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Ueber Geburtsdauer. Yon R. Lumpe, Assistent an tier zweiten GebKrkllnik in Wien. Die Angaben fiber die Dauer der Geburt beim mensehliehen Weibe differiren sehr untereinander. Da nun offenbar gegenw~rtig die Geburten nicht anders verlaufen, als sie frfiher verlaufen waren, so kann diese Differenz nur in tier versehiedenen individuellen Auffassung und Beurtheilung der Erscheinungen eines und des- selben Beobaehtungsobjectes gelegen sein. Diese individuelle Auf- fassung drfickt sieh auch noeh ganz besonders in der vielfach abweichenden Eintheilungsweise des Geburtsherganges aus. Darin stimmen fast alle Beobachter fiberein, dass sieh der Geburts- beginn schwer precise bestimmen lasse; d~ss es noch innerhalb der Norm sehr raseh und sehr langsam verlaufende Geburten g~be; dass in den einzelnen F~llen der zeitliche Ablauf der Geburtserseheinungen in so weir auseinander liegenden Grenzen sehwanke, dass sich nut ann~hernd ein Mittelwerth fiir die Dauer der Geburt angeben lasse. Aber selbst dieser Mittelwerth differirt bei den einzelnen Autoren, indem die Grenze zwisehen Sehwanger- schaft und Geburt bin und her geschoben wird, so dass yon den einen gewisse Erseheinungen zu der Sehw~ngerschaft, yon den ~nderen zur Geburt gereehnet werden. Wenn man die ~lteren geburtshiilflichen Lehrbiicher und Werke mit den neueren ver- gleicht, so bemerkt man, dass in den ersteren den Erseheinungen, welehe die Geburt einleiten, bei weitem mehr Interesse ufid Auf- merksamkeit zugewendet wurde, sis in den letzteren. In die Fr~ge naeh der Dauer tier Geburt ist durch die Con- troverse fiber das Verhalten der Cervix uteri am Ende der Schwangerschaft, welche schon mit dem Beginne des gegenwgr-

Ueber Geburtsdauer

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Ueber Geburtsdauer.

Y o n

R. Lumpe, Assis tent an tier zweiten GebKrkllnik in Wien .

Die Angaben fiber die Dauer der Geburt beim mensehliehen Weibe differiren sehr untereinander. Da nun offenbar gegenw~rtig die Geburten nicht anders verlaufen, als sie frfiher verlaufen waren, so kann diese Differenz nur in tier versehiedenen individuellen

�9 Auffassung und Beurtheilung der Erscheinungen eines und des- selben Beobaehtungsobjectes gelegen sein. Diese individuelle Auf- fassung drfickt sieh auch noeh ganz besonders in der vielfach abweichenden Eintheilungsweise des Geburtsherganges aus. Darin stimmen fast alle Beobachter fiberein, dass sieh der Geburts- beginn schwer precise bestimmen lasse; d~ss es noch innerhalb der Norm sehr raseh und sehr langsam verlaufende Geburten g~be; dass in den einzelnen F~llen der zeitliche Ablauf der Geburtserseheinungen in so weir auseinander liegenden Grenzen sehwanke, dass sich nut ann~hernd ein Mittelwerth fiir die Dauer der Geburt angeben lasse. Aber selbst dieser Mittelwerth differirt bei den einzelnen Autoren, indem die Grenze zwisehen Sehwanger- schaft und Geburt bin und her geschoben wird, so dass yon den einen gewisse Erseheinungen zu der Sehw~ngerschaft, yon den ~nderen zur Geburt gereehnet werden. Wenn man die ~lteren geburtshiilflichen Lehrbiicher und Werke mit den neueren ver- gleicht, so bemerkt man, dass in den ersteren den Erseheinungen, welehe die Geburt einleiten, bei weitem mehr Interesse ufid Auf- merksamkeit zugewendet wurde, sis in den letzteren.

In die Fr~ge naeh der Dauer tier Geburt ist durch die Con- troverse fiber das Verhalten der Cervix uteri am Ende der Schwangerschaft, welche schon mit dem Beginne des gegenwgr-

30 Lumpe, Ueber Gebur~sd~uer.

tigen J~hrhunderts angefangen und gegenw'~rtig noch nicht ent- schiedeu ist, keineswegs voile Klarheit gebraeht worden.

Die Literatur disses Gegenstandes ist bereits eine enorme. (Siehe das Verzeichniss derselben bei C. S e h r S d e r , Lehrbueh der Geburtshiilfe, Bonn 1880, wozu noch als die letzte Arbeit in dieser Richtung kommt: Das untere Uterinsegmsnt und die Deeidus cervicalis yon Ot to K t i s t n e r in Jena, 1882.) Da nun dieses Thema in innigstem Zusammenhange steht mit der Frage hash der Dauer der Geburt, und es flit das praktische Handsln des Geburtshelfers Yon ksiner gsringsn Bedsutung ist, zu wissen, warm der Geburtsact seinen Anfang genommen hat, so babe ieh den Versuch gemaeht, mit Hiilfe eines sehr reichen Beob- achtungsmateriales, wie es mir die zweite Gebgrklinik bet, die Sachs vom rein praktiseh-geburtshiilflichen Standpunkte aus zn entseheidsn, um einen objectiven Anhaltspunkt ftir den Geburts- bsginn daraus zu gewinnen. Wenn man sagt: das Woehenbett beginnt mit der Ausstossung der Naehgeburt, die Austreibungs- periode beginnt mit dem Yerstreichen des Orifieium exter- hum uteri, so hat man bier so pr~gnants Erscheinungen v o r sich, dass dsm individusllen Ermessen durchaus kein Spielraum iibrig gelassen wird. Eine solche prggnante Erscheinung, um in jedem Falle den Bsginn der Geburt sicher zu erkennen, giebt es nun allerdings nicht, doch glaube ich in Folgendem der Sache etwas n~her gekommen zu sein.

Die ersten fiihlbaren Wehen (snbjectiv gefiihlten) als den Geburts- beginn anzusehen, wfirde in sehr vielen Fgllen zu gewaltigen TEn- schungen die Veranlassung geben. Frauen, welehe zum ersten Male sehwanger sind, sind sehr geneigt, irgend welche unbestimmte Em- pfindungen in dsr Kreuz-, Lenden-, Blasengsgend oder in den Bei- nen fiir wahre Geburtswehen anzusehen und zu halten, w~hrend in anderen F~l]en wahre Geburtswehen h~ufig vSllig verkannt werden; ferner sind die Frausn, was die Perception der Sehmerzsn und die Reaction ant denselben anbslangt, iiberaus verschieden. Es ist das gr5sstentheils in der Constitution, Lebensweise,: Er- ziehung u. s. w. begriindet. Wghrend in einem Falle yon Schwanger- schaft die Besehwerden yon Anfang bis zu Ende lebhaft empfun- den und gegussert werden, die Mis~re kein Ends nimmt und bei den ersten unangenehmen Empfindungen im Unterleibe die Frau rneint, sie gehe nun zur Geburt, trotz aller Vorstel- lungen sich zu Bette begiebt und durch fortwghrendes lautes

L a m p e ~ Ueber Geburtsdauer. 31

$tShnen und dringendes Verl~ngen n~ch Abhfitfe dem Arzte und der Umgebung wahre HStlenpein bereiten kgnn, geht in einem anderen Falle die Schw~ngere, ohne das Geringsb merken zu lassen, his zuletzt ihrer gewohnten Besch~ftigung nach; in sol- chert Fgllen ist man bei der inneren Untersuchung hiuflg iiber- rascht, die Geburt sehon so welt vorgeschritbn zu finden. Es sind mir wghrend meiner Anwesenheit als Assistent an der zweiten Gebgrklinik wiederholt Fille vorgekommen, in denen Erstgeb~rende, durch den Abgang des Fruchtwgssers iiberrascht, die Klinik auf- suchten, und oft fund ich in dieseu Fgllen den Mutterm~nd ver- strichen und den Kopf in der Scheide. ~Sind ja doeh F~lle in der Literatur beschrieben, in denen Frauen erst durch die ein- tretenden Geburtswehan zur Kenntniss ihrer Schwangarschaft ge- langen! Abgesehen davon sind ~ber auch die einleitenden Wehen an sich in ihrer Intensitgt und in ihi'em zeitlichen Yerhalten sehr different. Das beweisen schon die verschiedenen Bezeiahnungen, welche dieselben yon den einzelnen Beobachtern und yon den Laien im Laufe der Zeit erhalten haben. Temps secret - - Mi l l e t . Tra- vail insensible - - La C h a p e l l e . Dolores praeparantes - - RS- d e r a r . - Mouches der franzSsischen Autoren. Kneifer, Rupfer - - Zupfer u. s. f.

Zur Berechnung eines Mittelwerthes den Beginn fiihlbarer Wehen mit dem Gaburtsbeginna identificirend, habe ieh yon 1045 normalen Geburten Erstgebirander die Geburtsdauer veto Wehen- beginne an bereahnet. Der Wehenbeginn ist hier ain rein ana- mnestischer Begriff, d. h. die Gebirenden wurden einfach befragt, wann sic zuerst Wehen gespiirt hgttan. Da ich bei dieser Be- rechnung zu ghnlichen Resultaten gelangt bin wie ~ndere Beob- achter, ziehe ich den Sehluss, dass die Berechnungen der Letz- teren auf glaicher Grundlage beruhen. Solche Berechnungen sind yon R o b e r t C o l l i n s im Dubliner Gebirhause, yon D. W. H. B u s c h im Berliner Gebirhause, yon S a m u e l M e r r i m a n in London, yon der L a c h a p e l l e in Paris, v. H o e f f t , Ve i t in Bonn, S p ie g e lb e r g in Breslau u. A. gemaaht worden. Es ist eigenthiimlich, dass man sich yon jeher mit bei weitem grSsseran Interesse an die Frage gemacht hat, in welche Tages- oder Nacht- zeit die maisten Geburtan fallen, eine Frage, welche z. B. F r i e- d r i c h A n t o n H o h l (Halle), wie iah iiberzeugt bin, mit Reaht, fiir ,,wenig ergiebig" hglt. Mit dieser Frage haben siah ausser dan oben Genannten noah viele Andere beschgftigt, so: F. S c h w ei g- h g u s e r (Strassburg), Fr. B. O s i a n d e r (GSttingen), Q u e t e l e t

32 Lumpe, Ueber Geburtsdauer.

(Bruxelles), C a s p e r (Berlin; Statistik), B e r l i n s k y , Koch und K l e i n w [ i c h t e r (Innsbruck), v. H e c k e r (Mfinchen).

E s v e r l i e f e n 2 7 G e b u r t e n i n 3 S t . E s v e r l i e f e n 5 G e b u r t e n i n 3 4 S t .

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Mittelwerth fiir jede einzelne Geburt: 161/,z Stunden.

S p i e g e l b e r g und V e i t (Monatsschrift fiir Geburtskunde and Frauenkr~nkheiten, Bd. XXXI uud Bd. V) fandell 17 bis 17'/2 Stunden.

D. W. H. B u s c h (Das Geschlechtsleben des Weibes, Leipzig 1839) giebt eine Uebersicht yon 1000 ira Berliner Geb~rh~use genau beobachteten Geburten, allerdings nicht ganz genau speci- ficirt. Das Maximum fi~llt auch hier zwischen 12 und 18 Stun- den und 6 und 12 Stunden.

Die letzte Rubrik: 5 - -10 Tage 6 G e b u r t e n .

Loco cetero heisst es: Die mittlere Zeitdauer der Geburt in

L umpe, Ueber Geburtsdauer. 33

Deutschland kann auf 6 b~s 12 Stunden angegeben werden. 1. e. : V e l p e a u und L e r o y stimmen darin iiberein, dass sie bei der Geburt einen Typus yon 6 Stunden annehmen, so dass diese entweder 6, 12, 18 oder 24 Stunden dauert. 1. c.: ,,Von 442 Geburten, welche zu Wellesley im Jahre 1832 yon M o u n s e l l beobachtet wurden, waren 200 in weniger als 2 Stunden (!) beendet."

Entweder hat der erw~hnte Beobaohter zu seiner Berechnung eine andere Grundlage angenommen, oder die Weiber in England kommen sechs Mal so raseh nieder Ms die fibrigen EuropEerinnen.

F. v. S e a n z o n i (Lehrbuch der Geburtshiilfe, Wien 1867) theilt die Geburt ein in die I. Vorbereitungsperiode; II. ErSff- nungsperiode, III. Austreibungsperiode, nnd zwar a) des Kindes, b) der Placenta.

Er sagt yon tier Vorbereitungsperiode: ,,Dieser yon den Franzosen sehr passend als Travail insensible bezeichnete Zeit- raum beginnt bei Erstgesehw~ngerten gew~hnlich 4 his 6 Tage vor dem Eintritte tier ersten subjeetiv und objectiv wahrnehm- baren schmerzhaften Contractionen der Geb~rmutter." S c a n z o n i sprieht nur veto Verstreiehen der Muttermundsr~nder und reehnet auf die zweite Geburtsperiode 6 - - 8 , auf die dritte Geburts- periode 1--2 Stunden.

H. F r. N a e g e 1 e hingegen (Lehrbueh der Geburtshiilfe, Mainz 1869) theilt die Geburt ein in die I. ErSffnungsperiode, II. Aus- treibungsperiode, III. I~aehgeburtsperiode. Die erste Periode zer- f~llt er in die erste und zweite Geburtszeit und l~sst in der ersten Geburtszeit dutch die vorhersagendeu Wehen, Dolores prae- sagientes, yon denen er sagt, dass sie 12, 18, 24 Stunden oder mehrere Tage dem eigentliehen Beginne der Geburt vorausgehen, den M u t t e r h a l s verstreichen.

K i l i a n (Geburtslehre yon Seiten u. s. w., Frankfurt a. M. 1847) sagt: Die Dauer dieser ganzen Periode (tier ErSffnungs- periode) l~sst sich ebensowenig wie diejenige tier friiheren genau bestimmen (der Vorbereitungsperiode), man k~nn sie aber un- gefs durchsehnittlieh auf 1, 2 his 4 Stunden anschlagen. Fiir die dritte Geburtsperiode giebt Ki l l an im Mittel zwei Stunden an.

R o b e r t C o l l i n s (s practical Treatise on Midwifery, con- taining the result of 16654 Births occurring in the Dublin Lying-in Hospital etc., London 1835). Von diesem Buche sagt K i l i an : Der ausfiihrliehste und miihsamste Bericht dieser Art, den die Literatur aufzuweisen hat!

&rohiv f. C~yn~kologie. Bd. XXI. Hft . 1, 3

34 Lumpe, Ueber Geburtsdauer.

Unter 15 850 Geburten verliefen 15 084 innerhalb ZwSlf Stun- den, und zwar die grSsste Zahl derselben, n~mlieh 10 987, sogar innerhalb 1 bis 4 Stunden.

H. F r. N a e g e 1 e (Lehrbuch der Geburtshiilfe, Mainz 1869). ,,Ira Allgemeinen mag ein Zeitraum zwischen 6 und 12 Stunden fiir die gewShnliche Dauer der Geburt anzunehmen sein. Gleich- wohl gesehieht es sehr oft, dass die Natur dieses Gesch~ft in viel kiirzerer Zeit, in einer halben oder einer u vollbringt, wie nicht minder aueh, dass sie viel lgngere Zeit, 18, 24, 36 Stunden und mehr darauf verwendet, ohne dass daraus Naehtheil entsteht."

A. F. H o h l (Lehrbueh der Geburtshiilfe, Leipzig 1862) giebt als mittlere Dauer, wie N a e g e l e , 6 bis 12 Stunden an und l~sst den Cerviealkanal in der Sehwangersehaft verstreiehen, sagt aber, die Vorbereitungswehen kSnnen 12, 2~ Stunden, ja 7 bis 9 Tage aussetzen u. s. w.

J. H. W i g a n d (Die Geburt des Menschen, Berlin 1820). ,,Unter dem wirkliehen Anfange der Geburt verstehe ieh den- jenigen Zeitpankt, wo nieht nur der Mutterboden allein sieh pe- riodisch zusammenzuziehen nnd h~rter zu werden, sondern aueh und zugleieh der Muttermund sieh zu bewegen, zu vergndern und wirklich zu 5ffnen beginnt."

Loco cetero: ,,Welsher Geburtshelfer hat nicht den Fall er- lebt, dass nach schon ziemlieh geSffnetem Muttermunde der Ge- burtsact ggnzlich wieder aufhSrte nnd erst mehrere Tage nnd selbst Woehen lang sp~Lter seinen ersten, wirklichen Anfang n ahm."

F. B. 0 s i an de r (gandbuch der Entbindungskunst, Tiibin- gen 1820). ,,In einem Verlaufe yon ungefiihr aeht Stunden vom Abend bis gegen Morgen ist daher, so zu sagen, das Gebiirfieber angefangen und beendigt."

Loco eetero: Die ErSffnung des Muttermundes wird dutch schwaehe, nicht schmerzende Wehen, dutch eine gelinde austrei- bende Thiitigkeit der Gebi~rmntter bewirkt, welche sich nut durch BiB Ziehen in der Lendengegend und Krenzgegend bis in die Schossgegend zu erkennen giebt, nnd welehe man daher im ge- meinen Leben Kneip- oder Knipwehen, Knippers, RSpfer, Rupfer und dergleiehen nennt. Geburtshelfer nannten sie die vorher- sagenden Wehen oder Vorboten, Dolores praesagientes, franzSsisch les Avantcoureurs, auch les Mouches, richtiger Anfangswehen, Dolores inchoantis partus. Die Dauer dieser Wehen i'st sehr

Lump e, Ueber Geburtsdauer. 35

verschieden. In der Regel ~ussern sie sieh nut einige Stunden, sie kSnnen aber aueh gauze Tage anhalten und schmerzhaft wer- den, alas ist, mit wahren Kreuzschmerzen verbunden sein. Es scheint sich nEmlich damit zu verhalten, wie mit dem jedesmaligen Eintritte des Monatlichen u. s. fi

O. S p i e g e l b e r g (Lehrbuch der Geburtshiilfe, Lahr 1882). ,,Die Dauer der Geburt unterliegt vielen Sehwankungen aueh da, we der natiirliehe Verlauf in Nichts gestSrt wird. Sie hEngen yon einer Menge yon UmstEnden und durchaus nicht immer yon dem Verhalten der Expulsivkr~%fte zu den gebotenen Widerst~nden ab, wie sich dies daraus ergiebt, dass besonders in der ersten Periode die weitesten Schwankungen vorkommen."

Als Mittelwerth giebt S p i e g e l b e r g fiir Primigravidae 20 Stunden. S p i e g e l b e r g fund bei seinen Berechnungen (Monats- schrift fiir Geburtskunde, Bd. XXXII) ein Mittel yon 17 Stunden; ebenso Ve i t (ebenda, Bd. V). Bei Beschreibung des klinischen Verlaufes der Geburt: ,,Dieser Beginn selbst aber ist immer in die Zeit zu verlegen, iu weleher die Contractionen des Uterus eine deutlieh nachweisbare und nicht wieder gEnzlich r[ickgangig werdende ErSffmmg des hiuttermundes bewirken."

C. S e h r S d e r (Lehrbuch der Geburtshiilfe, Bonn 1880) stimmt in Bezug auf den Mittelwerth der Geburtsdauer voll- kommen mit S p i e g e l b e r g iiberein. Bei der Besehreibung des Verlaufes tier Geburt heisst es: ,,Ist der Muttermund, wie bei Erstgeb~renden h~ufig, noeh nicht geSffnet, so maeheu die ersten Wehen ihn jetzt fiir den Finger durchgEngig. Man finder dab~i in der Regel die Cervix in ihrer ganzen LEnge erhalten und die Erweiterung des inneren Muttermundes geht erst jetzt vor sieh. Nur in Ausnahmef~llen sind die Contractionen sehon in der letzten Zeit der Schwangersehaft so stark gewesen (travail insensible), dass man die Cervix verkiirzt oder bereits verstrichen findet, d.h. der Kanal der Cervix ist mit zur Uterus- hShle verbraueht, so dass die letztere his an den Eusseren Mutter- round reicht."

C. H e c k e r (Klinik der Geburtskunde, Leipzig 1861). ,,In dieselbe Kategorie yon Reizlosigkeit gehSrt es auch, dass ich nieht selteu bei der Untersuchung Schwangerer, Individuen mit voll- st~ndig erweitertem Muttermunde angetroffen babe, die nichts davon wussten, class sie bald niederkommen wiirden u n d his

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36 Lumpe, Ueber Geburtsdauer.

dah in noch ke ine Art yon S c h m e r z e m p f i n d u n g gehabt hatten."

Wir kSnnen den Geburtsbeginn nicht yon der einfachen Er- 5ffnung des Cervicalkanales abh~ngig machen. Das Weichwerden und Weitwerden des Colhmkanales ist eine organische Vorbe- reitungserscheinung der Geburt, welche keineswegs dureh Wehen, durch Contractionen des Uterus zu Stande kommt und auch, ohne dass danach Wehen eintreten, wieder riickgi~ngig warden kann.

Es ist eine allgemein gemaehte Annahme, dass das wachsende Ei den Uterus nicht meehaniseh ausdehnt, class der Uterus w~h- rend der Schwangerschaft keine ganz passive Rolle spielt und etwa das Ei als Sack, als Fruchth~lter einfach beherbergt, son- dern das Wachsthum, die Entwickelung des Eies h~lt gleiehen Schritt mit der Entwickelung und Hypertrophie des Uterus. Wenn diese ttarmonie in der Entwickelung des Eies und des Uterus in irgend einem Punkte gestSrt wird, so treten jedesmal Contractionen des schwangeren Organes ein, d. h. die Schwanger- schaft wird unterbroehen. Wenn z.B. bei sogenanntem Hydram- nios das Ei sich hydropisch ausdehnt, so kann der Uterus dieser Dehnung nicht so rasch folgen, es treteu Contractionen ein und Friihgeburt oder Fehlgeburt. Wir sehen ja, dass Fehlgeburt h~ufig mit Hydramnios zusammentrifft. Die bier wirkende und zur Hydropsia fiihrende Ursache hat auf den Uterus selbst direct keinen Einfluss. Die vorstehende Erkliirung macht die Expulsion des Eies auch erkl~rlich fiir diejenigen Fs in welehen die ni~chste Ursache fiir die Unterbrechung der Schwangerschaft schein- bar in anderen u zu suchen ist.

So bei Erkrankungen tier Mutter mit ihren Folgen flit das Ei (Syphilis, Tuberculose u. s. w.). Die Folgen sind eben De- generation der Gefs oder al]gemeiner gesprochen der Gewebe, und welter Apoplexien innerhalb der Deciduen oder im Chorion, Absterben der Frucht. Das schliessliehe Resultat aller dieser Vorg~nge, welche wir ja niemais direct beobachten kSnnen, son- dern aus den greifbaren Folgen erschliessen, ist Missverh~lt- niss zwischen dem Wachsthume der Frucht oder des Eies und dem Uterus; die niichste Folge: Contraction -- Abortus. Wenn z. B. nach dem Absterben der Frucht alas Ei abnormer Weise noch li~ngere Zeit in utero yon den Placentargefs aus er- n~hrt wird, die Placenta sogar noch etwas zunimmt, so kann es geschehen, dass erst lunge Zeit nach diesem intrauterinen Frucht-

Lumpo, Ueber Geburtsdauer. 37

rode Contractionen eintreten, dass Absterben des Eies und Ex- pulsion desselben, also Abortus, zeitlich auseinunderliegen, nicht zusammenfallen. (F~lle ~on sogenannter Retention des abgestor- benen Eies. Missed abortion - - Duncan . ) Wenn der Uterus dutch Neubildungen, Pseudomembranen, Exsudate n. s. w. in seiner Entwiekelung behindert ist, treten aus denselben Griinden vorzeitige Contraetionen - - Friihgeburt ein. Es besteht in solehen F~llen zwar keine Sterilits aber doch eine Impotentia gestandi.

Das Ei nistet sieh an irgend einer Stelle der Uterin~lschleim- haut ein, jedoeh stets nur an einer Stelle des Cavum corporis uteri. Sogenannte Cervicalsehwangersehaften sind sehon ls auf ihre Bedeutung (unvol]kommener Abortus) zuriickgefiihrt. Die Mueosa des Corpuscavum wird Deeidua. Dass bet Frauen, welche schon 5fter geboren haben, die Grenze zwisehen der Cervical- mucosa und der Mucos~ corporis keine vollkommen seharfe ist und namentlich nicht stets mit dem aussen angedeuteten Isthmus uteri zusammenf~llt, ist sehr leieht verst~ndlich, kommt aber hier wetter gar nicht in Frage, d~ es sich nieht urn genaue mi- kroskopisehe Grenzen, um ein Plus oder Minus yon wenigen Milli- metern, sondern am die principielle Frage handelt, verstreicht der Cervicaleanal wihrend der Schwangersehaft oder geschieht dies erst in der Geburt? Es kann also ganz gewiss ein Theil der Cervicalmucosa zur Deeiduabildung mit herangezogen werden (K its t n e r), aber im Allgemeinen hat die Cerviealsehleimhaut mit der Deeiduabildung wi~hrend des ganzen u der Sehwanger- schaft nichts zu thun. Es ist auch in der That schon ~us theo- retischen Griinden nicht denkb~r, dass wihrend der Sehwanger- schaft (und das Ende der Sehwangerschaft kann davon keine Aus- nahme machen) sieh in dem Yerh~ltnisse zwisehen El, Carpus- eavum und Collumcavum etwas iindert. Jede solehe Aenderung kSnnte ja nur dutch u zwisehen Ei und Uterus und jede solche Yerschiebung einzig und allein durch Contraetionen zu Stande kommen. Dies miisste begreiflicherweise jedesmal ge- sehehen, man miisste stets finden, dass Uteruscavum und Collum- kanal eine einzige ovoide HShlung bilden, davon diirfte es keine Ausnahme geben, und da man ja doeh diese Sache in jedem Falle ]eicht entscheiden kSnnte, so g~be es dariiber keine Controverse.

Der Cervicalabschnitt des Uterus spielt bet der Schwanger- schaft sowohl, als auch bet der Geburt eine durehaus passive Rolle. In der letzten Zeit tier Schw~ngerschaft, in den letzten

38 Lumpe, Ueber Geburtsdauer.

aeht oder vierzehn Tagen vor der Geburt tritt ein solches Oedem, eine solehe serSse Dm'ehfeuchtung des ganzen unteren Abschnittes des Uterus ein, des Gewebe wird so locker und dehnbar, dass es, wie sieh ein Autor treffend ausdriiekt, fSrmlieh zerfliesst (Wigand). Der Ausdruck ,,SehwangerschaftsSdem" ist die mo- derne Bezeiehnung dieses nie fehlenden Symptomes der letzten Sehwangersehaftszeit. Dieser Zustand erkl~rt hinlgnglich des Faetum, dass man in den meisten Fi/llen bet Erstgesehwi/ngerten in den letzten aeht oder vierzehn Tagen den Finger leieht, ohne Anwendung yon Gewalt, durch den Collumkanal bis zur Eispitze vorsehieben kann. Der CervicMkanal wird dabei stets, natiirlieh nach den individuellen Verhgltnissen, in verschiedener Li/nge und Riehtung gefiihlt. Ieh will bier ausdriicklich bemerken, dass es jedem Beobachter, der in tier Untersuchung yon Schwangeren und Gebgrenden nut einigermaassen geiibt ist, ohne Anwendung yon Instrumenten oder Apparaten, lediglieh mit der unbewaffneten Hand ganz wohl in jedem FaIle mSglig sein muss, zu bestimmen, ob der Cervicalkanal erhMten ist oder nieht, ob er verstriehen ist oder nieht. Natiirlieherweise kann man des Verhalten des CervieMkanales nut dann beurtheilen, wenn man im Stande ist, denselben mit dem untersuehenden Finger his zur Eispitze zu passiren.

in Bezug auf des Verhgltniss zwisehen Er5ffnnng tier Ori- ficien und des Kanales und zwischen Verstreiehen des Kanales giebt es nun zwei vollkommen differente Reihen. In der einen Reihe yon FKllen giebt zuerst des innere Orificium den Wehen hath, der Kanal wird yon oben naeh abwgrts naeh und naeh vollkommen ausgeweitet, und sobMd des Orifieium externum so weir auseinandergezogen ist, dass der untersuchende Finger dasselbe passiren kann, trifft derselbe sofort dahinter auf die Fruchtblase. Der des Orificimn begrenzende Absehnitt des Uterus ist so dtinn, tier Orifieialsaum ist so seharf, dass man bet der Untersuehung des Gefiihl hat, als wiirde der Finger mit einem Faden umsponnen und umsehniirt. In ether zweiten Reihe yon Fiillen @'hen sieh beide Orifieien und tier gauze KanaI, aber keineswegs durch Wehen, sondern lediglich dutch des Sehwanger- sehaftsiidem. Waren bis damn tar keine Wehen vorhanden, so findet man den ganzen CervieMkanM, wie vorher beschrieben, in versehiedener Lgnge und Riehtung, und man kann, wenn man nut oft untersueht, wahrnehmen, wie bet beginnenden Wehen, welehe die Frau [iussert oder aueh nicht, wie der Kanal immer

Lump e, Ueber Gebtrctsdauer. 39

kiirzer wird, bis schliesslich wiedor der Orificialsaum ganz diinn und seharf, die Eispitze sofort dahinter liegt, das Utero-Cervieal- cavum e in en ovoiden Hohlraum bildet.

Die ErSffnung des Cerviealkanales also ist eine Folge des acuten SchwangersehaftsSdemes, das Verstreiehen des Kanales hingegen ist eine Folge ~on Contractionen, kann nur durch Wehen geschehen, involvirt eine .~enderung in dem Verhalten zwischen Uterus und El. Das Ei wird durch Contraetionen zunSehst am unteren Pole versehoben, und solche Vorg~nge miissen mit abso- luter Nothwendigkeit tiber kurz odor lung zur Geburt fiihren, hier giebt es keine Retrocession der Geburtserscheinungen. Allerdings kann das Intervall zwisehen diesen Wehen, welehe den Cervieal- kanal zum Verstreichen bringen, und den Wehen, welche con- stant anhaltend sehliesslich die Geburt des Kindes bewirkcn, sehr verschieden lung seth, aber dieselben gehSren mit ihrem greifbaren Erfolge ebenso gewiss zur Geburt, als die ErSffnung des Kanales allein nieht zur Geburt gehSrt, eben so wenig als die schon in

d e n beide~ letzten Monaten nach L e o p o l d eintretende Throm- bose in den Uterinsinus. Die L'~nge des Intervalles aber hgngt doch schliesslieh yon der Stgrke, ~Ton der Intensitgt des Wehen- druekes in erster Linie, und in zweiter yon dem Widerstande ab, den die Gewebe der Dehnung entgegensetzen, und daraus lgsst sich aueh ganz nngezwungen das differente Verhalten des Orifi- cium externum erkl~ren. Ich kann es nicht begreifen, wie man aus dem Umstande, dass gerade in der ersten Geburtsperiode die grSssten Differenzen vorkommen, den Schluss ziehen kann, ,,dass die Geburtsdauer auch da, we der natiirliche Verlauf in Nichts gestSrt wird, nicht immer yon dem gerhalten der Expulsivkriifte zu den gebotenen Widerst~nden abhi~nge" ( S p i e g e l b e r g ) , denn wodurch kommt schliesslich jede Geburt zu Stande? Thatsache ist es, dass wir nicht wissen, warum die eine Frau starke, die zweite sehwache, die dritte keine Wehen hat, oder wenJg- stens wissen wit das in den' moisten Fiillen in dieser Geburts- periode nicht.

Es kann zu jeder Zeit der Schwangersehaft geschehen, dass, dureh irgend eine bekannte odor unbekannte gussere Veranlas- sung bewirkt, sich Erseheinungen einstellen, welehe die Expulsion des Eies glelchsam vorbereiten. Es treten Wehen auf, die Se- cretion des Genitalkanales wird sti~rker, die serSse DurchfeucJa- tung des Col]urn so stark, dass sich der Collumkanal 5finer und

40 Lumpe, Ueber Geburtsdauer.

der untersuchende Finger das Ei in utero fiihlt. Diese Ersehei- nungen kSnnen, sobald die sehgdlichen Einwirkungen aufhSren, bei geeignetem Verhalten der Schwangeren (vor allem physisehe and psyehische Ruhe) vollkommen und spurlos wieder verschwin- den, die Schwangerschaft his ans normale Ende gehen; dies aber nur dana, wenn der Cervicalkanal nicht verstrichen ist. Ist durch anhaltendere Wehen der Kanal verstrichen, dana tritt jedesmal, ohne Ausnahme, die Unterbrechung der Schwangerschaft ein, nnd das Intervall bis zur completten Expulsion des Eies ist nach Stun- den oder Tagen zu berechnen.

Es kommen normaler Weise w~hrend des ganzen Verlaufes der Sehwangerschaft yon der Schwangerea wenig oder gewShu- lich gar nicht bemerkte Contractionen vor (Brax ton Hiks). Sie habea natiirlich auf das Collum keinen Einfiuss, es gehSrt dazu noch als wichtiger Factor die Prs die Erweichung des Collum. Es kommen sehr hs F~lle vor, wo bei Erst- geschw~ngerten ganz energische Wehen eintreten, welche in kurzex Zeit, in wenigen Stundea den Cervicalkanal zum Verstrei- ehen bringen und das Orificium fiir den Finger passirbar maehen. Dann tritt eine Pause ein yon mehreren Tagen und nun erst die Geburt. Wenn man in einem solchen Falle die Gebi~rende das erste Mal untersucht bei Eintritt der anhaltenden, zur Geburt fiihrenden Wehen, so weiss man fiber dieses Verhaltea des Collumkanales natiir- lich gar nichts, und wenn nun die Geb~rende die anfs ErSff- nungswehen wenig empfunden hat, dieselben dann gar nicht auf Befragen angiebt, so sagt man scheinbar ganz logischer Weise: Es giebt Fs in denen schon in der letzten Zeit der Schwanger- schaft der Cervicalkanal verstreicht. Warum sagt man nicht: bei dieser Frau hat die Geburt schon vor mehreren Tagen be- gonnen, sie befindet sich sehon seit fiinf oder sechs Tagen in der ErSffnungsperiode? Antwort: weft man unter normalen Verhs nissen eine Geburt yon acht Tagen Dauer fiir ein gebartshiilf- iiches Monstrum halten wih'de. Unter Geburt stellt man sich eben ein Continuum yon p r o g r e s s i v e n Erscheinungen vor. Wenn es mir erlaubt ist, an dieser Stelle einen allerdings tri- vialen Vergleich zu machen, so mSchte ich sagen: wir kSnnen uns nicht vorstellen, wie Jem~nd eiae Stunde lung hinausgeworfen werden kann. Und unser Aller Lebenslauf beginnt j~ damit, d~ss wir, manchmal sog~r recht unsanft, per Kopf vor die Thiire gesetzt werden.

Lumpe, Ueber Geburtsdauer. 41

Es kann also Stunden, ja Tage dauern, bis der Uterus so welt erSffnet ist, dass die Frueht aus demselben austreten kann, aber dieses hustreten selbst muss, soll die Geburt innerhalb nor- maler Grenzen bleiben, aueh innerhalb gewisser zeitlieher Grenzen ihren Anfang und ihr Ende haben. Hat einmM ein Theft der Frucht den Uterus verlassen, dann ist eine Pause, ein Stehen- bleiben der Erscheinungen, eine StSrung der Progression nicht in jedem Falle, aber doch sehr h~ufig yon Nachtheil fiir Mutter oder Kind, und hier f~ngt die Grenze des Abnormen an.

Es wiire vo]lkommen logisch, wenn man unter ,,Geburt" nur die ,,s des Kindes" verstiinde, wenn man aber die Er- 5ffnung des Collum dazu reehnet, dann halte ich es fiir unlogiseh, nur einen Theft derselben zur Geburt zu rechnen.

Es ist leicht versti~ndlich, dass eine Tage lange Dauer der ErSffnung des Collum nicht als pathologiseh zu betrachten sei. Naeh meinen Untersuchungeu kann sich dieselbe bis auf acht Tage und mehr erstrecken, und zwar aus folgenden Griinden:

I. Weft bei dieser Annahme die Zahl der pathologischen und physiologischen Fiille fast gleich wi~re.

II. Weft die lunge Dauer an sich keinen Nachtheil involvirt.

Bei den schwaehen, nicht" lunge anhaltenden, in grossea Pausen den Cervicalkanal zum Verstreichen bringenden Contrac- tionen des Uterus gesehieht die Trennung des Eies yore Uterus und die gegenseitige Verschiebung an dem untersten Absehnitte (Dehnungszone). Die Placenta bleibt davon vollkommen unbetroffen. Es wird der Gaswechsel des FStus nieht alterirt, da sich die momentane Compression der Gefiisse, die An~mie des Uterus bei stehender Blase sofort wieder ausgleicht. Bei gesprungener Blase iindern sich die Druekverhiiltnisse allerdings. (L a h s: Die Theorie der Geburt. S e h a t z und S p i e g e l b e r g . ) Doeh beobachtet man auch in solchen Fiillen oft ohne Nachtheil eine sehr langsame ErSffnung des Collum. Es darf eben nicht vergessen werden, dass gerade die intensiven, lange anhaltenden und kurz aufein- ander folgendea Wehen die Circulation in den Utero-Plaeentar- gefs am meisten gef~hrden, wenn sie auch die Geburt rasch zu Ende fiihren.

Fiir den praktisehen Geburtshelfer ist es das Allerwiehtigste, die physiologischen Grenzen der Geburt zu kennen. Es wurde schon so oft nnd oft betont: die Geburt ist ein physiologiseher Vorgang, den man nicht stSren soil. Und doch wie hiiufig mag

42 L umpe, Ueber Geburtsdauer.

es jetzt noch gesehehen ~ dass bet den geringsten Schmerzen, welche ja ebenso physiologiseh zur Geburt gehSren, zu allen mSglichen Mitteln gegriffen wird. Es mag manchesmal noch so dringend aussehen. Wenu man es beispielsweise mit einer sehr ungedul- digen, sensitiven, nerv~isen Frau za thun hat, welehe schon im Beginne der ErSffnungsperiode die S&merzen auf manehesmal wirklich unertrggliche Weise Russert, ihre Umgebung alarmirt nnd dringend Abhiilfe verlangt, so wird man dem energiseh entgegen- zutreten haben.

In einer Zeit, in wdcher der ,,Fortschritt auf allen Gebieten" zur stehenden Phrase geworden ist, steht seheinbar die Geburts- hiilfe bescheiden zuriick. Allerdings sind in dieser Diseiplin die Fortschritte der letzten Deeennien keine grossartigen geweseu, nnd ieh setze mit vollster Ueberzeugung noch dazu: es ist ein grosses Gliiek fiir die gebgrenden Weiber.

Die geburtshtilfliehe Teehnik ist eine enorm einfaehe. Wie klein und wenig ,,imposant" ist unser Apparat. Er mSge es auch bleiben. Die ,,Kiinstelei" hat in der Gebnrtshiilfe bis date noeh keine Friichte getragen. Der Fortsehritt ist bier einzig und allein in der Vereinfachung und Priieisirung der Grundsiitze, in der Ausbildung der Diagnostik, in der Klgrung der Indieationen zu suehen.

In einer Zeit, in weleher Alles mit ,,unglaublieher Geschwin- digkeit" gehen sell und abgethan wird, wundert es reich nieht, dass es Mensehen giebt, die aueh die G e b u r t g la m i n u t e einrichten wollen. Vet solchem Beginnen ist zu warnen. Nit dem Blasensprengen, Orificium- Dilatatiren und Diseindiren sell man recht sparsam sein. Es giebt wohl Fiille (z. B. Hgmorrha- gien in der ersten Geburtsperiode), in denen es absolut niithig ist, derart einzugreifen~ abet sie sind nieht so hgufig Wenn die geburtshiilfliehen Lehren und Grundsgtze vernachliissigt und miss- aehtet werdm)., dann mehrt sieh allerdings die Anzahl der ,,ehro- niseh kranken Frauen", denen aueh die moderne Gyni~kologie nicht mehr helfen kann.

Wenn wit das Vorstehende zusammenfassen, so ergiebt sieh Folgendes :

Die ErSffnung des Cerviealkanales gesehieht bei Erstgebgren- den in den letzten aeht bis vierzehn Tagen vor dem Beginne der Geburt, gleiehsam als Vorbereitung fiir diese, und ist lediglich eine Folge des sogenannten SchwangersehaftsiSdemes. Das Vet-

L u m p e, Ueber Geburtsdauer. 43

streicheu d e s Collumk~n~les geschieht stets, ohne Ausnahme, durch Uteruscontractionen. Die Contractionen fiihren entweder rasch, ohne l~nge Pausen, zur Gebur~, oder es lieg~ zwischeu diesen Contr~ctionen und der Geburt ein mehr weniger lunges Inter~Tall.

Zu diesem Result~te bin ich gekommen, nachdem ich das Verhalten des Collum uteri w~hrend der letzten acht und ~derzehn Tage vor der Geburt bei einigen hundert Erstgeschw~ngerten beobachtet habe.

Es wiirde zu viel R~ura beanspruehen, wenn ich dgs g~nze ,,Sehw~ngeren-Protokoll" an dieser Stelle wiedergeben wollte. Doeh sollen zum Beweise fiir die Berechtigung des Gesagten mehrere F~lle aus diesem Protokolle hier Pl~tz finden.

Ieh will bier bemerken, d~ss ich meine Untersuchungen stets nur an ErstgesehwSngerten vorgenommen babe und stets nur in jeder Hinsicht normale F~lle beriicksichtigt habe.

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54 Ltt m p e, Ueber Geburtsduucr.

Zu diesen Tabellen habe ioh Niehts hinzuzufiigen. Es sind in ihnen nicht ,,~usgesuchte Fi~lle" enthalten, denn datum war es mir nicht zu thun, sondern ieh habe einfach ein Schwangeren- Protokoll angelegt, habe si immt l ich e Primigravidae, wie sie eben an der Schwangeren-Abtheilung der zweiten Gebi~rklinik zur Auf- nahme gelangten, his zum Eintritt tier Geburt wiederholt (jeden zweiten Tag, unter Umst~Lnden 5fter oder seltener) untersucht und den Befund jedesmal notirt. Es handelt sich also hier nieht tim Ausnahmef~lle, sondern um die Norm.