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Berthelot: Geistige Giihrung. 321 LIX. Ueber die geistige Gahruiig. Von Berthelot. (Compr. rend. 185% 1. XZIV. (AVO. 11.) p . 702.) Die grossen Aehnlichkeiten , welche die sogenannten Zuckerarten mit denjenigen neutralen Karpern besitzen, die man als polyatomische Alkohole betrachten kann, wie das Glycerin, der Mannit etc., brachten mich auf den Ge- danken, zu versuchen, oh es nicht moglich wLe, bei dem Glycerin , dem Mannit etc. dieselhen Erscheinungen der Gahrung, und besonders der geistigen Gahrung hervorzu- rufen, wie hei den sogenannten Zuckerarten. Die Versuche bestatigten dies. Es gelang mir, das Glycerin, den Mannit, das Dulcin, das Sorhin direct in Gahrung zu versetzen und Alkohol uiid Kohlensaure aus ihnen zu bilden. Nur entwickelt sich h i der Gahrung dieser Korper auch Wasserstoff und es ist dies eine Folge ihrer Zusammensetzung, in der sie sich von dcn sogenannten Zuckernrten dadurch unterscheiden, dass sie Sauerstoff und Wasserstoff nicht in den1 Verhaltniss enthalten, wie beide im Wasser vorhanden sind, sondern stets einen Ueberschuss an Wasserstoff zeigen, der ihnen vielleicht ihre grossere Stahilitat verleiht. Ich habe ferner auch die Milchsiure- gahrung und die Buttersauregahrung bei einigen dieser Suhstanzen hervorrufen kiinnen. 1st auch das Resultat dieser Versuche analog dem hei der geistigen Gahrung der Zuckerarten, so sind doch die Bedingungcn, welche sie hervorrufen , yon denen sehr verschieden, welche bei Zucker nothig sind. Es ist theils die dazu nothige Zeit eiiie vie1 Iangere, thcils wird die Gahrurig durch andere Agentien hervorgerufen (kohlen- saurer Kalk und Case’in). Andererseits geht der Bildung des Allrokols unter diesen Umstaiiden nicht eine Umwand- lung des Glycerins, Marinits etc. in sogenarinten Zucker lourti. 1. pkt. Chernie. LXXI. 6. 21

Ueber die geistige Gährung

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B e r t h e l o t : G e i s t i g e G i i h r u n g . 321

LIX. Ueber die geistige Gahruiig.

Von Berthelot.

(Compr. rend. 185% 1. XZIV. (AVO. 11.) p . 702.)

Die grossen Aehnlichkeiten , welche die sogenannten Zuckerarten mit denjenigen neutralen Karpern besitzen, die man als polyatomische Alkohole betrachten kann, wie das Glycerin, der Mannit etc., brachten mich auf den Ge- danken, zu versuchen, oh es nicht moglich wLe, bei dem Glycerin , dem Mannit etc. dieselhen Erscheinungen der Gahrung, und besonders der geistigen Gahrung hervorzu- rufen, wie hei den sogenannten Zuckerarten.

Die Versuche bestatigten dies. Es gelang mir , das Glycerin, den Mannit, das Dulcin, das Sorhin direct in Gahrung zu versetzen und Alkohol uiid Kohlensaure aus ihnen z u bilden. Nur entwickelt sich h i der Gahrung dieser Korper auch Wasserstoff und es ist dies eine Folge ihrer Zusammensetzung, in der sie sich von dcn sogenannten Zuckernrten dadurch unterscheiden, dass sie Sauerstoff und Wasserstoff nicht in den1 Verhaltniss enthalten, wie beide im Wasser vorhanden sind, sondern stets einen Ueberschuss an Wasserstoff zeigen, der ihnen vielleicht ihre grossere Stahilitat verleiht. Ich habe ferner auch die Milchsiure- gahrung und die Buttersauregahrung bei einigen dieser Suhstanzen hervorrufen kiinnen.

1st auch das Resultat dieser Versuche analog dem hei der geistigen Gahrung der Zuckerarten, so sind doch die Bedingungcn, welche sie hervorrufen , yon denen sehr verschieden, welche bei Zucker nothig sind. Es ist theils die dazu nothige Zeit eiiie vie1 Iangere, thcils wird die Gahrurig durch andere Agentien hervorgerufen (kohlen- saurer Kalk und Case’in). Andererseits geht der Bildung des Allrokols unter diesen Umstaiiden nicht eine Umwand- lung des Glycerins, Marinits etc. in sogenarinten Zucker

lourti. 1. p k t . Chernie. LXXI. 6. 21

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voran. Diese Beobachtungen fuhrten mich aber auch darauf, zu versuchen, oh diese von der Anwendung der Bierhefe so sehr verschiedenen Bedingurigen vielleicht die allioho- lische Gahrung auch bei den sogenannten Zuckerarten, bei dem Milchzucker und den verschiedenen Substanzen, welche durch Sauren in Zuclrer urngewandelt werden, wie z. 13. Gummi uncl Starke, zur alkoholischen Gahrung veranlassen. Die alkoholischc Gahrung bei Milchzucker, Gummi und Stiirke ist nicht von einer Urn~vandlung clieser Tciirper in sogenannten Zuclrer begleitet; es scheint daher diese Gah- rung eine directe z u sein, ebenso gu t wie die des Mannits und des Glycerins.

Alle diese G~hrungserscheinungeii treten bei einer Temperatur ein, die unter 50° liegt, sie erfordern mehrere Wochen, ja selbst mehrere Monnte Zeit ; es entsteht dahei nicht alleii; hllrohol, sondern gleichzeitignoch mehrere andere Verhindungen. Ausserdem ist zur Gahrung nothwendig Wasser, die allgemeine Bedingung allcr Gihrungen, koh- lensaurer riallr und eiiie aticlrstoff haltige , thierische oder ahnlich e Subs t a n z .

Ohne kohlensauren Kallr bildet sich unter den ge- wohnlichen Umstiinden kein Alkohol aus Mannit, Glycerin etc. Rei GB.hrungsversuchen mit den eigentlichen Zucker- arten ist die Gegenwart von liohlensaurem Kalk nicht un- umganglich nothwendig; ist er aber vorhanden, SO zeigt er eiiien Einfluss auf die Erscheinungen und vergrossert die Menge des gebildetcn Alkohols. In diesen Versuchen scheirit der kohlensaure Kalk nuf die Weise zu wirlien, dass er die Flussigkeit, in urelcher sich sanre Yrodukte gebildet hahen, neutral erhalt und der Zersetzung des die Gahi-ung erregcnden sticlrstoffhaltigen Korpers, eine he- stiinmte R,ichtung giebt. Bei Wihrungsversuchen mit Glu- cose konnte ich den kohlensauren Kallr durch eine grosse Arlzahl anderer Korper ersetzen, welche dieselbe Rolle bei der Neutralisation spielcn, wie x. B. durch die kohlensauren Erden, durch verschiedene metallische Carbonate und Oxyde und selbst durch rcine Metalle. wie Eisen und Zink. Die meisten dicser Versuche wurden vergleichend mit Bierhefe angestellt,

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Besondere Aufmerksamkeit richtete ich auf die Kennt- niss des Fermentes. Dasselbe war im Bllgemeinen Case'in, es haben aber alle sticlistoffhnltigen Korper ahnlichcr Art dieselbe Wirkung. Meine hieriiber gemachten Untersu- chungen bestatigen friihere Versuche yon C o 1 i n iiber die Rolle dieser Korper bei der alkoholischen Giihrung des Zuckers. Keine anderen stickstoffhaltigen Substanzen, ausser den erwahnten , rufen dieselben Erscheinungen hervor.

Der Einfluss der stickstoff haltigen Korper beruht nuf ihrer Zusammensetzung, nicht auf ihrer Form; denn man erhalt dieselben Veranderungen mit den verschiedensten Substanzen und besonders mit dein Leim, welcher jeder eigentlichen Structur entbehrt. Die Entwickelung beson- derer Organismen ist durchaus nicht nothwendig. Man kann sie vermeiden, wenn man die Versuche bei Abschluss der Luft macht: die GLhrung wird dndurch weder er- schwert, noch verlangsamt. Es scheint daher die Ursache der Gahrung in diesen Versuchen nuf der chemischen Natur der Korper zu beruhen, welche die Rolle eines Ferments ubernehmen kiinnen und auf den successiveri Veriiiiderungen, welche deren Zusammensetzung erleiclet. Diese Verande- rungen sind noch wenig bekannt, aber sie wcrden durch eine charakteristische Erscheinung bewiesen, welche sich nicht bei der Wirkung der Bierhefe auf den Zucker zeigt. Wahrend sich der Mannit zersetzt, zcrsctzt sich auch die stickstoffhaltige Subslanz, ohne zu faulcn und verliert in Gasform fast ihren ganzen Stickst.off. Die Zuckerarten und die stickstoff haltigen Substanzen zersetzen sich demnach gleichzeitig und iiberi cinen gegeiiseitigeii sersetzenden Einfluss auf einander aus.

Von welcher Art dieses Doppelphanomen ist und in welcher Beziehung cs zu dcii Contactwirkungen steht, welchen letzteren die Wirkung der Bierhefe auf den Zucker SO ahnlich ist, ist bis jetzt noch vollstandig unbekannt. Nur wird man zur Annahme gefiihrt, dass die U'irkung der stickstoffhaltigen Substanzen und selbst die der Bierhefe nicht yon ihrer organischen Structur , sondern von ihrer chemischen Natur abhange, ebenso wie die Wirkung des

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Emulsin auf das Amygdalin, der Diastase auf die Starlre, des pankreatischen Saftes auf die iieutralen Fette ; oder wie sie stattfindet bei der Wirkung des Glycerins auf die Oxalsaure, der Schwefelsaure und electronegativer Korper auf Rohrzuclrer (Urnwandlung), auf den Alkohol (Aetherifi- cation) und auf dss Terpentinol (isomere Modification). Die Wirkung cier Diastase, des Emulsin, des pankreatischen Saftes konnte bis zu eiuem gewissen Punkte erklart werden, weil diese Korper i r n Zustand der Auflijsung wirlien, hei der Hefe ist dies riicht der Fall. Aher die analoge, obgleich minder herrortretende Wirksamkeit der stickstoffhaltigen Substanz thierischen Ursprungs , selbst bei Mange1 aller orgnnischen Structur und ohnc alle Bildurig lehender Wesen, nahert die alkoholische Gahrung den Gahrungserscheinun- gen, welche durch das Eniulsin, die Diastase und den pan- kreatischen Ssft hervorgerufen werden.

Ich will nun iiach einaiider die Versuche anfuhren, welche ich mit dem Mannit, Dulcin, Glycerin, Sorbin, Rohr- zucker, der Glucose, dern Milchzucker, Gummi, Starlre und verschiedeiien sticlcstoffhaltigen Korperri gemacht habe.

Kach allen angegebenen Thatsachen gehoren die soeben genannten liorper ausser den heiden letzten zu einer Klasse organischer Verbindungen, welche nicht nur durch ahnliche Zusammeiisetzung . physiknlische Eigenschsften und che- niischps Verhalteri. sondern auch durch die speciellen Ei- geiischaften chsrakterisirt sind , sich unter dem Einflusse stickstof'fhaltiger Permerite freiwillig zu zersetzen und Al- kohol, Milchsaure, Butterslure, Essigsiiure zu bilden. Diese Fahigkeit zu gahren, welche besonders ausgepragt ist bei der Glucose, meniger bei dem ltohrzucker und noch we- niger bei dem Milchzucker und clern Sorbin, ist immer um SO schwieriger in Thtitiglieit zu setzen, j e grosser der Ge- halt der Substanz an Wasserstoff ist, wie es bei dem Man- nit, Clem Dulcin und besonders bei dcni Glycerin der Fall ist. Diese der Warme und den Reagentien niehr wider- stehenden Substanzen zeigen auch gegen die sticlistoffhal- tigen Fermente eine grossere Bcstandigkeit; aber die ahn- lichen Urnwandlungen, w-elche sie unter diesem Einflusse

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erleiden konnen , rechtfertigen die Zusammenstellung mit den sogenannten Zuckerarten.

Wenn man bedenkt, class alle diese ahnlichen Korper in den Pflanzengeweben in reichlicher Menge, frei oder verbunden, vorhanden sind und dass sie sich den unlosli- chen Stoffen, welche das Geruste derselben bilclen, an- schliessen, so dsss die meisten Erscheinungen der Pflanzen- physiologie auf ihrer Umw~andlung xu beruhen scheineri, so ist es leicht begreiflich, von welchem Intercsse das Stu- dium ihrer Reactionen ist. Die Metamorphosen , welche sie durch die Gahrung erleiden, bietcn ein gsnz besonderes Interesse, wegen der Aehnlichlieit, welche zwischen diesen von der gewohnlichen Affinitat so verschiedenen Erschei- nungen und den cigentlichen Lebenserscheiniingen herr- schen. Indem man diese GShrringen willlruhrlich leitet und mittelst derselhen bestimmte chemische Umbildungen erzeugt, setzt man analoge Mechanismen in Thstigkeit, wie die sind, welchr die Metamorphosen in den lebenden Wesen bewirken.

LX. Ueber die Pyrogallussaure.

V O l l

Anton Rosing.

(Compf. rend. 1857. 1. XLIV, (No. 22.) p . 2149.)

(I. Abhandlung.)

Die reine PyrogallussLure ist neutral, wahrend die Saure des Randels sauer rcagirt durch das Vorhandensein fremder Substanzen. Sie kann hei aller Vorsicht nicht okne Veranderung suhlimirt werden, ein Theil xersetzt sich und giebt Metagallussaure und es konnte deshalh nicht die Dampfdichte der Suhstanz hestimmt werden. Die trockne I'yrogallussaure erleidet beltnnntlich keine Veranderung an