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304 Zeitschrift fur anorganische Chemie. Band 253. 1947 Uber die Sulfoxylsaure I. Teil Reaktionen des Diathylsulfoxylates und der Thioamine Von Margot Goehring Mit 2 Abbildungeri Die Sauerstoffsauren des Schwefels, die sich von seinen niederen Oxyden ableiten, sind bekapntlich in freier Form nicht bestandig. Wenn man das chemische Verhalten solcher Stoffe kennenlernen will, so kann man geeignete stabile Abkommlinge davon verseifen und die als Zwi- schenprodukt auftretende freie Saure mit rasch verlaufenden Umsetzun- gen abfangen. So haben wir versucht, die Reaktionen der Sulfoxylsaure S(OH),, zu studieren, nachdem wir sie aus ihrem Saurechlorid, SCl,, oder aus ihrem Saurerhodanid, S(SCN),, in Freiheit gesetzt hattenl). Wir nahmen dabei an, daB in erster Stufe die Umsetzungen: SCl2 + 2 H,O = S(OH), + 2 HC1 (1) bzw. S(SCN), + 2H,O = S(OH), + 2 HSCN (2) stattfinden konnten. Aber SC1, ist bekanntlich keine vollig stabile Ver- bindung, es unterliegt vielmehr schon bei Zimmertemperatur bis zu einem gewissen Grade einem Zerfall, z. B. im Sinne des Gleichgewichtes: 2 sc1, S,Cl, + c1, 2). (3) Dadurch werden bei der Hydrolyse und den Umsetzungen des Schwefel- dichlorids Nebenreaktionen verursacht. Ersetzt man das Chlor im SC1, durch das anionisch edlere Pseudohalogen Rhodan, so tritt die Umset- zung (2) stark zuriick gegeniiber Dissoziationsreaktionen wie den fol- genden: 2 S(SCN),--, S,(SCN), + (SCN),, (4) (5) S,(SCN),+ 2 S + (SCN), Schwefeldihalogenide sind nun bekanntlich2) kraftige Oxydationsmittel, I) M. Goehring u. H. Stamm, Z. anorg. allg. Chem. 250 (1942), 64; M. Goehring, Ber. Dtsrh. ?) Vgl. dam z. B. H. Spong, Journ. Chem. SOC. London 1933, 1547. 3, Nach den Rechnungen von M. Irautz, Z. Elektrochem. 35 (1929), 110, fur S,CI, Chem. Ges. 76 (1943), 742. mu13 man vielleicht auch mit der Bildung von Polyschwefelrhodaniden rechnen.

Über die Sulfoxylsäure. I. Teil. Reaktionen des Diäthylsulfoxylates und der Thioamine

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304 Zeitschrift fur anorganische Chemie. Band 253. 1947

Uber die Sulfoxylsaure

I. Teil

Reaktionen des Diathylsulfoxylates und der Thioamine Von Margot Goehring

Mit 2 Abbildungeri

Die Sauerstoffsauren des Schwefels, die sich von seinen niederen Oxyden ableiten, sind bekapntlich in freier Form nicht bestandig. Wenn man das chemische Verhalten solcher Stoffe kennenlernen will, so kann man geeignete stabile Abkommlinge davon verseifen und die als Zwi- schenprodukt auftretende freie Saure mit rasch verlaufenden Umsetzun- gen abfangen. So haben wir versucht, die Reaktionen der Sulfoxylsaure S(OH),, zu studieren, nachdem wir sie aus ihrem Saurechlorid, SCl,, oder aus ihrem Saurerhodanid, S(SCN),, in Freiheit gesetzt hattenl). Wir nahmen dabei an, daB in erster Stufe die Umsetzungen:

SCl2 + 2 H,O = S(OH), + 2 HC1 (1)

bzw. S(SCN), + 2H,O = S(OH), + 2 HSCN (2) stattfinden konnten. Aber SC1, ist bekanntlich keine vollig stabile Ver- bindung, es unterliegt vielmehr schon bei Zimmertemperatur bis zu einem gewissen Grade einem Zerfall, z. B. im Sinne des Gleichgewichtes:

2 sc1, S,Cl, + c1, 2 ) . (3) Dadurch werden bei der Hydrolyse und den Umsetzungen des Schwefel- dichlorids Nebenreaktionen verursacht. Ersetzt man das Chlor im SC1, durch das anionisch edlere Pseudohalogen Rhodan, so tritt die Umset- zung ( 2 ) stark zuriick gegeniiber Dissoziationsreaktionen wie den fol- genden: 2 S(SCN),--, S,(SCN), + (SCN),, (4)

( 5 ) S,(SCN),+ 2 S + (SCN), Schwefeldihalogenide sind nun bekanntlich2) kraftige Oxydationsmittel,

I) M. Goehring u. H. Stamm, Z. anorg. allg. Chem. 250 (1942), 64; M. Goehring, Ber. Dtsrh.

?) Vgl. dam z. B. H. Spong, Journ. Chem. SOC. London 1933, 1547. 3, Nach den Rechnungen von M. Irautz , Z. Elektrochem. 35 (1929), 110, fur S,CI,

Chem. Ges. 76 (1943), 742.

mu13 man vielleicht auch mit der Bildung von Polyschwefelrhodaniden rechnen.

M. Goehring. uber die Sulfoxylsaure. I 305

die z. B. Jodion zu Jod oxydieren konnen, und es war die Frage, ob solche Oxydationsleistungen von dem nach (3), (4) oder ( 5 ) entstandenen freien Halogen herruhrten, oder ob sie etwa der Sulfoxylsaure zuzu- schreiben seien. Diese Frage schien besonders deshalb interessant, weil man Abkommlinge der Sulfoxylsaure kennt, wie z. B. Rongalit oder Hyposulfit, die sich dadurch auszeichnen, daB sie starke Reduktions- mittel sind. Um die Umsetzungen der Sulfoxylsaure sicher kennenzu- lernen, war es daher wunschenswert, die Reaktionen solcher stabiler Abkommlinge zu untersuchen, die mit Sicherheit eine dem SCI, analoge Struktur besitzen, von denen Dissoziationsreaktionen wie bei den Halo- geniden aber nicht zu erwarten sind. Von solchen Stoffen, die sich zum mindesten formal von S (OH), ableiten lassen, sind bekannt die Saure- amide, z. B. S[N(C,H,),],, und der Athylester S(OC,H,),.

Oxydationsleistungen der Abkommlinge von S(0H) , Diathylsulfoxylat wurde zuerst von Meuwsen und Gebhardt4) aus

Diathylthiosulfit S,(OC,H,), dargestellt. Diese Autoren fanden, daB Diathylsulfoxylat schon durch molekularen Sauerstoff zu Diathylsulfit 0s (OC,H,), oxydiert wird. Verseift man Diathylsulfoxylat aber, so kann man mit einer derartigen Losung kraftige Oxydationswirkungen erzielen.

Setzt man zu einer etwa lO%igen Losung von Kaliumjodid in Wasser etwas Salzsaure oder Schwefelsaure und dann einige Tropfen Diathyl- sulfoxylat, so wird beim Umschutteln Jod frei gemacht. Gibt man etwas Athylsulfoxylat zu einer Losung von Natriumazid in 98-100yoiger Ameisensaure, so wird beim Umschutteln Stickstoff in Freiheit gesetzt, und gleichzeitig scheidet sich Schwefel aus. Schuttelt man etwas Diathyl- sulfoxylat einige Zeit mit iiberschussigem Schwefelwasserstoffwasser, so wird sehr vie1 schwer filtrierbarer Schwefel abgeschieden. Wie man qualitativ und quantitativ feststellen kann, ist Schwefel in dieser Losung neben Alkohol das einzige Reaktionsprodukt. Schuttelt man an Stelle von Schwefelwasserstoffwasser mit uberschussiger Natriumsulfidlosung, so entsteht Alkohol und Polysulfid.

Da man wohl annehmen kann, daB der Ester bei diesen Versuchen zunachst zu Alkohol und freier Saure verseift wird

S(OR), + 2 H,O ---+ S(OH), + 2 ROH,

S(OH), + 2 HJ --+ Jz + S + 2H2O

( 6 )

(7)

so ist die Oxydation des Jodwasserstoffs wohl auf die Umsetzung

') A. Meuwsen u. H Gebhurdt, Ber. Dtsch. Chem. Ges. 69 (1936), 937.

306 Zeitschrift mt anorga&che Chcmie. Band 253. 1947

zuruckzufuhren. Die entsprechende Reaktion mit Schwefelwasserstoff laRt sich durch die Gleichung

Reaktionszeit Stdn.6)

S(OH), + H2S -F 2 S + 2 H 2 0 beschreiben.

~~

Angewandt mmol Verbraucht Gefunden Ja S"(CzH5) 212 ccm n/10 S 2 0 / in Yo der Theorir

Analoge Oxydationsreaktionen wie mit dem Ester lassen sich auch mit den Sulfoxylsaureamiden durchfuhren. Diese Stoffe werden ahnlich wie S(OC2H5), durch Wasser und besonders auch durch waRrige Saure- losungen leicht hydrolysiert. Bei der Umsetzung mit Salzsaure ent- stehen das entsprechende Dialkylammoniumsalz, Schwefel und ver- schiedene Schwefelsauerstoffsauren (H2S0,,H2S20,, H2S,0,). Aus der Tatsache, daR bei der Umsetzung mit Saure Ammoniumsalz gebildet wird und nicht etwa eine Stickstoffsauerstoffsaure, mu13 man schlieRen, daR in den Thioaminen Stickstoff der negativere und Schwefel der positivere Bestandteil ist, und man kann wohl vermuten, dal3 die Hydro- lyse zunachst zu Dialkylamin und Sulfoxylsaure (oder Schwefel (11)- hydroxyd) fuhrt:

NR2 + 2 H,O --+ S(gE + 2 HNR,. '(NR, (9)

Diese Sulfoxylsaure kann nun nach Gleichung 7 mit Jodwasserstoffsaure reagieren :

Setzt man zu einer Losung von 1 g Kaliumjodid in 10 ccm Wasser 10 ccm 8-n-Salzsaure, 10 ccm analysenreinen Tetrachlorkohlenstoff und dann etwa 1 Millimol N, N'-Tetraathylthioamin, so scheidet sich beim Umschutteln sofort Jod aus, auRerdem entsteht Schwefel und Diathyl- ammoniumsalz.

Versucht man das ausgeschiedene Jod quantitativ zu bestimmen, so sieht man, daO etwa 70 yo des Jods entsteht, das nach Gleichung 7 zu erwarten ware. Tabelle 1 zeigt das Ergebnis solcher Versuche.

Tabelle 1 Umsetzung von S[N(C,H,)& mit Jodwasserstoffsaure

(10 ccm IOyoige Kaliumjodidlosung, 10 ccm 2-n-Salzsaure, 10 ccm Tetrachlorkohlenstoff, Zimmertemperatur.)

1,15 1,14 1,31 1,26

16,50 17,70 19,41 16,50

6, Warend dieser Zeit wurde das Reaktionsgemisch in einer gut verschlossenen Fiasche kritftig geschuttelt.

M. Goehring. Ober die SulfoxyMure I 307 Bei den Versuchen der Tabelle 1 war wahrend kurzer Reaktionszeiten das Thioamin noch

nicht vollstandig umgesetzt, wie ich leicht am Geruch der Losung erkennen konnte. Bei langeren Schuttelzeiten wird die Umsetzung nach Gleichung 7 offenbar von einer anderen Reaktion uberlagert, die Jod verbraucht. Vermutlich setzt sich das als Zwischenprodukt entstandene Schwefel(I1)-hydroxyd in der sauren Lijsung zu einem gewissen Teil mit Wasser allein um, und zwei Folgeprodukte dieser Reaktion, schweflige Saure und Thioschwefelsaure (s. o.), verbrauchen Jod.

Thioamin reagiert auch mit anderen Reduktionsmitteln ganz ent- sprechend wie mit Jodwasserstoff. So wird in wanriger Losung Eisen(I1)- ion zu Eisen(II1)-ion oxydiert, Stickstoffwasserstoffsaure geht in Stick- stoff iiber, aus Schwefelwasserstoffwasser wird Schwefel abgeschieden.

Zunachst mag es verwunderlich erscheinen, daB eine Substanz ein Oxydationsmittel ist, die Schwefel in einer so niedrigen Oxydationsstufe enthalt wie S(OH),. Die Erscheinung wird verstandlicher, wenn man beachtet, daB ja auch sonst besondere Oxydationswirkungen gerade bei niedrigen Oxydationsstufen von Elementen auftreten; es sei Iiier nur an die unterchlorige Siiure und an die salpetrige Siiure erinnert.

folgte ich quantitativ die Um die wiiteren Reaktionen von S(OH), studieren zu konnen, ver-

Hydrolyse des Sulfoxylsaureesters. Dabei ging ich so vor, dal3 ich in 100-ccm-Schliffstopfenflaschen zu

einem abgemessenen Volumen Wasser eine bestimmte Menge Natron- lauge oder Salzsaure zusetzte und dann mit einem Wagerohrchen S(OC,H,) , einbrachte. In der nunmehr fest verschlossenen Flasche wurde das Reaktionsgemisch auf der Maschine 24 Stunden lang kraftig geschiittelt. Zur Analyse der Fliissigkeit benutzte ich die Methoden von KurtenackeP) .

Tabelle 2 zeigt das Ergebnis dieser Versuche. In neutraler Losung ist der Sulfoxylsaureester recht bestandig gegen Wasser, in saurem oder alkalischem Medium wird er verhaltnismal3ig rasch verseift. A l s Hydro- lysenprodukt entsteht in saurer Losung hauptsachlkh Pentathionsaure, in alkalischer Losung findet man Thioschwefelsaure und schweflige Saure neben sehr wenig Schwefelwasserstoff. Elementarer Schwefel tritt nur bei den Versuchen, die in saurem oder neutralem Medium durch- gefiihrt wurden, auf; er entsteht in sehr kleinen Mengen. Nimmt man an, daf3 die Hydrolyse von S(OC,HJ2 in erster Stufe nach Gleichung (6 ) zu Sulfoxylsaure fuhrt, so sieht man aus Tabelle 2, dal3 die weitere Um- setzung von S(OH), mit Wasser offenbar keine einheitliche Reaktion ist; es finden neben Reaktionen, die zu Thioschwefelsaure und zu Penta- thionsaure fuhren, Oxydationsvorgange statt, die die Bildung von Sulfat verursachen.

e, A. Kurtc~cket , Analytische Chemie der Sauerstoffsauren des Schwefels, Stuttgart 1938.

- Angewandt mmol

S(OC,H,),~ H' I OH'

7,66 4.0 - 7,66 20 -

7,66 . _ - 7,64 - 20

7) M. Goehring u. 111. Stumni, %. anorg. allg. Chem. 250 (1942), 67. 8, M. Coehring, Ber. Dtsrh. Chem. Ges. 76 (1943), 744.

Gefunderi rnmol

H,S 1 SO;' I S,O," 1 S,O[ 1 S,O[ ~ S,O," I SO,"

- I 0,2 I - 1 - i - i 1,2 1 2,9 - ' 0,2 1 - 1 -- 1 - 0,9 1 1,7

noch nicht vollstandig unigesetzt

- I

0,1 ~ 2,o I 2,3 I - I - 1 - -

M. Goehring. Uber die Sulfoxylsaure. I 309

Saure und Schwefel mit Thioschwefelsaure im Gleichgewi~ht~) :

Thioschwefelsaure reagiert mit Trithionsaure, wie H. Stamm, 0. Seipold und M . Goehringlo) nachgewiesen haben, unter Bildung von Tetrathion-

HSO,' + S S,O," + €3' (12)

saure: S,O," + S,O," + H'sS,O, ' ' + HSO,'.

..'L

(13)

Abb. 1 Umsetzung zwischen 7,7 mmol S(OC,H,)2 und 33 m mol HSO,' bei wechselndem

p,-Wert der Losung (Reaktionszeit: 5 Std., Zimmertemperatur, 70 ccm Fliissigkeit)

Alle Produkte der Reaktion zwischen Diathylsulfoxylat und schwefliger Saure in neutraler oder saurer Losung kann man also zum mindesten qualitativ zwanglos als Folgeprodukte der Sulfoxylsaure auffassen. Weniger gut zu tibersehen sind die Einzelvorgange bei der Reaktion zwischen S(OC,H,), und SO," in alkalischem Medium. Bei einem pH-Wert zwischen 8 und 11 scheint die Umsetzung zwischen S(OH), und H,SO, so langsam vor sich zu gehen, daB sie uberlagert werden kann von dem spontanen Zerfall der Sulfoxylsaure, der j a in alkalischer Losung, wie man aus Tabelle 2 sehen kann, Sulfit und Thiosulfat liefert. Vielleicht kann diese Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit in alka- lischer Losung als ein Hinweis darauf angesehen werden, daB sich nur H,SO, oder HSO,', nicht aber SO,'' mit S (OH) , zu H,S,O, zu konden- sieren vermag.

Die Umsetzung von khylsulfoxylat mit Thioschwefelsaure Xhnlich wie mit schwefliger Saure setzt sich Sulfoxylsiiurediathylester

auch rnit Thioschwefelsaure urn.

310 Zeitschrift fiir anorganische Chemie. Band 253. 1947

Zur D ur c hf ii h r u ng dies e r Ver s u c he Ioste ich eine gewogenc Menge Na,S,O, * 5 H,O in einem gemessenen Volumen Wasser. Zu dieser =sung, die in 100-ccm-Schliffstopfrnfiaschen hereitet wurde, setzte ich je 10 c a n 2-n-Salzsaure und eine in einem Wagerohrchen abgewogene Menge S(OC,H,),. Ich achtete darauf, da5 Salzsaure und Sulfoxylsaureester mijglichst gleich- zeitig in die Reaktionslosung gelangten. Die Flasche wurde soforr verschlomn und 4y2 Stunden lang auf der Maschine geschiittelt. Dand filtrierte ich die Fliissigkeit vom ausgexhiedcnen Schwcfel gegebenenfdls uber ein dichtes Filter ab und analysiertr die Usung nach den Me- thoden von A. Kurtenacker.

M/lh#i?/P s2 0, ” Abb. 2

Umsetzung zwischen 8 mmol S (OC,H,), und wechselnden Mengen Thioschwefelsaure (Reaktionszeit: 4,s Std., Zimmertemperatur, 20 mmol H’ in 70 ccm Fliissigkeit)

Diathylsulfoxylat und Thioschwefelsaure reagieren rasch und voll- standig miteinander unter Bildung von Polythionsauren. Tragt man die gefundenen Millimol Reaktionsprodukt in Abhangigkeit von der ange- wandten Thiosulfatmenge auf (Abb. 2), so sieht man, daB die Ausbeute an Pentathionsaure, die bei Meinen Thiosulfatmengen neben wenig elementarem Schwefel das einzige Reaktionsprodukt ist, ansteigt, bis auf 1 mmol Sulfoxylsaureester 2 mmol H2S2O3 angewendet worden sind. Der ubliche Zerfall der Thioschwefelsaure

S203” + H’ --+ S + HSO,’ (14) tritt in diesem Gebiet ganz zuruck. Man findet keine schweflige Saure, obgleich die Losung stark sauer reagiert. Bei einem Molverhaltnis S(OC,H,), : H,S,O, wie 1 : 2 findet man keinen elementaren Schwefel, und das bei weitem Uberwiegende Reaktionsprodukt ist Pentathion- saure. Das Schwefel(I1) -hydroxyd kondensiert sich also offenbar mit

O) F. Foersfer u. K. Vogel, Z. anorg. allg. Chem. 155 (1926), 161. lo) H. Stamm, 0. Seipold u. M. Goehring, Z. anorg. allg. Chem. 247 (1941), 288.

M. Goehriig. Uber die Sulfoxylsaure. I 311 Thioschwefelsaure zu Pentathionsaure :

S(OH), + 2 H,S,O, ---+ H,S,O, + 2 H,O. (15) Wendet man mehr als 2 Mol H,S203 auf 1 Mol S(OC,H5), an, so ent- steht auch schweflige Saure; die uberschussige Thioschwefelsaure zer- fallt also nach Gleichung 14. Durch einen Teil der hierdurch entstehen- den schwefligen Saure wird die Pentathionsaure teilweise zu Tetrathion- saure abgebaut:

In diesem Gebiet muB also die Pentathionatausbeute wieder kleiner werden; an Stelle des Pentathionates tritt Tetrathionsaure auf.

S,O,” + HSO,‘, rs: S,O,” + S203” + H’ (16)

Vielleicht entsteht auch bei den Versuchen der Abbildung 1 ein TeiI des Tetrathionates auf diesem Wege. Man kann sich vorstellen, da13 ein Teil der Sulfoxylsaure mit der nach Glei- chung 13 und 14 gebildeten Thioschwefelsaure nach 16 Pentathionsaure liefert, die dann durch die iiberschiissige schweftige Saure zu Tetrathionsaure abgebaut wird.

Die Umsetzung zwischen Sulfoxylsaure und Thioschwefelsaure nach Gleichung 16 verladt offenbar so rasch, da13, wenn man aquivalente Mengen anwendet, keine der beiden sehr unbestandigen Schwefelsauer- stoffsauren zerfdlen kann, bevor sie reagiert hat. D i e R e a k t i o n mi t Thioschwefelsaure k a n n d a h e r ge radezu als Nachweis- reakt ion f u r Schwefe l ( I1) -hydroxyd benu tz t werden.

Die Tatsache, da13 sich SC1, ganz analog dem S(OC,H,), mit Thio- schwefelsaure zu Pentathionsaure umsetzt, kann man wohl als eine besondere Stutze fur die Ansicht ansehen, daO in beiden Fallen der gleiche Zwischenstoff, S(OH), bei der Hydrolyse entsteht.

Die Hydrolyse von khylsulfoxylat bei Gegenwart von Polythionat Wenn ich die Umsetzungen des Athylsulfoxylates nach den Glei-

chungen 11, 9 und 16 deutete, so hatte ich als selbstverstandlich ange- nommen, daB S(OH), mit einmal gebildetem Polythionat nicht reagiert. Um diese Voraussetzungen zu prufen, verseifte ich Diathylsulfoxylat bei Gegenwart von K,S,O, unter Bedingungen, die im ubrigen denen der in Tabelle 2 zusammengestellten Versuche genau entsprachen. Wenn S(OH), nicht mit dem Polythionat reagierte, so mul3te ich die ange- wandte Tetrathionsauremenge wiederfinden und auOerdem die Pro- dukte, die gemaB Tabelle 2 bei der Verseifung des Athylsulfoxylates allein entstehen, d. h. vor allem Pentathionat.

Aus Tabelle 3 mu13 man entnehmen, da13 tatsachlich innerhalb der Fehlergrenzen der Analysenmethoden eine Umsetzung zwischen S(OH), und Polythionat nicht stattfindet. Nur bei dem Versuch 4 der Tabelle 3 konnte man vielleicht meinen, da13 durch Einwirkung von Sulfoxylsaure

Angewandt mmol

Nr. S(OC,H,), I S,O,” H’ 1 OH’

I 9,90 , 20 -

3 7,88 9,89 1 - -

1 2

4 7,84 9,91 1 - 10

9*88 j 40 - 7,86 7,88

I Vers.

Zusammenfassung Sulfoxylsaureamide, z. B. SIN (C2H6).J2, Diathylsulfoxylat und Schwefeldichlorid rea-

gieren in wanriger L6sung weitgehend analog. Diese Tatsache l%& sich zwanglos so deuten, daB bei der Hydrolyse dieser Stoffe als erstes chemisch nachweisbares Zwischenprodukt syni- inetrische Sulfoxylsaure [Schwefel(II) hydroxyd S(OH),] entsteht. Diese Sulfoxylsaure ist, wie viele Schwefelsauerstoffsauren, sehr reaktionsfahig und daher in freier Form unbestandig. Wenn man die Saure aus ihren Amiden, Estern oder Halogeniden freiniacht, kann man folgende Reaktionen von S(OH), nachwcisen:

S(OH), + 2 9 -+ S + 2 OH-,

S(OH), + H,S --+ 2 S + 2 H,O, S(OH), i- 2 H2S03 --+ H2S306 + 2 HZO, S(OH,) + 2 H,S20, --+ H,S,O, +- 2 H20.

Die Reaktioncn mit schwefliger Saure und rnit Thioschwefelsaure sind geeignet zum Nacliweis von S(OH!, in manchen Reaktionsgemischen.

Diese Arbeit gehort zu einer Gruppe von Untersuchungen, die von der Deutschen For- scliungsgemeinschaft in dankenswerter Wcise geftjrdert worden ist. Besonderen Dank schulde ich Hewn Prof. Stamrn fur vielfache Unterqtiitzung.

H a 11 e (Saale), Chemisches Institut der Universitat, Anorganische Abteilung.

(Bei der Redaktion eingcgangen am 10. Marz 1944.)

Gefunden mmol

SO; I S,O,” ! S,O/ 1 S,O/ I S 6 0 / I SO,”

0,3 I - - - 9,3 1,2 1,8 0,2 - - 9,O 1,2 1,s 0,3 - - 8,4 1,4 0,4 1 5,3 1 2,4 4,l 1,7 0,3

11) A . Kurtenacker, A . MutJvhin u. F. Stastny, Z. anorg. allg. Chem. 224 (1935), 4,09.

312 Zeitschrift fur anorganische Cheinie. Band 253. 1947

etwa 50 yo des ursprunglich vorhandenen Tetrathionates in Trithionat und Thiosulfat ubergegangen ware. Das ist nicht der Fall. In alkalischer Losung ist S,O,” vielmehr auch ohne Sulfoxylatzusatz unbestandig. Nach Kurtenacker, Mutschin und Stastnyll) hat man mit der Reaktion

4 S,O,” + 6 OH’ = 2 S,O,” + 5 S,O,” + 3 H,O (17) zu rechnen. Durch einen Blindversuch uberzeugte ich mich davon, daB Tetrathionat unter den Bedingungen des fraglichen Versuches zurn Teil in Thiosulfat und Trithionat iibergeht.

Tabelle 3 Hydrolysc von S(OC,H,), bei Gegenwat t von K,SIO,

(Reaktionszeit: 17 Stunden, Zimmertemperatur, 70 ccm Flussigkeit.)