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Ethik Med (2000) 12:177–183 Umgang mit Medizinethik in den Medien Dieter Stengel Ich bin freiberuflich als Fernsehautor und –regisseur tätig, vorwiegend im Be- reich ‘Wissenschaft’. Dort habe ich in letzter Zeit vor allem Features über bio- medizinische Themen geschrieben und verfilmt. Ich biete ARD-Anstalten und dem ZDF Themen an. Kommt es mit einem Sender zu einem Vertrag, erstelle ich mit den Produktionsmitteln des Senders einen Film von 43 Minuten. Zur Einstimmung möchte ich Ihnen eine kurze Sequenz aus meinem letzten Feature „Gene als Schicksal“ zeigen, das ich im Auftrag des Bayerischen Fern- sehens gemacht habe. Kurz der Inhalt: Es werden immer mehr krank machend veränderte Gene entdeckt, auf die man dann vor und nach der Geburt Menschen testen kann. Eine erfolgreiche Behandlung der entsprechenden Krankheiten existiert häufig noch nicht. Das ethische Problem: Wie gehen wir mit einer Vielzahl solcher Tests in Zukunft um? Was, wenn sehr viel mehr Leben im Mutterleib abgebrochen wird? Was, wenn viele Erwachsene wissen, dass sie in Zukunft schwer, sogar tödlich erkranken werden? Was passiert, wenn ihre Umwelt weiß, dass sie erkranken werden? Die Sequenz, die ich Ihnen vorführe, liegt noch ziemlich am Anfang des Films. Da der Film von der Abteilung Naturwissenschaft des Bayerischen Rundfunks in Auftrag gegeben wurde, sollte er in erster Linie naturwissen- schaftliche Grundlagen vermitteln und ethische Probleme zwar aufgreifen, aber nicht ausführlich erörtern. Bei sehr vielen Krankheiten sind vererbte Anlagen im Spiel, die unausweichlich krank machen oder das Krankwerden schicksalhaft begünstigen. Wenn wir diese Veranlagungen nicht mehr einfach hinnehmen müssten – ein Traum. Ein Traum, den man zur Zeit rund um den Globus erfüllbar machen möchte. Man entziffert unsere genetischen Informationen. Die Informationen, die wir von unseren El- tern geerbt haben und als Eltern wieder an unsere Kinder weitervererben. Buchstabe für Buchstabe werden die Informationen entziffert, die jedem von uns zugrunde liegen. Auch die Informationen, die unausweichlich krankmachen oder das Krankwerden schicksalhaft begünstigen. ... Mit allem, was das Herstellen eines solchen Filmes betrifft, bin ich als freier Mitarbeiter an die Weisungen des verantwortlichen Redakteurs gebunden. Ich muss im Prinzip machen, was er will, und das Klima der Zusammenarbeit hängt Dipl.-Ing. Dieter Stengel Bonselsstrasse 6, 81925 München, Deutschland © Springer-Verlag 2000

Umgang mit Medizinethik in den Medien

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Ethik Med (2000) 12:177–183

Umgang mit Medizinethik in den MedienDieter Stengel

Ich bin freiberuflich als Fernsehautor und –regisseur tätig, vorwiegend im Be-reich ‘Wissenschaft’. Dort habe ich in letzter Zeit vor allem Features über bio-medizinische Themen geschrieben und verfilmt. Ich biete ARD-Anstalten unddem ZDF Themen an. Kommt es mit einem Sender zu einem Vertrag, erstelleich mit den Produktionsmitteln des Senders einen Film von 43 Minuten.

Zur Einstimmung möchte ich Ihnen eine kurze Sequenz aus meinem letztenFeature „Gene als Schicksal“ zeigen, das ich im Auftrag des Bayerischen Fern-sehens gemacht habe.

Kurz der Inhalt: Es werden immer mehr krank machend veränderte Geneentdeckt, auf die man dann vor und nach der Geburt Menschen testen kann. Eineerfolgreiche Behandlung der entsprechenden Krankheiten existiert häufig nochnicht. Das ethische Problem: Wie gehen wir mit einer Vielzahl solcher Tests inZukunft um? Was, wenn sehr viel mehr Leben im Mutterleib abgebrochen wird?Was, wenn viele Erwachsene wissen, dass sie in Zukunft schwer, sogar tödlicherkranken werden? Was passiert, wenn ihre Umwelt weiß, dass sie erkrankenwerden? Die Sequenz, die ich Ihnen vorführe, liegt noch ziemlich am Anfangdes Films. Da der Film von der Abteilung Naturwissenschaft des BayerischenRundfunks in Auftrag gegeben wurde, sollte er in erster Linie naturwissen-schaftliche Grundlagen vermitteln und ethische Probleme zwar aufgreifen, abernicht ausführlich erörtern.

Bei sehr vielen Krankheiten sind vererbte Anlagen im Spiel, die unausweichlichkrank machen oder das Krankwerden schicksalhaft begünstigen. Wenn wir dieseVeranlagungen nicht mehr einfach hinnehmen müssten – ein Traum. Ein Traum,den man zur Zeit rund um den Globus erfüllbar machen möchte. Man entziffertunsere genetischen Informationen. Die Informationen, die wir von unseren El-tern geerbt haben und als Eltern wieder an unsere Kinder weitervererben.Buchstabe für Buchstabe werden die Informationen entziffert, die jedem von unszugrunde liegen. Auch die Informationen, die unausweichlich krankmachenoder das Krankwerden schicksalhaft begünstigen. ...

Mit allem, was das Herstellen eines solchen Filmes betrifft, bin ich als freierMitarbeiter an die Weisungen des verantwortlichen Redakteurs gebunden. Ichmuss im Prinzip machen, was er will, und das Klima der Zusammenarbeit hängt

Dipl.-Ing. Dieter StengelBonselsstrasse 6, 81925 München, Deutschland

© Springer-Verlag 2000

davon ab, wieviel er unbedingt anders gemacht haben will. Wie kann ich in die-ser Abhängigkeit mit Medizinethik im Fernsehen umgehen? Zwei Aspekte:

1. Wie gehe ich selbst aktiv mit Medizinethik um, wenn ich filme?2. Wie berichte ich über den Umgang anderer mit Medizinethik?

Wie gehe ich mit Ethik in der Medizin um, wenn ich in der Medizin filme?

Ethische Überlegungen beim Filmen in der Medizin kommen für mich insbe-sondere dann ins Spiel, wenn ich Patienten filme. In der Regel schlägt mir derbehandelnde Arzt vor, dass er seine Patienten fragt, ob sie bereit sind, sich füreine wissenschaftliche Fernsehdokumentation filmen zu lassen. Ich sage demArzt, er könne den Patienten die Sicherheit geben, wenn es ihnen unangenehmwürde, wie ich sie filme, dann könnten sie mir das sagen, und ich würde sofortanders filmen bzw. das schon Gefilmte nicht in den Film übernehmen. Außer-dem würde ich grundsätzlich sicherstellen, dass andere Filmemacher die Bildermit ihnen später nicht aus dem Archiv holen und in anderen Film weiterverwen-den dürfen.

Ich bin mir der begrenzten Gültigkeit einer daraufhin gegebenen Einwilli-gung der Patienten bewusst. Die Patienten können ja fast nicht nicht einwilligen.Der Arzt, der sie um ihre Einwilligung bittet, ist schließlich der Arzt, der sie be-handelt, von dem sie existentiell abhängig sind. Eigentlich müssen sie ihm denGefallen tun und einwilligen.

Auch was meine Zusicherung betrifft: Die Patienten werden mir vielleichtwirklich sagen, wenn sie sich beim Drehen unwohl fühlen, aber sie können inder Regel nicht übersehen, ob beim Drehen als nicht unangenehm Empfundenesletztlich dann beim Anschauen des Films im Fernsehen – von ihnen oder vonVerwandten, Freunden – doch als unangenehm empfunden wird, oder das, wasandere Zuschauer beim Anschauen empfinden.

Wie also darf ich einen Patienten nach seiner uneingeschränkten Einwilli-gung trotzdem nur filmen? Mein Maßstab: Angenommen, ich wäre selbst Pa-tient und ein Filmteam wollte mich filmen, und ich spürte, dass mein Arztmöchte, dass ich mich filmen lasse, wie ließe ich mich allenfalls filmen? Ich,der ich um die Wirkung des „Wie“ weiß und meine Würde bewahren will. Wennich diesen Maßstab an Wissenschaftsfilme anderer Filmemacher anlege, ent-decke ich, dass er relativ eng ist. Zum Beispiel gab es vorige Woche einen Film,in dem die Filmemacherin eine Parkinson-Patientin interviewte, deren Kopfschon in einer stereotaktischen Apparatur bewegungslos eingespannt war. In ihrGehirn sollten versuchsweise embryonale Zellen abgetriebener Foeten injizierenwerden – ein schwerer, gewagter Eingriff. Ich hätte in dieser Situation als Pati-ent, so offensichtlich konfrontiert mit der Vergänglichkeit meines Lebens, ande-res zu tun, als die Fragen einer Filmemacherin zu beantworten. Ich hätte also alsAutor diese Patientin so nicht gefilmt. Andere Insider, die ich daraufhin ange-sprochen habe, pflichteten mir nicht bei. Ein Redakteur der Süddeutschen Zei-tung fand die Szenen allenfalls „etwas spektakulär gefilmt“.

Wie berichte ich über den Umgang anderer mit Medizinethik?

Während ich Entscheidungen im Rahmen des ersten Aspektes, also wie gehe ichselbst aktiv mit Medizinethik um, weitgehend autonom treffe, berücksichtige

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ich bei Entscheidungen die den zweiten Aspekt betreffen, „wie berichte ich überden Umgang anderer mit Medizinethik?“ eine ganze Reihe äußerer Bedingun-gen.

Das fängt beim Thema an, das ich dem Redakteur des Fernsehens vorschlage.Ein Thema sollte heute so viele der möglichen Zuschauer interessieren, dass inder Hauptsendezeit eine bestimmte Zahl von ihnen nahezu garantiert die Sen-dung einschaltet und 43 Minuten lang nicht umschaltet. Die Filme, die ich ma-che, werden überwiegend in der Zeit von 19.30 bis 20.15 Uhr gesendet. Für dieVerantwortlichen im Sender – und für mich als Freiberufler, der beim Senderwieder einen Film machen will – für uns alle kommt die Stunde der Wahrheit:der von der Sendung erreichte Marktanteil liegt auf dem Tisch, am Anfang derSendung gemessen, und dann weiter alle fünf Minuten bis zum Schluss der Sen-dung. Haben 19.30 Uhr zu wenige eingeschaltet, war offensichtlich das Themanicht für viele interessant genug bzw. der in den Zeitschriften ausgedruckte Titelder Sendung hat zuwenig versprochen. Haben 19.30 Uhr zwar genügend vieleeingeschaltet, aber danach viele umgeschaltet, kann der Redakteur darauf beste-hen: „Lieber Herr Stengel, das wäre bei einem besser gemachten Film über dasgleiche Thema nicht passiert.“

Das ist der Druck der Quote, dem Filmemacher in der Hauptsendezeit desFernsehens unterliegen. Hier liegt auch ein entscheidender Unterschied zwi-schen meiner Arbeit als Wissenschaftsfilmer und der Arbeit eines Wissen-schaftsredakteurs einer Zeitung: Im Moment, wo mein Film dem Zuschauer un-verständlich oder langweilig wird, schaltet er um. – Niemand würde eine Zei-tung abbestellen, wenn ein wissenschaftlicher Artikel der Zeitung unverständ-lich oder langweilig wäre.

Das heißt: Ich werde bevorzugt medizinische Themen und ethische Proble-me in der Medizin auswählen, die viele der Zuschauer des Senders zur Sende-zeit 19.30–20.15 Uhr nahezu garantiert interessieren. Ich werde weiter versu-chen, diese Themen und Probleme so zu verfilmen, wie es dem Bildungsstand,den Interessen und den Sehgewohnheiten dieser Zuschauer entspricht. Es darf43 Minuten lang möglichst nichts geben, bei dem zu viele der Zuschauer um-schalten. Das heißt, ich werde kein Thema aus einem medizinischen Randgebietwählen, und ich werde keine ethische Problematik aufwerfen, die nicht genü-gend viele der zur Sendezeit möglichen Zuschauer des Senders sofort aufhor-chen lässt.

Angenommen ich glaube, die ethische Problematik einer bestimmten Ent-wicklung in der Medizin sei im Zeitgeist schon genügend präsent, um genügendviele Zuschauer zu finden, die sich entschließen würden, 45 Minuten lang mehrdarüber wissen zu wollen, zum Beispiel über die Problematik, wie wir mit Gen-tests umgehen – das Thema meines letzten Films „Gene als Schicksal“. Dieerste Frage für mich heißt dann: Welchen Sendern könnte ich ein solches Themaanbieten? Die Antwort: Nur ganz wenigen. Manche Sender machen keine Wis-senschaftssendungen. Sie machen vielleicht Sendungen über ethische Probleme,aber Naturwissenschaft soll darin eigentlich nicht vorkommen. Manche wollenkeine fundierten Sendungen bzw. wollen sie so schnell und billig produzieren,dass ich mir nicht vorstellen kann, sie fundiert zu machen. Wieder andere Sen-der machen nur noch Wissenschaftsmagazine, in denen ich mir wiederum nichtzutraue, ein solches Thema auch nur in etwa „auf den Punkt“ zu bringen.

Den Film „Gene als Schicksal“ habe ich für den BR gemacht. Das heißt, ichmusste Thema und ethisches Problem so fassen, dass ich genügend viele BR-

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Zuschauer der Sendezeit 19.30 bis 20.15 Uhr vor den Fernseher hole und davorhalte. BR-Seher von anspruchsvolleren Sendungen um diese Sendezeit sindbundesweit – laut BR-Medienforschung – die typischen älteren Besucher vonVolkshochschulkursen, die in ihrer Jugend noch kaum Zugang zum Abitur hat-ten, die eine humanistische Bildung suchen und die Welt gern in Ordnung sehenmöchten – ein „Harmoniepublikum“, das der BR über Kabel in ganz Deutsch-land an sich binden konnte.

Was mache ich unter den Bedingungen eines höheren Marktanteils mit mei-nem gravierenden ethischen Problem bei einem „Harmoniepublikum“, das dieWelt in Ordnung sehen will, das zu parallel laufenden schönen problemlosenSerien wechseln kann und traditionell spätestens um 20.00 Uhr zur Tagesschau?Auf der anderen Seite kann ich darauf bauen, dass sich BR-Zuschauer humani-stisch bilden wollen und es in ganz Deutschland verheißungsvoll viele BR-Seher gibt. Und möchte ich nicht gerade einer Zuschauerschicht ethische Pro-bleme verständlich machen, die sonst keinen Zugang dazu hat?

Zur praktischen Umsetzung im Film „Gene als Schicksal“

Wie gesagt, sollte ich im Auftrag der naturwissenschaftlichen Redaktion imFilm „Gene als Schicksal“ vor allem naturwissenschaftliche Grundlagen vermit-teln und auf die ethischen Probleme nur hinweisen, sie nicht ausführlich erör-tern. Diese Bedingung steht nicht so konträr zu meinem Anliegen, wie man viel-leicht vermuten könnte. Sicher hätte ich auf die ethischen Probleme etwas mehrZeit verwendet, wenn es diese Bedingung nicht gegeben hätte. Aber ich selbstmöchte dem Zuschauer auch immer in erster Linie die Fakten vermitteln, dieeine Entwicklung erst verständlich machen. Meine Filme sollten beim Zuschau-er nicht zu verständnislosen schnellen Urteilen und Verurteilungen führen. Alsohabe ich in „Gene als Schicksal“ vermittelt, was Gene sind, wie unbekannt kom-plex unser Genom funktioniert, wie unterschiedlich Veranlagungen zu Krank-heiten auch tatsächlich zu Krankheiten führen können, wie wenig wahrschein-lich schnelle grundlegende Therapieerfolge sind und wie zwangsläufig ein Be-darf nach Gentests entsteht. Zum Schluss vermittle ich eine durch die vorherge-henden Fakten begründete, den Kern des zukünftig Möglichen treffende Vorstel-lung von der wahrscheinlich entstehenden Problematik.

Beim Titel des Films entschied sich die Redaktion im Einvernehmen mitmir für „Gene als Schicksal“, ein Titel also, sachlich mit leichtem Anklang vonProblematischem. Ich mag keine sensationell überzogenen Titel.

Bei der Machart des Films entschied ich mich bewusst, beim Drehen zeit-aufwendig nach möglichst schönen Bildern zu suchen, der Kameraarbeit also –trotz des heutigen Zeitdrucks – einen hohen Stellenwert zu geben. Außerdemwollte ich nur das Nötigste an wissenschaftlichen Grundkenntnissen vermittelnund das Nötigste auch noch einfachst formulieren. Fernsehzuschauer müssen ja– anders als Zeitungsleser – auf Anhieb verstehen, können Unverstandenes nichtnoch einmal lesen, um es dann vielleicht doch zu verstehen. Deshalb darf ich alsWissenschaftsfilmer – im Gegensatz zum Wissenschaftsredakteur einer Zeitung,etwa der FAZ oder SZ – auch nicht annähernd die Sprache der Wissenschaftlersprechen, mit denen ich die Filme mache. – Was wiederum die Wissenschaftlernicht auf Anhieb verstehen, mit denen ich zusammenarbeite.

Schließlich habe ich auch bei „Gene als Schicksal“ versucht, kein „Hör-Bild“ zu schaffen, die „Bild-Ton-Schere“ möglichst nicht weit auseinanderge-

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hen zu lassen. Das heißt, für das, was ich sagen will – und zur Erklärung sagenmuss – entweder reale Bilder, verständliche Trickbilder oder assoziativ verstär-kende Bilder zu finden, was in Molekularbiologie und Genetik viel Mühe machtund bei aller Mühe auch nur begrenzt gelingen kann.

Als Beispiel für das Gesagte nun den Schluss meines Films „Gene alsSchicksal“: Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Film eine ganze Reihe Fakten ver-mittelt, Fakten über den Zusammenhang zwischen Veranlagungen zu Krankhei-ten und dem tatsächlichen Ausbruch der entsprechenden Krankheiten.

Sprecher: Felicitas’ jüngere Schwester Victoria hat die Veranlagung zurMukoviszidose nicht geerbt. Nach der Erfahrung, Mukoviszidose vererben zukönnen, hatten die Eltern ihr zweites Kind vorsorglich vorgeburtlich testenlassen.

Mutter: Wir haben diese vorgeburtliche Untersuchung gemacht, und imnachhinein uns überlegt, wie wir uns entscheiden, und wir waren sehr froh, dasswir uns nicht entscheiden mussten und Victoria gesund ist.

Sprecher: Die Sorge: Werdende Eltern könnten ihre Kinder zunehmendtesten und deren Leben bei einem Befund immer öfter beenden lassen, weil sieKinder mit schlecht behandelbaren Krankheiten immer weniger akzeptieren.

Eine andere Sorge: Wie belastet ist der Einzelne, der nach einem Test er-fährt, dass er die Veranlagung zu einer schweren Krankheit hat, gegen die ernichts oder viel zu wenig tun kann. Und wie gehen wir alle als Gesellschaft mitsolchen zukünftig Schwerkranken um?

In Berlin betreut der Arzt Lutz Pfeiffer jüngere Leute, die sich testen lassen,ob sie die Anlage zur Huntington Krankheit geerbt haben, ob diese schwereKrankheit unweigerlich auf sie zukommt, die noch nicht geheilt, noch nicht ein-mal verzögert werden kann.

Arzt: Für die Personen, bei denen die Mutation nicht nachgewiesen wordenist, d.h. also diese Person wird nicht Chorea Huntington bekommen, für die ent-spannt sich die Situation diesbezüglich sehr wohl, sie haben eben dieses Pro-blem des Risikos zu erkranken nicht, während die anderen Personen, bei denendas nachgewiesen worden ist, die Situation sich sehr verschärft. Sie ziehen sichzurück, sie haben Angst davor, und das ist nicht zu Unrecht, dass eventuell derArbeitgeber davon etwas erfährt bzw. Versicherungsträger das erfahren, unddamit also deutliche Einschränkungen für die Person existieren würden.

1. Testperson: Ja, meine Mutti und meine Großmutter sind an ChoreaHuntington erkrankt, und als ich von der Diagnose erfahren habe, stand fürmich fest, dass ich ’ne Möglichkeit suche, eben herauszufinden, ob ich selbstGenträger bin oder nicht. Hab mich dann auch testen lassen, und hatte – Gottsei Dank – ein Ergebnis, dass ich nicht Genträger bin, das war ’ne riesengroßeErleichterung.

Ja, der Grund warum ich mich hab testen lassen war, dass ich ’nen großenKinderwunsch hatte, und meine Angst bestand darin, dass ich zu einer Zeit, womich mein Kind sehr braucht und ich für mein Kind sorgen möchte, dann er-kranke und dieser Aufgabe einfach nicht mehr gerecht werden kann.

2. Testperson: Meine Mutter ist schon seit zehn Jahren an der ChoreaHuntington erkrankt, und von einem Arzt hab ich erfahren, dass man sich testenlassen kann, um feststellen zu lassen, ob man eines Tages selber erkranken wirdoder nicht. Den Test hab ich dann durchgeführt mit dem Ergebnis, dass ich Gen-träger für die Chorea bin. Und das hat natürlich auch die Konsequenz, dass ich

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jetzt schon weiß, dass ich eines Tages daran erkranken werde, und seit guteinem Jahr hab ich auch schon Anfangssymptome davon.

Sprecher: Da Chorea Huntington erst im Erwachsenenalter eintritt, erlebenKinder die Krankheit mit. Sie wissen um die Tragweite eines Tests und machenihn oder machen ihn nicht, lassen ihre Kinder vorsorglich testen oder auch nicht.

Im Klinikum Großhadern in München läuft – wie gesagt – eine Studie, inder sich Frauen unter bestimmten Bedingungen auf eine Veranlagung zu Brust-krebs testen lassen können. Ein Team von Fachleuten betreut sie behutsam.

Genetikerin: Die Eingangsvoraussetzungen in die Studie sind das Vorhan-densein von mindestens zwei betroffenen Familienmitgliedern, wobei eine Fraubei der Diagnosestellung jünger als fünfzig Jahre gewesen sein sollte. Wenn dieseEingangskriterien erfüllt sind, kann man eine molekulargenetische Diagnostikanbieten, das heißt man versucht, die in der Familie krankheitsverursachendeVeränderung zu finden, z.B. bei den betroffenen ratsuchenden Familienmitglie-dern anbieten, nachzuschauen, ob sie diese Veränderung auch geerbt haben.

Ärztin: Wenn eine Ratsuchende zu uns kommt, die die Eingangskriterien er-füllt, dann können wir ihr sagen, was sie selbst oder was wir auch für sie tunkönnen. Sie selbst kann sich gesundheitsbewußt verhalten, und wir können ihrengmaschige Früherkennungsmaßnahmen raten, die dazu geeignet sind, eineneventuellen Krebs frühzeitig zu erkennen und damit auch besser zu behandeln.Wir müssen sie darauf hinweisen, dass es die Möglichkeit gibt, die gefährdetenOrgane operativ entfernen zu lassen, wobei wir in der Regel nicht hierzu raten.

Psychologin: Ich frag Frauen, wie sie mit Belastungen überhaupt umgehen,ob sie vorher psychische Störungen hatten, psychische Probleme hatten, um da-durch erfahren zu können, inwieweit verkraftet die Frau auch so ’ne Diagnostik,möglicherweise eben auch ’nen für sie ungünstigen Befund. Und bei Frauen, woich den Eindruck hab, die sind vorher schon hoch belastet, das können Bela-stungen sein durch die familiäre Tumorerkrankung, aber es können auch Bela-stungen, die unabhängig davon bestehen, sein, denen biete ich weitere Gesprä-che an.

1. Testperson: Der Grund, warum dass ich mich testen lasse, ist der, zumeinen, dass ich der Forschung ’ne Möglichkeit geben möchte, dass sie sich wei-terentwickeln kann, weil mir das später, falls ich erkranken sollte, zu gutekommt, und der andere Grund ist, dass ich doch in ein sehr intensives Vorsorge-programm komme, und dadurch auch ’ne Chance hab’, frühstmöglich meine Er-krankung zu erkennen und dann zu behandeln.

2. Testperson: Es ist im Grunde auch ’ne Auseinandersetzung, sag ich mal,mit der Tatsache: ich muss sterben irgendwann, keiner.., alle wissen’ s, aber kei-ner will’s ganz genau wissen. Aber ich würd’s am liebsten sofort wissen, weildann könnt ich’ s eigentlich im Grunde noch genauer planen und noch genauerangehen. Und viele Dinge, die ich vielleicht jetzt aufschiebe und sag: „ach, dasmach ich später mal“, die mach ich dann nicht mehr später, die mach ich jetzt.

Sprecher: Entlastet zu werden, nur noch normal gefährdet zu sein, das istnatürlich die Hoffnung.

Künftige Erwachsene und Eltern lernen im Dresdener Hygienemuseum mitgenetischen Informationen umzugehen. Sie entnehmen Mundschleimhautzellenmit ihrer Erbsubstanz.

In welchem Ausmaß werden sie später testen? Sie werden wahrscheinlichschon den Anteil der Gene, der Umwelt und des Verhaltens an ihrem und ihrerKinder Schicksal realistischer einschätzen können.

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Welcher Zeitgeist wird dann aber über das Ausmaß des Testens entscheidenund über das vorsorgliche Abbrechen von Leben?

Zu wünschen wäre, dass ihnen ein solidarisches Mitfühlen auch dann erhal-ten bleibt, wenn sie Kinder mit der Veranlagung zu einer schweren Krankheitbekommen, obwohl die Anlage dazu feststellbar gewesen wäre oder sogar fest-gestellt wurde.

Der Blick auf mögliche zukünftige Entwicklungen kann die notwendige Dis-kussion eröffnen und – so bleibt zu hoffen – bei den Zuschauern über dieBeschäftigung mit naturwissenschaftlichem Wissen hinaus die Reflexion derimpliziten ethischen Fragen anregen.

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