8
(Aus der Universit~tsklinik und Staatskrankenanstalt Friedriehsberg-Hamburg [Direktor: Prof. Dr. Weygandt].) Uber die therapeutische Beeinflussung von pathologischen Liquordruckveriinderungen. Von Carl Riebeling. (Eingegangen am 8. Januar 1933.) Klinische Fragen nach der wenigstens temporgren Beein/luflbarkeit yon Schwankungen des Liquordrucks haben uns veranlaBt, die dies- bezfiglichen Untersuchungen einer Durchsicht zu unterziehen und dutch physiologische ~berlegungen angeregte therapeutische Versuche aus der Literatur zu stfitzen. Die tierexperimentellen Befunde, die ~ul~erst bunt und mannigfaltig sind, die sich zum Tell auch gegenseitig widersprechen, sollen zuni~chst kurz an Hand der fiberwiegend ausl~ndischen Literatur besprochen werden. DaB der Liquordruck yore Arteriendruck innerhalb gewisser Grenzen beein- flul3t werden kann, ist sine im Tierexperiment lange bekannte Tatsache. Wenn friiher hauptsachlich der Himdruck ffir die klinischen i]berlegungen eine Rolle spielte, so wurde doch der Liquordruck, der ja ein integrierender Bestandteil der DruckverhMtnisse in der Sch~delkapsel ist, immer mit er6rtert. Die groBe Reihe yon Experimenten yon Adamkiewicz war nur angestellt, um die Bergmannsche Theorie vom Hirndruck zu widerlegen. Hauptmann hat sparer einige der Adam- kiewiczschen Ansehauungen wieder aufgegriffen. Dixon, Halliburton u. a. haben sieh ausgiebig mit Liquordruckph~nomenen beim Tier besch~ftigt. Biancalana injizierte Tieren destilliertes Wasser in geringen Mengen intraven6s, ohne erhebliche Druckver~nderungen des Liquors zu erzielen oder den Wassergehalt des Gehirns nennenswert zu beeinflussen. Die yon ihm angewandten Mengen yon 5--20 ecm sind sicher zu niedrig, urn eine Beeinflussung zu erm6glichen. Die In- jektionen hypertonischer L6sungen, die Biancalana anwandte, setzten den Liquor- druck sehr rasch herab, der Wassergehalt des Gehirns riickte an die untere Grenze der Norm, in einigen Experimenten etwas darunter. Lemaire gab an, man k6nne leichte Druckvermehrung im Ventrikelsystem mit intravenSsen Injektionen hyper- tonischer L6sungen, mittlere Druckvermehrung mit wiederholter Lumbalpunktion, starke Vermehrungen nur mit Trepanation behandeln. Geringe Verminderungen wurden aueh mit Acetylcholin behandelt (ira Experiment steigert Acetyleholln den Druek), mittlere Verminderungen wurden mit Injektionen yon 20--30 ccm destillierten Wassers behandelt, starke mit Infusionen yon physiologischer Koehsalz- 15sung. Die Encephalographiefragen wurden nicht besprochen.

Über die therapeutische Beeinflussung von pathologischen Liquordruckveränderungen

Embed Size (px)

Citation preview

(Aus der Universit~tsklinik und Staatskrankenanstalt Friedriehsberg-Hamburg [Direktor: Prof. Dr. Weygandt].)

Uber die therapeutische Beeinflussung von pathologischen Liquordruckveriinderungen.

Von

Carl Riebeling.

(Eingegangen am 8. Januar 1933.)

Klinische F r a g e n nach der wenigstens temporgren Beein/luflbarkeit yon Schwankungen des Liquordrucks haben uns veranlaBt , die dies- bezfiglichen Unte r suchungen einer Durchs ich t zu unterz iehen und d u t c h physiologische ~be r l egungen angeregte the rapeu t i sche Versuche aus der L i t e r a tu r zu stfitzen.

Die t i e rexper imente l l en Befunde, die ~ul~erst bun t und mannigfa l t ig sind, die sich zum Tell auch gegenseit ig widersprechen, sollen zuni~chst kurz an H a n d der f iberwiegend ausl~ndischen L i t e r a tu r besprochen werden.

DaB der Liquordruck yore Arteriendruck innerhalb gewisser Grenzen beein- flul3t werden kann, ist sine im Tierexperiment lange bekannte Tatsache. Wenn friiher hauptsachlich der Himdruck ffir die klinischen i]berlegungen eine Rolle spielte, so wurde doch der Liquordruck, der ja ein integrierender Bestandteil der DruckverhMtnisse in der Sch~delkapsel ist, immer mit er6rtert. Die groBe Reihe yon Experimenten yon Adamkiewicz war nur angestellt, um die Bergmannsche Theorie vom Hirndruck zu widerlegen. Hauptmann hat sparer einige der Adam- kiewiczschen Ansehauungen wieder aufgegriffen. Dixon, Halliburton u. a. haben sieh ausgiebig mit Liquordruckph~nomenen beim Tier besch~ftigt.

Biancalana injizierte Tieren destilliertes Wasser in geringen Mengen intraven6s, ohne erhebliche Druckver~nderungen des Liquors zu erzielen oder den Wassergehalt des Gehirns nennenswert zu beeinflussen. Die yon ihm angewandten Mengen yon 5--20 ecm sind sicher zu niedrig, urn eine Beeinflussung zu erm6glichen. Die In- jektionen hypertonischer L6sungen, die Biancalana anwandte, setzten den Liquor- druck sehr rasch herab, der Wassergehalt des Gehirns riickte an die untere Grenze der Norm, in einigen Experimenten etwas darunter. Lemaire gab an, man k6nne leichte Druckvermehrung im Ventrikelsystem mit intravenSsen Injektionen hyper- tonischer L6sungen, mittlere Druckvermehrung mit wiederholter Lumbalpunktion, starke Vermehrungen nur mit Trepanation behandeln. Geringe Verminderungen wurden aueh mit Acetylcholin behandelt (ira Experiment steigert Acetyleholln den Druek), mittlere Verminderungen wurden mit Injektionen yon 20--30 ccm destillierten Wassers behandelt, starke mit Infusionen yon physiologischer Koehsalz- 15sung. Die Encephalographiefragen wurden nicht besprochen.

Carl Riebeling: ~ber die therapeutische Beeinflussung usw. 89

Einen sehr sch6nen Versuch fiber den EinfluB des Liquordruckes auf den Arterien- druek maehte Dixon mit Heller an Hunden. Sie dichteten die LiquorabfluBwege dureh intralumbale Kaolininjektionen ab und erzielten die erwartete Steigerung des Ar~eriendruekes durch den selbst~erst/~ndlich ansteigenden Liquordruek.

Weil, Zeifl und Cleveland haben die Wirkungen hypertonischer L6sungen auf den Blutgehalt und Wassergehalt des Gehirns studiert. Sie machten sieh die Beobachtung von Voigt zunutze, wonaeh 4 Stunden nach intraven6sen Injektionen yon kolloidalem Silber noeh kein Silber im Gehirn nachweisbar ist und evtl. Silber- spuren in der Asehe nur aus den Blutgef~Ben stammen. Die amerikanischen Autoren injizierten also Kollargoll6sung in physiologischer und in 15%iger Koehsalzl6sung bei Hunden. Nach 5--15 Min. wurde Bint aus der Femoralis entnommen und die Tiere schnell get~itet. Dann wurden die Halsgef/~Be unterbunden und das Gehirn in tote herausgenommen. Die quantitative Silberbestimmung in der Asche aus dem troekenen Material ergab nun eine ganz erhebliche Steigerung des Silbergehaltes des Gehirns bei Tieren, we hypertonisehe L6sung injiziert worden war. Dieser ging eine dureh Trockensubstanzbestimmung des Gehirns naehgewiesene erhebliehe Wassera~reieherung parallel. Das Gegenteil wurde erzielt von dem, was erwartet war. Bemerkenswert ist, dab Miller und Hurwitz an ttunden fanden, dab 10%ige NaC1-L6sung als schweres Gift wirkt, dal3 der Liquordruck steigt und daB man Druekherabsetzungen nur mit 50 %iger Traubenzuckerl6sung, auch nur fiir die ersten 4 Stunden, erzielt.

Sehr zahlreieh sind die versehiedenen Methoden, eine Druckbeeinflussung des Liquorsystems zu erzielen. Allein Ablassen und Zuffigen von Liquor vermag natfirlieh eine Beeinflussung zu verursachen. Haug hat in allerjfingster Zeit Kurven von fortlaufenden Liquordruckmessungen aufgezeiclmet, in denen auch den Druek- schwankungen bei verschiedensten Einflfissen auf das Liquorsystem, auf den Kreis- lauf oder auf den ganzen Menschen Interesse entgegengebraeht wird. Die Kurven sind allerdings zum gr613ten Tell an ganz verschiedenen Arten yon Krankheiten gemacht worden. Das mindert ihren Wert etwas herab. AuBerdem sind die Ab- lesungen sparer in eine graphische Darstellung eingezeiehnet. Der Druek ist nieht etwa kymographisch aufgenommen worden. Bei einem Fall miBt Haug 165mal in 42 Min., zahlt w/~hrend dieser Zeit 14 Anfiille bei seinem Patienten und gibt einmal 2 Tropfen Amylnitrit. Ob die Messungen unter diesen zeitlieh so beschrimkten Umst~nden (4 Messungen pro Minute !) sehr genau sein kSnnen, ist kaum zu glauben. Die einzelnen Befunde Haugs werden bei den verschiedenen Methoden besprochen. Was unsere zuerst hier zu besprechende Methode, Ablassen und Zuffigen yon Liquor, betrifft, so hat Haug bei einer Dauerpunktion fiber 2 Stunden bei einem Psycho- pathen registriert, dab die Entnahme yon 20 eem Liquor zu einer Senkung yon 210 auf 60 mm Wasser ffihrt und dab dieser Abfall erst naeh ll/~ Stunden aus- geglichen ist. Koehsalzinfusionen yon 20 cem machten eine sich rasch wieder ausgleichende DruckerhShung. Bei der Offnung des Liquorkanals hat Haug nur nebenbei einmal eine Druekherabsetzang registriert. 13berhaupt fand Haug trotz der verschiedensten, zum Tell gegensgtzlieh wirkenden Mittel immer nur Druck- erh5hung, eine eindeutige Herabsetzung des Druekes hat er hie beobachtet. Hier muB doch die Milieuwirkung eine Rolle spielen. Tamura und Ohe beobaehteten, da$ der Liquordruck nach Ablassen geringer Mengen Liquors steigt, genau so wie der Blutdruck. Bei Arteriosklerotikern war diese Wirkung nur minimal.

Dureh Variation des Blutdruckes l~Bt sich eine Veranderung des Liquordruekes relativ leieht erzielen. Biancalana lie$ 2 ccm Amylnitrit inhalieren, darauf sank der Blutdruek, w/~hrend der Liquordruck um 6--13 cm Wasser stieg. Auf Acetyl- cholinchlorhydrat subcutan sank der Blutdruck um 15--20 mm Hg, der Liquor- druck stieg um 20--40 mm Wasser. Auf Adrenalin stieg der Blutdruck um 30 his 50 mm Hg, der Liquordruek stieg auch mn 3--4 emWasser. Intraven0se Injektionen yon 20--100ecru hypotoniseher L5sungen erhShten den Blur- und Liquordruek. Neel

40 Carl Riebeling: ~ber die therapeutische Beeinflussung

und Thomasson fanden bei Kompression der Jugularvenen, dab der Liquor verdfinnt wurde, was sieh im Sinken des EiweiBgehaltes zeigte. Die Kompression soll den kolloidosmotischen Druck steigern und Wasser aus den Venencapillaren auspressen. Loeper, Lemaire und Patel sahen auf Adrenalin den Blutdruck und den Liquor- druek steigen, auf Aeetyleholin sank der Liquor zun~chst, stieg dann aber fiber den Anfangsdruck. Der Grm~d dafiir war nicht zu ermitteln. Dieselben Autoren sahen auf Allyltheobromin den Liquordruek steigen, den Blutdruck sinken. Experi- mentelle Verstopfung der Hirnarterien, wie sie Loeper am Hunde versuchte, steigerte den Blutdruck nach kurzem Sinken, parallel dazu verhielten sieh Jugularisdruck und Liquordruck.

Anisotonische L6sungen wurden frfih und von den verschiedensten Seiten zur Druckbeeinflussung benutzt. Biancalana wurde schon erwiihnt, Plaza und Dreck- mann versuchten die Stauungspapille beim Tumor durch intraven6se Injektion yon 15 %iger Kochsalzl6sung zu beeinflussen. Die Stauung ging auch zurtick. Aueh sie fanden, dab hypotonische LSsungen den Druek erhShen. Dreckmann und Fala- zuela injizierten hypotonisehe L6sungen intraven6s und fanden, daft der Liquor- druck um so mehr stieg, je niedriger der Anfangsdruck gewesen war. Sie emp- fehlen iibrigens 20--40 ccm Wasser intraven6s zu spritzen und betonen ausdriiek- lich, daI3 sie nie Hgmolyse sahen. Loeper und Mitarbeiter betonen, dab die intra- ven6se Applikation anisotonischer L6sungen nicht durch ihre Anisotonie selbst, sondern durch Blut- und Hirnvolumenvermehrung wirken. Sie behaupten, dal~ zwischen destilliertem Wasser und physiologischer Kochsalzl6sung kein Unterschied der Wirkung nachweisbar sei. Haug land, dab 50%ige Traubenzuckerl6sung keinen nermenswerten Einflul~ habe, mit dem Nadelstich f~nde sich bei seinen Dauerpunktionen eine Drucksteigerung, die wghrend der Injektion teils wieder absinke, teil noch anhalte. Mit 15 %iger Kochsalzl6sung soll es sich genau so ver- halten.

Weed stellte Untersuehungen an fiber das Verhalten der Btutmenge naeh Liquorentnahme. Seine Befunde sind nicht einheitlich. Die Wirkungen des Liquors auf den Blutdruck, also das Umgekehrte yon dem, was bisher er6rtert wurde, unter- suchten Haug, Dixon und Biancalana. Die Befunde entsprechen alle denen, bei denen Blutbeeinflussungen das Primgre war. An pharmakologischer Beeinflussung des Liquordruckes mul~ nur noch erwghnt werden, was nicht schon bei den K0rpern referiert wurde, die unmittelbar auf den Blutdruck wirken. Biancalana sah eine Druckherabsetzung des Liquors nach Morphium- und nach Xthergaben. Loeper, Lemaire und Patel spritzten Yohimbim und Histamin und sahen bei beiden Pharmaca Iterabsetzung sowohl des arteriellen als des ven6sen als auch des Liquordruekes. Haug sah nach Histamin Blutdruckherabsetzung, dagegen Liquordruckerh6hung, die er auf eine Zunahme des Hirnvolumens durch Erweiterung der Hirngefiil3e zuriickffihrt. Tamura und Ohe sahen auf Natriumnitrit und Amylnitrit Herab- setzung des Blur- und Liquordruckes. Mavronati registriert eigenartigerweise, dal~ auf Adrenalin 1 : 100 000 Blutdrucksteigerung und Liquordrucksenkung erfolgt, w~hrend auf Adrenalin 1 : 1000 kein Einflul~ auf den Liquor beobachtet wird.

Auch durch Einwirkung auf die Acidit~t des Blutes wurde versucht, den Liquor- druck zu beeirdlussen. Offenbar, um die Fliissigkeitsmengen durch Einwirkung auf die Elektrolyten des Blutes und Liquors zu verschieben. Genau so sind wohl die Versuche mit Drfisen innerer Sekretion (Michael und Vranica) zu verstehen. Es kommt ja nieht darauf an, aus welchem Grunde eine Flfissigkeits- bzw. Druck- beeinflussung stattfindet, wenn nur fiberhaupt die pathologischen Liquordruck- verh~ltnisse beeirdlu~t werden . k6nnen und wenn andere Bedingungen kSrper- lichen Wohlbefindens wie Blutdruck und Blutffille der Organe nicht zu grob alteriert werden. Lebert injizierte Hunden physiologisehe KochsalzlSsung intravenSs ohne Effolge hinsichtlich des Liquordruekes zu erzielen. Als er aber 125 ecm 30%ige Natriumbicarbonatl6sung (die erheblich hypertoniseh ist) intraven6s injizierte, wurde

yon pathologisehen Liquordruekver~ndernngem 41

der Druck auf das Doppelte erh6ht. Es kann sich auf kefnen Fall um die Auswirkung der Anisotonie handeln, sondern zweifellos nur um die Wirkung der recht erhebliohen Alkalose, die durch einen derartig groben unphysiologisehen Reiz erzielt wird. ?Jbrigens gelang es dureh naehherige Injektion von Salzsaure nicht, den erh6hten Druck wieder zu senken. Hier handelt es sich um fiberhaupt irreparable St6rungen.

Es ist sehr eigenartig, dab die zahlreichen klinischen und experimentellen Untersuchungen sich teilweise in entscheidenden Punkten widersprechen. Man kann, trotz der heiklen Untersuchungskautelen, ohne die die ganzen Messungen illusoriseh sind, nur annehmen, dab noch eine andere wohl methodische Kompli- kation vorliegt, die die Erzielung brauohbarer Resultate so erschwert. Satka hat da auf einen immerhin beachtenswerten Punkt zuerst hingewiesen, ni~mlieh den, dab unsere Messungen alle erst nach der tterstellung einer Kommunikation mit der Atmosphere erfolgen. Er steht auf dem Standpunkt, dab der Liquordruck yon dem der Atmosphere unabhangig ist. Wir messen ja tatsachlich den Druck der GefgBe klinisch unblutig, also ohne Er6ffnung des Systems, nur der Liquordruck wird, da ibm ja fiberall eine starrwandige Hfille anliegt, ,,blutig", richtiger ,,often", gemessen. Das Ventil ffir den Druck ist natfirlicherweise das Gehirn mit seinen Gef~Sen bzw. sind es die ven6sen Geflechte. Im Augenblick, da das System Gehirn- Gef~Be des Zentralnervensystems-Liquor ge6ffnet wird, k6nnen sieh die Ver- hi~ltnisse verschieben, zum Teil v611ig unkontrollierbar. Soweit die Untersuchungen fiber Liquordruckver~nderungen durch mechanische oder ph~rmako-dynamische Einflfisse. Auf die Winklerschen und LoeTerschen Beobachtungen der ttirnvolumen- ver~nderung mfissen wir ffir unsere speziellen Zweeke noch zuriickgreifen.

Therapeutische Anwendung finden, jedenf~lls, soweit ich die Literatur fiber- blicke, die Befunde fiber die Beeinflussung des Liquordruckes bislang nur bei Lemaire, Patel, Strecker und den sparer noch genannten Chirurgen. Was speziell die uns hier interessierende ]~ncephalographie angeht, existieren nut klinische Befunde fiber die Einwirkung der Avertinnarkose.

Diese kurz referierten Befunde, die, friiher hauptsitchlich von deut- schen, seit 1925 haupts~chlich yon ausl/mdischen Autoren geliefert wurden, gaben mir Anregung, auch die geringen Druckschwankungen therapeutisch zu beeinflussen, die bei Zust~nden anderer Ursache beobachtet werden.

Die friiher viel geiibte Therapie des Status epilepticus, der ausgiebige AderIa!~, ist in letzter Zeit ziemlich vernaehlitssigt worden. Man ging von der Voraussetzung aus, da[3 im Blut kreisende Toxine, die die An- fgIle ausl6sen, sowie aueh solche, die dutch die Anf~lle ents tanden waren, entfernt werder~ sollten. Es wurde sogar stellenweise das entfernte Blur durch physiologische Koehsalzl6sung ersetzt. Dal~ man giftige Stoff- wechselprodukte entfernen kann, scheint mir nur ein Nebenerfolg des Aderlasses zu sein. Wichtiger scheinen uns die Druekherabsetzungen im Kreislauf und im Liquorsystem zu sein. I m Status der Epfleptiker und der Paralyt iker findet man fast immer erh6hten Liquordruck; gerade wenn die Kranken benommen sind, gelingt es im Intervall , den Liquor- druck sehr viel richtiger zu best immen als fiir gewShnlich. Beim Kranken mit nicht getri ibtem Sensorium mu[~ ja immer eine Druckbeeinflussung durch Spontanbewegungen, durch Abwehrbewegungen dureh Angst, auch dureh unbeabsichtigten Queckenstedt in Kauf genommen werden 1

10livero beobachtete, dab bei veget~tiv stigmatisierten Kranken bereits das Be- klopfen der Jugularis genfigt, um eine erhebliche Liquordrucksteigerung auszulSsen.

42 Carl Riebeling: t3ber die therapeutische Beeinflussung

Wegen der zweifellosen Druckerh6hung haben wit uns daran gew6hnt, im Status immer sehr ausgiebig zu punktieren. Das gelingt sehr leicht, weft der Liquor raseh und frei abflieBt. Wir entnehmen 60--80 ecru, das macht eine reeht erhebliche Druckherabsetzung. Daneben entnehmen wir noch regelm~tl3ig 200--300 ccm Blur aus tier Armvene. Man kann h~ufig beobachten, dab bei diesem Vorgehen die Zahl der Anf~lle in der Zeiteinheit bereits wi~hrend 4er Entlastungen abnimmt. Jedenfalls ge- lingt es fast immer durch dieses Vorgehen den kritischen Zustand zu tiberwinden. Ich habe an etwa 20 Statusbehandlungen der letzten Zeit auf diese Art nur einen Todesfall gesehen. Eine alte behandelte Paxalyse, bei der bereits wiederhoit paralytische Staten beobachtet worden waren, starb 5 Stunden naeh der Punktion, nachdem der Status immerhin schon fast einen Tag bestanden hatte. Aul3er den beiden den Liquordruck herabsetzenden Eingriffen hatte ich in letzter Zeit noch regelm~Big 50 ccm 40%ige DextroselSsung intravenSs appliziert. Das hat zweierlei Griinde: Einmal kann man durch Traubenzueker die etwa im Blute kreisenden Toxine zweifellos am schnellsten binden, die entgiftende Wirkung des Traubenzuckers spielt auch hier ihre heute kliniseh so bedeutungsvolle Rolle ; dann aber ist die 40 % ige Dextrosel6sung erheblich hypertonisch (isotonisehe TraubenzuckerlSsung ist etwa 5--6%ig) und veranlaBt eine Verdiinnung des Blutes zur Wiederherstellung 4er Iso- tonie. Die Fliissigkeit wird aus dem Gewebe und aus dem Wasserdepot Liquor entnommen, damit wir4 der Liquordruck weiter reduziert. Ich habe aueh in vielen anderen akut toxisehen Zust~nden, die als Ur- sachen fiir geistige St6rungen in Betraeht kommen, Traubenzucker mit gutem Erfolg verwandt. Steck empfiehlt ebenfalls intravenSse In- jektionen von Traubenzucker neben der druekentlastenden Liquor- entnahme. Stecks Ver6ffentliehung will ausdrticklich Nachuntersuchungen anregen, weil er sehr gute Erfolge gesehen hat. ~anche Chirurgen (Oljenik, Ernst, Gulecke) geben regelm~13ig vor Hirntumoroperationen grS~ere ~engen stark hypertonischer Salzl6sungen oder hypertonischer Trauben- zuekerl6sungen intravenSs oder pe r clysma, um den nach der Operation so gef~hrlichen Hirnprolaps zu verhindern. So werden yon Ol]enik regelmi~Big hypertonisehe 1VIagnesiumchloridinjektionen gemacht. Ol]enik verfolgt zweifellos eine zweite Absieht, wenn er gerade Magnesium- ionen spritzt, n~mlieh den, die krampfherabsetzende Wirkung der Magnesiumionen auszuniitzen. Das versehli~gt aber nieht, dal3 4as Wesen und die Wirkung der hypertonischen L6sung voll erkannt und benutzt wird. Ernst widmete der Frage der Druckbeeinflussung des Liquors bereits 1930 eine l~ngere experimentelle Studie. Er fand u. a., dab naeh Zufuhr yon destilliertem Wasser die perivasculs Sehrumpfrs sehr weit, wahrend die Gliakammerr~ume fast unsiehtbar werden. Hyper- tonische L6sungen bewirkten weite Gliakammerr~ume, w~hrend die perivascul~ren Spalten abnorm schmal wurden. Nach seiner eigenen

von pathologischen Liquordruckver~nderungen. 43

Erfahrung sind die Behandlungsergebnisse mit grol~en Mengen hoeh- prozentiger TraubenzuckerlSsung bei Epilepsie und Meningitis unsicher, sehr gut dagegen bei I-[irndruek durch Tumor und zur Vorbereitung von 0perationen am Gehirn.

Die zweite Gruppe pathologischer Zust~nde, die yore Druekverhi~ltnis Blut : Liquor aus beein/luBbar ist, ist die erhebliche Liquordruckverminde- rung. Ffir das therapeutische Handeln kommt bier vor allem in Betraeht die Eneephalographie mit ihren Folgen.. Der Ersatz des Liquors durch Luft in der Schiidelkapsel hat selbstverst~tndlich zur Folge, dal~ das Blur sehnell und ausgiebig Flfissigkeit an die nur noch luftgeffillten Liquorraume abgibt. Relativ groSe Mengen Luft kSnnen ja dureh Auf- 15sung im Blut und Abgabe dutch die Lungen entfernt werden, bilden also kein Hindernis ffir die Neusekretion des Liquors. Zu erw~hnen ist bier die eigenartige Beobaehtung yon Gardener und Lamb, die feststellten, dal~ bei Avertinnarkose die Eneephalographie nicht gelang. Die Ventrikel entleerten sieh nicht vSllig. Sie stellten daraufhin Untersuchungen fiber den Liquordruck bei der Avertinnarkose mittels kymographischer Druckregistrierung an. Kurz nach der Applikation des Narkoticums stieg tatsitehlieh der Liquordi'uek um etwa 100 mm Wasser, sank dann wieder ab und blieb w~hrend 40 M_in. auf einer HShe etwa 50 bis 20 mm fiber dem Anfangsdruck. Dixon und Halliburton haben, was den Verfassern entgangen ist, bereits 1930 festgestellt, dal~ C02-Steigerung im ]31ut (bei tiefer Narkose) die Liquorsekretion f6rdert !

Wfirde man die Liquorentnahme bei der Encephalograpbie sehr lang- sam vor sich gehen lassen, dann mfil~te einmal das Tempo erreicht werden, bei dem die Liquorentnahme keinen Erfolg mehr hat, weil das Blur dann n~mlich in der Lage ws gleichzeitig die abgetropfte Flfissig- keit zu ersetzen. Liquorrhoen fiibi'en ja auch hie zu einem leeren bzw. kollabierten Ventrikel. Die Untersuchungen von Spurling an Hunden mit Liquorfisteln ergaben den gleichen Befund. Der Druek ist zwar erheblieh niedriger im offenen System, aus dem st~tndig Flfissigkeit abtropft, als im geschlossenen, aber er sinkt hie unter ein gewisses Minimum.

Der Zustand nach einer Encephalographie ist immerhin so unangenehm, dal~ man berech~igt und verpflichtet ist, dem Patienten, wenn mSglich, Erleichterung zu verschaffen. Wegen der Gefahr der Narkoticis ffir enee- phalographierte Kranke ist man in der Wahl seiner Mittel beschri~nkt. Sie mfissen nfichtern sein, um w~hrend der Prozedur nicht zu breehen, sie mfissen aueh nfiehtern, insbesondere durstig, mindesten's 24 Stunden bleiben, weft sonst fast unvermeidbar erbrochen wird. Der Ersatz der Luft dureh Liquor geht aber nur dureh Wasserabgabe des Blutes an den Liquor vor sich. Das Blur kann sieh seinerseits dureh Austrocknen der Gewebe etwas an Wasser artreichern.

Nehmen wir als Durchsehnittsmenge Liquorverlust durch die Ence- phalographie bei einem nichthydroeephalen Kranken 120 ecm an, so

44 Carl Riebeling: ~ber die therapeutische Beeinflussung

mfiBte das Blut (ieh rechne jetzt mit einer Durchschnittsblutmenge yon 5 l) 2,5 % Wasser abgeben, um den Liquor wieder aufzuffillen, wenn man einmal rein sehematiseh so rechnen will. In Wirkliehkeit liegen die Dinge natfirlich erheblich komplizierter. ~berlegt man welter, dug beim kSrper- lich ausgeruhten Patienten die l~Iuskulatur relativ wasserarm ist, so fehlt ein recht wichtiges Wasserreservoir. (Beim Fettleibigen kommen natfirlich die wasserreiehen Fettdepots in Betracht.) Gibt man nun dem Patienten im unmittelbaren Anschlul~ a n die Liquorentnahme (die doch bei der typisehen Eneephalographie eine fast restlose ist) eine groBe Infusion von physiologiseher KoehsalzlSsung subcutan (1000--1200 ecm), so er- mSglicht man zweierlei: 1. fiillt der qu/ilende Durst weg, der die Kranken sonst bef•llt, wenn sie naeh der alten l~Iethode rund 36 Stunden ohne Wasser bleiben sollen; 2. wird das Blut hydi'~misch und die Neigung, Wasser an die Umgebung abzugeben, gesteigert. Die Umgebung aber, die am gierigsten Wasser aufnehmen wh'd, ist das Ventrikelsystem. Das Wasser diffundiert sehnell in das System, die Luft kann sieh auch in dem ausgeschiedenen Wasser 15sen, die Ventrikel ffillen sich sicherlieh schneller als unter den alten Umst~nden und es bleibt au~erdem ein nieht unerheblicher Flfissigkeitsrest zur Verffigung, um dem Wasserbedarf des Kranken zu genfigen. Experimentell betraehtet w~re es noch riehtiger, hypotonische LSsung zu injizieren, also vorab destilliertes Wasser; das maeht aber aueh Besehwerden und evtl. Gewebsseh~digungen und bietet nicht so gro$e Vorteile wie Nachteile. ])as erste Resultat der In- jektion yon groSen Flfissigkeitsmengen ist eine FSrderung der Liquor- neubildung, das zweite eine Besehleunigung der Liquorneubildung bis normale oder fast normale Mengen wieder erreieht sind. Das dritte, rein klinisehe Resultat ist, dal~ die Kranken bereits 6--8 Stunden nach der Eneephalographie trinken, evtl. aueh essen kSnnen, ohne Brechneigung zu zeigen. Ich habe es nieht frfiher versucht, den Kranken etwas zu reichen, well natfirlieh die ~Sglichkeit, da6 sie doeh breehen, nicht aus- zuschlie6en ist, well sie aueh friiher meist nieht den Wunsch au6ern. Aber ich babe einen Kra~ken mit beginnender Piclcscher Atrophie, am Spatnaehmittag, also 8 Stunden nach tier Eucephalographie, bitten mfissen, im Bett zu bleiben, well er unbedingt aufstehen wollte und auf wiederholte Fragen keinerlei Kopfschmerzen angab, auch keine Klopf- empfindliehkeit des Seh~tdels mehr aufwies. Zu diesem speziellen Fall mug ich allerdings einschr~nkend bemerken, 4a[~ diese Kranken fiber- haupt die Eneephalographie auffallend gut vertragen. Ich verffige fiber 2 F~lle yon kliniseh diagnostizierter und eneephalographisch sicher- gestellter umschriebener Rindenatrophie, wahrscheinlieh PiJcscher Krank- heit, die fiberhaupt nur wahrend des Liquoraustausches fiber Besehwerden klagten und denen nachher nur noch die beiden Stiche yon der Infusions- nadel zu Klagen AnlaB gaben.

yon pathologischen Liquordruckver~nderungen. 45

Zusammenfassung. 1. t t y p e r t o n i s c h e LSsungen , i n t r a v e n S s appl iz ier t , bewi rken , wie

Loeper u n d Mi ta rbe i t e r a m Tier expe r imen te l l bewiesen h a b e n , e ine H e r a b - se t zung des expe r imen te l l oder pa thologisch e rhSh ten L i q u o r ~ ' u c k e s . Diese Ta t s ache l~13t sich k l in i sch n u t z b a r m a c h e n bei Z u s t ~ n d e n , ins- besondere a k u t e r le ichter Drucks te ige rung , haup t s~ch l i ch bei a l len F o r m e n geh~uf ter K r a m p f a n f ~ l l e . Be im S t a t u s epi lept icus wi rd e m p f o h l e n : groBer A d e r l a ] (250- -300 cem Blut ) , d a n a c h L u m b a l p u n k t i o n , E n t n a h m e y o n 6 0 - - 8 0 ccm Liquor , sehliel~lich i n t r a v enS se I n j e k t i o n y o n 50 ccm 40 % iger T r~ubenzucke r lSsung .

2. H y p o t o n i s e h e LSsungen sowie grol~e Mengen iso tonischer L S s u n g e n ve rmSgen pa thologische L i q u o r d r u c k v e r m i n d e r u n g e n g i ins t ig zu beein- f lussen. T ie rversuche y o n Loeper u. a. bes t~ t igen das. Die E r f a h r u n g e n des Verfassers bei E n c e p h a l o g r ~ p h i e r t e n s ind sehr giins~ig.

Es werden s u b c u t a n e I n f u s i o n e n v o n m i n d e s t e n s 1000 ccm physiolo- gischer Kochsa lz lSsung u n m i t t e l b a r n a e h der Encepha log raph i e empfoh len .

Literaturverzeichnis. ,4damkiewicz: Sitzgsber. Akad. Wiss. Wien, Math.-naturwiss. K1. 1883 II. --

Barison: Giorn. Psichiatr. clin. 59, 156 (1931). -- Biancalana: Arch. ital. Chir. 2, 472 (1929); Arch. Sci. reed. 54, 385 (1930). -- Dixon u. Heller: Naunyn-Schmiede- bergs Arch. 166, 265 (1932). -- Dixon u. Halliburton: J. of Physiol. 48, 317 (1914). -- Dreekmann u. Valenzuela: Ref. Zbl. Neur. 59, 592 (1931). -- Ernst: Dtsch. Z. Chir. 226, 222 (1930). -- Gardner u. Lamb: J. amer. med. Assoc. 96, 2102 (1931). -- Gulecke: Med. Klin. 1932, 1519. -- Haug: Z. Neur. 97, 185 u. 302 (1932). -- Lebert: C. r. Soc. Biol. Paris 107, 588 (1931). -- Lemaire et Patel: Paris m~d. 1931, 476. -- Loeper: C. r. Soc. Biol. Paris 102, 810 (1929). -- Loeper, Lemaire et Patel: C. r. Soc. Biol. Paris 103, 1186 (1930). -- Mavronati: C. r. Soc. Biol. Paris 108, 331 (1931). -- Michael u. Vranica: C. r. Soc. Biol. Paris 108, 277 (1931). -- Miller u. Hurwitz: Proc. Soc. exper. Biol. a. Med. 28, 1064 (1931). -- Neel, Thomasson u. Jacobsen: Z. Neur. 122, 253 (1931). -- Olivero: Riforma med. 1931, 881. -- Oljenilc zit. Brouwer: Psychi~tr. BI. (holl.) 36 (1932). -- Plaza u. Dreckmann: Ref. Zbl. Ncur. ~6, 515 (1930). -- Port: Rev. de Neur. 37, 1173 (1930). -- Satka: Giorn. Psichiatr. clin. 59, 78 (1931). -- SI~urling: Arch. Surg. 18, 1763 (1929). -- Steck: Schwciz. med. Wschr. 1980, 962. - - Tamura u. Ohe: Ref. Zbl. Neur. 62, 772 (1931). - - Voigt: Bioch~m. Z. 63, 409 (1913). -- Well, Zei]3 u. Cleveland: Amer. J. :Physiol. 68, 612.