vertheilten Zustande, wie er im Han- del vorkommt, bei gewohnlicher Temperatur, Sauerstoff &us der Luft, wie der gewohriliche Phosphor und wandelt sich in eine phosphorige und Phosphorsaure enthaltende Fliissigkeit um; dabei beobnchtet man im Dunkeln kein Leuchten. Die Gegenwsrt von Wasser erleichtert diese Oxydation sehr. So prhalt man durch tagliches Begiessen von auf einem Filter hefindlichen rothen Phoqphor rnit Wasser taglich neue Quantitiiten einer sauren Flussigkeit, welche Silhersalpeter schwarz fallt. In unvollkommen verschlossenen Gefassen kann daher der zertheilte nmorphe Phosphor nicht unverandert aufbewahrt worden, er wird feucht und ist ofters mit saurer Flussigkeit getrankt. Der amorphe Phosphor in Stiicken, verhalt sich ebenso in