Und ob das noch was bringt!

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Kreislers Unbeabsichtigte Gedichte, Verbrecher Verlag, Berlin 2010, besprochen anhand der Empfehlungen der Tödlichen Doris durch Wolfgang Müller, Berliner Avantgardegruppe, jW 05.06.2010.

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Tageszeitung junge Welt 05.06.2010 / Feuilleton / Seite 13

Bringt das berhaupt noch was?Die Tdliche Doris liest (12): Unbeabsichtigte Gedichte von Georg KreislerWolfgang MllerEinmal im Monat empfiehlt die Tdliche Doris ein ganz besonderes Buch. Der Knstler Wolfgang Mller ist der Sprecher der Berliner Avantgardegruppe

Als ich ber die Tanzknstlerin Valeska Gert (18921978) recherchierte, stie ich auf ein Schwarz-Wei-Video aus dem Jahre 1969, in dem sie ein Baby spielt. Das Video wurde vom Hamburger Medienknstler Ernst Mitzka aufgenommen und ffentlich gezeigt: Die damals 77jhrige Gert krht wie ein Baby, sie blst die Backen auf und schreit wie am Spie. Pltzlich schaut sie verwundert und gackert, lacht, lallt und sabbert glcklich. Am Ende nuckelt sie friedlich und entspannt am Daumen. Ein Dokument ihrer einzigartigen 3-D-Performances, eine Mimikry der Groteske. Und dann stie ich auf eine Neuerscheinung von Georg Kreisler: Zufllig in San Francisco, unbeabsichtigte Gedichte. Hatte der Wiener Komponist und Kabarettist nicht als junger Mann in der Emigration auch einmal die Fhrte von Valeska Gert gekreuzt? In der empfehlenswerten Kreisler-Biographie, die Hans-Juergen Fink und Michael Seufert 2007 unter dem Titel Georg Kreisler gibt es gar nicht verffentlichten, schildert er, wie er 1939 als 17jhriger Flchtling vor dem Naziterror von Valeska Gert als Klavierbegleiter fr ihre Probeauftritte in den USA gebucht wurde: Engagiert wurde sie meines Wissens nie. Kreisler erzhlt trocken, wie manche Produzenten schon nach wenigen Sekunden entsetzt vor dieser Frau und ihren radikalen Ideen davonrannten. Mit Sicherheit sind auch vor Georg Kreisler schon zahlreiche Produzenten, Intendanten und Manager davongerannt. Und auch er hat nicht wenige Menschen treffen mssen, die mangels eigener knstlerischer Begabung eigentlich als talentierte Verhinderer in die Geschichte der Kultur eingehen mten wenn es denn eine Kulturgeschichte der Verhinderung geben wrde. So lebte Georg Kreisler zwlf Jahre in Westberlin er wirkte ab 1977 zwischen den konkurrierenden Kabaretts Die Whlmuse und Stachelschweine. In dieser Zeit bekam er kein einziges Angebot eines Berliner Theaters, kein Angebot eines hiesigen Verlegers. Und auch das Interesse von Funk und Fernsehen an dieser berhmten Ausnahmegestalt des Kabaretts ist in der Westberliner Provinz als marginal zu bezeichnen. Selbstverstndlich kamen die Intendanten des Schillertheaters Boy Gobert, Heribert Sasse, Regisseure und Schauspieler gern zu Kreislers Partys um zu plaudern. Im Jahr 1984 versuchte Kreisler dann mit der Schauspielerin Vera Mller das seit Jahren leerstehende Kreuzberger Hebbel-Theater wieder mit Leben zu fllen. Trotz Finanzierungsplan und stimmigen Konzeptes wurde

nichts daraus. Da das sich spter an Tanz, Musik und Performance orientierende Hebbel-Theater 1988 eine Anfrage von Die Tdliche Doris unbeantwortet liet, konnte ich ja noch mit dem Underground- Status unserer Band erklren. Aber den groartigen Georg Kreisler zu verschlafen? Den schtzt selbst meine Mutter in der niederschsischen Provinz. Rtselhafte Ignoranz. Vielleicht mu das jahrzehntelange Desinteresse der Kulturfunktionre aber einfach mal positiv gesehen werden. Denn die Kunst der beraus lebendigen Legende Georg Kreisler pat sich bis heute den herrschenden Konventionen und Erwartungen nicht an. Gleichwohl achtet der Knstler Kreisler durchaus auf Konventionen: auf Stil, Charme, Geist, Witz und eine bitterse Melancholie. Das Aroma dieser Eigenschaften entfaltet sich in Zwischenrumen. Ein groes Geschenk fr alle Menschen, die gern selber denken und das auch noch gut finden. Der Berliner Verbrecher-Verlag serviert mit den Unbeabsichtigten Gedichten, bertitelt mit Zufllig in San Francisco eine wunderbare Kostprobe von Kreislers Sprachkunst. Deren Wirkung ist hchst effektvoll, setzt jedoch nie auf Effekte. Sie ist vordergrndig und hintergrndig zugleich. Sie ist mitfhlend und nimmt doch keine falschen Rcksichten, wenn etwas deutlich gesagt werden soll. Schon das erste Gedicht entfaltet eine Poesie der hnlichkeiten und Differenzen. So wie Der Anfang dieses Gedichtbuch einleitet, habe ich jedenfalls nie zuvor einen Reim ber das Ende, den Tod gelesen und gesprt. Und aus diesem schweren Thema samt seiner Absurditt und Unbegreiflichkeit lt Kreisler einen zauberhaften kleinen Springteufel los. Ja, aber nicht nur der, auch reizende Elfen kommen dahergeritten, reiten auf Strophen durch die Nacht und werden dafr schlielich bs bestraft. In Kreislers Versen, Reimen und Texten entwickelt sich die berraschung, die Irritation und die Verblffung immer aus einer inneren Struktur heraus, sie ist nie reiner Selbstzweck, Effekt oder Kalkulation. Es wre auch ein Miverstndnis zu glauben, die Anste und die Anstigkeit, die von Kreislers Texten ausgehen, htten khl kalkuliert werden knnen. Wer die Welt, in der er lebt, grndlich untersucht, wird in der Folge immer auf Phantastisches, Unglaubliches und Groteskes stoen. Und auf Grenzen gerade heute, wo das Paradies der Grenzenlosigkeit und unendlichen Entfaltung des Individuums von extrem angepaten Politikern wie Guido Westerwelle verkndet wird. Dieser erhlt, las ich krzlich, fr eine einzige Rede 8000 Euro. Im letzten Jahr verdiente er so ber eine Dreiviertelmillion. Warum sollte man dann eigentlich noch Kabarettisten engagieren und bezahlen? Bringt das berhaupt noch was? Georg Kreisler hat um 1968 ein Schmhlied auf Unternehmer getextet und gesungen: Deine Freiheit mu noch lang nicht deine Freiheit sein. Damals, sagte er in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, habe er noch das Gefhl gehabt, man bewege etwas mit solchen Liedern. Doch heute wrde nicht mehr auf das gehrt werden, was Knstler sagen. Er selbst drckt es so aus: Diejenigen, die heute provozieren, Schlingensief zum Beispiel, das Regietheater, tun das nur noch zum Selbstzweck. Provokation sei aber eben noch keine Kunst. In seinem Zwischenwort wundert er sich, warum eigentlich noch niemand ein Gedicht ber Adolf Hitler geschrieben habe. Die

Erklrungen, warum sich viele Menschen nach 1933 so schlagartig nderten, sei doch nie zufriedenstellend beantwortet worden. Und, um Licht in den bsen Zauber, wie er diese seltsame Wandlung nennt, zu bringen, folgt eine kleine, aber ernchternde Folge von Gedichten berhmter Autoren des Jahres 1914. Das Spektrum reicht von Anton Wildgans ber Arno Holz bis Alfred Kerr. Georg Kreisler betont, da seinerzeit zwar kaum Repressalien zu befrchten gewesen wren, wenn man sich gegen die Regierung und gegen den Krieg ausgesprochen habe. Aber berraschung, berraschung! die euphorischen, den Krieg begrenden und verherrlichenden Gedichte stecken voll inbrnstigem Ha gegenber dem Feind. Alles ohne Not, ohne Druck geschehen. Es sind, nach Kreislers Worten, ebenfalls Unbeabsichtigte Gedichte so, als ob die Menschen, die sie schrieben, verzaubert gewesen wren, und zwar unangenehm verzaubert. Das bestmgliche Gegengift sind brigens die unbeabsichtigten Gedichte von Georg Kreisler. Verzaubern mu nicht unbedingt im Wahnsinn enden.Georg Kreisler: Zufllig in San Francisco, unbeabsichtigte Gedichte. Verbrecher Verlag, Berlin 2010, 128 Seiten, 19 Euro