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Liebe Leserinnen und Leser
Präzises Schreiben ist ein Kernthema unserer Professional Writing Workshops. Jährlich begegnen uns dabei neue Modewörter: Wörter also, die aus einer Fachsprache stammen, rasch populär werden – und in der Folge in die Bedeutungslosigkeit abdriften. Zwei dieser Begriffe sind uns 2018 besonders ins Auge gestochen …
«Agil»Unternehmen strebten 2018 auf jeder Ebene nach «Agilität» – und wer als Manager nicht auf «agile Führungsstrukturen» setzte, war nicht mehr zu retten. Schwieriger ist es, die Wortbedeutung festzulegen. Um den Experten Dominic Lindner zu zitieren: «Agilität ist im Kontext von Unternehmen nicht eindeutig definiert. In nahezu jedem Paper findet man eine neue Definition.»1 Dies tönt nicht wirklich ermutigend.
«Fokus» Unternehmen nahmen 2018 alles Erdenkliche in den «Fokus». Die einen «fokussierten (sich)» so auf mehr Effizienz, die anderen auf mehr Agilität (s.o.). Dabei ging rasch in Vergessenheit, was «Fokus» bedeutet: nämlich «Brennpunkt» oder «Mittelpunkt». Für den richtigen Wortgebrauch verweisen wir gerne auf korrekturen.de.2
Unser Thema 2019: Sprache und DigitalisierungDoch befassen sich unsere Lehrgänge 2019 nicht nur mit klassischen Inhalten, sondern auch mit topaktuellen Themen rund um Web und Digitalisierung.
Konkret wird Texten für Chatbots und Künstliche Intelligenz 2019 zum Trendthema der Unternehmenskommunikation. Darum haben wir uns entschieden, …› den Professional Writing Workshop ab 2019 um
einen fünften Tag zum Thema «Chatbot-Grund-lagen» zu verlängern.
› den CAS-Lehrgang Corporate Writer & Design Thinking um den Lerninhalt «Chatbot Producing» zu erweitern.
Unsere Lehrgänge sind also bereit für den digitalen Wandel. Wollen Sie einen ersten Vorgeschmack zu Sprache in Chatbots und sozialen Netzwerken erhalten? – Dann bringen Sie die folgenden Beiträge dieses Newsletters schon jetzt auf den neuesten Stand.
Herzliche GrüsseIvo Hajnal und Franco Item
Quellen 1 https://agileunternehmen.de/wasistagildefinition/2 https://www.korrekturen.de/nachgefragt/sich_auf_etwas_
fokussieren.shtml
Über klassische Modewörter und Chatbots: unsere Lehrgänge zwischen Tradition und Digitalisierung
EDITORIAL
Newsletter der Text Akademie
und der Fachstelle für Schreiben
und Publizieren an der HWZ. JAN
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Der Begriff Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist ein schwer verständliches Wortungetüm. Doch verspricht die Verordnung den Nutzern sozialer Netzwerke in der EU seit Anfang 2018 handfeste Vorteile: So zwingt sie Anbieter sozialer Dienste wie Facebook, Instagram, Whatsapp usw. unter anderem dazu, den Nutzern über die Verwendung privater Daten reinen Wein einzuschenken. Wie eine Studie der Verbraucherzentrale NRW belegt, entziehen sich manche Anbieter dieser Pflicht jedoch durch unpräzise, sprachlich oft unverständlich verpackte Hinweise.1
Nach Möglichkeit unpräzise …Beispielsweise beantwortet LinkedIn die Frage, welche Empfänger Einblick in persönliche Nutzerdaten erhalten, wie folgt: «Möglicherweise nutzen wir die Dienste Dritter zur Unterstützung unserer Dienste … Diese Dritten haben in dem Ausmaß Zu-gang zu Ihren Informationen wie angemessen er-forderlich, um die betreffenden Aufgaben für uns zu erledigen …» Nicht weniger unverbindlich hält Twitter zur Speicherdauer fest: «Twitter speichert verschiedene Arten von Informationen unterschiedlich lange und gemäß unseren Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie unseren Datenschutzrichtlinien.» Offensichtlich setzen die Betreiber Modalpartikel (z.B. mög-licherweise) und indefinite Angaben (z.B. ver-schiedene, unterschiedlich) bewusst ein, um die Aus sagen unpräzise zu halten.
Dient UX Writing zur gezielten Fehlinformation?Die sprachliche Benutzerfreundlichkeit der Handlungsanweisungen liegt auf hohem Niveau. Wie erwartet sind die einzelnen Betreiber mit den Vorgaben des UX Writing bestens vertraut. Allerdings verleiten ihre Texte den Leser gerne dazu, mehr Daten als gewollt freizugeben. So gibt Twitter in ihrer App dem Nutzer beim ersten Anmeldeschritt keine Gelegenheit, die Synchronisation seiner Kontakte abzulehnen (s. Bild 1).
2018 ist in den EU-Staaten die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)
in Kraft getreten. Facebook, Instagram und Co. müssen ihre Nutzer nunmehr
über die Verwendung persönlicher Daten aufklären. Doch sie tun sich schwer
mit der verordneten Transparenz.
IT-Konzerne und Sprache: Transparenz ist nicht immer erwünscht …
PROFESSIONAL WRITING WORKSHOP (Schreibwerkstatt) plus ChatbotGrundlagen / Start 1. und 2.2.19 in Zürich
Selbst beim dritten Schritt vermittelt die App noch den Eindruck, die Preisgabe der Kontakte sei zwingend (s. Bild 2).
Die Tester der Verbraucherzentrale kommen in ihrer Studie (S. 24) deshalb zu folgendem Urteil: «Allerdings wird in den integrierten Aufforderungen teilweise suggeriert, die Synchronisation der Kontakte sei erforderlich für die Nutzung des Dienstes.»
Der Druck wird sich erhöhenWie die Studie zeigt, stehen die Betreiber sozialer Dienste also unter Beobachtung. Der Druck auf sie wird sich wohl erhöhen, für mehr Transparenz zu sorgen. Ohne Zweifel kommt der sprachlichen Verständlichkeit hierbei eine Schlüsselrolle zu.
Bild 2: Die App drängt im letzten Schritt nochmals zur Synchronisation der Kontakte.
Quelle1 https://www.marktwaechter.de/sites/default/files/down
loads/dsgvo_sozialemedien.pdf
Bild 1: Die TwitterApp erweckt den Eindruck, die Synchronisierung der persönlichen Kontakte sei erforderlich.
PROFESSIONAL WRITING WORKSHOP (Schreibwerkstatt) plus ChatbotGrundlagen / Start 1. und 2.2.19 in Zürich
Wer auf dem Web nach «Digitaltrends 2019» sucht, stösst mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Chatbots und Sprachassistenten. Um das deutsche Branchenblatt W&V zu zitieren: «Sprachassistenten werden sich in der kreativen Planung durchsetzen und im MarketingMix etablieren.»1 Was solch optimistische Prognosen ausser Acht lassen: Gleichzeitig besagen aktuelle Erhebungen, dass Konsumenten erstens mit der Qualität von ChatbotDialogen unzufrieden sind;2 und zweitens solchen Dialogen wenig Vertrauen schenken.3
Wie realistisch müssen Chatbots erscheinen?Konkret bevorzugen 65% der Befragten gemäss einer Studie des Unternehmens Pegasystem in Chats «echte Menschen» als Gesprächspartner. Und nur 17 Prozent würden einen Chatbot zum Kauf von Waren oder Dienstleistungen nutzen – was für ein geringes Vertrauen spricht. Der Weg aus dem Dilemma scheint vordergründig klar: Chatbots müssen immer «intelligenter» und «menschlicher» werden. Doch genau dies könnte sich als Trugschluss erweisen. Denn nunmehr kommt bei Chatbots ein Effekt ins Spiel, der aus der Robotik bekannt ist und einen einprägsamen Namen trägt: «Uncanny valley»Effekt bzw. deutsch «Unheimliches Tal»Effekt.
Das «unheimliche Tal» – oder die AkzeptanzlückeDer Effekt steht für folgende Beobachtung: Wir akzeptieren künstliches Verhalten – etwa eines Roboters –, je menschenähnlicher die entsprechende Figur ist.
Selbst wer sich im privaten Leben Siri, Alexa und Co. entzieht, muss als
Konsument immer mehr Gespräche mit Chatbots führen. Doch vertrauen
wir Dialogen mit Maschinen?
Welche Chatbots sind vertrauenswürdig? – Aktuelle Studien kennen die Antwort
Doch steigt die Akzeptanz nicht endlos linear, sondern erleidet irgendwann einen plötzlichen Einbruch (fällt in ein «unheimliches Tal»). Deshalb können fotorealistische Avatare in Computerspielen beim Betrachter eine starke Ablehnung erzeugen, während abstraktere Figuren gemeinhin sympathisch erscheinen.
Einfache Chatbots sind vertrauenswürdigerEin aktueller Forschungsbeitrag belegt diesen Effekt erstmals bei Chatbots.4 Wie die Autoren nachweisen, wird die Konversation mit einem ein fachen TextChatbot als deutlich angenehmer empfunden als mit einem realistischen Avatar. Sie kommen daher zu folgendem Schluss: Um ver trauenswürdig zu sein, sollten Chatbots nicht be sonders menschlich erscheinen.
Quellen 1 https://www.wuv.de/medien/die_12_wichtigsten_medien_
und_digitaltrends_20192 https://www.werbewoche.ch/digital/20181011/denkunden
sindchatbotsnochzudumm3 https://www.luzernerzeitung.ch/wirtschaft/kundenbleiben
beichatbotsskeptischld.1063002?fbclid=IwAR1ChWt3lkTs31TdCCZx80fcMSCRhmd5l4fPGXnG7dmkP9Q52mJhQhY54
4 L. Ciechanowski, et al., In the shades of the uncanny valley: An experimental study of human–chatbot interaction, Future Generation Computer Systems (2018), doi.org/10.1016/ j.future.2018.01.055
Bild 1: Konsumenten schenken Dialogen mit Chatbots wenig Vertrauen.
Bild 2: Der Effekt des «unheimlichen Tals». Eine realistische, besonders menschenähnliche Darstellung stösst beim Betrachter plötzlich auf Widerstand. (Quelle: https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/ dieanthropomorphismusfalle/)
StiftungSchweizerische Text AkademieTechnopark ZürichTechnoparkstrasse 18005 Zürichwww.textakademie.ch
Fachstelle Schreiben & PublizierenHochschule für Wirtschaft in Zürich HWZ
Impressum
ISSN
229
757
64
INFLUENCER CONTENT: SPRACHE UND BEEINFLUSSUNG
Auf Künstlicher Intelligenz beruhende Sprachroboter (etwa lernfähige Chatbots) zeigen ein anderes Verhalten als menschliche Sprecher. Denn sie sind im Sprachgebrauch völlig konsistent und eignen sich in Sekundenschnelle neue Begriffe an. Auf dieser Ausgangslage untersuchen die Autoren, mit welcher Dynamik sich Sprache in einem kommunizierenden Netzwerk aus Menschen und Sprachrobotern wandelt.
Sind Betreiber von Sprachrobotern Influencer?Die Autoren vergleichen Betreiber von Sprachrobotern mit Influencern – denn durch ihre Roboter erhalten die Betreiber vermehrt sprachlichen Einfluss. Die Simulation zeigt dabei, dass in einem Netzwerk nur 11% Sprachroboter erforderlich sind, um den Sprachgebrauch zu beeinflussen (s. Bild). Der Einfluss eines Roboters ist im Übrigen gerade auf gering vernetzte Personen hoch.
Die Autoren blicken auch in die Zukunft. Angesichts der hohen Durchdringung unserer Gesellschaft mit mobilen Kommunikationsgeräten sind Sprachroboter heute überall präsent. Werden sie bzw. ihre Betreiber also bald ihren Einfluss auf unsere Sprache geltend machen, neue Begriffe lancieren und gewisse Begriffe aus dem Alltag verschwinden lassen? – Das Forschungsergebnis lässt diese Möglichkeit zumindest zu …
Der englische Guardian hat Einblick in das geheime «Genius Training Student Workbook» von Apple genommen.1 Dieses Handbuch dient dem Verkaufspersonal (den sogenannten «Geniuses») in den Apple Stores als Leitfaden. Nun ist das Handbuch nicht ganz so geheim wie dargestellt. Denn Auszüge sind bereits 2012 veröffentlicht worden.2 Dennoch sind Apples Sprachleitlinien stets von Neuem aufschlussreich.
Negative Begriffe und Widersprüche sind tabuIm Zentrum steht die Regel: Negative Aussagen sind im Kundendialog zu vermeiden.
Für diese «problemfreie Sprache» gilt beispielsweise: Die Begriffe «Absturz/Hänger, Bug/Problem, inkompatibel» sind durch «antwortet nicht, Zustand/Situation, arbeitet nicht zusammen» zu ersetzen. Die Wendung «es hat sich herausgestellt» dient dabei als Universalformel, um Einwände zu kontern. Ob sich die Mitarbeitenden allerdings daran halten, kann nur der Besuch im Apple Store zeigen.
Prägen Chatbots bald unsere Sprache?
Verbotene Apple-Wörter?
Ab welchem Zeitpunkt beeinflussen
Sprachroboter unsere Alltags-
sprache? – Dieser Frage geht ein
aktueller Forschungsbeitrag nach.1
Offenkundig sind die Berater in
Apple-Shops angewiesen, auf gewisse
Begriffe zu verzichten.
Quelle 1 J. Brandstätter / Chr. Bartneck, «Robots will dominate the use
of our language». Adaptive Behavior 25/6(2017), S. 275–288.
Quellen 1 https://www.theguardian.com/technology/2018/dec/03/
clapsandcheersapplestorescarefullymanageddrama2 https://thepapertreeacademy.wordpress.com/2012/09/07/
applegeniustrainingstudentworkbookdownload/
Bild: Auszug aus dem «Genius Training Student Workbook» für AppleBerater. (Quelle: Gizmodo)
Bild: Die Verteilung unterschiedlicher Wörter nach 100 (a), 4’000 (b) und 7’500 Wiederholungen (c) der Simulation. Der Anteil an Sprachrobotern (eckige Punkte an der Peripherie) beträgt 11%. In Grafik (c) hat sich der Wortgebrauch standardisiert.