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UNESCO heute Z EITSCHRIFT DER D EUTSCHEN UNESCO-K O MM ISSION 1|2008 Interview mit Peter Schaar: Datenschutz im Internet Beiträge von Bernd Bischoff Abdul Waheed Khan Barbara Lison Celina Ramjoué Andreas Vogel Medienkompetenz und Lernen im Internet Projektbeispiele Moderne Wissens- gesellschaften und die Versprechen des Internets Inhalt Wissen im Web

Unesco heute 1 08 · Wissen wird immer mehr zur entscheidenden Res-source für Wohlstand und die Freiheit, über Lebens-optionen entscheiden zu können. Wissen ist eine wesentliche

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UNESCO heute

Z E I T S C H R I F T D E R D E U T S C H E N U N E S C O - K O M M I S S I O N

1|2008

➜ Interview mit Peter Schaar:Datenschutz im Internet

➜ Beiträge von Bernd BischoffAbdul Waheed KhanBarbara LisonCelina RamjouéAndreas Vogel

➜ Medienkompetenzund Lernen im Internet

➜ Projektbeispiele

➜ Moderne Wissens-gesellschaften unddie Versprechendes Internets

Inhalt

Wissen im Web

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Außenansicht des ZKM

Ausstellungsansicht

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Das ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe zeigt bis 6. Januar 2009 die Ausstellung »YOU_ser. Das Jahrhundert desKonsumenten«

Nam June Paik: Internet Dream, 1995, Videoinstallation

Mogens Jacobsen: Hørbar/Audiobar, 2007, interaktive Klanginstallation

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Mit der Ausstellung »YOU_ser. Das Jahrhundert des Konsumenten« thematisiert das ZKM | Zentrum für Kunst und MedientechnologieKarlsruhe die Weiterentwicklung der Interaktivität in den globalen Weiten des Web 2.0. Eindrücke der Ausstellung vermitteln die Fotos in diesem Heft. Informationen zur Ausstellung auf Seite 72.

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Wissen wird immer mehr zur entscheidenden Res-source für Wohlstand und die Freiheit, über Lebens-optionen entscheiden zu können. Wissen ist einewesentliche Grundvoraussetzung für demokratischeMitwirkung. Diese Erkenntnis hat schon vor mehr als60 Jahren die Mütter und Väter der UNESCO be-wogen, das Konzept des Wissenszugangs als zentralesElement in der Verfassung der Organisation zu ver-ankern. Heute ist es so wichtig wie nie zuvor. Daher istes nur folgerichtig, dass die UNESCO die Förderungmoderner Wissensgesellschaften, in denen der Zugangzu Information und Bildung ebenso verwirklicht ist wieMeinungsfreiheit und kulturelle Vielfalt, als eine ihrerwichtigsten Aufgaben ansieht. Andere ha ben dasübrigens auch erkannt, nicht zuletzt der WeltgipfelInforma tions gesellschaft, in den die UNESCO diesesKonzept mit Erfolg eingebracht hat – ein wichtigerSchritt.

Am 30. April 2008 feierte das frei zugängliche Internetseinen 15. »Geburtstag« – so lange erst gibt esBrowser für das World Wide Web. Inzwischen nutzen1,3 Milliarden Menschen weltweit das Internet, einFünftel der Weltbevölkerung. Ganz zweifellos birgt dasInternet enorme Potenziale für den Aufbau von Wis-sensgesellschaften. Es ermöglicht technisch die welt-weite Verbreitung von Information und Wissen und dieglobale Vernetzung von Individuen und Interessen-gruppen. Der Umfang der im Internet veröffentlichtenInformationen wächst rasant, zahllose innovative An-gebote ermöglichen dem Nutzer Zugang zu Wissen.Immer mehr Universitäten machen Lernangebote undForschungsergebnisse online zugänglich. Die freieOnline-Enzyklopädie Wikipedia umfasst zurzeit mehrals zehn Millionen von Internetnutzern verfasste Artikelin 200 Sprachen.

Doch inwiefern realisiert sich dieses Potenzial des Internets zur Förderung von Wissensgesellschaftentatsächlich? Was können Internetangebote dabei leis -ten, was nicht? Wie verändert das Internet Strukturendes Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung?Wie kann die Qualität von Informationen im Webgesichert werden? Welche Kompetenzen muss derNutzer erwerben? Dieses The menheft von UNESCOheute zeigt Trends, Chancen und Herausforde rungen

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

von »Wissen im Web« auf. Der Schwerpunkt liegtdabei auf der Bildung im Internetzeitalter.

Mit einer kritischen Bestandsaufnahme zum Wandel inWissenserwerb und -vermittlung durch das Internetund zur Rolle der UNESCO bei der Förderung vonWissensgesellschaf ten leitet Abdul Waheed Khandieses Heft ein. Andreas Vogel stellt mit dem Berichtder Expertenkommission »Bildung mit neuen Medien« aktuelle politische Überlegungen in Deutschland vor.Gabi Reinmann und Hermann Engesser beschäftigensich mit den Begriffen Informa tion, Wissen undBildung im Internetzeitalter.

Wie verändert das Internet das Ler nen in verschiede-nen Bildungs stu fen? Die Artikel von Dirk Frank undMichael Schopen, Uwe Hochmuth und Michael Mangold, Rolf Schul meister sowie Friedrich W. Hesse und Maike Tibus beschäftigen sich mit dem Einsatzdes Internets in Schu le, Berufsbil dung, Hochschuleund im informellen Bereich. Celina Ramjoué stelltChan cen und Herausforderungen des »Open Access«-Modells vor, das kos tenlosen Zugang zu Forschungs-ergebnissen ermöglichen soll. Welche Rolle spielenheute Bibliotheken beim Lernen auf allen Bildungs-stufen? Sie sichern als öffentliche Institution Zugang zu allen Medienformen und In halten für die Zivilgesell-schaft, so das Fazit von Barbara Lison.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damitdas Internet den Aufbau von Wissensgesellschaftenvoranbringt? Mit den Online-Enzyklopädien Wikipediaund Meyers Lexikon Online stel len Arne Klempert undBernd Kreissig zwei Modelle zur Quali tätssicherungvor. Dirk Lewan dowski beschäftigt sich mit dem wohlwichtigsten Schlüssel zum Internet, den Suchmaschi-nen, die heute wesentlich darüber ent schei den,welche Informationen als wichtig wahrgenommenwerden. »Wir brauchen nicht mehr und nicht wenigerals eine neue Datenschutzkultur«, so das Fazit desBundesbeauftragten für den Datenschutz und dieInforma tionsfreiheit Peter Schaar im Interview mit UNESCO heute. Was bedeutet Medienkompetenzheute und wie ist es um die tatsächlichen Kompetenzender Nut zer bestellt? Diesen Fragen gehen Dorothee M.Meister und Bianca Meise nach. Debora Weber-Wulff

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setzt sich mit der unter Lernen den weit verbreiteten»Copy & Paste-Mentalität« auseinander.

Das Heft schließt mit neuen Chan cen, die das Internetzur Förderung wichtiger Anliegen der UNESCO eröff-net. Carl Philipp Burkert beschreibt Konzepte derpolitischen Bildung im Internet. Walter F. Kugemannund Bernd Bischoff zeigen auf, dass das Internet dieBildung benachteiligter Gruppen und die Integrationvon Mi granten in erheblichem Maße voranbringenkann. Welche Entwicklungsmöglichkeiten der Einsatzvon Informations- und KommunikationstechnologienEntwicklungsländern eröffnen kann, aber auch, welcheSchwierigkeiten damit verbunden sind, legen GünterPodlacha und Til Schönherr dar.

Eine über das Heft verteilte Auswahl von Projektbei-spielen zeigt, wie Wis sensgesellschaft durch das Internet ganz konkret und tagtäglich gestaltet wird.Diese Auswahl beansprucht selbstredend weder

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Repräsentativität noch Vollständigkeit. Es handelt sichum Projekte, die uns beispielhaft und inspirierend er-scheinen, mit vielen von ihnen arbeitet die DUK auf die eine oder andere Weise zusammen. Sehr herzlichdanken wir dem Zentrum für Kunst und Medientech-nologie in Karlsruhe, das uns eine Auswahl großartigerFotos aus seiner Ausstellung »YOU_ser. Das Jahrhun-dert des Konsumenten« zur Bebilderung des Heftes zurVerfügung gestellt hat. Wie der Lernende im Web 2.0.immer häufiger auch Produzent von Wissen ist, kannder Besucher dieser anregenden Ausstellung die Inhalteder web-basierten Kunstwerke selbst bestimmen.

»Information and communication technologies have acentral role to play in the quest for development, dignityand peace«, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon imFe bruar 2007 – und fast unwillkürlich möchte man hin-zufügen »…and in the quest for knowledge«. In diesemSinne wünschen wir Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Jörg Tauss, Vorsitzender des Fachausschusses Kommunikation und Information der DUK, Mitglied des Bundestages

Dr. Barbara Malina, Referentin für Bildung und Kommunikation / Information der DUK

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Inhalt

UNESCO heute Nr. 1/2008 (1. Halbjahr)

Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Jörg Tauss / Barbara Malina

Moderne Wissensgesellschaften und die Versprechen des Internets . . 5Abdul Waheed Khan

»Web 2.0: Strategievorschläge zur Stärkung von Bildung und Innovation in Deutschland« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Zum Bericht der Expertenkommission »Bildung mit neuen Medien«Andreas Vogel

Wissen und Information im Zeitalter des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . 12Gabi Reinmann

Bildung im Stand-by-Modus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Zum Bildungsbegriff im InternetzeitalterHermann Engesser

Vom Hilfsmittel zur Lernumgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Digitale Medien in der SchuleDirk Frank / Michael Schopen

Niederschwelliger Zugang zu beruflicher Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . 23Welche Chancen bietet das Web 2.0?Uwe Hochmuth / Michael Mangold

E-Learning im Studium: Schwachstellen ausgleichen . . . . . . . . . . . . . 27Rolf Schulmeister

Informelles Lernen im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30Perspektiven aus lernpsychologischer SichtFriedrich W. Hesse / Maike Tibus

Open Access . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Den Zugang zu Forschungsergebnissen fördernCelina Ramjoué

Die Rolle der Bibliotheken im Internetzeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Barbara Lison

Titelfoto: PIPS:lab. Luma2solator, 2004, interaktive Nutzer-InstallationFoto © PIPS:lab

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Qualitätssicherung im Netz: das Beispiel Online-EnzyklopädienArne Klempert: die Online-Enzyklopädie Wikipedia . . . . . . . . . . . . . . 41Bernd Kreissig: Meyers Lexikon online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Informationen finden im Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Der Einfluss von SuchmaschinenDirk Lewandowski

»Wir brauchen nicht mehr und nicht weniger als eine neue Datenschutzkultur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48Interview mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar

Medienkompetenz als lebenslange Herausforderung . . . . . . . . . . . . . 53Dorothee M. Meister / Bianca Meise

»Wieso, im Internet ist doch alles frei?« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Copy & Paste-Mentalität unter LernendenDebora Weber-Wulff

Politische Bildung im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59Carl Philipp Burkert

Informationstechnologie und Bildung für benachteiligte Gruppen . . . 62Walter F. Kugemann

»E-Inclusion« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Integration von Migranten mithilfe des InternetsBernd Bischoff

E-Learning und Entwicklungszusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Verringerung der digitalen KluftGünter Podlacha / Til Schönherr

Vernetzung von Kunst und Neuen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72Das ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe

Impressum

UNESCO heute (ISSN 0937-924X)

Herausgeber: Deutsche UNESCO-Kommission e.V.Präsident: Walter HircheVizepräsidenten: Dr. Verena Metze-Mangold, Prof. Dr. Hermann SchäferGeneralsekretär: Dr. Roland Bernecker

Redaktionsanschrift: Colmantstraße 15, 53115 BonnTelefon (0228) 60 497-0Fax (0228) 60 497-30E-Mail: [email protected]

Redaktion:Antonie Curtius, Dr. Barbara Malina (verantwortlich) und Kurt Schlünkes

Redaktionelle Kürzungen, Bildauswahl,Überschriften und Veröffentlichung der eingesandten Artikel bleiben derRedaktion vorbehalten. Namentlichgekennzeichnete Artikel geben nichtimmer die Meinung der Redaktionwieder.

Erscheint halbjährlich. Bezug und Abdruck frei.Quellenangabe: UNESCO heute. Belegexemplar erbeten.

Kostenlose Abonnements an Privat-anschriften werden auf ein Jahr befristet.

Layout: MediaCompany GmbH

Satz und Druck: Medienhaus Plump,Rheinbreitbach

Auflage: 6.500

UNESCO heute wird auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.

unesco heute online www.unesco-heute.de

UNESCO heute wird vom AuswärtigenAmt der Bundesrepublik Deutschlandunterstützt.

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Moderne Wissensgesellschaftenund die Versprechen des Internets

Das letzte Jahrhundert war vom Sie-geszug verschiedenster Technologienzur Informations- und Wissensver-breitung geprägt, wie dem Telegra -phen, dem Telefon, dem Radio, demComputer. Doch erst im letzten Jahr-zehnt kam ein gänzlich neuartiges Me-dium auf, das die gesamte men sch -liche Kommunikation in noch niedagewesener Art und Weise revo-

lutionierte: das Internet. Am 30. April1993 wurde das World Wide Web offiziell freigegeben. Damit hatte sichdas Internet als Massenmediumdurchgesetzt. Es ermöglichte eine bei-spiellose Integration verschiedensterDienstleistungen in ein und dieselbeTechnik und markierte den Beginneiner neuen Ära der Kommunikationund Wissensvermittlung. Schon

damals bezeichnete Tim Berners-Lee,der Erfinder des World Wide Web,das neue Netzwerk als »Medium fürdie menschliche Kommunikation:Kommunikation durch Austausch vonWissen« (www.w3.org/1998/02/Potential.html).

Der Aufstieg des Internets rief enthusiastische Reaktionen von

Abdul Waheed Khan

PIPS:lab. Luma2solator, 2004, interaktive Nutzer-Installation

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Die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien während der letzten Jahr-zehnte hat die Voraussetzungen für den Aufbau moderner Wissensgesellschaften grundlegend verändert. DasInternet scheint sich als Medium par excellence zur globalen Informationsverbreitung und Kommunikationherauszubilden – aber trägt es tatsächlich dazu bei, Wissensgesellschaften aufzubauen und zu fördern?Welchen Chancen und Herausforderungen sehen wir uns gegenübergestellt, und wie kann die UNESCO ander Gestaltung moderner Wissensgesellschaften mitwirken?

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Computerspezialisten, Theoretikernund Politikern hervor. Aber es warenvor allem die normalen Nutzer, die mitBegeisterung die neue Technologiedes WWWs mit seinem immer grö-ßeren Netz aus untereinander ver-linkten Dokumenten, Bildern undanderen Quellen und die weiterenDienste des Internets, wie E-Mail, gemeinsamer Datenzugriff und In-stant-Messaging, aufnahmen. Die Zahlder Internetnutzer stieg von ein paarVereinzelten zu Beginn der 1990erJahre auf bereits 16 Millionen im Jahr1995 und über 300 Millionen zumJahrtausendwechsel. Laut InternetWorld Statist ics beträgt die Anzahl der Internet nutzer inzwischen über1,3 Milliarden, das entspricht einemFünftel der Weltbevölkerung.

Das Mandat der UNESCO

Die UNESCO erkannte frühzeitig dasenorme Potenzial des neuen Me-diums. Aufgrund der vereinfachtenMöglichkeit, neue Informationen zuproduzieren, zu bewahren und zu ver-breiten, erschien das Internet als dasideale Mittel zur Umsetzung des UNESCO-Mandats, »den freien Aus-tausch von Ideen durch Wort und Bildzu erleichtern« und durch »freienMeinungs- und Wissensaustausch dieBeziehungen zwischen den Völkern zuentwickeln und zu vertiefen« (Ver-fassung der UNESCO, Präambel undArtikel I.2). Die hohe Interaktivität desneuen Mediums erlaubte nicht nurdeutlich mehr Nutzern, auf Inhalte zuzugreifen und an deren Gestaltungmitzuwirken, als das bei traditionellenMedien der Fall war. Es bot vor allemdie Möglichkeit, die ganze Welt mit-einander zu vernetzen. Dies ließ dieVision eines universellen Ideen- undWissensaustauschs zwischen Men -schen aller Völker der Welt, unge-achtet ihrer Sprache und Kultur, ihresAlters und sozialen Status’, in greif-bare Nähe rücken.

Formale Anerkennung erhielten dieseVersprechen während des UN-Welt-gipfels zur Informationsgesellschaft(World Summit on the InformationSociety), der 2003 in Genf und 2005 in

Tunis abgehalten wurde. Aus derÜberzeugung heraus, dass jeder, undganz besonders Minderheiten undRandgruppen, von den Möglichkeitender Informations- und Kommunika-tionstechnologien und speziell des In-ternets profitieren können, bestandallgemeiner Konsens über den drin -genden Bedarf, den Zugang zu Infor -mationsinfrastrukturen und -tech-nologien zu verbessern. Neben derZugangsfrage sahen die Vertreter deram Weltgipfel teilnehmenden Staatendie größte Herausforderung jedochdarin, die Kompetenzen auszubilden,die zur Nutzung dieser Technologiennötig sind. Zudem sollten sowohl dieSicherheit und das Vertrauen in dieseTechnologien verstärkt werden, alsauch der Respekt vor der kulturellenVielfalt im Netz gewährleistet und dieethischen Dimensionen der Informa -tionsgesellschaft stärker berücksich-tigt werden.

Die Informations- und Wissenskluft

Genau fünfzehn Jahre nach der of-fiziellen Einführung des World WideWeb und einige Jahre nach dem Welt-gipfel liegt noch ein weiter Weg biszum gleichen Zugang zu Informationund Wissen in allen Ländern vor uns.Das Potenzial des Internets als welt-weites Kommunikations- und Infor-mationsmedium, das die Verbreitungvon Wissen vereinfacht, ist noch lan-ge nicht überall verwirklicht.

Dabei konnten wir in den letzten Jah -ren immer häufiger feststellen, wiestark die globale Entwicklung von derFähigkeit abhängt, Information undWissen effektiv zu produzieren, zuverbreiten und zu nutzen. Jenseits derunbestreitbar wichtigen Rolle derTechnologien sind Informationsmana-gement und Wissenserwerb vonwachsender Bedeutung für die glo -bale Wettbewerbsfähigkeit jedesLandes.

Viele Entwicklungsländer im asiati-schen Raum und einige afrikanischeLänder holen jetzt erst auf. Sie sindauf dem Weg, ihren Bürgern einen

Eine neue Ära der Kommunikation undWissensvermittlung

Die »Informationskluft«zwischen Industriestaatenund Entwicklungsländern:

• Nur sechs Prozent der afrikanischen Bevölke rungbesitzen ein Fern sehgerät,nur jeder fünfte Afrikaner besitzt ein Radio.

• 80 Prozent der Bevölkerungin Europa haben Zugang zu nationalen Zeitungen,während es in Afrika, Lateinamerika und vielenTeilen Asiens weniger als 25 Prozent sind, in manchen Län dern nicht einmal zweiProzent.

• In vielen Entwicklungs-ländern liegt der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zum Internet hat, bei weniger als einem Prozent.

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besseren Zugang zu neuen und altenMedien und damit den Empfang unddie Weitergabe von Informationen zuermöglichen. Andere Länder allerdingsgeraten aufgrund des mangelnden Zugangs zu Information, Wissen undtechnischem Know-how immerstärker ins wirtschaftliche Abseits.

Die Kluft zwischen Industriestaatenund Entwicklungsländern besteht wei-terhin und geht weit über den schlich-ten Zugang zu Informationstechnolo -gien und zum Internet hinaus. Sie be-trifft vielmehr alle vier Elemente, diefür die UNESCO Bausteine von Wis-sensgesellschaften darstellen:Wissensaufbau, Wissenserhaltung,Wissenserwerb und Wissensaus-tausch. Das UNESCO-Konzept derWissensgesellschaften ist noch langenicht Wirklichkeit geworden, zu-mindest in den meisten Teilen derWelt.

Dieses Konzept beruht auf einer soli-darischen, pluralistischen und ganz-heitlichen Sichtweise. Es beinhalteteine klar entwicklungsorientierte Per-spektive und berücksichtigt die Kom-plexität und Dynamik der aktuellenGlobalisierungsprozesse. Es beruhtauf unserer Überzeugung, dass dasTempo globaler Entwicklungsprozessedavon abhängt, inwieweit wir Wis -sens klüfte vermindern können. Dierasanten Veränderungen in der Weltder Informations- und Kommunika -tionstechnologie, besonders neu auf-kommende Technologien wie Handyoder Breitband, können uns dabeihelfen.

Weltweit zählen wir heutzutage überdrei Milliarden Besitzer von Mobil -telefonen und über eine Milliarde Internetnutzer. Beflügelt von denKombinationsmöglichkeiten digitalerTechnik haben sich alle gängigen Netz-werk- und Servicetechnologien dras -tisch fortentwickelt, indem sie ver-schiedene Dienste für Video-, Audio-und Datenübertragung mit der Mög lichkeit zur Sprechverbindungkombinierten. Damit ist der Weg freifür die erste Welle von wirklichallumfas senden Kommunikations-

systemen, die uns weit über dieklassischen, auf Mensch-Maschine-Interaktion beruhenden Netzwerk-systeme hinausbefördert.

Parallel dazu gewinnen Netzwerk-gemeinschaften immer mehr an Be -deutung. So erlebt die zweite Gene -ration der Web-Technologie, das Web2.0, einen raschen Aufstieg. Mit Hilfevon Plattformen wie Wikipedia inter-agieren Internetnutzer miteinanderund unterstützen sich gegenseitig imAufbau von neuem Wissen, indem siebeständig Informationen austauschen,sammeln und korrigieren. In virtuellensozialen Netzwerken entstehen neueFormen des Datenaustauschs und derkreativen Zusammenarbeit.

Das Internet als Mittel zurUmsetzung des UNESCO-Mandats, durch »freienMeinungs- und Wissens-austausch die Beziehungenzwischen den Völkern zuentwickeln und zu vertiefen«.

Demokratiebildung im Internet weltweit

www.dadalos.org

Was bedeutet Demokratie? Welche Menschenrechte gibt es? Wie funktioniert dieEU? Und wie unterrichtet man solche Themen? Auf diese Fragen gibt der interna-tionale UNESCO-Bildungsserver D@dalos Antworten.

Das Projekt ist aus der Zusammenarbeit der deutschen UNESCO-Projektschulenmit Partnerschulen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens hervorgegangen.1998 beschloss ein deutsches Team den Aufbau des Bildungsservers, um dieDemokratie- und Friedenserziehung an Schulen in Südosteuropa zu fördern. Heute stehen elf Online-Lehrbücher in neun Sprachen (in allen Sprachen desehemaligen Jugoslawiens sowie Bulgarisch, Englisch und Deutsch) kostenlos zurVerfügung: Baukästen, in denen sich Lehrerinnen und Lehrer Hintergrundinfor -mationen und Unterrichtsmaterialien zu den Themen Menschenrechte, Demokratieund Friedenspädagogik je nach Bedarf aussuchen können. Für Fortbildungen wiezum Beispiel Computerkurse und Seminare zur Politikdidaktik dient die Websiteals wichtigste begleitende Ressource. Über acht Millionen Besucher weltweithaben sie bisher genutzt. Der Bedarf nach einem zielgruppenspezifischen Angebotim Bereich Demokratieerziehung ist groß.

Der Bildungsserver wurde mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes,der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Deutschen UNESCO-Kommission aufgebaut.Die beiden Träger – der Verein Pharos e.V. Stuttgart (www.pharos-online.org) undD@dalos Sarajevo – bemühen sich um eine Erweiterung des Bildungsservers umfranzösische, russische, arabische und chinesische Sprachversionen.

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Neue Herausforderungen

Neben den großen Vorteilen bringt dertechnische Fortschritt jedoch neueHerausforderungen mit sich, denensich auch die UNESCO stellen muss.Aufgrund der immer höheren Kom-plexität des Internets und auch deranderen Informations- und Kommu-nikationsmedien wächst der Bedarf anKompetenzen, die wir brauchen, umvon diesen Technologien profitieren zukönnen. Während meist die Frage desZugangs zu digitalen Medien im Fokussteht, konzentriert sich die UNESCOeher auf den Inhalt der Informations-medien und die Fähigkeiten der Men -schen, Information und Wissen effi -zient zu nutzen.

Benachteiligte Völker und Gemein -schaften müssen einerseits dazu befähigt werden, Information zuschaffen und langfristig zu bewahren.An de rerseits benötigen sie das nötigeKnow-how für die Nutzung von Tech-nologien, die ihnen erlauben, ihre ei-genen und die von anderen bereit-gestellten Informationen abzurufen.Erst die effektive Verwendung vonInformationen führt zum Aufbau vonneuem Wissen und damit zu gesell-schaftlichem Fortschritt. Aus diesemGrund wirkt die UNESCO an Aktivi-täten mit, die den Nutzen des Inter-nets erhöhen sollen. So unterstütztsie beispielsweise im Rahmen des

»Internet Governance Forum« (www.intgovforum.org) den politischen Dia-log über die ethischen Dimensionendes Internets, die Verwirklichung derVielsprachigkeit im Internet und dieVerbesserung von Nutzungsbedin gun -gen und -kompetenzen.

Die »Kronberger Erklärung«

Im Sommer 2007 diskutierte eine Expertengruppe auf einem von derUNESCO und der Deutschen UNESCO-Kommission organisiertenTreffen in Kronberg über die Zukunftvon Wis senserwerb und Wissensver-mittlung in den nächsten fünfund-zwanzig Jah ren. Die Teilnehmer hiel-ten fest, dass die Informations- undKommunika tionstechnologien enormesoziale Veränderungen mit sich brin -gen. Deshalb betont die »KronbergerErklärung« (www.unesco.de/kronberg_declaration.html) dieChancen der Bildung durch das In-ternet. Es geht darum, die In for -mations- und Kommunikationstech-nologien in den Dienst der modernenWissensgesellschaften zu stellen, indenen das Ziel einer Bildung für alleMenschen im Mittelpunkt steht.

Es ist zu vermuten, dass Wissens-erwerb und -weitergabe in Zukunftimmer stärker von technischen Ent-wicklungen geprägt sein werden undInformations- und Kommunikations-

Axel Roch/Mehi Yang. mikrogalleri.es, 2007, interaktive Netz-Plattform

Die »Kronberger Erklärung«betont die Chancen für die

Bildung.

Aufgrund der immerhöheren Komplexität des

Internets wächst der Bedarfan Kompetenzen, die wirbrauchen, um von diesenTechnologien profitieren

zu können.

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Andreas Vogel

Web 2.0: Strategievorschläge zur Stärkung von Bildung und Innovation in Deutschland

Abdul Waheed Khan istBeigeordneter General-direktor der UNESCO für Kommunikation und Information.

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prozesse daher weiterhin enormenVeränderungen unterworfen seinwerden. In den kommenden Jahr-zehnten wird die Bedeutung von Fak-tenwissen abnehmen, während esimmer wesentlicher wird, sich ineinem komplexen System aus Datenzurechtzufinden, relevante Informa -tionen sowohl finden als auch be-werten und kreativ nutzen zu können.Tim Berners-Lee sah schon vor überzehn Jahren voraus: »Das Netz wirderhebliche Auswirkungen auf dieMärkte und Kulturen der ganzen Welthaben: Intelligente Auftraggeber wer -den die Märkte entweder stabilisierenoder destabilisieren; die Distanzver-

kürzungen werden Kulturen entwederhomogenisieren oder polarisieren; derZugang zum Internet wird uns entwe -der auseinander treiben oder einandernäher bringen; der Pfad wird uns ent -weder zu Neid und Hass führen oderzu Frieden und Einvernehmen.«

Ich habe großes Vertrauen, dass wirfähig sind, den zweiten Pfad zu wäh -len und alle Möglichkeiten des Inter-nets zu nutzen, um die »Wissens-kluft« zwischen den Ländern zuschlie ßen und die Grundlagen fürmoderne Wissensgesellschaftenüberall in der Welt zu schaffen.

Zum Bericht der Expertenkommission »Bildung mit neuenMedien«

Ende 2006 berief die Bundesminis-terin für Bildung und Forschung(BMBF), Dr. Annette Schavan, eineExpertenkommission zum Thema»Bildung mit neuen Medien«. Zielwar es, die zukünftige Entwicklungdes Internets und seines wachsen-den Anwendungspotenzials in Bil -dungskontexten zu untersuchen undHandlungsempfehlungen für die För-derpolitik des BMBF zu erarbeiten. In seinem Bericht »Web 2.0: Strate -gievorschläge zur Stärkung von Bil -dung und Innovation in Deutschland«vom 12. März 2007 setzt sich das 14-köpfige Expertengremium mit demSchub an innovativen Anwendungenauseinander, den das Internet derzeiterfährt. Charakteristisches Merkmaldieser Entwicklung ist die Bildungvon Communities jedweder Art, also

einer öffentlichen Beteiligung imNetz. Web 2.0 ist zur Metapher fürneue nutzerbetriebene Internet-anwendungen geworden, die großesInnovationspotenzial versprechen.Das Strategiepapier skizziert wesent-liche Entwicklungslinien des Web 2.0sowie damit verbundene bildungs-und innovationspolitische Heraus-forderungen.

Lehr- und Lernprozesse werden sichverändern. Dies gilt insbesondereauch für das informelle Lernen, dasim beruflichen Bereich zunehmendan Bedeutung gewinnt. Die Mit-glieder der Expertenkommission sindder Ansicht, dass es gerade in derjetzigen Pionierzeit wichtig ist, imRahmen staatlicher Innovationspro-gramme die Potenziale dieser Ent-

wicklung aufzuspüren und auszu -schöpfen.

Web 2.0 wird als Herausforderungund als Chance begriffen. Dabeisteigen nicht nur die Anforderungenan die kommerziellen Anbieter, son -dern auch an die Nutzer. Der Umgangmit der neuen Vielfalt muss erlerntwerden. Die Fähigkeit, sich gestal -tend in dieser Welt bewegen zu kön -nen, ebenso wie das Vermögen vonUnternehmen und Institutionen, sichdurch Nutzen der Potenziale Wett-bewerbsvorteile zu erschließen, er-fordern eine enge Verzahnung vonKompetenzentwicklung, Wissens-aneignung und Arbeitsprozessen. Auf Bildung und Wissenschaftkommt hier eine besondere Rolle zu.Beide sind originäre Bereiche der

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Wissensarbeit, die selbst dem tech-nologischen Wandel ausgesetzt sind.Nach Ansicht der Experten müssenentsprechende Pilotumgebungen ge-schaffen werden, Beispiellösungenentwickelt und die erforderlichenKompetenzen aufgebaut werden, die zur Erprobung neuer Formen derWissensarbeit und des Lernens er-forderlich sind. Der aktuell stattfin -dende technologische Wandel imWeb 2.0 bietet also große Chancenfür die Umsetzung der notwendigenInnovationen in Bildungsprozessen,die wiederum Anstoß für weitere Innovationen bei Produkten undDienstleistungen sein können.

Eine politische Initiative, die eineschnelle und breite Anwendung vonWeb-2.0-Techniken und deren Weiterentwicklung in Deutschland

voranbringt, sollte laut der Experten-kommission folgende Ziele verfolgen:• dem Markt für innovative wissens-

intensive Produkte und Dienst-leistungen einen starken Impulsgeben,

• die durch die Informations- undKommunikationstechniken und insbesondere durch Web-2.0induzierten Strukturveränderungenbeschleunigen,

• neue Formen von Arbeits- undQualifizierungsprozessen fördern,

• ein Klima für Innovationen in demWachstumsmarkt der Informations-und Wissensverarbeitung und für die Weiterentwicklung des Internets schaffen,

• die digitale Spaltung mildern.

Die Arbeitsgruppe gibt drei Hand-lungsempfehlungen. Um Potenziale

der Internet-Technologie für Deutsch-land auszuschöpfen, muss eine Viel -zahl von neuen Web-2.0-basiertenAnwendungen für die Wissens-gesellschaft geschaffen werden.Erfolgsfaktoren für den Einsatz von Web- 2.0-Anwendungen müssenidentifi-ziert und gestärkt werden. Dadurch können dann Nutzer zueffizienten und effektiven Inter-aktions- und Kooperationsformenangeregt werden.

Nach Meinung der Expertenkommis-sion sind Fördermaßnahmen bevor-zugt auf Ziel- und Gesellschaftsgrup-pen zu fokussieren, in denen das Potenzial von kollaborativen Arbeits-formen besonders hoch einzuschät -zen ist. Wegen der Vorreiterrolle vonBildung und Wissenschaft in demFeld der Wissensarbeit sollte auch

Catalina Ossa/Enrique Rivera. MULTINODE_METAGAME, 2007, interaktive Nutzer-Installation

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der Schwerpunkt der Maßnahmen indiesen Bereichen liegen. Flankierenddazu ist es aber auch notwendig,Kompetenzen der Bürger im Umgangmit entsprechenden Technologien zustärken, um so die digitale Spaltungabzumildern.

Um die genannten Handlungsemp-fehlungen umzusetzen, werden vonder Arbeitsgruppe Maßnahmen inden Bereichen Leuchtturmprojekte,Ausarbeitung eines Forschungs- undInnovationsprogramms und Qualifi -zierung der Nutzer empfohlen. Dabeikann nach Ansicht der Experten dieInitiative Web-2.0 des BMBF einensubstanziellen Beitrag zu Innovatio -nen in Deutschland leisten und zurQualifizierung im Umgang mit undüber digitale Medien beitragen.

Lehrer-Online und lo-net² – Unterrichten mit digitalen Medien

www.lehrer-online.de

Lehrer-Online ist eine Service- und Informations-plattform für Lehrerinnen und Lehrer, die digitaleMedien stärker in den Unterricht einbeziehenmöchten. Individuell adaptierbare Unterrichts-

materialien, Rezensionen, Linksammlungen und mehr – Lehrer-Online bietet alles,was beim Unterrichten mit digitalen Medien hilft und die Vorbereitung erleichtert.Ergänzend dazu infor mieren aktuelle Meldungen über Neues aus der Bildungswelt.Das Projekt wird von der lo-net GmbH betrieben.

www.lo-net2.de

Neben den inhaltlich ausgerichteten Bereichen vonLehrer-Online unterstützt die Lern- und Arbeitsplatt-form lo-net² den Austausch zwischen Lehrenden undLernenden. Bei lo-net² können Schulen sich intern

sowie mit anderen Einrich tungen virtuell vernetzen. Erprobte Kommunikations-werkzeuge ermög lichen die Einbindung digitaler Medien in den Schulalltag.

Ministerialrat Dr. Andreas Vogel ist Leiter des Referats »Neue Medien in derBildung« im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Der Bericht der Expertenkommission ist unter www.bmbf.de/pub/expertenkommission_web20.pdfabrufbar. Inzwischen ist auf der Grundlage der Empfehlungen auch eine Förderbekanntmachung desBMBF erfolgt (www.bmbf.de/foerderungen/12128.php).

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Jeffrey Shaw/Peter Weibel. YOUbiläums Browser, 2007, interaktive Daten-Installation

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Wissen und Information im Zeitalter des Internets

Gabi Reinmann

Die Informationsflut im Internetsteigt unaufhörlich. Aber steigt da-mit auch die Menge und Qualitätdes Wissens der Internetnutzer?Was ist der Unterschied zwischenInformation und Wissen, zwischenöffentlichem und personalemWissen? Der folgende Artikel klärtdie Begrifflichkeiten und fragt,inwieweit Wissen über das Internetvermittelt werden kann.

Wissen – was ist das?

Wissen – das ist ein Wort, das wirauch in der Umgangssprache häufigverwenden: Wir sprechen davon,Wissen in der Schule erworben zuhaben, und meinen damit Kenntnis-se, manchmal auch Fähigkeiten. Wirgehen davon aus, dass Enzyklopä -dien wissenschaftliches Wissen ent-halten, und meinen damit dokumen-tierte Ergebnisse des Denkens undHandelns von Forschern aus allerWelt. Wir sagen, dass wir um dieBedeutung einer Sache wissen, undmeinen damit, verstanden zu haben,dass etwas wichtig ist. Wenn wirdarauf verweisen, dass uns das Le -ben wissender macht, meinen wirdie Erfahrung, die wir sammeln;manchmal geben wir diese in Wort,Schrift oder Bild an andere weiter.

Und all das ist Wissen? Auf dieseFrage gibt es keine einfache Antwort:Manche bestreiten, dass dokumen -tierte Forschungsergebnisse und diein Wort, Text oder Bild gegossenenErfahrungen Wissen sind, und ge-stehen diesen lediglich den Statusder Information zu. Diese begrifflicheUnsicherheit schlägt sich auch in derKontroverse nieder, ob unsere Gesell-schaft eine Wissensgesellschaft odernicht doch (nur) eine Informations-gesellschaft ist.

Die Theorie der Strukturgenese(Seiler 2008) betrachtet die Entste-hung von Wissen im Menschengenauer. Danach ist menschlichesDenken und Handeln weder vor-gegeben, noch entsteht es aus einereinfachen und schrittweisen Ab-bildung von Wirklichkeit. Vielmehr

the Slatelliterates. ZKM_YOUniverse in Second Life, 2007, interaktive Nutzer-Installation (cc) the Slatelliterates, screenshot

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konstruiert jedes erkennende Subjektsein Wissen selbst. Erkenntnisstruk -turen, die dem Wissen zugrunde lie -gen, werden aufgebaut, auf die erfah-rene soziale und gegenständlicheUmwelt angewendet (Assimilation)und an das Erfahrene nach und nachangepasst (Akkomodation). DieserVorgang verläuft langsam, kontinu -ierlich und in Zyklen – ein Leben lang.Dabei beziehen sich Erkenntnisstruk -turen nicht nur auf Wahrnehmen,Denken und Problemlösen, sondernauch auf das Wollen, Fühlen undwertbezogene Urteilen des Men -schen.

Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, dass Verständigung zwi -schen Menschen unmöglich wird,wenn alles Wissen subjektiv kon-struiert ist. Man kann in der Tat nichtdavon ausgehen, dass jemand genaudieselbe Bedeutung konstruiert, dieein anderer mit einer Äußerung ge-meint hat. Die alltägliche Erfahrungist voll von Beispielen für eine man-gelnde Deckung des Wissens zwi -schen Personen: man redet aneinan -der vorbei, E-Mails werden fehlge -deutet, direkte und medienvermittel-te Dialoge laufen aus dem Ruder.Dass Verstehen und Austauschtrotzdem bis zu einem ge wissenGrad möglich sind, liegt daran, dassviele Wissensinhalte sozial aus-gehandelt, objektiviert und dann –zum Beispiel in Form von Dokumen -ten – materialisiert werden. Hierkommt eine Unterscheidung insSpiel, die indirekt den Informations-begriff in die Diskussion bringt: näm-

lich die zwischen personalem undöffentlichem Wissen.

Information und Wissen – wo istder Unterschied?

Personales Wissen zeichnet sich da-durch aus, dass es zunächst nur derjeweiligen Person selbst zugänglichist. Es kann aber unterschiedlich be-schaffen sein und seine Beschaf fen-heit ändern:• Ein Teil des personalen Wissens

entsteht aus konkretem körper-lichen Tun und zeigt sich nur imHandeln oder Problemlösen. Diesesenaktive Wissen (Handlungswis-sen) ist dem Bewusstsein meistnicht (mehr) zugänglich, es ist»stilles« Wissen und weit davonentfernt, sprachlich artikuliert zuwerden.

• Wissen, das unabhängig von Wahr-nehmungen und Handlungen in derVorstellung aktiviert werden kann,nennt man intuitives oder bildhaftesWissen. Es ist vorbegrifflich, kannebenfalls noch nicht sprachlich ar-tikuliert werden und stützt sich aufbildliche Vorstellungen und erfah-rene Beziehungen.

• Für die Entwicklung von Erkennt-nistätigkeit ist das begriffliche Wis -sen entscheidend. Dieser Teil despersonalen Wissens entsteht durchverschiedene Transformationen ausenaktivem und bildhaftem Wissen.Es ist bewusstseinsfähig und kannexplizit artikuliert, also auch sprach-lich dargelegt werden.

Personales Wissen

ist dem Bewusstsein ist sprachlich

Begriffliches Wissen zugänglich artikulierbar

Bildhaftes Wissen über Vorstellungen i.d.R. nicht artikuliertz.T. zugänglich

Enaktives Wissen nicht (mehr) zugänglich nicht artikulierbar

Ist unsere Gesellschaft eine Wissensgesellschaftoder nur eine Informations-gesellschaft?

Was an Wissen öffentlichgemacht wird, wird seitjeher durch technologischeErrungenschaften enormbeeinflusst.

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Öffentliches Wissen ist Wissen, dasim Gegensatz zum personalen Wis -sen nicht nur einer Person (der, diedas Wissen hervorgebracht hat),sondern auch anderen prinzipiell zu-gänglich ist. Diese Form des Wissenslässt sich mit anderen teilen, weil esin irgendeiner Form materialisiert ist.Auch das öffentliche Wissen kommtin verschiedenen Ausprägungen vor:• Kollektives Wissen ist für den Aus-

tausch von Wissen am wichtigsten.Es entsteht, wenn Menschen Be-deutungen aushandeln, verdichten,vereinheitlichen und systematischdurch Zeichen (vor allem durch

Sprache) darstellen. Diese Formdes Wissens kann man als Infor-mation bezeichnen. Wissen im objektivierten Zustand – also Infor-mation – ist ein in Zeichen »einge-frorenes« Wissen und kann vonIndividuen aktualisiert und ver-standen werden, die wissen, wasdiese Zeichen bedeuten.

• Formalisiertes Wissen ist kollek-tives Wissen, das noch einmal nachfestgelegten Kriterien und Zuord-nungsregeln transformiert wird,sodass Daten entstehen, die sichelektronisch weiterverarbeiten undspeichern lassen. Dies erfolgtjedoch ohne Steuerung und Kon-trolle denkender Individuen.

Welchen Einfluss nimmt das Internet?

Jeder baut im Laufe seines Lebenspersonales Wissen auf. WelchenUmfang und welche Qualität diesesWissen hat, ist Ergebnis einer Inter-aktion zwischen uns und unsererUmwelt, also auch dem jeweilsöffentlich zugänglichen Wissen. Daswar doch, so könnte man sagen,schon immer so. Was allerdings anWissen tatsächlich öffentlich (ge-

macht) wird, unterliegt einer his-torischen Entwicklung und wird seitjeher durch technologische Errun -genschaften enorm beeinflusst. Soauch heute: Das im Internet verfüg-bare öffentliche Wissen wächst unaufhörlich, weil man es immerleich ter, schneller und in größerenMengen verbreiten kann und immermehr Menschen darauf zugreifen.Die digitale Wissenswelt wächst aberauch deshalb, weil Nutzer des In-ternets im Vergleich zu früher öftervon der Konsumenten- in die Pro-duzentenrolle wechseln und tech-nische Werkzeuge zur Publikation von

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Öffentliches Wissen

ist transformiert wird weiter verarbeitet heißt auch

Kollektives Wissen in Zeichen durch menschlichen Dialog Information

Formalisiertes Wissen nach festen Regeln in elektronischer Form Daten

Bei Medien- undInformationskompetenz

kann man auch von »persönlichem Wissens-management« sprechen.

Literatur

• Thomas Bernhard Seiler:Wissen zwischen Sprache,Information, Bewusstsein.Probleme mit dem Wissens-begriff. MV Wissenschaft,2008.

• The Open KnowledgeFoundation: The ThreeMeanings of Open:www.okfn.org/three_meanings_of_open/

• Portal für PersönlichesWissensmanagement:www.persoenliches-wissensmanagement.com

Wissen unkomplizierter werden –auch für den technischen Laien (Stich-wort: Web 2.0). Nun könnte man aufdie Idee kommen, man müsse das Internet nur sich selbst überlassen,und das öffentliche, vielleicht auchpersonale Wissen würde quasi selbst-organisiert seinen Weg finden. Demist allerdings nicht so.

Mehr denn je wird es für eine Gesell-schaft wichtig, dafür zu sorgen, dass

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Wissen, wie’s geht! Zeigen, wie’sgeht!

www.internet-abc.de

Das Internet-ABC bietet als Ratgeber im Netz Hilfestellung und Informationenzum sicheren Umgang mit dem Internet. Die werbefreie Plattform richtet sich anKinder von fünf bis zwölf Jahren sowie Eltern und Pädagogen. Der Kinderbereichhält Seiten zum Spielen, Lernen und Kommunizieren bereit, um sich gefahrlos mitdem Netz vertraut zu machen. Kinder können sich Schritt für Schritt Grundlagenaneignen, zum Beispiel zu Viren, Chat oder Sicherheit im Netz. Sie haben auch dieMöglichkeit, sich zu jedem Thema Rat von einem Experten einzuholen. DieFeatures im Erwachsenenbereich liefern Tipps und Informationen rund um dasWorld Wide Web. Eltern erwerben Kenntnisse, die sie ihrem Kind weitervermittelnkönnen. Pädagogen erhalten Anregungen für die Praxis, in Form von fachgerechtaufbereiteten Unterrichtseinheiten für die Primarstufe.

Herausgeber der Website ist der Verein Internet-ABC e.V., dem zwölf Landes-medienanstalten angehören. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat dieSchirmherrschaft über die Plattform.

Menschen nicht nur über »nutzer-generierte Inhalte« verfügen, dierasch wachsen, ohne dass derenQualität gesichert ist. Vielmehr mussauch der Zugang zu wissenschaft-lichem oder didaktisch aufbereitetemWissen möglichst vielen Menschenoffen sein, damit jeder sein perso -nales Wissen erweitern oder ver-tiefen kann. Genau das haben Be-wegungen wie Open EducationalResources (OER) zum Ziel: Man kannden OER-Ansatz im weitesten Sinneals einen Wissensmanagement-Ansatz bezeichnen, geht es dochdarum, öffentliches Wissen im In-ternet aufzufinden, transparent undzugänglich zu machen, es zu verbrei-ten, bei Bedarf für neue Zielgruppenaufzubereiten und zu nutzen. Vonallein entwickelt sich ein solchesWissensmanagement in den sel-tensten Fällen. Es muss aktiv ge-staltet, gefördert und letztlich auch»belohnt« werden; es muss sich fürden Staat, die Hochschulen undandere Forschungs- und Bildungs-institutionen wie auch für dieforschenden und lehrenden Per-sonen lohnen.

Der Einzelne kann sich dabei wederzurücklehnen und darauf hoffen, dassman ihm die freien Bildungsressour-cen zuhause vorbeibringt, noch sollteer sich der Illusion hingeben, es ge-nüge der Zugang zu öffentlichemWissen als Ersatz für die mühsameEntwicklung eigenen personalenWissens. Wer die im Netz verfüg-bare Information sinnvoll nutzen will,braucht Medien- und Informations-kompetenz: Man muss geeigneteRessourcen finden, beurteilen, aus-wählen, verstehen und letztlich auchanwenden können. Aber Kompeten-zen dieser Art allein genügen im Zeit-alter des Internets nicht: Letztlichsind es das personale Wissen undBildung, die dem Individuum dieChance geben, an einer Wissens-gesellschaft aktiv zu partizipieren.

Prof. Dr. Gabi Reinmann ist Professorinfür Medienpädagogik an der UniversitätAugsburg.

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Hermann Engesser

Bildung im Stand-by-Modus?

Zum Bildungsbegriff im InternetzeitalterImmer mehr Studierende können dem gesprochenen Wort in Vorträgen nur noch dann folgen, wenn esmultimedial unterstützt wird. In diesem »PowerPointilismus« zeigt sich beispielhaft der Übergang vomLesen und Zuhören zum Schauen. Mit dem stürmischen Wachstum des Internets hat sich auch der Bildungs-begriff verändert. Professionalisie rung gewinnt an Bedeutung.

Der Weg in die Wiki-Welt

Seit der Aufklärung hat das Buch einebesondere Bedeutung bei der Or-ganisation, Verteilung und Vermitt-lung von Bildung und Wissen für diebürgerliche Gesellschaft. Standard-werk der Aufklärung wurde das vonD. Diderot und J. le Rond d’Alembertherausgegebene Werk »Encyclo -pédie ou Dictionnaire raisonné dessciences, des arts et des métiers«,das von 1751 bis 1780 in 35 Bändenerschien. Etwa 60.000 durch ein Ver-weissystem vernetzte Stichwort-beiträge spiegelten das »gebändigte«Wissen der damaligen Zeit. ÄhnlicheBedeutung errangen die von W.Smellie 1768 bis 1771 herausgege-bene Encyclopaedia Britannica unddas von F.A. Brockhaus ab 1805 ver-legte Konversationslexikon. Währenddie gedruckte Version der Encyclo-paedia Britannica bereits in den1990er Jahren herbe Umsatzrück-gänge hinnehmen musste und nach1995 keine Neuauflage mehr ge-druckt wurde, schaffte es die »ge-druckte« Brockhaus-Enzyklopädiegerade noch ins neue Jahrtausend.

Zum Jubiläum im Jahr 2005 starteteder Verlag die Auslieferung der 21.Auflage. Multimediale Versionenwurden parallel dazu im Internet undauf Speichermedien angeboten. Voreinigen Wochen erklärten die Lexi -konmacher aus Mannheim, dass eskeine weitere Auflage in gedruckterForm mehr geben werde, da es nichtmehr genügend Käufer gebe. Manwerde die Brockhaus-Enzyklopädienur noch im Internet »lesen« können.

Im neuen Jahrtausend wurde einneues, die interaktiven Möglichkeiten

Digitale Medien in der Hochschullehrewww.e-teaching.org

Das frei zugängliche Portal e-teaching.org bietet auf über 1000 Seiten wissen-schaftlich fundierte Informationen und praxisorientiertes Wissen zur Nutzung digitaler Medien in der Hochschullehre. Dozenten finden hier Materialien undPraxisbeispiele zu methodisch-didaktischen, technischen, gestalterischen undorganisatorischen Aspekten von E-Teaching. Der »NotizBlog« informiert täglichüber neue Inhalte und aktuelle Nachrichten aus dem Bereich E-Learning. Regelmäßig finden Online-Events wie Live-Webcast oder Chats mit E-Learning-Experten statt. Über 50 Partnerhochschulen geben auf dem Portal Einblick in ihre E-Learning-Aktivitäten.

Das Portal e-teaching.org wurde von der Bertelsmann Stiftung und der Heinz-Nixdorf Stiftung 2002 initiiert. Das Institut für Wissensmedien in Tübingen wurde mit der Konzeption, redaktionellen Betreuung und Evaluation des Portals beauftragt. Finanziert wird das Portal vom Ministerium für Wissenschaft undKunst Baden-Württemberg. Verbunden mit der Finanzierung ist der Auftrag, einLandesportal zur Darstellung der E-Learning-Aktivitäten der Hochschulen Baden-Württembergs zu entwickeln.

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Ronald Genswaider. Evolvr, 2007, interaktive Netz-Installation

des Internets nutzendes lexikalischesWissensprojekt gestartet, die Wiki-pedia. Zu der 2001 verwirklichten in-ternationalen Internet-Enzyklopädiekann grundsätzlich jeder als Autorsein Wissen beitragen. Nach eigenenAngaben schreiben 285.000 ange -meldete Autoren regelmäßig für dieWikipedia. Bis jetzt wurden in derWikipedia über zehn Millionen Bei-träge in mehr als 250 Sprachen ge -spei chert. In deutscher Sprache sindmehr als 700.000 Artikel vorhanden.Sämtliche Inhalte stehen unter derMaßgabe, dass sie von jedermannunentgeltlich genutzt, verändert undverbreitet werden können. Im Ge-gen satz zur klassischen Enzyklo-pädie, in der wenige Spezialistenschreiben, publizieren in der Wiki -pedia viele Leser ihr Wissen. EineQualitätssicherung ist in dieser freienInternet-Enzyklopädie nur dadurchgegeben, dass Fehler oder Manipula -tionen in Wortbeiträgen irgendwannNutzer finden, die es besser wissenund korrigieren.

Wissen wird flüchtig

Über die Jahrhunderte hat sich einriesiger Schatz an Wissen auf Buch-seiten angesammelt. Beinahe dasgesamte Wissen der Menschheit istin Büchern gespeichert und für dieZukunft archiviert. Auch dies ändertsich. Wir sind weit davon entfernt,anzunehmen, dass das im WorldWide Web vorhandene Wissen fürJahrhunderte vorgehalten wird. ImGegenteil, bereits nach wenigen Mo -naten können Webseiten verschwun -den sein. Auch die Zugangsbedingun -gen können sich ändern, oder dergesuchte Inhalt ist nicht mehr unterdem ursprünglichen Link erreichbar,sondern auf einer neuen Webseitemit anderer Adresse. Möglich istferner, dass sich das Gesuchte zwarauf der ursprünglichen Webseitebefindet, jedoch verändert wurde.Bei der Archivierung digitaler Wis-sensinhalte geht es also darum, Authentizität, Integrität und Funk-tionalität der Inhalte langfristig zu

garantieren. Die aus der Welt derBücher stammende internationaleStandardbuchnummer ISBN wurde1998 durch den Document ObjectIdentifier (DOI) ergänzt, der das Auf-finden von digitalen Inhalten ermög -licht, auch wenn sich die Informa -tionen über das entsprechende Objekt im Laufe der Zeit veränderthaben.

Mit dem Internet ändert sich dieBedeutung von Bildung und der sieermöglichenden und begleitendenMedien radikal. Die Wissensinhaltesind nun auf einem Bildschirm an-zuschauen. In der digitalen Weltfluten Buchstaben und Bilder aufdem Bildschirm am Betrachter vor -bei. Der Effekt, der sich beim Lernenmit einem Buch einstellt, dass näm-lich der Ort des Gelernten, ob dasGelernte vorne oder hinten im Lehr-buch stand, »automatisch« mitge-lernt wird, und ein gelernter Sachver-halt, den man vergessen hat, da-durch wieder aufgefunden werden

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kann, stellt sich beim Lernen mitelektronischen Systemen nicht mehrein, da es dort kein »vorne« und»hinten« gibt.

In der Welt des globalen Informa-tionsaustauschs verlieren regionaleoder nationale Ausprägungen verläss-licher Bildungsideale an Gewicht. Esstellt sich der kleinste gemeinsameNenner der Soft Skills ein, durch denKommunikation und Kooperationohne Grenzen ermöglicht werden. Da gleichzeitig die Innovationszyklenin immer kürzerer Zeit ablaufen,reicht es in vielen Disziplinen nichtmehr aus, ein Leben lang auf einmalGelerntes zu vertrauen. Man mussständig in der Lage sein, Gelerntesfalls erforderlich zu entsorgen undNeues zu lernen. Bei diesem Life-long-Learning haben interaktive Lern-umgebungen viele Vorteile. Aus-bildung und berufliche Weiterbildungwachsen zusammen.

Inzwischen wird E-Learning von vie-len in Studium und Beruf genutzt.Selbst das Fach- und Lehrbuch findetin seiner elektronischen Form, demE-Book, große Verbreitung. Die Flexi-bilität der elektronischen Lernweltscheint unbegrenzt und zeigt sich invirtuellen Seminaren und Tutorien mitTelekooperation, Televorlesungen,virtuellen Praktika und virtuellen La-borplätzen. Interaktives Lernen istzeitlich sehr flexibel möglich. DerLernende kann sich seine Lernzeitenselbst aussuchen. So ist das E-Lear-ning sehr attraktiv für die beruflicheWeiterbildung, da der Lernende seineLernaktivitäten mit seinen beruflichenund privaten Terminen koordinierenkann.

Tore zum Wissen

Der hohe Grad an Vernetzung unddas Zusammenwachsen von Fest-netzen und mobilen Netzen schaffenneue Möglichkeiten der Informationund Kommunikation. Sowohl überden PC als auch über mobile Gerätewie Notebook, Handy usw. kann fastunbegrenzter Datenaustausch erfol -gen. Die weltweit verfügbaren Infor -

mationen verdoppeln sich in immerkürzeren Zeiträumen von wenigenJahren. Aber die Informationen im Internet besitzen nur eine kurze Halb-wertszeit. Die über 500 MilliardenWebseiten im Internet haben einedurchschnittliche Lebensdauer vonetwa 100 Tagen. Damit wird dasFinden einer geeigneten Informationzur Hauptaufgabe. Das globale Infor-mationsangebot wird gleichzeitig alsInformationsüberflutung und alsInformationsmangel wahrgenom -men. Suchmaschinen helfen häufignicht wirklich weiter, da das Angebotdes Gefundenen vielfach zu groß ist.In diesem Zusammenhang gewinnenWissensportale an Bedeutung, da da-durch ein effizienter Zugriff auf dasdigital vorhandene Wissen und einsowohl für das Unternehmen alsauch für den Einzelnen vorteilhaftesWissensmanagement möglich wird.Wissensportale, die vor allem in Un-ternehmen eingesetzt werden, er-möglichen neben der schnellen Ver-breitung von Informationen auch diegezielte Suche und die Aufbereitungvon Wissen. Ferner stellen sie An-wendungen zur Verfügung, unter-stützen Unternehmensprozesse undermöglichen die Zusammenarbeitund die gemeinsame Wissensnut-zung über Abteilungs- oder gar Unter-nehmensgrenzen hinweg, sie erzeu -gen somit im Unternehmen einenpermanenten Lernprozess.

Wissen im Stand-by-Modus

Mit der stürmischen Entwicklung derTechnik und der Globalisierung habensich die Schwerpunkte des Wissens-erwerbs verschoben. Nicht mehr derBildungsbürger, der auch Interessenan zweckfreiem Wissen pflegte,steht im Vordergrund. Ihn hat derProfessional abgelöst, der virtuos die Techniken der digitalen Welt be-herrscht. Mit den elektronischenMedien lässt sich explizites oder explizit gemachtes Wissen digital er fassen, managen und mit Such-maschinen wiedergewinnen. Für denProfessional kommt es darauf an, zurrechten Zeit den Zugang zum Wissenzu haben, um es optimal gewinnen

und nutzen zu können. Wenn dasWissensmanagement immer effek -tiver wird, wandert immer mehr Wissen ins Netz. Es ist für den Menschen im Stand-by-Modus vor-handen. Der Mensch in der Wissens-gesellschaft benötigt im Wesent -lichen das Wissen über die Zugangs-mechanismen zum »elektronischen«Wissen. Ob dies wirklich ausreicht,wenn man das in Giga- und Terabytesgemessene Datenuniversum des Internets betrachtet, ist zu hinter-fragen. Unabhängig von der Medien-kompetenz scheint ein zweckfreiesBasiswissen unverzichtbar, um fürden unvorstellbar großen Datenozeanüberhaupt sinnvolle Fragen zu finden.Hierfür dürfte der humanistischeBildungshintergrund nach wie voreine gute Wahl sein.

Hermann Engesser ist Programmleiterfür den Bereich Informatik beimSpringer-Verlag Heidelberg und Chefredakteur derZeitschrift Informatik-Spektrum.

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Vom Hilfsmittel zur Lernumgebung

Digitale Medien in der Schule

Dirk Frank / Michael Schopen

Computer und Internet sind imschulischen Alltag angekommen.Jedoch werden ihre Potenziale inDeutschland noch nicht aus-reichend genutzt – das hat auchdie aktuelle PISA-Studie demdeutschen Bildungssystem insStammbuch geschrieben. Um dieRückstände in der Computer-bildung aufzuholen, bedarf eseines umfassenden Medienkon-zeptes der Schule.

Von den 1990er Jahren bis heute

1996 steckte die Vernetzung derbundesdeutschen Schulen noch inden Kinderschuhen: Gerade einmal800 der circa 34.000 Schulen inDeutschland verfügten damals übereinen Internetanschluss. Ende 2001waren alle Schulen formal »amNetz«. Damit war zumindest austechnischer Sicht die Voraussetzungdafür gegeben, dass die Schulennicht den Anschluss an die Wissens-und Informationsgesellschaft ver-lieren. Damit die Lehrkräfte die neu enMedien sinnvoll im Unterricht ein-setzen können, bedurfte es vor allem

geeigneter pädagogischer Konzepte.Schulen ans Netz als bundesweit tä-tiger Verein und andere Initiativen undProjekte von Bund, Ländern und Kom-munen haben seit den 90er Jahrenpädagogische Konzepte und Mate-rialien für den Unterricht entwickelt.Unterrichtsportale, Lernplattformen,Online- und Blended-Learning-Fort-bildungen haben die Integra tion derneuen Medien begleitet und unter-stützt. Ihre Potenziale können Com -puter & Co aber nur dann ent falten,wenn auch die Vermittlungsmodelleauf den Prüfstand gestellt werden undder Frontalunterricht alter Prägungneuen, zukunftswei senden Unter-richtsformen Platz macht.

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In der aktuellen Bildungsdiskussionfordert man nicht nur eine Öffnungvon Schule, sondern auch die Vernet-zung unterschiedlicher formeller undinformeller Lernorte wie Schule, Kita,Hochschule, Betrieb und Elternhaus.Besonders die Übergänge, sei es vonder Kita in die Schule oder von derSchule in Beruf und Ausbildung, ge-raten zunehmend in den Blick. Infor -mations- und Kommunikationstech-nologien können einen wichtigenBeitrag dazu leisten, Bildungspro-zesse innovativ und chancengerechtzu gestalten.

PISA & Co: Nachholbedarf inSachen Medienbildung

Computer und Internet sind im schu-lischen Alltag angekommen. Jedochwerden ihre Potenziale in Deutsch-land noch nicht ausreichend genutzt;das hat auch die aktuelle PISA-Studie2006 dem deutschen Bildungssys -tem ins Stammbuch geschrieben. ImVergleich der OECD-Länder belegtDeutschland bezüglich der schu-lischen Computernutzung einen be-schämenden letzten Platz. Schaut

man etwas genauer in die Studie,erkennt man durchaus auch positiveSignale. Ein im internationalen Ver-gleich überdurchschnittlich hoher An-teil der Jugendlichen setzt sich mitComputeranwendungen wie Textver-arbeitung oder Tabellenkalkulationauseinander und verfügt damit überKenntnisse, die für das weitere Aus-bildungs- und Berufsleben eminentwichtig sind. Die Tatsache aber, dassdeutsche Schüler Computer und In-ternet deutlich häufiger zuhause alsin der Schule verwenden, benachtei-ligt diejenigen Schüler, die aus bil -dungsfernen Familien kommen undsomit mit den digitalen Medien we -niger vertraut sind.

Warum digitale Medien in derSchule?

Der Einsatz digitaler Medien in derSchule wird teilweise wieder infragegestellt. Kritiker argumentieren, derComputereinsatz sei nicht effizientund verbessere auch nicht die Schul-leistungen. Wer nur auf den »Out -put« starrt, wird sicherlich kein zwin -gendes Argument für den Medien-

Im Berufskolleg Opladen erwerben angehende Erzieherinnen und Erzieher medienpädagogische Kompetenzen.

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Im Vergleich der OECD-Länder belegt Deutschland

bei der schulischenComputernutzung einen

letzten Platz.

Lernorte müssen vernetztwerden.

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einsatz finden. Aber diese Denk-weise greift erheblich zu kurz. Zuersteinmal sind Computer und Internetintegraler Bestandteil der heutigenLebenswirklichkeit. Ob man ihnen dieBedeutung einer neuen Kulturtechnikzubilligen möchte oder nicht: Wersich für heutige und künftige Heraus-forderungen in fast allen Berufenwappnen möchte, wer Informations-und Kommunikationsangebote kom-petent und selbstbestimmt nutzenmöchte, braucht Medienkompetenz,für deren Erwerb (auch) die Schulezuständig ist.

Medienkompetenz umfasst viel mehr als die bloße Bedienung einesMe diums. Wer mit Computer und Internet sinnvoll umgehen möchte,muss die Potenziale seiner Werk-zeuge kennen und gegebenenfallsauch kritisch hinterfragen. Die neuenMedien können entscheidend dazubeitragen, die Lehr- und Lernkulturnachhaltig zu verändern, wie es vonPISA & Co gefordert wird. StärkereHandlungs- und Produktorientierung,Selbststeuerung und Individualisie -rung sind nur einige Ziele, die aufideale Weise mit Com puter und In-ternet verwirklicht werden können.

Hilfsmittel, Lernumgebungen,Medienkonzepte

Wie können digitale Medien sinnvollin schulischen und außerschulischenBildungsprozessen zum Einsatz kom -men? Hier gilt es, didaktisch nach derReichweite und Intensität zu unter -scheiden. Zunächst können die neu -en Informationstechnologien als reineHilfsmittel für Unterrichtsprozesse –auch für die Unterrichtsvorbereitungder Lehrkraft – betrachtet werden:als Schreibmaschine, Kommunika -tionswerkzeug, als Instrument für diePräsentation oder die Recherche vonInformationen. Sie können aber auchin einem umfassenden Sinn als multi -mediale Lernumgebungen betrachtetwerden. Der medienintegrative An-satz bietet insbesondere aus lern-theoretischer Sicht Vorteile, da mit-tels Text, (bewegten) Bildern und Tonverschiedene Lernertypen angespro -chen werden. Hinzu kommen neue

Möglichkeiten der Simulation undDarstellung vernetzter Zusammen -hänge etwa durch Hypertextstruk -turen.

Grundsätzlich erfordert die Arbeit mitdigitalen Medien Kenntnisse und Er-fahrungen seitens des Lehrenden.Durch den Einsatz neuer Wissens-quellen und Rechercheinstrumenteliegt das »Wissensmonopol« nichtmehr ausschließlich bei der Lehrkraft,die zunehmend zum Begleiter von

»Planet Schule« – ein multimediales Bildungsportal

www.planet-schule.de

Im Februar 2008 haben die beiden Schulfernsehredaktionen von SWR und WDRihre Angebote in einer neuen Online-Plattform »Planet Schule« zusammengeführt.Lehrern und Schülern wird hier eine interaktive Lernwelt eröffnet, die das Interessean der eigenständigen Entdeckung neuer Themen wecken soll.

Zahlreiche didaktisch aufbereitete Filmbeiträge, die im Schulfernsehen des WDRund SWR ausgestrahlt werden, stehen den Nutzern jederzeit zur Verfügung. Inübersichtliche Kapitel eingeteilt, können sie gesichtet und bei Bedarf auf dem eigenen Rechner abgespeichert werden. Ergänzend hierzu gibt es Hintergrund-informationen zu den Schwerpunktthemen der Filme, Arbeitsmaterialien fürSchüler und Hinweise zum Unterrichtseinsatz für Lehrer. Viele innovative undinteraktive Elemente zum Lernen und Ausprobieren werden angeboten: Zeitraffer-und extreme Zeitlupenaufnahmen, Animationen, Comics, Lernspiele undSimulationen.

Die Bundesländer überlegen, die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunksim Internet im neuen Rundfunkstaatsvertrag stark einzuschränken. SowohlFernseh- und Hörfunkbeiträge als auch Textangebote sollen nur noch maximalsieben Tage ins Internet gestellt werden dürfen. Dies würde auch den Zugang zuBildungsangeboten wie »Planet Schule« betreffen.

Die neuen Medien könnenentscheidend dazu beitra -gen, die Lehr- und Lernkulturzu verändern.

Englisch lernen in derGrundschule: multimedialmit »Wizadora« – eineretwas anderen Sprach -reise durch Großbritan-nien

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liche Aspekte berücksichtigt werden,einschließlich Persönlichkeitsrechten.

Das »Mitmach-Web« in derBildung

Die Medienbildung steht vor neuenHerausforderungen. Das visionäreStichwort ist »Web 2.0«. Damit wirdeine stärkere Partizipation des Users,seine Vernetzung mit anderen In-ternetnutzern und die kollaborativeArbeit an Plattformen und Portalendiskutiert, die auch für die Bildungs-einrichtungen weitreichende Folgenhaben. Das Internet ist lebendiger,dynamischer und vielseitiger gewor-den. Einfach zu bedienende Anwen -dungen, die direkt im Web gestartetwerden, machen den vormals pas -siven User zum aktiven Gestalter –so die Idee von »Web 2.0«. Die Ins-titution Schule muss die Heraus-forderung durch das sogenannte»Mitmach-Web« konstruktiv anneh-men. Ansätze dazu liegen vor: Pod-casts, also Audio- und Videodateien,die abonniert werden, können alsMaterialquelle im Unterricht verwen -det oder auch selbst produziert wer -den, um zum Beispiel im Sprach-unterricht erworbene Kompetenzenzu festigen. »Wikis«, also kollektiv er-arbeitete Wissensangebote, tragendazu bei, dass die Unterrichtsergeb-nisse in ein »vorzeigbares« virtuellesLexikon einfließen. Über den Unter-richt hinaus können die Schüler ineinem Wiki wie in einem Bildungs-portfolio ihre Lernstationen doku-mentieren. Diese schülerzentriertenAnsätze setzen voraus, dass dieLehrkraft die Potenziale der neuenMedien kennt und zu nutzen weiß.

Michael Schopen ist geschäftsführenderVorstand von Schulen ans Netz e.V.

Dr. Dirk Frank ist Redakteur im BereichPresse- und Öffentlichkeitsarbeit vonSchulen ans Netz e.V.

Das »Wissensmonopol« liegtnicht mehr ausschließlich

bei der Lehrkraft.

Web 2.0: Der vormals passive Nutzerwird zum aktiven Gestalter.

Lernprozessen avanciert. Damit die inder PISA-Studie bemängelten Rück-stände in der Computerbildung auf-geholt werden können, müssen wei-tere Anstrengungen nicht nur in derFort- und Weiterbildung, sondern vorallem in der Erstausbildung von Leh-rern unternommen werden. Gleich-zeitig bedarf es eines umfassendenund systematischen Medienkonzep-tes der Schule, damit das Lernen mitdigitalen Medien institutionalisiertund dauerhaft betrieben werdenkann. Das Medienkonzept muss sichan den von Schuljahr zu Schuljahrfortschreitenden schulinternen und -externen Erfahrungen und dem je -weiligen Stand der Technik orientie -ren. Die Schulleitung ist dabei Motordieses Prozesses. Das im Team mitklaren Verantwortlichkeiten zu er-stellende Medienkonzept muss aufdie konkrete Situation der eigenenSchule (bauliche Situation, Finanzen,Grad der Qualifizierung, Personal,Fortbildung) ausgerichtet sein.

Jugendmedienschutz

Wer heute im Netz recherchieren,mit anderen Usern kommunizierenoder eigene multimediale Beiträgeveröffentlichen möchte, dem bietendie digitalen Medien ungeahnte Op-tionen. Damit einher gehen allerdingsauch Gefahrenpotenziale im WorldWide Web, über die sich Lehrkräfte,Administratoren und Schulleiter imKlaren sein müssen. Technische Vor-kehrungen wie zum Beispiel Filter-systeme können problematische In-ternetseiten blockieren. Sie bietenjedoch keinen absoluten Schutz undkönnen pädagogische Mittel, Nut-zungsvereinbarungen und das Ge-spräch mit den Schülern nicht er set-zen. Schüler sollten wissen, welcheGefährdungen im Netz lauern kön -nen, in Chats und Gesprächsforen,aber auch durch die Bekanntgabe pri-vater Daten. Sie sollten darüber in -formiert sein, dass das Urheber rechtdem Dateiaustausch im Netz be-stimmte Grenzen setzt. Bei der Ver-wendung von Bild- und Tondateienfür die Schulwebsite müssen recht-

Schulen ans Netz e.V.www.schulen-ans-netz.de

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Uwe Hochmuth / Michael Mangold

Niederschwelliger Zugang zu beruflicher Bildung

Welche Chancen bietet das Web 2.0?

Michael Bielicky/Kamila B. Richter. Falling Times, 2007, interaktive Netz-Installation

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Die idealtypische Aufgabe einesmodernen Bildungssystems liegtdarin, allen Menschen eine faireChance auf Bildung zu geben. Wiekönnen Schwellen zur Berufs-bildung abgebaut werden? WelcheRolle kann dabei das »Web 2.0«spielen?

Lernen ist ein kontinuierlicher Prozess der Aneignung von Wissenund Fertigkeiten, der sich auf dasGelingen des Wechselspiels von Verhaltens stabilität und Verhaltens-anpassung in der jeweiligen gesell-schaftlichen Umwelt auswirkt. Einderartiger Prozess kann an bestimm-ten Stellen ins Stocken geraten. Jekomplexer und dynamischer dieLebensbedingungen sind, umso pro-blematischer werden Lernhindernis-se und insbesondere dann, wenn siesich auf die wirtschaftliche Entwick-lung auswirken. Dies gilt nicht nur imHinblick auf die Schnelligkeit desnotwendigen Wissenserwerbs,

sondern auch auf die Breite des Per-sonenkreises, der am Bildungspro-zess beteiligt ist. Die traditionell inden Bildungsprozess einbezogenenPersonen müssen in schnellerenRhythmen lernen, was faktisch zueinem kontinuierlichen und lebens-langen Lernen führt. Die bislang nochnicht einbezogenen Gruppen müssenin ihrem unmittelbaren eigenen Inte-resse, aber auch im Interesse derGesellschaft und der Wirtschaft be-schleunigt in die Lernprozesse in-tegriert werden.

Wenn man die Betrachtung auf denErwerb beruflicher Bildung konzen-

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triert, stellt sich die Frage, wieSchwellen im Hinblick auf das Tempound die personelle Ausdehnung soabgebaut werden können, dass sichdie Wissensbasis einer Volkswirt-schaft und deren Innovationskraftverbessert. Die stärkere Beteiligungan der Bildung hat zunächst eine wirt-schaftlich funktionale Dimension. Diedemografische Entwicklung und diedamit einhergehenden zukünftigenEngpässe auf dem Arbeitsmarkt aufder Suche nach qualifizierten Fach-kräften zwingen zur Reaktion auf denstrukturellen Ausschluss bestimmterGruppen von der Bildungsbeteiligungund die mangelhafte Ausschöpfungökonomischer Potenziale.

Die sozialpolitische Dimension

Die Filter zur Bildungsbeteiligung ver-laufen oftmals nicht entlang der Be-gabung, sondern selektieren ehernach sozialer Herkunft, das heißt, siewirken weniger als Instrument derEffizienzsteigerung denn als Barrieregegen sinnvollen gesellschaftlichen

Wandel. Die idealtypische Aufgabeeines modernen Bildungssystemsliegt darin, allen Individuen eine faireChance auf Bildung zu geben undanschließend nach Leistungsfähigkeitund Begabung zu differenzieren. Ein Bildungssystem sollte so aus-gerichtet sein, dass die Adressatendie offerierten Angebote gleicher-maßen annehmen können. Aber be-reits durch die Sprache und Wahl derThemen, über die Bildungsinhaltevermittelt werden, sowie durch dieKonzentration auf traditionelle, ins-besondere textliche Formen der Ver-mittlung, bestehen faktisch nochimmer sehr unterschiedliche Zu-gangsoptionen. Kinder und Jugend-liche aus sozialen Milieus, in denendiese Formen der Wissensvermitt-lung zum Bestand familialer Sozialisa-tion gehören, sind besser in derLage, daran anknüpfende schulischeund andere Bildungsangebote an-zunehmen. Wenn sich die bevor-zugten Medien sowie der Sprach-gebrauch im jeweiligen Umfeld vonFamilie und Schule entsprechen, so

E-Learning 3D: Entwicklung einer Lernumgebung in der virtuellenWelt

www.e-learning3d.de

Das Projekt E-Learning 3D (EL3)der Universität Bielefeld ver-anstaltet Seminare und Netzwerk-treffen im Internet – in dervirtuellen Welt »Second Life«. DasProjekt soll die Online-Welt für dieakademische Lehre nutzbarmachen. Wissenschaftler und

Praktiker, die in der realen Welt hunderte von Kilometern voneinander entferntsind, kommen monatlich auf Einladung von EL3 als Avatare (virtuelle Abbilder)im »Second Life« zusammen, um über Chancen und Risiken des Online-Lernens zu debattieren. Studierende der Fakultät für Erziehungswissenschaft derUniversität Bielefeld trainieren in der virtuellen Welt die didaktische Entwick-lung und den Einsatz online-unterstützter Lernszenarios. Darüber hinaus ver-mittelt EL3 künftig Teilnehmern des Weiterbildungsprogramms »Studieren ab50« den Umgang mit »Second Life« und eröffnet ihnen den Zugang zurvirtuellen Lehrumgebung der Universität.

Hohe Zugangsschwellen fürAngehörige »bildungsferner«

Milieus

Das Team von EL3 hält Konferenzen undSeminare in dem Kolosseum des Projekts aufdem European University Island im »SecondLife« ab. Im nahe gelegenen EL3-Haupt-gebäude sind unter anderem virtuelle Besprechungsräume zur Studienbegleitunguntergebracht.

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werden lernhemmende Irritationenund Unsicherheiten minimiert undentsprechend chancenreicher ist dieBildungsbeteiligung.

Andere Gruppen stehen aus genaudiesen Gründen vor vergleichsweisehohen Zugangsschwellen. Bei An-gehörigen sogenannter »bildungs-ferner« sozialer Milieus sind dieseEntsprechungen in Sprache, Medien-nutzung und den in ihren Bezugs-gruppen relevanten Themen weit-aus geringer. Zumindest fallen dieSchnitt stellen zwischen dem eigenenund dem Referenzmilieu des tradi -tionellen Bildungssystems für sieschmaler aus und schaffen so sozial-kulturell verursachte Barrieren vorden Zugängen zum Bildungssystem.Diese Unterschiede führen nochimmer zu einer erheblich unterdurch-schnittlichen Bildungsbeteiligung derAngehörigen dieser sozialen Milieus.

Um die angestrebten wirtschafts-und sozialpolitischen Ziele zu errei -chen, müssen die Zugangsschwellenzur Bildung deutlich reduziert wer -den. Hierbei gilt es zweierlei zu be-achten. Zum einen geht es nicht nurum den Erstzugang zu beruflicherBildung, sondern entsprechend demPostulat lebenslangen Lernens umdie zeitlich kontinuierliche Erleich -terung des Wissenszugangs – dasheißt, es geht auch um die Gleich-mäßigkeit des Bildungszugangs aufDauer, einschließlich der Berück-sichtigung unterschiedlich bleibenderMilieus in den Formen und Inhaltendes Lernens. Es dürfen durch denAbbau bestehender Schwellen unterder Hand keine neuen entstehen.Zum anderen darf die geforderteNiederschwelligkeit des Zugangs zurBildung nicht mit einem Verzicht aufAusbildungsqualität verwechseltwerden. Der Einbezug weniger gutintegrierter Gruppen bedeutet ineinem solchen Bildungskonzept ihreHeranführung an ein Bildungssys -tem, das ihnen dann intern je nachFähigkeit gleiche Wege, gegebenen -falls bis zur Spitze öffnet.

Web 2.0 – Bildung für alle?

Aktuelle Entwicklungen im Internet,die unter dem Begriff »Web 2.0« zu-sammengefasst werden können, er-öffnen Möglichkeiten für innovativeLösungen zur Inklusion aller in dasBildungssystem. Vor blinder Euphoriesei jedoch gewarnt, denn bereits vonvergangenen medialen Entwicklun-gen – wie Radio und Fernsehen –versprach man sich eine nachhaltigeÖffnung der Bildung für breitereSchichten. Die zweifellos vorhande -nen Möglichkeiten einer konstruk -tiven Nutzung haben sich meist nichtin erhofftem Maße eingestellt. Denerzielten Erfolgen stehen mindestensebenso große Enttäuschungen ge -genüber. So ist der potenzielle Auf-klärungsschub durch das Fernsehenin vielen Lebensbereichen durch dieextreme Verflachung der präsentier-ten Inhalte mehr als kompensiert.Ähnliche Tendenzen zeigen sich beider Nutzung der Neuen Medien. Die-se kritische Einschätzung soll jedochnicht zum lähmenden Gegenteil inForm von Ignoranz oder Ablehnungführen. Ein wichtiger Bestandteil derberuflichen Bildung in der nahen Zu-kunft wird es sein, die neuen me-dialen Möglichkeiten zu analysierenund zielgerichtet in den Bildungspro-zess einzubeziehen.

Catalina Ossa/Enrique Rivera. MULTINODE_METAGAME,

2007, interaktive Nutzer-Installation

Die in Radio und Fernsehengesetzten Hoffnungen aufeine Öffnung der Bildung fürbreitere Schichten habensich kaum erfüllt.

Die neuen medialenMöglichkeiten müssen analysiert und zielgerichtetin die Berufsbildung ein-bezogen werden.

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Um die Zugangsschwellen für die als»bildungsfern« bezeichneten Per-sonengruppen abzusenken, bietensich zunächst zwei Optionen im Zu-sammenhang mit dem Web 2.0 an:Zum einen können diese Personen-gruppen frühzeitig gezielt ange-sprochen und gefördert werden, da-mit sie die öffentlichen Angebote desBildungssystems zu nutzen vermö -gen. Dies hätte primär Akquisitions -charakter, um die Informationen überBildungsangebote an die Orte zutransportieren, an denen potenzielleNutzer anzutreffen sind.

Zum anderen ergeben sich durch dasWeb 2.0 spezifische Möglichkeiten,Inhalte und Formen des Lernens neuzu fassen, sie näher an die Lebens-welt dieser Gruppen zu binden undso den Wissenserwerb signifikant zuerleichtern. So haben sich im Web2.0 soziale, vielfach thematischstrukturierte Gemeinschaften ge-bildet, die für die Vermittlung vonWissen unterschiedlichster Art be-reits eine hohe Bedeutung für Ju-gendliche haben. Es finden sich bei-spielsweise Schülerplattformen odervon Auszubildenden initiierte Forenzur Kommunikation, die – abge-schirmt von institutionalisierter Bil-dung und von Eltern oder Lehrern –bereits Akquisitions- und Lehrfunk-tionen übernommen haben, indemsie beispielsweise über Prüfungs-themen und -inhalte Diskussionenführen oder in der beruflichen Orien -tierungsphase informell und ziel-gruppenspezifisch Berufsbildererläutern. Was die traditionellen In-stitutionen für Berufsberatung gegen-wärtig nicht vermögen, frühzeitig undbedarfsgerecht Kindern und Jugend-lichen eine Vorstellung über Aus-bildungswege und -ziele zu vermit-teln, erfolgt so zumindest in An-sätzen bereits selbstorganisiert.

Dabei darf jedoch kein »pädago gi -scher Fehlschluss« gezogen werden,derart, dass nunmehr schulischeInhalte in diese Foren eingebrachtwerden und Lehrpersonal sich un-mittelbar beteiligen müsse. Die aussozialen und kommunikativen Moti -ven entstandenen Gemeinschaften

könnten allenfalls infrastrukturellunterstützt und sensibel mit den vor-handenen Angeboten verbundenwerden, ohne ihnen ihren authen -tischen Charakter zu nehmen.

Im Web 2.0 werden spezifische Er-wartungen und Handlungsgewohn-heiten zur Kommunikation und zumLernen geprägt. Nimmt institutiona-lisiertes Lernen die sowohl tech-nischen als auch stilistischen Formender Kommunikation des Web 2.0 unddie hier thematisierten Inhalte – so weit möglich – auf, so kann einBei trag zur Absenkung von Bildungs-barrieren erfolgen. In der medien-geprägten Freizeitgestaltung angeeig-nete Charakteristika der Kommu-nikation – wie Subjektivität und Authentizität – würden im institu -tionalisierten Lernzusammenhang alsvertraut wiedererkannt und dahereher akzeptiert werden. Der Über-gang von impliziten Lernprozessenim Internet zu jenen im formalisiertenschuli schen Zusammenhang wäredurch Ähnlichkeit gekennzeichnetund somit bruchloser. Aber geradeaufgrund dieser situativen Eigen-heiten der Nutzung von Web-2.0-Funktionalitäten erfordert dieAnbindung an sie spezifische Analy -sen und die Bereitschaft, sehrunterschiedliche individualisierteLösungswege zu beschreiten.

Uwe Hochmuth ist Prorektor derStaatlichen Hochschule für Gestaltung(HfG), Karlsruhe.

Dr. Michael Mangold ist Leiter des Insti-tuts für Medien, Bildung und Wirtschaftam ZKM | Zentrum für Kunst und Medi-entechnologie Karlsruhe.

Im Web 2.0 haben sichWissensgemeinschaften

unterschiedlichster Art gebildet.

Im Web 2.0 werden spezi-fische Erwartungen und

Handlungsgewohnheiten geprägt.

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Rolf Schulmeister

E-Learning im Studium: Schwachstellen ausgleichen

Die Bologna-konformen Bachelor- und Master-Studiengänge haben eine gestufte Hochschulausbildungeingeführt. Schwachstellen bestehen bei den Übergängen zwischen den Stufen und in der Abstimmung derStufen untereinander. E-Learning kann zur Verbesserung der Übergänge beitragen.

Susanna Kraus. Camera Imago1:1, 1972–2007, Installation

Eine Analyse des »Student Life-cycle«, des studentischen Lebens-zyklus, ergibt neue Anregungen fürden Einsatz von E-Learning: Es gehtdarum, bereits in der Schule dieStudienfachwahl zu unterstützen, ge-forderte Qualifikationen gezielt durchBrückenkurse vorzubereiten, denErstsemestern den Übergang zurHochschule zu erleichtern, das Lern-verhalten zu verbessern und Prü -fungsanforderungen transparent zumachen, Kontakte und Kommunika -

tion zu erleichtern, das Selbststudiumzu fördern, Studienabbrüche zu ver-meiden, das Lernen zu bereichernund auf die zukünftige Beschäftigungvorzubereiten. Bei all diesen Auf-gaben kann E-Learning nützlich sein.

Übergang Schule – Hochschule

Beim Übergang von der Schule zurHochschule geht es um die Erwei -terung des Zugangs zur akademi -schen Bildung. Diese trifft auf meh -

rere Barrieren: Das Aspirations-niveau, das heißt das persönlich an-gestrebte Bildungsziel, spielt einewichtige Rolle für die Erweiterungdes Hochschulzugangs. Während esauf der einen Seite zu viele Jugend-liche gibt, die kein Bildungsinteresseaufbringen, gibt es auf der anderenSeite einige Jugendliche mit einembestimmten Bil dungs interesse, diewir offenbar vom Studium abschre-cken. Es sind vereinzelt E-Learning-Programme entwickelt worden, die

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den Schülern eine Chance bieten,wissenschaftliche Fächer bereitswährend der Schulzeit kennen zulernen. Diese Programme bietenSchülern mittels E-Learning-Me-thoden wichtige Orientierung bei der Auswahl des Studienfachs.

Die PISA-Studien haben nachgewie-sen, dass Kinder bildungsfernerSchichten schlechtere Bildungschan -cen haben. Kinder von Familien, de-ren Angehörigen bisher keine höhereAusbildung hatten, scheinen über einniedrigeres Aspirationsniveau zu ver-fügen. Die first-generation studentsbelegen mehr Brückenkurse undNachhilfekurse als andere. Brücken-kurse, die per E-Learning bereits inder Schule belegt werden können,sind eine geeignete Maßnahme, umden Übergang zur Hochschule für dieErststudierenden zu erleichtern.

Es gibt Lernangebote, die zum Zielhaben, die Echtheit der Studienwahlzu stärken. In dem Projekt HEAPwur den webbasierte Informationsein-heiten für Psychologie, Maschinen -bau, Wirtschaftswissenschaft undInformatik an der Universität Ham -burg, der TU Harburg und der Hoch-schule für Angewandte Wissenschaf -ten (HAW) Hamburg entwickelt, indenen die Studierenden etwas überdas Fach, über die Lernkultur, dieLernvoraussetzungen und die An-forderungen an das Studium erfahrenkönnen. Orientierungen bei der Über-prüfung des Studienfachwahlmotivsbieten ähnliche Tests wie »Self As-sessment« von der RWTH Aachenoder »Visopoly« von der UniversitätOldenburg. Ein Fragebogentest »Wasstudiere ich?« der Universität Hohen-heim generiert automatisch Empfeh-lungen für die Studierenden.

E-Learning im Massenstudium

Das Massenstudium ist einer der Be-reiche, die durch E-Learning erheb-lich verbessert werden können. Einedeutliche Verbesserung tritt bereitsein, wenn den Studierenden auf elek-tronischem Wege alle Lernmateria-lien und Programme zum Selbst-

lernen zur Verfügung gestellt werden.Mit Hilfe von E-Learning-Methodenkönnen Tutorengruppen gebildet, dieKommunikation untereinander unter-stützt und die Studienberatung in-tensiviert werden. Das sind zwar ausder Not geborene Methoden, abersie können sich als hilfreich erwei-sen, wenn es gilt, drohende Studien-abbrüche zu vermeiden und die Stu -dierenden besser an sich zu binden.

Workload versus Semester-rhythmus und Lehrorganisation

Den Studierenden im Bachelor wurdedurch Bologna eine enorme Arbeits-last (»Workload«) verordnet: DieJahres-Workload verlangt von denStudierenden eine Lernzeit von 45Wochen mit jeweils 40 Stunden, wobei Unterricht nur zweimal 14 Wo -chen im Jahr angeboten wird. VomLehrkörper und den Studierendenwird nur während der VorlesungszeitAnwesenheit erwartet. 17 Wochenim Jahr ist der Studierende auf sichgestellt.

Die Auswirkung der mangelhaftenSynchronisation von Workload undSemesterrhythmus auf das Lernenist gravierend: Im Semester wird diegesamte Lernzeit auf den Besuchvon Veranstaltungen und den Erwerbder Credits verteilt. Es bleibt kaumgenügend Raum für die Vor- undNachbereitung von Veranstaltungen.Während der vorlesungsfreien Zeitkann die Vor- und Nachbereitungkaum nachgeholt werden, denn Ver-anstaltung, Credit-Erwerb und Lernensind zeitlich entkoppelt. Die vorle-sungsfreie Zeit wird größeren Ar-beiten und der Vorbereitung auf dieModulprüfungen gewidmet, sofernnicht die Notwendigkeit zum Brot-erwerb die verbleibende Zeit be-ansprucht.

In der Konsequenz des BA-Modellsläge es, wenn die Lehre sich übereinen größeren Zeitraum als zweimal14 Wochen erstrecken würde, umdie Freiräume für die Vor- und Nach-bereitung zu erhöhen. E-Learningkönnte hierbei sehr hilfreich sein, da

das virtuelle Lernen Selbstlernpha-sen, asynchrone Lernphasen undsynchrones Lernen ohne den Zwangzur lokalen Anwesenheit ermöglicht.Man könnte mit virtuellen Seminarensehr gut eine hohe zeitliche Flexibi-lität in der Organisation und Durch-führung des Lehrangebots erreichen. Eine analoge Argumentation ergibtsich für die mangelhafte Synchro-nisation von Workload und Veran-staltungsrhythmus. Die Studieren-den sehen sich pro Tag und von Tagzu Tag mit wechselnden Veranstal-tungen und wechselnden wissen -schaftlichen Themen konfrontiert. Siekönnen sich nicht für längere Zeit aufein einziges Thema konzentrieren,studieren von Stunde zu Stunde undimmer in kleineren Häppchen. Diekleinschrittige Zerstückelung derGesamtworkload pro Woche in mehrals 3 bis 4 Themen ist wenig hilf-reich. Die Lehrorganisation, die vor-gibt, dass thematisch zusammen-gehörende Veranstaltungen nur 2 bis5 Unterrichtsstunden in der Wochehaben dürfen, ist für die Lehrendenkonzipiert, nicht für die Studierenden.

Der Verlust an Lernzeit, der durch diefehlenden Synchronisationen ent-steht, könnte durch den gezieltenEinsatz von E-Learning vermiedenoder zumindest abgemildert werden.Virtuelle Kurse könnten zur Überbrü-ckung der vorlesungsfreien Zeit ein-gesetzt werden und auf diese Weisedie Lehrorganisation im Semesterentlasten und Freiräume im Semes -ter für Blockunterricht schaffen. Sokönnte sich der Studierende erstensstärker auf wenige Themen zur sel-ben Zeit konzentrieren und zweitenskontinuierlicher im Verlauf des Stu -dienjahres lernen.

Praktika und Praxisphasen

Im Bachelor gibt es weitere Gelenk-stellen oder Phasen für die Reorga -nisation mit E-Learning: die Praxis-phasen und die allgemeinen berufs-orientierten Qualifikationen oderSchlüsselqualifikationen. Die Be-gleitung in Praxisphasen benötigt vielKommunikation, sie dient der Betreu-

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ung der Praktikanten und dem inhalt-lichen Diskurs. Für die Begleitung derStudierenden in Praxisphasen er-scheint es sinnvoll, Partnerschaftenmit Institutionen aus der Berufspraxiseinzugehen, die gleichzeitig die Be-treuung der Studierenden auch mit E-Learning garantieren. Es laufen zurZeit Projekte an, die zum Ziel haben,einen Teil der Schlüsselqualifika tio -nen online zu vermitteln. Ein Beispielist das Projekt ABK online an der Universität Hamburg.

Übergang vom Bachelor zumMaster

Welche Lernvoraussetzungen be-kommt ein Masterstudiengang voneinem Bachelor geliefert? Für die in-tegrierten Studiengänge war dieKenntnis der Voraussetzungen, dieim Grundstudium vermittelt und dieim Hauptstudium benötigt werden,jederzeit vorhanden. Jetzt entstehenüberall MA-Studiengänge, die Kennt-nisse von empirischen Methoden,Statistik, Fremdsprachen, Program -miersprachen etc. voraussetzen,deren Studierende aber aus fremdenBA-Studiengängen kommen können,in denen sie diese Vorkenntnissenicht erworben haben. Dafür müssendie MA-Studiengänge geeignete Brückenkurse anbieten. Das ThemaBrückenkurse stellt sich also für denMaster noch einmal, diesmal aufanderer Ebene.

Wenn ein Master sich nicht aus-schließlich aus den eigenen Bachelor-Studierenden rekrutieren lässt, sondern auf Migration von außenange wiesen ist, oder wenn einMaster ohnehin Zugang von Stu-die renden aus externen Bachelor-Studiengängen erhält, weil vondiesen kein Master angeboten wird,dann muss man damit rechnen, dassfür die als Voraussetzung für dasStudium angenommenen Kom-petenzen erneut Brückenkurse ein-gerichtet werden müssen. Auch fürdiese Brückenkurse ließe sich E-Learning, sogar quer zu den Hoch-schulen, hervorragend einsetzen.Nach amerikanischem Vorbild

könnten diese Brückenkurse auchvon privaten Bildungsanbietern per E-Learning angeboten werden.

Die Lehrkapazität für denMaster: »Joint Degrees« alsChance

Ein weiterer Stolperstein derBologna-Reform ist der Mangel anLehrkapazität für den Master, da derBachelor bereits erhebliche Personal-und Zeitressourcen verbraucht. Kon-sekutive Studiengänge benötigenmehr Kapazität als integrierte Stu-diengänge. Insbesondere die kleinenFächer, die meist nur mit einem oderzwei Professuren arbeiten, sind beikonsekutiven Studiengangsformatengezwungen, mit anderen Hoch-schulen zu kooperieren, wollen sienicht die Möglichkeit verlieren, ineinem Master zu lehren und ein Pro-motionsstudium anzubieten. EinAusweg aus dem Dilemma sind die

»The Archive« – ein Preprint-Serververändert die Wissensproduktion inder Physik

www.arxiv.org

Preprint-Server dienen der Veröffentlichung und Archivierung von elektronischenPublikationen, die bei Hinterlegung keinen Peer-Review durchlaufen. Der älteste,bekannteste und größte von tausenden Preprint-Servern an Universitäten weltweit,arxiv.org, wurde 1991 am Los Alamos National Laboratory gegründet und wirdheute von der Universität Cornell gepflegt. arxiv.org wird vor allem in den Dis-ziplinen Physik, Mathematik und Informatik genutzt.

Hier hat es sich fest eingebürgert, neue Forschungsergebnisse zuerst auf arxiv.orgzu publizieren. Forscher weltweit prüfen routinemäßig alle neuen Preprints, ver-suchen bei Interesse an einer Arbeit deren Ergebnisse zu bestätigen und melden ihrUrteil meist innerhalb weniger Tage an die Autoren zurück. Eine Publikation beiregulären Wissenschaftsjournalen mit Peer-Review geschieht gegebenenfalls erstnach Überarbeitung. Viele bahnbrechende Arbeiten liegen nur noch als Preprintvor.

Das umfangreiche Auswertungssystem von Spires (Stanford Public InformationRetrieval System) erleichtert dem Leser die Qualitätsprüfung von Preprints. Mit einem Klick lässt sich feststellen, wie oft ein Preprint und sein Autor zitiert wurden und wie relevant die von ihm zitierten Arbeiten sind. arxiv.org und Spireshaben jenseits jeder Urheberrechtsdebatte den Wissenschaftsbetrieb in Physik, Mathematik und Informatik enorm beschleunigt und entformalisiert.

Literatur:

• Rolf Schulmeister: Der Student Lifecycle alsOrganisationsprinzip für E-Learning. In: R. Keil; M. Kerres; R. Schul meister(Hg.): eUniversity – UpdateBologna. Münster u.a.:Waxmann, 2007, S. 45-77.

»Joint Degrees«, Studiengänge inKooperation, ein Unterfangen, dasauf E-Learning angewie sen ist.

Prof. Dr. Rolf Schulmeister ist Direktordes Zentrums für Hochschul- und Weiter-bildung (ZHW)(vormals IZHD) an derUniversität Hamburg.

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Friedrich W. Hesse / Maike Tibus

Informelles Lernen im Internet

Perspektiven aus lernpsychologischer Sicht

Moderne Informationstechnologien stellen eine große Vielfalt informeller Lernmöglichkeiten für eine breiteÖffentlichkeit zur Verfügung. Durch die Interaktion großer Nutzergruppen entstehen im Wechselspiel vonWissensproduktion und -rezeption umfangreiche Wissensnetzwerke. Das Internet hat sich als Ort für die Vermittlung von Wissen etabliert. Für erfolgreiches informelles Lernen im Internet bedarf es allerdings umfassender Kompetenzen, besonders im Hinblick auf selbstgesteuertes Lernen.

Neben formalen Bildungseinrichtun -gen wie Schulen und Universitätengewinnen seit einiger Zeit auch in -formelle Lernszenarien an Wichtig-keit. Informelles Lernen ist vor allemdurch Freiwilligkeit, Selbstbestimmt-heit und intrinsische Motivationgekennzeichnet. Informelle Lernsitu-ationen betonen erlebnisorientierteFormen der Wissensvermittlung,durch die Lernende zu einer interes-segeleiteten Auseinandersetzung mitden Lerninhalten angeregt werden.

Über klassische Formen des infor -mellen Lernens hinaus – zum Bei-spiel den Besuch von Museen oderdie Nutzung des Bildungsfernsehens– stellen moderne Informationstech-nologien eine große Vielfalt informel-ler Lernmöglichkeiten für eine breiteÖffentlichkeit zur Verfügung. Im In-ternet ist ein schneller und einfacherZugriff auf Informationen aus vielenWissensbereichen möglich. Perso-nen nutzen das Internet als Bil dungs -ressource, sie suchen und bewertenInformationen, sie kommunizierenund diskutieren Inhalte und sie er-stellen gemeinsame Texte, zum Bei-spiel in Foren oder »Wikis«.

Im Gegensatz zum formellen Lernenkann informelles Lernen im Internetgerade in Zeiten von Notebooks, W-Lan und Hotspots an vielen Ortenund zu beliebigen Zeiten stattfinden.Typische informelle Lernsituationenim Internet sind zum Beispiel danngegeben, wenn eine Person sich un-abhängig von formalen Bildungs-institutionen mit konkreten, etwakulturellen oder politischen Themennäher befassen möchte oder wennMichael Bielicky/Kamila B. Richter. Falling Times, 2007, interaktive Netz-Installation

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eine Person spezifische Probleme,sei es gesundheitlicher oder tech-nischer Art, lösen möchte und sichdafür Hintergrundwissen und Lö-sungsansätze aneignen will.

Wie verarbeiten LernendeInformationen?

Betrachtet man die Voraussetzungenund Chancen des informellen Ler-nens im Internet unter lern- und kog -nitionspsychologischen Aspekten, sosteht die Frage im Vordergrund, wieLernende Informationen verarbeitenund durch welche Lernprozesse sieneue Wissensstrukturen aufbauen.Wichtig ist aus dieser Fachperspek -tive vor allem die Frage, wie gut dasInternet als Informationsumgebungauf die Architektur der menschlichenInformationsverarbeitung abge-stimmt ist und welche Lern- undDenkprozesse es erlauben, effektivmit dem Internet zu lernen. Empi -risch-psychologische Erkenntnisse zudiesen Fragen können hilfreich sein,um Internetangebote nutzerorientiertzu gestalten und um effektive Unter-stützungsmaßnahmen für informellesLernen im Internet zu entwickeln.

Informelles Lernen im Internet findetüberwiegend lernerkontrolliert stattund ist damit stark von den indivi -duellen kognitiven, motivationalenund emotionalen Eigenschaften undVoraussetzungen der Lernenden ab-hängig. Dabei ist die Anpassung derindividuellen Lernvoraussetzungen andie Besonderheiten, durch die sichdas Internet als Informationsumge -bung auszeichnet, für eine optimaleNutzung des Internets von zentralerBedeutung. Eine kognitionspsycho -logisch fundierte Förderung von in -dividuellen Voraussetzungen durchTrainings- oder Unterstützungsmaß-nahmen oder auch eine nutzerorien-tierte Gestaltung von Internetange -boten kann dabei helfen, diese An -passung zu gewährleisten.

Besonderheiten der Bildungs-ressource Internet

Das Internet als Informationsumge -bung zeichnet sich durch eine Reihevon psychologisch relevanten Be-sonderheiten aus, die es von allen

anderen Bildungsressourcen unter -scheidet. Es stellt Informationen inForm einer ungeordneten Netzwerk-struktur (»World Wide Web«) bereit,die der Lernende durch die Nutzungvon Links (»klicken«) oder von tech-nischen Hilfsmitteln wie Suchma-schinen (»googeln«) erschließenmuss. Das Internet zeichnet sich weiterhin vor allem durch einfache,schnelle und ständige Zugänglichkeitvon gewaltigen Informationsmengengroßer inhaltlicher Heterogenität aus.Gleichzeitig sind Inhalt und Designvon Informationsangeboten einerständigen Veränderung unterworfen.Verfügbare Informationen beruhenoft auf verteilter Autorenschaft undzeigen eine entsprechende Band-breite von Informationsqualität und -glaubwürdigkeit. Viele Inhalte sindmultimedial und interaktiv aufbereitetund beinhalten neben Textinforma -tionen zum Beispiel auch Podcasts,digitale Videos oder Animationen.Eine ordnende und qualitätssichern -de Instanz ist nicht gegeben, sodasses dem Nutzer überlassen bleibt, dieQualität von Informationen zu be-werten.

Zusätzliche Besonderheiten kommenim Rahmen von Entwicklungen zu-stande, die sich unter dem Konzeptdes Web 2.0 subsumieren lassen.

Im Internet kann das Lernenan vielen Orten und zu be-liebigen Zeiten stattfinden.

BIENE-Wettbewerb Barrierefreies Internet

www.biene-award.de

Informieren, Kontakte knüpfen, Lernen,Spielen... Internet-Angebote sind so viel -fältig wie die Interessen der Nutzerinnenund Nutzer. Das Internet eröffnet vielenMenschen mit Behinderung neue Mög -

lich keiten. Die Voraussetzung dafür ist die barrierefreie Gestaltung von Webseitenund Anwendungen. Seit dem Jahr 2003 schreiben die Aktion Mensch und dieStiftung Digitale Chancen deshalb einen Wettbewerb für die besten barrie refreienAngebote im deutschsprachigen Raum aus.

Der Wettbewerb 2008 ist am 6. Mai gestartet. Der aktuelle Kriterienkatalog bautauf den Erkenntnissen aus den vier BIENE-Wettbewerben und den Ergebnisseneiner Studie zur Nutzung von Web-2.0-Angeboten durch Menschen mit Behin-derungen auf. Die Einreichungsfrist endet am 15. Juli 2008. Informationen und das Bewer bungsformular unter www.biene-wettbewerb.de

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Diese Entwicklungen lassen sich ameinfachsten als Kombination voninformationaler und sozialer Vernet-zung mittels »sozialer Software« imInternet verstehen. Damit sind zumBeispiel Wikis gemeint, die das Edi -tieren gemeinsamer Dokumente er-möglichen, aber auch Foren, in de -nen Nutzer Diskussionsbeiträgeleisten. Im Umgang mit sozialerSoftware hinterlassen Internetnutzerhäufig Spuren (z.B. Bewertungenoder Klassifikationen von Informa -tionen mithilfe von Tags), die wieder-um von anderen Personen genutztwerden können. Auf der Grundlagedieser sozialen Software kommt essomit zu gemeinsamen Aktivitätengroßer Nutzergruppen, durch die imWechselspiel von Wissensproduktionund -rezeption umfangreiche Wis-sensnetzwerke entstehen. Vor allemauch durch diese Aspekte des Web-2.0 hat sich das Internet als Ort fürdie Vermittlung von Wissen zu unter-schiedlichsten Themenbereichenetabliert.

Voraussetzungen für erfolg-reiches informelles Lernen imInternet

Das Internet als Informationsumge -bung stellt im Vergleich zu anderenMedien neuartige Anforderungen andie Nutzer in Bezug auf den Umgangmit Informationen. Wesentliche Vor -aussetzungen der Lernenden sindzum Beispiel umfassende Kompe -tenzen im Hinblick auf selbstgesteu -ertes Lernen. So müssen Lernendeihre eigenen Lern- und Informations-ziele selber im Kopf behalten und ver-folgen. Sie müssen zielgerichtetnavigieren und dabei interessanten,aber ablenkenden Informationsan -geboten widerstehen. Sie müssendie Auswahl und Reihenfolge vonInformationen im Hinblick auf ihreZiele selber festlegen und dabei In-formationen und Informationsquellenhinsichtlich ihrer Qualität und Glaub-würdigkeit bewerten.

Lernende müssen sich eigenständigeine an ihren Wissensstand und ihreInformationsziele sinnvoll adaptierte»Infor mationsdiät« aus verschiede nenInformationseinheiten und Präsenta -tionsformaten zusammenstellen.

Wichtig ist auch die Festlegung vonZeitbudgets und Abbruchkriterien,der Umgang mit interaktiven Präsen -tationsformaten und mit verteiltenInformationen. Besonders im Zu-sammenhang mit widersprüchlicherInformation wird es wichtig, die Ex -pertise von Autoren zu bewerten undden Überblick über Informationen ausmultiplen Quellen zu behalten.

Die Erforschung von Lernvorausset-zungen und entsprechenden Unter-stützungsmaßnahmen auf der Basiskognitionspsychologischer Modellekann einen wichtigen Beitrag leisten,um die Chancen, die das Internet fürinformelles Lernen bietet, besser zunutzen. Wichtig ist zum Beispiel dieFrage, wie die Potenziale des Inter -nets für informelles Lernen genutztund gleichzeitig Störgrößen wie kog-nitive Überlastung oder suboptimaleInformationsnutzung minimiert wer -den können. Um Lernende in dieserHinsicht zu fördern, ist es wichtig,Kompetenztrainings und technischeTools zur Unterstützung von Infor-mationssuche und -rezeption zu ent-wickeln, die eine vertiefte Auseinan -dersetzung mit Lerninhalten fördern.

Genauso wichtig ist auch die Frage,wie eine große Vielfalt und Komple-xität von Informationen und Präsen -tationsformaten, wie sie typisch fürdas Internet sind, geboten werdenkann, ohne Lernende kognitiv zuüberfordern. Wichtige Unterstüt-zungskomponenten insbesondere imZusammenhang mit dem Web 2.0sind beispielsweise sogenannteAwareness-Tools, die sozial verfüg-bare Informationen (z.B. Meinungs-verschiedenheiten oder die Bewer -tung von Informationen) für Nutzersichtbar machen.

Prof. Dr. Dr. Friedrich W. Hesse ist Direktor des Instituts für Wissensmedien(IWM) sowie Leiter des Lehrstuhls fürAngewandte Kognitionspsychologie undMedienpsychologie der UniversitätTübingen.

Die Diplompsychologin Maike Tibus istwissenschaftliche Mitarbeiterin am IWM,Arbeitsgruppe Wissenserwerb mit Cyber-medien.

Das Lernen im Web stelltspezifische kognitive

Anforderungen an denLernenden.

Lernende müssen sich eigenständig eine

»Informationsdiät« zusammenstellen.

Informelles Lernen im Internet findet überwiegend

lernerkontrolliert statt.

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Celina Ramjoué

Open Access

Den Zugang zu Forschungsergebnissen fördern*

Das Konzept Open Access beruhtauf dem Gedanken, dass die kostenlose Verbreitung wissen -schaft licher Informationen derFörderung von Forschung und Innovation dient und der Wissens-gesellschaft insgesamt nützt. Ziel ist es, Forschungsergebnisseim Internet kostenlos für jeder-mann zugänglich zu machen. DieDebatte um Open Access berührteine Vielzahl von Themen und istnach wie vor kontrovers.

Was ist Open Access?

Ziel des Open-Access-Konzeptes istes, Forschungsergebnisse kostenlosim Internet für jedermann zugänglichzu machen.

Laut einiger Definitionen bedeutetOpen Access zudem, dass keine Nutzungsbarrieren existieren dürfen.Das heißt, dass Forscher der wei-teren Verwendung und Vervielfälti -gung ihrer Forschungsergebnissedurch Dritte zustimmen müssen,unter der Voraussetzung, dass sieklar als Auto ren bzw. Urheber ge-nannt werden. Drei Dokumente sindfür die Entwicklung der Open-Ac -cess-Bewegung und für die De-finition von Open Access besonderswichtig: die »Budapest Open-Access-Initiative« (2002), das »BethesdaStatement on Open Access Pub -lishing« (2003) und die »Berliner Er-klärung über den offenen Zugang zuwissenschaftlichem Wissen« (2003).Die Open-Access-Diskussion konzen-

* Die hier geäußerten Ansichten stellenausschließlich die Meinung der Autorinund keinesfalls einen offiziellen Stand-punkt der Europäischen Kommission dar.

triert sich vorwiegend auf Ergebnisseaus öffentlich finanzierter Forschung,basierend auf dem Prinzip, dassöffentlich Finanziertes auch öffentlichzugänglich sein sollte. Die For-schungsergebnisse, um die es in derOpen-Access-Debatte geht, sind vorallem Zeitschriftenartikel, die bereitseine Qualitätskontrolle durchlaufenhaben (sogenanntes Peer-Review-Verfahren), aber auch Daten undDatensätze.

Open Access als Baustein einererfolgreichen Forschungspolitik

Die Überzeugung, dass Open Accessder Forschung nützt, beruht auf demGrundgedanken, dass eine möglichstweite Verbreitung wissenschaftlicherInformationen Forschung und Inno -vation fördert. Da alle Forschung auffrüherer Forschung beruht, müssenWissenschaftler möglichst schnellund barrierefrei auf frühere Ergebnis-se zurückgreifen können. Die Ent-wicklung des Internets bietet dies-

the Orbitans. SpacePlace: Art in the Age of Orbitization, 2006, interaktive Netz-Installation

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bezüglich technisch gesehen ein gewaltiges Potenzial. Noch ist die-ses Potenzial aber nicht vollständigausgeschöpft, weil politische undkommerzielle Hindernisse im Wegeste hen. Open Access ist eine Mög-lichkeit, solche Hindernisse anzu ge-hen und zu beseitigen. Zudem kannOpen Access die gesellschaftlicheDimension von Forschung in den Vor-dergrund rücken. Durch Zugangs -mög lichkeiten außerhalb der Welt derWissenschaft können sich beispiels-weise Patientenorganisationen bes -ser über Fortschritte in der Wissen -schaft informieren und Forschungs-programme mitbestimmen. Durchoptimierten Zugang zu Forschungs-ergebnissen kann auch das Systemder Wissenschaftsproduktion reibungsloser funktionieren. Der effi ziente Ablauf verschiedener For-schungsetappen – von Projektein-gabe und Projektfinanzierung überForschung und Qualitätskontrolle biszu Publikation und/oder kommerziel -ler Nutzung – ist Bedingung für er -folg reiche Forschung und eine flo -rierende Wissensgesellschaft. DieseÜberlegungen sind für öffentlich fi-nanzierte Forschung besonders wich -tig, da es hier auch darum geht, denBeitrag des Steuerzahlers optimal zuverwalten.

Ursprung und Teilnehmer derOpen-Access-Debatte

Die Open-Access-Debatte berührteine breite Palette von Themen. Amkontroversesten ist zurzeit die Dis-kussion über Open Access zu quali -tätskontrollierten (peer reviewed)Publikationen in wissenschaftlichenZeitschriften. Der Ursprung dieserDebatte liegt vor allem darin, dassüber die letzen zwei bis drei Jahr-zehnte die Preise für Zeitschriften-abonnements schnell und stetig ge-stiegen sind. Universitätsbibliothekensind meist diejenigen, die dieseAbonnements bezahlen müssen.Dieses abonnement-basierte Modellwird als reader-pays bezeichnet, weilder Leser bezahlt (bzw. die Bibliothekoder Institution, durch die dem For-scher das Lesen ermöglicht wird).Um der Unzufriedenheit der Biblio-

theken aufgrund zunehmenderPreise entgegenzukommen, bietenakademische Verlage seit einiger ZeitZeitschriftenbündel (Big Deals) an,die aus Paketen von Zeitschriften zuRabattpreisen bestehen. Für mancheBibliotheken hat sich die finanzielleNotlage damit entschärft. Sie be-klagen aber, dass die Preispolitik fürZeitschriftenbündel wenig trans-parent ist, und die Verträge rigide. So haben Bibliotheken zum Beispielwenig Flexibilität bei der Wahl derZeitschriften und müssen sich meistfür mehrere Jahre finanziell ver-pflichten.

Forscher und Bibliotheken fordernaufgrund dieser Situation den kos -tenlosen Zugang zu Publikationen,die aus öffentlich finanzierter For -schung hervorgehen. Dies wurdeunter anderem Anfang 2007 durcheine Petition mit über 20.000 Unter-schriften zu Händen des europä-ischen Kommissars für Wissenschaftund Forschung ausgedrückt (www.ec-petition.eu). Akademische Verlageund Verlagsverbände antworten aufdiese Forderung mit der Warnung,dass sie als Industrie durch schwer-wiegende Änderungen des erprobtenwissenschaftlichen Veröffentlichungs-systems wirtschaftlich stark gefährdetwürden. Sie unterstreichen vor allemihre zentrale Rolle als Organisatorender Qualitätskontrolle. Als Antwortauf die Petition der Forscher gabenVerlage und Verlagsverbände 2007die »Brüsseler Erklärung« heraus(Brussels Declaration on STMPublishing). An der Open-Access-Debatte nehmen auch forschungs-finanzierende Organisationen teil,wenn auch mit weniger klaren Positionen, welche sich erst ent-wickeln müssen. Sie interessierensich für Open Access vor allem alsMöglichkeit, ihre Investitionen in dieForschung für die Gesellschaft sogewinnbringend wie möglich zu gestalten.

Open-Access-Umsetzungs-möglichkeiten

Eine weitere zentrale Frage ist, wieOpen Access in der Praxis umgesetzt

werden soll. Einige akademische Ver-lage haben sich bereits dieser Frageangenommen und produzieren Zeit-schriften, in denen Artikel durchOpen Access veröffentlicht werdenmüssen (Open-Access-Zeitschriften)oder können (»hybride« Zeitschrif-ten). Diese Möglichkeit entsprichtdem sogenannten author-pays- odergold-Open-Access-Modell, in demForscher (bzw. meist ihre Arbeit- oderGeldgeber) die Publikationskostenschon vor der Veröffentlichung über-nehmen, sodass ihre Artikel sofortnach der Veröffentlichung kostenlosim Internet verfügbar sein können.Preise gelten pro Artikel, Seite oderZeile. Je nach Zeitschrift kann bei-spielsweise der Preis für einen Ar-tikel zwischen € 1000 und € 4000lie gen. Noch ist es zu früh, um denErfolg dieses relativ neuen author-pays-Geschäftsmodells messen zukönnen. Bei hybriden Zeitschriften,die sowohl mit dem author-pays- alsauch mit dem reader-pays-Modell ar-beiten, stellt sich die Frage, ob Ver-lage zum Teil nicht doppelt kassieren,einerseits von einzelnen Autoren undandererseits von Abonnenten. Eineweitere Frage, die sich in diesemKontext stellt, ist die der Bewahrungund Archivierung digitaler Artikel. Inder gold-Open-Access-Variante be-finden sich Artikel in den digitalen Ar-chiven der Verlage, die per Auftragdie bei ihnen publizierten Open-Access-Artikel auch in öffentlich fi-nanzierten und zugänglichen digitalenArchiven deponieren könnten.

Eine Alternative zu author-pays / goldOpen Access ist der sogenanntegreen Open Access. In dieser Va-riante hinterlegen Autoren (oder ihreInstitutionen) selbst ihre Publikatio -nen in so genannten »Repositorien«.Repositorien sind virtuelle Orte imNetz, in denen Publikationen undandere digitale Objekte (z.B. Daten-sätze) gelagert werden können. Indieser Variante ist die Archivierungs-politik Sache der Universitäten undBibliotheken. Eine stets wachsendeAnzahl von Universitäten und For-schungseinrichtungen besitzen sol -che Repositorien; weltweit existierenüber 1000 Stück, davon rund die

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Hälfte in Europa. In der green Open-Access-Variante wird in der Regel dieFassung des Artikels nach der Quali -tätskontrolle, aber vor der Formatie -rung durch den Verleger hinterlegt.Diese Version trägt meist die etwasirreführende Bezeichnung post-print(die Version vor der Qualitätskontrolleheißt pre-print). Damit Verleger nachder Publikation von Artikeln die Mög-lichkeit haben, ihre Investitionenwieder einzubringen, wird meist ein»Embargo« bzw. eine Sperrfrist vonsechs bis vierundzwanzig Monatenverhängt, d.h. eine Zeitspanne zwi -schen Publikation und Open-Access-Freischaltung, während der die Leserden Zugang bezahlen müssen. DieseZeitspanne ist von Disziplin zu Dis-ziplin unterschiedlich. Je schneller ineiner Disziplin Forschungsergebnisseals veraltet gelten, desto kürzer dieSperrfrist. Eine zunehmende Anzahlvon Zeitschriften erlaubt das Hin-terlegen einer post-print Version nacheiner festgelegten Sperrfrist.

Open-Access-Politik: ausgewählte nationale und internationale Entwicklungen

Für Organisationen und Institutionen,die Forschung betreiben und/oder fi-nanzieren, ist es sinnvoll, eine Open-Access-Politik zu formulieren. Dasbetrifft im Wesentlichen forschungs-finanzierende Organisationen undUniversitäten bzw. Forschungsein -richtungen. Sie können zum Beispielanordnen oder empfehlen, dass dieErgebnisse aus der Forschung, diesie finanzieren und/oder betreiben,kostenlos im Netz zugänglich ge -macht werden. Dabei können sie jenach Wahl eher eine gold-Open-Access- / author-pays- oder einegreen-Open-Access- / repositorien-basierte Strategie wählen, oder abereine Kombination beider Strategien.

Vorreiter in dieser Beziehung sind aufnationaler Ebene einige forschungs-finanzierende Organisationen inGroß britannien. So hat zum Beispielder Wellcome Trust eine vorwiegendgold-Open Access- / author-pays-Va-riante gewählt, und arbeitet eng miteinigen akademischen Verlagen zu-

sammen, die ihre Wellcome-Trust-fi-nanzierten Publikationen sechs Mo-nate nach deren Veröffentlichung indem speziell geschaffenen Reposi -torium UK PubMedCentral kostenloszugänglich machen. Ein weiterer Vor-reiter sind die USA, wo die NationalInstitutes of Health (NIH) nach einemBeschluss des US-Kongresses an-geordnet haben, dass alle Publikatio-nen aus NIH-finanzierter Forschungnach spätestens zwölf Monaten imRepositorium PubMedCentral kosten -los zugänglich gemacht werden müs -sen. Andere Finanzierungseinrichtun -gen überlassen es den Autoren, wo

sie Publikationen deponieren; Haupt-sache, sie sind kostenfrei verfügbar.So erwartet zum Beispiel die Deut-sche Forschungsgemeinschaft, dassForschungsresultate soweit wiemöglich in einem Repositorium oderin einer Open-Access-Zeitschrift nachsechs bis zwölf Monaten zugänglichgemacht werden. Weitere Initiativenund Politiken finden sich, um nur ei-nige zu nennen, in Organisationenund Institutionen in Australien, Bel -gien, Brasilien, Frankreich, Italien,Kanada, den Niederlanden, Öster-reich, Portugal, und der Schweiz.Auch Universitäten bemühen sich zu-

Open Access: Chancen und Heraus-forderungen – ein Handbuch

Das Handbuch der Deutschen UNESCO-Kommission informiert über Chancen undHerausforderungen von Open Access und beleuchtet das Thema aus einer Vielzahlvon Perspektiven. Der Begriff »Open Access« bezeichnet hier den für die Nutzerkostenlosen Zugang zu dem mit öffentlichen Mitteln finanzierten wissenschaft -lichen Wissen.

Das Handbuch wurde in einem Workshop mit 25 Expertinnen und Experten vonBundesministerien, der Kultusministerkonferenz der Länder, der EuropäischenKommission, aus der Wissenschaft, dem Verlagswesen und aus der Open-Access-Praxis konzipiert.

Die Publikation ist online zugänglichunter www.unesco.de/openaccess.Die Printversion kann bei derDeutschen UNESCO-Kommissionbestellt werden. Sie wird in Kürzeauch in englischer Fassung gemein-sam mit der Europäischen Kommis-sion herausgegeben.

Die Deutsche UNESCO-Kommissionhat auf ihrer 67. Hauptversammlungim Juni 2007 eine Resolution ver-abschiedet, die das Open-Access-Prinzip unterstützt(www.unesco.de/reshv67-3.html).

Open Access. Chancen und Heraus-forderungen – ein Handbuch.

Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission, 2007. 136 Seiten.

ISBN 3-927907-96-0.

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nehmend um Open-Access-Politiken.Bedeutend sind in diesem Kontextdie Empfehlungen der European Uni-versity Association (2008), die Univer-sitäten dazu anregen, Politiken undStrategien zu entwickeln, um den Zu-gang zu ihren Publikationen sowiederen Verbreitung zu sichern. Univer-sitäten wird außerdem empfohlen,Repositorien zu schaffen und vonihren Forschern zu verlangen, dieseRepositorien zu benutzen. Immermehr Universitäten und Fakultäten,auch außerhalb Europas, haben in-zwischen eine Open-Access-Politik.So zum Beispiel Harvards Fakultätder Künste und Wissenschaften, dieAnfang 2008 eine Politik verabschie-dete, nach der ihre Forscher ihr Urhe -berrecht an die Fakultät überschrei -ben, damit diese eine Zugangs- undVerbreitungspolitik im Sinne vonOpen Access betreiben kann.

Ein einzigartiger Fall ist die Open-Access-Politik der EuropäischenOrganisation für Kernforschung(CERN). Seit 2005 arbeitet CERN an einem so genannten SponsoringConsortium for Open Access Pub -lishing in Particle Physics-Modell(SCOAP3). SCOAP3 ist ein Kon-sortium aus Forschungs- und Finan -zierungseinrichtungen sowie Biblio-theken, das die Finanzierung von einigen für die Kernforschung be-sonders wichtigen Zeitschriftenwährend einer mehrjährigen Über-gangsphase zum Open-Access-Modell übernehmen soll. Verlagewerden in dieser Zeit von dem Kon-sortium statt durch Abonnements finanziert. Die Originalität desSCOAP3-Modells besteht darin, dassVerlage eine Schlüsselrolle beibehal-ten und Autoren die Veröffentli-chungskosten nicht selbst tragenmüssen.

Auch die Europäische Union (EU) istseit 2006 in der Open-Access-Debat-te aktiv. Aus ihrer Perspektive fördernoptimierter Zugang, effiziente Ver-breitung und zuverlässige Bewahrungdie Erreichung der Ziele der Lissa bon-Strategie von 2000, nach der die Europäische Union bis 2010 zumwettbewerbsfähigsten und dyna-

mischsten wissensbasierten Wirt-schaftsraum gemacht werden soll.Anfang 2007 nahm die EuropäischeKommission eine Mitteilung »überwissen schaftliche Informationen imDigitalzeitalter: Zugang, Verbreitungund Bewahrung« an, die erstmalsdiesen Themenkomplex auf euro -päischer Ebene anspricht. Diese Mitteilung hält »Maßnahmen, die zubesserem Zugang zu und weitererVerbreitung von wissenschaftlichenInformatio nen führen« für »notwen-dig« und schreibt, dass »Forschungs-daten von vollständig öffentlich finanzierter Forschung […] im Prinzipallen zugänglich sein« sollten.

Auf diese Mitteilung folgte Ende2007 ein Dokument des Rats der EU,das die Mitteilung der Kommissionwillkommen heißt und die Mitglied-staaten dazu auffordert, Strategien zuZugang, Verbreitung und Bewahrungvon wissenschaftlichen Informatio -nen zu entwickeln und zu koordinie -ren. Diesen Entwicklungen ent-sprechend hat der Europäische Forschungsrat (European ResearchCouncil, ERC) Anfang 2008 angekün-digt, dass alle auf seiner Finanzierungbasierenden Forschungsergebnissenach sechs Monaten in einem univer-sitäts- oder disziplinspezifischen Re -positorium zugänglich sein müssen.Die ERC-Politik besagt auch, dassPrimärdaten, auf denen Publikationenbasieren, hinterlegt werden sollen.Ein weiterer zu erwartender Schrittauf europäischer Ebene ist eineOpen-Access-Politik für das For-schungsrahmenprogramm, das Fi-nanzierungsprogramm für Forschungder EU.

Ausblick

Was ist die Zukunft von OpenAccess? In welche Richtung wirdsich das Publikationssystem ent-wickeln? Wie werden in Zukunftwissenschaftliche Informationen ver-breitet und zugänglich gemachtwerden? Die gegenwärtige Debattezu solchen Fragen kann als Teil einerÜbergangsphase verstanden werden,in der die Welt der Forschung er-kundet, wie sie das Netz am besten

nutzen kann, und in der Verleger ihreRolle neu definieren. Ein Paradigmen-wechsel ist nötig. Dieser sollte sichbehutsam entwickeln und möglichstalle beteiligten Stimmen und Inte -ressen berücksichtigen. Nur so kanndas Digitalzeitalter optimal für Wis-sen schaft und Forschung genutztwerden.

Dr. Celina Ramjoué ist Referentin in derAbteilung »Governance and Ethics« inder Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission.

Informations-plattform Open Access

www.open-access.net

open-access.net ist eine Plattform, die umfassend über das Thema OpenAccess – den freien und kostenlosenZugang zu wissenschaftlichem Wis senim Internet – informiert und prak tischeHilfen zur Umsetzung von OpenAccess anbietet. Die zielgrup pen- orien tierte Aufbereitung der Informa -tio nen auf open-access.net ermög lichtden Nutzern einen übersichtlichen,schnellen und effizienten Zugang zurelevanten Themen. Die Übersetzungder Plattform ins Englische und eineErweiterung um österreichische undschweizerische Inhalte ist in Vor-bereitung. Eine Mailingliste ermög -licht eine breite Diskussion zu OpenAccess.

Neben der Förderung des Open-Access-Gedankens durch die Bereit-stellung von Informationen sollendurch die Bildung eines Netzwerksvon Open-Access-Beauftragten gezieltder Bekanntheitsgrad von OpenAccess in den verschiedenen Wissen-schaftsbereichen erhöht und diedeutschsprachigeOpen-Access-Community auchauf politischer Ebene gestärktwerden.

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Barbara Lison

Die Rolle der Bibliotheken im InternetzeitalterDie Vermittlung des Zugangs zu allen Medienformen und Inhalten ist die zentrale Funktion der Bibliothekenim Internetzeitalter. Ihre Nachhaltigkeit, ihre Neutralität und ihre Unabhängigkeit von kommerziellen Inte ressen machen Bibliotheken zu einer grundlegenden öffentlichen Institution unserer Wissens- und Infor mationsgesellschaft.

Der international bekannte deutscheCartoonist Till Mette veröffentlichtebereits vor mehreren Jahren seinepersönliche Vision zur Perspektivevon Bibliotheken im Zeitalter derelektronischen Medien: Vor einergroßen Baulücke in einer Innenstadtsteht ein Herr mit Hut und fragt mithöchst verblüfftem Gesicht: »Warhier nicht früher die Stadtbücherei?«– »Die ist jetzt komplett auf CD-ROM«, antwortet eine auf demBoden sitzende Frau, die an Outfitund Haltung unschwer als »Biblio-thekarin« zu identifizieren ist, undstreckt ihm eine Daten-Scheibe ent-gegen.

Wenn diese Bibliothekarin heutzu -tage auch eher auf das Internet alsauf eine CD-ROM verweisen würde,wenn sie noch nicht einmal ein phy -sisch handhabbares Medium emp-fehlen würde, so entspricht die in derKarikatur dargestellte Baulücke, unddamit die physische Extinktion derBibliothek als realer Ort, in ihrer Über-

tragung trotzdem nicht der Realitätund kennzeichnet auch keine realis -tische Perspektive für diese Einrich -tungen. Denn die physische Existenzder Institution »Bibliothek« ist heutenicht weniger relevant als zu Zeitender Errichtung der klassischen gro -ßen Bibliotheken wie der BritishLibrary, der Library of Congress oderder Anna-Amalia-Bibliothek inWeimar.

Herausforderungen der technischen Entwicklung

Dennoch ist es wichtig und richtig,dass sich die moderne Bibliothekimmer wieder neu positioniert, ent-sprechend den Anforderungen,welche die Gesellschaft und dieNutzer an sie stellen. Bibliothekensind Dienstleistungseinrichtungenmit einem diversifizierten Aufgaben-spektrum, die sich den Heraus-forderungen der technischen undsozialen Entwicklung stellen müssen.

Auch in der Bibliotheks-branche kann man von einertechnischen Revolutionsprechen.

Armin Linke. Phenotypes/Limited Form, 2007, Installationsansicht

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Die tradierten Vorstellungen der All-gemeinheit von der Bibliothek alsdem Hort des schriftlichen Kultur-erbes, das in Büchern seinen Nieder-schlag gefunden hat, müssen revi-diert werden. Die aktuellen Aufgabenvon Bibliotheken gehen weit über dieArchivierung und Vermittlung ge-druckter Publikationen hinaus. DieseAufgaben sind in Kongruenz zu derEntwicklung der Wissenschaften,des technischen und gesellschaft -lichen Fortschrittes hinsichtlich Um-fang und Inhalten gewachsen. DieVerfahren, die Art und Form der Er-füllung dieser Aufgaben haben sich inden letzten 30 Jahren drastisch ge-ändert. Auch in dieser Branche kannman von einer technischen Revo-lution sprechen.

Neben die Sammlung und Erschlie -ßung von Inhalten – ob in gedruckterLiteratur oder in Netzpublikationen –ist immer stärker die Aufgabe derVermittlung, der Eröffnung des Zu-gangs getreten. Doch Bibliothekenfördern und trainieren auch die auto-nome Wissensaneignung ihrer Kun-den durch die Vermittlung von Me-thodenkompetenz beim Wissens-erwerb, wozu auch die Fähigkeit gehört, Inhalte und Quellen auf ihreRelevanz und Zuverlässigkeit kritischzu bewerten. Ob als neueste Varianteder »Teaching Library«, ob als kom-munales Medienkompetenzzentrumoder als Unterstützersystem fürLeseförderung und Lesekompetenz,Bibliotheken sind qualitätsorientierteSchnittstellen für die Deckung viel -fältiger Informationsbedarfe. Biblio-theken befähigen die Menschen, In-formationen zu finden, zu bewertenund zu nutzen je nach ihrem speziel -len persönlichen, beruflichen odergesellschaftlichen Interesse und Ziel.

Die Vermittlung des Zugangs zu allenMedienformen und zu allen Inhaltenist die zentrale Funktion der Biblio-theken im Internetzeitalter. IhreNachhaltigkeit, ihre Neutralität undihre Unabhängigkeit von kommer -ziellen Interessen machen sie zueiner grundlegenden öffentlichen Institution jeder Zivilgesellschaft.

Aufgaben der Bibliotheken imInternetzeitalter

Bibliotheken sichern mit ihrer Arbeitdie Verwirklichung von Artikel 19 derUN-Erklärung der Menschenrechte,in dem die informationelle Selbst-bestimmung des Individuums fest-geschrieben ist. Mit dieser Zielset-zung hat der WeltbibliotheksverbandIFLA (International Federation ofLibrary Associations and Institutions)bereits 2002 ein »Internet Mani-festo« formuliert, worin als Aufgabeder Bibliotheken im Internetzeitalterbeschrieben wird:

»Libraries and information servicesare vibrant institutions that connectpeople with global information re -sources and the ideas and creativeworks they seek. Libraries andinformation services make availablethe richness of human expressionand cultural diversity in all media.Libraries and information servicesprovide essential gateways to the In-ternet. For some they offer conve -nience, guidance, and assistance,while for others they are the onlyavailable access points. They providea mechanism to overcome thebarriers created by differences inresources, technology, and training.«

Die deutschen Bibliotheken haben ihrHandeln nach diesen Prinzipien aus-gerichtet und arbeiten für die Ver-wirklichung dieser Ziele. Sie beziehenden politischen Auftrag für ihre ge-sellschaftliche Funktion auch auf Ar-tikel 5 des Grundgesetzes. Bestätigtund politisch anerkannt wurde dieseFunktion gerade im Jahr 2007 durchzwei herausragende politische Be -kenntnisse zu den deutschen Biblio-theken:

Bei der Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar am 24.Oktober erklärte BundespräsidentHorst Köhler: »Bibliotheken förderndie Kompetenz, sich selbständig denZugang zu Informationen in allen me-dialen Formen zu beschaffen. Biblio-thekarinnen und Bibliothekare bietenOrientierung – in realen und virtuellenMedienwelten. Auch im unendlichen

Bibliotheken sichern die Verwirklichung von

Artikel 19 der Erklärung der Men schen rechte, in dem

die informationelle Selbst-bestimmung des Indivi -

duums festgeschrieben ist.

»Die deutschen Bibliothekensind ein unverzichtbares

Fundament in unsererWissens- und Informations-

gesellschaft«.

(Bundespräsident Horst Köhler)

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Meer des Internet sind Bibliothekareund Bibliotheken hilfreiche und kom-petente Lotsen. [...] Die deutschenBibliotheken – und zwar alle, von derhochspezialisierten Forschungsbiblio-thek bis zur kleinen Stadtteilbiblio-thek – sind ein unverzichtbares Fun-dament in unserer Wissens- undInformationsgesellschaft.«

Die Enquete-Kommission des Deut -schen Bundestages hat in ihrem Ab-schlussbericht, den sie im Dezember2007 veröffentlichte, den deutschenBibliotheken eine manifeste Rolle inder Wissensgesellschaft zuge schrie -ben. Dort wird konstatiert, dass dieohnehin hohe Effizienz der Biblio-theken für die gesellschaftliche Ent-wicklung, für Forschung und Lehresowie für nachhaltige Bildung durcheine verbesserte politisch-strate-gische Steuerung, vor allem auf na-tionaler Ebene, noch zu optimierensei. Mit einer stärkeren politischenUnterstützung bzw. höheren politi-schen Aufmerksamkeit könnten dieBibliotheken ihre Rolle als Erfolgsfak-toren der Entwicklung noch deutlichsteigern.

Bibliotheken sind auch im Internet-zeitalter wichtig als Bildungspartner,als Teil der Forschungs- und Wissen-schaftsinfrastruktur, als kulturelleOrte für Inspiration und Kommunika -tion.

Die deutsche Bibliothekslandkarte

Fast 10.000 Bibliotheken stehen derBevölkerung als Dienstleistungsein -richtungen im Bundesgebiet zur Ver-fügung. Das Basisangebot an Kulturund Wissen wird über mehr als 2000öffentliche Bibliotheken auf kommu-naler Ebene und durch ein zusätz -liches Netz von kirchlichen Biblio-theken realisiert. Für die Forschungund Lehre sowie für die Sicherungdes kulturellen Erbes arbeiten 40 regionale Landes- oder Staatsbiblio-theken, 80 Universitätsbibliotheken,circa 200 Fachhochschulbibliothekenund zahlreiche wissenschaftlicheSpezialbibliotheken und natürlich dieDeutsche Nationalbibliothek. Dieses

Europeana, die europäische digitaleBibliothek

www.europeana.eu

Ziel des Internetportals Europeana ist es,den direkten Zugang zu digitalen Mate-rialien aus Bibliotheken, Archiven,audiovisuellen Sammlungen und MuseenEuropas zu ermöglichen. Das Portal wirdauf Initiative europäischer Kultureinrich-tungen und der Europäischen Kommission

derzeit aufgebaut. Der Prototyp für die Europeana wird im Rahmen des von der EUteilfinanzierten Projekts EDLnet entwickelt und soll im November 2008 vorgestelltwerden. Dieser Prototyp wird Zugang zu mindestens zwei Millionen digitalisiertenBüchern, Fotografien, Karten, Tonaufzeichnungen, Filmaufnahmen und Archi -valien aus europäischen Kulturinstitutionen bieten. Träger der Europeana ist dieEuropean Digital Library Foundation (EDL Foundation).

EDLnet: European Digital Library Network,www.europeana.eu/work_packages.phpEDL Foundation: www.europeana.eu/edlnet/edl_foundation/purpose.php

Deutsche Digitale Bibliothek

Die EU verlangt von den Mitgliedstaaten eine Strate gie, wie die nationalen Kultur-und Wissensschätze in digitaler Form in eine europäische Plattform einfließenkönnten. Für Deutschland wird eine solche Strategie durch den Beauftragten derBundesregierung für Kultur und Medien und eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe des Kulturausschusses der Kultusministerkonferenz vorbereitet. Den fachlichen Teil erarbeitet eine Bund-Länder-Fachgruppe, der zwölf Reprä sen tanten aus den Be-reichen Bibliothek, Archiv, Museum und Film angehören. Sie wird konzeptionelldurch einen externen IT-Dienstleister unterstützt.

Der Entwurf des Strategiepapiers, das den verantwortlichen politischen Gremienzur Diskussion vorgelegt werden wird, beschreibt das Vorhaben: »Mittel- und lang-fristig sollen Kulturgut und wissenschaftliche Information aus Deutschland weit-gehend über das Internet zugänglich sein. ... Dazu wird die Deutsche DigitaleBibliothek geschaffen, und zwar in Form eines interdisziplinären Netzwerks dervielfältigen Informationssysteme (Datenbanken, Server und Portale) der Kultur-und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland mit einem zentralen nationalenZugangsportal – und eingebettet in das Netzwerk der Europäischen DigitalenBibliothek. Die damit verbundene Möglichkeit, das kulturelle und wissenschaft-liche Erbe in einer bisher nie da gewesenen Weise zugänglich zu machen und welt-weit jedermann daran partizipieren zu lassen, soll extensiv genutzt werden. Eswerden alle Arten von kulturellen Materialien aus allen Arten von Kultur- undWissenschaftseinrichtungen so miteinander verknüpft werden, dass ein ganz neuesNutzungspotenzial entsteht.«

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sowohl diversifizierte als auch ko-härente System von Kinder-, überSchul- und Musikbibliotheken, vonGefängnis- und Patientenbibliothekenin Krankenhäusern bis hin zu Univer-sitätsbibliotheken und hoch speziali -sierten Fachinformationszentren inForschungseinrichtungen bietet einefunktionierende Infrastruktur für denProzess des lebensbegleitendenLernens für jedes Mitglied unsererGesellschaft und dessen individuelleInteressen und Bedürfnisse.

Das aus ihrem Auftrag resultierendeSelbstverständnis der Bibliothekenmacht sie auch zu natürlichen Part-nern der UNESCO bei der Umset -zung der Konvention zur kulturellenVielfalt. Denn oft sind sie auf demGebiet der interkulturellen Arbeit er -fahrene und anerkannte Dienstleisterim Bildungs- und Kultursektor. Da -rüber hinaus geben sie durch die in-ternationale Katalogvernetzung undDokumentenlieferdienste, durchInformationsportale etc. dem indivi -duellen Nutzer universelle Zugriffs-möglichkeiten auf Informationen überdie verschiedensten Kulturen derWelt.

Als dem freien Zugang zur Informa-tion verpflichtete Dienstleister stellensich die deutschen Bibliotheken denHerausforderungen der modernenGesellschaft, indem sie zum Beispielaktiv an der Verwirklichung der Kon-zepte zum Open Access und zur Eu-ropäischen Digitalen Bibliothek (Eu-ropeana) mitarbeiten, indem sie sti -mulierende Umgebungen für denProzess des lebensbegleitenden Ler-nens schaffen, indem sie unab hängigvon kommerziellen Interessen durchDigitalisierung von Materialien unddurch Langzeitarchivierung das kul -turelle Erbe schützen und gleichzeitigzur Nutzung aufbereiten.

Details über die Aktivitäten und Pro-jekte der deutschen Bibliotheken,wie sie strukturell, organisatorischund vor allem qualitativ aufgestelltsind, werden über das Online-Portalwww.bibliotheksportal.de vermittelt.Dort wie auch auf den Homepagesder BID (www.bideutschland.de) und

des Deutschen Bibliotheksverbandes(www.bibliotheksverband.de) sind diewichtigsten Informationen zu Funk-tionen und zum Funktionieren derdeutschen Bibliothekslandschaft zufinden.

Renaissance der Bibliotheken inden USA

Eine Ende letzten Jahres von der Uni-versity of Illinois-Urbana-Champaignveröffentlichte Studie, »Informationsearches that solve problems. Howpeople use the internet, libraries, andgovernment agencies when theyneed help« (Dezember 2007) belegtdie relativ hohe Akzeptanz von Biblio-theken in den USA, insbesondere beijungen Erwachsenen im Alter zwi -schen 18 und 30 Jahren. Die Studie,in der knapp 3.000 Amerikaner be -fragt wurden, weist unter anderemnach, dass »those who do turn tolibraries have success, and they ap-preciate all the resources available atlibraries, especially access to com -puters and the internet. And those inGeneration Y (age 18-30) were themost likely to turn to libraries for problemsolving information.«

Dieses Ergebnis, das eine Art Re-naissance für Bibliotheken be-schreibt, hat auch Relevanz für diedeutschen Bibliotheken und zeigteinen Trend auf, der sich auch in Eu-ropa abzeichnet. Die Umfrage ausden USA sollten deutsche Politikerund Unterhaltsträger von Biblio-theken zur Kenntnis nehmen, wennsie wieder einmal fragen: »Wozubrauchen wir noch Bibliotheken ineiner Welt des Internets, in einerWelt, die durch Google erschlossenwird?«

Barbara Lison ist Präsidentin der Bibliothek & Information Deutschland(BID) – Bundesvereinigung DeutscherBibliotheks- und Informationsverbändee.V.

Das Netz der bundesweit10.000 Bibliotheken bietet

eine funktionierende In-frastruktur für den Prozess

des lebensbegleitendenLernens.

Verwirklichung der Konzeptezum Open Access und zur

Europäischen DigitalenBibliothek

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Arne Klempert

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia

Der Erfolg der Wikipedia ist eigentlichein Betriebsunfall. Denn ursprünglichsollte die offene Wiki-Plattform beiihrem Start 2001 nur dazu dienen,mehr Menschen die Mitarbeit an Ent-würfen für das Online-Lexikon »Nu -pedia« zu ermöglichen. Die Artikel-entwürfe sollten anschließend denRedaktionsprozess von Nupediadurchlaufen, vergleichbar zu denenklassischer Enzyklopädien. Das Ex-periment Wikipedia entwickelte dannaber eine unerwartete Eigendynamik.Allein in den ersten sechs Monatenentstanden 6.000 Artikel, rund 250mal so viele wie bei Nupedia jemalsfertiggestellt wurden: Sie brachte es auf ganze 24 veröffentlichte Bei -träge.

Die Wikipedia hat heute über700.000 Artikel allein in deutscherSprache; insgesamt kommt die freieEnzyklopädie mit ihren rund 200Sprachausgaben auf über zehn Mil -lionen Artikel. Und das alles ohnezentrale Redaktion. Das Projekt

basiert allein auf dem Engagementfreiwilliger Autoren, vom Schüler biszum Professor. Auch eine zentraleKontrollinstanz sucht man vergeblich.Die Gemeinschaft der Autoren ent-scheidet nicht nur über Umfang undInhalt einzelner Artikel, sie legt auchdie Regularien fest und übernimmtdie Qualitätskontrolle. Aktuell zähltdie deutschsprachige Wikipedia rund10.000 Benutzer mit mehr als fünfBearbeitungen im Monat. Immerhin1.000 Benutzer kommen monatlichauf stolze 100 Änderungen.

Mitarbeiten kann jeder, der möchte.Nicht einmal eine Anmeldung istnotwendig, um Änderungen an Ar-tikeln vorzunehmen oder neue In-halte beizusteuern, die sofort undohne Prüfung veröffentlicht werden.Was auf den ersten Blick als Mangelerscheint, ist einer der Grundpfeilerfür den riesigen Erfolg der Wikipedia.Einerseits erlaubt diese radikale Of-fenheit zwar, dass Artikel beliebigverschlechtert werden können, an -

Bernd Lintermann/Joachim Böttger/Torsten Belschner. Globorama, 2005–2007, interaktive Installation

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Qualitätssicherung im Netz: das Beispiel Online-Enzyklopädien

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dererseits ist sie wesentliche Voraus-setzung dafür, dass Fehler auchschnell wieder korrigiert werden undjedermann mit seinem Wissen zudem Projekt beitragen kann.

Seit Anfang Mai experimentiert dieWikipedia mit einem modifiziertenAnsatz, den sogenannten »gesich-teten Versionen«. Dabei werden alleArtikeländerungen von der Com-munity auf Vandalismus überprüft.Die Leser sollen dann künftig ent-scheiden können, ob sie die jeweilsneueste Version oder die zuletzt ge -sichtete sehen wollen. Wenn sichdas Experiment bewährt, soll esspäter noch um eine inhaltliche Prü -fung erweitert werden. Editierbarbleiben die Artikel weiterhin fürjedermann.

Bei dieser denkbar breit angelegtenMöglichkeit zur Beteiligung bleibenKonflikte natürlich nicht aus. Sokommt es regelmäßig vor, dass zweiAutoren unterschiedliche Vorstel-lungen über den Inhalt eines Artikelshaben und Änderungen gegenseitigimmer wieder rückgängig machen.Solche »Edit-Wars« (oder auch »Be-arbeitungskriege«) werden in allerRegel umgehend von einem der rund200 freiwilligen Administratoren miteiner vorübergehenden Sperrung desArtikels beendet. Diese Sperre dientnicht dazu – wie häufig angenommen– eine Version als Wahrheit festzu -legen. Vielmehr sollen damit lediglichdie Streitparteien gezwungen wer -den, sich auf der zum Artikel ge-hörigen Diskussionsseite mit Argu-menten auf eine möglichst neutraleFormulierung zu verständigen.

Bei stark polarisierenden Themenkönnen diese Diskussionsseitenleicht ein Vielfaches der Länge deszugehörigen Artikels einnehmen,manchmal auch ohne dass man sicham Ende auf eine Version verständigthat. Aber selbst wenn dies der Fallist, gibt es keine Gewähr dafür, dassdiese auch Bestand hat. Denn Unbe-ständigkeit ist ein prägendes Elementin der Wikipedia. Oft ist es gerade dieMeta-Ebene, die die Wikipedia zueinem so interessanten Nachschlage-

werk macht. Die Diskussionsseitenund die ebenfalls öffentlich abruf-baren früheren Artikelversionenliefern die komplette Entstehungs-geschichte eines Artikels mit. DasRingen um die Wahrheit findet hier in aller Öffentlichkeit statt, und jederkann daran aktiv teilnehmen.

Der radikal offene Ansatz macht auchdie atemberaubende Geschwindig-keit erst möglich, in der Wikipedia-Ar-tikel an aktuelle Ereignisse angepasstwerden. Als Kardinal Joseph Ratzin-ger zum Papst gewählt worden war,dauerte es zum Beispiel nur wenigeMinuten, bis die relevanten Artikel inden wichtigsten Sprachen aktualisiertwaren. Kein Verlag könnte es sichleisten, eine so große Menge vonMitarbeitern rund um die Uhr undrund um den Erdball in Bereitschaftzu halten. Für die ehrenamtlich ar-beitende Wikipedia-Community ist esjedoch ein Leichtes.

Die Motivation der freiwilligen Au-toren ist nicht zuletzt deshalb sohoch, weil es sich bei der Wikipediaum ein Projekt ohne kommerzielleInteressen handelt. Betreiberin ist dieeigens zu diesem Zweck gegründete

gemeinnützige Wikimedia Founda-tion. Sie verzichtet ganz bewusst aufWerbung zur Finanzierung des kos-tenlosen Online-Angebotes und ver-lässt sich fast ausschließlich aufSpenden. Den weitaus größten Anteilmachen dabei Kleinspenden bis 50Dollar aus.

Weit wichtiger für den Fortbestandvon Wikipedia ist aber nicht Werbe-oder Gebührenfreiheit, sondern einFreiheitsbegriff, der der Allgemein-heit den Umgang und die Weiternut-zung der Inhalte für alle denkbarenZwecke dauerhaft sicherstellt. Die»GNU Lizenz für freie Dokumen-tation« verlangt dafür unter anderemdie Nennung von Urhebern, derLizenz selbst und dass von freienInhalten abgeleitete Werke wieder-um nach den gleichen Bedingungenfrei blei ben. Gerade diese Freiheit isteine Besonderheit. Die Zukunft desNachschlagewerkes ist damit nichteiner Organisation ausgeliefert,sondern liegt in den Händen derGesellschaft als Ganzes.

Arne Klempert ist Geschäftsführer vonWikimedia Deutschland – Gesellschaftzur Förderung Freien Wissens e.V.

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Bernd Kreissig

Meyers Lexikon online

Ein Hinweistext über dem Artikel zeigt an, dass diese Artikelversion Änderun-gen durch Benutzer enthält, die von der Fachredaktion noch nicht gesichtetwurden. Die letzte, redaktionell geprüfte Version ist über den Reiter »geprüfterArtikel« aufrufbar; auch eine farbig markierte Darstellung der Unterschiede istaufrufbar.

Internet und World Wide Web er-obern sich derzeit die Rolle deswichtigsten Informationsträgerme -diums – in den Industrieländern undzumal in der jüngeren Generation istdas bereits vollzogen. Die damit ein-hergehenden Veränderungen im Me-dienkonsum und -angebot bedeutenfür alle Marktteilnehmer die Notwen -digkeit, sich kontinuierlich anzupas -sen. Die Schwierigkeit in solchenTransformationsprozessen bestehtdarin, dass Überbrachtes und Neue-rungen eine Zeit lang nebeneinan -derher bestehen und regelmäßig vonbeidem sowohl ein Teil vergeht alsauch ein anderer bleibt. Eine ein-seitige Orientierung auf die Neuerun- gen hin kann daher genauso falschsein wie starres Festhalten des Über-brachten.

Man hat traditionellen Verlagen inden letzten Jahren wiederholt attes-tiert, sich nicht weitgehend undschnell genug auf die Gegebenheitendes Internets eingelassen zu haben.Insbesondere sei das klassische Ver-lagsmodell mit Validierung und Qua -litätssicherung durch angestellteRedaktionen und/oder kontraktierteAutoren nicht in der Lage, der »Weis-heit der Vielen« das Wasser zu rei -chen. Die von vielen und zum Teilanonymen Nutzern auf Websites kol-laborativ zusammengetragenen Infor -mationen seien klassisch verlegtenInhalten (unabhängig vom verwen -deten Trägermedium) prinzipbedingtüberlegen: So umfangreich undschnell wie die – von einer »Schwarm -intelligenz« beflügelte – Web-Com -munity könne eine Redaktion nuneinmal nicht arbeiten.

Dem gegenüber steht die Tatsache,dass ein erfolgreiches Leitmediumdes deutschsprachigen Internets wie»Spiegel online« seine Inhalte wei-terhin primär in einem klassischenAutorenmodell erstellt und Benutzernlediglich Kommentierungen zuge -steht, und dass auch in namhaftenuser-generated-content-Portalen desWeb 2.0 kollaborative Selbstregula -tion in einer zunehmenden Zahl vonFällen grobe und zum Teil bösartigeFalschinformation nicht verhindernkonnte.

Meyers Lexikon online hat nun einenneuen, »dritten« Weg eingeschlagen.Das Angebot des Verlags Bibliogra -phisches Institut & F.A. Brockhausmit über 150.000 Artikeln, das aufdem gedruckten Taschenlexikon in24 Bänden basiert, ist seit August2006 im Internet kostenlos verfügbar.Zur Finanzierung wird neben den Ar-tikeln und Suchergebnislisten Wer -bung eingeblendet. Im September2007 öffnete der Verlag das Angebotdann für Benutzerbeiträge.

Was geschieht nun, wenn man sichin einem Thema gut auskennt undsein Expertenwissen beitragen könn-te? Bei der Mitarbeit am Meyers Le-xikon online ist jeder willkommen.Zunächst ist dafür eine kurze kosten-lose Registrierung nötig. Anschlie-ßend können sowohl bestehende Lexikonartikel erweitert oder umge-schrieben als auch komplett neueBeiträge verfasst werden. Als Hilfe-stellung stehen auf der Website ver-öffentlichte Richtlinien bereit. Überdas Schwesterportal Meyers Medienonline kann auch passendes Bild-material beigesteuert werden. Es be-steht zudem die Möglichkeit, mitanderen Nutzern über die jeweiligenInhalte zum Stichwort zu diskutierenoder Fragen, Hinweise und Kom-mentare zu hinterlassen.

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Was unterscheidet Meyers Lexikononline von anderen Web-2.0-Ange-boten? Die Nutzerbeiträge gelangen– abgesehen von denen auf Dis-kussionsseiten – nicht automatisch indie geprüfte lexikalische Substanz.So überschreibt die von einem Nut -zer veränderte Artikelfassung nichtetwa den ursprünglichen, validiertenInhalt. Beide Versionen sind zunächstnebeneinander verfügbar und ent-sprechend gekennzeichnet. Im näch -sten Schritt prüft die Fachredaktionalle Änderungen. Sie übernimmtrichtige Ergänzungen, verwirft Fal-sches oder Überflüssiges, evaluiertVorschläge für Neueinträge und prüftBildinhalte und Bildqualität – das»Beste beider Welten« wird dabei zusammengeführt. Abschließend er -folgt die Freigabe des überarbeitetenund geprüften Artikels. Auf dieseWeise gelangen »Spaßbeiträge« garnicht erst in das Lexikon, genausowenig wie sachliche Fehler, Mani -pulationen, Verunglimpfungen oderrechtswidrige Inhalte. Die Historieder Bearbeitungen jedes Artikelskann eingesehen werden, somit kön -

nen Änderungen – sei es von Nut -zern oder von der Redaktion – nach-vollzogen werden.

Die Fachredaktion kann auch alsSchiedsrichter agieren, wenn dieMeinungen zweier Beiträge aus derInternet-Community konträr sind.Eine weitere wichtige Aufgabe derRedakteure ist das Erkennen von ge-schönter Selbstdarstellung oder Ver-harmlosung – als Stichwörter seienhier Äußerungen zu Drogen, politi -schem Extremismus oder Sekten genannt. Daneben arbeitet die Fach-redaktion kontinuierlich diejenigenAufgaben ab, für die sich kein freiwil-lig beitragender Nutzer gefunden hat. Dazu zählt insbesondere diesystematische Aktualisierung sowohlvon einzelnen Artikeln als auch vonganzen The men bereichen, deren An-passung oder Bearbeitung durch be-stimmte Ereignisse oder Entwick-lungen not wendig wird.

Entscheidend für die Qualität des Lexikons ist, dass der geprüfte undungeprüfte Bereich klar voneinander

nestor – Kompetenznetzwerk Langzeitarchivierung

www.langzeitarchivierung.de

Das »Kompetenznetzwerk Langzeitarchivierung und Langzeitverfügbarkeit digitaler Ressourcen für Deutschland« – nestor II istein Kooperationsprojekt von Bibliotheken, Museen und Archiven. Mit der ansteigenden Zahl elektronischer Veröffentlichungenwächst die Notwendigkeit einer zuverlässigen Archivierung, und es besteht der Bedarf, Expertenwissen in dieser Frage zu bündeln.nestor bietet eine webbasierte Kommunikationsplattform an, um den Austausch von Projekten zur Langzeitarchivierung und dieLangzeitverfügbarkeit von Dokumenten für Forschung und Wissenschaft zu fördern. Fachleute nutzen das Kompetenznetzwerk,um sich mittels Workshops, Seminaren und Arbeitsgruppen austauschen und weiterbilden zu können. Es soll eine dauerhafteKooperationsstruktur für Bi b liotheken, Archive und Museen entstehen, die Expertenwissen vernetzt, Informationen vermittelt und

neue Projekte anstößt. Ziel ist es, die Gedächtnisinstitutionen dabei zu unterstützen, dieBewahrung und Verfügbarkeit aller digitalen Ressourcen selbst gewährleisten zu können. Gemeinsam soll ein Curriculum zu Fragen der digitalen Langzeitarchivierung und Langzeit-verfügbarkeit entwickelt werden. Hierzu dienen spezielle E-Learning-Module, die allen Partnern für Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote zur Verfügung stehen.

nestor wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Partner von nestor II (2006 bis 2009) sind die Deutsche Nationalbibliothek (Projektleitung), die Nieder-sächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, die Universitätsbibliothek derHumboldt-Universität Berlin, die Bayerische Staatsbibliothek München, das BundesarchivKoblenz, das Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin und die Fernuniversität Hagen.

getrennt sind und der Benutzer beider Suche zunächst immer die redak-tionell verifizierte Artikelversion vorAugen hat. Das Öffnen der »bearbeit-baren Artikelversion« mit ggf. nochungesichteten Benutzerbeiträgen istdann eine bewusste Entscheidungdes jeweiligen Anwenders.

Beim Nutzer findet diese Form derKombination professionell geprüfterInhalte und der Möglichkeit eigenerBeiträge gute Akzeptanz.

Interessanterweise bevorzugt übri -gens eine beachtliche Anzahl vonNutzern weiterhin eine seit über 200Jahren im Verlag geübte Form, Fra -gen, Wünsche oder Verbesserungs-und Textvorschläge zur Lexikonsub-stanz zu äußern: den Leserbrief –auch wenn dieser heutzutage immeröfter auf elektronischem Wege zu-gestellt wird.

Bernd Kreissig ist Geschäftsführer derBrockhaus online GmbH.

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Dirk Lewandowski

Informationen finden im Netz

Der Einfluss von Suchmaschinen

Suchmaschinen sind der Zugang zu den Informationen im World Wide Web. Sie bestimmen zunehmend darüber, welche Informationen als wichtig wahrgenommen werden. Aber eine objektive Auflistungrelevanter Informationen können Suchmaschinen entgegen der allgemeinen Vorstellung nicht leisten.

Die Suchmaschine ist nach der E-Mail der beliebteste Dienst des Internets: Wer Zugang zum Netz hat,verwendet auch Suchmaschinen. DieBedeutung von Suchmaschinen lässtsich anhand der an sie gestellten Anfragen ermessen: Das Marktfor-schungsunternehmen ComScoregeht von etwa 18 Milliarden Such-anfragen pro Monat in Europa aus.Der durchschnittliche Nutzer stelltjeden Monat 85 Anfragen an Googleund Co. Dabei berücksichtigen dieseZahlen nur die allgemeinen Such-maschinen, die das gesamte Webdurchsuchen. Die Suchfunktionen

Monika Fleischmann/Wolfgang Strauss. NETZSPANNUNG.ORG – PERFORMING THE ARCHIVE, 2007, raum- und zeitbasierte Interfaces alsZugang zum Online-Archiv netzspannung.org

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beispielsweise auf Nachrichtenweb-sites und Firmenportalen sind hiernicht eingerechnet.

Das World Wide Web dient in vielenKontexten als primäre Informations-quelle. Untersuchungen zeigen, dassSuchmaschinen auch bei wissen-schaftlichen Fragestellungen dieerste Anlaufstelle sind. So häufensich bereits seit einigen Jahren dieKlagen von Hochschullehrern, dieStudierenden würden bevorzugt mitSuchmaschinen recherchieren unddadurch würde die Qualität der Ar-beiten abnehmen.

Was können Suchmaschinenleisten?

Die Nutzer trauen den Suchmaschi-nen gemeinhin mehr zu, als dieseleisten können. So wird oft angenom -men, die Suchmaschinen würdendas Web vollständig erfassen: Wasnicht von Google gefunden wird,existiert für die Nutzer nicht. Aller-dings deckt keine der bekanntenSuchmaschinen das Netz vollständigab. Dem stehen sowohl finanzielleals auch technische Hürden ent-gegen. Auch eine perfekte Such-maschine könnte immer nur das zu-

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tage fördern, was im Web auch zu-gänglich ist. Viele entscheidungs-relevante Informationen lassen sichnur in (kommerziellen) Datenbankenfinden.

Obwohl alle gängigen Suchmaschi -nen prinzipiell die gleichen Seiten desWeb erfassen können, zeigen sie auf-grund der unterschiedlichen Ranking-verfahren verschiedene Ergebnisseauf den ersten Plätzen der Treffer-listen an. Untersuchungen zeigen,dass die Überschneidungen der Top10-Listen der Suchmaschinen sehrgering sind. Insofern lohnt sich dieRecherche in mehreren Suchmaschi -nen, auch wenn die Anfrage nichtverändert wird.

Die meisten Internetnutzer habenkaum Kenntnisse über die verwen-deten Suchwerkzeuge, weder vonder Funktionsweise der Suchmaschi-nen, noch von den Recherchemög -lichkeiten. Die von den Nutzern ge-stellten Suchanfragen sind in allerRegel so einfach formuliert, dass esselbst für Menschen schwer ist, ausihnen herauszulesen, was gemeintist. Die meisten Anfragen bestehenaus nur wenigen Wörtern, der Anteilder Einwortanfragen liegt bei etwa 50Prozent. Erweiterte Suchmöglichkei-ten werden nur selten genutzt.

Auch über die Einnahmequellen derSuchmaschinen wissen die Nutzerhäufig nicht Bescheid. Dass sichSuchmaschinen zum größten Teilüber die Einblendung von Textanzei -gen finanzieren, ist vielen nicht be -kannt. Daher können sie auch oftnicht zwischen Werbetreffern und regulären Suchergebnissen unter -scheiden. Die Werbetreffer werdenzwar mit blassen Farben unterlegt,und es tauchen auch Begriffe wie»Anzeigen« oder »Sponsoren-Links«auf, jedoch lässt die Kennzeichnungvon Werbung gegenüber redaktio-nellen Inhalten zu wünschen übrig.Da aufgrund der auch hier angewen-deten Rankingverfahren auch Wer-betreffer durchaus Relevanz bezogenauf eine Suchanfrage haben könnenund der Prozess der Weiterleitungzur Zielseite sich nicht von dem bei

den regulären Treffern unterscheidet,wird von den Nutzern oft nicht wahr-genommen, ob sie nun einen Wer-betreffer angeklickt haben oder ein»objektives« Ergebnis der Suchma-schine.

Monopolstellung auf dem Such-maschinenmarkt

Der Suchmaschinenmarkt ist starkkonzentriert. Für den Markteintritt be-stehen hohe finanzielle und techni-sche Hürden, der Konkurrenzkampfist hart. Aus diesem Grund gibt es in-ternational nur wenige bedeutendeSuchmaschinen. Vor allem sind hierGoogle, Yahoo, MSN und Ask.com zunennen. Weitere Anbieter haben teilsregionale Bedeutung. Vor allemGoogle hat auf vielen Märkten eineweitgehende Monopolstellung inne.Etwa 90 Prozent aller Anfragen an all-gemeine Suchmaschinen in Deutsch-land werden an Google gestellt. Inanderen europäischen Ländern ist dieSituation vergleichbar. Aus Befragun -gen ist bekannt, dass die Nutzer mitden Ergebnissen dieser Suchmaschi -ne sehr zufrieden sind und daher einWechsel zu einer anderen Such-maschine – oder auch nur die Ergän-zung durch andere Suchmaschinen –für sie nicht in Frage kommt. Durchdie Qualität der Suchergebnisse alleinlässt sich der hohe Zuspruch zuGoogle jedoch nicht erklären: AndereSuchmaschinen können durchauseine vergleichbare Ergebnisqualitätbieten.

Problematisch an der herausragen -den Stellung von Google ist, dassdiese Suchmaschine nahezu alleindarüber bestimmt, welche Inhalte dieNutzer zu sehen bekommen. Zwarwird die Reihenfolge der Ergebnissemit automatischen Verfahren be-stimmt, jedoch basieren auch dieseauf bestimmten Grundannahmendarüber, was als ein gutes Ergebnisanzusehen ist und was nicht. Eineobjektive Reihung der gefundenenDokumente gibt es entgegen der all-gemeinen Vorstellung nicht.

Inzwischen hat sich eine ganze Bran-che herausgebildet, die davon lebt,

Webseiten für Suchmaschinen so zuoptimieren, dass diese für die ge -wünschten Suchbegriffe auf denersten Trefferplätzen angezeigt wer -den. Diese sogenannte SearchEngine Optimization ist von beson-derer Bedeutung, da die Listung aufeinem der vorderen Plätze über dieWahrnehmung eines Web-Angebotsund damit über den geschäftlichenErfolg entscheidet. Die Suchmaschi-nennutzer klicken vor allem auf dieersten Trefferplätze, besonders aufdie Treffer, die ohne Scrollen auf demBildschirm sichtbar sind. Dies be -deutet in der Praxis, dass Angebote,die nicht unter den ersten drei bisfünf Treffern der Ergebnisliste zufinden sind, so gut wie nicht wahr-genommen werden.

Mit der Marktdominanz eines Such-maschinenanbieters ist ein weiteresProblem verbunden: Was geschiehtmit den bei der Suche anfallendenDaten? Suchmaschinen protokol -lieren alle eingegebenen Suchanfra -gen und die zugehörigen Interaktio -nen mit der Suchmaschine. Da dieSuchanfragen einem individuellenNutzer (bzw. wenigstens seinemRechner) zugeordnet werden kön -nen, lassen sich auf dieser Basisleicht Interessensprofile oder gar Persönlichkeitsprofile erstellen. Die-se können wiederum zur Perso nali -sierung der Suchergebnisse – unddamit zu deren Verbesserung – ein -gesetzt werden, allerdings sind auchandere Einsatzszenarien denkbar. ImBereich des Datenschutzes wird dieSpeicherung und Weiterverwendungvon Suchanfragen erst seit kurzemdiskutiert; bei den durchschnittlichenNutzern ist bisher kein Bewusstseinfür diese Problematik vorhanden.

Die Marktdominanz von Google hatzu verschiedenen Reaktionen ge -führt. Auf der einen Seite wird mitHilfe staatlicher Förderung versucht,die Entwicklung von Suchtechnologieauch in Europa voranzubringen. Zunennen sind hier vor allem das fran -zösische Quaero-Projekt sowie dasdeutsche Förderprogramm Theseusdes Bundesministeriums für Wirt-schaft und Technologie. Beide Pro-

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jekte investieren hohe Millionen-beträge in die Forschung und in Ent-wicklungsprojekte in Unternehmen.Die Erfolgschancen dieser Großpro-jekte werden von Experten unter -schiedlich bewertet. Sie können auflange Sicht die Entwicklung vonSuchtechnologie vorantreiben, aufkurze Sicht werden sie jedoch dieMarktdominanz von Google nichtmindern.

Die zweite Reaktion auf die Markt-macht von Google liegt in der Forde -rung nach alternativen Suchmodellen,die durch ihre technische Konstruk-tion nicht monopolisierbar sind. Sol-che Ansätze stecken jedoch noch inden Kinderschuhen. Seitens der Un-ternehmen besteht nur geringes In-teresse an solchen Modellen.

Durch die Verfügbarkeit immenserInformationsmassen ergeben sichgroße Chancen für die Wissens-gesellschaft. Die Auffindbarkeit vonInformationen ist jedoch abhängigvon der Präsenz der entsprechendenDokumente in den Trefferlisten derSuchmaschinen. Besonders durchdie Arbeit der Suchmaschinenopti -mierer werden die Ergebnisse vonSuchanfragen stark beeinflusst. DieKonkurrenz um die ersten Plätze derTrefferlisten führt dazu, dassinformationsorientierte Angebote ofthin ter kommerziellen Angeboten zu-rückstehen. Aufgrund der Häufig-keitsverteilung der Suchanfragenlässt sich der größere Anteil derindividuellen Trefferlisten allerdingsnur schwer beeinflussen.

Prof. Dr. Dirk Lewandowski ist Professorfür Information Research & InformationRetrieval an der Hochschule für Ange-wandte Wissenschaften Hamburg.

Internationale Internetkonferenz Agenda 21 NOW!

www.agenda21now.org

»Agenda 21 NOW!« ist eine Internetkonferenz für Schülerinnen und Schüler ausaller Welt. Der Name der Konferenz ist ein Appell, die 1992 von 179 Staaten beschlossene Agenda 21 JETZT in die Wirklichkeit umzusetzen.

Die Internetkonferenz ist ein Pilot-Projekt der deutschen UNESCO-Projektschulen.Sie findet einmal jährlich statt. 24 Stunden lang können die Teilnehmer miteinan-der und mit internationalen Experten diskutieren. Dabei werden sie von ausgebil -deten Moderatoren des Agenda 21 NOW!-Teams begleitet.

Das Team aus Lehrern und Schülern legt in Abstimmung mit der Bundeskoordi -nation der UNESCO-Projektschulen das Konferenzthema fest, über das diskutiertwerden soll im Hinblick auf das angestrebte Ziel, Nachhaltigkeit zu leben und zulernen. Zur Vorbereitung wird auf der Konferenz-Website umfangreiches Materialin Form eines Wiki angeboten. Die angemeldeten Teilnehmer können vorhandeneArtikel überarbeiten sowie neue Artikel und Materialien einstellen. Die Konferenz-sprache ist Englisch. Diskutiert wird in verschiedenen virtuellen Konferenzräumen.Am Ende verabschieden die Teilnehmer eine gemeinsame Resolution.

Agenda 21 NOW! ist eine Plattform für interkulturelles Lernen, besonders auch für Teilnehmer aus Entwicklungsländern. Über 1.000 Jugendliche aus 68 Staatenhaben sich im letzten Jahr an der Konferenz beteiligt. 2008 fand sie bereits zumneunten Mal statt, diesmal zum Thema »Transport and Communication –Developing the 21st Century«.

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»Wir brauchen nicht mehr undnicht weniger als eine neue Datenschutzkultur«

Interview mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar

Das Internet hat Einzug in viele Lebensbereiche gehalten. Dass sich damit auch Fragen des Datenschutzesin dieses Medium verlagert haben, liegt auf der Hand. Während sich einerseits hohe Erwartungen im Bereich der Meinungsfreiheit mit dem Medium Internet verknüpfen, bestehen andererseits große Ängstehinsichtlich des Schutzes des Persönlichkeitsrechtes und des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung.Macht das Internet uns zum »gläsernen Menschen«? Welche Risiken für den Datenschutz bestehen im Internet? Hierüber sprach UNESCO heute mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informations-freiheit (BfDI), Peter Schaar. Die Fragen stellten Dr. Barbara Malina und Antonie Curtius, Deutsche UNESCO-Kommission.

UNESCO heute: Sehr geehrter HerrSchaar, Sie sind seit 2003 Bundes-beauftragter für den Datenschutz undseit 2006 zusätzlich noch für die In-formationsfreiheit. Welche Aufgabenhat Ihre Aufsichtsbehörde?

Peter Schaar: Eine direkte Aufsicht in Fragen des Datenschutzes und derInformationsfreiheit habe ich bei Be -hörden der Bundesverwaltung oderRessorts der Bundesregierung. In derPrivatwirtschaft kontrolliere ich zu -dem die Einhaltung des Datenschut zesbei den Telekommunikations- undden Postdienstunternehmen sowiebei privaten Unternehmen, die unterdas Sicherheitsüberprüfungsgesetzfallen.

Ein wesentlicher Teil meiner Arbeitgeht jedoch über diese reine Auf-sichtsfunktion hinaus: So habe ichden Deutschen Bundestag und dieÖffentlichkeit über wesentliche da -tenschutzrelevante Entwicklungen zuunterrichten. Zur Verbesserung desDatenschutzes und der Informations-freiheit erteile ich – insbesondere imRahmen von Gesetzge bungs verfah -ren – Rat, gebe Empfehlungen understelle Gutachten und Berichte. Vonbesonderer Bedeutung ist hier meinTätigkeitsbericht, den ich alle zweiJahre für den Deutschen Bundestag

Peter Schaar

erstelle. Auch werde ich nicht seltenum Stellungnahmen in Verfahren vordem Bundesverfas sungsgericht undanderen Gerichten gebeten. Schließ-lich wirke ich in nationalen, euro pä-ischen und internationalen Gremien,Konferenzen und Arbeitskreisen mit.Hierzu gehören zum Beispiel die sogenannte Artikel-29-Datenschutz-gruppe der Europäischen Union unddie Aufsichtsgre mien von Europolund Schengen.

UNESCO heute: Wie groß ist der Anteil des Mediums Internet an IhrerArbeit?

Schaar: In den letzten Jahren hat dasInternet mit seinen verschiedenenAngeboten stetig Einzug in viele Le-bensbereiche gehalten. Dass sich damit auch die Fragen des Daten-schutzes gleichsam in dieses Me -dium verlagert haben, liegt auf derHand. Durch diese Verlagerung bzw.Erweiterung entstehen andererseitsganz neue Probleme, und bekannteProblemstellungen müssen aus ei-nem anderen Blickwinkel betrachtetund neu bewertet werden. Insge-samt kann ich bestätigen, dass es inmeiner Arbeit kaum mehr einen Be-reich gibt, in dem das Internet keineRolle spielt.

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Jeffrey Shaw/Peter Weibel. YOUbiläums Browser, 2007, interaktive Daten-Installation

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UNESCO heute: Einerseits verbindensich hohe Erwartungen im Bereichder Meinungsfreiheit mit dem Medi-um Internet, andererseits aber auchgroße Ängste hinsichtlich des Schut -zes persönlicher Daten. WelcheRisiken für den Datenschutz beste-hen im Internet?

Schaar: Das Internet kennt kein Ver-gessen. Diese Tatsache wird vielenerst bewusst, wenn sie mit Hilfeeiner Suchmaschine eine Mischungvon neuen und alten Informationenzur eigenen Person entdecken. DieseInformationen können von Drittenbeliebig kopiert und an anderer Stellein einem anderen Zusammenhangerneut veröffentlicht werden, oderkönnen zur Herstellung von umfas -senden Profilen verwendet werden.Unbehagen stellt sich dann ein,wenn man sich vorstellt, dass ein po-tenzieller Arbeitgeber diese Daten bei

seiner Entscheidung berücksichtigenkönnte.

»Das Internet kennt kein Vergessen«

Viele Nutzer fühlen sich vielleicht insozialen Netzwerken wie StudiVZoder Facebook vor Ausforschungensicher, weil sie sich in einem – ver-meintlich – geschlossenen Raumwähnen, und geben daher freimütigPersönliches preis. Aber auch durchdie Hürde der erforderlichen Anmel-dung ist man nicht vor den genann -ten Gefahren geschützt. Denn diedort selbst angelegten Profile könnenvon anderen exportiert und miss-bräuchlich verwendet werden. Zu-dem öffnen sich auch die sozialenNetzwerke zunehmend für Such-maschinen, sodass die Vorstellungvon einer geschlossenen Gruppeendgültig aufgegeben werden muss.

Damit ein Vergessen auch im In-ternet möglich wird, ist schon mehr-fach die Einführung eines Verfalls-datums vorgeschlagen worden. Ichhalte dies grundsätzlich für eine guteIdee, die aber bei der konkretenUmsetzung noch viele Fragen auf-wirft.

UNESCO heute: Welche Spuren hin-terlässt ein Nutzer denn im Netz, undwie können diese von Dritten ver-wendet werden?

Schaar: Es geht um zweierlei Artenvon Daten. Einerseits hinterlässt derNutzer bei seinem Weg durchs Netzseine elektronische Spur. Bestimmtetechnische Daten sind erforderlich,um die Internetnutzung überhaupt zuermöglichen, wie die IP-Adresse.Nachvollziehbar sind auch das Datumund die Uhrzeit der Nutzung und dieaufgerufenen Webseiten. Diese

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Daten müssen nach den gesetzlichenVorschriften nach Beendigung derNutzung gelöscht werden. Leiderwird dies vielfach aus Unkenntnisoder falsch verstandenem Pflichtbe -wusstsein von den Anbietern von Internetdiensten nicht befolgt.

»Der Nutzer hinterlässt beiseinem Weg durchs Netzseine elektronische Spur«

Die anderen Daten, die seine Spurverfolgen lassen, hinterlässt derNutzer selbst durch eigenes Handeln,indem er seine eigene Homepage insNetz stellt und dort sein Privatlebendarstellt, indem er an Chats undForen teilnimmt und dort seine Mei-nung zu bestimmten Themen abgibt.Suchmaschinen helfen dabei, dieseSpuren zu finden. Durch seine Ver-öffentlichung im Netz stellt der Nut -zer seine Daten einer mal mehr, malweniger breiten Öffentlichkeit zurVerfügung. Wenn Dritte die Daten fürandere als die gedachten Zweckeverwenden, kann der Betroffene seinRecht auf informationelle Selbstbe -stimmung nicht mehr wahrnehmen,da er keine Kontrolle über seine Da -ten hat. Deshalb kann ich nur raten,zurückhaltend mit den eigenen Datenumzugehen und nur das im Internetzu veröffentlichen, von dem ichannehmen kann, dass es mir auch inZukunft nicht schadet, etwa bei einerspäteren Bewerbung um einen Ar-beitsplatz.

»Oft bleibt nur die Möglich-keit der zivilrechtlichenKlage«

Besonders kritisch sind Angaben, dieandere über mich im Netz veröffent-lichen. Denken Sie an Websites, aufdenen man Professoren, Lehrer,Handwerker oder Ärzte bewertenoder säumige Kunden an den Pran-ger stellen kann. Hier bleibt oft nurdie Möglichkeit der zivilrechtlichenKlage.

UNESCO heute: Viele Nutzer sindsich nicht bewusst, welche Informa-

tionen sie über sich selbst öffentlichzugänglich machen. Welche Aufklä -rungspflicht sehen Sie beim Dienste-anbieter?

Schaar: Eine gesetzliche Pflicht derDiensteanbieter, über die Risiken beider Veröffentlichung von eigenenpersönlichen Daten im Internet auf-zuklären, besteht zwar nicht. DerAnbieter ist allerdings verpflichtet,den Nutzer in einer Datenschutz-erklärung darüber zu informieren, wieer mit den Daten der Nutzer umgeht,und ob er sie zum Beispiel für die Zu-sendung von Werbung nutzt oderweitergibt. Ich sehe den Anbieterauch in der Pflicht, die Nutzer darüberzu informieren, welchen Dritten dievon mir bei einem Internetdienst,etwa in einem Forum, eingestelltenInformationen zugänglich sind. Dennes macht einen großen Unterschied,ob die Daten nur von einer geschlos-senen Benutzergruppe oder von je-dermann abgerufen werden können.Außerdem würde ich es sehr be-grüßen, wenn die Anbieter die Nutzerdarüber aufklären, wie sie ihre Datenmöglichst effektiv schützen könnenund worauf sie achten müssen, umMissbräuchen vorzubeugen. Dazugehört auch der Hinweis, sich nichtunüberlegt im Internet zu offenbaren.

UNESCO heute: Hat die Entwicklungdes rechtlichen Rahmens im Bereichdes Datenschutzes mit den Entwick-lungen im Bereich der digitalen Kom-munikation Schritt gehalten?

Schaar: Diskussionen und Gesprächemit Datenschutz-Kollegen über im-mer neue Angebote und mehr oderweniger sinnvolle Geschäftsideen imInternet zeigen, dass es oft schwierigist, die Gesetze auf die neuen Diens-te anzuwenden. Die Vorschriften sindja in der Regel mehrere Jahre alt. Sokann es vorkommen, dass Regelun-gen, die eigentlich dem Schutz derBetroffenen dienen sollten, bei einerneuen Form von Diensten gerade alsEingriff in die Entscheidungsfreiheitangesehen und deshalb sogar vonden betroffenen Nutzerinnen undNutzern abgelehnt werden. So durf -ten Einzelverbindungsnachweise bis

vor kurzem nicht bei Flatrate-Ver-trägen erstellt werden, weil mandafür ja hätte Daten speichern müs -sen, die nach den bisherigen Daten-schutzbestimmungen zu löschenwaren. Das haben manche Be-troffenen zu Recht als Gängelungempfunden.

»Es ist schwierig, dieGesetze auf die neuenDienste anzuwenden«

Das vom Bundesverfassungsgerichtin seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung formulierte »Grund-recht auf Gewährleistung der Ver-traulichkeit und Integrität informa-tionstechnischer Systeme« hat direk-te Konsequenzen auf den Umgangmit IT-Systemen. Datensicherheit istalso selbst dann durch das Grund-gesetz geschützt, wenn auf demComputer noch keine Daten ge-speichert sind. Das Urteil wird sichauch auf zukünftige Gesetze und Ur-teile auswirken. In erster Linie wirdso einer ausufernden Überwachungdurch den Staat Einhalt geboten.Dies wird sich aber letztendlich auchauf das Ausforschen von Personenim Internet auswirken.

UNESCO heute: Einige Experten, soauch der Präsident des Bundesver-fassungsgerichts, meinen zu beo-bachten, dass der Persönlichkeits-schutz in der Öffentlichkeit keinengroßen Stellenwert mehr genieße.Bedarf es Ihrer Ansicht nach einesneuen Bewusstseins über das hoheGut des Persönlichkeitsrechtes, odersehen wir uns einfach einer neuenGeneration gegenüber, die das Per-sönlichkeitsrecht bewusst anders,weniger streng definiert und nichtmehr das Ziel der Datensparsamkeitbzw. -vermeidung verfolgt?

Schaar: Beides trifft zu. Einerseitsbedarf es eines neuen, anderen Be -wusstseins, denn mit der Digitalisie-rung der Welt und des Lebens hatsich auch das Verständnis von dem,was das Persönlichkeitsrecht aus-macht, geändert. Neben die Figurdes Leviathan, der als allmächtiger

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Staat seine Bürgerinnen und Bürgerausforschen und beherrschen will, isteine andere Macht getreten. Ich mei-ne die Wirtschaft, die ebenso an denDaten der Bürgerinnen und Bürgerinteressiert ist. Auch wenn viele die»Eingriffe« von dieser Seite als nichtso bedrohlich empfinden, sehe ichdies sehr kritisch, zumal sich derStaat auch zunehmend privatwirt-schaftliche Quellen erschließt, etwabei der Vorratsspeicherung von Tele-kommunikationsdaten. Jedem In-ternet-Nutzer sollte klar sein, dassfast jede Aktivität im Netz Spurenhinterlässt, für die sich andere inte-ressieren.

»Mit der Digitalisierung der Welt hat sich das Verständnis von Persönlich-keitsrecht geändert«

Zum anderen hat wohl vornehmlichdie jüngere Generation grundsätzlichein »entspannteres«, möglicherweiseauch demonstrativ gleichgültiges Ver-hältnis zu allem Persönlichen in derÖffentlichkeit. Dies lässt sich überallbeobachten, wenn zum Beispiel inder U-Bahn mit der Freundin über diejüngste Auseinandersetzung mit denEltern oder dem Freund telefoniertwird oder im Fitness-Studio demSportfreund von den Fortschritten beider neuesten Eroberung berichtetwird. Mehr noch: Die vor allem in denMedien – nicht nur im Internet – zubeobachtenden exhibitionistischenTendenzen mögen zwar unterschied-lich motiviert sein, sie zeugen aberimmer von einem fehlenden Gespürfür die Privatsphäre.

Nicht zu unterschätzen ist auch, dassmit den sukzessiven, teilweise unbe-deutend erscheinenden Einschrän-kungen im Privatbereich ein Gewöh-nungsprozess eingesetzt hat, derdazu führt, dass der Abbau der Privat-sphäre immer alltäglicher wird. An-gesichts dieser Gewöhnung werdenimmer neue Einschränkungen viel -fach nicht als solche wahrgenom-men. Dies hat wiederum zur Folge,dass deren tatsächliche Notwendig-keit nicht mehr im erforderlichen Um-

PRIME – ein Modellprojekt für datenschutzfreundliches Identitätsmanagement

www.prime-project.eu

Im Projekt »PRIME – Privacy and Identity Management for Europe« werden Prototypen eines datenschutzfördernden Identitätsmanagementsystems entwickelt.Im Mittelpunkt steht dabei, dass die personenbezogenen Daten unter der Kontrolledes Nutzers bleiben. PRIME-Technik unterstützt auch das Datenschutzmanage-ment von Diensteanbietern, die rechtlich zu einer datenschutzkonformen Daten-verarbeitung verpflichtet sind.

In verschiedenen Szenarien werden innovative Lösungen demonstriert, wie mit-hilfe von selbstbestimmtem Identitätsmanagement die Nutzer ihre Datenschutz-rechte leichter und effektiver wahrnehmen können. Beim E-Learning-Prototypwerden beispielsweise Lösungen entwickelt, die eine Teilnahme an Lehrveran-staltungen anonym bzw. unter Pseudonym ermöglichen. Beim Prototyp zu Location Based Services werden Verfahren implementiert, mit denen ortsbezogeneHandydienste wie zum Beispiel ein Apotheken-Finder und ein Pollenwarnsystemdatenschutzgerecht genutzt werden können. Ein weiterer Prototyp unterstützt be-triebssystemunabhängig das anonyme Surfen im Internet. Darüber hinaus erklärenOnline-Tutorials in verschiedenen Sprachen, warum selbstbestimmtes Identitäts-management wichtig ist und wie es geht.

Alle PRIME-Ergebnisse werden von Experten aus den Bereichen Recht, Wirt-schaft, Gesellschaft, Usability und Technik interdisziplinär diskutiert. Nach einervierjährigen Laufzeit wird PRIME seine Ergebnisse am 21. Juli 2008 in Leuven,Belgien, öffentlich vorstellen. Das Nachfolgeprojekt PrimeLife (www.primelife.eu)wird die Ergebnisse im Hinblick auf die Datenschutzanforderungen weiteroptimieren.

Im PRIME-Tutorial wird die Verkettung von Informationen veranschaulicht.

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fang kritisch hinterfragt wird. Das giltauch für die »Alltagsregistrierung«,etwa bei vielen Internet-Angebotenoder bei Kundenkarten-Systemen.Umso wichtiger ist es, dass hier eineGegenbewegung korrigierend ein-greift und das Bewusstsein für denhohen Stellenwert des Persönlich-keitsrechts in der Öffentlichkeit wie-dererweckt. Wir brauchen nicht mehrund nicht weniger als eine neue Da -tenschutzkultur.

UNESCO heute: Inwiefern kann manden Risiken für den Persönlichkeits-schutz auch durch Vermittlung vonKompetenzen begegnen? WelcheKompetenzen sollte ein Nutzer be-sitzen?

Schaar: Aus meiner Beratungspraxisweiß ich, dass die von Bürgerinnenund Bürgern vorgebrachten Daten-schutzprobleme oft eine Folge vonUnkenntnis oder Unerfahrenheit imUmgang mit dem Internet sind. Hierwird ein Medium genutzt, von demman unzutreffend annimmt, dass esso einfach und übersichtlich ist, wiedie reale Nachbarschaft. Dieser Irr-tum fällt dann auf, wenn man fest-stellen muss, dass zum Beispiel eineSuchmaschine Dinge über die eigenePerson zu Tage fördert, die – in derrealen Welt – schon längst vergessen

waren, oder plötzlich persönliche In -formationen aus einem sozialen Netz-werk in der Presse auftauchen. Nunhalte ich es für den Durchschnitts-nutzer für nicht erforderlich, das In-ternet in all seinen komplexen Struk-turen zu kennen und zu verstehen.Aber jeder sollte sich einige grund-legende Kenntnisse hinsichtlich derStruktur, der Funktionen und derRisiken aneignen. Hier ist gerade dasInternet selbst und seine einschlägi -gen Informationsangebote ein geeig-neter »Lehrer«.

UNESCO heute: Sehen Sie die Rolledes Internets als Lernmedium undWissensvermittler durch die Gefah -ren für den Datenschutz behindert?

Schaar: Umfragen haben ergeben,dass viele Nutzer Angebote des E-Commerce deshalb nicht nutzen,weil sie um die Sicherheit ihrer Datenfürchten. Diese Reaktion ist teilweiseberechtigt, denn in regelmäßigen Ab-ständen gehen Meldungen über im-mer einfallsreichere Betrüger durchdie Online-Medien, die die Daten gut-gläubiger Nutzer missbraucht haben.Solche Meldungen steuern nichtgerade dazu bei, Vertrauen in dieneuen Medien aufzubauen oder zuerhalten, und möglicherweise führtdas auch bei einigen Nutzern zu einer

Verweigerung in anderen Angebots-bereichen. Auch hier kann nur durchKompetenzaufbau und Sensibilisie-rung einer breiten Nutzerschicht dieSicherheit des einzelnen Nutzers imUmgang mit dem Internet erhöhtwerden.

UNESCO heute: Würden Sie derThese zustimmen, dass das Internetdurch die Möglichkeit der unbeob-achtbaren, anonymen Nutzung gleichzeitig auch Chancen für denPersönlichkeitsschutz bietet?

Schaar: Sicherlich. Aber der Nutzermuss diese Möglichkeit auch ergrei-fen und sich konsequent verhalten.Die eigene Homepage mit persön -lichen Angaben und Fotos, die Teil-nahme an Chats und Foren usw. ver-tragen sich nicht mit dem Anspruchauf Anonymität. Auch hat der NutzerMöglichkeiten, seine Internet-Iden -tität zu verbergen, etwa durch Ver-wendung von Anonymisierungs-diensten. Der Nutzer hat also durch-aus die Chance, seine Privatsphärezu schützen, er muss sich nur dafürentscheiden.

UNESCO heute: Herr Schaar, wirdanken Ihnen herzlich für dasGespräch.

Ausstellungsansicht. Im Vordergrund: Die Gruppe telewissen / Herbert Schuhmacher. Der Magische Spiegel, 1970, interaktive Videoinstallation

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Dorothee M. Meister / Bianca Meise

Medienkompetenz als lebenslangeHerausforderung

Medienkompetenz ist Vorausset-zung für einen verantwortlichenUmgang mit dem Internet und denneuen Nutzungsformen des Web2.0. Ohne Medienkompetenz isteine adäquate Beteiligung amgesellschaftlichen Leben künftigkaum mehr möglich. Der Erwerbvon Medienkompetenz ist damitTeil des lebenslangen Lernens.

Mogens Jacobsen. Hørbar/Audiobar, 2007, interaktive Klanginstallation

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Seit das Internet in den 90er JahrenEinzug in die Arbeits- und Privat-sphäre der Menschen hielt, bestehtein gesellschaftlicher Konsens überdie Notwendigkeit von Medienkom-petenz. Nachdem Medienerziehungbis dahin eher marginalisiert wurdeund sich der Fokus auf Kinder undJugendliche konzentrierte, setztesich langsam die Erkenntnis durch,dass Mediennutzung Fähigkeiten undFertigkeiten erfordert, die nur teil-weise durch die Mediennutzungselbst quasi en passant erworbenwerden können und daher eines ak-tiven Lernprozesses bedürfen.

In modernen, von Informations- und Kommunikationstechnologiengeprägten Gesellschaften ist Medien-kompetenz inzwischen zu einer

zentralen Voraussetzung geworden,um am gesellschaftlichen Leben adäquat zu partizipieren und dieMedien kenntnisreich, kritisch, dentechnischen Möglichkeiten entspre -chend und produktiv im Kontext einessozial verantwortlichen Han delns zunutzen. Angesichts der ungeheurenDyna mik, die im Medienbereich zuverzeichnen ist, ist der Erwerb vonMedienkompetenz Teil des lebens-langen Lernens und betrifft alle Altersgruppen.

Die Forderung nach Medienkom-petenz wird zwar allgemein postu-liert, sie ist in ihrer konkreten Ausformulierung jedoch abhängigvon den Rahmenbedingungen, diezum einen durch die Technik, zumandern durch die Nutzergruppen

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gestellt werden. Am Beispiel des Web2.0 wird deutlich, wie sich durch dieveränderte Nutzung des Internetsauch die Kompetenzanforderungengeändert haben. Web 2.0 ist eindiffuser Begriff, der ein komplexesZusammenspiel vielfältiger Entwick-lungen umschreibt. Grob kategori -siert beschreibt dieses Schlagwortden Ausbau infrastruktureller Rah-menbedingungen wie schnellere,bessere und kostengünstigere Zu-gangsbedingungen, technische Neu-erungen wie komfortablere Bedie-nung und »lernfähige« Programmesowie letztlich gewandelte Nutzungs-formen des Internets.

Neue Nutzungsformen des Internets

Die Veränderungen gehen in Rich-tung neuer Beteiligungsmöglichkei -ten, Möglichkeiten zur Partizipa tionsowie einer Tendenz zur Gemein-schaftsbildung und Selbstdarstellung.So bietet beispielsweise die Online-Enzyklopädie Wikipedia dem Nutzerdie Möglichkeit, selbst als Produzentvon Wissen aufzutreten und gemein-sam mit anderen Nutzern an Wis -sensprojekten zu arbeiten. Innerhalbder Online-Communities SchülerVZ,StudiVZ oder Xing geht es hingegenum den Ausbau von Kontakten. Hierstellen sich Schüler, Stu dierende, Be-rufstätige und andere Nutzergruppenpersönlich dar. Infor mationen wieFotos, Hobbys, Bezie hungsstatus,Freunde, besuchte Veranstaltungensowie teilweise stünd lich aktuali -sierte Meldungen über Aktivitätensind hier eingestellt.

Das Web 2.0 bietet aber auch Orien -tierungshilfen, um die Informationenaus der Datenfülle im Internet zufiltern, indem beispielsweise durchdie Eingabe von Schlagworten ineiner Suchmaschine wie Google er-möglicht wird, Firmen, Informatio -nen, Ton- und Bilddateien, wissen-schaftliche Artikel, Reiserouten undvieles mehr zu finden.

Die Beispiele verdeutlichen, wie starksich die Nutzungsformen des Inter -nets in den letzten Jahren noch ein-

mal erweitert haben. Damit sind auchdie Anforderungen und die Möglich-keiten für Nutzer gestiegen. Auf-grund der zahlreichen Angeboteschon für kleine Kinder nützen unskeine Verbote oder Warnungen vordem Gebrauch. Vielmehr braucht derProzess des Hineinwachsens in dieMedienwelt pädagogische Beglei-tung und die Vermittlung von Me -dien kompetenz.

Risiken der Internetnutzung

Wenn sich heute bereits 12-Jährigesouverän in SchülerVZ einen eigenenBereich einrichten und an ihrer vir -tuellen Repräsentation arbeiten, be -deutet dies nicht, dass diese Kinderauch die Risiken abschätzen können,die sich etwa aus der Preisgabe per-sönlicher Daten ergeben. Kinderkönnen meist auch nicht die sozialenGefahren abschätzen, wenn sie etwaBelästigungen in Chats ausgesetztsind. Medienkompetenz würde hierbedeuten, dass Kinder aufgeklärtsind, wie leicht Daten im Netz zu-gänglich sind und wie man sich vorunangenehmen Situationen schützenkann. Medienkompetenz bedeutetauch, dass Kindern und JugendlichenZeit zugestanden wird, Medien zunutzen und über sie zu kommuni -zieren, dass aber auch da rauf ge-achtet wird, andere Freizeitaktivitätenund face-to-face-Bezie hungen nichtzu kurz kommen zu lassen. Insofernbenötigen auch Eltern hohe Medien-kompetenzen, um mit den Kinderndie Mediennutzung auszuhandelnund um Anleitungen für eine selbstbestimmte Nutzung geben zukönnen.

Die Entwicklungen im Medienbereichzeigen, dass es zunehmend für alleAltersgruppen von Belang ist, sichversiert durch die verschiedenenDienste des Internets bewegen zukönnen. Die Nutzer sollten um dieNormen und Regeln der jeweiligenDienste wissen, da ein Verstoß ge -gen diese Konventionen schnell zueinem Ausschluss aus der virtuellenGemeinschaft führen kann. DieseKonventionen gestalten sich beijedem Internetdienst anders und

müssen entsprechend erlernt und angewandt werden, damit die Potenziale des Internets aus-geschöpft werden können.

Medienkompetenz bedeutet auch,entscheidungsfähig zu sein, etwawelche persönlichen Daten für wel-che Mitglieder der virtuellen Gemein-schaft freigegeben werden. Dabei giltes zu beachten, dass jeder Login,jeder Beitrag in einem Forum, jedesBild, jedes eingestellte Video einepersönliche Datenspur darstellt unddiese Inhalte teilweise von Unbe-fugten gespeichert und erneut inanderen Kontexten verwendet wer-den können. Auch das Wissen umUrheberrechte stellt einen wichtigenTeil der Medienkompetenz dar, dadurch zunehmende Digitalisierung dieÜbernahme fremder Texte, Bilder,Software etc. erleichtert wird, aberdennoch strafbar ist. Da sich das In-ternet auch künftig verändern undweiterentwickeln wird, entstehenwiederum neue Nutzungsformen,woraus neu zu erwerbende Kompe -tenzebenen erwachsen.

Medienkompetenz für»bildungsferne« Gruppen

Unserer Aufmerksamkeit bedürfenvor allem gesellschaftliche Gruppen,die auf die komplexen Anforderun -gen der Mediengesellschaft nicht miteiner entsprechenden Medienkom-petenz reagieren können. Dies be-trifft zum einen jenen Personenkreis,der auf dem Hintergrund biographi -scher Erfahrungen nur wenig Tech-nikaffinität zeigt, unsicher in medien-technischen Belangen ist und sichnicht zutraut, die Möglichkeiten desInternets und von Web 2.0 kennenzu lernen und souverän zu nutzen. Es gibt zum anderen einen nichtuner heblichen Anteil von Kindern, Jugend lichen und Erwachsenen, dieMedien lediglich unterhaltungsorien -tiert und kaum zur Erweiterung ihrerKenntnisse und ihrer gesellschaft -lichen Teilhabe nutzen. Vielfach fehltes hier an Zugangs- und Nutzungs-kompetenzen, aber auch an Orien -tierung und Vorbildern eines bil-dungs orientierten Gebrauchs. Dies

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liegt oft an einem wenig differenzier-ten Bildungshintergrund und -inte res -se sowie an einem familiären Um-feld, das wenig Wert auf kulturellesKapital legt. Die Vermittlung vonMedienkompetenz könnte in beidenFällen Teilhabechancen eröffnen undHorizonte erweitern. So könnte einezunehmende »digitale Spaltung« ver-mieden werden. Allerdings setzt diesvoraus, dass Angebote zur Vermitt-lung von Medienkompetenz für alleAltersgruppen und Interessenlagenvorhanden sind.

Bei der Form der Vermittlung solltensowohl institutionelle als auch infor -melle Aneignungskontexte im Fokusstehen. Denn für Internetnutzer, diebereits über eine gewisse Medien-kompetenz verfügen, gibt es vielfä l-tige Angebote, sich informell oder in-stitutionell weiterzuqualifizieren undihre Interessen mit Hilfe der Möglich-keiten des Web zu vertiefen. Dies be-ginnt bei Ratgeberliteratur für Eltern,geht über spezifische Webangebotefür Kinder und reicht bis zu einschlä-gigen Zeitschriften, Büchern, Inter -netforen oder Blogs für Spezialinte -ressen. Allerdings erreichen diese in -formellen Angebote nicht alle Grup-pen und bedürfen deshalb sowohleiner zielgruppenorientierten Aufbe-reitung als auch einer institutio nellenFlankierung.

Problematisch ist auch, dass die vorschulische und schulische Me-dienkompetenzvermittlung nocherhebliche Defizite aufweist. So wirddas Internet zwar inzwischen imUnterricht eingesetzt, es gibt jedochkaum eine gezielte Förderung fürKinder und Jugendliche, deren fa -miliärer Hintergrund ihnen wenigKompeten zen in dieser Hinsicht ver-mittelt hat oder die wenig Eigen-interesse für die Erweiterung ihresHorizonts mitbrin gen. Ein Grund fürdiese mangelnde Förderung liegtnicht zuletzt darin, dass viele Erzie -hungs- und Lehrpersonen selbstnicht über eine ausreichende tech-nische und reflexive Medienkom-petenz verfügen.

Die Herausforderung für die Medien-pädagogik wird in den nächsten Jah -ren vor allem darin liegen, neben derQualifizierung von Erziehungs- undLehrpersonen die eher »bildungs-fernen« Gruppen zu erreichen unddas lebenslange Lernen zu fördern.

Prof. Dr. Dorothee M. Meister lehrt Medienpädagogik und empirischeMedien forschung an der UniversitätPaderborn.

Die Diplom-MedienwissenschaftlerinBianca Meise ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwis-senschaft der Universität Paderborn.

Die Initiativeklicksafe

www.klicksafe.de

Als deutscher Beitrag zum »Safer Internet Programm« der EuropäischenUnion ist klicksafe zentrale Anlauf-stelle für alle, die sich über einensichereren Umgang mit dem Internetinfor mieren möchten. Das Projektbietet Eltern, Pädagogen, Kindern undJu gendlichen zielgruppengerechteAufklärung und praktische Hilfe-stellung zum Surfen im Netz. Bereitsbestehende Informationsangebote und Initiativen aus dem Bereich Internet -sicherheit werden bundesweit ver-netzt. Die Plattform informiert um-fassend über aktuelle Entwicklungen,Chancen und Risiken des Internets.Neben grundlegenden Informationenzu Sicherheit und Jugendschutz gibt espraktische Tipps, aktuelle Meldungenund viele Materialien zum Thema»Sicherheit im Internet durch Medien-kompetenz«. Die Landeszentrale fürMedien und Kommunikation Rhein-land-Pfalz betreut das Projekt.

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Debora Weber-Wulff

»Wieso, im Internet ist doch alles frei?«

Copy & Paste-Mentalität unter Lernenden

Das Internet ist eine schier unendliche Quelle von frei zugänglichen Informationen, die man mit kurzem Tastendruck für sich sichern kann – so die Ansicht vieler Lernender. Doch auch ohne vorsätzliches Vorgehenist ein Text, der ohne Quellenhinweis übernommen worden ist, ein Plagiat.

Definition von Plagiat

Wie kann man Plagiat definieren?Man schaut heutzutage oft in derWikipedia nach, bevor man Wörter -bücher aus dem Regal bemüht. Inder deutschen Wikipedia steht: Pla -giat bezeichnet »[...] die Vorlagefremden geistigen Eigentums bzw.eines fremden Werkes als eigenesoder Teil eines eigenen Werkes. Die -ses kann sowohl eine exakte Kopie,eine Bearbeitung (Umstellung vonWörtern oder Sätzen), eine Nach-erzählung (Strukturübernahme) odereine Übersetzung sein. MancheQuellen klassifizieren auch erfundeneDaten und unzureichend gekenn-zeichnete Zitate als Plagiate.« Aller -dings hat die Autorin dieses Artikelsgenau diese Definition für die Wiki -pedia verfasst unter ihrem Pseudo -nym WiseWoman. Wie so oft im Internet muss man sich fragen: Werhat das geschrieben? Stimmt es?Bewusst wird hier die Frage des Vor-satzes weggelassen, denn es istnicht von Bedeutung, ob der Plagia -tor mit Absicht gehandelt hat odernicht. Ein Text, der ohne Quellenhin-weis übernommen worden ist, ist einPlagiat, auch wenn er bearbeitet(redigiert, umgestellt und/oder über-setzt) worden ist.

Verbreitung von Plagiat

Es gibt kaum gesichertes Zahlen ma -terial darüber, ob die Anzahl von pla -giierten Werken seit der Verbrei tungdes Internets zunimmt. Untersuchun -gen aus den USA, Großbritannienund aus Deutschland ergeben un -terschiedliche Verbreitungsgrade des

Plagiats. Eine Studie hat ermittelt,dass unter Studierenden etwa einDrittel irgendeine Form von Schum-meln im Laufe des Studiums began -gen hat (Plagiat begangen, Spickzet-tel benutzt, Ghostwriter be müht).Eine andere Studie, die Ober schülerbefragte, berichtete von der erschre-ckenden Zahl von fast 90 Prozent, diewährend ihrer Schulkarriere auf un -redliche Weise eine Leistungsbe ur -teilung erlangt haben.

In Großbritannien haben zwei Studienmit unterschiedlicher Fragestellungeine Verbreitung zwischen 15 und 54 Prozent festgestellt. In zwei Ma -gisterarbeiten, die vor kurzem inDeutschland angefertigt wurden,wurden Kommilitonen zu ihrer Be-reitschaft zu plagiieren befragt. Hierwurden ebenfalls zwischen 15 und30 Prozent der Befragten als po-tenzielle (oder inzwischen tatsäch-liche) Plagiatoren ermittelt.

Wer plagiiert warum?

Auch ohne Internet wurde plagiiert.Eine ältere Studie von Mitte der 80erJahre hat untersucht, wer als Plagi-ator in Frage kommt:• Es sind eher Männer als Frauen, die

plagiieren; aber wenn Frauenplagiieren, dann um einem Freundoder einer Freundin zu helfen.

• Es sind unreife Studierende, diezum Plagiat neigen, besondersStudierende, die ein Studium alsMittel zum Zweck ansehen, oderStudierende, die weniger leistungs-stark sind.

• Es sind eher Natur- als Geistes -wissenschaftler, die plagiieren.

Zwei neuere Untersuchungen ausGroßbritannien haben sich mit denMotiven von Plagiatoren auseinander-gesetzt. Es wird eine Vielzahl vonpersönlichen Gründen genannt: derWunsch nach besseren Noten; Faul-heit oder Zeitmanagementprobleme;Familie, Job oder Lifestyle sind wich -tiger als das Studium; die Regelnvom wissenschaftlichen Schreibenhat man angeblich nicht verstanden.

Es gab aber auch andere Gründe: 40 Prozent der Befragten in einer derStudien haben plagiiert, weil dasMaterial so einfach aus dem Netz zubekommen war. Andere haben dasInternet als »freie« Bibliothek ver-standen; sie wurden in der Schulegeradezu angehalten, Material vonCDs oder aus dem Internet zu su-chen und mit Copy & Paste aufzube-reiten.

Knapp ein Drittel der Befragten be-hauptete, ihnen sei das Plagiierenunbewusst passiert. Andere meinten,wenn die Lehrkraft schlecht sei, müsse man sich auch nicht an-strengen, vernünftig zu schreiben.

Überforderung im Umgang mitdem Internet

Ein großes Problem ist sicherlich,dass viele Lehrkräfte in den Schulenim Umgang mit Internet-Technikenüberfordert sind. Gerade in Deutsch-land, wo seit Anfang der 80er Jahreimmer weniger junge Lehrer einge-stellt werden, sind viele der älterenverunsichert, wenn es um die Nut-zung der neuen Medien geht.

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Es werden zwar Weiterbildungen angeboten, aber nach dem PISA-Schock sind die Schulen so sehr mitsich selbst beschäftigt, dass es kaumRaum dafür gibt, sich mit dem sinn-vollen Umgang mit dem Internet zubefassen. Es wurden zwar im großenStil Rechner angeschafft, und ein-zelne Lehrkräfte plagen sich seitdemmit der technischen Administrationder Geräte herum, aber die Lernein-heiten zum kritischen und legalenUmgang mit dem Internet bleibenrühmliche Ausnahmen.

Geistiges Eigentum undLizenzen

Es gibt zwei divergierende Denk-schulen in der Frage des Zugangs zuInhalten. Die Einen sehen digitalenInhalt als potenzielles gewinnbrin -gendes Eigentum an, das sie zu si-chern versuchen: Sie entwickelnimmer kompliziertere Verfahren undLizenzmodelle für die einzelnen Pro-dukte.

Für die Anderen ist digital kodiertesWissen wie Feuer – man kann je -

mand anderem davon geben, ohnedass das eigene Feuer weniger wird.Um diese Denkschule entwickelnsich die sogenannten »freien« Lizen -zen, die mitnichten beliebig verwend-bar sind. Lizenzen wie GNU PublicLicense (GPL) erlauben eine Bear -beitung, solange das Ergebnis eben -falls unter GPL gestellt wird. MitCreative Commons Lizenzen könnenInhalte nur nicht-kommerziell ver-wendet werden oder beliebig unterNennung des Autors.

So ist zum Beispiel die Wikipedializenziert: beliebig nutzbar, auch kom-merziell unter der Bedingung, dassein Verweis auf die Quelle und in dieAutorenliste aufgenommen wird. Fürdie Bilder in Wikipedia existiert hin-gegen eine Vielzahl von Lizenz -modellen.

Statt wegzuschauen ob dieses Li -zenzwirrwarrs, müssen die Schulendamit beginnen, das Konzept vongeistigem Eigentum sowie Lizenz -modelle mit ihren Schülerinnen undSchülern zu diskutieren. Diese müs-sen lernen, warum Lizenzen existie -

ren, und sollten darüber diskutieren,ob nicht alles, was mit öffentlichenGeldern produziert wird, unter eineder »freien« Lizenzen gestellt wer-den müsste.

Wissenschaftliches Arbeiten

Unter Wissenschaftlern ist man sichdes Problems allgemein bewusst.Wer Lizenzen respektiert, versteht,dass man die Quellen nennen muss,wenn man wissenschaftliche Ergeb-nisse zusammenträgt, auf denenman eigene Erkenntnisse aufbauenwill – allein schon als Selbstschutz!Angenommen, man behauptet, dieWelt sei flach: Durchgefallen, setzen.Wenn man sich aber auf ein Werkbeziehen und sagen kann: Hupf-obermüller behauptet, die Welt seiflach, ist man fein raus.

Das Zusammentragen von Quellen,die bereits etwas zum eigenen The-ma beitragen, ist zeitaufwändig, aberauch spannend, vor allem, wenn manetwas Besonderes findet. Es ist nichtdamit getan, drei Begriffe in eineSuchmaschine einzugeben. Man liest

Marc Lee. Loogie.net. Work in Progress, 2007, interaktive Netzwerkinstallation

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hier und dort, verfolgt die Literatur -hinweise, hat neue Ideen, fragt he -rum, kramt und sucht – und wennman etwas Geeignetes findet, wirdes nicht nur gelesen.

Man liest aktiv mit Block und Stiftoder mit Rechner und notiert genau,wo welche Gedanken und besondersgelungene Redewendungen her-kom men. Dann wird das Gelesenesortiert und strukturiert, und endlichkann man seine eigenen Gedanken ineigene Worte fassen – und wo nötig,die Worte anderer zitieren. Das istes, was in der Schule und an denHochschulen gelernt werden soll.Wie recherchiert man, wie bewertetman die unterschiedlichen Aspekte(denn reinen Wahrheiten begegnetman sehr selten), wie sieht man diesselber, welche eigenen Ideen hatman?

Jamie McKenzie gab bereits 1998viele Beispiele für neue Fragestel-lungen für Lehrkräfte. Hier sei nureines genannt: Statt nach Daten übereine bestimmte Stadt zu fragen, soll-te gefragt werden, welche von dreigenannten Städten sich am bestenfür die Austragung der olympischenWinterspiele eignen würde. Auf

Urheberrecht in der digitalen Welt

http://iRights.info

Macht sich strafbar, wer eine CD oder DVD kopiert? Wie zitiere ich richtig ausdem Internet? Die Redaktion von iRights.info bietet ein umfassendes Informations-angebot zum Urheberrecht in der digitalen Welt. Dazu gehört auch das aktuelleBuch »Urheberrecht im Alltag«, das bei der Bundeszentrale für politische Bildungbestellt werden kann. Ein weiteres Kooperationsprojekt mit der Bundeszentrale istein Online-Dossier zum Urheberrecht mit ausführlichen Hintergrundinformationen.Die Publikationen richten sich an ein breites Publikum und stellen systematisch,sachlich und allgemein verständlich Aspekte und Regelungen des geltenden Urhe berrechts dar. Projektträger ist der mikro Verein zur Pflege von Medien-kulturen e.V., Berlin. iRights.info wurde 2006 mit dem Grimme-Online-Award und 2008 mit dem Klicksafe-Preis für Sicherheit im Internet ausgezeichnet.

Raphael Lozano-Hemmer. 33 Questions Per Minutes. Relational Architecture 5, 2001, LED-Installation

diese Frage muss eine Antwort syn-thetisiert werden, die in dieser Formnicht im Internet direkt zu finden ist –und auch nicht am Abend vorherschnell zusammengeklaubt werdenkann.

Wer plagiiert, gedankenlos über-nimmt, betrügt sich selbst – und ver-passt das, was an der Wissenschaftam meisten Spaß macht. Diese Bot-schaft müssen die Schülerinnen undSchüler von heute und die Studie-

renden von morgen lernen. Und dieLehrkräfte müssen durch neue Fra-gestellungen, die nicht durch schnel -les Nachschlagen in Wikipedia gelöstwerden können, entsprechend re -agieren.

Prof. Dr. Debora Weber-Wulff ist Professorin für Medieninformatik an der Fachhochschule für Technik undWirtschaft in Berlin.

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Carl Philipp Burkert

Politische Bildung im Internet

Politische Bildung hat den Auftrag, die Menschen zu befähigen, den Prozess der demokratischen Willensbildung mitzugestalten. Das Internet kann ein Ort der politischen Bildung sein, indem es den Nutzern ermöglicht, sich in Online-Seminaren oder in Foren am politischen Diskurs zu beteiligen.

David Link. Chorus 2.0, 2007, LED-Installation

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Alle Träger politischer Bildung infor -mieren heute im Internet über ihreAngebote. Viele Träger bieten zudemguten Kundenservice im Netz an, in -dem sie beispielsweise TeilnehmernMaterialien zur Vor- und Nachberei-tung ihrer Seminare bereitstellen. DiePolitische Bildung hat den Nutzendes Internets für Marketing, Vertriebund Service erkannt und verbessertdamit die Qualität ihrer traditionellenAngebote.

Doch das Internet kann mehr leisten,als ein modernes Begleitprogrammzu Altbewährtem zu liefern. Es kannselbst Ort der politischen Bildungsein. Seit Dezember 2007 kann manim Internet zum Beispiel »The Story

of Stuff« (www.storyofstuff.com)sehen, einen zwanzigminütigen Filmüber nachhaltige Materialwirtschaft.Der Vortrag der Aktivistin Annie Leo -nard wurde speziell für das Internetproduziert. Über zwei Millionen Men -schen haben den Film innerhalb derersten sechs Monate gesehen – einäußerst erfolgreiches Beispiel politi -scher Bildung.

Das Internet liefert Informationen on-demand jederzeit an jeden Ort. Dieseunmittelbare Verfügbarkeit von Do-kumenten und Multimediainhaltenweckt auch bei den Adressaten poli-tischer Bildung neue Erwartungen:Sie möchten auf Lerninhalte mög-lichst dann zugreifen können, wenn

sie sie benötigen, und dies ganz be-quem von ihrem Schreibtisch aus.

Neue Veranstaltungsformen: vonder Online-Bibliothek bis zumpolitischen Chat

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat imJahr 2001 ihre Online-Akademie(www.fes-online-akademie.de) einge-führt. Zu derzeit sieben Themenge -bieten kann man eigens aufbereiteteDokumente, Unterrichtsmaterialienund kommentierte Links abrufen. Un-ter anderem gibt es Informationenüber Generationengerechtigkeit, Glo-balisierung und Europäische Identität.Die in der Online-Bibliothek verfüg-baren Materialien sollen das Lehrper-

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sonal bei der Arbeit unterstützen,aber auch Möglichkeit zum Selbst-studium bieten.

Neben der Möglichkeit zur einfachenund schnellen Informationsbescha f-fung ist das Internet vor allem einKommunikationsinstrument: 79 Pro-zent der Deutschen nutzen laut derARD/ZDF-Online-Studie 2007 das Internet zur persönlichen Kommuni -kation via E-Mail. Jeder fünfte Be -fragte nimmt darüber hinaus an Ge-sprächsforen, Newsgroups oderChats teil. Die jüngere Generationmacht von diesen Instrumenten we-sentlich intensiver Gebrauch: Bei denunter 20-jährigen sind es 68 Prozent,bei den unter 30-jährigen im mer hin35 Prozent. Auch der Erfolg vonSocial Communties wie SchülerVZ,StudiVZ oder XING trägt hierzu bei.Das Internet ist für viele Bürger somitkein Einweg-Medium mehr, siebringen sich in den netz basiertenAustausch von Meinungen aktiv ein.

»Die Anbieter und Träger der politi -schen Bildung suchen verstärkt nachneuen, jugendaffinen Produkten undVeranstaltungsformen«, stellte Dr.Hans-Georg Golz von der Bundeszen-trale für politische Bildung jüngstfest. Die Interaktion mit den Teilneh-mern ist aus Sicht vieler Träger derpolitischen Bildung für den didakti -schen Erfolg von entscheidenderBedeutung.

Virtuelle Akademie

Die Friedrich-Naumann-Stiftung fürdie Freiheit startete im Januar 2002mit dem Seminar »Zukunft der sozia-len Sicherung« ihre Virtuelle Akade-mie (www.virtuelle-akademie.de). Andiesem ersten Online-Seminar derStiftung nahmen 70 Teilnehmer undExperten teil. Diese konnten nichtnur Informationen abrufen, sonderndiskutierten rund zwei Monate lang inForen und Chats über verschiedeneAspekte des Themas.

Seither wird die Virtuelle Akademieausgebaut: Sie bietet im Internet einbreit gefächertes Seminarprogramm,das die klassischen Veranstaltungender Stiftung ergänzt. 2005 wurde siemit dem europäischen E-Learning-Award eureleA ausgezeichnet. Imvergangenen Jahr nutzten bereitsüber 4.000 Menschen die Angeboteder Virtuellen Akademie.

Die Veranstaltungen zum politischenManagement ziehen sich wie einroter Faden durch das Programm derAkademie. Grundlagen im Online-Marketing, der klassischen Pressear-beit oder des Fundraising werden inregelmäßig angebotenen Kursen ver-mittelt. Dabei sind die vier Wochendauernden Online-Angebote stetsmit eintägigen Präsenzveranstaltun-gen verknüpft. So besteht die Mög -lichkeit, in die Technik der VirtuellenAkademie einzuführen, persönlicheKontakte zu knüpfen und erste In-halte zu vermitteln. Bis zu 20 Teil-

Ronald Genswaider. Evolvr, 2007, interaktive Netz-Installation

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nehmer sind bei diesen Angebotenzugelassen, um eine intensive Be-treuung durch den Seminarleitersicherzustellen. Dieser kommuniziertmit den Teilnehmern unter anderemüber netzgestützte Arbeitsblätter.

Veranstaltungen zur inhaltlichen Dis-kussion bilden die zweite Säule. Auchhier werden zwar einige Seminarewie zum Bürgergeld-Modell regel-mäßig angeboten, die einmaligeDurchführung ist jedoch die Regel.Die inhaltliche Diskussion findet aufder Basis von multimedial aufberei-tetem Material häufig in Experten-Foren statt. Dies sind drei- bis vier-tägige Diskussionsforen, an denenExperten aus Politik, Wissenschaftoder Wirtschaft teilnehmen. AuchDiskussionen mit prominenten Poli -tikern werden durch Chats oder perVideobotschaft ins Seminar integriert.

Virtuelle Lernwelten braucheneigene didaktische Konzepte

Die örtliche Unabhängigkeit des Me -diums Internet ist bei all ihren Vor-teilen gleichzeitig auch die größteHerausforderung für den Lernpro-zess. Eine virtuelle Akademie wirdnie die ungestörte Arbeitsatmo-sphäre eines Seminarhauses in derProvinz bieten können. VirtuelleWelten sind anders als reale undbrauchen daher eigene didaktischeKonzepte.

Ein Vortrag, der für eine Abendver-anstaltung konzipiert wurde, ist nichtnotwendigerweise für die Präsen ta -tion in einem Online-Seminar ge-eignet. Es müssen kleinere Häpp-chen angeboten werden, damit dieTeilnehmer das Menü an vielenPunkten unterbrechen und späterfortsetzen können. Die Summe dereinzelnen Häppchen kann dabei eindurchaus respektables Mahl erge-ben. Wie im klassischen Seminarhelfen Medienwechsel die Aufmerk-samkeit zu halten: Ein einführendesVideo kann durch Hintergrundtextevertieft werden, ein interaktives Quizerleichtert den Teilnehmern, dasGelernte zu überprüfen.

Ein Netz für Kinder

www.ein-netz-fuer-kinder.de / www.fragfinn.de

»Ein Netz für Kinder« ist eine gemeinsameInitiative des Beauftragten der Bundes-regierung für Kultur und Medien (BKM) und des Bundesministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).Sie schafft einen Bereich im Internet, der für

Kinder unbedenklich ist und ihnen das leichte Auffinden interessanter Inhalte er-möglicht. Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren finden auf der Website ein umfang-reiches Angebot und erwerben Medienkompetenz, indem sie einen sicheren undverantwortungsvollen Umgang mit dem Internet erlernen.

Kern des Projekts ist die »Whitelist«, eine von Medienpädagogen auf ihre Unbe-denklichkeit geprüfte Sammlung kindgerechter Internetseiten. Mit Hilfe einer ein-fachen technischen Lösung, einem Zusatzprogramm zum Internetbrowser, der zumkostenlosen Download auf www.fragfinn.de bereitsteht, werden die Kinder davonabgehalten, für sie ungeeignete Webseiten aufzurufen. Fragfinn.de wird redaktio-nell von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. betreutund von Unternehmen und Verbänden finanziert.

Als zweite Säule der Initiative stellen BKM und BMFSFJ für einen Zeitraum vondrei Jahren 1,5 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, um innovative und quali-tativ hochwertige Kinderangebote finanziell zu unterstützen.

Politische Bildung hat den Auftrag,Kenntnisse und Fertigkeiten zu ver-mitteln, die den Menschen helfen,sich im Prozess der demokratischenWillensbildung zu orientieren und ihnmitzugestalten. Dafür gibt es wederin der realen noch in der virtuellenWelt einen Königsweg. So ist die Dis-kussion, ob ein Online-Seminar »bes -ser« ist als eine Abendveranstaltungebenso müßig wie die Frage, ob einePublikation »besser« ist als ein Wo-chenendseminar. Wenn überhauptlässt sich die Eignung an einem kon-kreten Fall überprüfen, häufig wird esvon weiteren Faktoren wie der Ziel-gruppe abhängen. In vielen Fällenwer den sich die verschiedenen An-gebote ergänzen und erst gemein-sam das Ziel politischer Bildungerreichen.

Ausblick

Nach den Gründerjahren der politi-schen Bildung im Netz steht in denkommenden Jahren das Herausbil -den von gemeinsamen methodi -schen und qualitativen Standards auf

der Agenda. Gleichzeitig wird auf-grund der Dynamik des Netzes dieseerste Epoche des Experimentierensnicht zu Ende gehen.

Die vielfältigen Formen des »Web2.0« könnten in den Methodenbau-kasten der Online-Seminare aufge-nommen werden. Social Communi-ties spielen in Wahlkämpfen, wie bei-spielsweise zur US-amerikanischenPräsidentenwahl, schon jetzt einebedeutende Rolle. Als virtueller Treff-punkt für Menschen werden sie auchOrt der virtuellen Bildung werden.Schließlich werden Videos zur Wis -sensvermittlung an Bedeutung ge-winnen. Schon jetzt schauen sich 16 Prozent der Deutschen mindes-tens einmal wöchentlich bewegteBilder online an. Wenn davon wiede-rum 16 Prozent politische Bildungtransportieren würden, wäre schonviel gewonnen.

Carl Philipp Burkert ist Leiter derVirtuellen Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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In der entwickelten Wissensgesell-schaft sind die »klassischen« Be-nachteiligungen für Individuen weit-gehend beherrschbar, wenn mandies nur im gesellschaftlichen Kon-sens entschlossen will: Ein staatlichgestellter, vernetzter Schul-Laptop fürgerade mal 200 Dollar kann – mit derentsprechenden Infrastruktur in Leh -rerbildung und Bildungsressourcen –regionale Benachteiligungen in unter-entwickelten Gebieten dramatischverringern. Eine maßgeschneiderteHigh-Tech-Unterstützung kann ein-zelnen Schwerstbehinderten zueinem Maß an gesellschaftlicher An-

erkennung verhelfen, das früher unvorstellbar war.

Theoretisch können wir mit ange -messenen, vernetzten Informations-und Kommunikationstechnologienfast jede Art von Benachteiligungfunktional (fast) aufheben – abereben nur theoretisch. Denn dieswürde finanzielle Möglichkeiten ohneBeschränkungen voraussetzen, einfunktionsfähiges Netz kompetenterund motivierter Personen, die denBenachteiligten unterstützend zurSeite stehen, ein unbeschädigtesSelbstbewusstsein dieser Menschen

Walter F. Kugemann

Informationstechnologie und Bildung für benachteiligte GruppenDie angemessene Nutzung der heutigen und künftigen Technologien der Wissensgesellschaft ist die zentraleProphylaxe gegen das Entstehen funktionaler Benachteiligungen in der Gesellschaft. Lernkompetenz undLernchancen sind sicherzustellen auf allen Ebenen gleichermaßen für alle Bürger. Nur so können die großenPotenziale der neuen Technologien zur gesellschaftlichen Integration erfolgreich genutzt und die Gefahrender Ausgrenzung, Isolierung und Spaltung vermindert werden.

Peter Weibel/Matthias Gommel. FLICK_KA, 2007, Installationsansicht im ZKM_Foyer©

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als Grundlage einer stabilen, erfolg-reichen Persönlichkeitsentwicklungtrotz ihrer Benachteiligung und nichtzuletzt glaubwürdige Anreize für eine»erfolgreiche« Integration in die Ge -sellschaft.

»Societal Learning«

Die soziale Teilhabe aller (»Social In-clusion«) muss das Ziel der entwi-ckelten Wissensgesellschaft sein.Zur Verhinderung der »digitalenKluft« in unserer Gesellschaft sindTechnologien eine notwendige, abernicht hinreichende Bedingung. DerWeg weg von der benachteiligendenBehinderung, von begrenzendenBildungsdefiziten in die Gesellschafterfordert das Zusammenwirken vielerPersonen und das Einwirken mehre-rer, aufeinander abgestimmter Inter-ventionen. Die sozialen wie die per-sönlichen Elemente sind dabei ent-scheidend, nicht die technischen.Neue Technologien erfordern dabeineue Formen des sozialen Zusam -menhaltes. Parallel mit dem Erlernendes Umgangs mit den neuen Tech-nologien muss neues, grundlegendes»soziales Lernen« stattfinden.

»Societal Learning«, das heißt Lern-kompetenzen und Lerngelegenheitengleichermaßen für alle Bürger in einerlernfähigen und lernwilligen Gesell-schaft, das heißt lernende Gemein -schaften und lernende Institutionen,nicht nur lernende, isolierte Indivi du -en. Es ist diese »soziale« Kompo-nente, die entscheidet, ob neue Tech-nologien wie das Internet gewaltigeneue Benachteiligungen erst schaf -fen oder Benachteiligungen drastischverringern können, ob der Zugang zuBildung noch mehr zum Chancen zu-teilenden Schicksal wird oder zurChance der persönlichen Entwick-lung für alle.

Lebenslanges Lernen für alle ist dasZiel einer solidarischen, chancen-gleichen Wissensgesellschaft. Aberdas alleine reicht nicht. Neben le -benslangem brauchen wir lebens-weites Lernen, also Prozesse der re flektierten Veränderung in allen Le-bensbereichen: gemeinsames Ler-

nen als gemeinsame Veränderungund als Prozess der Verständigungauf gemeinsame Ziele und Werte.

Dies vorausgesetzt, wird klar, wo dasPotenzial der neuen Technologienliegt: in neuen Möglichkeiten derKommunikation und Kooperation, desöffentlichen Dialoges, des Lernensdurch gegenseitiges Kennenlernen,der Zugehörigkeit zu »Gemeinschaf -ten«.

Die gleichen Technologien habenaber auch ein hohes gegenläufigesPotenzial: zu individueller Profilierungund Vereinzelung, zur Manipulationvon Informationen, zur Abgrenzung,zu Konfrontation zwischen Lagern biszur Sektenbildung, zu sprunghaftoberflächlichen Kontakten, zu Vor-urteilen usw.

Die Frage nach dem Wozu

Bei der Nutzung der neuen Techno-logien für die gesellschaftliche Ent-wicklung spielt Bildung eine zentraleRolle: Bildung als der Weg zu ge-meinsam akzeptierten Werten undNormen über die Nutzung der Res-sourcen, die uns in einer globalenWissensgesellschaft zur Verfügungstehen. Wir müssen nicht nur lernen,wie wir die Technologien nutzen,sondern – wesentlich wichtiger –wozu.

Diese Frage führt auf das Konzeptder Selbstverantwortung und die För-derung der eigenen Fähigkeiten alskompetenter Lerner. Solange wirIndividuen und Gruppen durch ihre»Benachteiligung« definieren undetikettieren als »Rollstuhlfahrer«,»Hartz IV-Empfänger«, »Migranten«,»Rentner«, anstatt sie in ihren Fähig-keiten und Möglichkeiten zu stärken,bleiben sie separiert.

Wir müssen die benachteiligtenGruppen stärken, ihr Lernen selbst zuorganisieren, indem wir attraktiveorganisatorische Rahmenbedingun-gen dafür schaffen, Menschen ausdiesen Gruppen als »Tutoren« quali -fizieren, sie zum gemeinsamen,informellen Lernen ermutigen und

Ziel der entwickeltenWissensgesellschaft mussdie soziale Teilhabe allersein.

Neben lebenslangembrauchen wir lebensweitesLernen.

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die Ergebnisse dieses Lernprozesseswertschätzen. »Empowerment« kannund muss Individuen eigenständigerund selbstbewusster machen. DieKommunikation und Kooperation derLernenden innerhalb benachteiligterGruppen muss systematisch ermu-tigt und durch förderliche Rahmen -bedingungen erleichtert werden. Inder Nutzung der neuen Informations-und Kommunikationstechnologienliegt dabei großes, gesellschaftlich in-tegratives Potenzial.

Zwei Beispiele: Patienten-Selbst-hilfe und Senioren-Netze

Die Erfolge solcher Konzepte sind of-fenkundig. Als das Internet Ende der80er Jahre in den USA Einzug in dasgesellschaftliche Leben fand, bil -deten sich virtuelle Selbsthilfegrup-pen für Alzheimer-Angehörige, diedas neue Medium sehr erfolgreichnutzten. Vor mehr als einem Jahr-zehnt hat das Institut für Lern-Inno -vation der Universität Erlangen-Nürn-berg die ersten Senioren-Netze zurEntwicklung von Internet-Kompetenzentworfen und aufgebaut (www.bsnf.de, www.fim.uni-erlangen.de).

Inzwischen sind solche Netzwerke, indenen sich Seniorinnen und Seniorengegenseitig helfen, zumindest in Eu-ropa fast flächendeckend erfolgreich.Die Kluft zwischen jungen und altenInternet-Nutzern beginnt sich lang-sam zu schließen. Die Seniorinnenhaben in vielen Regionen in ihrer Nut-zungsintensität die Senioren über-holt, wäh rend es in anderen Alters -grup pen immer noch deutliche Ge-schlechtsunterschiede hinsichtlichder Nutzung des Internets gibt.

Prophylaktische Lernprozesse

Das Internet muss aber nicht nur vondenen gewinnbringend genutzt wer -den können, die aktuell benachteiligtsind. Die angemessene Nutzung derheutigen und künftigen Technologiender Wissensgesellschaft ist die zen-trale Prophylaxe gegen das Entste-hen funktionaler Benachteiligungenin der Gesellschaft.

Lernprozesse kommen systematischzu spät, wenn sie erst auf bereits of-fenkundige Veränderungen der Ge-sellschaft zu reagieren beginnen.Lernprozesse müssen Verände run -gen »vorausahnen«, damit sie wirk-sam darauf vorbereiten, also »schie-ben« können und nicht »geschobenwerden«.

Beispiel: Transgenerationen-Lernen

Um das zu erreichen, müssen ver-stärkt Brücken und Kooperationenzwischen den einzelnen gesellschaft -lichen Gruppen geschaffen werden.Ein Beispiel ist das Transgeneratio -nen-Lernen. Damit sind alle Lernpro-zesse gemeint, bei denen das unter -schiedliche Alter und die darauf ba -sierenden, unterschiedlichen Erfah-rungen und Kompetenzen besondereLerngelegenheiten schaffen könnenund dabei oft in erstaunli chem MaßMotivation, soziale Kräfte und dieFreude am gemeinsamen Lernenfreisetzen.

Im Fall des Transgenerationen-Ler -nens hat die systematische, wissen -schaftliche Analyse und die gezielte

Lernen muss Individuen wieGruppen auf Veränderungen

vorbereiten.

UNESCO Open Training Platform –Trainingsmaterialien für Entwicklung

www.opentrainingplatform.org

Die UNESCO Open Training Platform bietet einen einfachen und kostenfreienZugang zu Trainings- und Weiterbildungsmaterialien verschiedenster Akteureder Entwicklungszusammenarbeit. Die Online-Plattform wendet sich sowohl anTrainer und Multipli katoren als auch an Selbstlerner. Sie umfasst derzeit knapp2.200 Trainingsangebote von mehr als 630 Institu tionen und Praktikern der Ent-wicklungszusammenarbeit, darunter UN-Sonderorganisationen wie FAO, UNEPund WHO sowie internationale Nichtregierungsorganisationen. Das Internet-portal enthält Materialien zu einer großen Bandbreite an entwicklungsrelevantenThemen, so zum Beispiel zu Bildung und Alphabetisierung, Landwirtschaft undErnährung, Medien und Kommunikation, Com putertraining, Sprachen, Gesund-heit und Hygiene. Die englischsprachige Trainingsplattform wird im Sommer2008 um ein französisches Angebot erweitert.

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Weiterentwicklung dieses Bereichsgerade erst begonnen. Dabei ent-decken wir, dass viele erfolgreicheModelle seit Urzeiten verbreitetpraktiziert werden. Was nicht seltenfehlt, ist die Anpassung solcher Tra -ditionen an sich rasch und grund-legend ändernde Bedingungen, diezum Beispiel durch den Geburten -rückgang und immer kleinere, oft iso-lierte Familienverbände entstehen.Ein Ansatz ist demzufolge, Transge -nerationen-Lernen über den Familien-verband hinaus auszudehnen. Dabeikönnen wiederum die neuen Tech-nologien und Methoden des infor-mellen Lernens helfen. Ein Beispielist das EU-Projekt EAGLE, das ersteeuropaweite Analyse-Projekt fürTrans generationen-Lernen(www.eagle-project.eu).

»Hole-in-the-wall« – verborgene Potenziale

Das Projekt »Hole-in-the-wall« (www.hole-in-the-wall.com) ist hervorgegan-gen aus den Forschungsarbeiten vonSugata Mitra, Wissenschaftler an derNationalen Indischen Techni schenUniversität. Mitra interessierte, ob Kin-der, die unter den denkbar schlechtes -ten Bedingungen in den ärmlichstenSlums Indiens leben, auf sich alleinegestellt lernen können, mit einem ver-netzten Computer umzugehen.

Für das erste Experiment wählte Mitraeinen Slum aus, der durch eine hoheMauer getrennt, direkt neben einemHigh-Tech-Campus lag. In diese Mau-er brach Mitra ein Loch für einenComputermonitor mit Touch-Screen,angeschlossen an einen Internet-rechner. Rasch versammelten sich dieKinder um den Bildschirm und pro-bierten. Teststrategien wur den in derGruppe diskutiert und ausprobiert.Den Kindern gelang es, allein durchExperimentieren und ohne englischeSprachkenntnisse nach wenigenWochen, zielgerichtet mit dem In-ternet umzugehen. Die Kin derbekamen dabei keinerlei Unterstüt-zung, son dern wurden nur durch ihreschrittweisen Erfolge beim gemein-samen Ausprobieren und Entwickelnvon Strategien zum Lernen motiviert.

Barrierefreiheit im Internet: das ViSiCAST-Projekt

www.visicast.co.uk

Das Projekt ViSiCAST wurde im Rahmen des Programms Information SocietiesTechnology der Europäischen Kommission von 2000 bis 2003 gefördert. Ziel desProjekts war die Entwicklung realistisch aussehender Avatare, die aus Sprache oderText Gebärdensprache generieren und so einen Beitrag zur Teilhabe Gehörloser amsozialen und politischen Geschehen leisten. Es wurden drei Anwendungenrealisiert:1. die Übertragung von Gebärdensprache im Fernsehen an eine SetTop-Box, die

es erlaubt, den Avatar wahlweise ein-/auszublenden und die zu übertragendenDaten gering zu halten;

2. die Übersetzung von Texten im Internet, die auf einer Website mit täglichenWettermeldungen des Meteorologischen Instituts der Niederlande realisiertwurde;

3. die Übersetzung in Face-to-Face-Transaktionen: Eine Installation wurde in Post-filialen in England vorgenommen. Tritt ein Gehörloser an den Schalter, kann diePostbeamtin Fragen und Antworten in ein Mikrophon sprechen. Die Softwareerkennt die Lautsprache und übergibt sie als Text an den Avatar, der die Gebär-densprache auf einem Bildschirm präsentiert.

Das Projekt eSIGN: Informationen inGebärdensprache

http://gebaerden.hamburg.de

Das Projekt eSIGN wurde von 2002 bis 2004 aus dem ForschungsprogrammeContent der Europäischen Union gefördert. Ziel war eine Übersetzung von Text in Gebärdensprache, welche die Gebärden synthetisch generiert und durch Avataredarstellt. Die Gebärdensprache wird mit HamNoSys notiert und an den Avatarübertragen. Die synthetische Formation von Gebärden ist in der Lage, aus einemStandard-Lexem alle Varianten einer Gebärde im Kontext zu generieren und mitdiesem Code den Avatar zu bewegen. Das Projekt hat gezeigt, wie Inhalte im In-ternet in Gebärdensprache kostengünstig produziert werden können. Das Verfah-ren ist kostengünstiger und flexibler als Videoverfahren. Das eSIGN-Projekt wurdeauf eGovernment-Webseiten in Deutschland, England und den Niederlanden installiert.

Die Experimente zeigen, wie es durchgemeinsames Lernen und gegensei -tige Motivation möglich ist, die Be -nachteiligung zu verringern und durchwachsende Selbstachtung eine dervielen Klüfte unserer Gesellschaft einStück weit zu verkleinern. Entschei-dend ist unsere subjektive Sicht, wieerstrebenswert und loh nend die Welt»hinter der Mauer« für den Einzelnenist, also jenseits der augenblicklichen

Zugangsbeschrän kungen und Benach-teiligungen. Dadurch können – auchmit relativ bescheidener Förderung –bemerkenswerte Kräfte freigesetztwerden.

Dr. Walter F. Kugemann ist Direktor desInstituts für Lern-Innovation (FIM-NeuesLernen) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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Bernd Bischoff

»E-Inclusion«

Integration von Migranten mithilfe des Internets

Medienkompetenz ist heute eine Schlüsselqualifikation für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe. Diesgilt auch und gerade für die 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschlandleben und die aus circa 200 verschiedenen Staaten stammen. Die Integration dieser Menschen ist eine derwichtigsten Zukunftsaufgaben. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) können einewesentliche Unterstützung zur gesellschaftlichen Integration leisten.

the Slatelliterates. ZKM_YOUniverse in Second Life. Der Karlsruher Kreis: SL_Avatare, BorisGroys_Oh, PeterWeibel_Oh, BeatWyss_Boa,Peter Sloterdijk_Voom, WolfgangRihm_Voom (v.l.n.r), 2007, interaktive Nutzer-Installation

Der Einsatz neuer Medien in Integra-tionsmaßnahmen bietet vielfältigeVorteile, um die Potenziale von Mi -grantinnen und Migranten in kultu -rellen, sozialen und wirtschaftlichenBereichen stärker zu nutzen und zumobilisieren. Auf webbasierten Platt-formen können zielgruppenorientierteAngebote mit Berufswahlorien tie -rungs- und Sprachfördermaßnahmen

und lokalen kulturellen Aktivitätenverbunden werden. Informations-und Kommunikationstechnologienbieten nicht nur eine sinnvolle undmotivierende Ergänzung zum her -köm mlichen Unterricht, sonderndienen in hohem Maße auch der Ver-besserung der Motivation und Eigen-initiative der Lernenden in Integra -tionskursen und bei der Vermittlung

in den Ausbildungs- und Arbeits-markt. Die neuen Medien könnendazu genutzt werden, um die Sprach-kompetenz, die beruflichen und ge -sellschaftlichen Chancen der Zuge -wanderten zu verbessern. Allerdingssind die Möglichkeiten, die Infor -mations- und Kommunikationstech-nologien bieten, bisher zu weniggenutzt worden – sowohl innerhalb

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dieser Zielgruppe, als auch in derWirtschaft und der Verwaltung.

Die Bundesregierung hat die Heraus-forderung einer zukunftsweisendenund nachhaltigen Integrationspolitikerkannt und mit dem ersten Integra -tionsgipfel 2006 den Dialog aller Be-teiligten eingeleitet. Ergebnis der Diskussionen ist der Nationale Inte -grationsplan, in dem Bund, Länderund Kommunen sowie Vertreter derZivilgesellschaft und der Migranten-organisationen klare Zielvereinba -rungen getroffen und über 400 Maß-nahmen und Selbstverpflichtungenvorgelegt haben. Die Initiative D21,Europas größte Partnerschaft vonPolitik und Wirtschaft für die Infor -mationsgesellschaft, hat im Rahmendes Nationalen Integrationsplanes dieAufgabe übernommen, eine IT-Road -map zu erstellen. Ihr Ziel ist es, dieEinsatzmöglichkeiten der neuen Me -dien in allen wichtigen integrations-politischen Handlungsfeldern auf-zuzeigen.

Die Anwendungsmöglichkeiten derneuen Medien in unterschiedlichstenThemenfeldern und Lernsituationensind vielfältig. Das spontane Suchennach benötigten Informationen im In-ternet, die Dokumentation von Ar-beiten mit digitalen Medien, das Auf-arbeiten von Lerninhalten mit Com -puterprogrammen – all das lässt sichohne großen Aufwand in den Aus-bildungs- oder Unterrichtsablauf in-tegrieren und kann so den Lernpro-zess unterstützen und den Lernerfolgerhöhen. Besonders Kinder und Ju-gendliche fühlen sich durch dieseneuen Formen des Lernens ange -sprochen und lassen sich durch vir -tuelle Lernhilfen und Computerarbeitbegeistern. Doch auch bei Erwach -senen lässt sich oftmals eine Motiva-tionssteigerung feststellen, wenn inherkömmliche Unterrichtsformen dieAnwendung neuer Medien integriertwird. So können durch den Einsatzder neuen Medien in eher unge -wöhnlichen Zusammenhängen, wiebeispielsweise der Einbindung vonComputer- und Internetkompetenz inFußball- oder Elternprojekte, Ziel-gruppen angesprochen und für wei-

terreichende Bildungsangebote ge-wonnen werden, die durch konven -tionelle Angebote nicht zu erreichensind.

Die IT-Roadmap »E-Integration«

Es wird deutlich, wie wichtig derBeitrag der Neuen Medien für die In-tegration von Migrantinnen und Mi-granten sein kann. Die Einbindungder digitalen Medien zeigt ganz neueWege in der Integrationsarbeit auf.Die IT-Roadmap »E-Integration« derInitiative D21 führt einerseits bereitsbestehende Maßnahmen und Pro-jekte auf, in denen digitale Mediengezielt zur Verbesserung der Inte-gration von Migrantinnen und Migran -ten eingesetzt werden. Andererseitszeigt sie auch die Handlungsfelderauf, in denen Nachholbedarf bestehtund Lücken zu schließen sind.

Die Initiative D21 hat daher für zu-künftige Projekte folgende Hand-lungsempfehlungen erarbeitet:1. Mit neuen Medien das Lernen in

Integrationskursen intensivierenDer Einsatz der neuen Medien er-möglicht flexiblere Angebote undindividuelle Förderung. Die Teilneh-menden können selbstständig Auf-gaben bearbeiten und eignen sichgrundlegende Computer- und In-ternetkenntnisse an, die ihnen beider Arbeitsplatzsuche zugutekommen.

2. Lernsoftware gezielt für früheSprachförderung einsetzenLernspiele am Computer weckenbei Kindern Neugierde und Interes-se. Eingebettet in methodisch-didaktisch sinnvolle Konzepte,leisten Lernsoftwareangeboteeinen sinnvollen Beitrag zur frühenSprachförderung. Gemeinsamemedienpädagogische Projekte vonKindern und Eltern verbessern dasVerständnis der Eltern für schu-lische Belange.

3. Medienbildung in Schule, Aus-bildung und Qualifizierungsmaß-nahmen ausbauenMedienkompetenz ist eineSchlüsselqualifikation auf demAusbildungs- und Arbeitsmarkt.

Träger des allgemeinen und desberufsvorbereitenden Bildungs-systems, der beruflichen Ausbil-dung sowie von Qualifizierungs-maßnahmen werden dieser Tatsache nur gerecht, wenn sie passgenaue Lern- und Lehrangebote entwickeln und einsetzen.

4. Gleichberechtigte Teilhabe vonFrauen durch Mediennutzung er-möglichenBerufliche Partizipation ist einewichtige Voraussetzung für diegesellschaftliche Integration vonMigrantinnen. Grundlegende Com -puter- und Internetkenntnisse er-öffnen ihnen bessere Chancen aufdem Ausbildungs- und Arbeits-markt.

5. Teilhabe vor Ort mit Medien ge-staltenDas Internet ist ein ideales Me-dium zur Unterstützung und An-regung der lokalen Integrations-arbeit. Der interkulturelle Dialog aneinem Treffpunkt wird durch ge-meinsame Projekte mit und amComputer gestärkt. Kommunale In-ternetportale bieten Basisinfor -mationen in verschiedenen Spra -chen an und vernetzen Bildungs-anbieter, Behörden, Dienstleisterund freiwillig Tätige miteinander.

6. Multimediale Kulturprojekte anregenFür Kunst und Kultur eröffnenneue Medien vielfältige Möglich-keiten der kreativen Entfaltung.Medienbildung hat daher festerBestandteil der kulturellen Bildungzu sein. Multimediale Kunst undKulturprojekte fördern Toleranz,Sprachkompetenz und interku l -turelle Kompetenz.

7. Sport und (Medien-)Bildung miteinander verknüpfenWebgestützte Informations- undKommunikationsplattformennutzen die Sportbegeisterung,kombinieren zielgruppenorientierteSportangebote mit multimedialerBerufswahlorientierung, Sprachför-derung oder Freizeitgestaltung underreichen so Zielgruppen, die überandere Themen und Angebotenicht erreichbar sind.

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8. Bürgerschaftliches Engagementund Medienkompetenz stärkenDer freiwillige Erwerb und Ausbauvon Medienkompetenz ist idealesBetätigungsfeld für gmeinschaft-liches Engagement von Deutschenund Zugewanderten. Die vielfäl -tigen Erfahrungshintergründe derAktiven werden in einen Dialogeingebracht, der zu neuen An-gebots- und Austauschformenführt.

9. Studierende mit neuen Medien fördernZur besseren Vorbereitung, Information und Betreuung inDeutschland aufgewachsenerStudierender mit Migrationshinter-grund müssen Hochschulen undFachgesellschaf ten ihre Internet-und Lernangebote entsprechendanpassen und für die Zielgruppeoffensiv werben.

10. Datenlage zur InternetkompetenzverbessernAktuelle, repräsentative Daten zurInternetnutzung von Menschenmit Migrationshintergrund liegenderzeit nicht vor. Sie sind jedochBasis für eine differenzierte Si-tuationsbeschreibung und wei-terreichende Handlungsempfeh-lungen.

Diese Handlungsempfehlungen sol -len aufzeigen, wie und wo Maßnah -men ergriffen werden müssen, umdas Potenzial der neuen Medien füreine bessere Bildung, verbesserteBerufschancen und gesellschaftlicheTeilhabe von Migrantinnen und Mi -granten stärker nutzbar zu machen.

Mit der IT-Roadmap »E-Integration«der Initiative D21 liegt eine Aus-gangsbasis für weiterführende Ak-

Digitale Integration: die Initiative D21

www.initiatived21.de

Die Initiative D21 ist mit fast 200 Mitgliedern und Förderern Europas größte Partnerschaft von Wirtschaft und Politik für die Informationsgesellschaft. Seit ihrerGründung 1999 hat die D21 branchen- und parteienübergreifend über 100 Projekteerfolgreich umgesetzt. Die Projektarbeit der Initiative D21 richtet sich an drei ziel-gruppenorientierten Säulen aus:

1. digitale Integration gesellschaftlicher Gruppen, die bisher wenig oder gar nichtvon Informationstechnologien profitieren – zum Beispiel ältere Menschen,Menschen mit Migrationshintergrund, sozial benachteiligte junge Menschen;

2. Stärkung der digitalen Kompetenz von Personengruppen mit guten Bildungs-qualifikationen – zum Beispiel Lehramtskandidaten, Schulabsolventen undStudierende;

3. Förderung der digitalen Exzellenz in innovativen Technologiefeldern – zum Beispiel im Bereich Breitbandtechnologien, E-Government und Informations-technologien im Gesundheitswesen.

Bei allen drei Säulen der D21 steht die gesellschaftliche Bedeutung der Informa-tions- und Kommunikationstechnologien im Mittelpunkt.

tivitäten vor. Es wird aufgezeigt, dassMedienkompetenz unabdingbareVoraussetzung für berufliche und ge -sellschaftliche Integration ist. Politikund Wirtschaft müssen sich diesergemeinsamen Verantwortung stellen.Deutschland kann angesichts derdemografischen Entwicklung auf dasPotenzial seiner Bevölkerung mitMigrationshintergrund nicht verzich -ten. Nur durch den gezielten Einsatzder neuen Medien kann ein hohesMaß dieses Potenzials optimal ge -nutzt werden.

Bernd Bischoff ist President & CEO von Fujitsu Siemens Computers undPräsident der Initiative D21.

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Günter Podlacha / Til Schönherr

E-Learning und Entwicklungszusammenarbeit

Verringerung der digitalen Kluft

Die Diskussion um Internet und Entwicklungszusammenarbeit und die sich daraus ergebenden Chancen undHerausforderungen sind so alt wie das Internet selbst. Die »Knowledge-Gap-Hypothese« beschreibt die Wis-senskluft zwischen Menschen mit unterschiedlichem sozioökonomischen Status. Folgt man dieser Hypothese,so bedingt der Einzug von digitalen Arbeitsmitteln und Medien in unsere Lebenswelt einen stetig steigendenInformationsfluss, der die Wissenskluft zwischen Entwicklungs- und Industrienationen verbreitert anstatt siezu schließen.

Seminar »Peace Building« in Accra, Ghana

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Im Kontext der Entwicklungszusam-menarbeit hat die Diskussion um dieWissenskluft vor gut zehn Jahreneine Aktualisierung erfahren, in Formder Diskussion um die Digitale Kluft(digital gap), ja sogar der DigitalenSpaltung (digital divide).

Globale Benachteiligung vonEntwicklungsländern beim Zugang zum Internet

Während in entwickelten Ländernheutzutage knapp 60 Prozent derMenschen Zugang zum Internethaben, sind es in Entwicklungslän -dern nur zehn Prozent. In Afrika liegtdie Rate sogar bei weniger als vier

Prozent. Dass sich die Situation je-doch ändert, belegen die Zuwachs-raten seit dem Jahr 2000. Danachnahm der Zugang zum Internet inAfrika um 880 Prozent zu, in denLändern Lateinamerikas und derKaribik um knapp 600 Prozent(Quelle: ITU Statistics 2006/2007).

Eine Aufbruchstimmung in den Ent-wicklungsländern macht sich breit.Während der Markt für Informations-und Kommunikationstechnologien inIndustrieländern stagniert, boomt erin Entwicklungsländern. Das digitalgap zwischen entwickelten und sichentwickelnden Ländern wird sichaber auch in naher Zukunft nicht

schließen, ganz zu schweigen vonder Informations- und Wissenskluft,die innerhalb der Entwicklungsländerund insbesondere hinsichtlich desStadt-Land-Gefälles herrscht.

Lern- und Kommunikationstech-nologien – eine Chance für alle

Das steigende Interesse an moder -nen Lern- und Kommunikationstech-nologien in Entwicklungsländern äußert sich nicht zuletzt in der zuneh-menden Beteiligung von Repräsen -tanten der Entwicklungsländer an E-Learning-Konferenzen wie der »On-line Educa Berlin« und der »eLear n -ing Africa«.

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Während sich in vielen Regionen dieZugangsvoraussetzungen und indi -viduellen Fähigkeiten zur Nutzung der Informations- und Kommunika-tionstechnologien (IKT) verbessern, besteht auf institutioneller und politi -scher Ebene ein großer Nachholbe -darf hinsichtlich der Strategie- undPolitikberatung zum E-Learning.

Mit der Einsicht, dass es mit demAusbau von IKT-Infrastrukturen alleinnicht getan ist, wächst der Bedarf anmethodisch-didaktischen Kenntnis-sen zur Entwicklung und zum Einsatzvon E-Learning. Denn erst das Wis -sen und die Fähigkeit, wie man mo-derne Lern- und Kommunikations-technologien effizient einsetzenkann, ermöglicht eine beschleunigteVermittlung von Fachkenntnissenund Managementfähigkeiten, diedem digital und education divide ent-gegenwirken. Erst in Form der ent-wicklungsrelevanten Anwendungunterstützen die IKT-Infrastrukturenden Erfahrungs- und Wissensaus -tausch und sichern den Praxistransferund die Nachhaltigkeit von Aus- undWeiterbildungsmaßnahmen.

Fach- und Führungskräfte benötigenneben fachspezifischen Kompeten -zen daher auch interdisziplinäre undpraxisorientierte Fähigkeiten zur Ge-staltung von institutionellen Verän -derungsprozessen, da der Einsatzvon E-Learning immer auch mit einerUmstrukturierung der bisherigen Pro-zessabläufe in der Wissensvermitt-lung einhergeht. Hier sind gezielte in-tegrierte Programme und Projektegefragt.

Aufbau von E-Learning-Kapazitäten

Mit dem Global Campus 21 etablierteInWEnt im Jahr 2000 eine weltweitgenutzte Lern- und Kommunikations-plattform in der Entwicklungszusam-menarbeit (www.globalcampus21.inwent.org). Seit ihrer Einführunghaben mehr als 45.000 Menschen aninternet-unterstützten Fortbildungs-und Kommunikationsangeboten teil-genommen. Die Themen umfassenunter anderem HIV und Aids, Bil-

dungsqualität und -management,Bildungstechnologie, Curriculumsent-wicklung in der Berufsbildung, Um-welt-, Wirtschafts- und Sozialstatistik,globalen Handel, Finanzmanagement,Training in Export Promotion undnachhaltiges Wirtschaften.

Gemeinsam mit den Partnern in Ent-wicklungsländern werden die erfor -derlichen E-Learning-Kapazitäten(Capacity Building for E-Learning) auf-gebaut, um eigene Online-Kurse zuentwickeln und die virtuellen Lern-gemeinschaften zu betreuen. Nebender Beherrschung der E-Learning-Technologien geht es dabei beson dersum die Vermittlung der Fähigkeit, ent-wicklungsrelevante E-Learn ing-Stra-tegien zu entwickeln und deren in-stitutionelle Umsetzung professionellzu managen.

Das Capacity Building for E-Learningverfolgt einen ganzheitlichen Ansatzund erzielt Wirkungen auf drei Ebe-nen: Auf der Ebene der Individuenwerden Fach- und Führungskräftequalifiziert, die erlernten Fachkennt-nisse, Methoden und Management-kompetenzen zielgerichtet ein- undumzusetzen. Auf der institutionellenEbene werden Institutionen befähigt,als E-Learning-Provider zu agieren.Auf der Systemebene zielt das Capa -city Building for E-Learning darauf ab,die Entwicklung von nationalen undregionalen IKT- und Bildungsstrate -gien zu unterstützen sowie die Ak-teure der institutionellen Ebene mit-einander zu vernetzen.

Beabsichtigte das Capacity Buildingfor E-Learning ursprünglich einenBeitrag zur Überbrückung der »digita-len Kluft« zwischen Industrie- undEntwicklungsländern zu leisten, soerbrachte die Evaluation des bishe -rigen Programms überraschendeErgebnisse: Neben der technolo -gischen Annäherung zwischen Südund Nord wurde deutlich, dass diemethodisch-didaktische Qualifi zie -rung insbesondere von Frauen in Ent-wicklungsländern genutzt wird. Sowerden heute acht von zehn Part-nernetzwerken von Frauen koor-diniert.

Qualitative Erhebungen ergaben,dass E-Learning auch das Lern- undLehrverhalten revolutioniert, indemes die Lernenden zu mehr Eigenver-antwortlichkeit zwingt und den Leh -renden eine höhere Toleranz gegen-über ihren Studenten aufgrundunterschiedlicher Lernkulturen, Lern-typen und -wege abverlangt. Die ge-steigerte Toleranz gegenüber demindividuellen Lernverhalten bewirktoffenbar auch eine gesteigerte kul -turelle Toleranz. So identifizierten dieAlumni des E-Learning-Programmsauf einem Workshop kürzlich ihreStärke gerade in der »kulturellen Di-versität« ihrer Mitglieder. In der Tatumfasst das weltweite E-Learning-Netzwerk mittlerweile Repräsentan-ten fast aller Weltreligionen und istein Vorbild für ein aktives Miteinanderder Kulturen.

Methodik und Didaktik sind derErfolg, nicht die Technologie

Immer neue Computer-Generationenstrotzen vor immer größerer Rechner-kraft und Speicherkapazität. Immermehr Technologien spinnen immerweitere, dichtere und schnellere Netz-werke. Ohne »e« kein E-Learning,aber die Technologie ist nur ein Ve -hikel zum Transport von Informationund Wissen, zur Unterstützung vonKommunikation und Ler nen.

Die Erfahrung aus mehr als 100 E-Learning-Angeboten für Teilnehmen-de aus Entwicklungsländern zeigt,dass die Struktur und der Aufbau dervirtuellen Lernumgebung ebenso wiesorgfältig ausgewählte methodisch-didaktische Vermittlungsansätze dieentscheidende Herausforderung fürden Erfolg von E-Learning sind.

Ausgehend von einem modernenLernverständnis in der Erwachsenen-bildung, das erfolgreiches Lernen alseinen aktiven, selbstgesteuerten,konstruktiven, situativen und zugleichsozialen Prozess begreift, bilden dieTeilnehmerorientierung, die Vielfältig-keit der methodischen Ansätze sowieTransparenz und Toleranz wichtigedidaktische Prinzipien.

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Konkret übersetzt sich dies in den E-Learning-Angeboten der InWEntdurch die Einbettung von Online-Lern-Phasen in einführende oder er-gänzende Präsenztrainings- und Be-ratungsangebote (blended learning).

In der entwicklungspolitischen Arbeitist auch der Transfer des Gelernten indie berufliche Praxis wichtig. InWEntintegriert in die Online-Lernangebotezum Beispiel Fallszenarien, die Er-arbeitung von individuellen oder ge-meinsamen Fallstudien am Arbeits-platz bzw. »im Feld«, Simulationensowie die Planung, Entwicklung undBearbeitung von individuellen Trans-ferprojekten, inklusive virtuellemCoaching.

E-Learning – ein unvermeidlicher Erfolg

Zwei Dozenten der Universität AddisAbeba, Äthiopien, brachten es wäh -rend der Online Educa Berlin 2008auf den Punkt: Sie nannten E-Learn-ing einen unavoidable success – ei-nen unvermeidlichen Erfolg, den sieauf die außergewöhnliche Motiva tionihrer Studentinnen und Stu denten zu-rückführen.

Dieser Erfolgsmotivation steht eineunvermeidliche politische Verpflich-tung des Nordens gegenüber, denAufbau von E-Learning-Kapazitätenweiter zu fördern.

Dies impliziert auch die Unterstüt-zung eigener Entwicklungskapa zitä -ten und -möglichkeiten, denn nebenleistungsstarken Free- and Open-Source-Softwareentwicklungen trägtgerade auch die Open-Content- undOpen-Access-Bewegung zur Minde -rung der digitalen Spaltung bei. DieseBewegungen verdeutlichen vor demHintergrund des Urheberstreits aufdem Weltgipfel für die Informations-gesellschaft der Vereinten Nationendie politischen Implikationen der IKT.

InWEnt kommt ihrer entwicklungs-politischen Verpflichtung nach, indemsie die Verantwortung für ihr E-Learn-ing-Programm sukzessive an die Part-nerinstitutionen überträgt und ihnen

zugleich mittels ihrer Nutzungs-lizenzen die freie Nutzung und dielokale Anpassung der Inhalte ermög -licht. Das Programm Capacity Buil-ding for E-Learning wird bereits seit2006 von lokalen Partnern in Afrikaeigenverantwortlich durchgeführt undvon UN-Organisationen sowie priva -ten Firmen nachgefragt.

Vor dem Hintergrund neuer techno -logischer Entwicklungen wie Web 2.0und Mobil Learning wird deutlich, dasLebenslanges Lernen für alle gilt. Ent-wickungspolitisch relevant wird kon-tinuierliches Lernen jedoch erst alspartizipatives Lernen, das heißt durchdie partnerschaftliche Weiterentwick-lung von technologischen und vorallem inhaltlichen Ressourcen.

Teaching and the AIDS Pandemic – E-Learning für Dozenten der Lehrerbildung

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bildet die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH(InWEnt) in Kooperation mit der südafrikanischen University of the Western Capeafrikanische Fachkräfte der Lehrerbildung durch ein Blended-Learning-Angebotfort. Zentrales Element des Programms ist ein be rufsbegleitender sechsmonatigerOnlinekurs. Kapazitäten sollen weiterentwickelt werden, damit Lehrerinnen undLehrer besser auf die Prävention und den Umgang mit den Folgen der Aids-Pande -mie in der Schule vorbereitet werden.

In Malawi und Tansania zum Beispiel lernen viele Dozenten durch die E-Learning-Angebote erstmals den intensiveren Umgang mit mo dernen Informations- undKommunikationstechnologien. Tutoren führen sie durch die didaktisch sorgfältigaufbereiteten Lernein heiten. Die Dozenten lernen, selbst tätig zuverlässige Infor -matio nen und im Web zur Verfügung stehende Lern- und Lehrmate ria lien zumUmgang mit HIV/Aids in der Schule und Lehrerbildung zu finden und in ihremspezifischen Kontext sinnvoll einzusetzen. Der fachliche Austausch durch virtuelleDiskussionen auf regionaler Ebene und Feldstudien helfen dabei, das »Schweigen«zu überwinden und erste Schritte zur Umsetzung einer wirkungsvolleren HIV/Aids-Arbeit mit der heranwachsenden Generation zu gehen.

Zukünftig werden am Erfolg von E-Learning Partner aus Süd und Nordgemeinsam arbeiten. Kolleginnenund Kollegen aus Entwicklungs-ländern sind nicht mehr nur Teilneh-mende, sie sind entscheidende Ak-teure und Innovationsmotoren.

Dr. Günter Podlacha leitet die AbteilungE-Learning, Internationale Wissensge-meinschaften und Dokumentation bei InWEnt – Internationale Weiterbildungund Entwicklung gGmbH.

Dr. Til Schönherr leitet in dieserAbteilung das Projekt »Capacity Building for E-Learning«.

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Vernetzung von Kunst und Neuen Medien

Das ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe

Das ZKM | Zentrum für Kunst undMedientechnologie Karlsruhe ist eineweltweit einzigartige Kulturinstitu-tion. Konsequent werden hier Kunstund neue Medien miteinander ver-netzt. In seiner Arbeit vereint esForschung und Produktion, Ausstel-lungen und Veranstaltungen, Vermitt-lung und Dokumentation. Das Me -dienmuseum, das Museum für NeueKunst, die Mediathek und die Insti-tute für Bildmedien, für Musik undAkustik sowie das Institut für Me -dien, Bildung und Wirtschaft er-möglichen die Entwicklung von interdisziplinären Projekten und in-ternationalen Kooperationen.

Mit der Ausstellung »YOU_ser. DasJahrhundert des Konsumenten« the -matisiert das ZKM die Weiterent-wick lung der Interaktivität in denglobalen Weiten des Web 2.0.

Von einem Informations- und Spei -chermedium hat sich das Internet zueinem Kommunikations- und »Mit-machmedium« entwickelt. Es bietetimmer mehr einfache Möglichkeitenfür jedermann, Inhalte selbst zu be-stimmen. Künstler reagieren daraufmit innovativen Konzepten, die esden Besuchern ermöglichen, die

Inhalte der Kunstwerke selbst zu be-stimmen. Die Interaktivität unterliegtdamit einer entscheidenden Weiter-entwicklung: Statt sowohl Schnitt-stelle als auch Konzept vorzugeben,entwickeln die Künstler nun dieSchnittstelle und überlassen denNutzern das Auffüllen mit eigenenIdeen und Inhalten.

Ein Großteil der neuen Installationennimmt bekannte Online-Portale (z.B.www.flickr.com, www.youtube.com)zum Vorbild, um das im Internet ent-wickelte Potenzial der Mitbestim -mung in einen künstlerischen Kon-text zu überführen. Damit werden dieBesucher aufgefordert, zu Künstlern,Kuratoren und Produzenten zugleichzu werden, sich zu emanzipieren undzu agieren.

Die unter dem Schlagwort Web 2.0zusammengefasste Positionsverän -derung erfasst ebenso die InstitutionMuseum, das auf die verändertenGewohnheiten der Nutzer reagierenmuss. Von einer örtlich und zeitlichgebunden Einrichtung löst es sichimmer mehr und entwickelt sich mitden neuen Technologien zu einemvon Raum und Zeit unabhängigenAusstellungsbetrieb.

Vorbereitet wurde diese Entwicklungvon prominenten Vorläufern wieMarcel Duchamp, George Brecht,Joseph Beuys und vielen mehr. Diehistorische Entwicklung der Interak-tivität stets im Blick, widmet sich ein

Bereich in der Ausstellung früheninteraktiven Werken, die bereits dieinhaltliche Ausformulierung des Pro-jektes an die Besucher abgeben.

Ferner ist ein weiterer Ausstellungs-bereich eingerichtet worden, der sichmit der Geschichte und dem Wirkendes ZKM auseinandersetzt. Ein me-chanisierter Zeitstrahl gibt Auskunftüber die Aktivitäten des ZKM seitseiner Gründung. Künstlerische Pro-duktionen des ZKM, aber auch ZKM-Publikationen werden der Öffentlich-keit in einem on-demand-Verfahrenzugänglich gemacht.

Mit »YOU_ser. Das Jahrhundert desKonsumenten« zeigt das ZKM, dassdie Künste, wie schon seit Jahrtau-senden, ein Spiegel sozialer Entwick-lungen sind.

Heute gehört der Umgang mit denNeuen Medien zum Alltag. Die neu -es ten Entwicklungen des Internetshaben dem Konsumenten die Mög -lichkeit gegeben, sich selbst zuemanzipieren. Als Produzent erstelltund vertreibt er Videos, Fotografien,Filme und Musik weltweit und wirddadurch relativ unabhängig von denhistorischen, kulturellen Einrichtun -gen. Insofern wird das 21. Jahrhun -dert einen neuen Typus von Kon-sumenten hervorbringen. Diesesneue Verhalten, in dem der Konsu -ment eine zentrale Rolle spielt, istder Inhalt der Ausstellung.

Innenansicht des ZKM

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Außenansicht des ZKM

Ausstellungsansicht

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Das ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe zeigt bis 6. Januar 2009 die Ausstellung »YOU_ser. Das Jahrhundert desKonsumenten«

Nam June Paik: Internet Dream, 1995, Videoinstallation

Mogens Jacobsen: Hørbar/Audiobar, 2007, interaktive Klanginstallation

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Mit der Ausstellung »YOU_ser. Das Jahrhundert des Konsumenten« thematisiert das ZKM | Zentrum für Kunst und MedientechnologieKarlsruhe die Weiterentwicklung der Interaktivität in den globalen Weiten des Web 2.0. Eindrücke der Ausstellung vermitteln die Fotos in diesem Heft. Informationen zur Ausstellung auf Seite 72.

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UNESCO heute

Z E I T S C H R I F T D E R D E U T S C H E N U N E S C O - K O M M I S S I O N

1|2008

➜ Interview mit Peter Schaar:Datenschutz im Internet

➜ Beiträge von Bernd BischoffAbdul Waheed KhanBarbara LisonCelina RamjouéAndreas Vogel

➜ Medienkompetenzund Lernen im Internet

➜ Projektbeispiele

➜ Moderne Wissens-gesellschaften unddie Versprechendes Internets

Inhalt

Wissen im Web

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