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Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / Mai 2015 | 1 Die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption Oleg Friesen Die ukrainische Regierung ist bemüht, ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die Korruption zu de- monstrieren. Die ukrainischen Bürger aber bleiben skeptisch. Sie wollen diesen Kampf kontrollieren und mitgestalten. Dubiose Szenen spielen sich in Kiew ab. Während einer Kabinettssitzung verhaften Sicherheitskräfte vor laufenden Kameras den Chef des ukrainischen Katastrophenschutzes und seinen Stellvertreter. Der Vorwurf: korrupte Machenschaften bei der Vergabe eines Staatsauftrags. Sofort kommentiert Innen- minister Arsen Awakow den Vorgang als „Impfung“ gegen Korruption unter hohen Beamten. Während sich viele ukrainische Medien vor allem über die theatralische Inszenierung des Vorfalls mo- kieren, sehen andere darin den Beginn einer neuen Antikorruptionspolitik, in der auch Beamte der höchsten Regierungsebene wegen korrupter Machenschaften strafrechtlich verfolgt werden können. Die Korruption ist das vielleicht größte Problem der Ukraine, das alle Ebenen des Staatsapparats be- trifft. Sie lähmt die politische und wirtschaftliche Entwicklung und verhindert die Durchführung von Reformen, die für das Land überlebenswichtig sind. Jedes Jahr versickern so Milliarden dringend benö- tigter Gelder. Ungeachtet der bescheidenen Lebensverhältnisse vieler Menschen leisten sich viele Staatsbedienstete ein maßlos luxuriöses Leben. Insbesondere die Vergabe öffentlicher Aufträge an staatseigene Betriebe ist ein Einfallstor für Korruption. Auch unter der neuen Regierung soll der Staat bereits 3,5 Billionen Hrywnia (etwa 150 Millionen USD) bei der Vergabe überteuerter Aufträge verlo- ren haben, beklagt der frühere Vorsitzende der Staatlichen Finanzinspektion Mykola Hordienko in ei- nem Artikel der Kyivpost. 1 Obwohl Hordienko selbst aufgrund eines Korruptionsskandals entlassen wurde, fanden seine Anschuldigungen gegen die Regierung ein breites öffentliches Echo. Der Kampf gegen die Korruption war eine Hauptforderung des Majdan, der „Revolution der Würde“, wie die meisten Ukrainer das Einstehen für ihre Rechte vor einem Jahr nennen. Zurzeit entstehen in der Ukraine staatliche Strukturen, welche die Korruptionsbekämpfung institutionalisieren sollen. Das Parlament und das Ministerkabinett können bereits auf solche Strukturen zurückgreifen. Ein neu ge- schaffenes Anti-Korruptionsbüro des Präsidenten der Ukraine ist zurzeit im Aufbau. 1 http://www.kyivpost.com/content/ukraine/ex-top-financial-inspector-says-yatsenyuk-is-corrupt-385835.html Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / 20. Mai 2015

Ukraine: Kampf gegen Korruption

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Die ukrainische Regierung ist bemüht, ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die Korruption zu demonstrieren. Die ukrainischen Bürger aber bleiben skeptisch. Sie wollen diesen Kampf kontrollieren und mitgestalten.

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Page 1: Ukraine: Kampf gegen Korruption

Hintergrund: Ukraine Nr. 30 / Mai 2015 | 1

Die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption

Oleg Friesen

Die ukrainische Regierung ist bemüht, ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die Korruption zu de-

monstrieren. Die ukrainischen Bürger aber bleiben skeptisch. Sie wollen diesen Kampf kontrollieren und

mitgestalten.

Dubiose Szenen spielen sich in Kiew ab. Während einer Kabinettssitzung verhaften Sicherheitskräfte

vor laufenden Kameras den Chef des ukrainischen Katastrophenschutzes und seinen Stellvertreter. Der

Vorwurf: korrupte Machenschaften bei der Vergabe eines Staatsauftrags. Sofort kommentiert Innen-

minister Arsen Awakow den Vorgang als „Impfung“ gegen Korruption unter hohen Beamten.

Während sich viele ukrainische Medien vor allem über die theatralische Inszenierung des Vorfalls mo-

kieren, sehen andere darin den Beginn einer neuen Antikorruptionspolitik, in der auch Beamte der

höchsten Regierungsebene wegen korrupter Machenschaften strafrechtlich verfolgt werden können.

Die Korruption ist das vielleicht größte Problem der Ukraine, das alle Ebenen des Staatsapparats be-

trifft. Sie lähmt die politische und wirtschaftliche Entwicklung und verhindert die Durchführung von

Reformen, die für das Land überlebenswichtig sind. Jedes Jahr versickern so Milliarden dringend benö-

tigter Gelder. Ungeachtet der bescheidenen Lebensverhältnisse vieler Menschen leisten sich viele

Staatsbedienstete ein maßlos luxuriöses Leben. Insbesondere die Vergabe öffentlicher Aufträge an

staatseigene Betriebe ist ein Einfallstor für Korruption. Auch unter der neuen Regierung soll der Staat

bereits 3,5 Billionen Hrywnia (etwa 150 Millionen USD) bei der Vergabe überteuerter Aufträge verlo-

ren haben, beklagt der frühere Vorsitzende der Staatlichen Finanzinspektion Mykola Hordienko in ei-

nem Artikel der Kyivpost.1 Obwohl Hordienko selbst aufgrund eines Korruptionsskandals entlassen

wurde, fanden seine Anschuldigungen gegen die Regierung ein breites öffentliches Echo.

Der Kampf gegen die Korruption war eine Hauptforderung des Majdan, der „Revolution der Würde“,

wie die meisten Ukrainer das Einstehen für ihre Rechte vor einem Jahr nennen. Zurzeit entstehen in

der Ukraine staatliche Strukturen, welche die Korruptionsbekämpfung institutionalisieren sollen. Das

Parlament und das Ministerkabinett können bereits auf solche Strukturen zurückgreifen. Ein neu ge-

schaffenes Anti-Korruptionsbüro des Präsidenten der Ukraine ist zurzeit im Aufbau.

1 http://www.kyivpost.com/content/ukraine/ex-top-financial-inspector-says-yatsenyuk-is-corrupt-385835.html

Hintergrund:

Ukraine

Nr. 30 / 20. Mai 2015

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Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben die Möglichkeit, diese Institutionen mitzugestalten und

zu kontrollieren. Think-Tanks und andere bürgerliche Initiativen arbeiten aktiv an Strategien und Ge-

setzesvorlagen mit. Das Antikorruptionsbüro etwa geht gänzlich auf eine NGO-Initiative zurück.

Die ukrainische Regierung zwischen Krieg und Reformdruck

Wenn man aber über den Kampf der

Ukraine gegen die Korruption

spricht, muss man auch die besonde-

re Lage im Blick haben, in der sich

das Land befindet. Der Waffenstill-

stand im Osten ist brüchig. Ein wei-

teres Vordringen der sogenannten

Separatisten,2 etwa auf die 500.000-

Einwohner-Stadt Mariupol, ist eine

reale Bedrohung. Der Krieg ist auch

in der Hauptstadt Kiew gegenwärtig.

Auf den Straßen begegnet man uni-

formierten Männern und Frauen.

Freiwillige sammeln Geld für Ver-

wundete und die Angehörigen von Gefallenen. In der Untergrundbahn „Metro“ findet man Plakate, die

für preisgünstige Beinprothesen werben. Der Unabhängigkeitsplatz im Herzen Kiews ist zu einem Ort

allgemeinen Gedenkens geworden, an dem Menschen nun auch Kerzen und Blumen für die Gefallenen

niederlegen.

Die Korruption ist also nur eine von vielen zentralen Herausforderungen – aber von ihrer Bewältigung

hängt die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes ab. Die Regierung schreibt

sich den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen. Aber Bürger hegen nach wie vor Zweifel, dass er für

sie Priorität hat. Sie misstrauen der Staatsspitze, etwa weil Präsident Poroschenko sein Wahlverspre-

chen – sein Schokoladenimperium „Roshen“ zu verkaufen – nicht eingelöst hat. Hartnäckig halten sich

auch Gerüchte, Premierminister Arsenij Jazeniuk oder der Kiewer Bürgermeister Witalij Klitschko seien

in korrupte Geschäfte verstrickt. Beide weisen dies vehement zurück.

Ein immer beschwerlicher werdender Alltag führt bei vielen Bürgern zudem zu Unzufriedenheit mit der

Regierung, von der die Menschen eigentlich Schritte erwarten, die ihren Alltag erleichtern sollen. Viele

sind einem gravierenden Anstieg ihrer Lebenshaltungskosten ausgesetzt. Die Tarife für Gas haben sich

seit dem 1. April verdoppelt und dürften sich bis zum Jahresende versechsfachen; die Tarife für Elektri-

zität und Wasser sind, regional unterschiedlich, um bis zu 20 Prozent gestiegen. Grundnahrungsmittel

wie Brot kosten 20 Prozent mehr. Dabei erleben die Ukrainer einen rapiden Verfall ihrer Währung: Die

Inflation hat im April dieses Jahres 45 Prozent erreicht. Die Löhne aber stagnieren – und sind wegen

des Währungsverfalls weniger Wert als zuvor. Seit Monaten belagert eine sich „Finanzmajdan“ nen-

nende Gruppe das Finanzministerium.

2 Aufgrund des hohen Anteils ausländischer, vor allem russischer, Freiwilliger und Söldner in den Formationen der sog.

„Volksrepublik Donezk (DNR)“ und „Volksrepublik Lugansk (LNR)“ sowie der Verwicklung offizieller Angehöriger der Streit-

kräfte der Russischen Föderation ist der Separatismus-Begriff fragwürdig.

Der Majdan heute / Foto: Oleg Friesen

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Aber gerade weil die wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen das gesamte Land steht, enorm

sind und sich das Potenzial der Ukraine nur bei erfolgreichen Reformen verwirklichen lässt, ist die

durch den Majdan gestärkte Absicht politisch engagierter Bürger ungebrochen, den Kampf gegen Kor-

ruption nicht nur dem Staat zu überlassen.

Nichtregierungsorganisationen gestalten den staatlichen Kampf gegen die Korruption mit

Jaroslaw Jurtschischin ist Jurist und Aktivist der 2014 gegründeten zivilgesellschaftlichen Initiative

„Reanimation Package of Reforms“ (kurz RPR), die das Ziel verfolgt, die Reformen des Landes mitzuge-

stalten. Der Experte für Korruptionsbekämpfung gehört zu denen, die die öffentliche Verhaftung im

Ministerkabinett für Theater halten. Die ukrainische Regierung versuche, die Antikorruptionsmaßnah-

men des ehemaligen Präsidenten Georgiens Saakaschwilli zu imitieren.

Im RPR gibt es eine Arbeitsgruppe „Korruptionsbe-

kämpfung“, welche Olexij Chmara, Leiter der ukraini-

schen Sektion von Transparency International, führt.

In ihr engagieren sich etwa Aktivisten aus Bürgerini-

tiativen, Abgeordnete des Kiewer Stadtrats und

Journalisten. Sie arbeiten eng mit der Politik zusam-

men. Im ukrainischen Parlament etwa unterhält die

Arbeitsgruppe nach eigener Aussage etwa 50 Kon-

takte zu Abgeordneten aller Parteien und Fraktionen.

Durch diese habe man bereits eine große Anzahl von

Gesetzesinitiativen ins Parlament einbringen können,

von denen bereits 32 von der Rada angenommen

worden seien.3 Damit die Öffentlichkeit die genaue

Anzahl der eingebrachten Initiativen samt Status

verfolgen kann, wird RPR demnächst ein für alle Inte-

ressierten zugängliches „Reformometer“ einrichten.4

Mit der Annahme der Gesetze ist jedoch nur der erste Schritt getan. Die Experten von RPR verfolgen

deshalb auch, wie neue Gesetze umgesetzt werden.

Fünf im ukrainischen Parlament vertretene Parteien, die die Regierungskoalition bilden, haben zu-

sammen mit RPR einen „Fahrplan“ für Reformen erarbeitet. Die aktivsten Partner von RPR sind die

sogenannten „Euro-Optimisten“, ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss von Abgeordneten,

die sich mit der Forderung durchsetzten, den vom Oligarchen Ihor Kolomoysky kontrollierten Energie-

konzern „Ukrnafta“ gesetzlich zu verpflichten, zwei Milliarden Hrywnia (84,7 Millionen Euro) an den

ukrainischen Staat zurückzuzahlen. Auch ein Gesetz zur Regelung der Parteienfinanzierung, welches

die politischen Parteien unabhängig von intransparenten externen Geldern machen soll, steht auf der

Reformagenda.

3 Neben der Anti-Korruptionsreform hat auch die Dezentralisierungsreform für RPR einen hohen Stellenwert, im Rahmen

derer im Parlament bereits fünf Gesetzesentwürfe angenommen worden sind. Das aktuellste vom RPR eingebrachte und

am 7. April vom Präsidenten unterschriebene Gesetz betrifft die Unabhängigkeit der Medien und regelt den Aufbau eines

öffentlich-rechtlichen Fernsehens. 4 http://platforma-reform.org/

Die Anti-Korruptionsexperten von RPR bei der Arbeit / Foto:

Oleg Friesen

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Im Parlament ist der „Ausschuss zu Fragen der Abwehr und Verhinderung von Korruption“5 die ers-

te Anlaufstelle für die Aktivisten vom RPR. Seine Aufgabe ist es, Gesetzesgrundlagen für die Bekämp-

fung der Korruption auszuarbeiten. Gegründet wurde er bereits 2012 unter anderem Namen, im kor-

rupten System des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Janukowytsch machte er sich aber nicht wei-

ter bemerkbar. Der derzeitige Ausschussvorsitzende, der frühere Journalist Jehor Sobolew, ist ebenfalls

„Euro-Optimist“ und spätestens seit Majdanzeiten einer der bekanntesten Anti-Korruptionsaktivisten

der Ukraine sowie Mit-Initiator des im Oktober verabschiedeten Gesetzes zur „Säuberung der Macht-

strukturen“. Der Europarat wiederum kritisiert dieses „Lustrationsgesetz“, wie es auch genannt wird,

als unvereinbar mit europäischem Recht und fordert eine Reihe von Änderungen, etwa eine unabhän-

gige Kommission zur Umsetzung von Lustration. Das „Lustrationsgesetz“ sorgt zudem immer wieder

für ganz praktische Probleme, da durch die Entlassung von Beamten oft ein Kompetenzvakuum ent-

steht, weil dann Fachleute fehlen. Sobolew selbst wünscht sich für die Umsetzung von Lustration das

von ihm selbst geschaffene Lustrations-Komitee, eine zivilgesellschaftliche Aktivistengruppe mit einer

Guillotine im Logo. Er bemüht sich, bislang vergeblich, um einen offiziellen Status dieses Komitees.

Jaroslaw Jurtschischin, der Aktivist des RPR, versteht seine Organisation als Instrument der Zivilgesell-

schaft, die Politiklinien des Landes mitzugestalten. Er wünscht sich ein Netzwerk, das alle Antikorrup-

tionsinitiativen des Landes koordiniert und auch die Zusammenarbeit mit den staatlichen Institutionen

der Korruptionsbekämpfung, darunter auch der Staatsanwaltschaft, regelt.

Der schwierige Start der staatlichen Korruptionsbekämpfung

Regierung und Präsident sind eigene Anti-Korruptionsinstitutionen zugeordnet. Im Februar dieses Jah-

res bildete das Kabinett der Ukraine eine „Nationale Agentur zu Fragen der Korruptionsprävention“

(s. Schaubild). Diese soll vor allem gegen die Korruption im Staatsapparat vorgehen und die Antikor-

ruptionspolitik der Regierung entwerfen. Zudem soll sie dafür sorgen, dass die Ministerien ihre Finan-

zen offenlegen. Eine konkrete Maßnahme ist auch die Einrichtung eines Registers von Eigentums- und

Vermögensdeklarationen der Staatsbediensteten. Das soll als Grundlage für die Beurteilung dienen, ob

die Ausgaben eines Beamten noch in Relation zu seinem Einkommen stehen.6 Premierminister Jaze-

niuk bemüht sich beim Aufbau der Agentur um Unterstützung durch postsozialistische Länder, die

bereits eine erfolgreiche Antikorruptionspolitik durchsetzen konnten. So lud Jazeniuk im April den

Chef des polnischen Antikorruptionsbüros Pawel Wojtunik nach Kiew ein, welcher sich dazu bereit

erklärte, den ukrainischen Kampf gegen die Korruption mit Experten und dem nötigen Know-how Po-

lens zu unterstützen.

Olexij Chmara, der Leiter von Transparency International Ukraine, beurteilt die Chancen der Ukraine,

eine effektive Antikorruptionspolitik durchzuführen, als nicht schlecht. Die größte Hoffnung setzt er in

die seiner Ansicht nach „wichtigste Antikorruptionsbehörde im Land“ – das „Nationale Anti-

Korruptionsbüro“. Ebenfalls auf einer Gesetzesinitiative des RPR beruhend ist dieses Büro direkt dem

Präsidenten unterstellt. Es soll eine Führungsrolle unter den Antikorruptionsinstitutionen einnehmen

und das komplizierte System der staatlichen Antikorruptionsbehörden koordinieren, einschließlich

Staatsanwaltschaft und Justizministerium.

Die Ernennung des Büroleiters obliegt einer staatlichen Kommission. Hier kam es bereits zu einem

ersten Konflikt, da die Zivilgesellschaft die Wahl einer Person befürchtete, die unter zu starkem Ein-

fluss des Präsidenten stehen würde.

5 Bis Dezember 2014 „Komitee für Fragen des Kampfes gegen organisiertes Verbrechen und Korruption“

6 http://www.kyivpost.com/content/business/ukrainian-government-takes-more-steps-towards-transparency-385925.html

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Doch Zivilgesellschaft und Parlament können es als ihren Erfolg verbuchen, dass sie mit Hilfe von In-

formationsarbeit und öffentlichem Protest einen von Präsident Poroschenko favorisierten georgischen

Leiter verhinderten. Leiter des Anti-Korruptionsbüros wurde am 16. April Artem Sytnik, ein ehemaliger

Staatsanwalt.

Auch Jaroslaw Jurt-

schischin erklärt sich die

Verzögerung des gesamten

Verfahrens als politischen

Machtkampf. Die ver-

gleichsweise hohe Anzahl

georgischer Kandidaten für

den Posten hält er für be-

merkenswert. Zwischen-

zeitlich wurde sogar der

ehemalige georgische Prä-

sident Saakaschwilli als

Kandidat gehandelt. Mit

Artem Sytnik ist Jurt-

schischin jedoch zufrieden.

In seiner zehnjährigen Tä-

tigkeit für die Staatsan-

waltschaft gelang es dem

35-jährigen Sytnik, über

300 Fälle von Korruption

aufzuklären. 2011 erklärte er aus Protest gegen das korrupte System des damaligen Präsidenten Janu-

kowytsch seinen Rücktritt.

Administration des Präsidenten in Kiew / Foto: Oleg Friesen

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Schaubild Staatliche Antikorruptionsinstitutionen der Ukraine

Präsident der Ukraine

Nationales Antikor-

ruptionsbüro

Kabinett der Ukraine

´Nationale Agentur zu

Fragen der Korrup-

tionsprävention

Parlament der Ukraine:

Ausschuss zu Fragen

der Abwehr und

Verhinderung von

Korruption

Leiter: Artem Sytnik

(Jurist, ehem. Staatsanwalt)

Aufgaben:

- Koordination aller staatli-

chen Antikorruptionsbe-

hörden

- Kontrolle von Politikern

und Staatsbediensteten

- Monitoring der Umsetzung

des Lustrationsgesetzes

Leiter: Auswahlverfahren läuft

Aufgaben:

- Kontrolle und Prüfung

von Staatsbediensteten

und staatlichen Institu-

tionen, insb. der Mini-

sterien

- Offenlegung von Haus-

haltsplänen und Ausga-

ben der Ministerien

- Einrichtung und Füh-

rung eines Registers der

Vermögens- und Ein-

kommensverhältnisse

Leiter: Jehor Sobolew

(ehem. Journalist, Abgeordneter)

Aufgaben:

- Vorbereitung und

Ausarbeitung von An-

tikorruptionsgesetzen

- Kontrolle von Parla-

mentsabgeordneten

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Korruption muss „von unten“ bekämpft werden

„Reanimation Package of Reforms“ und Transparency International sind Beispiele für aktive Nichtre-

gierungsorganisationen, denen daran gelegen ist, die Anti-Korruptionspolitik des Landes mitzugestal-

ten. Das Spektrum der Anti-Korruptionsaktivisten in der ukrainischen Gesellschaft ist breit; es reicht

von Einzelpersonen wie Bloggern über gesellschaftliche Initiativen und Nichtregierungsorganisationen

bis hin zu den Kirchen, die die Korruption im Land wiederholt anprangern.

Zu den in der Ukraine bekannten Nichtregierungsorganisationen, die in diesem Bereich arbeiten, ge-

hört auch „Naschi Hroschi“ („Unser Geld“). Diese NGO recherchiert und prüft den für Korruption be-

sonders anfälligen Bereich staatlicher Auftragsvergabe. Die Aktivisten von „Naschi Hroschi“ betreiben

vor allem aktive Informationsarbeit im Internet7 und anderen Medien, wie dem unabhängigen Nach-

richtenkanal Hromadske TV („Bürgerliches TV“).

Es gibt des Weiteren Initiativen,

die den Ansatz „Korruptionsbe-

kämpfung von unten“ verfolgen.

Für sie ist der Kampf gegen die

Korruption in den oberen Reihen

des Staatsapparates zwecklos,

wenn sich die Mentalität der

Gesellschaft nicht insgesamt

ändert. Serhiy Hula denkt so, ein

junger selbstständiger Kiewer

Rechtsanwalt und Gründer der

bürgergesellschaftlichen Initiati-

ve „Nein zu Schmiergeld – ich

nehme und gebe kein Schmier-

geld“. Die Menschen in der Ukraine begegneten in ihrem Alltag fortwährend Korruption: sei es der

Arzt, der „einen Gefallen“ für eine Behandlung verlangt, oder der Lehrer, der seinen Schülern für „Ge-

schenke“ gute Noten gibt. Besonders problematisch sei die Justiz: Richter verlangten häufig hohe

Summen für ein Urteil zum Vorteil der Person, die zahlt. Deshalb appelliert Hula an die Bürger, der

Alltagskorruption zu widerstehen. Die Initiative „Nein zu Schmiergeld“ bietet sich als Ansprechpartner

für jene Bürger an.

Markenzeichen der Initiative ist die „Anti-Schmiergeld-Hrywnia“, ein Flyer in Form eines Geldscheins.

Dieser soll als symbolische „rote Karte“ gegen Schmiergeld dienen und demonstrativ überreicht wer-

den, wenn einer Person im Alltag Schmiergeld abverlangt wird. Serhiy Hula organisiert zudem Veran-

staltungen im ganzen Land. Vor Ort bietet die Initiative den Bürgern die Möglichkeit, eine symbolische

Deklaration zu unterschreiben, in der sie sich verpflichten, kein Schmiergeld zu nehmen, oder zu ge-

ben. Mehr als tausend Menschen haben diese Deklaration bereits unterschrieben, davon fünfzehn Pro-

zent Staatsangestellte.

7 http://nashigroshi.org/

Symbolische „Ich gebe und nehme kein Schmiergeld“-Deklaration / Foto: Oleg Friesen

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Fazit

Nach der „Revolution der Würde“ bemüht sich die neue ukrainische Regierung demonstrativ um einen

neuen Politikstil der Offenheit und Transparenz. Dieser bietet der Zivilgesellschaft immerhin die Mög-

lichkeit, die Arbeit der Staatsgewalten besser zu kontrollieren und darauf Einfluss zu nehmen.

Der Wille und die Motivation vieler ukrainischer Bürger, aktiv an der Reformierung ihres Landes mit-

zuwirken, haben in diesem ersten schwierigen Jahr nach dem Regimewechsel nicht nachgelassen.

Grundsätzlich ist es ein Erfolg, dass in der Ukraine nun unabhängige Institutionen und Strukturen zur

Korruptionsbekämpfung gebildet werden. Ob sie tatsächlich Wirksamkeit entfalten, bleibt abzuwarten.

Gegenwärtig verzögert sich ihr Aufbau u. a. aufgrund politischer Querelen, wie jener um die Leitung

des Nationalen Antikorruptionsbüros. Präsident und Regierung müssen also ihren ernsthaften Willen,

Reformen durchzuführen und Korruption wirksam zu bekämpfen, erst noch unter Beweis stellen.

In jedem Fall sind Hinweise auf die herausfordernde Lage im Osten des Landes keine akzeptable Ent-

schuldigung dafür, notwendige Reformen zu verschleppen. Denn nicht zuletzt von einer erfolgreichen

Reformierung des Landes und einer wirtschaftlichen Erholung und Stabilisierung wird es abhängen,

die zurzeit besetzten Gebiete eines Tages wieder erfolgreich zu reintegrieren.

„Gäbe es keinen Krieg im Osten, gäbe es den Krieg der Ukraine gegen die Korruption“, sagt Jaroslaw

Jurtschischin von RPR. Doch ohne den Kampf gegen die Korruption kann die ukrainische Regierung bei

der Umsetzung lebensnotwendiger Reformen für ihr Land nicht erfolgreich sein.

Oleg Friesen ist Student der Geschichts-und Politikwissenschaften im 8. Semester an der Freien Uni-

versität Berlin und gegenwärtig Praktikant der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kiew.

Impressum

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF)

Bereich Internationale Politik

Referat für Querschnittsaufgaben

Karl-Marx-Straße 2

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