3
Ober die Vollmauser des Rohrschwirls (Locustella luscinioides) Von Erwin und Vesta Stresemann Im vorstehenden Artikel (J. Orn. 1970, p. 230) hat H. M. STuINrR einen Irrtum der Literatur berichtigt. Da man bisher keine anderen Rohrschwirle in Fltigelmauser kannte als diejenigen, die H. L~CNES im Oktober und November 1921 am Sumpf yon Zalingei in Darfur (Sudan) gesammelt hatte (LYN~S 1925), wurde angenommen, daft die Vollmauser stets erst im afrikanischen Winterquartier stattfinde (NIETHAMMrit 1937, WILLIAMSON1963). STrINEr.S Nachricht yon 5 Rohrschwirlen, die in ihrem Brutgebiet, dem Neusiedlersee, das ganze Gefieder erneuerten, kam daher sehr un- erwartet. Hat man es hier mit einem Fernwanderer zu tun, der, wenn adult, die Vollmauser je nad~ gewissen Umst~inden manchmal schon vor der Herbstwanderung beendet, manchmal aber erst im Winterquartier beginnt? Oder iiuftern sich in dieser unter- schiedlichen Einfiigung der Vollmauser in den biologischen Jahrescyclus Populations- Unterschiede, wie wir sie schon mehrmals, zuletzt bei Emberiza aureola, gefunden haben, wo eine Subspecies (ornata) die Vollmauser beendet, ehe sie das Brutgebiet ver1~iflt, die andere Subspecies (aureola) hingegen Tausende yon Kilometern durch- wandert, ehe sie unterwegs auf einer Raststation das ganze Gefieder erneuert? (STRFSE- MANN 1969)1). Die Frage kann bei L. luscinioides noch nicht beantwortet werden. Vor allem wissen wir noch nicht, ob in Mitteleuropa die ,praemigratorische" Vollmauser der Adulten als Ausnahme oder als Regel zu gelten hat. Sowohl Herr WOI.rGANGNEU~AU~R als auch Herr PrTUR HAurr, zwei mecklenburgische Beringer, yon denen der eine seine Japannetze am Krakower See, der andere am RSggeliner See stellt, haben binnen einiger Jahre im Herbst unter mehr als zwanzig Rohrschwirlen nur je einen einzigen gefangen, der in der Fliigelmauser begriffen war (mdl. Mitt.), und Herr HrlNZ WAXCRZYNIAX gab uns bekannt, daft er im Raume yon Brandenburg Ende Juli einige wenige Rohrschwirle gefangen habe, die F!iigel und Schwanz mausern. Von O. u. M. HEINROTH (1926) aufgezogene Rohrschwirle behielten die im Nest gewachsenen Federn bis zum folgenden Dezember und erneuerten erst dann das ganze Gefieder. Diese Jugend-Vo!1mauser beginnt also erst einige Monate nach der Vollmauser der Aduhen und erfolgt stets in Afrika. Sequenz und Tempo der Fliigelmauser.--HerrnDr. STUlNURist es bei seinem Vogel Nr. 2 aufgefallen, daft rechts die neue H 5 yon wachsenden Hand- schwingen (H 4 und 3, 6 und 7) umgeben war. Das mag ihn veranlaf~t haben, kiinftig t) Auch die Gattung L ocustella scheint ein derartiges Beispiel zu liefern. L. odootensis, die nach WILLIAMSON (1963) alle Federn vor dem Herbstzug mausert, wird yon M~ISE (1938) als eine Subspecies yon L. certbiola betraditet. L. c. certloiola aber erneuert, nach WILLIAZiSONSAngaben zu urteilen, die Hugfedern erst im Winterquartler.

Über die Vollmauser des Rohrschwirls(Locustella luscinioides)

  • Upload
    erwin

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Ober die Vollmauser des Rohrschwirls (Locustella luscinioides)

Von Erwin und Vesta Stresemann

Im vorstehenden Artikel (J. Orn. 1970, p. 230) hat H. M. STuINrR einen Irrtum der Literatur berichtigt. Da man bisher keine anderen Rohrschwirle in Fltigelmauser kannte als diejenigen, die H. L~CNES im Oktober und November 1921 am Sumpf yon Zalingei in Darfur (Sudan) gesammelt hatte (LYN~S 1925), wurde angenommen, daft die Vollmauser stets erst im afrikanischen Winterquartier stattfinde (NIETHAMMrit 1937, WILLIAMSON 1963). STrINEr.S Nachricht yon 5 Rohrschwirlen, die in ihrem Brutgebiet, dem Neusiedlersee, das ganze Gefieder erneuerten, kam daher sehr un- erwartet.

Hat man es hier mit einem Fernwanderer zu tun, der, wenn adult, die Vollmauser je nad~ gewissen Umst~inden manchmal schon vor der Herbstwanderung beendet, manchmal aber erst im Winterquartier beginnt? Oder iiuftern sich in dieser unter- schiedlichen Einfiigung der Vollmauser in den biologischen Jahrescyclus Populations- Unterschiede, wie wir sie schon mehrmals, zuletzt bei Emberiza aureola, gefunden haben, wo eine Subspecies (ornata) die Vollmauser beendet, ehe sie das Brutgebiet ver1~iflt, die andere Subspecies (aureola) hingegen Tausende yon Kilometern durch- wandert, ehe sie unterwegs auf einer Raststation das ganze Gefieder erneuert? (STRFSE- MANN 1969)1).

Die Frage kann bei L. luscinioides noch nicht beantwortet werden. Vor allem wissen wir noch nicht, ob in Mitteleuropa die ,praemigratorische" Vollmauser der Adulten als Ausnahme oder als Regel zu gelten hat. Sowohl Herr WOI.rGANG NEU~AU~R als auch Herr PrTUR HAurr, zwei mecklenburgische Beringer, yon denen der eine seine Japannetze am Krakower See, der andere am RSggeliner See stellt, haben binnen einiger Jahre im Herbst unter mehr als zwanzig Rohrschwirlen nur je einen einzigen gefangen, der in der Fliigelmauser begriffen war (mdl. Mitt.), und Herr HrlNZ WAXCRZYNIAX gab uns bekannt, daft er im Raume yon Brandenburg Ende Juli einige wenige Rohrschwirle gefangen habe, die F!iigel und Schwanz mausern.

Von O. u. M. HEINROTH (1926) aufgezogene Rohrschwirle behielten die im Nest gewachsenen Federn bis zum folgenden Dezember und erneuerten erst dann das ganze Gefieder. Diese Jugend-Vo!1mauser beginnt also erst einige Monate nach der Vollmauser der Aduhen und erfolgt stets in Afrika.

S e q u e n z u n d T e m p o d e r F l i i g e l m a u s e r . - - H e r r n D r . STUlNURist es bei seinem Vogel Nr. 2 aufgefallen, daft rechts die neue H 5 yon wachsenden Hand- schwingen (H 4 und 3, 6 und 7) umgeben war. Das mag ihn veranlaf~t haben, kiinftig

t) Auch die Gattung L ocustella scheint ein derartiges Beispiel zu liefern. L. odootensis, die nach WILLIAMSON (1963) alle Federn vor dem Herbstzug mausert, wird yon M~ISE (1938) als eine Subspecies yon L. certbiola betraditet. L. c. certloiola aber erneuert, nach WILLIAZiSONS Angaben zu urteilen, die Hugfedern erst im Winterquartler.

238 ERwIN und VESTA STRI';SEMANN [J. O~n.

bei Rohrschwir len auf die Mausersequenz zu achten, wobei er zu dem Schlut~ gelangt ~st, daft ,,fiir Nr . 2 bis 4 die yon der Mi t te des Handfl i igels descendent und ascendent fortschrei tende Mauser gesichert erscheint".

W i r untersuchten deswegen 5 B~lge und ein Fl i igelpaar , at le in Mauser. Das Fliigel- p a a r (Nr . 1) ve rdanken wi r H e r r n PF.TER HAUFG die B~ilge (Nr . 2 bis 6), yon H. LYN~s gesammelt , sandte uns DEREK GOODWm als Leihgabe des Brit ish Museum ( N a t u r a l His to ry ) .

Bei keinem dieser 6 VSgel zeigt sich eine Abweichung der Handschwingenmauser vom Singvogel-Schema, denn die . f eh le rha f t e ~ Sequenz bei N r . 2 und Nr . 3, wo H 3 vo r H 1 und H 2 ausgefal len ist, ist wohl nichts anderes als eine zuf~illige Folge des raschen Mauser tempos. W i t f ind auf diesen Zusammenhang schon 1966 (p. 26 - -27 ) eingegangen.

So hast ig wie beirn Sprosser (Luscinia luscinia), dessen Mauser W. BERGER (1968) genau ver fo lg t hat , verl~iuft der Schwingenwechsel beim Rohrschwir l freilich nicht. Dennoch mag auch dieser, gleiche Wachstumsgeschwindigkei t der F lugfedern voraus- gesetzt, nur 5 Wochen zur Erneuerung al ler Federn benStigen, denn seine H a n d - schwingen sind ki irzer . Bei einem Sprosser c~ mif~t H 1 56, H 8 68 ram, w~ihrend bei einem Rohrschwir l H 1 43, H 8 57 mm fang iSt.

P r o t o k o l l e

1.) 4. Sept. 1969, Mecklenburg: RSggeliner See - - Berlin H I, r. 1 und 2 neu (2 = 47 ram), 3 und 4 w gleichlang (9 mm kiirzer als H 2), 5 und 6 w gleichlang (12 mm kiirzer als H 2), 7 W (18 mm kiirzer als H 2), 8 und 9 alt - - A r m r: 1 w fast ~/3, 2 bis 6 alt, 7 und 8 w ~iber 1/~, 9 alt. A 4 hat alte Deckfeder, alle anderen Deckfedern w 4/~.

2.) 9. Okt. 1921, (~, Darfur: Zalingei - - London Nr. 1922.12.8.991 HI, r. Keim bei 3, iibrige alt - - A r m, S c h w a n z alt - - K 5 r p e r : vlele Kelme in Mitre des Riickens.

3.) 5. Okt. 1921, (~, Zalingei - London Nrf1922.12.8.990 HI, r. es keimen gleichzeitig 1 bis 4, alt sind 5 bis 9. 1 und 4 w 1 cm, 3 ist der l~ngste Keim - - A r m , S c h w a n z : ohne Mauser - - K S r p e r : Keime in Spinal- und Seitenflur. Kopf ohne Keime.

4.) 16. Okt. 1921, 8 , Za l inge i - - London Nr. 1922.12.8.993 H l, r. 1 bis 3 neu, 4 w fehlt ~A cm, 5 w 1/~, 6 Keim 1/z cm, 7 bis 9 alt - - A r m : 1 his 8 alt, 9 Keim? m S c h w a n z in M a u s e r - - K S r p e r : auf Rii&en und Unterselte schon fertige und viele noch w Federn. Kopf in st'drmischer Mauser.

5.) 23. Oktober 1921, (~, Zalingei - - London Nr. 1922.12.8.994 H I, r. 1 bis 3 neu, 4 no& w, 5 w e/a, 6 Keim 2 cm, 7 bis 9 alt - - A r m unvollst~.ndig 5 c h w a n z in Mauser, keine alten Federn mehr - - K 5 r p e r : w Federn und Keime iiberall. Am Kopf wohI alle Federn im BlutkieL

6.) 9. Nov. 1921, ~ , Zalingei - - London Nr. 1922.12.8.995 H 1 b is5 neu, 6 nochw, 7 w k n a p p l h , 8 Keim l c m , 9 K e i m 1ram ~ A r m unvoll- st~indig - - S c h w a n z : 6 no& w, ~ibrige wohl fertig - - K 5 r p e r : fast fertig, 5rtlich no& w Federn.

Heft 2] Zur Vollmauser des Rohrschwirls 239 1970 j

Zusammenfassung 1. In der Vollmauser begriffene Rohrschwirle sind sowohl vor dem Herbstzug (im August

und September) ira mitteleurop/iischen Brutgebiet, und zwar am Neusiedlersee, bei Branden- burg und in Mecklenburg, als auch nach Ankunft im Winterquartier (Darfur, im Oktober und November) angetroffen worden. Die Frage, ob es sich hier um individuelle oder geo- graphische Variation (ira zweiten Falle also um Populationsunterschiede des Mauserbeginns) handeh, kann noch nicht entschieden werden.

2. Bei keinem yon den 6 praeparierten Rohrschwirlen, deren Mauser die Verff. untersucht haben, weicht der Handschwingenwechsel beachtlich yore Schema der Passeres ab.

Summary 1. Specimens of Locustella lucinioides undergoing and finishing the complete annual moult

have been encountered not only in winterquarters (Darfur, in October/November) but also in Europe (Austria and Northern Germany, in August/September). This fact may, or may not, be due to individual rather than to geographical variation of the species with regard to the onset of moult.

2. Six skins in wing moult were studied by the authors. In every case the sequence in primary replacement conformed with the usual passerine pattern.

Literatur B~RG~R, W. (1967): Die Mauser des Sprossers (Luscinia luscinia L.). - - J. f. Orn. 108, p. 320

bis 327. H~INRO~CH, O. u. M. (1926): Die V/Jgel Mitteleuropas. I. Band. Berlin-Lichterfelde. LYNES, H. (1925): On the birds of North and Central Darfur. Part III. - - Ibis 1925, p. 71 to

131. Mrisr, W. (1938): I~ber Locustella ocbotensis und Locustella certhiola. -- Orn. Monatsber. 46,

p. 168--173. NIeT~AMMER, G. (1937): Handbuch der deutschen Vogelkunde I. Leipzig. STrutteR, H. M. (1970): I~ber die yore Schema der Passeres abweichende Handschwingen-

mauser des Rohrschwirls (LocusteUa Iuscinioides). - - J. f. Orn. 111, p. 230--236. STRESUMANN, E. u. V. (1966): Die Mauser der V~Sgel. - - J. f. Orn. 107, Sonderheft.

- - (1969): Die Mauser einiger Emberiza-Arten I. 2. Emberiza aureola. - - J. f. Orn. 110, p. 306--313.

WILLIAMSON, K. (1963): Identification for Ringers 1: The genera Cettia, Locustella, Acroce~ phaIus and HippoIais. British Trust for Ornithology.