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Übergänge im DaF-Unterricht: Haltungsveränderungen von
Lernenden aufgrund einer veränderten Unterrichtsführung
Anna Maria Aguirre Castañeda
Im Laufe der letzten 30 Jahre hat sich der Unterricht und natürlich hiermit auch der
Fremdsprachenunterricht in Deutschland grundlegend geändert. Vorbei ist der
Frontalunterricht in den Schulen der Sekundarstufen I und II bzw. die Vorlesung eines /
einer Universitätsdozenten/in, die um keinen Preis gestört werden durfte. Heute haben
die modernen DaF-Unterrichtsformen unter Federführung des von Prof. Neuner der GH
Kassel gegründeten kommunikativen Ansatzes in die Sprachenschulen und
Universitäten von Brasilien auch Einzug gehalten, wobei hier Partner- bzw.
Gruppenarbeit die wichtigsten Vertreter sind. Eine anfängliche Scheu seitens der
Schüler bzw. Studenten, die es zu überwinden gilt, weicht nach und nach einer
Begeisterung für kommunikative und dynamische Unterrichtstechniken, die es den
Lernenden ermöglichen, eine immer aktivere Rolle im Fremdsprachenunterricht zu
übernehmen. Der aktive Part der Lernenden bezieht sich hiermit in erster Linie auf die
Kompetenzen Sprechen und Hören, die seitens des Sprechers bzw. der Sprecherin eine
schnelle Dekodierung des Sprechakts und eine angemessene Reaktion in Form einer
Kodierung erfordern. Ein gelesener bzw. geschriebener Text hingegen kann in Ruhe
mehrmals nachgelesen werden und unterliegt einer anderen Dynamik.
Wie allgemein bekannt ist, verlief die Entwicklung von der Grammatik-Übersetzungs-
Methode über die audiovisuelle Methode hin zum kommunikativen Lehransatz. In den
beiden erstgenannten Lehrmethoden wurde ein passives Verhalten von den
Fremdsprachenlernern und Fremdsprachenlernerinnen gefordert. Das klassische
Lehrwerk „Deutsche Sprachlehre für Ausländer“ von Schulz-Griesbach ist ein gutes
Beispiel dafür. Eine 1:1 Erschlieβung des Wortschatzes, begleitet von Grammatik- und
Übersetzungsübungen, die die Lernenden auf Geheiβ des Lehrers oder Dozenten zu
vollziehen hatten, erlaubten nur wenig Bewegungsfreiheit innerhalb der Fremdsprache.
Es waren nur bestimmte grammatische Grundschemata zu wiederholen, die es einzu
schleifen galt. Fehler wurden streng korrigiert. Den Mund zu halten und nur zu
sprechen, wenn man die korrekte Antwort auf der Zungenspitze hatte war das
angestrebte Lernerverhalten.
Heutzutage gibt es eine Fülle von Übungen, die den erklärten und dargebotenen Stoff
fixieren und dessen Assimilation kontrollieren. In der Partner- bzw. Kleingruppenarbeit
profitieren sowohl stärkere als auch schwächere Schüler voneinander. Die Lösung, die
der eine nicht weiβ, kann der andere ergänzen. Und nicht zuletzt traut man sich zu zweit
auch mehr als allein, eine Lösung vorzuschlagen oder eine noch unvertraute
Satzkonstruktion zu benutzen. Die Lehrerfahrung zeigt, dass die Partner- bzw.
Kleingruppenarbeit vielseitig einsetzbar ist und sich nicht nur hervorragend für
Wortschatz- und Grammatikübungen eignet. Ich habe sie auch mehrmals in Literatur-
und Textanalysestunden der B1, B2- und der C1-Stufe des Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmens eingesetzt. Ein annehmbares Ergebnis seitens des Lehrenden - und
zwar sollte das Ergebnis hier immer „annehmbar“ sein, selbst wenn über einige gröbere
Sprachfehler hinweggesehen werden soll - ist unerlässlicher Bestandteil dieser Strategie.
Denn eine positive Haltung des Lehrenden gegenüber dem Produkt der Lernenden stärkt
deren Selbstvertrauen und weckt deren Freude daran, etwas in der Fremdsprache
zustande gebracht zu haben. Betrachten wir das Organon-Modell von Karl Bühler
(1934), der Sprache als „Organon“, als Werkzeug sieht, um mit anderen Menschen zu
kommunizieren, haben wir mithin einen Grund mehr, uns Lehrende als Bindeglieder
zwischen dem Werkzeug, also der Deutschen Sprache, und den Benutzern, den
Lernenden, zu sehen und uns nicht auf übertriebene Weise mit den Verstöβen gegen die
vorliegende Sprachnorm zu beschäftigen.
Aber wie geht man mit der Muttersprache der Lerner um? Welche Rolle steht ihr
tatsächlich zu? Gibt die Muttersprache im Endeffekt der Fremdsprache Hilfestellung
oder behindert sie diese, sich von den Lernenden ganz erfassen zu lassen? Es muss
bedacht werden, dass die Lernenden sich tatsächlich nicht nur in der Muttersprache
wirklich autonom ausdrücken, sondern auch einen Sachverhalt vollständig erfassen
können. Daher ist es meiner Meinung nach zulässig, die Muttersprache in die
Wortschatzerarbeitung mit einzubinden, soweit visuelle und textuelle Erklärungen nicht
ausreichend sind. Jedoch sollten die Lernenden nach dieser „Schonfrist“ bezüglich der
Fremdsprache, also in unserem Fall, einerseits der deutschen Sprache spielerisch
ausgesetzt werden, um sie zu erfassen, andererseits dazu ermuntert werden, von ihr
aktiv Gebrauch zu machen. Hierbei ist immer zu betonen, dass jedweder Einsatz der
Fremdsprache, und sei er noch so fehlerhaft, zu fördern und zu belobigen ist, um Karl
Bühlers Theorie gerecht zu werden.
Wie vollzieht sich das? Hierzu gibt es unzählige Übungseinsätze wie Rollenspiele,
Wegbeschreibungen, Nachspielen von Alltagssituationen, Diskussionen zu aktuellen,
für die Zielgruppe interessanten Themen, Bildbeschreibungen etc., wobei die
Sprachkompetenz nach GER hier als Maβstab gilt. Ich möchte mich hier lediglich auf
die Diskussion und das Erforschen von Sachverhalten im Internet beschränken. Z.B.
müssen die B2-Schüler bei der Vorbereitung von Diskussionen als ersten Schritt
folgende Redemittel anhand eines lektionsrelevantes Themas einstudieren:
- „Ich bin der Ansicht, dass...
- Ich bin anderer Meinung,...
- Ich verstehe das völlig/gut/überhaupt nicht....
- Ich kann dem (nicht) zustimmen.
- Ich halte diese Meinung/Aussage/Vorstellung/... für
richtig/falsch/verkehrt/einleuchtend.“1
Damit sie in der Lage sind, ihre Argumente in einem zweiten Schritt einzubringen,
müssen sie folgende Redemittel einsetzen:
- „Dazu fällt mir folgendes Beispiel ein:...
- Ein Beispiel dafür ist:...
- Als Beispiel kann man folgendes nennen:...
- Ich musste da an... denken.“2
Wertneutrale Aussagen werden anhand folgender Redemittel eingeleitet:
- „In diesem Text geht es um...
- Der Artikel handelt von...
- Die Hauptaussage/wichtigste Aussage des Textes ist...“3
1 Aspekte Mittelstufe Deutsch, Arbeitsbuch 2, Berlin u. München Langenscheidt 2008, p.56 2 ebenda 3 ebenda
Selbstverständlich bieten auch andere Lehrwerke diskussionsspezifische Redemittel an.
Diese Redemittel werden, gut sichtbar, im Lehrraum aufgehängt, damit die Lernenden
sie immer vor Augen halten können.
Nach ein- bis zweimaligem Üben können beliebige Themen, deren Wortschatz schon
zum Groβteil bekannt ist, gewählt werden, wobei in einer Gruppe entweder jeder seine
eigene Meinung vertritt, oder zu zweit oder zu dritt einen Standpunkt darstellt und
verteidigt.
Was ich diesbezüglich beobachtet habe, ist, dass etwa 70% der Schüler einen
zusammenhängenden, mehr oder weniger fliessenden mündlichen Text produzieren.
50% der Schüler sind nach mehrmaligem Üben in der Lage, 65% der Redemittel in
anderen Kontexten anzuwenden. Die Fähigkeit, einen mündlichen Text zu artikulieren,
motiviert die Schüler und bestärkt sie in ihrem Erlernen der Fremdsprache, weil sie
sozusagen sich selbst beweisen,dass sie in der Lage sind, einen mündlichen Text
weitgehend korrekt zu produzieren, in dessen Inhalt sie auch ihre Meinung und Gefühle
einbringen können.
Diese Aktivitäten können unter anderem anhand von Assoziogrammen vorbereitet
werden, die den Lernenden eine weitere Autonomie vermitteln, sich in der deutschen
Sprache auszudrücken. Jeder Dozent und jede Dozentin muss die geeigneten Themen
mit den entsprechenden Übungen sorgfältig analysieren, um sie anschlieβend
zielgruppenbezogen und niveaugerecht auszusuchen und so ihren Schülern beim
Vermitteln der Deutschen Sprache hilfreich zu Seite zu stehen. Ziel ist hier die
Kommunikationsfähigkeit im Deutschen. Diese Zielfertigkeit ist erreicht, wenn die
Lernenden - ihrem Niveau gemäβ dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen
entsprechend - mit der deutschen Sprache handelnd umgehen, sich mitteilen und die
deutsche Sprache zur Verständigung mit anderen gebrauchen können.
Literaturverzeichnis
Bühler, K. Sprachtheorie. Jena: Verlag Gustav Fischer,1934
Funk, H./Koenig, M./Koithan, U./Scherling, T. Genial A1/2. München: Langenscheidt,
2005
Koithan, U./Schmitz, H./Sieber, T./Sonntag, R.
Neuner, G./Krüger, M./Grewer, U. Übungstypologie zum kommunikativen
Deutschunterricht. Berlin, München: Langenscheidt, 1986.
Schatz, H. Fernstudieneinheit 20, Germanistik, DaF, Erprobungsfassung Kassel,
München, Tübingen, Berlin: Langenscheidt 03/2001