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Uber einen seltenen Symptomenkomplex auf Grund eines Briickenherdes. ~on M. Lewandowsky und E. Stadelmann. Mit 4 Tafeln. (Eing~angen am 15. Oktober 1912.) Krankengeschichte. J. N., 35 Jahre alt, erkrankte am 3. Oktober 1911 naeh Angabe seiner Frau plStzlieh ohne BewuBtseinsverlust mit Spraehst6rungen. Am 4. konnte Patient nicht mehr gehen, am 5. wird er in vollkommener Hilflosigkeit ins Krankenhaus gebraeht. Im Juli soil er einen Zustand yon Kopfsehmerzen, Sehwindel und Schwaehe der Fiifle gehabt haben, der abet bald voriibergegangen ist. Patient hat vor 6 Jahren Lues gehabt. Drei Sehmierkuren. Es besteht eine totale L~hmung des linken Arms und linken Beins. Die linken Extremit~ten v611ig sehlaff. Babinski links +, reehts--. Sehnen- reflexe links verst~rkt. Kein Fullklonus. Der reehte Arm und das rechte Bein sind frei beweglieh, wenn auch etwas sehwaeh. Auf Aufforderung werden aueh komplizierte Bewegungen mit der rechten Hand fehlerlos ausgeffihrt, sowohl vorgemaehte, wie ibm aufgegebene (z. B. Kaffeemiihlendrehen). Mit einem Bleistift schreibt er, wenn aueh etwas un- gesehiekt (sehr unbequeme Lage), sowohl spontan, wie Diktat; ebenso antwortet er sohriftlieh auf Fragen. Die beiden Gesiehtshalften erscheinen schlaff und zeigen nut sehr geringo Differenz. Der linke Mundwinkel hgngt noch etwas mehr als der rechte. Der Mund ist in der Ruhe geschlossen. Patient verfolgt aufmerksam mit den Augea die Vorgi~nge um sich herum. Dabei werden auch Kopfdrehungen naeh links und reehts, ebenso wie auf entspreehende Aufforderung, ausgefiihrt. Die Augenbewegungen sind v611igfrei. Kein Nystagmus. Aufforderungen, die Augen zu schliegen oder weit aufzureiBen, werden prompt befolgt. Pupillen gleiehweit, Liehtreaktion +. Cornealreflex beiderseits prompt. Aueh die Auf- forderung des Stirnrunzelns wird prompt befolgt. Die Aufforderung den Mund zu verziehen, zu spitzen oder die Zithne zu zeigen, wird nieht befolgt. Patient kann aueh kein Streiehholz auspusten od. dgl. Das Gebiet des unteren Faeialis erseheint beiderseits v611ig unbeweghch. Auf die Aufforderung den Mund zu 5ffnen, gelingt es dem Patient nut, die Lippen etwa 1/2 em voneinander zu entfernen. Der Kranke versucht dann verschiedentlieh, den Mund mit seiner reehten Hand zu 5ffnen. Ebensowenig kann der Mund aktiv lest gesehlossen werden; ist der Mund passiv weit ge6ffnet, so gelingt es dem Patienten auch nicht, ihn zu sehliegen. Der Versueh den Mund passiv zu 5~fnen, begegnet ~ehr groom (unwillkfir lichem) Widerstand, der bei den ent,~preehenden Versuchen zuerst immer mehr 22*

Über einen seltenen symptomenkomplex auf grund eines brückenherdes

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Uber einen seltenen Symptomenkomplex auf Grund eines Briickenherdes.

~on

M. Lewandowsky und E. Stadelmann.

Mit 4 Tafe ln .

(Eing~angen am 15. Oktober 1912.)

K r a n k e n g e s c h i c h t e .

J. N., 35 Jahre alt, erkrankte am 3. Oktober 1911 naeh Angabe seiner Frau plStzlieh ohne BewuBtseinsverlust mit Spraehst6rungen. Am 4. konnte Patient nicht mehr gehen, am 5. wird er in vollkommener Hilflosigkeit ins Krankenhaus gebraeht.

Im Juli soil er einen Zustand yon Kopfsehmerzen, Sehwindel und Schwaehe der Fiifle gehabt haben, der abet bald voriibergegangen ist.

Patient hat vor 6 Jahren Lues gehabt. Drei Sehmierkuren. Es besteht eine totale L ~ h m u n g des l i n k e n Arms u n d l i n k e n Beins.

Die linken Extremit~ten v611ig sehlaff. Babinski links + , reehts-- . Sehnen- reflexe links verst~rkt. Kein Fullklonus.

Der reehte Arm und das rechte Bein sind frei beweglieh, wenn auch etwas sehwaeh. Auf Aufforderung werden aueh komplizierte Bewegungen mit der rechten Hand fehlerlos ausgeffihrt, sowohl vorgemaehte, wie ibm aufgegebene (z. B. Kaffeemiihlendrehen). Mit einem Bleistift schreibt er, wenn aueh etwas un- gesehiekt (sehr unbequeme Lage), sowohl spontan, wie Diktat; ebenso antwortet er sohriftlieh auf Fragen.

Die beiden G e s i e h t s h a l f t e n erscheinen schlaff und zeigen nut sehr geringo Differenz. Der linke Mundwinkel hgngt noch etwas mehr als der rechte. Der Mund ist in der Ruhe geschlossen. Patient verfolgt aufmerksam mit den Augea die Vorgi~nge um sich herum. Dabei werden auch Kopfdrehungen naeh links und reehts, ebenso wie auf entspreehende Aufforderung, ausgefiihrt.

Die A u g e n b e w e g u n g e n sind v611ig frei. Kein Nystagmus. Aufforderungen, die Augen zu schliegen oder weit aufzureiBen, werden prompt befolgt. Pupillen gleiehweit, Liehtreaktion + . Cornealreflex beiderseits prompt. Aueh die Auf- forderung des S t i r n r u n z e l n s wird prompt befolgt.

Die Aufforderung den M u n d zu verziehen, zu spitzen oder die Zithne zu zeigen, wird nieht befolgt. Patient kann aueh kein Streiehholz auspusten od. dgl. Das Gebiet des unteren Faeialis erseheint beiderseits v611ig unbeweghch.

Auf die Aufforderung den Mund zu 5 f fnen , gelingt es dem Patient nut, die Lippen etwa 1/2 em voneinander zu entfernen. Der Kranke versucht dann verschiedentlieh, den Mund mit seiner reehten Hand zu 5ffnen.

Ebensowenig kann der Mund aktiv lest gesehlossen werden; ist der Mund passiv weit ge6ffnet, so gelingt es dem Patienten auch nicht, ihn zu sehliegen.

Der Versueh den Mund passiv zu 5~fnen, begegnet ~ehr groom (unwillkfir lichem) Widerstand, der bei den ent,~preehenden Versuchen zuerst immer mehr

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zunimmt, und gelingt nur mit Hilfe des Heisters. Erst wenn der Heister l~ngere Zeit gelegen hat, erschlafft der Widerstand, undes tritt dann die obenerw~hnte Erseheinung ein, dab der Patient den Mund nun nicht zumaehen kann. Dagegen schliegt sich der Mund auch dann wieder bald yon selbst, und jeder Versuch, mit dem Spatel etwa die Zunge zu besichtigen od. dgl., steigert den Widerstand zu- n~chst nur noch mehr.

Der Unterkieferreflex sehr lebhaft. Kein Facialisph~nomen. Der reflektorische Widerstand des Kiefers ist so groG, dai3 es nm mit Miihe

gehngt, den Gaumenbogen und den l%chen zu Gesicht zu bekommen. Der Gaumen ist nicht verzogen, der Wiirgreflex sehr lebhaft. Bei Strichreizung des harten Gaumens Contraetionder Mundmuskulatur (Hennebergs Harter Gaumenreflex). Laryngoskopieren wegen des Trismus ohne unzul~ssige BelKstigung des Patienten nieht mSglich.

Die Z u nge liegt im Munde gerade und ist etwas nach hinten zuriickgesunken. Sie kann auf Aufforderung weder im Munde bewegt, noch herausgestreckt werden. Patient beantwortet die Aufforderung dazu damit, dag er sie mit der rechten Hand hervorzuziehen versueht.

Willkiirliches Schl uc ke n ist vSllig unmSglieh. Speise bleibt im Mund liegen. (Seine Frau steckte ihm bei einem Besuch am 21. nachmittags heimlieh einige Beeren und Kuchen in den Mund. In der Nacht bekam Patient Husten- and Er- stickungsanfiille mit Erbrechen, als Ursaehe wurden dann die Nahrungsmittel im Munde bzw. Rachen gefunden.) Giel~t man ihm etwas Wasser in den Mund, so erfolgt nach einiger Zeit eine Schluckbewegung, aber fast immer yon lebhaftem Wiirgen und Husten gefolgt, so dag sich der Patient schliei~lich weigert, irgend- welche Fliissigkeit sich eintri~lffeln zu lassen. An den Schluckbewegungen be- teiligt sich der Mund nicht, sie warden offenbar erst im Raehen ausgelSst. Auch gpontane Schluekbewegungen, ohne dag Nahrung gereicht wird, erfolgen ab und zu, wie am Halse bzw. Kehlkopf zu beobachten ist, der )Sund beteiligt sich auch daran nicht.

Der Kranke kann daher nur mit der Schlundsonde ernKhrt werden. Ferner zeigt es sich, dal~ jede willkiirliehe Beeinflussung der A t m u n g fast

unmSglich ist. Der Patient kann weder den Atem anhalten, noch kann er will- kiirlich husten - - w~hrend reflektorisch vom Rachen aus sehr heftige Husten- stSBe ausgelSst werden (bei denen er aber nicht aushustet, der Sehleim muB nach gewaltsamer 0ffnung des Mundes aus dem Rachen getupft werden). Bei der Atffforderung die Nase zu sehnauben, fiihrt er mit der rechten Hand sein Tasehen- tueh an die Nase, ist aber auBerstande, die Aufforderung weiter auszufiihren. Bei der Aufforderu1~g ein Streichholz auszupusten, glaubt man eine leichte Ver- tiefung der Atmung zu bemerken; aber ein Exspirationsstog erfolgt nicht. Der Versueh zu pressen gelingt vielleieht einmal ganz unvollkommen, dann nicht mehr.

Der Patient kann weder sp rechen , noch auch i n t o n i e r e n . Beim Besuch seiner Frau hat er stShnende Laute yon sich gegeben.

Trotz Einleitung einer antiluetischen Kur, die freilich von vornherein ans- sichtslos erschien, ging der Kranke am 25. Oktober zugrunde.

Das oben besehriebene Zustandsbild hatte sich in dieser Zeit in keiner Weise ge~ndert. Wiederholte Priifungen ergaben immer die gleichen Resultate.

Die Wasse rmannsche Reaktion im Blur war positiv ausgefallen.

A n a t o m i s c h e r Befund.

Das Gehirn wurde im ganzen in Formol geh~rtet und dann der Hirnstamm, bei dessen Durchschneidung sich schon makroskopische Herde zeigten, in eine liiekenlose Serie zerlegt. Die Schnitte wurden nach W e i g e r t - Pal behandelt,

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obwohl wir wuBten, dab wir Degenerationen nach dieser NIethode noch nicht aus- gebildet wiirden feststellen kSnnen. Es kam uns aber in diesem Falle zun/iehst alles darauf an, den Umfang des Herdes genau festzustellen, und da bei der M a r e h i - sehen Methode doeh leieht Schnitte ausfallen oder ganze Stfieke unvollst~ndig durehtr~nkt werden od. dgl., haben wir uns entschlossen, auf die Darstellung der Degenerationen, die in diesem Falle nur mit Hilfe der Marchischen Methode mSglich gewesen w~re, Verzicht zu leisten.

Es handelt sich um einen e i n h e i t l i c h e n H e r d , der offenbar einer Thrombose im Gebiet der Art. basilaris seine Entstehung verdankt. Der Bequemlichkeit der Orientierung wegen bezeichnen wir die einzelnen Zungen des Herdes mit einzelnen Buchstaben. Man wird sehen, da6 sic alle miteinander zusammenh~ngen.

Auf Fig. 1 (Taft VI) entspreehend der oralsten Ebene der Herdbildung sehen wir im FuB des Pons vier Herde, der eine (b) liegt genau medial und ganz ventral an der Peripherie, der zweite (a) liegt in der mittleren Etage der FuBregion links. Er l~Bt den lateralen und ventralen Teil des Fulles frei, ebenso wie den dorsalen Teil. Vergleiehen wir z. B. eine Figur v. M o n a k o w s ungef~hr der gleichen HShe (Gehirnpathologie, 2. Aufl., S. 117, Fig. 85), so wfirde sieh ergeben, dab vornehmlich das Gebiet der frontalen Briiekenbahn zerstSrt ist, dab aber auch die Pyramidenzone schwerlich ganz frei sein kann, sondetn etwas geseh~digt sein mu6. Durchaus frei ist das (laterale) Gebiet der temporalen Brficken- bahn. Dagegen liegt der rechtsseitige Herd (c) ventraler und lateraler, so dab hier gerade wesentlieh die Pyramide zerstSrt sein mul3. Ein kleiner Herd d beginnt an der Grenze zwischen Haube und Ful3 genau median.

Auf Fig. 2 finden wir den Herd rechts (c) noch mehr nach allen Richtungen ausgedehnt, speziell ventral und lateral (Pyramidenregion). Er ist mit dem Her@ b zusammengeflossen. Der Herd a links ist ein wenig ausgedehnter, in seiner Lage aber im wesentliehen unver/~ndert. Der Herd d wie in Fig. 1.

In Fig. 3 sieht man den Herd a wohl vergrSBert, aber nur dorsal und medial. Die ventralen und lateralen Teile des Haubenful~es bleiben links auch hier frei. Die Gegend der Raphe zwischen a, b u n d c ist schwer gesch~idigt, c hat sich ein wenig v o n d e r ventralen Begrenzung der Briicke zurfickgezogen, um sich lateral jedoch noch etwas entsehiedener auszudehnen. Der Herd d zeigt sich vergrSBert wieder reehts ganz dorsal im FuBteil und nahe der Mittellinie, aber wesentlich reehts.

Fig. 4 zeigt die Ausdehnung dieses Herdes besonders nach a zu. Die Mark- fasern zwischen a und d sind offenbar schwer gesch~digt, a hat sich dagegen von der ventral-lateralen Region des Ful]es (Pyramide) noch weiter zurfickgezogen. Auch ~s ist etwas kleiner geworden.

Fig. 5 zeigt eine VergrSBerung des Herdes d, der sich hier ein wenig dorsal in die Schleifenschicht dicht an der Mittellinie vorschiebt und gegen den hin sich auch der Herd a seinerseits ausdehnt; auch der Herd c ist noch etwas gewachsen.

Fig. 6 zeigt ein entschiedenes Kleinerwerden des Herdes a und auch ein geringeres Zuriickgehen des Herdes c. Neben dem Herd c ist ein kleiner neuer Herd e ganz an der lateralen Peripherie entstanden. Der Herd d ist hier merk- wiirdigerweise nur an einer kleinen Aufhellung des Gewebes noch sichtbar, um erst in der n/~ehsten Figur wieder deutlich zu werden.

Fig. 7 (Taft VII) zeigt eine weitere Verkleinerung des Herdes a, der Herd c ist unge/~ndert, der Herd e f~ngt an, sich auszudehnen. Der Herd d ist gerade an der Mittellinie ganz dorsal im FuB, dieht unter der Haube wieder erschienen.

In Fig. 8 flieBen alle die Her@ wieder zusammen. Der Herd a flieBt fiber die Raphe, die hier in ihrem dorsalen Teil fast vSllig in den Herd aufgegangen ist, mit dem Herd c zusammen, und ebenso mit dem Herd d. Auch der Herd e ventro-

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lateral reehts ist etwas gr5Ber geworden und h~ngt seinerseits durch eine Schicht halbzerstfrten Gewebes mit dem Herde c zusammen.

In Fig. 9 k6nnen wir yon einem Herd a kaum mehr sprechen. Er ist yon seiner alten Stelle wenigstens ganz versehwunden und vielmehr ganz medial- und dorsalw~rts geriickt, so dab er mit dem Herded vfllig zusammengeflossen ist. Dadurch ist die ganze mediale Partie des Fulles beiderseits neben der Raphe und die Raphe selbst zerstfrt. Nach rechts setzt sich die Zerstfrung in den Herd c u n d e fort~ die wie auf Fig. 8 liegen.

In Fig. 10 sehen wir wieder die vfllige beiderseitige Zerstfrung des medialen und dorsalen Tells des Ful~es (d), und der Herd geht beiderseits ein klein wenig in der Haube zwischen die beiden medialen Schleifen hinein, c u n d e sind kaum ver~ndert.

In Fig. 11 (Taft VIII) sehen wir den Herd c fast verschwunden, d u n d e sind fast unver~ndert.

Fig. 12 zeigt eine Verkleinerung des Herdes d, der aber immer noch beiderseits gerade das dorsalste mediale Gebiet des Ful3es zerstfrt hat, und auch ein wenig in die Haube vorgedrungen ist. e ist unver~ndert.

Fig. 13 zeigt eine weitere Verkleinerung des Herdes d, dagegen ist in der Sehleifenschicht rechts ein neuer kleiner Herd ] aufgetreten, e ist unver~ndert.

In Fig. 14 (Taf. IX) ist der Herd d verschwunden, dagegen zeigt der Herd ] eine erhebliche Ausdehnung, einerseits verschm~tzt er mit dem Herd e ventral- w/~rts, andererseits geht er dorsomedial (] 2) in die Haube hinein, so dab ungef~hr gerade der lateroventrale Quadrant des einen Haubenfeldes hier zerst5rt ist.

In Fig. 15 ist der dorsale Teil des Herdes / noch kompakter geworden. Der Herd e ist im Begriffe zu versehwinden.

Fig. 16 zeigt noeh zwei Aufhellungen im Gewebe als Reste des Herdes / und den Rest des Herdes e.

Bei der Gegeniiberhaltung des klinischen und des anatomischen Befundes dieses Falles f~llt zun~chst die Begri indung der l i n k s - s e i t i g e n H e m i p l e g i e nicht schwer. Der Herd in der rechten Pedun- culus- bzw. Ponsh~lfte mul3 nach unseren Kenntnissen fiber die Lage der Py ramidenbahnen diese wohl ziemlich vollst~ndig zers t f r t haben, da er in seinen oralen Ebenen die ventrale H~lfte der den Briickenful3 in der Vierhiigelgegend durchziehenden Bahnen ziemlich vollstgndig vernichte t hat.

Merkwiirdiger ist es schon, dal~ der linksseitige Herd nicht zu einer r e c h t s s e i t i g e n H e m i p l e g i e gefiihrt hat , sondern dal3 t ro tz der umfangreichen Zerst6rung des linken Pedunculus die rechte Kf rpe r - h~lfte (mit Ausnahme der Kopf- und der Atemmuskulatur) zwar etwas geschw~cht, aber doch na'ch jeder Rich tung hin bewegungsf~hig war; auch der B a b i n sk i sche Reflex oder andere Pyramidenzeichen waren nicht vorhanden. Das erkl~rt sich jedoch wohl aus der verh~ltnismKBig geringen Sch~digung des lateral-ventralen Teiles des Pons, in welchem hier die Pyramiden liegen sollen. Ganz verschont k6nnen die Pyramiden indessen wohl nicht geblieben sein, wenn auch die genaue Lagerung

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der Pyramiden in den oralen Ebenen des Pedunculus uns noch nicht erschSpfend festgestellt scheintl).

Der Fall ist dann noch bemerkenswert ffir die Physiologie des M o n a k o w s c h e n B f i n d e l s beim Menschen. Wie a u f Fig. 1~ 16 ersichtlich ist, ist der Herd hier im Pons, und zwar auf der l i n k e n Seite, welt in die Haube vorgedrnngen und hat deren lateralen und ventralen Quadranten vTllig zersttirt. In diesem Quadrar~ten liegt abet das M o n a k o w s c h e Bfindel (Fasc. rubrospinalis), das also auch zerst6rt gewesen sein mul~). Da dieses Bfindel hier - - im Gegensatz zur Pyramide - - schon gelu:euzt ist, so haben wit ein merkwfirdlges Ex- periment verwirklicht. Das M o n a k o w s c h e Bfindel ist erhalten fiir diejenige KTrperh~lfte, deren Pyramide zerst6rt ist, und es ist vernichtet ffir diejenige KSrperh~lfte, deren Pyramide erhalten ist. Daraus folgt einerseits - - was allerdings niemals bezweifelt worden ist s) P , dab die Pyramide ohne Monakowsches Bfindel ffir die Motilit~t geniigt. Andererseits best~tigt die linksseitige schwere L~hmung bei Erhaltung des linken M o n a k o w s c h e n Bfindels die yon dem einen von uns schon an einem frfiheren Falle ~) gemachte Erfahrung, daI~ die Erhaltung des Weges yon der GroBhirnrinde fiber den Thalamus, roten Kern, Mo- n a kowsc he s Bfindel zum Rfickenmark ffir die Ausgleichung der dutch die Pyramidenzerst6rung gesch~digten motorischen Funktion nicht in Betracht kommt. Die Bedeutungslosigkeit des M o n a k ow schen Bfin- dels ffir die Motilit~t beim Menschen folgt daraus allerdings nur fiir diejenigen, welche den angegebenen Weg fiber Thalamus und roten Kern oder auch direkt vom Pedunculus zum roten Kern annehmen, tier in unserem Falle, wie auch dem vorerw~hnten4), intakt war. Der eine yon uns hat jedoch die Ansicht vertreten, dal~ ein Weg vom Grollhim zum roten Kern und zum M o n a k o w s c h e n Bfindel nut fiber den Pedunculus, das Kleinhirn und den Bindearm (mit zweimaliger Kreuzung, erstens im Brfickengrau und zweitens in der Bindearmkreuzung) mfig- tich sei. Nimmt man diesen Weg an, dann ist unser Fall, wie aueh der

l) Es ist iiberhaupt nich~ unwahrscheinlich, dal~ die Pyramiden in den oralen Ponsebenen, wle im Pedunculus noeh gar keinen geschlossenen Faser- zug bilden, sondern hier noch mit der parieto- bzw. eentropontinen Bahnen innig gemischt verlaufen.

~) Vgh iiber seine Lage beim Menschen Buzzard and Collier, Descending meseneephalie tracts etc. Brain 1901, Taf. 17, Fig. 8 u. 9.

3) Fiir den vorliegenden Fall ist die ZerstSrung des Monakowschen Biindels rechts aber datum wichtig, well man sonst bei der weitgehenden ZerstSrung der linken Pedunculusbahnen h~tte auf den Gedanken kommen kSnnen, dab die motorische Leitung gar nicht durch die Pyramide, sondem durch das Monakow- sche Biindel gegangen ist. Das ist durch den Haubenherd ausgeschlossen.

~) Lewandowsky, Fall yon Ponsherd. Monatssehr. f. Psych. u. Neur. 17, 495. 1905.

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vorerw~hnte, natiirlich kein Beweis fiir die Bedeutungslosigkeit des Haubenweges, bez. des M o n a k o w schen Biindels beim Menschen. Denn dieser Weg war durch den doppelseitigen, ausgedehnten Herd der Fu~- region in unserem Falle auf das schwerste gesch~digt. Ob dieser Weg fiber den Pedunculus - - Kleinhirn - - Bindearm - - roten Kern M o n a k o w s c h e s Biindel yon funktioneller Bedeutung ist, kann man nur durch Hexde erfahren, welche caudal vom Pedunculus die Pyramide zerstSren. Solche Herde sind seit den bereits 1905 yon dem einen yon uns zitierten F~llen yon P i c k 1) und S c h l e s i n g e r 2) nach unserer Kenntnis nicht publiziert. Wir kSnnen daher in bezug auf die aus der Vergleichung eines Herdes gezogenen Folgerungen auf die frfihere Arbeit verweisen, und bemerken dazu nur, daB, wie in dem friiheren Fall, auch in dem vorliegenden die durch den Ponsherd verursachte Hemiplegie der linken Seite eine sehr s c h w e r e a) war.

Es seien dann mit Riicksicht auf entsprechende Streitfragen noch zwei negative Merkmale des Falles angemerkt. Das erste ist das F e h l e n v o n K r~ m p fe n, die j a ab und zu bei Briickenherden beobachtet wer- den, wenn es auch wohl feststeht, dab das nur Ausnahmef~lle 4) sind. Das zweite ist das F e h l e n v o n C h o r e a , welches vor kurzem, wenn auch ohne zureichenden Grund, yon E c o n o m o mit Pedunculusherden in Verbindung gebracht wurdeS).

Symptomatologisch erscheint uns nun weiterhin recht bemerkens- wert die S t S r u n g de r A t m u n g , die bei dem Kranken bestand. Sie bestand in einer vollst~ndigen A u s s c h a l t u n g de r w i l l k f i r l i c h e n B e e i n f l u s s u n g d e r A t m u n g . Der Kranke konnte weder die Atmung anhalten, noch willkiirlich vertiefen, noch willkiirlich husten, noch die Nase ausschnauben, noch sonst irgend etwas tun, wozu eine willkiirliche ~nderung der Atemt~tigkeit notwendig ist. Da~ er sie beeil~flussen w o l l t e , ging aus seinem ganzen Benehmen hervor, z. B. wenn er sein Taschentuch an die Nase ffihrte. Aber die Atmung ging unbeeinflul~t wel- ter, offenbar allein unter der Herrschaft des automatischen Atemzen- t rums in der Medulla oblongata. Dutch dessen Vermittlung konnte die At, mung anch reflektorisch beeinflul~t werden, z. B. durch das Eindringen yon ~emdkOrpern (Speise) in den Kehlkopfeingang (vgl. Krankengesehichte) ; aber alle willkiirliche Einflul]nahme auf diese sogar auI~erordentlich lebhaft ablaufenden Reflexvorg~nge war wiederum ausgeschaltet. Diese

1) Beitr~ge zur Pathologie und pathologischen Anatomie des Zentralnerven- systems. Berlin 1898, S. 213.

~) Zeitschr. f. klin. Medizin 32, Supplbd., S. 58. a) Auch dann, wenn man bei der Lebensdauer yon 21 Tagen nach dem Insult

noeh mit der Wahrscheinlichkeit einer gewissen Restitution rechnet. ~) Vgl. Handb. d. Neurologie I, 755. 5) Vgl. unsere Arbeit fiber Chorea apopleetiea. Zeitschr. f. d. ges. Neur. u.

Psych. 12, 538, Anm. 2. 1919.

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Art der Atmungsst6rung haben wit nirgends beschrieben gefunden. Zwar finden wir bei Pseudobulb~rparalyse h~ufig St6rungen der Atmung insbesondere als Ursachen gewisser Sprachst6rungen (semiexplosive Spraehe) besehrieben [Co m te 1) u.a.]. Sonst finden wit noch bei Lie p- manna) in seinem ersten Falle yon Apraxie auch einmal als often- bar voriibergehende Erscheinung ,,Apraxie der willkiirlichen At- mung und des Gurgelns, d. h. gro[te Sehwierigkeit und Ungesehiek- liehkeit in der Ausfiihrung dieser Verrichtungen". L i e p m a n n be- trachtet diese St6rung in seinem Fall ersichtlich als eine intracorticale, der iibrigen Apraxie seines Falles analoge, wodureh sic yon unserem Falle ganz abgeriickt wird. Ebenso bezeiehnet Dagn in i 3) die Un- m6glichkeit zu pusten oder zu pfeifen als Apraxie der Atmung, und fiihrt diese St6rungen auf den Verlust der motorischen Erinnerungs- bilder, die diesen Akten entsprechen, zuriiek. Dagegen sind die er- w~hnten AtemstOrungen bei Pseudobulb~xparalyse wohl in der Art unserer Atemst6rung verwandt, nut sind sie als AtemstSrungen an und fiir sich noch kaum genauer untersucht. An einigen F~llen yon Pseudo- bulb~rparalyse, die wir seither untersuchten, konnten wit auch eine ungeniigende Beherrsehung der Atmung feststellen. Die Kranken konn- ten zum Teil die Atmung nut ganz kurz anhalten, konnten sie nicht besehleunigen usw. In dem hier gesehilderten Fall haben wir abet die d e n k bar g r 5 B t e St6rung, die vollkommene Aussehaltung jedes Will- kiireinflusses,undzwar offenbardurch do p p els ei t ig eU nt erbr ech u ng der v o n d e r R i n d e zum A t e m z e n t r u m der Medul la o b l o n g a t a i i i h r e n d e n B a h n e n d u r c h den b e s e h r i e b e n e n Br i i ekenherd . Diese cortiealen Atmungsbahnen dfrften demnach im medialen Tell des Pedunculus entspreehend der doppelseitig gesch~digten Region verlaufen.

Zu der Aufhebung der willkiirlichen Atmung gesellte sich nun die A u f h e b u n g der wi l lk i i r l i chen I n n e r v a t i o n fiir e i n e n grol~en Tell des K o p f g e b i e t e s beider Sei ten. Diese Auf- h e b u n g be t r a f die Zunge , die ge samte Rachen - , Mund- u n d P h o n a t i o n s m u s k u l a t u r und die K i e f e r m u s k u l a t u r .

Fre i , d. h. wi l lk i i r l ieh zu i n n e r v i e r e n , b l i eben s~mt l i ehe A u g e n m u s k e l n , das Gebie t des oberen Fae ia l i s u n d wahr- sche in l i eh der Aecessor ius (Seitw~rtswendung des Kopfes).

Anatomisch ist das Freibleiben dieser Muskeln von meh~eren Ge- siehtspunkten aus bemerkenswert. Dal~ die Verhindungen des Pedun- culus mit dem Oculomotoriuskern nicht zerst6rt waren, geht zwar aus

1) Comte, Des paralysies pseudobulbaires. Paris 1900. 2) H. Liepmann, Der weitere Krankheitsverlauf usw. Berlin 1906, S. 3,

Karger. *} II Policlinico 1911, 1206 zit. nach einem Referat in der Revue neurologique.

326 M. Lewandowsky und E. Stadelmann:

der Lage des Herdes ohne weiteres hervor. Denn der orate Beginn des Herdes liegt caudal vom Oculomotoriuskern. Bemerkensw~rt ist es aber, dab auch der Trochlearis und vor allem der Abducens bei assoziierten Blickbewegungen vSllig normal funktionierten. Wenn die direkten Verbindungen der L~ngsfaserung des Pons zum Abducenskern durch den Herd doppelseitig unterbroehen waren, so wiirde folgen, daB yon der Vierhiigelgegend aus die assoziierten Blickbewegungen dutch Bahnen der Haube geleitet werden k0nnen. Es ist diese Unterbrechung der Fasern zum Abducens abet nieht sicher, da ja auch andere Hirn- nervenbahnen der ZerstSrung entgangen sind. Wir wollen also auf das angedeutete Problem zweeks weiterer Priifung in geeigneten F~llen von doppelseitigen Herden nur aufmerksam machen.

Sehr auffallend ist dann die vollkommene F u n k t i o n s t i i e h t i g - k e i t des o b e r e n F a e i a l i s (Lidbewegungen und Stirnrunzeln). Man daft das natiirlich nicht mit der gewShnliehen Verschonung des oberen Facialis bei e i n s ei t i g e n supranucle~ren Herden erkl~ren; denn diese Versehonung des oberen Faeialis beruht da auf seiner doppelseitigen Innervation, so dab die einseitige Unterbrechung nicht zur Funktions- aufhebung geniigt. Hier abet waren b e i d e Seiten betroffen. Man muB daher annehmen, dab in unserem Falle d ie s u p r a n u e l e ~ r e n B a h n e n f i i r d e n o b e r e n F a c i a l i s g e t r e n n t y o n d e n e n des u n t e r e n v e r - l i e f e n , und zwar miissen sie nach Lage des Herdes, der den ganzen medialen Tell des FuBes zerstSrte, in seinem lateralen Tell ver- laufen sein, sei es ventrolateral in der N~he der [links z) zum groBen Tell erhaltenen] Pyramide oder dorsolateral. DaB in der Tat die Bahn des oberen Facialis nieht unmit telbar mit der des unteren Facialis zu- sammen verl~uft, dafiir sprechen auch die yon dem einen yon uns als Apraxie 2) des Lidschlusses bezeichneten F~llea), wo umgekehrt wie in dem oben besehriebenen nur der obere Facialis bzw. der LidschluB a)

z) Man mul3 damit rechnen, dab die einseitige Erhaltung der supranucle~ren Facialisbahn fiir den oberen Facialis geniigt.

~) Wir ziehen es jetzt vor, diese StSrung, wie auch die in dem vorliegenden Falle beobachteten StSrungen der Kopfinnervation, nicht als Apraxie, sondern als supranucle~re "oder corticale I~hmung zu bezeichnen, und die Bezeichnung der Apraxie, wenigstens was den Menschen anlangt, fiir StSrungen intracorti- caler Vorg~nge vorzubehalten. Es handelt sich da nut um eine Frage der De- finition der Apraxie.

8) Lewandowsky, Apraxie des Lidschlusses. Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 29. Derselbe hat inzwischen auf der Abteilung yon Prof. L. K u t t n e r noch einen dem dort beschriebenen ganz gleichen Fall, und zwar wiederum kombiniert mit linksseitiger Extremit~tenl~hmung, gesehen.

4) Es gibt auch F~lle, in denen mit dem willkiirlichen LidschtuB nicht der ganze obere Facialis, ja nicht einmal die Senkung des oberen Lides beim Blick nach unten verloren geht. Lewandowsky, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. ~9, 358. 1905. Das bedeutet iibrigens vielleicht, dab schon von der Rinde aus zu ein und demselben Muskel gesonderte Bahnen verschiedener Funktion ziehen.

~ber einen seltenen Symptomenkomplex auf Grund eines Brfickenherdes. 327

doppelseitig vernichtet, aber der untere Facialis funktionstiich- rig is~.

Die Funktionsst6rung, welche durch die Unterbrechung der Bahnen zu den Hirnnervenkernen bedingt wurde, bestand in einer L g h m u n g d e r W i l l k i i r b e w e g u n g e n des u n t e r e n F a c i a l i s , d e r M u n d - u n d S c h l u n d m u s k u l a t u r , d e r Z u n g e u n d d e r K a u m u s k u l a - t u r . DaB auch die K e h l k o p f m u s k u l a t u r bzw. die Stimmbgnder willkiirlich fast vollstgndig oder vollst~ndig gel~hmt waren, ist aus der Stimm- und SprachstSrung sehr wahrscheinlich, wenn auch eine laryngo- skopische Untersuchung sich infolge des Trismus und der gesteigerten reflektorischen Erregbarkeit nicht durchfiihren liel~.

Fglle, in denen die ,,Pseudobulb~rparalyse" bis zu diesem extremen Grad der vollkommenen Funktionsausschaltung der yore Bulbus inner- vierten Muskulatur geht, sind auBerordentlich selten. Vor kurzem hat S c h a f f e r 1) einen dem unseren in dieser Richtung sehr ~hnlichen Fall beschrieben. In diesem Falle bestand (neben einer linksseitigen facio- brachialen Monoplegie) totale Aphagie, Glossoplegie und Sprechunf~hig- keit. Die Kranke war nicht imstande, auch nut einen hauch~hnlichen Laut he~vorzubringen, und zwar dauerte in dem Fall yon S c h a f f e r dieser Zustand der vollst~ndigen Aphagie und Sprechunf~higkeit bis zum Tode der Kranken etwa 7 Monate hindurch. Nur die Zunge war ein wenig beweglich geworden. Jiingst beschrieb dann L i e p m a n n ~ ) einen Fall von ,,extrem ausgebildeter Glosso-Pharyngo-Labialparalyse" yon sechsjghriger Dauer. Der Kranke war total stumm, konnte nur ,,grunzen" und war ~ul~erstande, ausreichend zu schlucken. Unser Fall schliei~t sich mit Bezug auf die Gesamtheit der Hirnnervenst6rungen eng dem S c h a f f e r s c h e n Fall an. Fiir die Rolle, welche das Groi~hirn fiir den Schluck- und Stimmakt beim Menschen spiett, ist tier S c h a f f e r - sche Fall noch beweisender, da er denInsult 6Monate iiberlebte, der unsere nut 20 Tage. Es folgt aus diesen Fgllen, dal~ beim erwachsenen Menschen die niederen Zentren des Schluckens und der Stimmgebung, wenn sie vom Grol~hirn abgetrennt sind, nicht wieder diejenige Funktionsfghig- keit erreichen, welche sie beim S~ugling besitzen. Denn es ist ja bekannt, dal~ grol~hirnlose Mfl~geburten noch Nahrung nehmen und auch schreien. Der eine yon uns hat auch den Schgdelinhalt eines 13 Monate alten Kindes abgebildet (Handb. dcr Neut. 3 S. 121), das nicht ohne GroB- hirn geboren, sondern erst auf Grund luetischer Erweichungsprozesse in einen Zustand gekommen war, den man wohl als beinahe gro~hirn- los bezeichnen kann. Auch dieses Kind, das leider nicht yon sach- verst~ndiger Seite beobachtet worden war, konnte jedenfalls ohne alle

1) Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 6, 196. 1911. 2) Autoreferat nach einem Vortrag, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. Ref. 4,

694. 1912.

328 M. Lewandowsky und E. Stadelmann:

StSrung schlucken und schreien. Bis zu welchem Alter die subcorti- calen Zentren diese elementaren F~higkeiten wiedererlernen kSnnen, wird weiteren Feststellungen iiberlassen bleiben. Indem diese Funk- tionen allm~hlich auf das Groi]hirn und die GroBhirnrinde fibergehen, verlieren die niederen Zentren aber jedenfalls die FEhigkeit, sie in spE- terem Alter wieder zu erlernen 1).

Was die Stimmgebung anlangt, so konnte unser Pat ient in h6chstem Mfekt nut etwas st6hnen, keinesfalls schreien, der S c h a f f e r s konnte nieht einmal einen hauch~hnlichen Laut hervorbringen, und der L i e p m a n n s nur grunzen. Auch bei schmerzhaften Reizen erfolgte bei unserem Kranken keine Lautgebung.

Ebenso konnte weder der S e h a f f e r s c h e Patient, noch der unsere auch nur im geringsten willkiirlich s c h l u e k e n . Beide mul]ten und konnten nut mit der Schlundsonde ern~hrt werden. Wenn der L i e p - m a n n s c h e Patient nur ,,ungeniigend" schlucken konnte, so ist zu folgern, dab bei ihm eben nicht a l l e Bahnen vomGrol]hirn zum Schluck- zentrum der Medulla oblongata unterbrochen waren.

DaB das Schluckzentrum der Medulla oblongata durchaus un- gesch~digt war, erwies in unserem Falle nieht nur die anatomische Untersuchung, sondern erwies auch die Erhaltung der reflektorischen Erregbarkeit. Vom Rachen aus konnten jederzeit Schluckbewegungen ausgel6st werden, und auch die in der Krankengeschichte erw~hnten, anscheinend spontan ablaufenden Schluckbewegungen sind wohl von in den Rachen laufendem Speichel ausgel6st. Abet v o n d e r Mund- h6hle aus wie beim SEugling konnte bei unserem Kranken weder, noch bei dem S c h a f f e r s eine Schling- oder Schluckbewegung erzielt werden- nur der H e n n e b e r g s c h e harte Gaumenreflex war yon da aus auszu- t6sen, und auch bei den vom l~achen ausgel6sten Schluckbewegungen beteiligte sich Mund- und Zungenmuskulatur nicht.

Es ist demnach n6tig, gegeniiber Bestrebungen, welehe experi- mentelle Erfahrungen an niederen Tieren immer auch auf den Menschen iibertragen wollen, zu betonen, dab der Hi rns tamm des Menschen, wenn er vom GroBhirn durch Unterbrechung yon dessen Bahnen abgetrennt ist, sehr viel weniger Selbst~ndigkeit zeigt als der des Tieres. DaB der groBhirnlose Hund von G o l t z noch Fut ter aufnehmen und hinunter- sehlucken kann, beweist niehts fiir den Menschen. Dabei diirfen wir

1) Wenn man den O p p e nh e i m schen Frel]reflex (vgl. Lehrbuch der Nerven- krankh., 5. Aufl., 2, S. 1069 u. 1071) als einen subcortical zustande kommenden Reflex ansieht, was er wahrscheinlich ist, so wiirde auch daraus folgen, dab bei f r i ihzei t iger Ausschaltung oder Verminderung des GroShirneinflusses eine grSflere Funktionsf~higkeit des Schling- und Schluckaktes sich erhalten kann. Denn der Frel~reflex kommt anscheinend nur bei in fan t i l en Diplegien vor. Allerdings ist er bei vollst/~ndiger Ausschaltung des GroShirns wohl auch bei infantiler Diplegie noch nicht beobachtet worden.

]~ber einen seltenen Symptomenkomplex au[ Grund eines Brtickenherdes. 329

daran erinnern, dal3 L e w a n d o w s k y und Si mo ns z) nach Exstirpation beider vorderer Zentralwindungen beim niederen Affen (Macacus) eine vollkommene Aphagie gefunden haben, die 8 Tage andauerte, und an deren Folgen der Affe, der kiinstlich nicht geniigend ern~hrt werden konnte, auch zugrunde ging. Genau wie bei unserem Kranken (vgl. Krankengeschichte) wurde Nahrung, die man dem Allen auf die Zunge legte, noch am n~chsten Tage im Maul gefunden~).

Die vollkommene Unterbrechung der willkiirlichen Innervation der gesamten Mund-, Schlund-, Rachen- und aller Wahrscheinlichkeit auch der Kehlkopfmuskulatur mul~ einen V e r l u s t d e r S p r a c h e nach sich ziehen, der natiirlich keine Aphasie ist, aber sehr leicht damit ver- wechselt wird. So war auch auf unseren Fall das besondere Intercsse zun~chst durch die anscheinende Aphasie, die merkwiirdigerweise mit einer linksseitigen L~hmung vergesellschaftet schien, gelenkt worden, und erst die genauere Untersuchung, speziell die erhaltene Schreib- f~higkeit, kl~rte die Sachlage auf. Die verlorene Sprachf~higkeit ist in diesen F~llen eben nur Teilerscheinung der vollkommenen A n a r t h r i e oder supranucle~ren L~hmung aller am Sprechen beteiligten Muskeln. Die innere Sprache ist vollkommen erhalten, wenn nicht etwa corticale Herde sie gleichzeitig mit den zu den Sprachmuskelkernen ziehenden Bahnen gesch~digt haben.

Zu erw~hnen ist endlich die S t e i g e r u n g der einfachen R e f l e x e im Bereich der cortical gel~hmten Muskeln. Insbesondere scheint d(r T r i s m u s , der auch in dem Falle S c h a f f e r s vorhanden war und der auch sonst in F~llen yon Briickcnherd bekannt ist, in unserem Fall rein reflektorisch bedingt, und zwar dutch die Steigerung der reflek- torischen Erregbarkeit des Hirnstamms nach Ausfall der corticofugalen Bahncn (vgl. Krankengeschichte S. 319,320). In dem erwi~hnten Falle von corticaler L~hmung des Lidschlusses zeigte sich analog eine Steigerung des reflektorischen Lidschlusses.

Was endlich die anatomische Grundlage der corticalen L~thmung der Kopf- und Gesichtsmuskeln anlangt, so ist es wohl kcin Zweifel, dal~ der doppelseitige Briickenherd diese Grundlage liefert. Ob die Bahnen wie in den F~llen yon S c h a f f er und L i e p m a n n dutch doppel- seitige 8) Herde der Rinde bzw. der inneren Kapsel, oder wie in un- serem dutch solche der Briicke ausgeschaltet waren, muf~ fiir die Art

1) Zur Physiologie der vorderen und der hinteren Zentralwindung. Archiv f. d. ges. Physiol. 129, 240. 1909.

2) DaB der FreBakt nicht bei allen Tieren vom Grol~hirn unabh~ngig ist oder werden kann, beweisen auch die Versuche yon O. Ka]ischer bei Papageien (Anhang zu den Abhandl. d. Berl. Akad. d. Wissensch. 1905).

3) Schaffer hat seine ursprfingliche Ansicht, dab die doppelseitigen Ausf~llo durch einseitigen Herd bedingt waren, inzwischen berichtigt (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 10, 205. 1912).

330 Lewandowsky u. Stadelmann: Uber einen seltenen Symptomenkomplex usw

der FunktionsstSrungen ja ohne Belang sein. Wir m5chten die Ab- bildungen ganz besonders als Material zu der Frage der Lage dieser Bahnen Jm Pons bzw. in der Vierhfigelgegend geben. Ein weiteres Ein- gehen wfirde seh~ unfruchtbar sein. Denn die bisherigen Arbeiten fiber die I~ge der Bahnen ffir die Hirnnervenkerne [HocheZ) , B u m- ke~)] kommen fiber gewisse Wahrscheinlichkeiten und Hypothesen aus Degenerationen nicht heraus, t terde im Pedunculus oder der Brficke, welche die Lage der Bahnen genauer zu lokalisieren gestatte- ten oder zu diesem Zwecke wenigstens verwendet w~ren, sind uns nicht bekannt. Aus unseren Abbildungen geht hervor, dal~ die be- troffenen Bahnen wahrscheinlich in der medialen Hs des Ports gelegen sind, und dab die verschonten Bahnen (f fir den oberen Facialis) hier nicht gelegen sein kSnnen (vgl. auch S. 326). MAt der mehrfach ges Annahme, dab ein Teil der Bahnen zu den Hirnnerven- kernen aus der medialen Haubenful3schleife stamme, wfirden unsere Pr~parate nicht im Widerspruch stehen. Wenn auch die Schleife selbs~ in den in Betracht kommenden oraleren Ebenen ganz intakt ist, so ist doch das Feld, das v. M o n a k o w der medialen HaubenfuBschleife im Brfickenful3 zuweistS), doppelseitig zerstSrt. Wahrscheinlich aber verlaufen die Fasern zu den Hirnnervenkernen mehr zerstreut, denn sonst w~re es kaum zu erkls dal~ als Folge der sehr hs k l e i n e n Brfickenherde bisher anscheinend niemals isolierte Ausf~lle der Hirnnervenfunktionen beobachtet worden sind. Die weitere Samm- lung von Material erscheint hier eben noch dringend notwendig.

z) Archiv f. Psych. 30, 103. 1098. 9_) Archiv f. Psych. 4~, 1. 1907. 3) Fig. 85, Gehirnpathologic, 2. Aufl.