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XII. 0bet einige Modifikationen am Hessingkorsett. Von Dr. Mercus~ Spezialarzt; ffir Orthopiidie in Posen. Mit 5 Abbildungen im Text. Es ist zweifellos, dass das Korsett bei der Skoliosenbehandlung erst in zweiter Reihe kommt, da man durch eine aktive Therapie sicher sehr viel mehr und in beginnenden leichteren FS~llen alles erreichen kann. Diesen Standpunkt nehmen wohl heute die meisten Orthop~den ein. Trotzdem bleiben F~dle genug iibrig, bei denen trotz aller ~ktiven Therapie das Korsett nicht zu entbehren ist und bei denen es auch heute noch einen integrierenden Bestandteil der Behandlung bildet. Ich mSchte nun im folgenden kurz fiber einige im Laufe der Jahre yon mir allm~Lhlich am H e s sin g'schen Stfitzkorsett vorgenommenen Modi- fikationen berichten. Mit diesen habe ich bereits im Jahre 1902 begonnen und nach mancherlei Misserfolgen glaube ich jetzt ein ziemlich brauchbares Korsett zu haben, das sich mir besonders gut in den Fiillen bew~hrt, in denen ein betr~Lchtlicher Rippenbuckel in Verbindung mit einer stS.rkeren seit- lichen Verschiebung der oberen RumpfhSMte eingetreten ist. Zuvor einige klinische Bemerkungen. Die seitliche Verschiebung der oberen Rumpfh~tlfte ist bekanntlich am hochgradigsten immer dort, wo ein grSsserer Tiefstand der einen Beckenh~lfte sich vorfindet. Nattirlich steht die Spina. s. a. immer auf der Seite tiefer, nach welcher die Verschiebung des Rumpfes stattgefunden hat. Ich lasse uner- 5rtert, ob der Tiefstand der Spina s. a. sekundgr als Folge der Skoliose einge- treten ist oder ob er primer infolge einer angeborenen Verktirzung des ent- sprechenden Beines die Ursache der Skoliose bildet, lch bin der Meinung, dass diese Frage sich oft genug nicht mit vol]ster Sicherheit beantworten lassen wird. In allen F~tllen yon seitlicher Rumpfverschiebung und Becken- tiefstand ist durch ErhShung tier entsprechenden Schuhsohle ohne weiteres eine Gleichstellung der Spina s. a. zu erreichen. Nicht aber ist in allen diesen Fitllen durch dieses Mittel eine Auf- richtung des Rumpfes zu erzMen. Das gelingt nur dort, wo 1. die seitliche Rumpfverschiebung eine ganz geringe ist, 2. kein oder nur ein ganz geringer Rippenbuckel besteht,

Über einige Modifikationen am Hessingkorsett

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Page 1: Über einige Modifikationen am Hessingkorsett

XII.

0bet einige Modifikationen am Hessingkorsett. Von

Dr. Mercus~ Spezialarzt; ffir Orthopiidie in Posen.

Mit 5 Abbildungen im Text .

Es ist zweifellos, dass das Korsett bei der Skoliosenbehandlung erst in zweiter Reihe kommt, da man durch eine aktive Therapie sicher sehr viel mehr und in beginnenden leichteren FS~llen alles erreichen kann. Diesen Standpunkt nehmen wohl heute die meisten Orthop~den ein. Trotzdem bleiben F~dle genug iibrig, bei denen trotz aller ~ktiven Therapie das Korsett nicht zu entbehren ist und bei denen es auch heute noch einen integrierenden Bestandteil der Behandlung bildet.

Ich mSchte nun im folgenden kurz fiber einige im Laufe der Jahre yon mir allm~Lhlich am H e s s in g'schen Stfitzkorsett vorgenommenen Modi- fikationen berichten. Mit diesen habe ich bereits im Jahre 1902 begonnen und nach mancherlei Misserfolgen glaube ich jetzt ein ziemlich brauchbares Korsett zu haben, das sich mir besonders gut in den Fiillen bew~hrt, in denen ein betr~Lchtlicher Rippenbuckel in Verbindung mit einer stS.rkeren seit- lichen Verschiebung der oberen RumpfhSMte eingetreten ist.

Zuvor einige klinische Bemerkungen. Die seitliche Verschiebung der oberen Rumpfh~tlfte ist bekanntlich am

hochgradigsten immer dort, wo ein grSsserer Tiefstand der einen Beckenh~lfte sich vorfindet. Nattirlich steht die Spina. s. a. immer auf der Seite tiefer, nach welcher die Verschiebung des Rumpfes stattgefunden hat. Ich lasse uner- 5rtert, ob der Tiefstand der Spina s. a. sekundgr als Folge der Skoliose einge- treten ist oder ob er primer infolge einer angeborenen Verktirzung des ent- sprechenden Beines die Ursache der Skoliose bildet, lch bin der Meinung, dass diese Frage sich oft genug nicht mit vol]ster Sicherheit beantworten lassen wird. In allen F~tllen yon seitlicher Rumpfverschiebung und Becken- tiefstand ist durch ErhShung tier entsprechenden Schuhsohle ohne weiteres eine Gleichstellung der Spina s. a. zu erreichen.

Nicht aber ist in allen diesen Fitllen durch dieses Mittel eine Auf- richtung des Rumpfes zu erzMen. Das gelingt nur dort, wo

1. die seitliche Rumpfverschiebung eine ganz geringe ist, 2. kein oder nur ein ganz geringer Rippenbuckel besteht,

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~ber einige Modifikationen am Hessingkorsett. 169

3. gute Beweglichkeit tier Wirbelsgule vorhanden ist und 4. die Riiekenmuskulatur kr~ftig entwickelt ist. Sind alle vier Bedingungen vorhanden, so geniigt die ErhShung der Schuh-

sohle allein vollkommen~ um die Deformiti~t zu beseitigen, soweit sic in der UngleichmEssigkeit der Riickenkonturen zum Ausdruck kommt. Nieht be- seitigt wird dadureh allerdings die - - in diesen Fgllen immer g e r i n g e - skoliotisehe u der WirbeMtule. Dieselbe beansprueht aber an sich keine grosse Bedeutung und maeht ein weiteres therapeutisehes Eingreifen nicht notwendig.

Sind nur die ersten beiden Bedingungen vorhanden, so muss zun~tchst eine mehr minder lange entspreehende orthopgdische Behandlung einsetzen, der es wohl immer gelingen diirfte, die WirbelsEule geniigend zu mobilisieren nnd die Riickenmuskeln ausreichend zu krgftigen. Ist das erreieht, so llaben wir wieder den Fall, dass alle vier Bedingungen vorhanden sin&

Wesentlieh sehwerer sind nun aber die Fglle~ in welehen nur eine der ersten beiden Bedingungen oder gar beide nieht vorhanden sin&

In solehen FSllen tritt meines Eraehtens die Yotwendigkeit der Korsett- behandlung ein und zwar am besten rnSgliehst fl'iihzeitig, aber stets in Ver- bindung mit einer zweekmgssigen Massage- und Ubungstherapie.

Wenn irgend mSglich, wird man natiirlieh aueh in diesen F~tllen danaeh streben, erst dann das Stiitzkorsett anzulegen, wenn bei den Patienten eine geniigende Mobilisierung der WirbelsEule und ordentliehe Kr~ftigung der Muskulatur eingetreten ist~ d. h. wenn sie imstande sind, aus eigener Kraft den Rumpf in die redressierte Stellung zu bringen.

Ieh komme damit zu dem Oegenst~nde meiner Arbei~. Wa.s sell ein Korsett in solchen FEllen leisten, was kann es leisten? Die Frage, was das Korsett leisen sell, ist sehr einfach zu beantworten. Es sell die WirbeMtule stiitzen, so dass ein seitliches Herabsinken des Rumples unmSglieh wird, und es sell gleiehzeitig redressierend wirken und zwar nieht nur auf den Rippen- buekel, sondern auch auf das nach hinten vorspringende Schulterblatt und auf die Rotation des Rumples.

Sehwieriger ist die Beantwortung tier zweiten Frage, was kann es leisten ?

Ich kann und will hier nicht auf die vielen nach Material und Form so mannigfachen Korsette eingehen.

Ieh babe in der ersten Zeit meiner Tgtigkeit durchgehends die soge- nannten H e s s i n g ' s c h e n Korsette anfertigen lassen und zwar so, wie sie H o f f a in seinem Lehrbuche beschreibt.

Ich kann diese Korsette als bekannt voraussetzen.

Ich babe dann sehr bald die Armstiitzen nach hinten hin bis zu den zu beiden Seiten der Wirbelsgule verlaufenden I{iickenschienen verlgngert und sie mit denselben fest verbunden.

Ieh bemerke bier, dass ich mit diesen Armkriieken nicht etwa eine extendierende Wirkung habe ausiiben wollen. Sie sollten nut dazu dienen,

Arch. f, Orthol)., Mo~hanoth. u. Unf.-Chir. VIII. 2. 1~

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170 Dr. Marcus,

um das zu weite Vorniiberriicken der Schultern und das fliigelfSrmige Ab- stehen der Sehulterbl/~tter zu verhindern.

Gleiehzeitig habe ich dann die oben erw~hnten beiden Rtiekensehienen dureh horizontal verlaufende Stahlstangen oben und unten miteinander ver- bunden. Ieh habe auf diese Weise ein festes, zusammenh~ngendes Stahl- geriist bekommen, das den Rumpf gut stiitzte und die Wirbels~ule fixierte, auch wenn es vorn gar nieht zugesehniirt wurde.

Und in der Tat leistete mir dieses Korsett aueh ganz gute Dienste in den leiehteren FSllen, es versagte aber bald in mittelsehweren und war gar nicht zu gebrauchen in schwersten F/illen. Aueh der auf der Seite der Aus- biegung angebraehte elastische Zug half nieht viel. In den mittelsehweren Fitllen braehte der elastisehe Zug, den ich nota bene aueh in der versehie- densten Weise angebraeht habe, in den ersten Woehen eine Aufl'ichtung des Rumples zustande - - spS~ter nieht mehr; und dadurch, dass man ihn immer fester anzog, zeigten sich sehr bald andere Naehteile.

So wurden die auf der Skoliosenseite angebraehten Stahlschienen ge- wShnlieh so stark nach hinten gezogen, dass die Armkriieken vorn einen un- ertr~tgliehen Druek ausiibten, infolgedessen immer weiter ausgebogen werden nmssten und sehliesslieh iiberhaupt keine Wirkung mehr aushben konnten. Ganz wertlos sind die elastisehen Ziige natiirlich bei einem Korsett, dessen L~ngsriiekenschienen durch horizontale Quersehienen fest miteinander ver- bunden sind, da bei einem solchen zusammenhS~ngenden Stahlgeriist der Zug auf die Skoliose oder die Rumpfversehiebung gar nieht wirken kann.

All diese Beobaehtungen machte ieh nieht nur bei den yon mir ange- fertigten Korsetten, sondern aueh bei solehen, welche aus anderen ortho- p~idisehen Anstalten kamen. Es war imnler dasselbe Bild. In ganz sehweren Fgllen wurde die seitliehe Neigung des Rumpfes oder der Rippenbuekel dureh das Korsett gar nieht beeinflusst, in mittelschweren F/illen nur in den ersten Woehen. Bei den letzteren konnte ieh immer wieder yon den Patienten hSren, dass das Korsett zuerst sehr seh/Jn gesessen hS~tte und die Figur zu- n~tchst im Korsett tadellos gewesen w/~re, class dann aber der Riieken sehr bahl wieder zusammengesunken w/~re.

Woher kam nun das P Waren die auf der Skoliosenseite gelegenen seitliehen Stahlstangen,

welehe die Hiiftbiigel und Armkriieken verbinden, vielleieht zu sehwaeh, um dem Druek zu widerstehen? Ieh liess die Stahlstangen st~irker anfertigen, so stark, dass ein Ausbiegen dureh Druek nieht denkbar war, ohne jeden Erfolg. /namer sehon naeh wenigen Woehen war die alte fehlerMfte Stellung des Rumpfes aueh im Korsett wieder da.

Und die musste sich immer wieder finden. Sehen wir uns ein solehes H e s s i n g - K o r s e t t einmal n~her an. Das

Korsett wird bekanntlich so angefertigt, dass die Modelle zu den Stahl- sehienen und diese selber am KSper zureehtgebogen werden, w~thrend der Patient sieh in Suspensionsstellung befindet und gleichzeitig eine Redression des Rippenbuekels, der Rumpfneigung und der Rumpfrotation stattfindet.

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lJber einige Modiflkationen am Hossingkorse~t. 171

Die Suspension, gentigend stark angewendet, ruff eine Extension der Wirbel- s~iule und damit eine Gradriehtung des Rnmpfes hervor. Wiirde der KSrper in dieser enxtendierten Stellung dauernd dureh das Stiitzkorsett gehalten werden k5nnen, so wiirde das so angefertigte Korsett, wenigstens in den mittelschweren F~llen, seinen Zweek ~.ollst~ndig erfiillen.

Das ist jedoeh, ohne dass ein Kopfhalter am Korsett angebraeht wird, nieht mSglieh und die erste 2:{nderung, die gewShnlieh sehon naeh wenigen Stunden am Korsett vorgenommen werden muss, ist das Niedrigerstellen der Aehselkriieken. Die unmittelbare Folge davon ist, dass die Wirbels~ule nun nieht mehr extendiert wird und der Rumpf seine fehlerhaf~e Stellung wieder einnimmt, da ja die oberen Stiitzpunkte des Korsettes verloren gegangen sind, oder vielmehr iiberhaupt nicht vorhanden waren; denn die AehselhShlen sind nieht als Stiitzpunkte zu verwenden.

So hat das Korsett also vorztigliehe Stiitzpunkte nnten - - die Darm- beink~mme -- aber gar keine oben. Allenfalls kann man als Stiitzpunkt die feste horizontale Verbindung sgmtlieher Lgngssehienen oben betraehten. Dieser Stiitzpunkt geniigt jedoeh nur fiir ganz leiehte F~lle.

Die AehselhShlen sind also, wie sehon gesagt, auf keinen Fall als Stiitz- punkte zu verwenden. W~re das mSglieh, dann w~re es allerdings schon denkbar, dass man dureh HSherhinauffiihren der Aehselkriieke auf der der Skoliose entgegengesetzten Seite den Rumpf in guter Stellung halten kSnnte.

Aber abgesehen yon anderen Nachteilen, die ein solehes Hoehdr~ngen der AehselhShle mit sieh bringt, werden sieh wohl aueh nieht viel Patienten finden, die das l~ngere Zeit hindureh aushalten.

I)a das Korsett oben also gar keine Stiitzpunkte hat und die horizon- tale Verbindung der Li~ngssehienen nut fiir leiehtere Fiille ausreieht, so muss der Rumpf seine fehlerhafte Stellung einnehmen, denn nirgends wird dem Druek des ilippenbuekels ,nd dem der seitliehen Neigung ein geniigender Widerstand entgegengesetzt. Nur die Hiiftbtigel bleiben an der richtigen Stelle sitzen, w~hrend die Liingsschienen, Aehselkriieken usw. ohne weiteres durch den starken Druek in die fehlerhafte Stellung mitgenommen werden.

Sollen die L~ngsstangen aber dem starken Druek des Rumpfes auf der Skoliosenseite einen geniigenden Widerstand entgegensetzen, so miisseu sic aueh an ihrem oberen Ende einen Stiitzpunkt haben. Die Schwierigkeit besteht nun darin, einen solehen Stiitzpunkt zu finden. Am Brustkorb ist Bin solcher nieht vorhanden.

Den Kopf vermittelst eines Kopfhalters als Stiitzpunkt zu nehmen, kommt bei der Mehrzahl der P:~tienten aus 5usseren Grtinden nieht in Betraeht, sonst wi~re das das einfachste.

Es bleibt also nur iibrig, einen ausserhalb des K6rpers gelegenen Punkt als Sttitzpunkt zu nehmen, oder vielmehr irgend einen Punkt ausserhalb des KSrpers so mit den vorh-mdenen Sttitzpunkten zu ~'erbinden, dass er fiir die oberen Enden der Li~ngssehienen einen geniigenden Stiitzpunkt abgeben kann.

I)as sehien mir nun zun~ehst in folgender Weise ausfiihrbar zu sein. Auf dem an der Rippenbuekelseite sehon vorhandenen dem Darmbein.

12"

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172 Dr. Marcus,

kamm gut aufsitzenden Hiiftbiigel wird ein zweiter aufgesetzt und zwar so, dass er einige Zentimeter hSher steht als der erste und sehrgg nach aussen gerichtet ist. Um wieviel Zentimeter er hOher und mehr nach aussen stehen muss als der erste, ist in jedem Falle naeh der GrSsse des Rippenbuckels und dem Grade der seitliehen Neigung des Rumpfes zu bestimmen. Dieser zweite Biigel wird mit dem ersten lest verbunde~l und yon diesem zweiten oberen Biigel gehen die LSngssehienen zur Aehsell~riiel~e ab. Die Wirkung daehte ieh mir folgendermassen:

I)er zweite Hiiftbtigel liegt dem KSrper nieht an, sondern steht soweit nach aussen, dass ein "tuf ihm errichtetes Lot bei ganz miissiger Selbst- redression am Rippenbuekel vorbeigehen wiirde. Die von demselben aus- gehenden und mit tier Aehselkrtieke verbundenen L~ingssehienen liegen infolge- dessen nicht tier KSrperseite ganz an, sondern nur der HShe des Rippen- buekels bezw. der Partie des Rumpfes, die am meisten seitwitrts geneigt ist. Die L~ingsstangen gehen also vom zweiten Hiiftbiigel aus nicht sohr/ig naeh oben und a u s s e n , wie das notwendig der Fall sein muss, wenn sie veto ersten unteren Itiiftbiigel ausgehen, sondern sie gehen sehriig naeh oben und i n n e n . Jetzt miissen die L~ingsstangen den Rumpf in der L'~ge erhalten, die er durch die Redression bekommen hat. Das obere Ende der Lgngs- stangen hat eine geniigende Stiitze dureh die sehrSg naeh innen ffihrende Richtung der Sehiene bekommen.

Es ist nieht notwendig, auf beiden Seiten solehe Doppelbiigel anzubringen, sondern es geniigt vollkommen, wenn das auf tier Skoliosenseite geschieht. Auf der entgegengesetzten Seite miissen die mit der Aehselkriicke verbundenen Li~ngsstangen vertikal naeh oben laufen; keineswegs diirfen sie dem KSrper fest anliegen und sehrgg nach oben und innen gehen.

Das Massnehmen und die Proben zum Sttitzkorsett miissen natiirlich immer am redressierten K5rper vorgenommen werden. Ein Gipsabguss leistet dabei sehr gute Dienste. Das eben besehriebene Korsett mit dem Doppel- biigel babe ieh jahrelang anfertigen lassen. Der Erfolg, den ieh mir aber zunSehst davon versproehen habe, ist nieht eingetreten, wenigstens nieht in allen F~llen und in geniigendem Masse.

Ieh muss bier iibrigens bemerken, dass dieser Doppelbiigel, wie mir naehtriiglieh bekannt geworden is~, auch in anderen orthopSdisehen Anstalten und vielleieht sehon friiher angefertigt worden ist. ~)ber die Erfolge bezw. Misserfolge, die andere Anstalten mit dem Doppelbtigelkorsett gemacht haben, ist mir aber niehts bekannt. Ich habe also, wie sehon bemerkt, mehrere Jahre lang solche Korsette hergestellt, ohne jedoch den erhofften Erfolg zu sehen. Sie wirkten entsehieden besser als Korsette mit noeh so komplizierten elastisehen Ziigen, aber schliesslieh trat doch bei ihnen das ein, was bei den anderen immer kam: der Rumpf nahm naeh liingerer oder kiirzerer Zeit die alte fehlerhafte Stellung wieder ein.

Ich entsehloss reich deshalb zu einer weiteren Modifikation. Ich behielt den Doppelbiige! bei, liess abet die die Armstiitze tragenden

bei(len LRngsstangen nieht vom oberen Biigel ausgehen, sondern veto unteren

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Uber einige Modifikationen am Hessingkorsett. 173

Bagel. Dann liess ich am oberen Biigel zwei L~ingsschienen anbringen, die halb so lang waren, wie die yore unteren Biigel ausgehenden und zwar genau an denStellen, die dem Ansatzpunkte der unteren L~ingsschienen entsi)rachen , und befestigte die freien Enden dieser zweiten Sehienen - - ich nenne sie Stiitzpfeiler - - am gut redressierten KSrper an den ersten Li~ngs- stangen.

Diese beiden Stiitzpfeiler gehen also yore zweiten oberen Biigel schriig nach oben and innen und leisten somit der seitlichen Abweichung des Rumt)fes und dem ItipDenbuckel Widerstand. Das Prinzip der Wirkung ist genau dasselbe wie beim einfachen I)oppelbiigelkorsett. Die Wirkung ist aber eine stS~rkere und anseheinend ~uch liinger anhaltende. Denn die so angefertigten Korsette waren tatsSchlich imstande, durch 15mgere Zeit hindurch den Rmnpf ordentlieh zu halten.

Jetzt glaubte ich mit ziemlicher Sicherheit, meinen Zweck erreieht zu haben, und ein ganzes Jahr lang wurden nun die Korsette mit dieser Modifi- kation angefertigt. Aber auch so war es wieder nichts. Ich machte schliesslich dieselbe Erfahrung wie mit den friiheren Korsetten. In leichten F~tllen ge- niigten sie und bei schwereren anfangs auch, nach einiger Zeit nieht mehr, in schwersten F~Lllen versagten sie vollstSndig.

Der Ilippenbuckel bezw. die seitliche Rumpfneigung iibten einen so starken Druck auf die von beiden Bfigeln ausgehenden Doppelstangen aus, dass sie nach mehr minderlanger Zeit naehgaben. Genau. wie beim einfaehen Doppelbiigelkorsett forsehte ich auch bei diesem nach der Ursaehe des Nach- gebens der L~tngsstangen.

Dazu konnte ieh reich zunS~ehst noeh nieht entsehliessen, den Gedanken des Doppelbiigels und des auf diese Weise gesehaffenen dritten Stiitzpunktes als falseh zu betraehten and in ihm niehts anderes zu sehen, als eine Ver- stiirkung des einfaehen Hiiftbiigels und der yon ihm ausgehenden Tragstangen der Aehselkriieke.

Auffallend war mir bei dem Doppelbiigelkorsett, sobald sie in ihrer Wirkung naehliessen, stets das Folgende: Der einfaehe Biigel auf der anderen Seite, der zun~tehst dem I)armbeinkamm fest auflag, entfernte sieh ent- spreehend dem Naehlassen der Wirkung des Doppelbiigels immer mehr und mehr yon seinem Stiitzpunkte. Er rutsehte naeh oben und wurde tiefer in das Fleiseh hineingedr[iekt. Dieser Vorgang war ja sehliesslieh nieht schwer zu erkl~ren. Je mehr der Itippenbuekel die Lgngsstangen des Doppelbiigels nach aussen driiekte, um so welter musste sieh der einfache Biigel yon seinem Stiitzpunkt entfernen, einfaeh deshalb, weil beide Biigel lest miteinander verbunden waren nnd das ganze Stahlgeriist des Korsettes ein untrennbares Ganzes bildet. Sind nun der Doppelbiigel and die yon ibm ausgehenden L~ngsstangen kr~ftig genug, um dem auf sie wirkenden Druck Widerstand zu leisten, so wirkt die Kraft der Rumpfneigung und des Rippenbuekels als Zug auf den einfaehen Biigel und hebelt ihn yon seinem Unterstiitzungs- punkte ab.

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17~ Dr. Marcus,

War diese Annahme richtig, so musste es abet ein leichtes sein, die Abhebelung des einfachen Btigels zu verhindern. Man brauchte ja nur die

Fig. 1. Fig. 2.

Fig. 3.

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[Jber einige Modifikationen am Hessingkorsett. 175

beiden vertikalen Stangen des einfaehen Biigels lest miteinander zu verbinden. Das tat ich dann und zwar mittelst eines Riemens mit Schnalle.

In der Tat war auf diese Weise mehr zu erreichen. Ich konnte bei 2 Kindern mit starkem Riickenbuckel und betr~chtlicher seitlicher Neigung des Rumples eine vollst~ndige Aufriehtung des Rumples erzielen. Nun weiss ich nicht, ob und wie lange das so modifizierte Korsett seinen Zweck erftillen wird. Ich lasse es in dieser Weise erst seit einigen Monaten herstellen, und das ist eine zu kurze Zeit, nm ein endgiiltiges Urteil zu gestatten. Die Abbildung dieser beiden F/ille mit und ohne Korsett gebe ieh zum Sehluss wieder.

Fig. 4. Fig. 5.

Die Anordnnng des Doppelbagels, der yon ihm ausgehenden Statzpfeiler und des die Vertikalstangen des einfaehen Biigels verbindenden Riemens ist aus den Abbildungen ohne weiteres ersiehtlieh.

Im Falle I wird das Korsett 7 Monate bereits getragen, im Falls II 6 Monate.

Im Falle I habe ieh, wie aus der Abbildung ersiehtlieh ist, den Ver- bindungsriemen am einfaehen Bagel wegelassen, um zu zeigen, dass die Korrektur der seitliehen Deviation anch ohne diesen Riemen eine vollkommene ist. Bis heute babe ieh ein Naehlassen der Wirkung noeh nieht gesehen, so dass ieh jedenfalls davon iiberzeugt sein kann, dass die modifizierten Korsetts besser wirken als die friiheren; denn sie sind zum mindesten imstande, die seitliche Deviation zu korrigieren.

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176 Dr. Marcus,

Ebensowenig zweifle ich daran, dass sie imstande sind, rechtzeitig an- gewandt, eine grSssere seitliche Deviation zu verhiiten. Ob sie auch der diagonalen Deviation entgegenwirken kSnnen, mSehte ieh nieht behaupten.

Um noeh einmal zusammenzufassen:

Die korrigierende Wirkung des Korsetts wird erm/~glieht dadureh,

1. dass es als zusammenh~tngendes starres Stahlgeriist konstruiert ist,

2. dass die Seite, die dem Druek des Rippenbuckels und der seitliehen Deviation ausgesetzt ist, erheblieh verst~rkt wird dureh den Doppel- biigel und die yon demselben sehr~ig naeh oben und innen ausgehenden Stfitzpfeiler,

3. endlieh durch den die Vertikalstangen des einfaehen Itiiftbfigels verbindenden Riemen, der eine Abhebung dieses Bfigels verhindert.

Die rein theoretische Annahme bei der Konstruktion des Doiopelbiigels und der StStzpfeiler, dass damit der dritte so sehr notwendige Sttitzpunkt gefimden sei, mSehte ich nicht aufreeht erhalten. Ieh fasse heute Doppel- btigel sowohl als Stiitzpfeiler nur als Verst~trkung der Kraft auf, die dem Druek des Rippenbuekels und der Deviation Widerstand zu leisten hat, w~hrend der Riemen am einfaehen Biigel wiedermn der Zugwirknng des Buckels nnd der Deviation entgegentritt, die sich einstellt, sobald der Druek- wirkung sieh zu grosse Widerst~nde entgegenstellen. Voraussetzung fiir die Wirkung des so konstruierten Korsettes ist natiirlieh unter allen Umst~tnden die starre feste u s/imtlieher Stahlteile. Das Korsett nmss ein zusammenh~ngendes fest untereinander verbundenes Stahlgeriist bilden.

Ieh glaube nun nieht etwa in vorstehendem die Korsettfrage gelSst zu haben. Es gehSrt wohl ein grosser Optimismus dazu, um iiberhaupt zu glauben~ dass man mit dem Korsett sehr wesentliehe Erfolge erreiehen k6nne. Die Behandlung bleibt stets die tIauptsaehe und auch das bestsitzende Korsett wird keinen Teil der Behandlung entbehrlieh maehen.

Solange wir das Korsett aber nieht ganz entbehren k/~nnen, solange haben wit aueh die u dafiir zu sorgen, dass man mit ibm miSglichst viel erreicht und solange diirfte es auch gereehtfertigt sein, eigene Erfahrungen zu verOffentliehen.

Ieh habe sehon vorher erw~hnt, dass, soweit mir bekannt ist, aueh in anderen orthop~dischen Werkst~tten sogenannte Doppelbiigelkorsetts ange- fertigt werden, und ieh zweifle aueh nicht, dass die eine und die andere der yon mir beschriebenen Modifikationen des Korsetts in anderen Werk- stiitten sehon ausgefiihrt und vielleieht aueh sehon lange angewandt wird, m6glieherweise sogar sehon wieder aufgegeben worden ist.

Ich betone jedoeh noehmals, dass ieh niehts weiter wollte, als meine eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiete zu verSffentliehen, (tie ieh dureh 7 Jahre hindurch gesammelt babe, denn, wie sehon im Laufe der Arbeit bemerkt, babe ieh bereits 1902 angefangen, Korsetts mit Doppelbiigel anzu- fertigen.

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Uber einige Modifikationen am Hessingkorsett. 177

Sollte die VerSffentlichung Veranlassung geben, dass auch andere Kollegen mit ihren einschlSgigen Erfahrungen hervortreten, so diirfte der

"Saehe damit nut gedient sein; denn yon dem bisher ganz allgemein ange- wandten H e s s i n g - K o r s e t t gilt roll und ganz das, was S c h u l t h e s s im Handbuch der orthop~dischen Chirurgie yon Joaehimsthal sagt, S. 1045:

~So sehr diesem Korsett nachgeriihmt werden muss, dasses bei guter Anfertigung exakt sitzt, so wenig hat es die F~thigkeit, seitliche oder diagonale Deviationen zu korrigieren oder in hohem Grade zu verhiiten, weil doch die gauze Konstruktion zu wenig start und in sich selbst ver- steift ist."