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Die Studentenzeitung der Humboldt - Universität 7. Jahrgang 19. April 1995 (B^S

UnAufgefordert Nr. S951

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Das ist Sonderausgabe Nummer 1 der Studentenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin aus dem Jahr 1995 vom 19. April 1995.

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Page 1: UnAufgefordert Nr. S951

Die Studentenzeitung der Humboldt - Universität 7. Jahrgang

19. April 1995

(B^S

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Die zweite Seite

EditorialDies ist dos erste Ergebnis eines neuen Projektes von UnAUFGEFORDERT.Wir wollen, so lautet die Idee, einmal pro Semester Studenten Raum geben, ihre

Forschungsergebnisse - seien es die einer Gruppe, eines Seminars oder einer einzel-nen Person - einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Denn zum eigenen Publizierenhaben Studenten an den Universitäten kaum Möglichkeiten, ihre Belegarbeiten ver-schwinden in den Regalen der Professoren, Untersuchungsergebnisse bei Projekten inder Naturwissenschaft werden oft nur zum Selbstzweck gesammelt, ein oder zwei Jahrespäter werden sie einfach weggeschmissen. •

Um dieses Forschen ins Schwarze - das Fundament eines jeden Elfenbeinturms - zuverhindern, wollen wir unsere Technik, unsere Erfahrungen und - gemeinsam mit demStudentenparlament - das notwendige Geld bereitstellen, um einmal im Semester derÖffentlichkeit kundzutun, was Studenten an der Humboldt-Universität an Forschungleisten. Es muß nicht immer ein Thema sein, vorstellbar ist auch ein Digest mit kurzenBerichten über Forschungsergebnisse und Berichten über laufende Projekten an derHumboldt-Universität. Wir sind in der Auswahl an Themen sehr offen und neugierigauf alles, was kommt.

Gedient wird mit diesem Heft beiden Seiten: der Öffentlichkeit, derein Einblick in dieVielfalt dessen gewährt wird, was Studenten schon während ihres Studiums an wissen-schaftlicher Arbeit leisten, und den Autoren selbst, die sich - vielleicht erstmals - einergrößeren Öffentlichkeit vorstellen und sich im Verfassen von Texten üben können -eine Tätigkeit, die in vielen Bereichen zum alltäglichen Brot eines Wissenschaftlersgehört.

Den Anfang macht ein Seminar des Instituts für Europäische Ethnologie mit demThema „Ethnologie der Bürokratie". Forschungsgegenstand war die Humboldt-Uni-versität, deren Bürokratie in den letzten Jahren viel Aufsehen erregte - vor allen Dingehmit dem, was sie'nicht zu leisten vermochte.

Grund genug für 16 Studenten, mitdem'berühmten „ethnologischen Blick" durch dieVerwaltungsräurne der Universität zu streifen, Verwaltungsmitarbeiter zu interviewenund einfach einen neuen Blick auf scheinbar Vertrautes zu wagen. Das Ergebnis, mitviel Ironie und Lust am Thema niedergeschrieben, bringt neue Erkenntnisse über einThema, auf welches wir alle so gerne und sehr schnell schimpfen...

Die zweite Ausgabe von UnAUFGEFORDERT - Extra erscheint im Wintersemester1995/96, das Thema ist noch offen. Interessenten - auch Professoren, die die Ergeb-nisse eines ihrer Seminare vorstellen möchten - melden sich einfach bei uns.

Eure Redaktion UnAUFGEFORDERT

Impressum

UnAUf GEFÖRDERT-Extra1

Die Studeritenieitürig der Hümboldt-Uhi.,Erstmals erschienen am 17. November 1989.

Redaktion: ein Seminar des Instituts für Europäische Ethnologie unter Lei-tung von Prof. Wolfgang Kaschuba •Verantwortlich für diese Ausgabe: Jens Schley (V.i.S d.P.)Kontakt: Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlirl,Hauptgebäude Raum 3022, Tel.: 2093 2288, Fax: 2093 2770Satz: Roody Schlußredaktion: Eva y. Schirach, Matthias KehlTitel: Schwarzburger Comic: Lisa Bachmann und Cordula KnießFotos: Archiv, die Autoren, FisahnDruck: Contrast, Tempelhofer Damm 210, 12099 Berlin, gedruckt auf Recyc-ling-PapierNachdruck, auch auszugsweise, ist ausdrücklich erwünscht. Wir bitten aberum Quellenangabe und Belegexemplar.

UnAUFGEFORDERT-Extra erscheint einmal im Semester.

InhaltsverzeichnisEine kleine Ethnologie derHumboldt-Bürokratie 3

Projekt: Rauminstallation....4

"Sie wünschen bitte..." 6

Logo - Logik - Labyrinth 9

Der bürokratische Raum. Zwei

Lesarten:Von Möbeln und Menschen.. 11

Es war einmal 12

Der Tod eines Professors oder:nichtzutreffendes streichen.. 14

Wie kommt das Geld zumGeist? 16

Comic 1 7

Außer sich. Frauen zu Furien -Männer zu Mäusen 24

"Alle waren ratlos, jeder hat je-den gefragt ..." ..26

Das Akademische Auslandsamt(AA) in der Wahrnehmung sei-ner Klientel 28

Gnade, Gunst und Dankbar-keit 30

„Die Studentenschaft verwaltetsich selbst" - aber anders! 31

Vom Opfer zum Täter - wennStudenten beginnen, sich selbstzu verwalten. 33

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Vorrede

Eine kleine Ethnologie derHumboldt-Bürokratie

Mag sein, daß es keine sehr glückliche Idee war, sich im Rahmen eines Seminars unter dem Titel „Deradministrative Blick" mit der eigenen Universitätsverwaltung zu beschäftigen - oder jedenfalls lautdarüber zu reden bzw. darüber zu schreiben. Denn spätestens seit Max Webers Gedanken zum Zusam-menhang von Bürokratie und Herrschaft wissen wir, daß Verwaltungen zwar gerne die anderen kon-trollieren, daß sie selber jedoch höchst ungern unter die Lupe genommen werden wollen. Was nun, wennauch unsere Verwaltung „ihren" Weber gelesen hat und also beschließt, ihn dadurch zu bestätigen, daßsie einem allzu neugierigen Institut einige zusätzliche Verwaltungskörner ins stotternde Getriebe schüt-tet?

M un - die Idee war dennoch da,und die Sorge wurde beiseitegeschoben, weil sich das Vor-

haben schließlich auch durchaus fach-lich-seriös begründen ließ. Etwa folgen-dermaßen: Einst galt die Ethnologie alsdie „Wissenschaft vom Fremden", vonfernen Kulturen und Völkern. Heute un-tersucht sie als Europäische Ethnologievor allem auch „das Eigene" bzw.hat bemerkt, daß uns gerade auchdas vermeintlich Nahe und Selbst-verständliche oft „fremd" genugist. Insofern ist Karl Valentins klas-sische Erkenntnis „fremd ist derFremde nur in der Fremde" min-destens um die Ecke zu denken.

Und um diese Ecke gedacht,erstreckt sich das Feld unsererAlltagswelt: die HUB. Dort sindwir nicht Besucher, die sich erstmühsam in eine unbekannte Welthineinfinden müssen, vielmehrsind wir selber Mitwirkende, Ak-teure, „Insider", denen die Regelnbekannt sind. Bekannt aber ebennur als „Alltagsmenschen", denendas Gewohnte selbstverständlichist. So bietet der Wechsel in die

sein, jene „nahe Fremde", die wir unseinmal etwas näher betrachten wollten.

Aus diesen Betrachtungen und Be-obachtungen sind nun die folgen-

den Bilder und Texte entstanden. Kei-ne umfassende Studie, die etwa reprä-sentativen Anspruch erheben wollte,sondern nur Schlaglichter, die diese Sze-

„Das Anschauungsmaterial zu der Arbeit istin Berlin zusammengetragen worden, weilBerlin zum Unterschied von allem anderen

deutschen Städten und Landschaften der Ortist, an dem sich die Lage der Angestellten-

schaft am extremsten darstellt. Nur von ihrenExtremen her kann die Wirklichkeit erschlos-

sen werden (...) Zitate, Gespräche undBeobachtungen an Ort und Stelle bilden denGrundstock der Arbeit. Sie wollen nicht alsExempel irgendeiner Theorie, sondern als

exemplarische Fälle der Wirklichkeit gelten."

Siegfried Kracauer (1929)

Rolle der Ethnologin und des Ethnolo-gen die Chance, auf dieses uns allzuVertraute einmal einen kritischen Blickzu werfen.

Zugleich gibt es in diesem vertrau-ten Umfeld HUB jedoch einen Be-

reich, der den meisten von uns trotz al-ler Nähe seltsam fremd, ja bedrohlicherscheint: jenes Reich der Formulare,Meldetermine, Studienakten, die Weltder Schreibtische und die Erfahrung desVerwaltetwerdens. Hier konnte sie also

nerie des Verwaltens und Verwaltet-werdens punktuell 2x1 erhellen versu-chen. Allerdings hoffentlich treffendeSchlaglichter, die charakteristische Erfah-rungen im studentischen Umgang mituniversitärer Bürokratie in ihren Licht-kegel rücken.

Dabei dürfen die folgenden Texte we-der als Versuch einer „Evaluation" nochals billige Verwaltungsschelte mißver-standen werden. Wenngleich zugegebenwerden muß, daß die Perspektive derStudierenden gegenüber der Uni-Verwal-

tung sicherlich ebenso „naturwüchsig"skeptisch und distanziert ist, wie die derAngestellen der HUB-Verwaltung gegen-über ihrem zuständigen Finanzamt: Esgibt da immer ein Gefühl grundsätzli-cher Unbehaglichkeit und Unsicherheit,bei einem versäumten Termin oder ei-nem fehlenden Formular ertappt zuwerden.

Andererseits haben die Teilnehmerdes Seminars bei ihren Forschungenin der HUB-Innenwelt auch dazu-gelernt, daß ihren neugierigen Fra-gen und Fotoapparaten keineswegsnur das erwartete behördliche Miß-trauen entgegengebracht wurde, son-dern daß es auch erstaunlich vielgelassene, amüsierte und hilfsberei-te Reaktionen gab. Erkenntnis-gewinn: Auch hinter den Ver-waltungsschreibtischen sitzen ebennicht nur „typische Bürokraten", son-dern sehr unterschiedliche „Men-schen".

I nsofern sollen unsere Impressio-nen aus dieser „Welt der Schreib-

tische" auch eher als Stichworte ver-standen werden für einen Dialog, in

den die HUB in dieser schwierigen Neu-orientierungsphase gewiß noch inten-siver eintreten muß und in dem immerwieder das Thema auf der Tagesordnungsteht: Wie gehen wir miteinander um?Die Antwort der auf ihre diesbezügli-chen Verwaltungserfahrungen hin be-fragten Studierenden lautet gegenwär-tig doch überwiegend: Hoffentlich nochverständnisvoller, noch weniger „fremd"als bisher!

Wolfgang Kaschuba

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Räume und BürokratieThemepark-Infomerciall

Projekt: Rauminstallation

Guidetrack

Perfect Setting:In diesem Raum wird nicht

geschubst

authorised personal only

Reduzierte Streßfaktoren

Irritainmenti

goto: Rückmeldung

Kollektivität ohne Fest,Einsamkeit ohne Isolierung

What do you want?Zoo-TV Video '93

Click on: Eingangshalle

Die Eilenden

In Gedanken ist man immer schon am Ziel. Die Orientierung an der Tätigkeit, anAbsichten erweist sich als so stark, daß die autoritäre Gestaltung kein Publikummehr findet. Es ist unwichtig, ob dieser Raum hundert Jahre, eine Woche oderzehn Minuten alt ist. Der Blickwinkel der Eilenden ist ahistorisch, die Halle wirdohne Bezug auf ihre vermeintliche Herkunft und Geschichte genutzt. Wie selbst-verständlich lebt man in der Matrix der Prozesse, einzig die Touristen gehen in dieFalle der Oberfläche und schenken der Ausstattung Aufmerksamkeit. Zugangs-berechtigt auf dieser Ebene der Funktionalität sind Studenten, Dozenten und, alsspezieller Fall, die Handwerker. Die erstaunliche Menge der Letzteren schafft sichihren Raum selbst: Sie öffnet das große Eingangsportal nach Belieben, hakt dessenFlügeltüren fest, schleppt etwas hindurch und verschwindet. Die Tür bleibt offen.

Die Warfenden

Auf der repräsentativen Freitreppe hocken Leute, mitunter eine ganze Weile, undwarten. Wer einmal Zugangsberechtigung zum speziellen Zustand des Transitraumserlangt hat, der genießt eben bestimmte Rechte oder Freiheiten. Ausnahmslos of-fene Körperhaltungen, einige blicken mit entspannter Aufmerksamkeit in den Raumund brauchen dazu nicht einmal das schützende Geländer im Rücken. Geistigewie räumliche Distanz vermitteln Sicherheit. Hier gibt es Möglichkeiten und Bequem-lichkeiten. Demnach sind auch die Wartezeiten, die angegeben werden, meist we-sentlich länger als der tatsächliche Verbleib. Wirklich auf dem Weg sind die, diehier warten können und Zeit gewinnen. Sie sind die Professionals der Raumzeit,denn diese Zeit in der Halle ist von hohem Wert. Alle Personen und Zuständepassieren hier. Auch der Wartende hat teil am Prozeß, an der Entwicklung derSuperStruktur der Universität. Ihm erscheint die Zeit gut genutzt.

Der Raum

Alles in der Halle wirkt provisorisch. Es wird der Eindruck erweckt, als wäre mitjedem neuen Zeitalter nicht nur eine neue Schicht der Verkleidung aufgetragen,sondern auch eine Umdeutung versucht worden. Besonders die Installation derFeuerbach-These am Treppenaufgang und der neben dem Eingang eingerichtete„Kiosk" sind einer Nichtdechiffrierbarkeit der Oberfläche dienlich. Auch sind Schil-der und Markierungen klientelspezifisch gehalten und beziehen sich nur auf Funk-tionen. Rein topographische Hinweise sucht man vergebens. Das aktuelle Gesichtder Halle ist ein gelungenes Palimpsest, wie ein immer wieder neu beschriebenesBlatt. In den Ecken, die ihrer imposanten Funktion, ungenutzter gebauter Raum zusein, überzeugend beraubt sind, sammeln sich die Sedimente dieser „permanentenUmgestaltung": Halbe Sitzecken, zerbrochene Stühle, ungebrauchte Stapel von Bro-schüren. So wird das Imperiale der Flügeltüren und Marmorsäulen, derenpseudonostalgisches Flair von überall herumstehenden formlosen Infowänden,Wegweisern und der unbeachteten Ausstellung zu einer völligen Anonymität konter-kariert steht. Dem gegenüber das Verhalten der Menschen, das Vorbeieilen, die

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Räume und Bürokratie

Der Passant ist dieVerlaufsform des

Individuums= > simul - flowl

Der Weg ist das ZielIrritainment2

simul - flow2

selbstverständliche Ignoranz gegenüber den anderen. Da von jedem Punkt ausalles einsehbar ist, kann der benötigte Informationsfluß nonverbal stattfinden. Dasstumme Betrachten weist hierbei eine ausreichende Datendichte auf, um einenmöglichen Kontakt zu vermeiden.Links neben dem Haupteingang, für den Hereinkommenden: eine Vitrine, deren

Inhalt so langweilig gehalten ist, daß sich niemand daran erinnern muß. Dahinterbefindet sich eine Loge. Steht man davor, wird sich zur Theke hinabgebeugt. Diesekann mit einer Milchglasscheibe von oben verschlossen werden. Hier werden be-ständig Schlüssel abgegeben oder ausgehändigt, Formulare ausgefüllt. Die Deu-tung der angewinkelten Hüften der Frauen bleibt dabei unklar.Wie im Konzept angelegt (siehe Anlage a), weist dieser Raum keine Eigenschaf-

ten auf. Sogar die Zuschreibung „Aufenthaltsbereich" wird hier erfolgreich umgan-gen. Der Bau tritt in den Hintergrund, die Oberfläche ist nur mehr Tarnung für dieMatrix einer absolut funktionalen Orientierung. Das mental mapping erfolgt nachden Tätigkeiten und Funktionen, nicht länger nach den Bildern und Orten. Eineobjektive Zeit ist nicht mehr vorhanden, was man hier sieht, ist Raumzeit, dieMöglichkeit einer Stasis. Es gibt keine Uhr. Nur der Prozeß hält die Illusion einerlinearen Zeit aufrecht. Die Halle selbst ist Zustand. Multiple Realitäten könnenungestört nebeneinander existieren. In seiner Allgemeingültigkeit ist der Raumgrenzenlos, die Verantwortlichen und ihre Vorschriften scheinen weit. Dies ist keinOrt, der die Diskurse, die dort stattfinden, die Sprachen, die ihn kennzeichnen,enthält.

Man ist hier auf dem Weg.Christian Kumpe/ Eva v. Schirach

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Räume und Bürokratie

„Sie wünschen bitte..."Die Humboldt-Universität touristenfreundlich ?

„Du Heinz, dort oben steht: "Die Philosophen haben die Welt nur verschie-den interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.'Das hab ichdoch schon mal irgendwo gehört?" Fragend sieht die etwa 55jährige Mar-tha aus R. nach dem Vorlesen der „Feuerbachthese" ihren Ehemann an.Doch der hat jetzt keine Zeit für sie; die Videokamera geschultert, filmt eralles ab, was sich seinem Auge bietet. Ort: Foyer des Hauptgebäudes derHumboldt-Uni. Im Trubel alleingelassen, entdecken die beiden Besucherden Raum: „Schön hier, und so würdevoll muß das mal gewesen sein", gibtHeinz zu bedenken, „nur fragen kann man hier keinen, wo -wir schon malhier sind, na dann komm..."

Gerade noch Fragen des nächsten Se-minars im Kopf, werde ich auf dieseSzene aufmerksam.Stimmt', denke ich,wo sich zu DDR-Zei-ten der Pförtner zurDienstausweiskon-trolle befand und inAmerika der Uni-Sou-venirshop mit T-Shirt-Verkauf seinen Platzhat, befindet sich hier... eine Leerstelle,oder?Na, geräumig ist es

ja, das Foyer meinerUniversität; rechtsvom Haupteingangdie Pförtnerloge wirktirgendwie dienstlich;was tut der Mann dabloß, kann man denwas fragen? Auf deranderen Seite dannein Zeitungsstand.Na, der hat sich dochbloß da eingemietetund O-Ahnung vonder Uni, aber einenBerlin-Führer hat ersicher im Verkauf?Und schließlich, ichstaune, kurz danebenprangt über einer al-ten, graugestrichenenniedrigen Holztür dasSchild „Informations-dienst". Na bitte, manmacht sich schonGedanken über dieBesucher der Straße„Unter den Linden",die den historischen

Ort „Universität" nicht nur von seineräußeren Schmuckfassade her bestaunen

wollen, „einkehren" und nach Auskunftverlangen.

Auskunft, worüber eigentlich ...? Ichkrame in alten Erinnerungsfetzen: um1760 erbaut, zuerst Palais des PrinzenHeinrich, ab 1809 preußische Universi-tät, dann nach 1890„Friedrich-WilhelmUniversität", 1946-Neubeginn und spä-ter Vorzeigeuni der DDR..., auf jeden Fallein Stück Geschichte Berlins.

Dann fällt mir ein Satz eines älterenProfessors ein: „ Und wissen Sie, der Fuß-boden, den Sie betreten, wenn Sie durchs

Foyer laufen, der sollzuvor die Reichskanz-lei geschmückt haben...". Eine blinde Hypo-these oder gesichertverbrieft? Die Sachepackt mich, vielleichtsteckt mehr dahinter.Außerdem, male ichmir aus, kann so dieÖffentlichkeitsarbeitder Uni vor eine Da-seinsprobe gestelltwerden. Ich schlüpfealso in die Rolle einesBerlin-Touristen, der,beeindruckt von derArchitektur des Ein-gangsbereiches, mehr,gerade über den Mar-mor, wissen will. Derinteressierte Besucher,verloren im Chaos derAbteilungen oder ver-hätschelt von sichlangweilenden Ange-stellten? Begleiten wirHerrn X auf seinemWeg durch die Instan-zen.

Dienstag, 8.11.,12.40 UhrHerr X betritt das Fo-

yer, Auf der Suchenach einer nützlichenInformation, sieht ersich einer Zettelflut ge-genüber. So stößt erschließlich zum Pfört-ner vor:

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Räume und Bürokratie 7

X: (beugt sich tief ins Gesichtsfeld desUniformierten) Guten Tag, ich interes-siere mich für diesen Raum hier (zeigtins Rund), besonders für den Marmor.

Pförtner: Für was? (X zeigt erneut)Ach, für das hier.X: Wo kann ich dazu 'was erfahren ...

Gibt es vielleicht so eine Art Chronikzum Gebäude?

Pförtner: Das weiß ich nicht, aber dadrüben der Informationsdienst, fragensie mal da!X: Ja, danke.

Gleicher Tag, 12.45 UhrX entdeckt die Pforte zum Informati-

onsdienst, die mit einem blauen Hin-weisschild bekrönt ist (bis 1991 war dasder Aufenthaltsraum für die Haus-meister), Wirkt ein bischen zu', denktX, klopft und klinkt; die Tür ist ver-schlossen. 'Mist, dabei müßte doch of-fen sein.' (die zentral sichtbare Tafelgemahnt: Informationsdienst, Fr. Graub-ner, Mo.-Do.: 9 -15 Uhr, Fr.: 9 -14 Uhr).Nach einem Blick auf die aufgeräumtwirkenden Tafeln, die die Lage der ein-zelnen Institute und Verwaltungen an-zeigen, wendet sich X fragend an denZeitschriftenhändler. Dieser hatte schondurch das Schielen über ein Bücherre-gal sein Interesse an X bekundet:

X: Entschuldigung, haben Sie gesehen,wie jemand rausging?

Zeitungsverkäufer: Nein (erzieht sichin seinen Stand zurück).

Gleicher Tag, 13.15 Uhr, zweiterVersuch 'Informationsdienst':

Für X und nach ihm eine Studentin istdie Tür wiederum verschlossen. 'Diewird wohl zu Mittag sein', überlegt X,'aber wo ist dann die Vertretung?' X istda anderes gewöhnt. „Zum Glück" dau-ert seine Stippvisite in Berlin doch et-was länger, daß er einige Tage zum „Re-cherchieren" zur Verfügung hat.

Freitag, 11.11.94,12.45 Uhr, dritterVersuch 'Informationsdienst':

Die „stille Pforte" läßt sich leicht öff-nen, X tritt in einen engen Raum, der(so glaubt X) aus zusammengewürfel-tem Mobiliar besteht. 'Nicht ungemüt-lich', urteilt X, 'doch warum darf ich michnicht setzen?' Frau Graubner thront hin-ter einem Schreibtisch, der an eine Bar-riere erinnert; sie spricht X mit kühler,„kompetenter" Stimme an:

G: Bitte, was wünschen Sie?

X: Mich interessiert das Foyer der Uni-versität, die Ausgestaltung ...

G: (unterbricht) Und was wollen Sieda konkret wissen?X: Na, der Umbau nach 1945 (X hatte

inzwischen einen Bekannten aus Ost-deutschland konsultiert), das Gebäudewar ja stark zerstört.

G: Ja, aber was wollen Sie darüberkonkret wissen?X: Es wurde doch damals der Marmor

neu eingebaut, ich habe gehört, erstammt aus der Reichskanzlei ...

G: Das hört man immer wieder; kannaber nicht bewiesen werden. Wir habenschon alles recherchiert ...

(X erfährt im folgenden noch einigeDetails, die G in einem Zug entspringen:Es handelt sich um Saalfelder Marmor,er wurde nach dem Krieg aus „ver-schiedenen Teilen Berlins zusammenge-tragen, was durchaus üblich war" u.a.)X: Wo könnte man denn noch mehr

dazu erfahren?G: Das wird keinen Zweck haben.X: Und in der Bauabteilung ...?G: Nein, ich kann Ihnen nur noch das

Buch "Vom Kronprinzenpalais zur Hum-boldt-Universität" (K.-D. Gandert, Hen-schel 1985) empfehlen. Das können Sieam Zeitungsstand für 34,- erwerben.

(3 Studenten treten ein, für X wifd esendgültig zu eng im Raum, er „flieht" mitkurzem Gruß. Immerhin, beraten wur-de er ja.)

Gleicher Tag, 12.55 Uhr,Zeitungsstand, Foyer:X kann das empfohlene Buch nicht in

der Auslage erkennen. Bevor er jedochden Verkäufer (V) anspricht, läßt er vierholländischen Touristen den Vortritt, diedann Berlin-Pläne kaufen. Auf die An-frage von X hin, legt V das Buch vor. Xblättert und blättert - 'Gar nicht schlecht',sinniert er, 'locker und übersichtlichgestaltet, dicht bebildert, was für Touri-sten.'

V: Das ist aber keine Bibliothek hier.(Diese Worte reißen X aus den Gedan-ken)X: (kann gerade noch kontern) Das ist

aber da nicht zu kriegen. (Später wirdXerfahren: Es ist doch vorhanden. Wo?Bibo. Kunstgeschichte, Sign. Dt 779/1)V: Dann machen Sie aber schnell!

Herr X beeilt sich, einige Details no-tiert er:

+++1946 erste Instandsetzungen +++neuer Charakter der Uni: antifaschi-

stisch-demokratisch, dann ab 1948: so-zialistisch +++ nun, nach Bombentrefferin der Aula, "großzügigere Gestaltungder Empfangstreppe" möglich +++ 2 Abb.S.105: Foyer ist 1952 fertiggestellt undfast doppelt so groß wie das vor 1945 +++"Das Material stammt aus dem BruchTanna der Saalburger Marmorwerke",dazu die Fußnote 88 +++ 88: Rekon-struktion durch die VFB Bauunion Ber-lin, U.A. HUB Bauverwaltung Bd.18,B1.132+++V achtet unterdessen peinlich genau

darauf, daß X "sein" Buch nicht be-schmutzt.

X: (nach Zurückgeben des Buches)Sagen Sie, haben Sie mal etwas über

den Marmor hier gehört? (X dachte sobeim Anblick des etwa 60 jährigen La-deninhabers: 'Das war doch seine Zeit,und ein Kioskverkäufer hört viel, wennder Tag lang ist.')V: Nein, aber Frau Graubner von der

Information, die ist doch Experte.X: Ja, die wußte auch nichts Genaue-

res. Auf Wiedersehen, Danke.

An diesem Tag hatte X nun keine Zeitmehr. Schließlich weilte er nicht nur tou-ristisch in Berlin. 'Wiederkommen aberwerde ich', beschloß X. Er legte fest: 'Dasnächste Mal ins Büro für Öffentlichkeits-arbeit' Orientierungsprobleme? Nein, dieTafeln im Foyer weisen den Weg ... ehr-lich.

Dienstag, 13.12.94, 12.30 Uhr:Endlich hat Herr X Zeit gefunden, sei-

ne Hobby-Recherche fortzusetzen. Aufdem Weg zum nächsten Anlaufpunkt be-gegnet ihm im 1. Geschoß des Uni-Hauptgebäudes eine "geschichtlicheFührung". Drei nach Geschäftsleutenaussehende Männer und zwei Japanerim mittleren Alter lauschen den Ausfüh-rungen von Frau Graubner: "...die H-Form des Gebäudes rührt nicht etwavom Namen Prinz Heinrich oder vomNamen Humboldt-Universität her, dennso hieß sie erst nach 1945..."Herr X für sich: 'Gut, daß so etwas an-

geboten wird, doch der Informations-dienst ist jetzt bestimmt geschlossen.'

Gleicher Tag, 12.35 Uhr, Büro fürÖffentlichkeitsarbeit:

Durch das mit verschiedenen Plakatenbehängte, "offen" wirkende Vorzimmertritt X durch eine angelehnte Bürotür ineinen familiären Raum:

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8 Räume und Bürokratie

XJ Guten Tag, ich habe eine spezielleFrage. Ich arbeite über den Verbleib desMarmors der Reichskanzlei (eine kleineFinte von X) und habe gehört (usw., dieFrage kennen Sie ja schon).Angestellte 1 (ca. 50Jahre, gerade mit

Akten beschäftigt): Da gehen Sie ambesten ins Archiv zu Herrn Schultze, derist nett und wird Ihnen helfen. Das Ar-chiv ist in der Kommode. Wissen Sie,wo das ist?X: Ja, gleich hier gegenüber.Angestellte 1: Ich schreib Ihnen noch

seine Telefonnummer auf.Angestellte 2: (ca. 25Jahre, am Com-

puter arbeitend, erinnert sich) Davon

stand doch gerade was in der Zeitung.X: Und in welcher?Angestellte 2: Das weiß ich auch nicht

mehr.

X verabschiedet sich, froh auf eine viel-versprechende Fährte geschickt wordenzu sein.

In der Kommode angekommen, fragtX den Pförtner: "Wie komme ich zumArchiv?" Nach einer Antwort in dem Stil"hinten links, geradezu" wird der Mannaufmerksam:Pf.s Der heißt Schultz und nicht

Schultze!Gleicher Tag, 13.00 Uhr, HUB-Ar-

chiv:(an der Tür steht : Herr Schultze)Auch außerhalb der Öffnungszeit wird

X eingelassen. X sagt "seinen Satz" mitdem Anhang, daß er aus einem Buchdie Information habe, der Band 18 derBauverwaltung (daraus speziell das Blatt132) könnte einen' wichtigen Hinweis

enthalten. Xhatte davor dasKürzel U.A.richtig als Uni-versitätsarchivgedeutet. HerrSchultze (Seh),wirklich sehrfreundlich, istverdutzt: "Sol-che Bezeich-nungen existie-ren bei unsnicht." Trotz-dem will er hel-fen, X be-kommt einenTermin, in nur2 Tagen.

Do.,15.12.94,14.30 Uhr,

HUB-Archiv(X ist pünkt-

lich erschie-nen):

Zwei Kartei-kästen stehenauf einem dervielen freienArbeitsplätze.'Zum Lesennicht ungemüt-lich', denkt X.

tSeh.: Genau

konnten wir esIhnen nicht

raussuchen, wir hatten gestern noch eineSitzung, aber hier in den 2 Kästen müß-te was dabei sein.X: Danke, ich schau mal durch.

Beim Suchen wird X bald von einerjüngeren Angestellten unterbrochen. Sieverlangt, daß der Benutzerantrag doch

unbedingt auszufüllen sei. "Das ist nureine Formalität", dringt der gängige Satzzu X. Er gehorcht und kann gleich miteinem Auftrag kontern:

X: Wenn Sie mir Akte 48 der Bauver-waltung beschaffen könnten...

Ang.: Ja, da muß ich hinten nachse-hen, ob die überhaupt im Haus lagert.Wenn nicht, müßten Sie noch mal wie-derkommen.X:Ja.

X hat Glück, nach 2 Minuten bekam ereinen 1 Ocm starken, etwas "auf-gelösten"Ordner ausgehändigt. Bald wurde erfündig; ein kurzer Briefwechsel zwi-schen der HUB-Leitung und der mit denMarmorarbeiten beauftragten Firma Lan-ge (Magdeburg) im Februar 1953 gibtdas Geheimnis preis:

HUB: Bitte stellen Sie unverzüglich dasVestibül fertig, wir brauchen es zur Er-öffnung des Karl-Marx-Jahres 1953'

Lange: Der Fertigstellungstermin28.2.53 kann unmöglich gehalten wer-den, denn "wegen des vorherrschendenWinterwetters kann nicht gebrochenwerden."

'Also alles nur Gerüchte, das mit derReichskanzlei', resümiert X, 'aber einschöner Weg war es doch.'

Ich lasse Herrn X nach seinen Tatenwieder sterben. Als seine letzten Worteübergibt er mir einige Mitschriften ausdem Archiv, die ich unbedingt nieder-schreiben soll.

Die allgemeine Verwaltung der Hum-boldt-Universität schlug im Zuge derNeugestaltung des Foyerbereiches am29.11.51 vor:„Die in der Halle unterzubringende

Auskunft soll, entsprechend der in einemgroßen Hotel vorhandenen, eingerichtetwerden ...Von besonderer Wichtigkeitwäre die Anbringung von gläsernen, er-leuchteten Wegweisern ...In den Stel-lenplan sind mindestens 2 Stellen für dieAuskunft eingesetzt. Die Angestellten sol-len besonders geschult werden, so daßeine dem Rahmen der Universität ent-sprechende Beratung von Besuchern ge-währleistet ist. Die bisherigen Pförtnerentsprechen diesen Forderungen nicht."Im Sinne der 'Feuerbachthese' ist dies

auch heute ein stiller Ruf nach Verände-rung.

Ralf Forster

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Räume und Bürokratie

Logo - Logik - LabyrinthÜber das Navigieren im öffentlichen Raum

er zu Beginn der achtzigerJahre durch die Innenstadtvon Zürich streifte, wurde Au-

genzeuge eines beeindruckenden Sze-narios: Unzählige Gebäude, private wieöffentliche, Kirchen, Denkmale undalle möglichen sich bietenden Flä-chen waren besprüht mit stilisier-ten, archaisch anmutenden Figu-ren, deren suggestiver Ausstrah-lung kaum jemand sich zu ent-ziehen vermochte.

Die Meinungen dar-über waren geteilt.Während die einenhier einen begna-deten Künstler am Werksahen, stigmatisierten ande-re den unbekannten Sprayer zumpathologischen Abweichler, der dasBild der Stadt beschmutzt habe. Das Be-drohlich-Faszinierende dieses Vorgangsgründete in der Anonymität seines Ur-hebers und dessen Vermessenheit, denvorgeschriebenen Text der Stadt mit ei-nem eigenen Text überschrieben, denöffentlichen Raum auf sehr eigenwilli-ge, ästhetisch artikulierte Weise in Be-sitz genommen zu haben. Die bürokra-tischen Instanzen reagierten verstört: DerGraffity-Künstler wurde polizeilich ermit-telt und bestraft, sein Werk schließlichals Ikone der Aufsässigkeit indiziert undbeseitigt.

Das vermeintliche Skandalon, wel-ches in der künstlerischen Aktion

des „Sprayers von Zürich" ausgemachtwurde, offenbart jedoch eine tiefereDimension: Der Text des öffentlichenRaums wird von den anonymen In-stanzen der Bürokratie vorgeschrie-ben; er darf entziffert und befolgt,aber nicht eigenmächtig geschriebenoder umgeschrieben werden; An-onymität als Agent der Öffent-lichkeit, sie ist das Privileg derMächtigen. Dieser Diskurs,dessen Spielregeln derZüricher Graffity-Künst-ler so genial in ihr Ge-genteil verkehrt hatte, sollhier gegenwärtig sein, wennwir das Terrain des öffentlichenRaums betreten und das Regelwerk sei-

ner Inbesitznahme erkunden.

Zwei Orte, unterschiedliche architek-tonische Physiognomien, viele Ge-

schichten, aber dieselbe Bestimmung:das Hauptgebäude der Humboldt-Uni-

versität in Berlin-Mitte und derzentrale Gebäudekomplex derFreien Universität in Dahlem, ge-nannt Rost- und Silberlaube,einschließlich Mensa und er-ziehungswissenschaftliche Bi-

bliothek. Die Annäherung anbeide Gebäude wird zunächst durch

ihre architektonischen Konturen be-stimmt: hier die klassizistische Strengedes ehemaligen Prinz-Heinrich-PalaisUnter den Linden, dort die nüchterne,aber auf Funktionalität reduzierte,durchaus weitläufige Architek-tur des FU-Gebäudes.Der Eindruck des Herr-

schaftlich-Erhabenen undSymmetrischen, den dieAnlage der Humboldt-Universität vermittelt,setzt sich im Innern fort.Die Flure und Treppen-häuser scheinen auf dasweiträumige Foyer zuzulau-fen, von ihm wegzustrebenoder hier gebündelt zu werden: Dieengen, gleichwohl sehr hohen Korrido-re bieten sich kaum als Aufenthaltsräu-me an, sie halten eher den Menschen-fluß in Bewegung und kanalisieren ihnin die Hörsäle, Mensen oder in das Fo-

yer. Als ich im Herbst 1993 zum er-sten Mal das Hauptgebäude derHumboldt-Universität betrat, nahmich die distanziert-disziplinierendeAtmosphäre des Raums durchauswahr. Aber viel stärker wirkte sichein anderer Eindruck aus: Es war

der wenig angenehme Geruch ei-nes Reinigungsmittels, der mir

aus den Zügen der Deut-schen Reichsbahn ver-

traut war und nochvon früheren DDR-Besuchen in der Na-

se lag. Jetzt allerdings,wo in nächster Nähe die

Geschichte mit Spitzhackeund Theaterkulissen neu modelliert

wurde, hatte dieser Geruch fast etwasSubversives an sich, schien er doch alsolfaktorisches Fossil dem Sog der Histo-rie widerstanden zu haben.Ähnlich körperbezogen vollzog sich

meine erste Begegnung mit der Rost-und Silberlaube: Ich geriet ins Schwit-zen. In dem sicheren Glauben, Orien-tierung sei eine Angelegenheit des Wil-lens, hatte ich nicht mit den architekto-nischen Finessen und den labyrinthi-schen Winkelzügen dieses Gebäudes ge-rechnet. Straße K, J, L, Querstraßen JK,Kl, vier- bis fünfstellige Ziffern, rote,blaue, grüne, gelbe Punkte vernetztensich zum obsessiven Bild einer konfu-sen Odyssee, nach der ich unter dem

Gesang von Sirenen zwischenScylla und Charybdis zerrie-

\

ben würde. Die Befragungt eines kommunikations-

scheuen Pförtnersnach dem von mir ge-suchten Raum ergabden wenig tröstli-chen Befund, daßseine Ortskenntnis in

Sichtweite der Pfört-nerloge ihr Ende fand

(„Gehn'se da vorne malnach links, da isses dann!"). Sol-

chermaßen gezwungen, die Logik desLabyrinths selber zu durchschauen unddie Widerspenstigkeit des Raums aufzu-brechen, stellt sich die Frage nach denStrategien der Navigation in und der In-besitznahme von Orten der Öffentlich-keit.

D as Betreten der Humboldt-Univer-sität war nicht immer so problem-

los möglich wie heute. Besonders alsBesucher aus dem „kapitalistischen Aus-land" bekam man zu Zeiten der DDRsehr schnell zu spüren, daß die Hoch-schule Ort einer exklusiven Öffentlich-keit war, hochempfindlich gegen alleEindringlinge aus Neugier. Die FreieUniversität dagegen, stets im Bewußt-sein ihrer liberalen Traditionen, setztganz andere Barrieren, um die Mobilitätihrer Benutzer zu zügeln: „Aus Sicher-heitsgründen sind das Mitführen, Benut-zen und Abstellen von Fahrrädern imGebäude strikt untersagt! Widerrechtlich

i^w ne:

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10 Räume und Bürokratie

abgestellte Fahrräder werden entfernt.Der Präsident." Diese unvergleichlicheSchöpfung bürokratischer Prosaistik ziertgleichsam als Begrüßungsformel imPosterformat sämtliche Eingangstürender Rost- und Silberlaube. Überhauptscheinen die Fahrradfahrer die zivilenGegner der Universitätsbürokratie dar-zustellen; ebenfalls im Eingangsbereichappellieren Hinweisschilder, die als Logoeinen Rollstuhlfahrer abbilden, an dieFahrradfahrer, die störungsfreie Benut-zung der Rollstuhlauffahrten zu gewähr-leisten mit dem belehrenden Zusatz:„Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer/in-nen sind darauf angewiesen, daß dasGeländer frei ist, da sonst der Zugangzum Gebäude für sie nicht möglich ist!"Derartige Hinweise oder symbolischeVor-Schriften, beleuchten, auchwenn sie um Höflichkeit bemühtsind, das grundsätzliche Dilemmader bürokratischen Sprache: ihreausschließlich funktionaleBestimmung und ihremangelnde Attraktivität.An der symbolischenSchwelleeines allge-mein zugänglichen,öffentlichen Ortes wir-ken sie als Geste derDisziplinierung, wenn nichtsogar der Zurückweisung. Dazuder (ethnologische) Blick auf einRitual in japanischen Kaufhäusern:In deren Eingangsbereich wird dieKlientel durch Verbeugung von Mitar-beiterinnen willkommengeheißen undmit dieser werbenden Geste zum Ein-tritt (und natürlich zum Konsum) auf-gefordert. Sieht man von der spezifischkulturellen Chiffre ab, die in diesem Ri-tual codiert sein mag, so fällt ein gravie-render Umstand auf: Die Kultur der Bü-rokratie entbehrt des Moments der Ver-führung und des Werbens um ihre Kli-entel; sie kann auf Ästhetik verzichten,weil sie in ihrer Funktionalität aufgeht,

ogos, Hinweisschilder, Lageplänekommunizieren mit den Benutzern

des öffentlichen Raums, erschließen einGebäude und regulieren die Be-wegungsströme in seinem Innern. Ihreeigentliche Funktion ist es, zu informie-ren, aber auch das Verhalten zu diszi-plinieren: „Betreten der Bibliothek nurnach Vorlage des Studentenausweisesgestattet. Mäntel und Taschen sind ander Garderobe abzugeben!" Andere Be-schriftungen und Logos beziehen sichauf Sicherheitsbestimmungen (Fluchtwe-

ge, Steigleitungen) oder sind nur vonEingeweihten zu entziffern, wenn es sichum technische Hinweise handelt. In demRegelwerk, welches die Lesbarkeit desRaums organisiert, wer-den Logos und anderevisuelle Informations-träger nicht selten zuSubstituten der Pfört-ner. Gelegentlich istschwer zu entscheiden,ob Pförtner Funktions-träger sind oder Instan-zen, die hoheitlicheAufgaben wahrzunehmen haben. Eige-ne Erfahrungen bestätigen, daß Pfört-ner aus Prinzip konsultiert werden wol-len und ihre Anwesenheit nicht als An-gebot verstehen: Gescheiterte Versuche,die Navigation durch das Labyrinth öf-fentlicher Gebäude selbst zu bewerkstel-ligen, werden bisweilen durch mehroder minder freundliche Belehrungen

geahndet. Dieses Verhalten einerspezifischen Berufsgruppe anzu-

lasten, wäre allerdings unge-recht. Es ist vielmehr sympto-

matisch für die Kul-'^^^^B"~ tur bürokratischen

Verhaltens, die gerade inder Sprache der Bürokratie zum

Ausdruck kommt - einer durchund durch unpersönlichen Spra-

che, welche auf funktionale Zweckeabhebt und nicht selten vom Gestus derMacht durchdrungen ist.

U niversitäten sind öffentliche Ortemit einem hohen Grad an Durch-

lässigkeit: Jedermann/frau darf siebetreten und auch Teile ihrer Einrich-tungen (beispielsweise Bibliotheken)benutzen. Die Strategien der Inbesitz-nahme ihres Raums spiegeln aberauch hier Verhaltenswei-sen wider, wie sie imUmgang mit öffentlichen

. Orten typisch sind.So läßt sichgerade zuSernesterbe-

, girm,beob-,achten, daß sichVertrautheit undUmgang mit den Räum-lichkeiten gleichsam physio-gnomisch abschildern:

Das zögerliche Betreten der Gebäu-de, suchende Blicke nach rechts undlinks, die Zuhilfenahme des Vorlesungs-verzeichnisses, eingehendes Studiumder Hinweisschilder oder schließlich dasBefragen anderer Personen verraten die

Ortsunkundigen. Der jetzt einsetzendeProzeß der Eroberung des Raums mün-det in einen Dialog mit Symbolen, Schrif-ten, Geboten, Verboten, Informationen

- kurz: mit dem Text der Bürokratieals einem kryp-tischen Diskurssubtiler Regeln,

deren Subjekt ineiner scheinbaren

Anonymität ver-harrt.Geht man die end-

losen und gleichför-migen Flure des Hauptgebäudes derHumboldt-Universität entlang, wird manbeobachten, wie die kahlen Wände zubeiden Seiten mit einem dichten Tep-pich von Zetteln, Plakaten, Transparen-ten oder Wandzeitungen ausgelegt sind.Und in einem Hörsaal der Rostlaube läßtsich ein Wandbild kollektiver Urheber-schaft betrachten, das verschiedene ge-sprühte Texte und Symbole, Plakatesowie bereits übermalte Sprüche zeigt.Die eigenmächtige Beschriftung desRaums setzt die Eroberung des öffentli-chen Ortes fort, er wird gleichsam pri-vat und anonym in Besitz genommen -der Text der Bürokratie wird überschrie-ben.

D ie vernünftige Ordnung des Öffent-lichen ist vorstellbar nur, wenn am

anderen Extrem, im individuellen Be-wußtsein, der Widerstand gegen die zu-gleich überdimensionierte und unvoll-ständige Organisation geweckt wird",schrieb Th. W. Adorno 1953 über „Indi-viduum und Organisation". Adorno plä-dierte dafür, die subjektlose Sprache der„verwalteten Welt", unter die auch dieSprache der Bürokratie fällt, nicht zu per-sonalisieren (also den Pförtner nicht mit„der" Bürokratie zu identifizieren), son-

dern distanziert zu analysieren unddie Spielregeln ih-res Diskurses zuüberlisten. Aus zweiGründen ist die Uni-

versität hierfür einbesonders pri-vilegierter Ort:Sie erlaubt es

zum einen, die In-besitznahme des öffentli-

chen Raums sehr weit zu treiben;sie erlaubt es aber auch, diesen Prozeßnoch weiter zu denken - ganz im Sinnedes (leider nicht mehr) anonymen Züri-cher Graffity-Künstlers.

Jörg Fischer

Page 11: UnAufgefordert Nr. S951

Möbel und Bürokratie 11

Der bürokratische Raum:Zwei Lesarten

Von Möbeln und MensehenAkten, Stempel, Formulare - sie gelten als unentbehrliche Requisiten einer jeden Bürokratie. Zueinem echten Verwaftungsmenschen gehört jedoch noch mehr. Neben seinem Fachwissen und

seiner rechtlichen Kompetenz benötigt er vor allem eines: ein Büro.

Im Hauptgebäude der Humboldt-Universität gehören Büros zumhäufigsten Raumtyp, obwohl die

meisten Leute Universitäten eher mitHörsälen, Seminarräumen und Bibliothe-ken in Verbindung bringen. Geschlos-sene Türen schützen die Verwaltungs-leute vor neugierigen Blicken, wahrendie Intimität ihrer Antragsteller, wirkenaber auch abweisend. Lediglich in den

Fluren der Studentenbürokratie stehendie Türen meist offen: ein Zeichen vonOffenheit und Transparenz?

Türschilder bezeichnen die Funkti-on eines jeden Raumes und gleich-

zeitig meist den Kreis derjenigen, die ihnbetreten dürfen: „ImmatrikulationsbüroA-He". Das Gefüge der Büroräume stelltdamit ein Abbild des arbeitsteiligen Prin-zips dar, nach dem die Verwaltung ihre

Aufgaben erledigt. Die Universität wirddadurch für jeden einzelnen, ob Studentoder Professorin, in erlaubte und ver-botene Zonen eingeteilt. Das zunächstvertraut erscheinende Hauptgebäudeder Humboldt-Universität ist ihren An-gehörigen so in vielen Teilen eigentlichganz fremd.

Studenten und Studentinnen betretendie Büros der Humboldt-Universität im

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12 Möbel und Bürokratie

allgemeinen, wenn sie sich immatriku-lieren, wenn sie Beratungsangebote sei-tens der Verwaltung, der Lehrenden oderder Studenten annehmen oder wenn siesich für Prüfungen anmelden.Büros, in denen sie verkehren,enthalten meist ein ähnliches En-semble von Möbelstücken:Schreibtische, Aktenschränkeoder Regale sowie runde oder ek-kige Beratungstische. Viele derRäume sind durch ihre Einrich-tung in einen öffentlichen Be-reich, zu dem die Besucher Zu-tritt haben, und in eine quasi pri-vate Zone eingeteilt. Nicht sel-ten trennt die beiden Bereicheein Schreibtisch, an welchem derBüroinhaber dann meist mit demGesicht zur Tür hin sitzt. In Ein-zelfällen markieren auch andere Einrich-tungsgegenstände die Grenze: So stehtim „Immatrikulationsbüro S-Z" eine un-gefähr zwei Meter breite Kommode querim Raum, die viele Studenten und Stu-dentinnen als „Barriere" empfinden.

T Tnterschiede zwischen den einzelL_Jnen Büros entstehen nicht nur

durch Einzelstücke wie die eben ge-nannte „Barriere" oder etwa ein abge-stoßenes Ikea-Schränkchen, das schonmehrere Umzüge mitgemacht hat, son-dern auch durch Unterschiede in derAusstattung mit Normmöbeln: Die mei-sten Büros, auch diejenigen der studen-tischen Bürokratie, sind mit eierschalen-farbenen Kunststoffmöbeln ausgestattet.In vielen Professoren- oder Ordinarien-räumen stehen dagegen schwarze oderkirschbaumfarbene, sehr viel teurereHolzmöbel, die nicht aus dem norma-len Beschaffungsetat der Universitäts-verwaltung, sondern aus Berufungs-geldern finanziert werden. Dieses Mo-biliar spiegelt die äußere Repräsenta-tionsfunktion der Professorenbüros wi-der. Gleichzeitig stellt es aber auch eineArt Statussymbol dar, Zeichen der ho-hen hierarchischen Stellung des Büro-inhabers innerhalb der Universität. DaßProfessorinnen und Professoren nichtnur lehren und verwalten, daß eine ih-rer vordringlichsten Aufgaben vielmehrdas Forschen darstellt, sieht man vielenihrer Büros kaum an: Allenfalls die Bü-cherwand symbolisiert diese Seite ihrerTätigkeit.

Ihre eigentliche Bedeutung erhaltendie stark genormten Verwaltungs-

möbel jedoch durch die Art und Weise,wie sich die Bürobesitzer darin bewe-gen. Schranken, die durch das Mobiliar

errichtet sind, können von ihnen selbernoch verstärkt werden, wenn sich etwadie Sachbearbeiterin mit dem Blick zurTür hinter ihrem Schreibtisch verschanzt

„§5. Die rein bureaukratische, also: die bureau-kratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung istnach allen Erfahrungen die an Präzision, Stetigkeit,Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Bere-

chenbarkeit für den Herrn wie für den Interessenten,Intensität wie Extensität der Leistung, formal univer-seller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein tech-nisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommen-bare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste

Form der Herrschaftsausübung."

Max Weber

und ihn regelrecht als Schutzwall zwi-schen sich und den Antragstellern auf-baut. Die Bürobesitzer können sie je-

doch auch abbauen, und das geschiehtan der Humboldt-Universität öfter, alsman gemeinhin annimmt. Etwa wennLehrende den Studierenden in der

Sprechstunde an der Tür ihresBüro entgegenkommen, anstattsie den langen Weg durch denRaum zu ihrem voluminösenSchreibtisch zurücklegen zu las-sen. Oder wenn die Angestellteim Immatrikulationsbüro S-Z,wo die breite barrierenförmigeKommode quer im Raum steht,die Studenten links von dieser„Barriere" und stehend emp-fängt. Damit setzt sie die abwei-sende Funktion des Schranks,vielleicht nicht bewußt, aberwirkungsvoll, außer Kraft: Mö-bel sind wichtig, aber die Men-

schen bestimmen die Atmosphäre.

Silke Schumann

E$ war e inmal . . .Vor einigen hundert Jahren gelangte

ein nicht allzu bedeutender Reisen-der in eine große Stadt, die ihn auf An-hieb faszinierte. Sie lag an der Mündungeines Flusses und war von wunderschö-nen Seen und Wäldern umgeben. DerStadtkern bestand aus einer Reihe hi-storischer Bauten, welche an breiten Lin-denalleen großzügig und repräsentativangelegt worden waren.

Ein Gebäude darunter ließ den Reisen-den seit seiner Ankunft nicht mehr los,Tag und Nacht beobachtete er es, umdessen geheimnisvollen Sinn herauszu-finden. Es war durch ein großes Säulen-portal und Skulpturen gekennzeichnet,doch noch viel interessanter erschienendie Ströme von Zwergen, die täglich einund aus gingen. Sie kamen zu unter-schiedlichsten Zeiten angehetzt oderauch dahergeschlendert und unterschie-den sich lediglich durch die Farben ih-rer Zipfelmützen.

E s vergingen Tage und Wochen, bisder Reisende nach mühevollen Be-

obachtungen und Gesprächen heraus-gefunden hatte, daß die rotbemützten

Zwerge jenes Gebäude aufsuchten, umunerläßliche Studien für ihren späterenBeruf zu betreiben. Die Blaubemütztenunter ihnen waren meist älter und da-mit beauftragt, den roten Mützen dashierfür notwendige Wissen zu vermit-teln. Doch dann gab es noch eine gro-ße Anzahl von Zwergen mit grünenMützen, die die unterschiedlichstenFunktionen hatten. Dem Reisenden hat-te man gesagt, sie seien wichtig in be-zug auf den bürokratischen Apparat unddie allgemeine Verwaltung, doch darun-ter konnte er sich rein gar nichts vor-stellen.

Eine Antwort erhielt er nur durch Zu-fall, als er beim Ausspannen am entfern-ten Märchenbrunnen auf eine Horderotbemützter Zwerge traf, die in ihremspäteren Leben so etwas Ähnliches wieKulturforscher werden wollten. Jeneschimpften fürchterlich auf die Zimmerder Zwerge mit den grünen Zipfelmüt-zen. Es ging hoch her: Sie würden allein denselben grauen und scheußlichenZimmern arbeiten, immer sei es dortdüster, unfreundlich, und man müsse

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Möbel und Bürokratie 13

fast Angst haben. Der Weg vom Schreib-tisch bis zur Tür sei gewöhnlich ewiglang und erbarmungslos, wenn mannicht schon vorher durch eine Barrieregänzlich abgeschreckt worden sei. DasGeschrei nahm fast kein Ende, und demHandlungsreisenden wurde klar, daß dieRotbemützten wohl in vielerlei Hinsicht,zumindest was einige Formalitäten an-betraf, um die grünbemützten Zwergeund deren Zimmer nicht herumkamen.Endlich hatte einer der jungen Zwerge

nen Mützen waren gar nicht begeistertvon dieser Idee, erst nach langem Hinund Her entstanden ein paar Zeichnun-gen. Derweil gingen andere junge Zwer-ge durch das Gebäude, um sich Zim-mer von Blaubemützten anzuschauen.Diese waren meist äußerst komfortabeleingerichtet - gewöhnlich ein Schreib-tisch am Fenster, der schräg in den Raumgestellt worden war, damit der oder dieBlaubemützte sofort sehen konnte, werreinkam. Zudem fanden sich ein klei-

eine gute Idee: „Wir kommen so nichtweiter. Laßt uns doch deren Räume malrichtig anschauen! Wir könnten sie auf-zeichnen und beobachten, wie dieGrünmützen sich in ihren Zimmern be-wegen - ob sie dort herrschen und thro-nen oder wie auch immer ..." Ein ande-rer rief hinzu: „... aber auch die Blau-mützen!" Und so geschah es.

G leich am nächsten Morgen zog ei-ner dieser Zwerge los, Malblock

und Federkasten unter dem Arm, um fri-schen Mutes an die Tat zu gehen. Dochsein Vorhaben, jene Räume auf dem Pa-pier festzuhalten, stellte sich als zu ge-wagt heraus. Die Zwerge mit den grü-

nerer Besprechungstisch und passendeStühle nebendran. All diese Räume wa-ren niemals mit weißen Möbeln ausge-stattet, was die Zwerge ein wenig wun-derte. Doch auch hierfür fand sich eineErklärung. Die Einrichtung konnte im-mer nur komplett aus ein und demsel-ben Katalog bestellt werden, jener ent-hielt wohl nur beige oder braun. DieZimmereinrichtungen der Grünbe-mützten waren allerdings weniger reprä-sentativ. Doch auch sie stellten ihreSchreibtische ebenso gerne ans Fensterund saßen mit dem Gesicht zur Tür.

Der Reisende nahm regen Anteil andiesen Beobachtungen, und ihm wur-

N

de ebenso wie den Zwergen klar, daßes auch gar nicht so viele Möglichkei-ten gab, diese Zimmer mit diesen Mö-beln schön einzurichten. Wahrscheinlichsahen sie sich deswegen alle so ähn-lich. Die jungen Zwerge durften schließ-lich auch nicht vergessen, was derZweck dieser Räume war: Dinge muß-ten besprochen werden, es mußte ge-stempelt, abgeheftet, unterschriebenwerden und noch vieles mehr.

So freuten sich die Zwerge, wenn sieerleben durften, daß einBlaubemützter beispielsweisedurch das Zimmer auf sie zukam, anstatt vom Schreibtischaus zu beobachten, bis sie dortangelangt waren. Oder auchdie nette grünbemützte Zwer-gin, die sich über eine zu ih-rem Arbeitsplatz gehörendeBarriere hinüberbeugte - dawurde jenes als zuvor so stö-rend empfundene Möbelstückgleich viel kleiner!

ach einigen Wochen wa-ren sich die Rotmützen

mehr oder weniger einig, daßes darauf ankam, wie sich ihrGegenüber in dem entspre-chenden Zimmer benahm undmit oder in seinem Zimmer ar-beitete und lebte. Und nachimmer genauerem Hinsehenkamen sie zu dem Schluß, daßbesonders die Grünmützen ei-gentlich viel lieber sind, als dieZwerge ursprünglich dachten.Zwar wurden so deren Ein-richtungen nicht schöner,doch die jungen Zwergekonnten jene besser einord-nen und verstehen.

Der Reisende mußte darüberein wenig schmunzeln undfragte sich ernsthaft, ob man

die Untersuchung und das Ergebnis derrotbemützten Zwerge als geglückt be-zeichnen konnte. Diese Frage konnte ererst einige Jahre später beantworten,nämlich als er sich selbst auch zu denroten Mützen zählen durfte. Und jedesMal, wenn er einen Raum (egal, ob„grün" oder „blau") betrat, achtete er bei-läufig auf die Einrichtung und den Um- .gang seines Gesprächspartners mit die-ser. Ganz umsonst waren seine Beob-achtungen sicherlich nie, und wenn ernoch nicht gestorben ist, so weilt er nochheute unter den Zwergen.

Silke Giersch

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14 Vorgänge und Bürokratie

Der Tod eines Professors oder:Nichtzutreffendes* streichen

Unter der Telefonnummer 030/ 2093- 2681 erreicht man/frau* Herrn Wullert,einen Mann, dessenganz „normales" Äußere im krassen Widerspruch zu seiner Arbeitsaufgabe im Präsidialamt steht.Die ihm aufgetragenen Bemühungen um die Neugestaltung der hauseigenen Papiere bilden den

Höhe- und Schlußpunkt der Verwaltungsreform an der HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN (HUB).

Die Nachwendezeit war auch für dieHUB die Zeit der großen Konfusion,gesellschaftlicher und institutionellerTransformationsprozesse, glanzvollerKarrieren und personeller Freisetzungen.Der Wissenschaftsbetrieb harrte seinerReorganisation nach westlichen Orien-tierungsmustern: noch vor dem wissen-schaftlichen Personal traf sie die Verwal-tung, die den neuen gesellschaftspoliti-schen Gegebenheiten Rechnung zu tra-gen hatte. Statt einer neuen Qualität derBürokratie ergab das zunächst vor al-lem Unmengen neuer Formulare. Jedergroße oder noch so kleine Entschei-dungsträger nutzte die Möglichkeit, eineigenes Formular zu entwerfen. Das Er-gebnis dieser Bemühungen ist so un-terschiedlich, daß sich nun ein Mitarbei-ter des Präsidialamts, eben jener HerrWullert, mit der Neugestaltung und derVereinheitlichung der Formulare befas-sen muß.

Die Verwaltung derVerwaltung

Die Materialverwaltung wurde von derNeugestaltungswut noch am wenigstenberührt, schließlich ist es den Ver-brauchsmitteln wie Papier, Stiften undSchreibmaschinenfarbbändernegal, mit welchem Formular ihrOrtswechsel vom Lager in dasInstitutsbüro gefordert wird. Hierfindet sich eine sehr frühe Formder bürokratischen Erfassung, diein ihren Ursprüngen bis in das 7.Jahrhundert zurückreicht, diepäpstliche Kanzlei sammelte da-mals die Formalien auch in Bü-chern. Heute wird die Material-bestellung in- ein DEST-A4-Bucheingetragen, das dann mit derHauspost an die Beschaffungs-stelle versandt wird und mit derLieferung zurückkommt. Nach der

• nichtzutreffendes streichen

Dauer dieser Prozedur befragt, antwor-tete die Sekretärin eines Lehrstuhls: „Dasgeht eigentlich schnell, so ungefähr vier-zehn Tage."

Für die Bestellung eines Schreibtischesist bereits ein Formblatt vorgesehen, dasin der beschriebenen Materialbestellungangefordert werden muß. Obwohl die-ses Formular von mehreren Personengegenzuzeichnen ist, kann die Bestel-lung im gleichen Zeitraum wie dieMaterialanforderung realisiert werden.

Ein zeitlicher Sonderfall ist die Heraus-gabe von abgeschriebenen Einrichtungs-gegenständen an bedürftige Studenten.Sie erfolgt unmittelbar und findet nureine formlose, per Stempel legalisierteNiederschrift, bedingt aber das persön-liche Gespräch zwischen Student undMaterialverwaltung. Mit Rücksicht aufdie Rechtslage findet sich der Zusatz„zwecks Entsorgung" auf dem Beleg, derdas ungehinderte Passieren einer Pfört-nerloge garantiert.

Werden nur die üblichen Unterschrif-ten benötigt, kehrt ein Papier wesent-lich schneller wieder an den Ausgangs-ort seines Bedarfes zurück. Erst bei Vor-lage an hierarchisch wesentlich höhergelegenen Orten (Personalabtabteilungoder Präsidentin) kommt es zu größe-rem zeitlichen Verzug. Nach Abzug der

hausinternen Postlaufzeiten lassen sichalso schneller auf dem Dienstwege Un-terschriften beibringen als ein StapelPapier besorgen. (Siehe Grafik)

Die Gestalten derGestaltung

Während sich das Formularkapital derallgemeinen Verwaltung auch auf dieneuen Gegebenheiten anwenden ließ,ist der Wissenschaftsverwaltung die Ver-änderung deutlicher anzumerken. Dazugehören der Nachweis der Rechtmäßig-keit von Entscheidungen und die da-durch unterstellte Formgebundenheit,zuzüglich der Aufbewahrungspflicht.Natürlich ist nun alles viel besser, prak-tischer, bequemer, schneller, offener undvor allem publikumsverkehrsnäher; dieBearbeitungstiefen wurden reduziert,Bewährtes wurde selbstverständlichbeibehalten und auf unnötige Repräsen-tation manchmal verzichtet.

In erster Linie fallen bei dem Vergleichder willkürlich ausgewählten Formula-re die Unterschiede der Gestaltung imSchriftkopf auf. Für 15 Nennungen derHUB im vollen Wortlaut (HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN) werden 10verschiedene Schriftarten und ebenso-

Menge

Zeit / Mengen - Vergleichrealisierter Materialbestel-

lungen und geleisteter Unter-schriften auf dem Dienstwege

*

//

Unterschriften

- "

/Mate/ial

7

Zeit

Page 15: UnAufgefordert Nr. S951

Vorgänge und Bürokratie 15

„Da geht das Mysterium der performativen Magie imMysterium des 'Ministeriums' auf, das heißt in der

Alchemie der Repräsentation (in all ihren Bedeutun-gen), über die der Repräsentant die Gruppe, durch

die er wird, was er ist, erst zu dem macht, was sie ist:Der Gruppensprecher, der die Vollmacht hat, imNamen der Gruppe zu sprechen und zu wirken,

zuallererst - über die Magie des Losungswortes - aufdie Gruppe selbst, ist der Stellvertreter der Gruppe,

die nur durch diese Stellvertretung existiert."Pierre Bordieu

viele Schriftgrößen bemüht. Lediglichzweimal werden die gleiche Schriftartund -große verwandt, wie es auch dasBüro der Präsidentin tut, was alsoffizielle Legitimation gelten muß,bis eine verbindliche Neugestal-tung vorliegt. Das HUB - Symbolwird nur dreimal verwandt, ein-mal darf es der Student auf demZwischenprüfungszeugnis imMagisterstudiengang entgegen-nehmen, die anderen beidenMale sind es Vordrucke zur Abhef-tung nach dem Ausfüllen. Prüfungs-meldungen, Anträge auf Erteilung einesLehrauftrages oder Genehmigung einerGastvorlesung, Anmeldungen von Lehr-veranstaltungen und Vordiplom-Zeug-nisse eines anderen Fachbereichs, alsoFormulare mit expliziter Außen Wirkung,müssen ohne die kreisgerahmten Ge-brüder Humboldt auskommen. Lediglichin einem Fall wird auf Karton als übli-ches Trägermaterial für Zeugnisse zu-rückgegriffen. In keinem einzigen Fallewird die Möglichkeit der mehrfarbigenGestaltung genutzt.

Das läßt Rückschlüsse auf die Möglich-keiten der zum Zuge gekommenenFormularschöpfer zu: Während dieVerfügungsmacht über Vordrucke (soman wenigstens ein unausgefülltes Ex-emplar erhaschen konnte) dank derzahlreichen Kopiergeräte keine Hürdemehr darstellt, läßt sich ein Statusunter-schied der Formularformulierer daranablesen, ob eine detailgetreue Wieder-gabe des offiziellen Briefkopfes inklusi-ve des HUB - Symbols realisierbar war.

Die Krone des Repräsentationsstrebensgebührt zweifelsohne einem Entwurf, indem sich eine strukturelle Personaluni-on aus Lehrstuhlinhaber und Prüfungs-ausschußvorsitzendem selbst über dieBestätigung der Betreuung einerMagisterarbeit benachrichtigt. Das For-mular trägt den offiziellen Briefkopf derHUB mit dem Humboldt - Symbol, ent-

* nichtzutreffendes streichen

hält die Adresse,Telefon- und Fax-nummer dieserPersonalunionund läßt auchnoch Raum für Ge-schäftszeichenund Bearbeiter/in-Kürzel. Da es sichum einen Eigen-entwurf des Insti-tutes handelt, cha-rakterisiert es dieäußerste Linie bü-

rokratischen Selbstverständnisses,weil das Formular

nur im Falleeiner

plötzlichenNichtaus-

kunfts-fähigkeit

desProfes-

sorsBedeu-

tungerlangen

kann, also dessenTod gewissermaßen

billigend in Kauf nimmt.

Eine Kopie von derKopie einer Kopie

Es ist für die beliebige und schnelleVerfügbarkeit von Formularen von Vor-teil, wenn Kopien angefertigt werdenkönnen. Doch nach dem einhun-dertsten Vervielfältigungsvorgang sindunumgängliche Fußnoten* und klein-gedruckte Belehrungen mindestensunleserlich oder bereits in Fortfall ge-raten, weil die Kopie von der Kopieder Kopie abgezogen wurde. Dabei istes für das Selbstvertrauen einer Verwal-tung eigentlich unerläßlich, daß sichAntragsteller durch das Nichtverfügenüber Originalformulare dann mit ein-farbigen Kopien selbst distanzieren.

Im übrigen weist jede Kostenrech-nung nach, daß bei der Menge der be-nötigten Formulare die Auszeichnungs-farbdruck- und anschließenden Ver-teilerkosten incl. Lagerung gegenüberdem Kopieren erheblich günstiger aus-fallen. Formularwirtschaft dieser Art lie-ße jedoch die Kapazitäten der Uni-versitätsdruckerei schnell an ihre Gren-ze gelangen, und die Eingriffsmöglich-keiten in die Gestaltung wären nur

noch mit langen Vorlaufzeiten auf demDienstwege realisierbar.Es klingt wenig vorstellbar, einen Pro-

fessor mittels Stempel oder gar hand-schriftlich sein Institut, den Lehrstuhlund den Namen in das Formular nach-tragen zu lassen. Wenn von den Studen-ten verlangt wird, daß sie sich den Form-vorgaben zu unterwerfen haben, damitsich das bewertende akademische Augenicht beleidigt fühlt, dann darf dieWissenschaftsverwaltung dem nichtnachstehen.

LVwA,OKZund NF*auch weiterhin

Der eingangs beschriebene hauptamt-liche Formularneugestalter wird sich mitdiesen Ansprüchen auseinanderzusetzenhaben und Kompromisse machen müs-sen. Man/frau* wird ihn hassen oder lie-ben, je nach eigener „Vorarbeit". AlsSchlußpunkt der Verwaltungsreformwerden die neuen Formulare Einzughalten und vielleicht erst mit Druck derAdministration durchgesetzt werdenmüssen. Die Zeit, in der sich Status,Macht und Selbstverständnis eines all-gemeinen oder Wissenschaftsbürokratenaus der Gestaltung eines Formulars ab-lesen lassen, ist damit abgelaufen. Fürdie Auswahl von Durchsetzungs-strategien der Antragsteller steht dannein Indiz weniger.zur Verfügung.

Steffen C. Meyer

Page 16: UnAufgefordert Nr. S951

16 Vorgänge und Bürokratie

Wie kommt das Geld zum Geist?Über studentische Strategie und Taktik auf dem BAföG-Amt

R ationale Herrschaft zeugt rationaleBürokratie als die ihr angemesse-

ne Organisation zur Verwaltung vonStaat und Gesellschaft. Wie schon derStammvater aller Bürokratie-Forschung,Max Weber, feststellte, ist die konse-quent durchrationalisierte Verwaltungs-bürokratie „nach allen Erfahrungen diean Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straff-heit und Verläßlichkeit, also: Berechen-barkeit ..., rein technisch zum Höchst-maß der Leistung vervollkommenbare...Form der Herrschaftsausübung". All die-se Merkmale machen den bürokrati-schen Apparat zu einer „lebenden Ma-schine" (Weber), und um der reibungs-losen Abwicklung der Amtsgeschäftewillen verlangt diese tendenziell eben-solches Verhalten von den Verwalteten.Aber nicht jeder gibt sich bürokratischim Umgang mit der Bürokratie, nichtjeder fügt sich sang- und klanglos einin deren unpersönliche Welt. Werdenauch nicht regelrechte Strategien entwik-kelt - im Sinne einer insgesamt geplan-ten Methodik der „Kriegsführung" -, solassen sich doch einzelne Taktiken aus-machen. Das Verhalten der Verwaltetengegenüber der Bürokratie zeigt sich inunterschiedlichen Ausführungen zwi-schen „bürokratisierter" Anpassung desIndividuums an die Verwaltungs-bedürfnisse einerseits und gegen-rationalem Verhalten andererseits mitdem Ziel, den Menschen hinter demSchreibtisch zu beeinflussen. So können

die Verwalteten im Entscheidungsfin-dungsprozeß der „Bürokraten" auf un-

Wahre Anekdote aus der Verwaltungswelt

Es war einmal ein armer Student, dem es beim dritten Anlauf gelang, dem BAföG-Amt (irgendwo in Deutschland) die falsche Berechnung des Einkommens seinerEltern nachzuweisen und endlich den Beamten dadurch zur besseren Einsicht zubringen. Verunsichert hielt dieser Rücksprache mit dem Ergebnis: Da das BAföGaus verwaltungstechnischen Gründen erst in zwei Monaten nachgezahlt werdenkann, möge der arme Student inzwischen einen Kredit bei „seiner" Hausbankaufnehmen. Zu diesem Behufe - schließlich gewährt keine Bank einen Kredit ohneSicherheit - erhielt der Student ein formloses Schreiben ausgehändigt, das ihmseinen BAföG-Anspruch bestätigte. Leider gibt es im Bundesausbildungsförderungs-geseta keinen Paragraphen, der es dem armen Studenten erspart hätte, die für dieunverschuldete Kreditaufnahme notwendigen Sollzinsen von 14,75% selbst zu zah-len.

konventionelle Weise mitbestimmenund gegebenenfalls mehr für sich errei-chen.

U m festzustellen, ob dieses auch fürBerliner Studierende gilt, schien

das BAföG-Amt für alle Berliner Hoch-und Fachschulen eine besonders geeig-nete Institution zu sein. Wie würden sichStudierende gegenüber dem Verwal-tungsapparat und dessen Vertretern ver-halten? Würden sie eher ein unterwürfi-ges oder aufsässiges Verhalten an denTag legen? Würden sie das Klischee desunbeholfenen Intellektuellen bedienenoder eher das der ständig kompetentenIntelligenzbestie?

Im BAföG-Amt ist die Verteilung desPublikums, ähnlich wie in anderen Ber-liner Ämtern, gut organisiert, um das

Fortsetztung auf Seite 21

Page 17: UnAufgefordert Nr. S951

AUF DER SUCHESag mal Lisa, was meinst'n Du, was wohT

passiert, wenn wir einfach in irgendein einHUB-Buro gehenund die Bürokratenladies nach

total persönlichen Dingen fragen? Zum BeispielV. warum sie ein Foto aufstellen oder wasihnen

die Bildchen an den Wänden b e d ^la, des weiß ich doch neC

Vielleicht sind die ja superfreundlich - war' aber auch

möglich, daß die des am End'vermessen finden.

W T können doch einfach in e,r?B e g e h e n und so tun als ob w i r

uns nach was erkundigen und

dann ganz nebenbei-lockerJ ' o c k i g - auf ihre Bildchen

kommen.

Man weiß halt nix genaues Vielleicht klapptnicht und die merken, daß w i r sie aus unlauetern

Motiven'befragen. Wie wol l 'n w i r dennüberhaupt zum persönlichen Sektor überleiten.

I c h dachte da adie gute alte

verbale TechnikL- einfach fragen'

Hey wow! Schau d i r d a s m a ran. Sollten w i r uns das.nicht

mal genauer ansehen?

Zweifelsohne sehr orginell!Aber viel leicht sollten w i r l ieber '

erstmal die Fotos angucken^Weisen, ich mein'die von den

Bür o s . ^ OK, mag ein[ergiebiger erster}

.Schr i t t sein

"lensch, guck dir das doch maln. Das ist ja eher ein Zoo als

r ^ m p Verwaltung:Vogel,Schwein,

2 Muscheln,> Schmetterlinge,1 Frosch,1 Käfer,1 Konigskobra,1 Ente,

Pinguine,Katzen.

as macht 23 Tiere, also 3, 0lere pro Bild, ist doch nichtbei. Außerdem Blumen,lumen, Blumen und noch 'nar Steine

Au klasse, verspricht in derTat Spannendes

Vielleicht sollten wi r dasaber erstmal dem Seminar

zeigen, oder?

Ich denke, da hat sich jemandr icht ig Gedanken gemacht über

die Gestaltung und Anordnung dieserDinge da Ja - dieses Arrangement

v fo lg t klaren ästhetischen Prinzipien^Es w i rk t wie ein Altar.

Ach was - das ist doch nur

zusammengesammeltes Zeug,was keiner auf seinem Schreibtiscj

haben wol l te - wahrscheinlichstammt es noch aus

DDR-Zeiten

Also - ich finde es einfachkitschig

Stimmt, gutesDenkmodell. Laß.uns des tun'

Diese Meinung finde ich sehrunethnologisch. Es ist schwer zuentscheiden ob es eine positive

Bedeutung enthalt und eine gewisseRepräsentationsfunktion trägt,

oder ob es bloß ungeliebteGeschenke sind, die dorthinverbannt wurden. Das kann

man so nur spekulieren.Mit C. Geertz würde ich sagen,

da muß man einfachdichter beschreiben.

Page 18: UnAufgefordert Nr. S951

Und wie ru/DscrT"dich als Pinguin?

Auch nich' schlechter als

als Blondine!

Ey Lula, hasch du überhauptdes Photo von dem Büro mi t der ,

**" ' Konigskobra dabei?

>\UJ//

VLNTORMintONt

Na k l a r , s c h l i e ß l i c h he iß_t u n s e r K o m i k j a *

Auf der Suche nach der Konigskobra^

TrV ronHallo, können

Sie uns weiterhelfen

VMfcsuchen dieses Büro

und vor allem die Kobrada auf dem Photo

issen Sie v ie l le icht , wo WIQI(die finden können?

"weiß nicht, was gibst denn'

Ahm, und wo isch dennT_renoviert _

~Z)a also, die Humbolt hat achzig Gebäude und da _Wird überall renoviert, da müssen Sie schon ein bißchen

:hen. Warum interessiert Sie das denn eigent lki ja, w i r untersuchen halt de..

Wandschmuck in den Büros und die T A

Königskobra fanden w i r irgenwie spannendWas halten Sie denn vonvon dem

Arrangement?

sTein das weiß ich leider nicht."

v ie l le ich t im Winkelmann Inst i tu tden Gang re'chts und dann geradeaus...

Ach, und da s l eh f s ja/auch so renoviert

aus Die weißen Schränke gibt's nämlrchnur in den renovierten Büros,

icht haben sie ja da Gluc

"imh. Sieht doch aus wie Geschenke,

Ah ja. Gar keine schlechte Idee AuHU I / | 'jden Fall mal Danke. Wir machen uns H l '

jetzt mal auf die Suche.

Hy, kannsch Du unsv ie l le icht sagen, wo w i r

dieses Büro mi t derKonigskoDra finden? Klingt ja interessant yflW \

ber ja , ist ja w i rk l i ch äußerst interessant.Diese Vase, die man da hinten auf dem Photo sieht

ist I 7. oder l 8. Jahrhundert aber da kenne

ich mich nicht aus. Wir sind hier bei denArchäologen - alles einbißchen früher,

sozusagen prähistorisch j e , he

Verzeihung Sie arbeitendoch hier, könne' Sie uns

netsagen, wo w i r des Büroauf dem Photo hier finden

kann hier nix finden!

"Ey Lisa guck mal hier ist die

Allgemeine Abteilung. Weiß Du

vofür die 2ustandig_i_sj

Guten Tag, VerzeihungSie sind von der Allgemeinen A b t e i l u n g ^

Noiwol l 'n

keine Ahnung,w i r net einfach mal

TCha, das ist ja wunderbar'fr haben uns nämlich gefragt, was die

Al lgemeine Abtei l lung uberhaubt macht".önnen Sie uns das b i t te sagerV?

j a , in der Tat, das bin i

äaklar, w i r sind ja schl ießl ich

Jaaa, mmnm Wer sind Sie

eigentl ich? ich meine,studieren Sie an der HumboldJ

Aber ja, m i t demgröschten ten Eifer.

«»̂ Wj_e schön. Na gut, dann setzen sie sich ma Also' die Allgemeine

c

LfAbteilung besteht au1

fünf Referaten: DemBeschaffungsreferat,dem Transportreferatdem Referat für Post

dem Referat fürGästezimmer und

der ObjektVerwaltung

Das Referat für Beschaffung besorgt alles von derbi d d i i i h

Aha, das ist ja interessant

Büroklammer, biträten. Die /|d dann wir|igebot genoHigste genomn]

bjektverwnstandha

Humboldt-Üni

Wollen Sie das je t z t nocTT

genauer wissen?_

,Ahmm. Na jaa. War's das nicht schor£

die Hauspost i)as GästeziWohnungen,

Gäste der Univ-aber zur Zeit eini

^zu den teuersten medizinischenvostenvoranschlägeIschieden welchesis wird nicht das

rdas Günstigste. Dieht sich um dietf Gebäude deristreferat organisiert

teTelefonverteilung.kümmert sich umitätsangehörige undit sind. Hier werden

Das Referat für Beschaffung besorgt alles vonder Büroklammer, bis zu den teuerstenmedizinf ^>Seräten. Dia^ ^sa machen

wird_ _ Ingebot

genomm/^wird. Es wird nictJ^ras^Billigstegenommen, sondern dasObjektveInstanc""Humbd|organisiTelefoikümiUnivelUnivel

^ltung kümmeisämtlicher

rität.ÄHauspost

Das Gum Wol

gehörigeimt sindl

tigste.um

Ach ja , warum w i r eigentl ich hier sind?Sie haben uns ja nun so nett Auskünfte e r t e i l t ^

können Sie uns dann vie l le icht auch nochhelfen in Sachen Königskobra?^

Ach die Königskobra - natür l ichwas wol len Sie denn da wisserj?,

treferainterne

feerreferatt die fürt te derllen aber

w i r sie finden

Die finden sie in Raum

Nun gut. Vielen Dankj

A

b-'UNDa müssen sie gähenin^die Zwischenetage. Da

wurde renoviert gerade.

Kann ich das Photo je tz t wiederhabe

Aha, sehr spaßic

11Na klar.

. Viel Spaß noch beieurer ominösen Suche!,

•••III'

ll Ihhlt

Danke, den harnw i r schon!

>;V'1.4! Hill

Genau Sie haben w i r gesucht!

Page 19: UnAufgefordert Nr. S951

a ja, einige haben gemeint, daß es sich da ut Altar handelt und haoen rumgeratselt, ob es von

r einzelnen Person gestaltet worden ist oder vonn. Und dann war steh niemand sicher, ob s sich da L

Rel iauien aus der DDR handeln konnte oder am Ende um neueGeschenke, und ein paar haben auch aealaubt. daß da so

s hat so'n Studienkollegevon uns gemacht und wir wolIten

riß des mal im Original angucken. Es gab dain unserem Seminar nämlich sehr viele

erschiedene Ansichten weiche^Bedeutung genau des Arrangement

wohl haben konnte

g nort hat ihnalso net selbs

a fiing'stellt wenn sie PS SO sehenon Warum fj~?gen sie

Torschen die BurokultuIn der Humboldt una das

5 einfach angetan

Ach sie haben noendoch mal her das interessi

t alle Räume. Das w<meiner vo

Das leuchtet mir ein - allerdings - erinnerstdu dich an die Frau,die so auf Pinguine stand7

Die hat jede VerniedMchung ihres Arbeitsplatzesund der zugegebenermaßen nicht sehr attraktiven

Stahl schranke abgelehnt. Sie hat ausdrücklich positivüber die DDR-Stahlschrank-Asthettk gesprochen,

weil sie wenigertverlogen sei."Arbeit ist Arbelt und Schnaps Ist Schnaps"

mär fl"&a

Hab' ich, Hab' Ich, zum Beispiel ist mir aufgefallen,daßdle Damen ja mit ihren ganzen Tierbildern positive

Zeichensetzen Es scheint Ihnen etwas daran zu liegen, einefreundliche Atmosphäre zu schaffen. Sie haben ja selber gesagt,

daß Tiere und Kinder ebenso etwas unschuldiges ausstrahlen.Also, ich resümiere. Diese possierlichen Tierchen haben

etwas mit Gefühlen zu tun und bilden damit einGegeggewicht zu aer versachlichten und

In diesem Punkt gingen die Meinungen'irkl ich auseinander.Eine andere Burokratiedame

fand die neuen Freiheiten nämlich gut.

Daran zeigt sich doch der ganze Konfliktum die Bürokuitur.wird suggeriert, die Angestellten

konnten frei gestalten,baut sich eine Luge auf, denn inden entscheidenaen Fragen können sie eben nicht freientscheiden. Stehen andererseits nur stahlschranke

rumjs t die Arbeitsatmosphare auch nicht

gerade toll - ein Dilemma.

Erinnerst du dich noch an die Burodame,die meinte, daß diese Studienabteilung in

ihrer Gestaltung ein sehr schlechtes Außenbi Idder Universität bietet. Das waren die Büros mitdem größten Pubiikumsverkehr, und sie meinte,

daß diese Büros Ihrer Representationsrolle.nichtgerecht werden, well sie eine graues BUd der

Universität vermitteln, Und kannst du dichim Unterschied dazu noch an das turkisleuchtende

Sekretariatder Präsidentin erinnern?

tatt rumzufhrten hattestdu ja auch mal dein

Gehirn anstrengen ktjnnen!

ace - die sind doch alle verheiratet

Ey, hier wird nicht gebaggert -schließlich forschen wir und seit

l iaiinowski wissen wir doch,wo sowas hinfuhrt.

der Studienabteilung und strahltin einem unglaublichen Glänze

ann man sich wirkl ich fragenin welchem Sinne in der Institution

Humboldtuniversitat repräsentiert wirdReprasntiert sie sich nach außen

oder repräsentiert sie sichsich selbst?

Page 20: UnAufgefordert Nr. S951

Vorgänge und Bürokratie 21

hohe Publikumsaufkommen regulierenzu können. Die Antragstellenden wer-den nach den Anfangsbuchstaben ihresNamens in Gruppen eingeteilt. Die er-sten drei Buchstaben sind für die Zu-ordnung zu einem bestimmten Zimmerentscheidend; dementsprechend ist dasAlphabet in vier Stockwerke zu je zweiSeitengängen und also acht Abteilungenaufgegliedert. So ist es der Studentin Xbeispielsweise nicht möglich, einer Emp-fehlung ihrer Freundin zu folgen undeine als besonders entgegenkommendbekannte Sachbearbeiterin aufzusuchen.Gleichermaßen können sich die „Büro-kraten" ihre Kunden nicht aussuchen.Parallel zum räumlichen ist auch der zeit-liche Zugang streng geregelt: Sprechzei-

ten sind nur dienstags und freitags von10 bis 13 Uhr vorgesehen.

An einem dieser Tage um die Mit-tagszeit kann man in einem der lan-

gen, schmucklosen, wenn auch gut be-leuchteten Gänge die vier StudierendenMirko Schw., Eva Schw., Hannes Schw.und Lea Schw. nebeneinander an derWand sitzend vorfinden - selbst wennsie sich zwangloser gruppieren wollten,wäre eine andere Anordnung wegen derfestmontierten Sitzgelegenheiten garnicht möglich. Hier hat man offenbarschon im Vorfeld für Disziplin sorgenwollen.

Eva mußte zum wiederholten Male indie Sprechstunde der zuständigen Sach-bearbeiterin kommen, um widersprüch-

Exkurs: Aus der Erfahrungskiste der studentischenBAföG-BeratungWenn sich der unbefangene Studierende die Informationsbroschüre der Bundes-

regierung „BAföG '93/ '94. Gesetze und Beispiele" naiv zu Gemüte führt (Zitat ausdem Vorwort des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft: „... wird dem ein-zelnen - unabhängig von der wirtschaftlichen Situation seiner Familie - die Ausbil-dung ermöglicht, die seiner Neigung, Eignung und Leistung entspricht"), so kann ersich in §41, Abs. 3, darüber informieren, daß „das Amt für Ausbildungsförderungdie Auszubildenden und ihre Eltern über die individuelle Förderung der Ausbildungnach bundes- und landesrechtlichen Vorschriften zu beraten (hat)". Daß dieseBeratungspflicht dem Beratungsbedarf nicht immer gerecht wird, andars gesagt:daß die Interessen der Verwaltung nicht in jedem Falle die Interessen der Verwalte-ten sind, gibt der studentischen BAföG-Beratung ihre Daseinsberechtigung. Jedochhebt das nicht einen gewissen Begründungszwang dieser Einrichtung gegenüberder Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung bzw. der Uni-Leitung auf.Zudem gibt es Animositäten zwischen der studentischen BAföG-Beratung und demstaatlichen BAföG-Amt. (Inoffizielle Meinung des Amtes: Hilfe für Mittelerschleicher;inoffizielle Meinung der studentischen Beratung: Wir sind das Alibi fürdie Beratungs-pflicht der BAföG-Amts-Leitung.)

Nach den Erfahrungen des Beraters, selbst ein älteres Semester und angehenderJurist, sind jene Studierenden, die zur Beratung kommen, nur die Spitze des Eis-bergs. Dominierend sind „ein Manko im juristischen Wissen der Studierenden undeine generelle Abneigung gegen die Verwaltung". Vernünftiger wäre aber eine Ein-stellung, welche die Verwaltung als ein Werkzeug zur Interessendurchsetzung gegenden Staat versteht.

Mut machen zum Dranbleiben, heißt die Beratungsdevise:

V Um den Ermessensspielraum der Verwaltung auszunutzen, ist die Betonung

des Einzelfalles förderlich;

V explizit dargestellte Gewissensentscheidungen können einen psychologischen

Druck auf die Sachbearbeiter ausüben;

V wegen deren begrenzten Überblicks sollte man sich gegebenenfalls an den

Gruppenleiter wenden, der jederzeit für Ratsuchende zur Verfügung stehen muß;

V zuweilen werden Verschweigungstips zur Verfügung gestellt.

Oft sei es der uneingestandene Wunsch von Studierenden, die Paragraphen alsSchutzschirm zu benutzen, um einer direkten, persönlichen Diskussion mit dem Be-amten aus dem Wege zu gehen. Extremes Anspruchsdenken und maximale Para-graphen-Ausschlachtung hat folgender Typus entwickelt: „Wessis im 15. Semestertreten auf, als wenn wir ein Dienstleistungsunternehmen für ihre ganz linken Dingerwären."

liehe Angaben zu entwirren, welche sichaus den mangelhaften Unterlagen desFinanzamtes über ihren Vater ergaben.In die erste Sitzung war sie ganz unbe-fangen hineingegangen: „Ich bereitemich gar nicht vor ... Ich weiß, wie ichAnträge auszufüllen habe." Sie siehtkeinen Grund, sich über Form und In-halt der Beratung zu beklagen. Sie siehtsich aber auch außerstande, die Unstim-migkeiten in den von ihr mitgebrachtenUnterlagen aufzuklären; lieber umgehtsie die aus der Sachlichkeit und Objek-tivität des Amtes erwachsenden Proble-me. „Mir ist das zu dumm, zweimal zufragen." Folgerichtig fügt sie hinzu: „Ichwürde nie eine Beratungsstelle aufsu-chen." Nie? „Na gut, wenn ich mal sol-che schweren Probleme wie ein Aus-länder hätte ..." (Solch ein Problemdruckkann also einem Inländer gar nicht pas-sieren?) Und schließlich würde der kon-krete Knackpunkt nicht bei ihr liegen,sondern beim Finanzamt ihrer Heimat-stadt. Auch die Sachbearbeiterin habealle ihre Möglichkeiten zweifellos aus-geschöpft, obwohl: „So ganz genau weißich nicht, was sie von mir will."Welche Seite muß nun bei diesem

Stand der Dinge Initiative zeigen? DieBehörde? Aber hat Eva nicht auch ge-meint, die Problemlösung liege im Auf-gabenbereich des Antragstellenden? Alsoder Antragsteller? Noch einmal gelingtes ihr, sich aus dem „Vorgang" heraus-zuhalten: „Ich sehe eher die Schuld beimeinem Vater." Eva, wie lange nochwillst du der unvermeidlichen Ausein-andersetzung zwischen Einzelnem undGesellschaft aus dem Wege gehen, in-dem du dem Verwaltungsapparat unei-gennütziges Agieren in einem macht-freien Raum unterstellst? Ab welchemUmfang staatlicher Geldverweigerungwird für dich der Schmerz spürbar?

So weit würde es Lea erst gar nichtkommen lassen. Sie strebt nach ei-

ner ständigen Erweiterung ihrer Geset-zes- und Bürokratieerfahrung. „Versuchedoch, so wie ich es tue, dich rechtlichschlau zu machen." Natürlich ist Lea dererfolgreiche Umgang mit den Behördennicht in die Wiege gelegt worden, dasie wie wir alle eher als ein Bündel vonIrrationalitäten denn als die Inkarnationvon „Präzision, Stetigkeit, Disziplin,Straffheit und Verläßlichkeit" (siehe wei-ter oben) auf die Welt gekommen ist.Anfangs war sie stark emotional enga-giert, der Frust ließ sie sachlicher wer-den. „Mittlerweile hat sich bei mir eineziemliche Gelassenheit breitgemacht ...erst beim dritten oder vierten mal ist eine

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22 Vorgänge und Bürokratie

kreative Wandlung in der Kommunika-tion zu sehen." In einer Folge schriftli-cher Widersprüche sah sie einst ihreChance, „allerdings suche ich jetzt denKonsensweg, auch wegen des Zeitauf-wandes mache ich Abstriche von denMaximalforderungen". Inzwischen be-müht sich Lea also, alle irrationalenEmpfindungselemente aus dem einer

• „Entmenschlichung" unterliegendenAmtsgeschäft herauszuhalten, um sobesser mit dem „menschlich unbeteilig-ten, daher streng sachlichen Fachmann"(Weber) bzw. der Fachfrau zurechtzu-kommen. Wie sich zeigt, ist Lea ein schö-nes Beispiel für jenen Typ Power-Frau,der sich nebenbei eine regelmäßigeStählung seines Selbstbewußtseinsdurch Erfolge bei den Behörden holt.Daß dieses Verhalten einer sittigendenBändigung unterliegt, zeigt folgender,von Lea verinnerlichter kategorischerImperativ: „Ich kann nie jemandem ge-genüber mit der Taktik auftreten, die ichselber ablehnen würde, wenn man siemir gegenüber anwendet."Weil sie sich nicht einbildet, alle nöti-

gen und unnötigen Erfahrungen alleinmachen zu müssen und allein zu verar-beiten, berät sie sich ständig mit ande-ren Studierenden. Jedoch helfen diese

informellen Gespräche nicht immerweiter. Als Lea einen Fachrichtungs-wechsel beschlossen hatte, wofür sieeiner angemessenen Begründung be-durfte, um weiterhin Fördergelder zu er-halten, suchte sie die studentischeBAföG-Beratung auf. „Die haben den ju-ristischen Background."

E benso wie Lea bemüht sich auchHannes darum, auf die Sachbear-

beiter einzuwirken. Evas Ergebenheit indie Bürokratie hält er nicht für nachah-menswert. Sie wird nun wohl täglichzum Amt eilen, um mit immer neuen Un-terlagen dazu beizutragen, ihren Fall zulösen. Da erfahrungsgemäß aber jederStudierende im Laufe seiner Förderungs-zeit mindestens zweimal zu den kom-plizierten Fällen gehören wird - Gesprä-che auf dem Korridor des Amtes Bestä-tigen Hannes" dieses -, will er, wenn esihn das nächste mal erwischt, seineWeiterförderung ohne große Verzöge-rung durchsetzen. Vor zwei Semestern,als er die Bescheinigung über den er-folgreichen Abschluß des Grundstudi-ums ordnungsgemäß seiner Sachbear-beiterin vorlegte, geschah das Unerwar-tete: die Ablehnung, weil die Namen derProfs auf der Bescheinigung nicht mitder BAföG-Amtsliste der unterschrifts-

berechtigten Personen übereinstimmten.Er bemühte sich selbst um eine Klärung,schließlich ging es ja um sein „Bares";eine Auszahlungsverzögerung um min-destens einen Monat war jedenfalls nichtmehr zu vermeiden. Zunächst davonausgehend, daß das Amt sich nicht ir-ren kann, erklärte Hannes dem Sekreta-riat seines Fachbereiches, daß dort wohlnicht klar wäre, wer offiziell dazu be-rechtigt sei, Studierenden den Abschlußihres Grundstudiums zu bescheinigen.Nach mehreren Laufereien und länge-ren Diskussionen mit dem Sekretariatstellte sich heraus, daß das BAföG-Amtsich in seinem Urteil fälschlicherweiseauf eine veraltete Liste der Unterschrifts-berechtigten stützte.

Mit Ausdauer und kriminalistischemGespür kommt der Berechtigte zwarauch zu der ihm zustehenden Förde-rung, aber in Zukunft will Hannes sol-che Anstrengungen vermeiden. Als Hilfs-mittel will er weniger Paragraphen alsList und Charme einsetzen. Er würdenun auch moralische und legale Gren-zen ein, zwei Schritt weit überschreiten;Tricksen ist für ihn bis zu einer gewis-sen Grenze möglich: „Ich habe da ei-nen individuellen Rahmen."Hannes Verhalten wird jetzt noch stär-

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Vorgänge und Bürokratie 23

ker von seinen Vorurteilen gegenüberden „verstaubten Bürokraten" geprägt.Diesen paßt er sich lieber an, sobald erin ihre Nähe kommt: „Ich darf meineJeans von Calvin Klein nicht anziehen,weil der 'unflexible Paragraphenhengst'zur Meinung kommen könnte, daß ichkein BAföG mehr brauchte." Gegebe-nenfalls bemächtigt sich Hannes derRolle des Schutz- und Hilfsbedürftigen- und dieser wirkt nun mal besser in ein-facher Kleidung -, um bei den Sachbe-arbeiterinnen und -bearbeitern Mutter-oder Gönnerinstinkte zu wecken. Beischwierigen Nachfragen der Gegensei-te schaut er erst mal „betröppelt", bevorer sich um eine Lösungsfindung bemüht.Auf diese Weise hofft er, zu seinem Vor-teil Sand ins Getriebe der bürokratischenEntmenschlichung zu streuen, dennselbst ein noch so trockener Bürokratkann sich nicht auf Dauer hermetischvor Emotionen verschließen (Ausnah-men bestätigen die Regel).

D ie Anpassung von Hannes gehtMirko viel zu weit; ebensowenig

hat er Verständnis für die Ruhe, Geduldund Duldsamkeit, die seiner Ansichtnach Eva und Lea an den Tag legen. SeinRechtsverständnis orientiert sich zu glei-chen Teilen an Informationsschriften wie

an seinem Gerechtigkeitssinn. Als Aus-länder machte er schlechte Erfahrungenmit der Auslandsabteilung der HUB: „Diehaben meine Aufenthaltserlaubnis an-gezweifelt, obwohl ich schon mehrereSemester im Westen studiert hatte." An-statt sich auf die Logik der Behörde ein-zulassen und alle benötigten Dokumen-te ohne Murren nachzureichen, pochtMirko auf die Logik der Vernunft, weildoch alles deutlich auf die Existenz ei-ner Aufenthaltsgenehmigung hinweise.

Seine Meinung über die Verwaltungfällt erwartungsgemäß wenig positiv aus:„Eine häßliche Bürokratie ist das ... diehaben keine Ahnung von nichts ... kei-ner weiß, wo's langgeht, die Verantwor-tung wird ständig herumgeschoben."Zum Teil erklärt er die Situation, die ermit seinen Erfahrungen an westdeut-schen Unis vergleichen kann, durch dieUmstrukturierung, welche sich nach derImplosion der DDR in alle Bereiche derOst-Verwaltung vorankämpfe. „Im We-sten sind sie viel flexibler."

Mirko bemüht sich darum, im erstenAnlauf die Distanz zum Sachbearbeiterzu überwinden, um normal über eventu-elle Probleme sprechen zu können. Diesgelinge allerdings selten. Auch an Bera-tung mangele es, obwohl der Sachbear-

beiter aus der Aktenlage weitere Mög-lichkeiten erschließen könnte.Weil für ihn der Weg zur Kooperation

mit der Verwaltung meist verschlossenwar, sucht Mirko neue Wege zur Durch-setzung seiner Interessen. Ihm liegt esmehr, auf die Abwehrmechanismen desMenschen im Bürokraten einzuwirkenstatt auf die Mutterinstinkte: Bringe denBeamten dazu, einzusehen, daß der Wegdes geringsten Widerstandes in derVerwirklichung deiner Interessen be-steht. „Ich bin stressig geworden - dannläuft es, wenn man sie unter Drucksetzt." Seine persönliche Taktik hat Mir-ko schon erfolgreich praktiziert: „Ich ge-he nicht eher raus, bis sich etwas tut.Dadurch werden sie nervös, vor allem,wenn draußen zwanzig Leute warten."

N ot macht erfinderisch, besser ge-sagt: Verwaltet-Werden macht

erfinderisch. Der schlaglichtartige Ein-blick in das Spektrum studentischerVerhaltensweisen, An- und Einsichtenvor und hinter der Bürotür läßt uns ah-nen, wie folgendes Zitat von einem, deres als Büro-Angestellter wissen mußte,gemeint ist: „... das Büro ist doch nichtirgendeine beliebige dumme Einrichtung...es ist mehr phantastisch als dumm..."(Franz Kafka)

Tanja Küppers/Matthias Kehl

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24 Menschen und Bürokratie

Außer sichFrauen zu Furien - Männer zu Mäusen

Frauen zu Furien

"Bürokratie ist was für Angepaßte oderDoofe. Oder für angepaßte Doofe. Injedem Fall hat das Sich-In-Der-Bürokra-tie-Bewegen für manche Menschenlebenssinngebenden Charakter. Wennsie's nicht müssen, versteht sich! Wol-len will sowieso keiner. Wer's muß, hatohnehin von vornherein verloren, weiler oder sie oder sie oder er unter Ga-rantie an eines jener archetypischenMonstren gerät, die in der Überzeugung

Wahrnehmungen auszweiter Hand versorgt.Aus zweiter Hand. ÜberFrauen und Männer.Dies sei ausdrücklichbetont. Es handelt sichbei der Beschreibungfolgerichtig nicht ummeine Meinung. Echtehrlich.

Frauen, so bemerktendie Sachbearbeiterin-nen übereinstimmend,

„Akten und kontinuierlicher Betrieb durch Beamtezusammen ergeben das Bureau als den Kernpunkt

jedes modernen Verbandshandelns."Max Weber

leben, nur sie allein hätten die Fäden inder Hand, den Daumen am Hebel, denganz großen Durchblick, alle Weisheitdieser, ihrer bürokratisierten Welt mitLöffeln gefressen und könnten, kraftdieses Anspruchs, darüber entscheiden,wer oder wer nicht bereichert bzw. er-folgreich den Verwaltungstempel ver-hält. Auf schockierende Weise mutierenvöllig normal anmutende Sachbearbei-terinnen wie in Extase zu nicht mehraufzuhaltenden Schlachtenlenkern undsind für jederman und -frau gänzlich un-erwartet in der Lage, jener bedrohlichenFlut von hinterhältigen, verlogenen unddreisten Antragstellern nicht nur ihreunvollständigen Formulare um die Oh-ren - nein - sondern sie sogar mit derenmühsam gesammeltem Durchhaltever-mögen in die Flucht zu schlagen. Undbis in die nächste Wüste mit geladenerHeftklammer zu verfolgen. So sieht'sdoch aus! Machen wir uns doch nichtsvor! Man hat echt zu leiden. Als Frau."

So oder ähnlich stelle ich mir die aus-formulierten Ansichten einer Frau vor,die soeben einen unvollständigen undterminlich total vertrödelten Antrag beieiner x-beliebigen Behörde gestellt hat.Jedenfalls seit ich mit diversen Sachbe-arbeiterinnen zum Thema „Durch-setzungsstrategien in der Bürokratie imGeschlechtervergleich" gesprochen ha-be. Seitdem bin ich mit Eindrücken und

wären im Auftreten häufig unbeherrscht,ganz allgemein unfreundlich und aggres-siv. In Ausnahmefällen könne man fastschon von zickig sprechen. Insgesamtwürden sich Frauen als uneinsichtig er-weisen. Auf die Frage, wie das dennkäme, wußte keine so recht eine Ant-wort. Die Vermutung wurde geäußert,daß es womöglich einen Zusammen-hang zwischen Terminvorgaben sowieArt und Umfang benötigter Unterlagengäbe. Frauen würden bevorzugt wie ein-gangs beschrieben reagieren, wenn Ter-mine hoffnungslos überschritten oderbenannte Forderungen nicht von ihnen„erfüllt werden konnten". Manchmalreiche aber auch die bloße physischeAnwesenheit der Sachbearbeiterin, umeinen gepflegten Wutausbruch zu pro-vozieren. Solcherlei geschähe, wie eineSachbearbeiterin meinte, bevorzugtAkademikerinnen, „.... die sich wphlfür was besseres halten!". Die Ansicht,daß Sachbearbeiterinnen simple Zu-arbeiterinnen wären, scheine sich pro-portional zur Steigerung des Bildungs-niveaus in den Köpfen zu festigen. Die-ses komplexe Thema, könnten auchBerichte von Frauen, die sich auf deranderen Seite des Tresens einfinden,erhellen. Der Schwerpunkt in den „Er-zählungen aus den inquisitorischenFolterkammern der Deutschen Büro-kratien liegt konsequenterweise nicht

auf dem Inhaltlichen, dem „Warum warich da" oder „Was wollte ich erreichen?"sondern vielmehr in der Beschreibungjener furchtbar abstoßenden Lebens-form, der frau völlig ausgeliefert gegen-über stand, die „gleich von Anfang antotal unfreundlich war und mir echt denganzen Tag versaut hat!" und die auchfür die sich anschließende, fast schonkriegerische Auseinandersetzung verant-wortlich sei. Kein Wort von den eige-nen Befindlichkeiten, mit keiner Silbewird erwähnt, daß es vielleicht ganz gutgewesen wäre, zwei Wochen früher undmit allen erforderlichen Unterlagen zuerscheinen. Spätestens hier drängt sich

Die Schreibtisch-Befreier

ESSÄ-

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Menschen und Bürokratie 25

der Verdacht auf, daß es eher unange-messen ist, Frauen eine Strategie zumThema „Erfolg in bürokratischen Vorgän-gen" zu unterstellen. Es ließe sich hierwohl am ehesten von einer anschließen-den Bewältigungsstrategie im Sinne vonTrauerarbeit reden.

Männer zu Mäusen

Wie diese niedlichen, kleinen Nager er-freuen sich Männer spätestens dann aneiner recht bodennahen Fortbewe-gungsart, wenn sie in innigeren Kon-takt zu den Vertreterinnen der Kaste derBürokraten treten. Männer seien sortier-ter, würden irgendwie beherrschter andas Problem herangehen, sagen die be-fragten Sachbearbeiterinnen. Männerseien ruhiger; aber auch einsichtiger undfreundlicher. Einmal fiel sogar das Wort„kooperativ". Nach eigener Aussage zö-gen sie, die Männer, eben präparierterund beispielsweise bewußt gut geklei-det in die Schlacht. Schon von vornher-ein wählten sie einen höflicheren,grundlos versöhnlichen Ton im Umgangmit den Objekten ihrer Begierde. Daßsie dadurch zu Karikaturen ihrerselbst,nicht als Mann, ganz allgemein alsMensch werden, scheint sie nicht immindesten zu stören.

Dies läßt sich auch mit fol-gender, selbst erlebter Ge-schichte belegen. Als ichmeine Bafög-Unterlagenbeim Bafög-Amt abgebenwollte, nahm mich eine älte-re, strenge Frau in Empfang.Ungefähr so, wie man dieLieferanten von Möbel-Höff-ner in Empfang nimmt, wennsie einem die achte falscheKüche zwölf Monate nachdem vereinbarten Lieferter-min vorbeitragen. Der Tondieser Frau war direkt undließ keinen Platz für eine Be-merkung oder gar irgendei-ne Widerrede. Ich wolltegrade die rechte Hand zumGruß an meine Schläfe

schmettern, als ich zu mir kam und fest-stellte, daß ich verdächtig aufrecht stand.Ich versuchte gleichermaßen kernig wiekooperativ zu klingen und rettete, waszu retten war. Ich selbst war ich aller-dings nicht.Auf jeden Fall deckt sich die Aussage

der Sachbearbeiterinnen mit meiner un-mittelbaren Erfahrung. Und hat somitvielleicht einen allgemeineren Wert.Männer scheinen deshalb erfolgreicherin bürokratischen Belangen zu sein, weilsie besser funktionieren. Männerbringen angeblich pünktlich undzumeist vollständig, was von ih-nen gefordert wird. Wenn sie esnicht bringen, so ist die einhelli-ge Meinung die, daß sie wenig-stens einsichtig sind. Von wegenfrech kommt weiter.Ich stelle mir den Ablauf des Ab-

schlußdialogs in einer Amtsstubeungefähr so vor: Sachbearbeiterin:„Sagen Sie mal, wie alt waren Sieeigentlich bei Ihrer Einsegnung?"Antragsteller: „Dreizehn. Wieso?"Sachbearbeiterin (schlägt sich vorLachen auf die Schenkel): „Dassieht man Ihrem Anzug wirklichan!! Darf ich Ihnen die Tür aufma-chen?" Antragsteller: „Danke. Sehrfreundlich von Ihnen. Aber war-

wirkliche Ursprung der Magie der performativen Aussageliegt im Mysterium des 'Ministeriums', des Amtes, das heißt, in

jener Delegation von Macht, aufgrund derer ein einzelner Akteur -König, Priester, Wortführer - ermächtigt ist, im Namen der derge-

stalt in ihm und durch ihn konstituiertenGruppe zu sprechen und zu handeln."

Max Weber

um?" Sachbearbeiterin (mit tränen-erstickter Stimme): „Weil Sie in Ihrer mo-mentanen Haltung nicht an die Klinkerankommen!!!"Angepaßt muß man sein. Nur angepaßt

kommt man voran. Männer haben ein-deutig eine Strategie, wenn es um Er-folge in bürokratischen Belangen geht.Aber beileibe keine Durchsetzungsstra-tegie. Durchsetzen hat was mit kämp-fen zu tun. Davon habe ich aber wäh-ren der gesamten Recherche nichts ge-hört oder wahrgenommen. Bestenfallsden großen Anbiederwillen als Strate-gie kann man hier attestieren.Abschließend muß festgestellt werden,

daß ganz normale Frauen und Männerin verheerend deutlicher Weise ihren Ag-gregatzustand wechseln, sobald sie mitden Bürokraten direkt konfrontiert sind.Offensichtlich brauchen wir eine Strate-gie. Strategie. Das klingt nach Krieg,nach Angriff und Verteidigung.Bürokratie ist Macht. Das klingt nach

Rückzug und nach Kollaboration. Wennman auf der falschen Seite steht. Wir sindnicht wir selbst. Bürokraten üben Machtauf uns aus. Aus!

Oliver Cieslik

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26 Menschen und Bürokratie

"Alle waren ratlos,jeder hat jeden gefragt..."

Ausländische Kommilitonen an der Humboldt-Universität

Der Alltag an der Uni ist permanen-tes Sprechen über den Alltag an der

Uni - was für Deutsche normal ist, istfür Ausländer existentiell. DeutscheWortfetzen aus einem Gespräch auslän-discher Studenten in einem Cafe derHumboldt-Universität: „PNdS, Prüfungs-ordnung, Formulare, Studienordnung,Aufenthaltserlaubnis, Nachreichen einerBescheinigung, Meldestelle, Akademi-sches Auslandsamt. Warst du schon ...Hast du noch nicht ... Weißt du, wie ...Wann haben sie geöffnet ... Nachweisüber ...?"

Im Dialog mit anderen Leidensgenos-sen gibt es wichtige Informationen auserster Hand und - Wärme. Im Gespräch

mit Verwaltungsangestellten der Hum-boldt-Universität gilt eine Informationerst dann als zuverlässig, wenn sie vonanderen kompetenten Stellen bestätigtwird, bisweilen gibt es statt einer Aus-kunft - eisiges Schweigen. Paul ausAmsterdam erinnert sich an seinen er-sten Besuch im Akademischen Auslands-amt. Die Dame, von der er sich alleserhoffte, saß hinter dem großen Schreib-tisch, sah ihn an und „... sie hat einfachnichts gesagt, das habe ich noch nie er-lebt, sie hat überhaupt nichts gesagt undmich nur angesehen. Ich habe gar nichtgewußt, wie ich meinen ersten Satz an-fangen soll. Beim zweiten Mal war sieaber netter."

M ontag, 9-30Uhr, imTusma^Gebäu-de: Warten, Um-sich-Schauen, Le-

sen, Rauchen, einen Bekannten treffen,Quatschen, Warten. Abdul aus Ca-sablanca fragt mich, weshalb ich abseitssitze, was ich notiere und was mich ander immer größer werdenden Schlangewartender, überwiegend ausländischerStudentinnen interessiere. Aus der halb-geöffneten Tür kommt Radiomusik, imErdgeschoß wird endlich ein Kaffee-automat aufgestellt. Abdul setzt sichneben mich und wartet auf den stündli-chen Aufruf der Jobs; seine Losnummerhat er sich schon um 7.00 Uhr geholt.„Im Umgang mit Bürokratie ist es egal,ob ich Ausländer bin oder nicht. Ob die

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Menschen und Bürokratie 27

Kommunikation gelingt oder nicht, isteinfach abhängig von den Menschen,die sich gegenüberstehen".

Er hat keine Probleme mit der Büro-kratie des studentischen Arbeits-vermittlungsvereins, das System ist ein-fach zu durchschauen. Je mehr Routineman hat, desto einfacher ist es, sich zu-rechtzufinden. Die Atmosphäre an derTusma ist „studentisch, locker, man hatein Solidaritätsgefühl"; bei anderen Din-gen, z. B. Rückmeldung, muß man ebendiszipliniert sein, Abdul geht „immer frühgenug, ich will keinen Ärger". Ein deut-scher Student mischt sich ein: Er bezahltschon zum dritten Mal die Nachgebührfür die verspätete Rückmeldung: „Ich binimmer froh, wenn ich mit Bürokratienichts zu tun habe, bin dadurch viel-leicht ein typischer Student. Ich geheimmer erst dann, wenn ich muß." DieSituation an der Tusma bezeichnet er als„häufig stressig". Abdul schüttelt weiselächelnd den Kopf: „Wenn man alles ord-nungsgemäß macht, dann sind die Leu-te hier auch kooperativ und - manch-mal auch nett." Diszipliniert, höflich, zu-vorkommend: Ist Abdul eine Ausnah-me? Machen ihn diese Tugenden zumidealen Bürokratenpartner oder brau-chen Bürokraten Untertanen? WelcheStrategien gibt es im Umgang mit denSchreibtischmenschen? Abdul setzt aufRoutine - sie macht ihn cool. Vorausset-zungen für das Sich-Zurechtfinden imBürokratiealltag sind gutes Auftreten,Zielorientiertheit, Konzentration, Diszi-plin, Einfühlungsvermögen, Diplomatie,Freundlichkeit, Nachsicht, Hartnäckig-keit. Es gibt vieles, was nicht möglichist, aber: Es gibt nichts, was unmöglichist.

D ienstag, 6. Dezember, Auslandsamt.Sechs Studenten haben sich auf die

Öffnungszeiten verlassen und sind wie-der einmal umsonst dagewesen - dieSprechstunde fällt aus. Da geschieht et-was Unerwartetes: Die Tür öffnet sich,und heraus kommt nicht der Nikolaus,sondern der Chef persönlich. Ich warschon öfter bei ihm, fasse mir ein Herz -frech kommt weiter - und spreche ihnan: Er hört mir gelangweilt, aber gedul-dig zu, neigt den Kopf, seine Körper-haltung ist locker. Ich bin etwas irritiert,ohne Schreibtisch wirkt er so fremd undnah. Ich bleibe ruhig, formuliere genauund - bekomme die Information, die ichhaben will, er schlägt sogar in einemBuch nach - für mich! Plötzlich hört manSchritte näher kommen, und er ver-schwindet schnell wieder hinter der Tür.

Die enttäuschte Studentin notiert sich diemorgige Sprechzeit, sie würde mir nichtglauben, daß ich ihn tatsächlich gespro-chen habe, wo doch an der Tür steht,daß er heute gar nicht da ist. Ich binsicher: Ohne eine sehr gute Beherr-schung der deutschen Sprache und Men-talität wäre ich nicht zu ihm vorgedrun-gen; welch ein Glück, daß ich Deutschebin.

I Womit ich wieder beim Problem Aus-WW länder an der HU bin. Wie kommt

ein ausländischer Student hier zurecht?Kann er sich vertrauensvoll an das fürihn zuständige Amt wenden? Welche Er-wartungen hat er? Wie geht die Verwal-tung damit um? Karolina will wissen, obein Fachrichtungswechsel möglich ist,die Italienerin ist seit zwei Jahren an derHumboldt-Universität. Nach zwei Stun-den Schlangestehen vor dem Akademi-schen Auslandsamt - „aber das kenneich schon, das ist normal" - betritt siedas Zimmer: „Wenn ich Sie sehe, weißich, daß es Probleme gibt", bekommtsie zur Begrüßung zu hören. „Ich woll-te doch nichts Unmögliches, einfachInformation und vielleicht eine Chance- es gibt so viele unterschiedliche Rege-lungen; seit ich hier bin, haben sie dieStudien- und Prüfungsordnung meinesFaches ständig geändert; Alle waren rat-los, jeder hat jeden gefragt. Ich werdeweiter fragen, fragen, fragen, es ist mirseh...egal. Es geht schließlich um meineZukunft."

"Wenn die schlecht gelaunt sind, kön-nen die Geschichten machen", meintMaria, ihre Kommilitonin. „Meine Freun-din Adriana aus Catania wollte von derFU zur HU wechseln. Jedesmal, wennsie kam, haben sie ihr etwas Neues ge-nannt, was noch in ihren Unterlagenfehlt. Nach einer Woche hatte sie end-lich alles zusammen. Wie kommen Sieüberhaupt darauf, hierher zu kommen?Ihre Noten sind zu schlecht, um hier zustudieren.' Adriana fühlte sich ernied-rigt. Sie hat nie mit ihrer Freundin Ma-ria, die „mehr Glück hatte", darüber ge-sprochen. Maria weiß nur durch Adria-nas Freund, wie enttäuscht und verletztsie war.

"Jeder Schreibtischmensch hat so sei-nen Zuständigkeitsbereich, durch dener sich definiert", meint Andrea, Studen-tin der Slavistik. Bei einem Studienauf-enthalt in Moskau hat sie erlebt, daß inRußland nichts über den Direktor bzw.die allgemeine Verwaltung, sondern al-les über die Institute läuft.

"An den Instituten können die sowie-

so nicht beraten, die wissen nicht Be-scheid", beschreibt Karolina aus Romhingegen die Situation an der Humboldt-Universität: „In der Schlange habe ichdamals, als ich das erste Mal hier war,eine Frau aus England kennengelernt.Wir haben alles gemeinsam gemacht,polizeiliche Anmeldung, Nachweise ...Dann habe ich einer Frau aus Rußlandgeholfen, weil ich schon Bescheid ge-wußt habe."Andrea sieht es nüchtern: „Man muß

eben als Student alle Instanzen durch-machen, damit man überhaupt was ma-chen kann. An der Humboldt-Universi-tät herrscht Zentralisierung. An bestimm-ten Instanzen führt kein Weg vorbei.Warum sitzt ein Humboldt-Beauftragter,obwohl er gar kein russisch kann, beimAuswahlgespräch für die Lomonossow-Universität dabei? Als Inkarnation desBürokraten." Auf „Paragraphenstil undRegisterwortsprache" der jeweiligen„grauen Eminenz" ist Andrea vorberei-tet, sie weiß, daß es da die „Klingel amKnie" gibt. „Drückt man sie, wird das,was der Gegenüber im Kopf hat, abge-spult. Es ist immer wieder das gleicheSystem."Maria aus der französischen Schweiz

hat schon eine Ausbildung zur Hotel-fachfrau hinter sich und im Hotel gear-beitet. Sie „klingelt" nicht Sturm, son-dern leise und dezent: „Im Hotel ist eswichtig, ruhig zu sein und nett. Auchhier in der Uni ist gutes Auftreten wich-tig, ich denke schon. Ich bin korrektangezogen, nicht zu stark geschminkt.Ich mußte auch tausendmal zu Sprech-stunden, so oft war niemand da. Ambesten, man ist schon zwei Stundenvorher da, sonst steht man am Ende derSprechzeit immer noch an. Du drückstdie Daumen, daß die gut gelaunt sind.Dann kommst du rein, die tippen, diehaben auch viele andere Beschäftigun-gen. Du bist freundlich, versuchst, in einGespräch zu kommen: 'Guten Tag, wiegeht es Ihnen?' Du mußt gucken, wel-che Laune sie haben, du willst ja wasvon ihnen. Man soll aber auch nicht, wiesoll ich sagen, leche-eul, brown-nosesein - wie übersetzt man das - Arsch-kriecher? Ich glaube, ja. Freundlich, aberbestimmt." Wie im wirklichen Leben.„Ach, und bitte keinen Namen", sagt sie.„Ich muß da noch öfter hin."

Daniela Haslecker

'Telefoniere Und Studenten Machen Alles:Studentische Arbeitsvermittlung, Berlin

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28 Menschen und Bürokratie

Das AkademischeAuslandsamt (AA)

in der Wahrnehmung seiner KlientelWie erleben Studierende aus dem Ausland den persönlichen Kontakt mit

demjenigen Amt der Humboldt-Universität, das exklusiv für ihr Verwaltet-werden zuständig ist?1

Wirfragten Studierende, die soeben eines der betreffenden Büros des AAverlassen hatten, nach ihren Eindrücken.

Ivan2 aus LettlandIst die Sachbearbeiterin in dem Büro,

aus dem du gerade herauskommst, „ nett "gewesen?

Na ja, nett nicht gerade, sondern ner-vös.

Nervös? Warum?Vielleicht hat sie schlecht geschlafen.

Ich kenne diese Sachbearbeiterin schonlänger. Sie macht immer einen aggressi-ven Eindruck. Du versuchst freundlichbzw. normal mit ihr zu reden, aber siewirkt irgendwie nervös und unfreund-lich. Da fühlt man sich natürlich nichtsonderlich wohl. In diesem Büro sitztallerdings noch eine andere Sachbear-beiterin, mit der derUmgang angenehmist, aber mit jener istdas eben nicht so -vielleicht hat sie kei-nen Mann?!Als ich in das Büro

eintreten wollte, kamsie gerade herausund teilte mir mit,daß sie jetzt erst maleinen Kaffee trinkenwolle. Sie ließ michalso warten, obwohlgerade Sprechzeitwar. Als sie zurück-kam, war sie verär-gert, weil es am ent-sprechenden Auto-maten keine Kaffeegegeben hatte.Bist du wegen ir-

gendwelcher Angele-genheiten auch inanderen Büros gewe-sen, und wie ist dortdas Klima?Das BaföG-Amt

kenne ich z.B. Dort

sind sie freundlich.Kennst du eventuell andere Unis, könn-

test du die Bürokratien vergleichen?Die FU kenne ich ein wenig. Die Bü-

rokratie dort gibt sich lockerer und gehtmit einem Lächeln an die Dinge heran.Hier an der HU geht es irgendwie ern-ster zu.

Athina aus GriechenlandIst die Atmosphäre in dem Büro, aus

dem du gerade kommst, freundlich ge-wesen?Ja, durchaus. Das ist in anderen Büros

nicht immer so, aber hier, doch, hier warman freundlich.

„Und hier: Ein Bittsteller kommmt von der Straße hereinund überreicht ein Papier, gebückt und mit kläglichem

Lächeln. Der Meister nimmt es, berührt es leicht mit derFeder und übergibt es dem nächsten. Jener wirft es in dieMasse von tausend anderen Papieren, oberes geht darin

nicht unter. Mit Nummer und Datum versehen, läuft esunbeschadet durch zwanzig Hände, vermehrt sich, bringt

ähnliche Papiere hervor. Ein dritter nimmt es und gehtzum Schrank, schaut in ein Buch oder ein anderes Papier,sagt dem vierten einige magische Worte, und die Feder

von jenem hebt an zu kritzeln. Wenn er ein Weilchengekritzelt hat, übergibt er die Mutter mit einem Kind

einem fünften. Nun kritzelt dessen Feder, und wieder wirdeine Frucht geboren. Der fünfte putzt sie hübsch heraus

und reicht sie weiter. Und so wandert das Papie/ undwandert und geht niemals verloren. Seine Erzeuger

sterben, es selber aber lebt in alle Ewigkeit fort. Wenn esschon vom Staub der Jahrhunderte bedeckt ist, stöbert

man es immer noch auf und zieht es zu Rate. Und jedenTag, jede Stunde, heute und morgen und in alle Ewigkeit

arbeitet die Maschine der Bürokratie, gleichmäßig,ununterbrochen, ohne auszuruhen, als seien da keine

Menschen am Werk, sondern nur Räder und Federn ..."

Iwan Alexandrowitsch Gontscharow (1847)

Aha, wo ist es denn z.B. wenigerfreundlich?

An der TU. Die HU-Bürokratie ist vielumgänglicher; ich habe hier überhauptkeine Proleme.

Sinead aus IrlandDu sagst, du habest dich in dem Büro,

aus dem du gerade kommst, nicht gera-de hößich behandelt gefühlt. Inwiefern?Ich verstand etwas sprachlich nicht und

fragte nach. Also wiederholte es dieSachbearbeiterin, aber nicht gerade ineinem freundlichen Ton. Sie leierte esherunter wie ein sprechender Compu-ter. Bei mir zu Hause, in dem Land, woich herkomme, wäre man zuvorkom-mender gewesen. Da ich Hemmungenhatte, noch weiter nachzufragen, bin ichjetzt in gewisser Weise ratloser als zu-vor. Ich fragte, ob ich mich für das kom-mende Semester an der HUB immatri-

kulieren kann. Die Sachbe-arbeiterin bejahte, nannte mir alsEinschreibefrist jedoch einen Ter-min, der bereits mitten im Seme-ster liegt.

Mahamed aus Ägypten3

Du sprichst fast kein Deutsch,sagst du. Wie hast du dich müderSachbearbeiterin verständigt,spricht sie Englisch?

Nein, nur Deutsch. Auch dieandere Sachbearbeiterin, die indem Büro sitzt, kann kein Eng-lisch, aber sie hat mir ein Info-Blatt in englischer Übersetzunggegeben.

Hast du denn trotzdem einiger-maßen verstanden, worum esging bzw. worauf es ankommt?Ja, doch, das habe ich, zumal die

Sachbearbeiterin sehr freundlichgewesen ist.

Camila aus PeruDu hast dich gerade in dem

Büro beraten lassen? Über welchesProblem hast du mit der Sachbe-arbeiterin gesprochen?

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Menschen und Bürokratie 29

Das Abitur meines Heimatlan-des wird hier nicht anerkannt,darum muß ich vor dem Beginndes eigentlichen Studiums an ei-nem zweisemestrigen fachspezi-fischen Studienkolleg teilneh-men. Vor vier Monaten habe ichmich für dieses Studienkolleg be-worben. Auf der Empfangsbestä-tigung steht, daß (von jetzt ab)in zwei Monaten die Aufnahme-prüfung sei. Zu meiner Überra-schung teilte man mir bei mei-ner Ankunft vor ein paar Tagenmit, daß die Prüfung gerade statt-gefunden habe.

Wieso war dir denn dieser neuePrüfungstermin nicht bekannt?Bekamst du die Einladung nichtrechtzeitig?

, Nein, eigentlich nicht. Bei derBewerbung zu dem Studien-kolleg vor vier Monaten gab ichals Korrespondenzadresse eineBerliner an, teilte jedoch demAkademischen Auslandsamt mit,daß ich vorübergehend in meinHeimatland zurückkehre.

Nun rief mich ein Bekannter hier ausBerlin zu Hause (im Herkunftsland) anund sagte mir, daß ich eine Einladungzur Aufnahmeprüfung bekommen hät-te. Ich war völlig überrascht: Jetzt"? Ichwußte den Termin also nicht rechtzei-tig. Ich reiste dann sogleich nachDeutschland.

Wäre es demnach eventuell günstigergewesen, wenn die Universität die Vor-ladung zur Prüfung an beide Adressenübersandt hätte?Ja. - Aber vielleicht war es auch meine

Schuld. Ich werde es jedoch erneut ver-suchen. Ich fragte, ob ich ein Muster derPrüfung bekommen könne. Man ant-wortete, daß das nicht möglich sei undich mich anderweitig auf die Prüfungvorbereiten müsse.

Wie fühltest du dich soeben in demBüro?

Ich war etwas nervös.Warum?Nun ja - wegen der Sprache. Vor drei

Tagen war ich in einem anderen Bürodes Akademischen Auslandsamtes, beieiner anderen Sachbearbeiterin; bei ihrhatte ich keine Angst. Das Gesprächdauerte auch viel länger als das heuti-ge-

Eigentlich wollte ich die Sachbearbei-terin, mit der ich heute zu tun hatte, nochetwas fragen. Ich fragte jedoch nicht. Der

anderen Sachbearbeiterin hätte ich dieFrage hingegen gestellt.

Anweisung zur Ausweisung?Eduardo Perez4 aus Ecuador war z.Zt.

des Beitritts der neuen Bundesländer ander Humboldt-Universität (HUB) in Che-mie immatrikuliert. Im Zuge einerSonderregelung wurde er an die „neue"HUB übernommen. Sein Status als Stu-dent bezieht sich ausschließlich auf dieHUB. Dies hat die Konsequenz, daßkeinerlei Fach- oder Uniwechsel mög-lich ist. Es wird praktisch keiner der vonEduardo erworbenen Ausbildungsnach-weise anerkannt, weder der ecuadoria-nische Schulabschluß, noch das eineSemester der DDR-HUB, noch die DDR-Sprachprüfung.Eduardo wollte 1990 an die Freie Uni-

versität (FU) wechseln. Sein Aufnahme-gesuch wurde jedoch abschlägig be-schieden. Eine Immatrikulation verstoßegegen das Hochschulgesezt, dennEduardo - so gab man ihm an der FUzur Auskunft - sei lediglich Vertrags-student gewesen; und gäbe es dieAusnahmeregelung nicht, wäre auch dieImmatrikulation an der HUB rechtswid-rig.

Eduardo beabsichtigte nun einen Fach-wechsel innerhalb der HUB. Er bewarbsich für Soziologie. Mitte des neuen Se-mesters mußte er den Wechsel des Stu-dienfaches rückgängig machen. Denn da

Eduardo lediglich eine „fachgebundeneAufenthaltsgenehmigung" besaß, droh-te ihm die Ausweisung aus Deutschland.Außerdem wäre ihm das Stipendium desDAAD5 entzogen -worden. Letzteres warEduardo bereit, in kauf zunehmen. PerUnterschrift verzichtete er auf seinenStipendiumsanspruch. Das Hauptpro-blem der drohenden Ausweisung we-gen des ungesetzlichen Fachwechselsbzw. Uniwechsels) blieb weiterhin be-stehen. Einziger von bürokratischer Seiteangebotener Ausweg wäre eine regulä-re Neubewerbung (für ein beliebigesFach an einer beliebigen Universität) mitPNdS6 oder Studienkolleg. Den damitverbundenen Zeitverlust lehnt Eduardojedoch ab.

Da sich weder die Akademischen Aus-landsämter von HUB und FU noch son-stige Abteilungen der beiden Universi-täten für seinen Fall zuständig erklären,beabsichtigt er, sich an den Berliner Se-nat zu wenden, eventuell sogar vor Ge-richt zu ziehen.

1 Neben der Verwaltung ausländischer Studie-render ist das AA auch zuständig für deutsche Stu-dierende, die einen Auslandsaufenthalt anstreben.

2 Alle im Interview verwendeten Namen sindPseudonyme.

3 Das Interview wurde auf englisch geführt.4 Name und Studienfach bzw. Fächerkombination

geändert.5 Deutscher Akademischer Austauschdienst6 Prüfung zum Nachweis der deutschen Sprach-

kenntnisse

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30 Menschen und Bürokratie

Gnade, Gunst undDankbarkeit

Bürokratie? Das ist gleich Herrschaft logisch. - So weit sounspektakulär...

Irgendwie muffelt's im Warteraum. Etwa wegen der ko-misch-veralteten Polstersessel? Nein, es muß die Bürokratiesein, die riecht halt nach Moder und Fäulnis, weil sie sichnicht bewegt. Wir stellen uns den Staub auf endlos vielenAkten vor. Ein Gedanke: Liegen in Aktenschränken Mot-tenkugeln? Die Antwort bleibt aus, weil die Handlungschneller ist und eh anders ausschaut. Zum Beispiel so: Dieeigentlich ziemlich entspannten Gesichter junger Studen-tinnen verzerren sich beim Verlassen der Büros, weil siesich fragen, ob sie die Bürokratie auch wirklich nach demgefragt haben, was sie eigentlich wissen wollten; Oder viel-mehr, ob sie da drinnen überhaupt jemand verstanden hat.Vorhang auf: Wir sehen die Bühne des Akademischen

Auslandsamtes. Frage der beiden Ethnologen: „Nochmal zuDeinem Zögern an der Tür. Warum hattest Du Angst?" DieInterviewte, eine Studienbewerberin aus Peru: „Na ja, we-gen der Sprache ... In Peru hätte ich keine Angst gehabt."Interessiert treten wir näher, aber wir sind nicht allein. DieTheorie der Bürokratie aus dem massigen Werk Max We-bers „ Wirtschaft und Gesellschaft" (Tübingen 1922) stärktuns das Rückgrat: ..Vor allem bietet die Bürokratisierungdas Optimum an Möglichkeit für die Durchführung des Prin-zips der Arbeitszerlegung in der Verwaltung nach rein sach-lichen Gesichtspunkten. (...) 'Sachliche Erledigung bedeu-tet in diesem Fall in erster Linie 'ohne Ansehen der Person'nach berechenbaren Regeln." Da haben wir's.Erste Jammerrede. Bürokratie ist Routine, ist Hierar-

chie, macht Frust, und wir können ihr alle nicht entrinnen.Vor allem ist sie unpersönlich, unsensibel und hört uns nichtzu (zustimmendes Nicken im Warteraum).Ein Nebenschauplatz. Ein Ethnologe, wir nennen ihn

mal Max Webere, will wissen, was im Auslandsamt wirklichverstanden wird, und hat sich dafür ein Script zurechtge-legt. In der Allgemeinen Studienberatung spricht er dennaiven Wunsch aus, an der Humboldt-Uni studieren zu wol-len. Da er sich aber als Franzose ausgibt und auch keindeutsches Abitur hat, wird er (er hatte sich's schon gedacht)nach Raum 2093 verwiesen. Dort, im Auslandsamt, trifft erauf die Peruanerin. Sie grüßen sich nicht, weil sie sich nichtkennen. Tatsächlich werden sie sich auch nie kennenler-nen. R. 2093 ist nämlich für alle Nichteuropäerlnnen, alleDocheuropäerinnen wenden sich bitte an das Büro gegen-über. Na klar! Dort müssen sie sich in aller Regel auch nichtfragen lassen, ob sie die Aufenthaltserlaubnis haben. Eindrohender Unterton: „Wenn nicht, dann verweisen wir Sienach..." ist kaum zu überhören.Webere muß noch warten und liest solange in Wirtschaft

und Gesellschaft auf Seite 563 weiter: „Statt des durch per-sönliche Anteilnahme, Gunst, Gnade, Dankbarkeit beweg-ten Herrn der älteren Ordnung verlangt eben die moderne

Kultur... den menschlich unbeteiligten, daher streng 'sach-lichen' Fachmann. All dies bietet die bürokratische Struk-tur in günstiger Verbindung." Webere wird hereingebeten(und denkt sich: Na bitte. Die Jammerreden sind zwar ziem-lich bescheuert, aber wahr - müssen nur noch bestätigtwerden ...)

Im Büro sagt er seinen Spruch auf und bekommt von derBürokratin bereitwillig eine Fülle von Informationen überdas Hochschulsystem und seine Abschlüsse: Diplom, Staats-examen und Magister. Es gebe nur einen Schönheitsfehler:Trotz der guten Aussprache brauche er einen schriftlichenNachweis über seine Deutschkenntnisse. Die Frau unter-schreibt und stempelt einen Brief an das Goetheinstitut,wo er sich einstufen lassen soll. Dann könne er die Prü-fung hier an der Uni machen. Webere entsinnt sich seinerLektüre, ungefähr Seite 125f.: „Es gilt das Prinzip der Akten-mäßigkeit der Verwaltung, auch da, wo mündliche Erörte-rung Regel oder geradezu Vorschrift ist."Zweite Jammerrede. Wir haben's doch gewußt. Seit

siebzig Jahren ... Bedingung jeder Bürokratie ist ja, daßrelevant nur das ist, was Aktenform hat, und daß jede Än-derung der Relevanzbedingungen eine aktenförmige Ent-scheidung voraussetzt. (Beifall im Warteraum)Ein Zwischenruf. Er kommt aus Lettre International,

Nr. 24 (Frühjahr 1994). Ein Bielefelder Soziologe konsta-tiert dort die „Revolution der Organisation" im Zuge einerAblösung von „Bürokratie und Fließband durch ein offe-nes Netzwerk von Information, Kommunikation und Pro-duktion". Folglich wird alles anders, denn wer arbeitet,produziert nicht mehr, sondern kommuniziert. Und: „Manmuß sich von der Vorstellung lösen, die Organisation seiuntrennbar mit Hierarchie verbunden und die Bürokratiedaher ihr unvermeidliches Schicksal!" Webere isrverwirrt:Vielleicht ist Bürokratie gar nicht so böse ... die freundli-che Beratung und so.Zweiter Zwischenruf. Überraschend taucht jener Re-

präsentant „der älteren Ordnung" auf und verteilt Flugblät-ter, die Webere noch mehr durcheinanderbringen. Der wardoch gerade Hein Bürokrat: Jetzt reicht's!" oder: „Auch wirsind die Verwaltung!" oder: „Mehr Gunst, Gnade, Dank-barkeit für die Bürokratie!" und „Mir stinkt's" (Naserümp-fen im Warteraum).Webere betritt den Gang. Dort haben die beiden anderen

Ethnologen gerade das Interview mit der Peruanerin be-endet und sehen, wie sich Weberes normalerweise ziem-lich entspanntes Gesicht verzerrt, weil er sich fragt, ob erdie Bürokratie auch nach dem gefragt hat, was er eigent-lich wissen wollte. Oder vielmehr, ob er sein Forschungs-feld überhaupt jemals verstehen wird.

Stephan Ileincn

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Menschen und Bürokratie 31

„Die Studentenschaft verwaltetsieh selbst"* - aber anders!

Studentische Bürokratie /

Studenten haben an einer Universitätihre eigenen Institutionen, das Gesetzschreibt ihnen vor, sich selbst zu ver-walten. Es muß ebenso ein Studenten-parlament geben wie Fachschaften, unddie mitunter schwierigen Situationen imStudienalltag bringen Studenten immerwieder dazu, sich in Initiativen zu ver-binden, um ein gemeinsames Problemzu lösen.

Was dem alles anhängt, ist eine eigeneVerwaltung. Das Studentenparlamentverfügt jährlich über ca. 600.000 DM anStudentengeldern, hat ein politischesMitspracherecht an der Universität undsoll die universitären Belange der Stu-denten unterstützen. Solche Dinge ver-langen nach der Mitarbeit mehrerer Per-sonen, deren Tätigkeit koordiniert wer-den muß, und Gelder verlangen nacheiner bürokratischen Betreuung. Dahin-ter verbirgt sich ein System der Verwal-tung, was zwar ähnlich der universitä-ren Bürokratie aufgebaut ist, aber an-ders sein will. Einige Beobachtungen:

Offene Türenund vieleAktenordner

Wer die Räume des Stu-dentenparlaments betritt,wird stets auf offene Tü-ren stoßen. Allein derRaum des Finanzreferatesist immer fest verschlos-sen und war für einigeZeit mit einem auffor-dernden Zettel versehen,doch bitte anzuklopfen.Kommt man außerhalbder Sprechzeiten zu einerder verschiedenen Bera-tungen, wird man auchnicht unbedingt abgewie-sen. Sind zu viele Studen-ten da, muß man nicht imFlur warten, sondernkann sich im Beratungs-• Berliner Hochschulgesetz

räum irgendwo hinsetzen, sogar auf dieSchreibtische. Wer ein Anliegen hat, mußnicht vor dem Schreibtisch stehenblei-ben, man darf sich neben, vor oder hin-ter den Studenten stellen, der berät oderweiterhilft. Daß auf beiden Seiten Stu-denten sind, ist wohl der Hauptgrundfür die offene Atmosphäre, die sich trotzähnlicher Raumgestaltung wesentlichfreier entfaltet als beispielsweise in denRäumen der Studienberatung. Die, diehier sitzen, arbeiten oftmals ehrenamt-lich. Zumindest ist keiner von ihnen an-gestellt, im Gegensatz zu den Angestell-ten der Studienabteilung, die Beratungund Verwaltung von Studentenunter-lagen zum Beruf gewählt haben. Undwie die einen sicher sein können, daßtäglich Studenten zu ihnen kommen(müssen), freuen sich die anderen überhilfesuchende Studenten, bedeuten siedoch auch eine Anerkennung der eige-nen Arbeit.

Neben ihrer Beratungstätigkeit müssensich diejenigen Studenten, die die Ver-waltung der Studentenschaft übernom-

men haben, auch ganz alltäglicher Bü-rokratie widmen. Da sind einmal die Pro-tokolle der Sitzungen, die abzuheftenund zu ordnen sind, da ist die täglichePost, die bearbeitet werden muß, da sindFormulare, die normale Universitäts-angestellte auch auf den Tisch bekom-men. Auch das Studentenparlament be-stellt seine Büromaterialien über die Be-schaffungsstelle der HUB. Was heraus-kommt, ist eine ähnliche bürokratischeStruktur, wie sie auf allen anderenVerwaltungsebenen der Universität exi-stiert. Einziger Unterschied: Sie ist längstnicht so aufgebläht und will alternativdaherkommen.

Das Dilemma zwischeneigenem Anspruch undvorgegebenenStrukturen

Das Berliner Hochschulgesetz schreibtAussehen und Wirkung der universitä-

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32 Menschen und Bürokratie

ren Studentenparlamente genau vor. Eslegt fest, wofür die Gelder ausgegebenwerden müssen, verlangt die Einrichtungeines Ausschusses, schreibt gewisseAktivitäten vor. Da sich Studenten aberauch in ihrer eigenen Verwaltung aus-probieren wollen, auch neue Formenentwickeln wollen, ergibt sich immerwieder ein Konflikt mit dem, was vor-geschrieben ist. Ein Konflikt, der meistnegativ für das Neue ausgeht, hinterheraber in einen Erfolg auf dem Papier um-gemünzt wird.

Zwei Beispiele: Als sich vor zwei Jah-ren das erste Studentenparlament derHUB konstituierte, beschloß man abwei-chend vom Gesetzesmodell, keinen All-gemeinen Studentenausschuß mit Vor-sitzendem sondern einen Referentenratohne Vorsitzenden als Arbeitsgremiumdes Studentenparlaments zu schaffen.Der Gesetzgeber lief Sturm, konnte aberlediglich erreichen, daß inoffiziellen Schreiben derReferentenrat darauf auf-merksam machte, daß erdem AStA entspricht. Alsoein Erfolg für eine neueForm? Mitnichten. Denn in-zwischen hat sich der Re-ferentenrat genau der AStA-Struktur angepaßt, es gibt le-diglich keinen Vorsitzenden.Was entstanden ist, ist einMehraufwand an Bürokra-tie, denn die Koordinationder einzelnen Referate erfor-dert wiederum Arbeit, diedokumentiert werden muß.

Studentische Mitglieder inden universitären Gremienversuchen, für Studenteneinzutreten und in ihremSinne aktiv zu werden. Daßsie dabei schnell von derdiesen Gremien einwoh-nenden Bürokratie erschla-gen werden können, bewei-sen zahlreiche Beispiele ausden Protokollen des Aka-demischen Senats. Da wer-den Beschlußvorlagen derStudenten immer wiederaufgrund von Formfehlernzurückgewiesen, am Endewird ein Arbeitsausschußeingerichtet, der eine neueVorlage erarbeiten soll. Undnach zermürbenden Sitzun-gen freut sich der Antragstel-ler, endlich einen formge-rechten Antrag eingereicht

zu haben, der nun bearbeitet werdenkann, aber nicht beschlossen wird. Sol-che Erfahrungen tragen nicht unbedingtzur Motivation bei, in diesen Gremienmitzuarbeiten, und sie lassen tatsächli-che Niederlagen zu bürokratischen Er-folgen werden - denn die Vorlage ent-sprach ja allen Anforderungen, zumin-dest sie war erfolgreich.Andererseits versucht man sich immer

wieder, diesen Zwängen zu entziehen.Denn das, was Studenten an eigenerBürokratie entwerfen, ist oftmals auchAusdruck einer Art Gegenbürokratie, dieaber spiegelverkehrt - mit anderen Wor-ten: dasselbe betreibt wie ihr großesVorbild. In der Kollision beider geht vielan Ideen verloren, meist besteht dieLösung in einer Art Zwischenbürokratie,die beide Systeme kompatibel macht. EinBeispiel dafür sind die Finanzverwalterdes Studentenparlaments.

das Stellen von Finanzantiigenden ReflRat

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REFRAT DER HUB

Das Unglück, über600.000 DMentscheidenzu müssen

Die nach außen wohl wichtigste Auf-gabe des Studentenparlaments ist dieAusgabe der Gelder, die von den Stu-denten erhält. Es ist gleichzeitig die un-bequemste, denn wo steht, wer für wasGeld erhalten darf? Und so werden An-tragsteller meist zurückgewiesen, ihreAnträge verschwinden in einem einzig-artigen System studentischer Bürokratie.

Zunächst hatte sich das Studenten-parlament in die Obhut der Haushalts-abteilung der Universität begeben, umgrößere Sicherheit beim Verwalten derGelder zu haben. Die antwortete mit bü-rokratischen Paukenschlägen. Man über-

gab dem Studentenparla-ment eine OKZ (Ordnungs-kennziffer), der Haushaltmußte in seinen Titeln demuniversitären Haushalt ange-paßt werden, zur Buchungund Auszahlung von Gel-dern waren extra Formulareauszufüllen. Und nun ertrin-ken die Finanzreferenten desStudentenparlaments in einerFlut von Zetteln, die sieselbst hervorgerufen haben.Denn wenn sich zwei Büro-kratien zusammentun, ver-mehrt sich der Inhalt. Undnun wartet der antragstel-lende Student. Denn zu-nächst muß geprüft werden,ob sein Antrag berechtigt ist,dann muß der Antrag einerReihe von Kriterien entspre-chen („Drittmitteleinwer-bung muß geprüft sein"),dann muß der Antrag in diebürokratische Enge einesHaushaltstitels gezwängtwerden, am Ende schließlichkann man daran denken, dieGelder zu überweisen. Dazubedarf es keines normalenÜberweisungsauftrages, son-dern zweier A4-Formulare,die in einer Ausführung andie Rechenstelle der Univer-sität gehen. Dort wird einezweite Bürokratie angeleiert,die irgendwann zur tatsäch-lichen Überweisung führt.Was eigentlich einer bewäl-tigen kann, machen so min-

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destens vier.Was bleibt, ist die Angst, entscheiden

2x1 müssen, und so wird erstmal allesvertagt. Mit dem Effekt, daß sich dasGeld auf dem Konto auf wunderbareWeise vermehrt, denn ausgegeben fürdie verschiedenen Projekte wurde esnicht.

Die Sprache

„Auf der letzten W haben viele Studismit Transpis und Flugis auf ihreProblemis aufmerksam gemacht. DiePräsi war auch da und auf einer FRVwurde eine Ini zum Thema gegründet."

Eingeweihte wissen, was gemeint ist.Ahnungslose stehen achselzuckend da-vor.

Auch Sprache kann Auskunft gebenüber die bürokratischen Wucherungen,die eine Behörde betreibt. So wie dieHumboldt-Universität ihren AbteilungenNummern gegeben hat und jetzt der Iabeim IIc anfragt, ob nicht lila auch inden Verteiler aufgenommen werdenkönnte, so haben auch die studentischenSelbstverwalter eine Art Geheimspracheentwickelt. Dahinter verbirgt sich wohlkeine neue Bürokratie, eher die Faul-heit zum Sprechen. Der Effekt ist aberähnlich dem des ausufernden Formu-

lar-Erfindens. Nicht-Eingeweihte bleibenaußen vor. Und so wird derjenige Stu-dent, der auf einer Versammlung fragt,was denn FRV wäre (Fachschaftsräte-versammlung), ziemlich schräg ange-guckt und ist schon einen Schritt drau-ßen.

Über Sprache kann man sich selbstabschotten. Und oft erscheinen die Sit-zungen des Referentenrates wie einkompliziert ausgeknobeltes Formular -man weiß oft nicht mehr, worum es geht.Keine gute Form der Arbeit für eine In-stitution, die auf ständigen Zulauf vonaußen angewiesen ist.

Jens Schley

Vom Opfer zum Täter -wenn Studenten beginnen, sieh selbst zu

i/erwaltenStudentische Bürokratie II

Im August 1992 war alles vorbei. Trotzeiner erfolgreich abgeschlossenen Zwi-schenprüfung und des stolzen Besitzesvon acht benoteten Leistungsnach-weisen erhielt ich von der Humboldt-Universität als Antwort auf meine Rück-meldung meine Exmatrikulation. „Dievon Ihnen gewählte Fächerkombinationist an der Humboldt-Universität zu Ber-lin nicht studierbar. Sie können sich biszum 30.09.1992 über den Weg der frei-en Einschreibung in einen neuen Studi-engang einschreiben. Für den jetzt ge-wählten Studiengang erhalten Sie kei-ne Immatrikulation. "Die Worte „kei-ne Immatrikulation" waren mit einemTextmarker fein säuberlich unterstri-chen.

Aus, vorbei. Wahrscheinlich warenmeine Leistungen nicht gut genug,wahrscheinlich hatte man sogar her-ausgefunden, daß ich zwei der Vor-lesungen, die auf meinen Studien-buchseiten auftauchten, nur äußerstmangelhaft aufgesucht und ein Se-minar, an dessen Thema ich mich

nicht mehr erinnern konnte, mit einemneuen Namen versehen hatte.Trotzdem. Gewißheit mußte sein. Ich

begab mich zu den Verwaltern studen-tischen Wohlergehens: Das Studenten-sekretariat sollte mir Auskunft gebenüber die Gründe meines Scheiterns.

Der Grund war ein neues Computer-system und die Umbenennung eines In-stituts. Auf meiner Rückmeldung hatteich geschrieben, ich studiere Geschich-te und Ethnographie. Die Ethnographie

hatte sich aber inzwischen zur Europäi-schen Ethnologie gewandelt, und nurvon dieser wollte der neue Computeretwas wissen. Und da das Vertrauen desMenschen in die Technik grenzenlos ist,stellte sich der Verwalter meines Buch-stabens stur:

„Hier in meinem Computer gibt es kei-ne Ethnographie, also können Sie dasauch nicht studieren!"

„Aber es heißt inzwischen nur anders.Das ist jetzt die Europäische Ethnolo-gie. Ich studiere genau dasselbe, des-wegen können Sie mich doch nicht ex-matrikulieren!"

„Ethnographie gibt es nicht, aus!"„Aber ich kann Ihnen sogar sagen, wo

das Haus, in denen sich die Ethnogra-phie oder Europäische Ethnologie be-findet, ist. Seit 1990 fahre ich da hin, indie Friedenstraße. Die gibt es noch. Undaußerdem ist doch das alles ein unddasselbe. Ethnographie kommt aus demRussischen und heißt genau dasselbewie Ethnologie ..."

„Ob das Russisch oder sonstwas ist, ist

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mir egal. Es steht jedenfalls nicht inmeinem Computer, und außerdem kannich hier gar nichts entscheiden. Sie kön-nen sich doch einen Imma-Antrag neh-men und neu einschreiben. Ich kannIhnen einen geben."Was folgte, lernte ich später als Durch-

setzungsstrategie kennen. Ich setztemich auf einen Stuhl, guckte furchtbarstreng und sprach ebenso: „Ich will Ih-ren Chef sprechen." In den Minuten, indenen der Verwaltungsbeamte seinenChef holte, malte ich mir aus, wie manBürokraten quälen konnte. Ich entwarfim Kopf Formulare, die nicht auszufül-len waren, stellte mir Fluten von Rück-meldungen vor, in denen hilflose Be-amte ertranken, und einen Computer,der ständig schrie: „Das kenn ich nicht!Das kenn ich nicht!" Bürokraten, dasstand fest, waren hassenswerte Men-schen.

Der Chef klärte das Problem. Ich warschuld. Denn hätte ich auf meinen Rück-meldeantrag bereits das richtige Wort ge-schrieben, wäre alles nicht passiert. Nunwerde man ein Auge zudrücken, undich dürfe zunächst weiterstudieren.Das tue ich heute noch dank der Ent-

scheidung, der universitären Bürokratieeine eigene entgegenzusetzen, die derersteren immer überlegen ist.

Zunächst hörte ich mich bei Freundenund Bekannten, die sich ebenfalls imZustand des Student-Seins befanden,nach ihren eigenen Verwaltungs-methoden um. Die meisten hatten ih-ren Verwaltungsaufwand auf zwei Papp-deckel oder einen Schuhkarton redu-ziert, in die sie alles verbannten, wasihnen verbannenswert erschien. Danngab es solche, die sich im Zustand deskreativen Chaos befanden und bei Ent-scheidungsfragen den Entscheidungsträ-gern verschiedene Möglichkeiten anbo-ten: „Ich habe Ihnen heute diesen Sta-

pel Zettel mitgebracht, schau-en Sie doch mal, ob was für Siedabei ist!"Wiederum andere hatten sich

jeglicher Form der Verwaltungentledigt und waren auf dieMithilfe von Freunden ange-wiesen, die für sie die notwen-digen bürokratischen Hemm-nisse beseitigten, die sie beimStudent-Sein störten. Da es sichbei ihnen fast ausnahmslos umStudenten zweistelliger Se-mesterzahlen handelte, vermu-tete ich hier eine der edelstenFormen der Bürokratie. Näm-

lich eine solche, die auf einer hohenStufe in eine neue Qualität übergeht,genau wie das Chaos ja nichts anderesals eine extrem hohe Form der Ordnungist.

Einige aber hatten sich den irdischenAnforderungen der Bürokratie gestelltund höchst interessante Verwaltungs-

systeme entwickelt. Das reichte vomkombinierten Aktenordner-Schnellhef-ter-System, chronologisch und thema-tisch geordnet, über ein Online-Abfrage-system per Katalog-Karteikarten (dieKarteikarte verrät, wo sich was befin-det) bis hin zur multimedialen Com-puterdatenbank, die parallelzum Aktenordner alle Stu-diendaten enthält, miteinan-der verknüpft und über ver-schiedene Abfragesystemeerschließt. Ergänzt wurde dasganze mit verschiedenenKalendersystemen, vom ge-blähten Filofax bis zum ein-fachen Ökokalender.

Einer hatte seinen Schreib-tisch mit einem Aktenordner-karussell versehen, ein ande-rer hatte das Startprogrammseines Computers so pro-

grammiert, daß er bei dessen Start im-mer aktuell darüber informiert wurde,welche Lehrveranstaltung er gerade ver-paßte, und ein dritter, dessen Mutter eineArztpraxis besaß, hatte in seiner Woh-nung einen ganzen Schrank mit Hänge-registraturen stehen, in denen er einzelnseine Leistungsnachweise hängend auf-bewahrte.

Da ich zwar über Computer, Aktenord-ner und Sparkassen-Werbegeschenk-Kalender, aber nicht über Hänge-registraturen verfügte, entschloß ichmich zu einer Synthese aus den erstendrei.

Zunächst bekam mein Computer eineDatenbank, die alle Lehrveranstaltun-gen, die ich je besuchte, enthielt. Einezweite Datenbank enthielt Informatio-nen über Mitschriften und wo sich die-se befanden. Ein formidables System. Ichkonnte zum Beispiel nun meinen Com-puter fragen, ob ich jemals eine Vorle-sung zur Einführung in die Volkskundegehört habe. Mein Computer bejahtedies. Über einen komplizierten Ver-knüpfungsbefehl konnte ich nun Mit-Schrift/' eingeben. Diesmal verneintemein Computer die Anfrage, und ichkonnte nun sicher sein, zwar etwas Ein-führendes über die Volkskunde gehörtzu haben, nirgendwo aber etwas schrift-liches darüber zu besitzen. ZweiTastendrucke, und man weiß Bescheidüber sein Wissen. Großartig.

In einem zweiten Schritt schaffte ichmir 18 Aktenordner und 12 Sammel-ordner an. Diese bildeten den Rohbaueiner sich nun langsam vollendendenArchitektur von schwarzglänzenden Säu-len mit kleinen runden Fenstern, in de-nen ich genau aufgeschlüsselt nach Se-mestern, Fächern und Themen mein ge-samtes Studien wissen einbunkerte. EinAktenordner mit rotem Rücken bekamdie besondere Ehre, die Studien-buchseiten und Leistungsnachweise in

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sich zu tragen. Damit der Staub nicht anihnen nage, waren sie fürsorglich inKlarsichthüllen eingelegt.Als ich übrigens zum erstenmal all die

schwarzen Akten- und Sammelordner inmeinem Regal aufstellte, merkte ich, wieaufregend Bürokratie sein kann. Dermatte schwarze Glanz des Einbandesund das silbrige Glitzern des Grifflocheshatten etwas zutiefst anziehendes, erre-gendes. Es war ähnlich dem Gefühl,wenn mir in der U-Bahn eine schwarzeLederhose gegenübersitzt. Ich begriff,wie schnell Bürokraten zu Fetischistenwerden können ...

Nun, in einem dritten und letztenSchritt, ging es um eine Verknüpfung dereinzelnen Verwaltungseinheiten. Zu-nächst bekamen alle Aktenordner eineNummer und eine Registratur, d.h. eineArt Buchstabenansammlung, die nurmein Computer verstehen konnte. Dannpaginierte ich alle eingehefteten Blätter,legte zu jeder thematischen Gruppe vonAktenordnern ein Findbuch in Form vonKarteikarten an, deren Eintragung ichgleichzeitig in einer dritten Datenbankfesthielt. Um ständig einen genauenÜberblick zu haben, welche Scheine undLehrveranstaltungen noch zu beschaf-fen bzw. zu besuchen waren, erhieltmein Computer eine vierte Datenbank,die mich ständig unaufgefordert darüberinformierte, was noch zu tun sei. MeinKalender erhielt eine externe Bereiche-rung in Form eines Al-Jahresplaners, aufdem ich mit verschiedenen Farben undSymbolen festhielt, bis wann ich wel-che Belegarbeit schreiben will, wannPrüfungen zu machen sind und wannmeine Freunde Geburtstag haben. AlsHöhepunkt und Abschluß kaufte ich mirein Briefeingangs- und ausgangsbuch,in denen ich genauvermerken konnte,wann ich von wemwelchen Brief be-kam.

Und wenn ich nunabends nach Hausekomme, kann ichmich an meinenSchreibtisch setzen,die Post begutachten,den Briefen eine Ein-gangsnummer geben,sie in das Buch ein-tragen, durchlesen,überlegen, welchenthematischen, chro-nologischen odersachlichen Zusam-

menhängen sie zuzuordnensind, den Inhalt in einer dervier Datenbanken regis-trieren, sie paginieren, mit ei-ner Nummer versehen undnach erfolgter Lochung zwi-schen zwei Aktendeckelnverschwinden lassen. Ichweiß jederzeit genau, wo siesind, ihr Aufbewahrungsortist an drei verschiedenen Stel-len vermerkt, und über ihrenInhalt kann mir mein Com-puter bestens Auskunft ge-ben. Ein großartiges System,wo jeder Vorgang seinenPlatz hat.

Sachen, die nicht zuzuordnen sind,haben allerdings darin nichts zu suchen.Völlig daneben sind zum Beispiel Brie-fe, die nichts mit dem Studium zu tunhaben. Zum Beispiel Postkarten, die mirFreunde aus dem Urlaub schicken. Diebewahre ich in einem Schuhkarton auf,ich kann ihnen keine Registratur geben,im Posteingangsbuch werden sie nichtvermerkt. Denn wenn sie dort eine Num-mer bekämen, würde mich die Daten-bank, welche auf diese Nummer ange-wiesen ist, auch nach der Buchstaben-sammlung fragen, die für den Compu-ter den Ort der Aufbewahrung er-schließt. Da ich aber eine solche nichtvergeben kann, denn es läßt sich ausZuordnungsgründen kein Ort der Auf-bewahrung finden, kann ich sie nirgend-wo aufbewahren. Postkarten und Privat-briefe behindern meine Ordnung, ja siegefährden sie sogar.

Denn seit ich beschlossen habe, mireine eigene Bürokratie aufzubauen, mußich dieser viel Zeit widmen. Da bleibtkeine Zeit mehr für irgendwelche Grü-

ße oder lange Brie-fe. Auch kann ichabends nicht mehrjeden Tag irgend-wohin gehen, es istjetzt immer etwasam heimischenSchreibtisch zu tun.Denn von Zeit zuZeit muß auch mei-ne Bürokratie refor-miert werden. DerFortgang des Studi-ums öffnet neuethematische Zu-sammenhänge, wasneue Ordnungenerfordert. Auch er-wies sich ein Ak-

tenordner für sämtliche administrativeStudienangelegenheiten als zuwenig,vor einem Jahr habe ich die Trennungvon Finanzen, Rückmeldung undLeistungsnachweisen beschlossen. Eineumfangreiche Reform, denn sie erforder-te die Anschaffung zweier neuer Akten-ordner, die Eröffnung einer neuen Da-tenbank und eine völlige Neuordnungder Registraturnummern, da nun auseiner Gruppe drei neue Gruppen her-vorgegangen waren. Nach zwei Wochenintensiver Registrierung war diese bis-her größte Reform abgeschlossen, einBeweis der Überlebensfähigkeit meinesausgereiften Systems.Trotz dieses großartigen Systems, wel-

ches sich als bisher unschlagbar erwie-sen hat, versucht die Gegenseite, mit im-mer neuen Methoden meine Bürokratieauszuhebein. Letzter Versuch: die Ver-einigung zweier Rückmeldungsanträgein einem Schreiben. Ein Problem, wel-ches ich bis heute noch nicht lösenkonnte. Denn wenn ein Verwaltungs-vorgang erstmal registriert, paginiert,numeriert und gelocht wurde, bleibt erauf Jahre verschwunden. Was also an-fangen mit einem Schreiben, welchesexakt ein halbes Jahr nach Erhalt bear-beitet und abgegeben werden muß. Ichhabe diesen Antrag zunächst zu derGruppe „Noch zu Bearbeitendes" gelegt,die Buchstabensammlung, die mir denOrt der Aufbewahrung dieser Gruppeerschließt, habe ich aber vergessen. Undmein Computer behauptet nun, wennich ihn nach meinem Rückmeldungsan-trag frage, daß er diesen nicht kenne.Noch glaube ich aber, daß ich einensolchdn Antrag besitze. Wenn nicht, wirdes mir wohl wie allen anderen Studen-ten ergehen, die keinen Rückmeldungs-antrag abgeben können.

Sie werden exmatrikuliert.Jens Schley

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