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Über Münzmetall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide. V 1) Solvothermalsynthese und Kristallstruktur der Hochtemperatur-Modifikation von AgHgSI Johannes Beck a, *, Hans-Lothar Keller b, *, Matthias Rompel a , Lars Wimbert b und Bastian Ewald b a Bonn, Institut für Anorganische Chemie der Universität b Dortmund, Fachbereich Chemie, Anorganische Chemie, der Universität Bei der Redaktion eingegangen am 19. Februar 2004. Professor Friedo Huber zum 75. Geburtstag gewidmet Inhaltsübersicht. α-AgHgSI wird aus AgI und α-HgS durch solvo- thermale Umsetzung bei 300 °C in verdünnter HI-Lösung in Form von gelben Kristallen erhalten. Die Substanz kristallisiert in der Raumgruppe P2 1 2 1 2 1 mit a 707,47(1), b 773,18(2), c 847,53(2) pm und Z 4. Innerhalb der Kristallstruktur bilden Schwefel und Iod das Motiv einer verzerrt hexagonal dichtesten Packung, in der Silber ein Viertel der Tetraederlücken und Queck- On Coinage Metal Mercury Chalcogenide Halides. V. Solvothermal Synthesis and Crystal Structure of the High Temperature Modification of AgHgSI Abstract. The solvothermal reaction of AgI and α-HgS in diluted HI as solvent yields yellow crystals of α-AgHgSI. The compound crystallizes in space group type P2 1 2 1 2 1 with a 707.47(1), b 773.18(2), c 847.53(2) pm and Z 4. The structure consists of a distorted hexagonal close packed array of sulphur and iodine, in which one fourth of the tetrahedral voids is occupied by silver and a half of the octahedral voids is occupied by mercury. The distor- tion of the hexagonal structure is caused by the steric demand of Einleitung Über Münzmetall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide exi- stieren bereits mehrere Arbeiten. Erste Hinweise auf eine Verbindung der Zusammensetzung AgHgSI konnten 1986 von Blachnik und Dreisbach erhalten werden [2]. Mit Hilfe *Prof. Dr. J. Beck Institut f. Anorgan. Chemie d. Universität Bonn Gerhard-Domagk-Str. 1 D-53121 Bonn Fax: (49)228/735660 E-Mail: [email protected] * Prof. Dr. H.-L. Keller Universität Dortmund Anorganische Chemie Otto-Hahn-Str. 6 D-44221 Dortmund E-Mail: [email protected] 1) Vierte Mitteilung: Hydrothermalsynthese und Kristallstruktur von CuHgSI und CuHg 2 S 2 I [1]. Z. Anorg. Allg. Chem. 2004, 630, 10311035 DOI: 10.1002/zaac.200400083 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 1031 silber die Hälfte der Oktaederlücken besetzt. Die Verzerrungen werden durch den sterischen Anspruch freier Elektronenpaare her- vorgerufen, was durch Berechnungen der Elektronenlokalisierungs- funktion (ELF) bestätigt werden konnte. Die hier beschriebene Modifikation von AgHgSI kann bei 273 °C aus dem schon bekann- ten β-AgHgSI gebildet werden und wird somit als α-AgHgSI be- zeichnet. the lone pairs of sulphur and iodine. This could be shown by the calculation of the electron localisation function (ELF). The here described modification of AgHgSI can be obtained at 273 °C from the earlier published β-AgHgSI and is therefore called α-AgHgSI. Keywords: Coinage Metals; Mercury; Chalcogenide halides; Solvo- thermal synthesis; Crystal structure; ELF von Röntgenpulveruntersuchungen gelang den Autoren die Bestimmung der Elementarzellenparameter a 772,3(3), b 847,0(3) und c 707,3(3) pm. Eine weitergehende Be- schreibung der Kristallstruktur war nicht möglich. Im Zuge unserer bisherigen Arbeiten gelang erstmals die Darstellung von einkristallinen Proben von CuHgSeBr, AgHgSBr und β-AgHgSI durch Hydrothermalsynthese [3]. Die Bestim- mung der Kristallstrukturen dieser Verbindungen durch Einkristallmethoden ergab deren Isotypie. Die Elementar- zellenparameter von β-AgHgSI konnten hierbei mit a 1015,9(2), b 464,77(5) und c 984,9(2) pm angegeben werden und unterscheiden sich damit deutlich von den von Blachnik et al. angegebenen Werten. Weiterhin konnten durch hydrothermale Synthesemethoden α-CuHgSCl und CuHgSBr in Form von Einkristallen erhalten werden, die erstmals eine vollständige Aufklärung der Kristallstruktur, Untersuchungen zum thermischen Verhalten der Cu-Atome sowie Studien der Phasenumwandlung ermöglichten [4]. In weiteren Untersuchungen gelang erstmals die Beschreibung der Kristallstrukturen von Ag 2 HgSI 2 [5], CuHgSI und

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Über Münzmetall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide. V1)

Solvothermalsynthese und Kristallstruktur der Hochtemperatur-Modifikationvon AgHgSI

Johannes Becka,*, Hans-Lothar Kellerb,*, Matthias Rompela, Lars Wimbertb und Bastian Ewaldb

a Bonn, Institut für Anorganische Chemie der Universitätb Dortmund, Fachbereich Chemie, Anorganische Chemie, der Universität

Bei der Redaktion eingegangen am 19. Februar 2004.

Professor Friedo Huber zum 75. Geburtstag gewidmet

Inhaltsübersicht. α-AgHgSI wird aus AgI und α-HgS durch solvo-thermale Umsetzung bei 300 °C in verdünnter HI-Lösung in Formvon gelben Kristallen erhalten. Die Substanz kristallisiert in derRaumgruppe P212121 mit a � 707,47(1), b � 773,18(2), c �

847,53(2) pm und Z � 4. Innerhalb der Kristallstruktur bildenSchwefel und Iod das Motiv einer verzerrt hexagonal dichtestenPackung, in der Silber ein Viertel der Tetraederlücken und Queck-

On Coinage Metal Mercury Chalcogenide Halides. V.Solvothermal Synthesis and Crystal Structure of the High Temperature Modificationof AgHgSI

Abstract. The solvothermal reaction of AgI and α-HgS in dilutedHI as solvent yields yellow crystals of α-AgHgSI. The compoundcrystallizes in space group type P212121 with a � 707.47(1), b �

773.18(2), c � 847.53(2) pm and Z � 4. The structure consists ofa distorted hexagonal close packed array of sulphur and iodine, inwhich one fourth of the tetrahedral voids is occupied by silver anda half of the octahedral voids is occupied by mercury. The distor-tion of the hexagonal structure is caused by the steric demand of

Einleitung

Über Münzmetall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide exi-stieren bereits mehrere Arbeiten. Erste Hinweise auf eineVerbindung der Zusammensetzung AgHgSI konnten 1986von Blachnik und Dreisbach erhalten werden [2]. Mit Hilfe

* Prof. Dr. J. BeckInstitut f. Anorgan. Chemie d. Universität BonnGerhard-Domagk-Str. 1D-53121 BonnFax: (49)228/735660E-Mail: [email protected]

* Prof. Dr. H.-L. KellerUniversität DortmundAnorganische ChemieOtto-Hahn-Str. 6D-44221 DortmundE-Mail: [email protected]) Vierte Mitteilung: Hydrothermalsynthese und Kristallstrukturvon CuHgSI und CuHg2S2I [1].

Z. Anorg. Allg. Chem. 2004, 630, 1031�1035 DOI: 10.1002/zaac.200400083 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 1031

silber die Hälfte der Oktaederlücken besetzt. Die Verzerrungenwerden durch den sterischen Anspruch freier Elektronenpaare her-vorgerufen, was durch Berechnungen der Elektronenlokalisierungs-funktion (ELF) bestätigt werden konnte. Die hier beschriebeneModifikation von AgHgSI kann bei 273 °C aus dem schon bekann-ten β-AgHgSI gebildet werden und wird somit als α-AgHgSI be-zeichnet.

the lone pairs of sulphur and iodine. This could be shown by thecalculation of the electron localisation function (ELF). The heredescribed modification of AgHgSI can be obtained at 273 °C fromthe earlier published β-AgHgSI and is therefore called α-AgHgSI.

Keywords: Coinage Metals; Mercury; Chalcogenide halides; Solvo-thermal synthesis; Crystal structure; ELF

von Röntgenpulveruntersuchungen gelang den Autoren dieBestimmung der Elementarzellenparameter a � 772,3(3),b � 847,0(3) und c � 707,3(3) pm. Eine weitergehende Be-schreibung der Kristallstruktur war nicht möglich. Im Zugeunserer bisherigen Arbeiten gelang erstmals die Darstellungvon einkristallinen Proben von CuHgSeBr, AgHgSBr undβ-AgHgSI durch Hydrothermalsynthese [3]. Die Bestim-mung der Kristallstrukturen dieser Verbindungen durchEinkristallmethoden ergab deren Isotypie. Die Elementar-zellenparameter von β-AgHgSI konnten hierbei mit a �1015,9(2), b � 464,77(5) und c � 984,9(2) pm angegebenwerden und unterscheiden sich damit deutlich von den vonBlachnik et al. angegebenen Werten. Weiterhin konntendurch hydrothermale Synthesemethoden α-CuHgSCl undCuHgSBr in Form von Einkristallen erhalten werden, dieerstmals eine vollständige Aufklärung der Kristallstruktur,Untersuchungen zum thermischen Verhalten der Cu-Atomesowie Studien der Phasenumwandlung ermöglichten [4]. Inweiteren Untersuchungen gelang erstmals die Beschreibungder Kristallstrukturen von Ag2HgSI2 [5], CuHgSI und

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J. Beck, H.-L. Keller, M. Rompel, L. Wimbert, B. Ewald

CuHg2S2I [1]. Im Rahmen dieser Arbeiten konnten für ei-nige der bisher bestimmten Kristallstrukturen der Münzme-tall(I)-Quecksilber(II)-sulfidhalogenide strukturelle Ge-meinsamkeiten aufgezeigt werden. So bilden die Anioneninnerhalb dieser Verbindungen das Motiv einer durch densterischen Anspruch einsamer Elektronenpaare verzerrtenhexagonal dichtesten Kugelpackung, in der die Kationenteilweise die vorhandenen Tetraeder- und Oktaederlückenbesetzen. Die Einflüsse der freien Elektronenpaare konntendurch Berechnungen der Elektronenlokalisierungsfunktion(ELF) aufgezeigt werden.

Mit Hilfe der Hydrothermalsythese konnten wir eineneue Modifikation von AgHgSI in Form von Einkristallenerhalten, die erstmals eine vollständige Klärung der Kri-stallstruktur ermöglichten.

Experimentelles

Darstellungsmethode

248,9 mg (1,070 mmol) α-HgS (Alfa Aesar) und 251,1 mg(1,070 mmol) AgI (eigene Herstellung entsprechend [6]) wurden ineine Quarzglasampulle von etwa 6 cm Länge und einem Innen-durchmesser von 6 mm eingefüllt und mit 0,5 ml 10 %iger wässrigerHI-Lösung überschichtet. Der Füllungsgrad betrug zirka 40 %.Nach dem Einfrieren der Edukte mit flüssigem Stickstoff wurde dieAmpulle im Vakuum abgeschmolzen und in einen Stahlautoklavengegeben, welcher mit dest. Wasser als Gegendruckmittel zu zirka40 % befüllt wurde. Die Umsetzung erfolgte innerhalb von 14 Ta-gen in einem horizontal angeordneten Röhrenofen bei 300 °C.Nach dem Abkühlen auf Raumtemperatur mit einer Abkühlge-schwindigkeit von 10 °C/h wurde die Ampulle geöffnet und der er-haltene Feststoff mit Ethanol und Diethylether gewaschen. α-AgHgSI wurde auf diesem Reaktionsweg röntgenographisch ein-phasig in Form gelber plättchenförmiger Kristalle erhalten.

Strukturbestimmung

Geeignete Kristalle wurden ausgesucht und in Glaskapillaren befe-stigt. Durch Präzessionsaufnahmen wurde die Qualität der Kri-stalle hinsichtlich der Röntgenbeugung überprüft. Die Daten-sammlungen erfolgten mit einem κ-CCD-Vierkreisdiffraktometer(Nonius). Die Bestimmung der Raumgruppe wurde unter Zuhilfe-nahme des Programms ABSEN [7] durchgeführt. Die Strukturkonnte mit Direkten Methoden [8] gelöst werden, die Strukturver-feinerung erfolgte basierend auf F 2 mit anisotropen Auslenkungs-parametern für alle Atome [9]. Wegen des hohen linearen Absorp-tionskoeffizienten wurde der Datensatz einer numerischen Absorp-tionskorrektur unterworfen. Die Kristallgestalt wurde dazu mitdem Kriterium der besten Mittelung über symmetrieäquivalenteReflexe optimiert [10]. In Tabelle 1 sind die Einzelheiten zu denMessungen und die kristallographischen Daten zusammengestellt2),Tabelle 2 enthält die Ortskoordinaten der Atome sowie den äquiva-lenten isotropen Auslenkungsparameter. Ausgewählte interatomare

2) Weitere Einzelheiten zur Kristallstrukturuntersuchung könnenbeim Fachinformationszentrum Karlsruhe, 76344 Eggenstein-Leo-poldshafen, unter Angabe der Hinterlegungsnummer CSD-413827angefordert werden.

2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim zaac.wiley-vch.de Z. Anorg. Allg. Chem. 2004, 630, 1031�10351032

Tabelle 1 Kristallographische Daten von α-AgHgSI und Angabenzur Strukturbestimmung. Die in Klammern angegebenen Werte fürdie Standardabweichungen beziehen sich jeweils auf die letzte ange-gebene Stelle.

Summenformel AgHgSIMeßtemperatur 295 KKristallsystem orthorhombischRaumgruppe P212121 (Nr. 19)Gitterkonstanten/pm a � 707,47(1), b � 773,18(2),

c � 847,53(2)Zellvolumen/106pm3 463,60(2)Zahl der Formeleinheiten 4Dichte (berechnet; gemessen)/g cm�3 6,70; 6,67(2)Farbe gelbKristallgröße/mm3 0,2 � 0,3 � 0,1Absorptionskoeffizient/cm�1 442,0Kristallgestalt / Flächen Plättchen / 6Diffraktometer Enraf Nonius κ-CCDbenutzte Röntgenstrahlung Mo-Kα, λ � 71,073 pmMeßbereich/° 7,2 < 2θ < 60,0Zahl der gemessenen Reflexe 11069davon systematisch ausgelöscht 8Zahl der unabhängigen Reflexe 1347Gütefaktor der Mittelung Rm 7,9 %Zahl der verfeinerten Parameter 39Verhältnis Reflexe / Parameter 35,2GütefaktorenwR(F2) 11,1 %R(�F�) für alle Reflexe 4,3 %R(�F�) für [Anzahl] der Reflexe mit 3,92 %F2>4σ(F2) [1249]Flack-Parameter 0,0(2)Restelektronendichte (e/106pm3)a) �2,8 / 3,5

a) Die Maxima der Restelektronendichten befinden sich weniger als 120 pmvon den Silberatomen entfernt.

Tabelle 2 Lageparameter der Atome für α-AgHgSI und Koeffizien-ten der äquivalenten isotropen Auslenkungsparameter Ueq/pm2 mitUeq�1/3 Σi Σj ai

* aj* ai aj. Die in Klammern angegebenen Werte

für die Standardabweichungen beziehen sich jeweils auf die letzteangegebene Stelle.

Atom x y z Ueq

Hg 0,25048(9) 0,23446(8) 0,01110(7) 405(2)Ag 0,9068(3) 0,1730(2) 0,4015(2) 741(6)I 0,9949(1) 0,3866(1) 0,64986(9) 314(2)S 0,9988(5) 0,3587(4) 0,1524(4) 303(6)

Tabelle 3 Ausgewählte interatomare Abstände/pm und Winkel/° fürα-AgHgSI. Die in Klammern angegebenen Werte für die Standard-abweichungen beziehen sich jeweils auf die letzte angegebene Stelle.

Atome Abstände/pm

Hg � S 235,1(5) (x2)Hg � I 348,2(5) (x2), 363,5(2), 374,5(5)Ag � S 256,1(4), 263,5(4)Ag � I 274,8(2), 298,2(3)

Atome Winkel/°

S � Hg � S 172,5(2)Hg � S � Hg 98,1(1)S � Ag � S 108,05(8)I � Ag � I 115,24(7)I � Ag � S 94,7(1), 102,1(6), 103,3(1), 130,4(1)

Abstände und Winkel enthält Tabelle 3. Für die graphischen Dar-stellungen wurde das Programm DIAMOND [11] eingesetzt.

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Differenzthermoanalytische Untersuchungen

Da bereits eine Verbindung der Zusammensetzung AgHgSI be-schrieben werden konnte [3], wurde α-AgHgSI thermoanalytischuntersucht. Die Messungen wurden mittels eines Analysators STA-409C (Netzsch) in einem Temperaturbereich von 20 °C bis 370 °Cmit Heizraten zwischen 2 °C/min und 6 °C/min in offenen Quarz-glastiegeln unter strömendem Argon (1 bar) durchgeführt.

Schwingungsspektroskopie

IR-Spektren wurden mit Polyethylenpresslingen in einem Bereich50-650 cm�1 mittels eines Gerätes FT-IR IFS113V (Bruker) gemes-sen. Die Aufnahme der Raman-Spektren erfolgte mit einem Spek-trometer T64000 (ISA / Jobin Yvon) mit angeschlossenem Ar�-Laser Stabelite 2017 (Spectraphysics) bei einer anregenden Wellen-länge von 647 nm in einem Wellenzahlenbereich von 10-400 cm�1.

Ergebnisse und Diskussion

Darstellungsmethode

Die solvothermale Reaktion von Quecksilbersulfid mitMünzmetall(I)-Halogeniden, hier speziell mit Silberiodid,in den entsprechenden Halogenwasserstoffsäuren führt inrelativ kurzer Zeit mit nahezu vollständiger Umsetzung zuden entsprechenden quaternären Metall-Quecksilber-Sul-fid-Halogeniden. Die Qualität der gebildeten Kristalle istim Vergleich zu den bisher durchgeführten Festkörperreak-tionen deutlich besser. Eine Darstellung durch Gasphasen-transport ist aufgrund der geringen Dampfdrücke der ver-wendeten Metall(I)-halogenide nicht möglich.

Das auf diese Weise synthetisierte AgHgSI kristallisiertin Form von gelben, plättchenförmigen Kristallen, die sichim Verlauf weiterer Untersuchungen als luft- und feuchtig-keitsunempfindlich erwiesen. Die Oberfläche der Verbin-dung färbt sich durch Sonnenlicht nach einiger Zeit dunkel,eine Zersetzung der Kristalle konnte jedoch nicht beobach-tet werden.

Differenzthermoanalytische Untersuchungen

Für die hier berichtete Modifikation wird die Benennungmit α-AgHgSI vorgeschlagen. Entsprechend hierzu soll diebereits bekannte Form [3], da es sich bei dieser um eine beitieferer Temperatur gebildete Modifikation handelt, mit β-AgHgSI bezeichnet werden. Die Rechtmäßigkeit einer sol-chen Nomenklatur wurde durch DTA/TG Untersuchungenbelegt, bei denen sich β-AgHgSI bei 273 °C vollständig inα-AgHgSI umwandelte. Im weiteren Verlauf der DTA-Un-tersuchung wurden zwei weitere Signale bei 306 °C und336 °C beobachtet, von denen der Effekt bei 306 °C als derZersetzungspunkt des α-AgHgSI ermittelt werden konnte.Das Signal bei 336 °C wird der beginnenden Zersetzung desQuecksilbersulfids zugeordnet [12].

Schwingungsspektroskopische Untersuchungen

Im Raman-Spektrum zeigen sich neben den bei kleinenWellenzahlen auftretenden Gitterschwingungen Linien bei

Z. Anorg. Allg. Chem. 2004, 630, 1031�1035 zaac.wiley-vch.de 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 1033

Abb. 1 Ausschnitt aus der Kristallstruktur von α-AgHgSI mit per-spektivischem Blick in Richtung [100]. Die Koordinationssphärender Silberatome sind durch Tetraeder hervorgehoben.

297 cm�1 (symmetrische Hg�S-Valenzschwingung) und345 cm�1 (asymmetrische Hg�S-Valenzschwingung). Wei-tere Linien konnten bei 211 cm�1 und 124 cm�1 (Ag�I-Va-lenzschwingung) sowie 254 cm�1 (Ag�S-Valenzschwin-gung) beobachtet werden. Eine bei 324 cm�1 beobachteteLinie konnte keiner Schwingung zugeordnet werden.

Im FT-IR-Spektrum zeigt sich eine breite Bande bei340 cm�1 (asymmetrische Hg�S-Valenzschwingung) sowiebei 357 cm�1 (I�Hg�S-Deformationsschwingung). Weiter-hin zeigen sich bei 211 cm�1 und 124 cm�1 Signale fürAg�I-Valenzschwingungen.

Diskussion der Kristallstruktur

α-AgHgSI kristallisiert im Raumgruppentyp P212121 mit 4Formeleinheiten pro Elementarzelle. Ein Ausschnitt derKristallstruktur ist in Abbildung 1 gezeigt.

Jedes Quecksilberatom ist innerhalb der Kristallstrukturnahezu linear von zwei Schwefelatomen umgeben, die wie-derum jeweils ein weiteres Quecksilberatom koordinieren.Hierdurch werden in der Kristallstruktur nahezu ebene Hg-S-Zickzackketten aufgebaut. Der Hg�S-Abstand innerhalbdieser Ketten beträgt 235,1 pm und liegt somit im Bereichder Werte von Zinnober (Hg�S: 236,8 pm [13]). Die Koor-dinationssphäre der Quecksilberatome wird durch vier Iod-atome erweitert, die eine nahezu planare Ebene senkrechtzur Hg-S-Bindungsachse aufspannen. Eine ähnliche[2�2�2]-Koordination der Quecksilberatome konnte be-reits für andere Münzmetall-Quecksilber-sulfidhalogenidebeschrieben werden. Die Hg�I Abstände innerhalb dieserverzerrten Oktaeder liegen im Bereich von 348,0(1) bis374,5(1) pm und somit deutlich über den beim Vergleich mitLiteraturdaten zu erwartenden Werten von etwa 270 bis280 pm [14]. Die Bindungen zwischen Quecksilber und Iodsind somit nur als sekundäre, sehr schwache attraktiveWechselwirkungen anzusehen. Die beschriebenen Oktaeder

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J. Beck, H.-L. Keller, M. Rompel, L. Wimbert, B. Ewald

Abb. 2 Darstellung der Koordinationssphären aller Atomsorten inα-AgHgSI sowie der Isoflächen der Elektronenlokalisierungsfunk-tion für einen Wert von 0,85 bei Schwefel (unten links) und füreinen Wert von 0,72 bei Iod (unten rechts).

sind in Richtung [100] entlang der HgS-Ketten über ge-meinsame Flächen zu unendlichen Oktaedersträngen ver-knüpft. Diese Stränge sind wiederum untereinander übergemeinsame Oktaederecken verbunden.

Die Silberatome sind verzerrt tetraedrisch von je zweiSchwefel- und zwei Iodatomen umgeben. Die interatoma-ren Abstände betragen d(Ag�I) � 278,7(2) und291,7(2) pm bzw. d(Ag�S) � 256,1(4) und 263,5(4) pm undliegen somit im Bereich der Zahlenwerte vergleichbarer Ver-bindungen (β-AgI: d(Ag�I) � 279 und 281 pm [15], α-Ag2S: d(Ag�S) � 250 bis 269 pm [16]). Die Tetraeder sinduntereinander über gemeinsame Ecken verknüpft und ver-binden in der Struktur die HgS-Ketten.

Die Schwefelatome in α-AgHgSI sind verzerrt tetrae-drisch von zwei Silber- und zwei Quecksilberatomen koor-diniert. Die Verzerrung dieser Tetraeder wird durch den ste-

Abb. 3 Vergleich der Münzmetallanordnungen innerhalb der Kristallstrukturen von α-AgHgSI und CuHgSI im Vergleich mit dem Wurtzit-strukturtyp. Innerhalb der Abbildung sind neben den Anionen zur besseren Übersichtlichkeit bei CuHgSI und α-AgHgSI nur die Münz-metallatome eingezeichnet. Die verzerrt hexagonalen Schichten sind mit A und B, die Schichtenabfolge der Münzmetallatome mit a undb gekennzeichnet. Die Bruchzahlen geben den Anteil der maximal möglichen Füllung der Tetraederlücken in den jeweiligen Schichten an.

2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim zaac.wiley-vch.de Z. Anorg. Allg. Chem. 2004, 630, 1031�10351034

rischen Anspruch freier Elektronenpaare an den Schwefela-tomen hervorgerufen („lone pair“), wodurch die Koordina-tionssphäre zu einer verzerrten pseudo-trigonalenBipyramide erweitert wird. Dieser Sachverhalt konntedurch Berechnungen der Elektronenlokalisierungsfunktionbestätigt werden. Die Berechnungen erfolgten hierbei unterVerwendung des Programmpaketes TB-LMTO-ASA [17].Abbildung 2 zeigt die Umgebung der Schwefelatome mitder Elektronenlokalisierungsfunktion für eine Isoflächevon 0,85.

Die Iodatome weisen stark deformierte Koordinations-polyeder aus vier Quecksilber- und zwei Silberatomen auf,deren Form durch ein sehr stark verzerrtes trigonalesPrisma beschrieben werden kann. Hierbei können mit Wer-ten von unter 60° ungewöhnlich kleine Winkel zwischenzwei Quecksilber-Iod-Bindungspaaren beobachtet werden,während die Winkel zwischen den anderen Quecksilber-Iod-Bindungen deutlich größere Werte aufweisen. DieseAuffälligkeit resultiert durch den ausgeprägten p-Charakterder freien Elektronenpaare der Iodatome und einer dadurchhervorgerufenen Deformation der Koordinationssphäre.Dieser Zusammenhang konnte ebenfalls durch Berechnun-gen der ELF bestätigt werden. Die Umgebung der Ioda-tome unter Einbeziehung der Elektronenlokalisierungs-funktion für eine Isofläche von 0,71 ist ebenfalls in Abbil-dung 2 dargestellt.

Die Schwefel- und Iodatome in α-AgHgSI bilden zusam-men das Motiv einer wegen des sterischen Anspruchs freierElektronenpaare verzerrten hexagonal dichtesten Packung.Innerhalb dieser Anordnung besetzen die Silberatome einViertel der vorhandenen Tetraederlücken, die Quecksilbera-tome die Hälfte der vorhandenen Okatederlücken. Aller-dings sind die Hg-Atome weit aus den Schwerpunkten deraus jeweils drei S- und drei I-Atomen gebildeten Oktaederauf eine aus zwei Schwefelatomen gebildete Kante heraus-gerückt. So entsteht die lineare S-Hg-S-Gruppierung unddie typische 2�4-Koordination an den Quecksilberatomen

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Über Münzmetall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide. V

Abb. 4 Vergleich der Anionenverteilung innerhalb einer verzerrt he-xagonalen Schicht für die bisher strukturell charakterisiertenMünzmetall(I)-Quecksilber(II)-sulfidhalogenide.

(Abb. 2). Dieses Besetzungsmuster ergibt einen bisher wederim hexagonalen Kristallsystem noch in Form einer Verzer-rungsvariante beobachteten Strukturtyp. Sowohl die An-ordnung der Anionen als auch die besondere Lückenbeset-zung durch Quecksilber weisen eine hohe Ähnlichkeit mitder Struktur von CuHgSI auf [1], jedoch ergibt sich für dieMünzmetallatome in α-AgHgSI eine unterschiedliche An-ordnung im Vergleich zur Kupferverbindung. Während fürCuHgSI der Wurtzit-Strukturtyp als Archetyp angegebenwerden konnte, kann zwischen α-AgHgSI und Wurtzit auf-grund der modifizierten Tetraederlückenbesetzung keineVerwandtschaft festgestellt werden. Die Unterschiede zwi-schen den beiden Kristallstrukturen von CuHgSI und α-AgHgSI beruhen auf einem modifizierten Besetzungsmu-ster der Tetraederlücken durch Münzmetallatome. Wäh-rend bei CuHgSI für die zwischen den Anionenschichteneingelagerten Münzmetallatomebenen eine Stapelfolge b/2� a/2 �... beobachtet werden kann, liegt in α-AgHgSI fürdie entsprechende Stapelung eine Abfolge b/4 a/4 a�/4 b�/4... vor. Dieser Sachverhalt ist in Abbildung 3 für die beidenKristallstrukturen im Vergleich zum strukturellen Aufbauvon Wurtzit dargestellt.

Bereits bei der Beschreibung der Verbindungen CuHgSIund CuHg2S2I konnten verschiedene Anionenanordnungs-muster innerhalb der beobachteten hexagonalen Schichten

Z. Anorg. Allg. Chem. 2004, 630, 1031�1035 zaac.wiley-vch.de 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 1035

beschrieben werden [1]. Eine weitergehende Analyse derbisher strukturell charakterisierten quaternären Münzme-tall(I)-Quecksilber(II)-sulfidhalogenide beweist, dass sichdieses Strukturprinzip für diese Verbindungsklasse nahezuuniversell anwenden lässt. Ein gutes Unterscheidungsmerk-mal bilden hierbei die Anionenanordnungen innerhalb derverzerrt hexagonalen Schichten. Eine entsprechende Über-sicht ist in Abbildung 4 gezeigt. Die bisher strukturell cha-rakterisierten Münzmetall-Quecksilber-sulfidhalogenidesind den entsprechenden Anionenteilstrukturen zugeordnet.Die auffallenden Gemeinsamkeiten der Kristallstrukturensogar bei einer Variation der Schwefel-Halogen-Anteiledeuten auf eine weitgehend ähnliche Anionenteilstrukur dermeisten Münzmetall-Quecksilber-sulfidhalogenide hin. In-wieweit dieses Strukturprinzip bei einer weitergehenden Er-höhung oder Erniedrigung des HgS-Anteils in der Verbin-dung aufrechterhalten wird, werden zukünftige Untersu-chungen zeigen.

Wir danken Herrn Dr. Rainer Niewa (Max-Planck-Institut für che-mische Physik fester Stoffe, Dresden) für die freundliche Durchfüh-rung der DTA/TG-Messungen.

Literatur

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[2] R. Blachnik, H. A. Dreisbach, Monatsh. Chem. 1986, 117,305.

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