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445 Ober die Chromosphfirentheorie yon A. Unsbld. Von Wilhelm Anderson in Dorpat. (Eingegangen am 17. November 1927.) Vor kurzem hal A. UnsSld eine neue Theorie der 0hromosphgre entwiekelt. Gegen diese Theorie werden einige Einw~nde erhoben. Im Zusammenhang damit wird aueh die Chromosph~rentheorie yon E. A. Milne elner Kritik unterzogen. Vor kurzem hat Kerr A. UnsSld eine Theorie entwickelt, wonach der Druek in der Chromosphere etwa 17.10 -s Arm. betragen soll* Andererseits mfisse man, um den riehtigen Intensitgtsverlau[ der Calcium- linien zu erhalten, fiber 1 qcm Sonnenoberfi~ehe 4,51.1019 Ca+-Atome annehmen, was zu einem Druck yon 5.10 -s Arm. ~[ihrt**, in gu~er [~bereinstimmung mit dem oben erw~hnten Druek. Gegen eine solche Annahme kann folgender Einwand gemacht werden: R. H. Fowler und E. A. Milne nehmen an, da~ die Photo- sph~rentemperatur 60000 betrage und die Breite der K-Linie 10 ~_ sei. Dann ergibt die Planeksehe Formel ffir diese Strahlung etwa 3.107 Erg cm-2sec -~. Nimmt man eine gleiehe Zahl aueh fiir die H-Linie an und zieht dann in Betraeht, dal3 die Strahlung aus einem Raumwinkel von 2 ~ kommt, so gelangt man zu dem Schlul], dal] dureh selektiven Strahlungsdruck hSehstens 2,4. 10-Sg. era-2 aufgewogen werden kann. Dies ~fihrt zu elnem durchsehnit~liehen Druck yon etwa 5.10 -13 Arm. in der Chromosphere***. Fowler und Milne bemerken aber dazu, da~ f[ir die eigentliche Chromosphere die oben erw~ihnte Linien- breite vlel zu hoch angesetzt sei. In einem anderen Artike] h~lt Milne 0,1 A fiir der Wahrhei~ n~her, wenn man die hSheren Chromosph~ren- schiehten in Betracht zieht ****. Dann mu~ a ber auch die dureh den selek~iven Strahlungsdruck getragene maximale Masse entsprechend kleiner angenommen werden. Wenn nun UnsS]d 4,51. 10 ~9 Ca+-Atome fiber jedem Quadratzentimeter Sonnenober[lache annimmt, so entspricht dies etwa 0,003g.cm -2. Dies ist sehr viel mehr, a]s dureh selektiven Strahlungsdruek fiberhaupt getragen werden kann. * ZS. f. Phys. 44, 806, 1927. ** Ebenda, S. 798. *** ~ionthl. Not. Roy. As~r. Soc. ~.% 418, 1993. "**** Ebenda 8•, 739, 19~5.

Über die Chromosphärentheorie von A. Unsöld

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Ober die C h r o m o s p h f i r e n t h e o r i e y o n A. U n s b l d .

Von W i l h e l m Anderson in Dorpat.

(Eingegangen am 17. November 1927.)

Vor kurzem hal A. UnsSld eine neue Theorie der 0hromosphgre entwiekelt. Gegen diese Theorie werden einige Einw~nde erhoben. Im Zusammenhang damit wird aueh die Chromosph~rentheorie yon E. A. Milne elner Kritik unterzogen.

Vor kurzem hat Kerr A. U n s S l d eine Theorie entwickelt , wonach

der Druek in der Chromosphere etwa 1 7 . 1 0 - s Arm. betragen sol l*

Anderersei ts mfisse man, um den riehtigen Intensi tgtsverlau[ der Calcium-

linien zu erhalten, fiber 1 qcm Sonnenoberfi~ehe 4,51.1019 Ca+-Atome

annehmen, was zu einem Druck yon 5 . 1 0 - s Arm. ~[ihrt**, in gu~er

[~bereinstimmung mi t dem oben erw~hnten Druek.

Gegen eine solche Annahme kann folgender Einwand gemacht

werden:

R. H. F o w l e r und E. A. M i l n e nehmen an, da~ die Photo-

sph~rentemperatur 60000 betrage und die Breite der K - L i n i e 10 ~_

sei. Dann ergibt die P l a n e k s e h e Formel ffir diese Strahlung etwa

3 . 1 0 7 Erg c m - 2 s e c -~. Nimmt man eine gleiehe Zahl aueh fiir die

H - L i n i e an und zieht dann in Betraeht, dal3 die Strahlung aus einem

Raumwinkel von 2 ~ kommt, so gelangt man zu dem Schlul], dal] dureh

selektiven Strahlungsdruck hSehstens 2,4. 1 0 - S g . era-2 aufgewogen

werden kann. Dies ~fihrt zu elnem durchsehnit~liehen Druck yon etwa

5 . 1 0 -13 Arm. in der Chromosphere***. F o w l e r und M i l n e bemerken

aber dazu, da~ f[ir die eigentliche Chromosphere die oben erw~ihnte Linien-

breite vlel zu hoch angesetzt sei. In einem anderen Ar t ike] h~lt M i l n e

0,1 A fiir der Wahrhei~ n~her, wenn man die hSheren Chromosph~ren-

schiehten in Betracht zieht ****. Dann mu~ a ber auch die dureh den

selek~iven Strahlungsdruck getragene maximale Masse entsprechend kleiner

angenommen werden. Wenn nun U n s S ] d 4 ,51 . 10 ~9 Ca+-Atome fiber

jedem Quadratzent imeter Sonnenober[lache annimmt, so entspricht dies

e twa 0 , 0 0 3 g . c m -2 . Dies is t s e h r viel mehr, a]s dureh selektiven

Strahlungsdruek fiberhaupt getragen werden kann.

* ZS. f. Phys. 44, 806, 1927. ** Ebenda, S. 798.

*** ~ionthl. Not. Roy. As~r. Soc. ~.% 418, 1993. "**** Ebenda 8•, 739, 19~5.

446 Wilhelm Anderson,

Andererseits fiihrt aber auch Milnes Annahme eines durehsehnltt-

lichen Druckes yon etwa 5 . 1 0 -1~ Arm. in der Chromosphare zu bedenk-

lichen Konsequenzen. Unter diesem Druck und bei 5740 ~ muff das Ver-

haltnis Ca+/Ca ++ etwa 10 - 5 betragen. Nattirlich kann ein solches Gas-

gemiseh nieht yore selektiven Strahlungsdruek getragen werden*. Bei

50000 ware das Verh~iltnls Car ++ gleieh e~wa 4 ,7 .10 -~, und bei

4500 o gleich etwa 0,013. Aueh solche Gemisehe k~nnen nieht yore

selektiven Strahlungsdruck ge~ragen werden.

Fiir die hiiehsten Schichten der Chromosphare wird man elne noch

tiefere Temperatur annehmen miissen (wohl etwa 4000~ daftir aber aueh

eincn betrachtlich tieferen Druck. J. E v e r s h e d schatzt die durch-

schnittliche H5he der Chromosphare auf etwa 8000km. ~ber der eigent-

lichen Chromosphere befinde sieh ,,a very faint aura of Ca + ", welche his 14000kin reiehen mSge**. Natiirlieh wird der Partialdmek der Ca +-

Atome in der ,,aura" welt geringer sein als in den tieferen Chromo-

spharenschichten. Setzt man in S a h a s Formel p ~---10 -14 Arm. ~- 10 - s Dyn. em -2 (was fiir das Geblet der ,,aura" eher zu viel als zu

wenig sein diirfte) und T ~ 4000 ~ so erhalt man fiir Ca+/Ca ++ etwa

0,016. Auch dies Gasgemisch kann yore Strahlungsdruck nicht getragea

werden. Beilaufig sei hier auch noch eine Untersuehung yon S. R. P ike

erwahnt, welcher zu dem Sehluf kommt, daft in den hachsten Chromo-

spharensehlchten der Wasserstoff stark ionislert sein mfisse. Bei der

Berechnung des Ionisationsgrades glaubt P ike , die Temperatur gleich

60000 annehmen zu miissen: ,we choose 60000 because the mechanism

of ionisation is almost entirely photoelectric at such pressures" ***. Ich glaube jedoch, dal] eine solche Annahme nicht ganz riehtig ist. Beim

selektiven Strahlungsdruck in den ~uBersten Chromospharensehichten ist

nieht die Helligkeit des unverdunkelten Photospharenspektrums maff-

gebend~ sondern aussehlie~lich die Helligkeit der in Betracht kommenden

Fraunhofe r schen Linien, welche nach J. Q. S t e w a r t einer Tcmperatur

yon etwa 40000 entspricht****.

Aber selbst wenn man armehmen wollte, dal~ in den h(ichsten Schichten tier Chromosphare die doppelte Ionisation des Calciums, sowie

die Ionisation des Wassersto~fs und des Heliums (andere Gase kommen

* Naeh Unsald ist n~imlieh beim Ca+-Atom der selektive Strahlungsdruek 1,64real gr50er als die Gravitation (1. e. S. 806). Der selektive Strahlungsdruek ~uf das Ca++-Atom ist dagegen unmerklich klein.

** Observatory 48, 146, 1925. *** Monthl. Not. Roy. Astr I Soc. 87, 60, 1926.

**** Nature 113, 388, 1924.

~lber die Chromosph~entheorie von A. UnsSld. 447

~iir die hiichsten Schiehten der Chromosphare wohl kaum in Betracht) gering sei, so waren doch noeh nicht alle ttindernisse iiberwunden.

J. W o l t i e r iun. hat aus der Helligkeit der inneren Korona be- rechnet, dab dor~ durchschnittlich etwa 4,.7.107 Elektronen pro Kubik- zentimeter vorhanden sein miissen*. An der ,Basis" der Korona, d. h. an ihrer Grenze mlt der Chromosphare, kann die Elektronendichte

natfirlich nieht kleiner seln. Nehmen wlr die Temperatur deft gleich 4000 e und die Elek~ronendich~e gleich 4 ,7 .10 ~ an, so erhal~en wlr etwa 2 ,55 .10 -11 A~m. Dies ware also der Partialdruck tier Elektronen an

der Grenze zwischen Korona und Chromosphare. Ich habe in einem frfiheren Artikel aus der K0ronahelligkeit berechnet, daft an tier Basis der Korona etwa 1,938. l07 Elektronen pro Kubikzentimeter vor- handen sein miissen *% Bei 40000 ergibt dies einen Druek von etwa 1 ,05.10 -11Arm. Wir sehen also, da~ der Partialdruck tier Elektronen an der oberen Grenze der Chromosphare wohl kaum weniger als 10 -11 Arm.

betragen kann. Dies ist aber unvereinbar mit Mi lnes Theorie, wonach der erwahnte Partialdruck yon der Griil]enordnung 10 -13 Arm. (oder sogar noch wenlger) sein mii~te. Auf dlesen Widerspruch zwischen den Berechnungen von W o l t ] e r und yon Mi lne habe ich bereits ~rfiher hingewiesen ***

Einen Ausweg aus dlesen Schwierigkeiten bietet die Hypothese yon A r t h u r S c h u s t e r , wonach in der Chromosphare ein sehr grol3er Uberschul3 an Elektronen vorhanden ist****. Der Partialdruek des

Elektronengases mug in den hSheren Chromospharenschichten fiber 100real griil]er sein als der Par~ialdruck aller tibrigen Gase zusammengeuommen. Danu hindert uns niehts, ftir die hSheren Chromospharenschichten den

Partialdruck der Ca§ mit Milne gleieh 1 0 - ~ A t m . (oder noch weniger) anzunehmen: der relativ hohe Partiaidruek des Elektronengases (fiber 10 - n Arm.) wiirde eine iiberma~ige dotopelte Ionisation des Cal- ciums verhindern.

Der grol~e Uberschul] an Elektronen mull zu einer grol]en negativen Raumladung der Chromosphare fiihren. Dann mull aber dort ein so

grol]es elek~rostatisches Feld en~stehen, dal~ ein Gleichgewich~ der Chromo- sphare seheiubar unmiiglich ware. Zur Umgehung dieser Schwierigkeit nehme ich an, dull in der Chromosphare eine dem Ramsauer-Effekt

* Bull. Astr. Inst. of the Netherlands 3, 164, 1926. ** ZS. f. Phys. 41, 66, 1927.

*** Ebenda 41, 79f., 1927. **** Nature 78, 662f., 1908.

448 Wilhelm Anderson, (lber die Chromosphitrentheorie v0n A. Uns51d.

analoge Erscheinung zustande kommt, wodurch das gewaltige elektr0- statisehe Feld der Chromosphare ,langsamen" Elektronen gegentibe r wlrkungslos (oder beinahe wirkungslos) wird. Eine ahnliehe Hypothese habe ieh in einem friiheren Artikel aueh hinsichtlich der Korona auf-

gestellt *. Weiter miiehte ieh noch erwiihnen, dab Uns( i lds Gleiehung (25)

nur fiir nieht zu kleine Werte yon p zulassig ist ; fiir p = 0 wird diese Gleichung gr(iblich falsch. Auf Glelchung (25) bernh~ abet Gleiehung (31);

also wird aueh letztere bei p ~ 0 gr(iblieh falseh. Darum scheint es mlr unzulassig zu sein , dab Unsi i ld bei seiner Chromosph~renunter- suehung den Wert der Oleichung (31) fiir p = 0 in Betracht zieht**.

U n s S l d nimmt an, daft die Ca+-Atome durch den Lichtdruck zuerst emporgehoben werden, bis ihre Ionisation eintritt, wonach sie als Ca ++- Atome wieder niedersinken, bis sie e i n neues Elektron einfangen, yore Lich~druek als Ca+-Atome wieder emporgehoben werden usw. Eine

solche Ansicht hat unabh~ngig yon Uns( i ld auch P. A. T a y l o r ge- aul~ert***. Ich finde aber, dab die Protuberanzentheorie yon E. A. Mi lne damit schwer zu vereinigen ist. Mi lne nimmt an, dab in den Protu- bera~zen die Ca+-'Atome durch den selektiven Strahlungsdruck ungeheure Geschwlndlgkeiten (bis 1600 kin. sec -1) erhalten****. Naeh Unsi i ld und

T a y l o r mug man dagegen erwarten, dag die Ca+-Atome, noch lange bevor sie solche Gesehwindigkeiten erhalten kSnnten, ionisiert und als

Ca++-Atome dem Strahlungsdruck entzogen werden. Zum Schlul} mSchte ich noch erwahnen, da$ Mi lnes Chromospharen-

theorie mit dem Verhalten der Heliumlinien sehwer in Einklang zu

bringen ist. Ieh babe darauf in einem frtiheren Artikel bereits hln-

gewiesen t"

D o r p a t , 14. November 1927.

* Z8. f. Phys. 41, 58--63, 1927. ** 1. e. S. 806.

*** ~onthl. Not. Roy. Astr. 8oc. 87, 3. Fuflnote za S. 616, 1927. **** Observatory 49, 183, !926.

"~ ZS. f. Phys. 85, 772, 1926.