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Universität Potsdam Humanwissenschaftliche Fakultät Department Lehrerbildung/ Bereich Musik Abteilung: Musikpädagogik und Musikdidaktik Themenstellerin: Dr. E.-M. Ganschinietz Masterarbeit im Lehramt Musik Thema: Szenische Interpretation von Instrumentalmusik- Ansätze für eine erfahrungserschließende Musikvermittlung Pfütz, Katharina Matrikelnummer: 730 466 Master Lehramt Gymnasium Musik/ Lebensgestaltung-Ethik- Religionskunde Eingereicht am 05.08.2010 Flämingstraße 37, 16227 Eberswalde 1. Gutachterin: Dr. E.-M. Ganschinietz [email protected] 2. Gutachter: Dr. A. Brunner

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Universität Potsdam

Humanwissenschaftliche Fakultät

Department Lehrerbildung/ Bereich Musik

Abteilung: Musikpädagogik und Musikdidaktik

Themenstellerin: Dr. E.-M. Ganschinietz

Masterarbeit im Lehramt Musik

Thema: Szenische Interpretation von Instrumentalmusik-

Ansätze für eine erfahrungserschließende Musikvermittlung

Pfütz, Katharina

Matrikelnummer: 730 466

Master Lehramt Gymnasium

Musik/ Lebensgestaltung-Ethik-

Religionskunde

Eingereicht am 05.08.2010

Flämingstraße 37, 16227 Eberswalde 1. Gutachterin: Dr. E.-M. Ganschinietz

[email protected] 2. Gutachter: Dr. A. Brunner

Inhaltsverzeichnis 1. Zieldefinition und Aufgabenstellung........................................................................... 1

2. Szenische Interpretation von Musiktheater- Theoretische Hintergründe ........................ 4

2.1. Erfahrungserschließende Musikerziehung nach Rudolf Nykrin .............................. 5

2.2. Szenisches Spiel als Vermittlungsmethode im erfahrungsorientierten Unterricht

nach Ingo Scheller ........................................................................................................... 6

2.3. Tätigkeitspsychologisch fundiertes Handlungskonzept nach Wolfgang Martin

Stroh ................................................................................................................................ 8

3. Szenische Interpretation von Musiktheater nach Wolfgang Martin Stroh, Rainer

Brinkmann, Markus Kosuch und Ralf Nebhuth ................................................................ 10

3.1. Begriffsbestimmung ............................................................................................... 10

3.2. Anliegen ................................................................................................................. 11

3.3. Struktur und grundlegende Verfahren .................................................................... 11

3.4. Schaffung eines Erfahrungsraumes ........................................................................ 18

3.5. Zusammenfassung .................................................................................................. 19

4. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik .......................................................... 19

4.1. Instrumentalmusik als Szene .................................................................................. 19

4.2. Soziale Situationen eines Instrumentalmusikwerkes und ihre Übertragung in

Spielszenen .................................................................................................................... 20

4.2.1. Die Musik als Szene ........................................................................................ 20

4.2.2. Der Kontext als Szene ..................................................................................... 23

4.2.3. Schlussfolgerungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts ........................ 25

4.3. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik im erfahrungserschließenden

Musikunterricht ............................................................................................................. 30

4.4. Zusammenfassung .................................................................................................. 35

5. Spielkonzept zum 3. Satz des Klarinettenquintetts op. 115 h-Moll von Johannes

Brahms .............................................................................................................................. 36

5.1. Eignung für eine Szenische Interpretation ............................................................. 36

5.2. Schülerrelevante Kernidee und Musikalisches Hauptziel ...................................... 37

5.3. Voraussetzungen der Lerngruppe ........................................................................... 40

5.4. Verfahren ................................................................................................................ 41

5.4.1. Unterrichtseinheit: Die Musik als Szene ......................................................... 41

5.4.2. Unterrichtseinheit: Der Kontext als Szene ...................................................... 53

5.5. Fazit ........................................................................................................................ 64

6. Zusammenfassung ......................................................................................................... 65

7. Literaturverzeichnis ................................................................................................... 68

Anhang .............................................................................................................................. 72

Material 1: Offene Fantasiereise ................................................................................... 72

Material 2: Arbeitsauftrag zur Entwicklung einer Spielszene ....................................... 73

Material 3: Arbeitsblatt Klarinettenquintett op. 115 h-Moll von Johannes Brahms ..... 74

Material 4: Rollenkarten Szene 1 .................................................................................. 75

Material 5 : Rollenkarten Szene 2 ................................................................................. 76

Material 6 : Rollenkarten Szene 3 ................................................................................. 78

Material 7: Arbeitsauftrag Szene 1 ................................................................................ 79

Material 8: Arbeitsauftrag Szene 2 ................................................................................ 80

Material 9: Partiturausschnitte Szene 2 ......................................................................... 81

Material 10: Arbeitsauftrag Szene 3 .............................................................................. 83

Material 11: Übersicht zu Phasen, Verfahren und Materialien ..................................... 85

Partitur ........................................................................................................................... 87

Eidesstattliche Erklärung............................................................................................... 93

Begleit-CD (Audio) zur Szenischen Interpretation des 3. Satzes des Klarinetten-

quintetts op. 115 h-Moll von Johannes Brahms

- Die Musik als Szene: Track 1-4

- Der Kontext als Szene: Track 5 und 6

Begleit-Präsentation (DVD+R) zur Szenischen Interpretation des 3. Satzes des

Klarinettenquintetts op. 115 h-Moll von Johannes Brahms

- Verfahren im Unterrichtsversuch

1

1. Zieldefinition und Aufgabenstellung

„Es geht im Umgang mit musikalischen Gegenständen nicht mehr darum, herauszube-

kommen, was „der Meister uns sagen will“ […] oder wie ein Werk „richtig“ verstanden

werden soll […]. Es geht vielmehr darum, dass die Beteiligten sich - in einem pädago-

gisch definierten Erfahrungsraum – eine „Bedeutung selbst erarbeiten.“ (Kosuch 2007, S.

14; Hervorhebung im Original)

Die erfahrungserschließende Musikvermittlung geht davon aus, dass nur durch

Erfahrungen gelernt wird. So forderte Rudolf Nykrin bereits in seiner 1978 vorge-

legten „Erfahrungserschließende[n] Musikerziehung: Konzept-Argumente-Bilder“

einen Musikunterricht, der an Erfahrungen der SchülerInnen anknüpft und ihnen

im Umgang mit musikalischen Gegenständen neue musikalische Erfahrungen

ermöglicht. Nur so könne eine „Kompensation und Aufklärung von Erfahrungs-

einschränkungen“ (Nykrin 1978, S. 181) möglich und die Musik den Schüler-

Innen durch Erarbeitung eigener Deutungen zugänglich gemacht werden.

Zu diesem Schluss kommt auch die Musikpädagogin und -wissenschaftlerin

Sigrid Gaiser, die in ihrer Studie „Einstellungen zum Begriff klassische Musik“

von 2008 die Vermittlung klassischer Musik1 im Unterricht betrachtet. Während

die SchülerInnen Rock- und Popmusik in ihrem Alltag durch eigenen Umgang er-

leben und so Erfahrungen damit sammeln können, ist nach Gaiser der vermutlich

einzige Ort der Begegnung mit klassischer Musik der schulische Musikunterricht.

Nach Gaiser sollte dieser deshalb einen „wirkliche[n] Umgang mit Musik“

(Gaiser 2008, S. 48) ermöglichen, in dem er das praktische Erleben und Erfahren

in den Vordergrund rückt. Nur wo eigene Erfahrungen mit Musik gemacht wür-

den, wäre die Entwicklung einer differenzierten Einstellung zu ihr möglich (vgl.

Gaiser 2008, S. 48). Doch wie sieht Musikvermittlung klassischer Musik heute

aus?

Schaut man sich aktuelle Lehrbücher für den Sekundarstufenbereich an, fällt auf,

dass das Vorgehen, vor allem im Bereich der Instrumentalmusik, meist musikana-

lytischer Natur ist. Dabei werden die Werke auf ihre musikalischen Themen und

Motive hin untersucht und musikalische Strukturen und Formen analysiert. Ergän-

zend finden biografische Daten des Komponisten Erwähnung. Eigene musika-

lische Tätigkeit der SchülerInnen erschöpft sich im Nachspielen der Motive und

1 Der Begriff der „klassischen Musik“ wird hier in Anlehnung an Gaiser „in ihrer am häufigsten

gebräuchlichen Deutung: Ernste Musik in Abgrenzung zur Unterhaltungsmusik“ (Gaiser 2008, S.

45) gebraucht.

2

Musizieren von Mitspielsätzen (vgl. Behrend/ Streerath 2008, S. 118, S. 132 u.a.).

Dieser musikanalytische Schwerpunkt zeigt sich auch bei anderen methodischen

Zugängen, wie dem „Visualisieren“ von Klängen, Verläufen oder Formen (vgl.

Heukäufer 2007, S. 249 f.), „Musik malen“ zur Verbildlichung musikalischer

Strukturen und Verläufe (vgl. Heukäufer 2007, S. 182 f.), oder der „personalen“

Interpretation von Musik. Dort werden einzelne Motive als Personen verstanden

und die Musik als ihre Geschichte (vgl. Schmidt 1995) aufgefasst. „Bewegung zur

Musik als Interpretationshilfe“ (vgl. Heukäufer, S. 92, 118 f.) und die Darstellung

als „Verkleidungs- und Rollenspiel“ (vgl. Richter 1993) knüpfen zwar schon an

Erfahrungen der SchülerInnen an, haben aber auch eher Musikanalyse unterstüt-

zende Funktion.

Die Szenische Interpretation von Musiktheater hat einen anderen Ansatz.

Ursprünglich auf Musiktheater und Oper angewendet, inzwischen aber auch

erfolgreich auf Lieder, Umgangsweisen mit Musik und interkulturelle Musik

übertragen (vgl. ISIM2 2006), werden die behandelten Werke durch szenisches

Spielen und musikalische Tätigkeit für die SchülerInnen erleb- und erfahrbar.

Musikanalyse wird in Vorbereitung auf den Spielprozess durch den Spielleiter

durchgeführt, der anhand musikalisch und sozial relevanter Ideen des Werkes

Lernsituationen auswählt und gestaltet.3 Der Weg des musikalischen Lernens

führt dabei über die körperlich-sinnliche Begegnung mit Musik zum „Machen“

musikalischer Erfahrungen (vgl. Schönebeck 1995, S. 24), die innerhalb des

Prozesses reflektiert werden. Es handelt sich hierbei um „Körperlernen“ (Stroh

1994, S. 9).

Die Szenische Interpretation von Musiktheater lernte ich im Rahmen meiner

schulpraktischen Übungen an der Universität Potsdam kennen. Dort unterrichtete

ich eine kurze Einheit zum Musical „West Side Story“, das als ausgearbeitetes

Spielkonzept4 vorliegt (Kosuch/ Stroh 1997). Im Praxissemester konnte ich dieses

Spielkonzept in einer längeren Unterrichtsphase ausprobieren und stellte fest, dass

die SchülerInnen in diesen Stunden mit viel Freude und Spaß am Musikunterricht

2 ISIM: Das „Institut für Szenische Interpretation von Musik und Theater“ ist ein Zusammen-

schluss von Personen und Institutionen, die Szenische Interpretation einsetzen und konzeptionell

weiterentwickeln, sowie ein Forum für Interessierte, die mit dieser Methode arbeiten wollen. 3 So können in einer Lernsituation durchaus musikanalytische Elemente vorhanden sein, diese

dienen aber immer der Verdeutlichung der Kernidee eines Spielkonzepts. 4 Unter dem Begriff „Spielkonzept“ wird eine Spielanleitung mit Verfahren zur Szenischen Inter-

pretation eines konkreten Musikwerks verstanden.

3

teilnahmen. Daraufhin besuchte ich Kurse in Szenischer Interpretation, welche

mich in ihrem Lerngehalt so überzeugten, dass ich mich zu einer Spielleiterausbil-

dung an der Staatsoper Berlin entschloss, um die Methode effektiver im Unter-

richt einsetzen zu können.

Dabei interessierten mich insbesondere die Einsatzmöglichkeiten bei Instrumen-

talmusik, da ich im Praxissemester die Erfahrung machte, dass die SchülerInnen

bei der Beschäftigung mit Instrumentalmusik auf herkömmliche Art gelangweilt

und desinteressiert waren, während sie bei der Szenischen Interpretation von

Musiktheater mit viel Freude agierten. So kam ich auf die Idee Instrumentalmusik

mithilfe der Szenischen Interpretation zu unterrichten, um den SchülerInnen durch

praktisches Erleben und Erfahren einen Zugang zu dieser Musik zu ermöglichen

und darüber hinaus einen Musikunterricht zu gestalten, an dem sie mit Spaß und

Spielfreude teilnehmen.

Bei der Suche nach geeigneten Spielkonzepten fand ich lediglich drei, die sich

überhaupt mit Instrumentalmusik beschäftigten (vgl. ISIM 2006). Zwei von ihnen

waren für den Einsatz in den Sekundarstufen vorgesehen, griffen aber nur Teil-

aspekte der Szenischen Interpretation auf.5 Zudem stieß ich auf einen Aufsatz

Wolfgang Martin Strohs zur „Szenischen Interpretation absoluter Musik“ (Stroh

2007b), der wichtige Überlegungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts gibt,

aber keine konkreten Vorschläge macht. An dieser Stelle setzt die vorliegende

Arbeit an, in dem sie ausgehend von theoretischen Überlegungen eine Anwen-

dung von Szenischer Interpretation auf Instrumentalmusik ermöglicht und konkre-

te Vorschläge zu deren Umsetzung im Musikunterricht der Sekundarstufen gibt.

Die Arbeit gliedert sich dafür in einen fachwissenschaftlichen und einen empiri-

schen Teil. Im fachwissenschaftlichen Teil der Arbeit (Kapitel 2-4) wird die Sze-

nische Interpretation von Musiktheater zunächst durch Darlegung von Ursprung

und Entwicklung als Methode im erfahrungserschließenden Musikunterricht

vorgestellt und in ihren zentralen Aspekten beschrieben. In Kapitel 4 wird die An-

wendung Szenischer Interpretation auf Instrumentalmusik theoretisch begründet

und daraus abgeleitet Schlussfolgerungen für den Aufbau eines Spielkonzepts,

Stückauswahl und Anwendbarkeit musikalischer Verfahren gezogen. Da die

5 Bedeutungskonstruktion anhand des zweiten Satzes des Klavierkonzerts Nr. 4 von Beethoven;

sozialgeschichtlicher Kontext eines Werkes anhand des zweiten Streichquartett Schönbergs (vgl.

Stroh 2007a)

4

Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungsmethode im

erfahrungserschließenden Musikunterricht eingesetzt werden soll, wird anschlie-

ßend gefragt, welche musikalischen Erfahrungen durch sie ermöglicht werden.

Im empirischen Teil der Arbeit (Kapitel 5) wird exemplarisch ein Spielkonzept

Szenischer Interpretation von Instrumentalmusik zum dritten Satz des Klarinetten-

quintetts von Johannes Brahms sowie seine Erprobung im Grundkurs Musik der

11. Klasse am „Gymnasium Finow“ in Eberswalde vorgestellt. Zu diesem Werk

kam ich zufällig durch einen Artikel von Christoph Richter (2007, S. 3), in dem er

den zweiten Satz des Klarinettenquintetts als Beispiel für das Betrachten von klas-

sischer Musik im Unterricht anführt. Die Annahmen, dass durch Anwendung der

Verfahren der Szenischen Interpretation ein praktisches Erleben und Erfahren von

Instrumentalmusik möglich wird und die SchülerInnen mit Spaß und Freude an

einem so gestalteten Musikunterricht teilnehmen, sollen in der Auswertung der

Unterrichtserprobung überprüft werden.

Für die Bearbeitung des Themas wurde auf Literatur zur Szenischen Interpretation

von Ingo Scheller sowie auf Szenische Interpretation von Musik und Theater

zurückgegriffen. Dort wurde mit dem „Methodenkatalog zur Szenischen Interpre-

tation von Musiktheater“ von Brinkmann, Kosuch, Stroh und Nebhuth von 2001,

diversen Spielkonzepten zu Musiktheaterwerken und Zeitschriftenaufsätzen, in

welchen neuere Unterrichtsversuche, Forschungsansätze und theoretische Kon-

zepte vorgelegt wurden, gearbeitet. Für die Entwicklung des Spielkonzepts habe

ich auf musikwissenschaftliche Literatur zu den relevanten Themen zurückge-

griffen. Wesentliche Quellen waren dabei die Veröffentlichungen der Johannes-

Brahms-Gesellschaft.

2. Szenische Interpretation von Musiktheater- Theoretische Hintergründe

In der reformpädagogischen Bewegung der 1970er Jahre entwickelten sich durch

die Orientierung am Erfahrungshorizont der SchülerInnen neue Formen des

Lernens. Entscheidender Impuls für den Bereich der Musikpädagogik war die

„Erfahrungserschließende Musikerziehung“ von Rudolf Nykrin. Parallel dazu ent-

wickelte Ingo Scheller im Bereich der Literaturpädagogik ein Konzept des erfah-

rungsorientierten Unterrichts, der die Methode der Szenischen Interpretation

zunächst für die Vermittlung von Dramen im Deutschunterricht einsetzte.

5

Im Folgenden sollen beide Linien in ihren für die Szenische Interpretation von

Musiktheater grundlegenden Zügen dargestellt werden. Dabei soll der Schwer-

punkt auf das Verständnis des Begriffs „Erfahrung“ sowie seine Verknüpfung mit

dem Handeln als konstitutive Bedingung gelegt werden.

In Punkt 2.3. finden sich Ausführungen zum tätigkeitspsychologisch fundierten

Handlungskonzept Wolfgang Martin Strohs, welches ausgehend von beiden

Linien eine wissenschaftliche Grundlage für die Szenische Interpretation von

Musiktheater liefert.

2.1. Erfahrungserschließende Musikerziehung nach Rudolf Nykrin

In seiner „Erfahrungserschließenden Musikerziehung“ von 1978 konzipiert

Rudolf Nykrin einen Musikunterricht, der die SchülerInnen mit ihren subjektiven

Erfahrungen in den Mittelpunkt des Unterrichts stellt. Dabei werden diese als

Menschen mit „der Einheit ihrer inneren und äußeren Tätigkeit; mit einem lebens-

geschichtlich gewachsenen Hintergrund; mit je spezifischen und situationsspezi-

fischen Auffassungen und Aktionsweisen; mit einer unverwechselbaren Identität“

(Nykrin 1978, S. 15 f.) angesehen. Der Musikunterricht gestaltet sich demnach als

individuelle Auseinandersetzung der SchülerInnen mit einem Erfahrungsobjekt.

Das Ziel ist es, Erfahrungsdefizite abzubauen: „Allgemeine Aufgabe musika-

lischer Erziehung ist es, die Defizite musikalischer Erfahrung […] zu verringern

oder zu korrigieren“ (Nykrin 1978, S. 129). „Erfahrung“ im Allgemeinen versteht

Nykrin als die „von einer Person zum individuellen (personalen) Handlungs- und

Deutungshintergrund verarbeiteten Wahrnehmungen von Reizen, Situationen

und Geschehnissen, an denen sie beteiligt waren“ (Nykrin 1978, S. 23; Hervorhe-

bung im Original). Diese Beteiligung setzt eine handelnde Tätigkeit voraus, bei

der zum Einen „Aspekte der „Wirklichkeit“ von Musik“ (Nykrin 1978, S. 81) auf-

gegriffen werden und zum Anderen im Prozess der Tätigkeit eine „reflexive Aus-

einandersetzung mit musikalischen Phänomenen“ (Nykrin 1978, S. 83) erfolgt.

Die musikalische Erfahrung lässt sich nach Nykrin von zwei Seiten her be-

trachten. Einerseits trägt musikalische Erfahrung stets einen individuellen Charak-

ter, da sie auf den einzelnen Menschen wirkt. Dazu gehören beispielsweise

Erfahrungen, die aus dem Musikhören resultieren. Diese individuellen Erfah-

rungen sind „personale, als solche unverwechselbare und nicht austauschbare

Lebensdaten“ (Nykrin 1978, S. 40), die sich aufgrund ihrer Individualität schwer

6

kommunizieren lassen. Der Musikunterricht sollte deshalb Kommunikations-

chancen bieten, sich über individuelle musikalische Erfahrungen auszutauschen,

in dem das entsprechende Vokabular für die Kommunikation angeboten und

erarbeitet wird.6 Andererseits trägt die musikalische Erfahrung gesellschaftlichen

Charakter, da sie an „Ausschnitten gesellschaftlicher Musikwirklichkeit“ (Nykrin

1978, S. 36) vollzogen wird. Dabei kann Musik als Teil einer sozialen

Gesamtsituation erfahren werden, in der sie politischen, sozialen oder auch

wirtschaftlichen Einflüssen ausgesetzt und in diese eingebettet ist. Erfahrungen

mit Musik zu machen, heißt somit auch Erfahrungen mit der Gesellschaft zu

machen: „Musikalische Erfahrung ist Erfahrung mit Gesellschaft“ (Nykrin 1978,

S. 36).7

Die musikalischen Erfahrungen zu „erschließen“, das heißt im Unterricht zu re-

konstruieren und zu deuten (vgl. Nykrin 1978, S. 130), bedarf es des Handelns der

SchülerInnen: „Im Handeln erfährt und bildet der Mensch sich selbst und seine

Umwelt“ (Nykrin 1978, S. 134). Dazu sind im Rahmen der Musikerziehung

geeignete Interventionen durch den Lehrer auszuwählen. Einige dieser von Nykrin

vorgeschlagenen Interventionen sind jedoch in der Verknüpfung von Ziel und

Durchführung problematisch. Für die Rekonstruktion und Deutung lebens-

geschichtlich „gemachter“ Erfahrungen schlägt Nykrin beispielsweise das Schrei-

ben eines Aufsatzes zur eigenen musikalischen Erfahrung vor. Fraglich ist, ob die

von ihm selbst als ungenügend eingestufte Fähigkeit der musikbezogenen Kom-

munikation der SchülerInnen für einen solchen Aufsatz ausreichend ist.

2.2. Szenisches Spiel als Vermittlungsmethode im erfahrungsorientierten

Unterricht nach Ingo Scheller

Das Szenische Spiel wurde in den achtziger Jahren mit dem Ziel entwickelt,

SchülerInnen erfahrungs- und handlungsbezogene Zugänge zu literarischen

Texten zu eröffnen. Dabei gab es unterschiedliche Ansätze bezüglich der pädago-

gischen Legitimierung ihres Einsatzes, von denen an dieser Stelle nur derjenige

Ingo Schellers als Grundlage der Szenischen Interpretation von Musiktheater

ausgeführt werden soll.

6 Nykrin fasst dies unter dem Begriff der „musikbezogenen Kommunikationspraxis von Schülern“

(Nykrin 1978, S. 45) zusammen, welche durch musikalische Erziehung erweitert und verfeinert

werden soll. 7 Die Inhalte musikalischer Erfahrungen bleiben bei Nykrin unbestimmt (vgl. Jank 2009, S. 53).

7

Ingo Scheller entwickelte das Szenische Spiel als Bestandteil eines erfahrungs-

orientierten Unterrichts, welchen er als Reaktion auf Erfahrungen als Deutschleh-

rer in unterschiedlichen Schulformen konzipierte. Der vorherrschende Unterricht

war seiner Ansicht nach geprägt von „Problemen, die sich aus der „Verwissen-

schaftlichung“, „Individualisierung“ und der „Entpersonalisierung“ des Unter-

richts“ (Scheller 1987, S. 30) ergaben. Sie führten zur Vermittlung eines auf

Informationen reduzierten Wissens und sorgten dafür, dass die Unterrichtsinhalte

für die Schüler fremd blieben. Dieser unbefriedigende Umstand ließ Scheller nach

Verfahren suchen, die den lustvollen Umgang mit Literatur fördern konnten und

den Kommunikations- und Reflexionsformen der Schüler entsprachen. Er er-

probte und überarbeitete verschiedene theater- und schauspielpädagogische An-

sätze, beispielsweise von Brecht, Stanislawski, Boals und Morenos (vgl. Kosuch

2004, S. 7).

Um den SchülerInnen den Zugang zu literarischen Texten zu ermöglichen, über-

nehmen sie im Szenischen Spiel Rollen und analysieren und interpretieren das

Verhalten der Figuren vor ihrem eigenen Erlebenshorizont. So können die Schü-

lerInnen Bezüge zwischen Inhalten des Textes und der eigenen Lebensbiografie

herstellen. Die im Spiel gemachten Erlebnisse8 werden dabei in unbewussten Hal-

tungen, als „Niederschläge real erlebter körperbestimmter Interaktionen“ (Scheller

1987, S. 59), beispielsweise Gestik, Mimik, Sprechweise und Tonfall, umgesetzt

oder auch in bewussten Haltungen ausgedrückt. Die Erlebnisse werden nach

Scheller zu Erfahrungen9, wenn Entstehung und Wirkung dieser Erlebnisse in der

jeweiligen Situation reflektiert werden. Diese Reflexion, die aus Vergleichen,

Bewerten und bewusstem Erinnern (vgl. Scheller 1987, S. 61) besteht, umfasst

somit eine Interpretation subjektiver Bedeutungen des Erlebten.

Um die Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen zu ermöglichen, muss der

Unterricht zum „Erfahrungsraum“ (Scheller 1987, S. 64) werden. Das Szenische

Spiel bietet diesen Raum, in dem es durch seine Verfahren Erlebnisse ermöglicht

8 Scheller versteht unter Erlebnissen „Reaktionen auf Situationen (Szenen) […] in die Schüler kör-

perlich, emotional, denkend und handelnd eingebunden“ (Scheller 1987, S. 56) sind. Diese Reakti-

on wird durch vorangegangene Erlebnisse, Erwartungen und Erlebnisweisen beeinflusst. 9 Was Scheller unter „Erfahrung“ versteht, wird im Gegensatz zu dem Begriff „Erlebnis“ nicht

explizit ausgeführt. Es lässt sich allerdings aus den weiteren Überlegungen Schellers ein für diese

Arbeit ausreichendes Verständnis formulieren: „Erfahrung ist ein (durch Reflexion) verarbeitetes

Erlebnis“. Dabei bleibt das konkrete Wesen der Erfahrung unklar, der methodische Ansatz

Schellers wird davon jedoch nicht beeinträchtigt.

8

und Verarbeitungsstrategien anbietet. Dabei läuft die Verarbeitung von Erlebnis-

sen zu Erfahrungen in den Schritten Aneignung, Verarbeitung und Veröffentli-

chung von Erfahrung ab.

Als erster Schritt wird das Erlebnis reflektiert und in seiner subjektiven Bedeut-

samkeit geprüft, Scheller spricht in diesem Zusammenhang von einer „Aneignung

von Erfahrung“ (Scheller 1987, S. 64). Dieser Schritt wird individuell durchge-

führt, in dem sich der Einzelne fragt, was ihm an diesem Erlebnis besonders

wichtig ist. Anschließend wird in einem zweiten Schritt die individuelle Ansicht

durch Gespräche mit MitschülerInnen, in Konfrontation mit Anderen gebracht. So

können sich neue Perspektiven eröffnen und eigene Ansichten überdacht werden.

Dabei werden die Erfahrungen verarbeitet. Im dritten Schritt, der „Veröffentli-

chung von Erfahrungen“ (Scheller 1987, S. 67) werden die Ansichten öffentlich

dargestellt und diskutiert. Es erweitert sich der Kreis anderer Perspektiven durch

Vorspielen von Szenen und der anschließenden Diskussion über das Gespielte.

Bei der Beschreibung der drei Schritte in der Umwandlung von Erlebnissen zu

Erfahrungen wird deutlich, wie individuell dieser Vorgang ist. Dem Lehrer

kommt deshalb innerhalb des Szenischen Spiels eine zur herkömmlichen Musik-

vermittlung im schulischen Unterricht veränderte Rolle zu. Ist er sonst derjenige,

der vorgibt, was gelernt wird, so wird er hier zu einem Moderator, der

Lernsituationen und Verfahren anbietet und diese organisiert. Er steuert nicht auf

ein vorgegebenes Lernergebnis für die SchülerInnen hin, sondern lässt Raum für

deren eigene Erfahrungen und Deutungen. Scheller greift diesen Aspekt der

subjektiven Deutung auf, in dem in späteren Veröffentlichungen statt von Sze-

nischem „Spiel“ von „Interpretation“ die Rede ist.

2.3. Tätigkeitspsychologisch fundiertes Handlungskonzept nach Wolfgang

Martin Stroh

Mitte der 1980er Jahre begann die Übertragung der Szenischen Interpretation von

Dramen auf Musiktheaterwerke, um diese im Musikunterricht an allgemeinbil-

denden Schulen zu vermitteln. Wolfgang Martin Stroh formulierte dafür ein Kon-

zept, das den Erfahrungsbegriff Schellers aufgriff, diesen auf die Beschäftigung

mit Musik im Unterricht bezog und dabei Ansätze der Tätigkeitspsychologen

Rubinstein und Leontjew aufgriff. Grundlegend für dieses Konzept ist die

Unterscheidung von Handlung und Tätigkeit.

9

Als Bezugsbegriff für die Musikpädagogik gilt für Stroh der „musikalisch tätige

Mensch“ (Stroh 1999, S. 9), weshalb sich diese mit einer Analyse musikalischer

Tätigkeiten zu beschäftigen habe. Während Handlungen auf ein Ziel ausgerichtet

sind, werden Tätigkeiten durch Motive initiiert, musikalische Tätigkeiten also

durch musikalische Motive. Diese müssen weder bewusst noch sichtbar sein: „Die

Tätigkeitsebene gibt der Handlung ihren Sinn, stellt die Motive für das Handeln

bereit und bildet den (meist nicht bewußten [!]) Rahmen für konkretes Handeln.“

(Oerter 1993, S. 262) Das Motiv einer Tätigkeit entwickelt sich aus den Bedürf-

nissen des Individuums (vgl. Leontjew 1987, S. 101), die sich im Rahmen ihrer

Realisierung in Handlungen weiterentwickeln. So verändert der tätige Mensch

durch seine Handlungen nicht nur seine Umwelt, sondern durch die Weiterent-

wicklung seiner Bedürfnisse auch sich selbst. Dies wird als „Aneignung von

Wirklichkeit“ bezeichnet. Auf musikalische Tätigkeit bezogen heißt das:

„Aneignung beinhaltet […] jedwede Form der Musikrezeption, die darin besteht, daß [!]

Musikstrukturen an vorhandene Schemata assimiliert oder zu neuen internalen Ordnungen

aufgebaut werden.“ (Oerter 1993, S. 255)

Die musikalische Tätigkeit „ist Aneignung von Wirklichkeit mit musikalischen

Mitteln“ (Stroh 1999, S. 11) und somit ein aktiver Prozess. Sie geht über das

Erlernen musikalischer Fertigkeiten hinaus und lässt eine umfassendere

Aneignung von Wirklichkeit zu, in dem beispielsweise bei einem politischen Lied

nicht nur das Lied selbst gesungen, sondern auch eine Singhaltung eingenommen

wird, bei der die Aussage des Textes ausgedrückt, kommentiert und so reflektiert

wird.

„Erfahrungen“ sind für Stroh Ergebnisse von Handlungen und somit auf Tätig-

keiten angewiesen. Ein Musikunterricht, der Erfahrungen ermöglichen will, kann

deshalb nicht bei der Planung von Handlungen stehenbleiben, sondern muss die

Analyse von Tätigkeitsmotiven einbeziehen, um ihre Wichtigkeit für die Aneig-

nung von Wirklichkeit zu verdeutlichen. Nach Stroh geschieht genau das bei der

Szenischen Interpretation, in dem den SchülerInnen aus einer Rollenperspektive

heraus Motive für das Handeln anderer Menschen bewusst werden:

„Sie übernehmen im Sinne des „Probehandelns“ solche Motive aus einer Rollendistanz

heraus und erfahren, was es für die „Aneignung von Wirklichkeit“ bedeutet, derart

motiviert tätig zu sein.“ (Stroh 1999, S. 13)

Durch die Verschränkung der Lebenswirklichkeit der SchülerInnen und der Wirk-

lichkeit des Werkes, kann Musik „verstanden“ werden (vgl. Stroh 1999, S. 11).

10

3. Szenische Interpretation von Musiktheater nach Wolfgang Martin Stroh,

Rainer Brinkmann, Markus Kosuch und Ralf Nebhuth

Im Folgenden wird die Szenische Interpretation von Musiktheater vorgestellt.

Dabei sollen zentrale Aspekte der Interpretationsmethode, die bei einer

Anwendung auf Instrumentalmusik aufgegriffen werden müssen, deutlich

gemacht werden.

3.1. Begriffsbestimmung

Die Szenische Interpretation von Musiktheater ist eine musikbezogene Weiterent-

wicklung des Szenischen Spiels nach Ingo Scheller. Ihre Besonderheit liegt in

ihrem konstruktivistischen Ansatz. Szenische Interpretation geht davon aus, dass

das Individuum die Bedeutung des betrachteten Gegenstands, ob Musiktheater

oder Lied, aufgrund seiner persönlichen Lebenserfahrungen konstruiert. So wer-

den die während des szenischen Spielens entstandenen Situationen sowie Äuße-

rungen, Verhaltensweisen und Motive der darin handelnden Figuren durch die

SchülerInnen gedeutet. Dabei ist die Szenische Interpretation keinesfalls „willkür-

lich oder subjektivistisch, weil sie unter Anleitung eines Spielleiters stattfindet,

der darauf achtet, dass die individuellen Bedeutungskonstruktionen veröffentlicht,

zur Diskussion gestellt und in einer Gruppe reflektiert werden.“ (ISIM 2006).

Die einzelnen Verfahren der Methode sind auf eine pädagogisch inszenierte Dar-

stellung von Inhalten „durch Gruppen unter wesentlicher Zuhilfenahme der Ele-

mente des Körper- und Bewegungsausdruckes sowie der Körpersprache“ (ISIM

2006) ausgerichtet. Zum szenischen Spielen kommt die musikalische Tätigkeit

hinzu, die eine weitere Interpretationsebene öffnet. Zugunsten des szenischen

Spielens werden herkömmliche musikalische Tätigkeiten wie Singen oder Instru-

mentalspiel zurückgenommen und durch Haltungen zur Musik oder gestisches

Singen ersetzt (vgl. Stroh 2007a). Die musikalische Tätigkeit ist dabei an eine

sozialhistorische, politische oder gesellschaftliche Situation gebunden, die ihren

Ausgangspunkt in der sozialen Gesamtsituation des Werkes hat. Jene wird

zunächst spielerisch erfahren, um dann einzelne Teile musikalisch zu erarbeiten

(vgl. Jank 2009, S. 181).

11

3.2. Anliegen

Ziel der Szenischen Interpretation ist es, dass sich die Spielenden „Musik auf eine

aktive, selbstbestimmte, bewusste und soziale Art und Weise aneignen“ (Stroh

2007b, S. 7). Dabei wird das Musikwerk selbst als eine Form der Wirklichkeitsan-

eignung betrachtet, da in ihm Erlebnisse und Erfahrungen von Menschen verar-

beitet sind. Die SchülerInnen werden bei der Szenischen Interpretation selbst

tätig, eigene Fantasien und Ideen werden aufgegriffen, umgesetzt und durch Ein-

satz reflexiver Verfahren bewusst gemacht. All dies geschieht in einer sozialen

Gruppe, in der die SchülerInnen miteinander agieren und aufeinander eingehen

müssen. Durch diese Art der Auseinandersetzung mit Musik findet die Auflösung

eines spezifischen „Kunstwerkcharakters“ (Stroh 1994, S. 17) statt und macht das

musikalische Werk für die SchülerInnen und ihre Erfahrungswelt durch subjektive

Deutung zugänglich.

Lernen, als „das angeleitete Machen von Erfahrungen“ (Nebhuth/ Stroh 1990, S.

10), beschränkt sich dabei nicht auf musikalische Erfahrungen.10

In einem Werk

sind durch die dort enthaltene Wirklichkeit Themen erkennbar, die auch den Erfa-

hrungsalltag der SchülerInnen bestimmen.11

Durch Reflexionsverfahren werden

die SchülerInnen angestoßen eigene Ansichten zum Thema zu hinterfragen und so

immer auch etwas über sich selbst zu erfahren.

3.3. Struktur und grundlegende Verfahren

Strukturiert wird der Prozess der Szenischen Interpretation von Musiktheater

durch den Ablauf in Phasen. So wird eine intensive Auseinandersetzung mit dem

Musikwerk gewährleistet.

Phase 1: Vorbereitung

Phase 2: Einfühlung

Phase 3: Szenisch-musikalische Arbeit

Phase 4: Ausfühlung

Phase 5: Reflexion

10

Zur Schwierigkeit des Begriffs der „musikalischen Erfahrung“ siehe Punkt 4.3., S. 32 f. 11

So wird beispielsweise in der Oper „Carmen“ die „Geschlechterrolle“ jener Zeit thematisiert

(vgl. Nebhuht/ Stroh 1990).

12

Während in kurzen Unterrichtseinheiten oder Verwendung einzelner Bausteine im

Unterricht die Phasen der Vorbereitung und Ausfühlung weggelassen werden

können, ist das Vorhandensein der Phasen Einfühlung, Szenisch-musikalische

Arbeit und Reflexion für die Szenische Interpretation konstitutiv (vgl. Brinkmann/

Kosuch/ Stroh 2001, S. 4). Dabei erfolgt Reflexion als Phase am Ende des

Spielprozesses, um durch Aufarbeiten des Gesamtprozesses die Umwandlung von

Erlebnissen zu Erfahrungen zu ermöglichen. Darüber hinaus steht sie in Wechsel-

beziehung zur szenisch-musikalischen Arbeit, in dem dort reflexive Verfahren

integriert werden, um Erlebnisse „an Ort und Stelle“ zu Erfahrungen zu verarbei-

ten: „Die Integration eines Reflexionsprozesses in den Spiel- und Arbeitsprozess

selbst ist einer der wichtigsten Aspekte szenischer Interpretation.“ (Kosuch 2007,

S. 11) Auch Verfahren der Einfühlung können in die Szenisch-musikalische

Arbeit mit einfließen, etwa wenn dort Figuren in oder nach Szenen nach ihren

Erlebnissen und Gedanken befragt werden. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich

die Phasen nicht klar gegeneinander abgrenzen lassen, sondern für das jeweilige

Spielkonzept sinnvoll ineinandergreifen.

Für das Verständnis der Szenischen Interpretation von Musiktheater und ihre

spätere Übertragung auf Instrumentalmusik sollen die Phasen mit ihrem Anliegen

und grundlegenden Verfahren kurz vorgestellt werden.12

Phase 1: Vorbereitung

In der Phase der Vorbereitung wird der Spielraum für die Szenische Interpretation

strukturiert. Dazu gehört das Herrichten einer Spielfläche zu Beginn des Spielpro-

zesses, die durch Kreidestriche auf dem Boden oder symbolische Barrieren wie

Stühle in den Ecken begrenzt wird und für alle einsehbar ist. Für einzelne Szenen

positionieren die darin agierenden SpielerInnen Requisiten auf der Spielfläche

und erklären diese. Für Brinkmann, Kosuch und Stroh (2001, S. 9) ist das

12

Die Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf den Methodenkatalog von Brinkmann,

Kosuch und Stroh (2001).

Vorbereitung

reitun

reitung

… des Spielraumes … szenisch- musikalischer

Arbeit durch Warm-Ups … der Einfühlung

13

„Herrichten des Spielraumes […] selbst ein „theatralischer Akt“ und sollte mit

entsprechender Zeit und Sorgfalt durchgeführt werden. Die Einfühlung kann

durch das Ausgeben von Rollenkarten und die Erstellung von Besetzungslisten

vorbereitet werden.

Die szenisch-musikalische Arbeit wird durch Warm-Ups vorbereitet. Diese

weisen einen inhaltlichen Bezug zum Spielkonzept auf und gehen auf musika-

lische Basiserfahrungen zurück (vgl. Stroh 2007a, S. 91), die so elementar wie nur

möglich sind. Dabei kann es sich um einen für das Werk typischen Klang, ein vor-

herrschendes Rhythmusmodell, einen grundlegenden Bewegungsablauf oder eine

Geste handeln. Durch Ausprobieren unterschiedlicher Körperhaltungen kann auch

schon in die szenische Arbeit eingeführt werden. Insgesamt können Warm-Ups

die bei vielen SchülerInnen vorliegenden Hemmungen in Bezug auf eigenes

Singen und Bewegen lockern.

Phase 2: Einfühlung

Die Einfühlungsphase ist von enormer Wichtigkeit, da das gesamte Geschehen im

Spielprozess zwischen Ein- und Ausfühlung aus der Rolle heraus erlebt wird (vgl.

Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 10). Die Phase dient dem Aufbau eines Rol-

lenschutzes, aus dem heraus ein Zugang zu den Motiven der gespielten Figur

möglich wird, ohne eigene Ansichten offenbaren zu müssen.

„Die Schülerinnen und Schüler müssen sich von ihrer eigenen Situation lösen und sich

auf fremde Perspektiven und Haltungen einlassen, müssen sich in Figuren hineinversetzen

und deren bewusste und unbewusste Handlungsmotive ergründen. Sie müssen erforschen,

welche Wahrnehmungen und Empfindungen, welche Erwartungen, Intentionen und

Wünsche die Figuren umtreiben und welche Aspekte ihr Verhalten beeinflusst haben

könnte“ (Scheller 2004, S. 50)

Hinzu kommt die Möglichkeit im Schutz der Rolle auch ungewöhnliches sogar

von der Norm abweichendes Verhalten öffentlich darstellen zu können, ohne

dafür sanktioniert zu werden. Dies kann nur durch eine systematische Anleitung

der Einfühlung erreicht werden (vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 51).

Ebenen der Einfühlung

In Rollen, Gruppen

oder soziale Milieus In komplexe

Situationen, Konflikte

oder Szenen

In einzelne

Handlungen

14

Die Einfühlung in Rollen, Gruppen oder soziale Milieus geht aller szenisch-

musikalischen Arbeit voraus. Zur individuellen Einfühlung gehört neben dem

Lesen von Rollenkarten und dem Schreiben einer Rollenbiografie auch die sze-

nische Arbeit mit Haltungen, wie das Erproben individueller körperlicher

Haltungen und Verhaltensweisen und das Entwickeln einer Sprechhaltung.

Anschließend kann durch Informationsmaterial zur historischen Situation eine

kollektive Einfühlung in Lebenssituation und Sozialisation der Figuren

durchgeführt werden. Ebenfalls möglich ist eine musikbegleitete Fantasiereise, die

zum historischen Ort der Handlung führt.

Die Einfühlung in Situationen, Konflikte oder Szenen erfolgt während der

szenisch-musikalischen Arbeit. Hierfür eignet sich insbesondere die Darstellung

von Figurenkonstellationen, bei denen Beziehungen und mögliche Abhängigkei-

ten der Figuren untereinander deutlich werden. Darüber hinaus können die Fi-

guren nach ihren Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten in Bezug auf die kom-

mende Spielphase befragt werden. Die SchülerInnen werden sich so über die

Beweggründe ihrer Rolle klar und können diese in das szenische Spiel einfließen

lassen.

Die dritte Ebene der Einfühlung betrifft die einzelne Handlung während des

szenischen Spiels. Dabei werden in und nach der Szene Rollenbefragungen durch-

geführt. Der Spielleiter „fragt nach Geschehnissen, den Erlebnissen, den Konse-

quenzen und dem, was die Figuren gerade übereinander denken“ (Brinkmann/

Kosuch/ Stroh 2001, S. 19). Es werden „Erlebnisgespräche“ geführt, bei dem die

SpielerInnen „im Dialog mit dem Spielleiter das Erlebte noch einmal Revue

passieren lassen und aus ihren Rollen heraus dazu Stellung nehmen“ (Scheller

2004, S. 55). Das Bewusstwerden der gemachten Erlebnisse fördert das

Verarbeiten zu Erfahrungen im Rahmen der Reflexion.

Phase 3: Szenisch-musikalische Arbeit

Szenisch-musikalische

Arbeit

Präsentation

Haltungen

Bilder

Präsentation

Szenisches Spielen

15

Der Begriff der „Haltung“ ist ein zentraler Begriff der Interpretationsmethode:

„Wenn ich hier von Haltungen spreche, dann meine ich damit nicht nur das, was jemand

über seinen Körper, also über Körperhaltung (etwa Kopf-, Rumpf-, Arm- und Beinstel-

lungen und – bewegungen), Gebärden und Mimik ausdrückt, sondern das Gesamt von

inneren Einstellungen, Gefühlen, Vorstellungen und sozialen Orientierungen und äußeren

körperlichen und sprachlichen Ausdrucks- und Handlungsweisen, wie es sich in verschie-

denen sozialen Situationen realisiert.“ (Scheller 1987, S. 59)

Haltung meint hier sowohl einen äußeren körperbezogenen Ausdruck wie auch

einen nach außen getragenen inneren Ausdruck. Beide sind oftmals der bewussten

Kontrolle entzogen und können somit in der Selbst- und Fremdwahrnehmung ver-

schieden sein (vgl. Scheller 1987, S. 59). Eine Arbeit mit Haltungen ist also

gleichzeitig schon eine Reflexion äußerer und innerer Ausdrücke.

Im Methodenkatalog von Brinkmann, Kosuch und Stroh wird der Begriff der

Haltung von Scheller um Haltungen „die musikalisch vermittelt sind“

(Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 21) erweitert. Dazu gehören Hör-, Sing- und

(instrumental-musikalische) Spielhaltungen. So werden rein szenische Haltungen

mit musikalischen Tätigkeiten in Verbindung gebracht und die szenischen Vor-

gänge, aus denen die Haltungen resultieren, gleichzeitig durch sie interpretiert.

Dabei können Geh- und Körperhaltungen von Figuren zur Musik eingenommen

und bei Veränderung der Musik angepasst werden. Auch können individuelle, zu

Text und Charakter der Musik passende, Singhaltungen eingenommen werden.13

Während die Haltung etwas Dynamisches ist, handelt es sich bei Bildern um

Verfahren, in denen eine Handlung fixiert ist, also eine „fotografische Moment-

aufnahme“ (Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 29). Dazu werden Standbilder,

Soziogramme oder Denkmäler gebaut, modelliert und kommentiert. Die ersten

beiden stellen die Figuren in bestimmten Situationen mit ihren Beziehungen zu-

einander dar. So können Erwartungen, Empfindungen, Zuneigung, Abneigung etc.

öffentlich dargestellt werden. Denkmäler hingegen zeigen auf einer abstrakteren

Ebene Begriffe, welche zentral für das Geschehen sind.

Das szenische Spielen umfasst den Bereich des Spielens mit vorgegebenem Text

und die szenische Improvisation. Beim Spielen mit Text erfolgt ein beabsichtigter

Verfremdungseffekt, der dem Rollenschutz dient (vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh

2001, S. 37). Dieses szenische Spielen kann auch zur Musik erfolgen, etwa wenn

im Musiktheaterwerk ein Dialog von Musik untermalt wird. Bei der szenischen

13

Spezifisch musikalische Verfahren der Szenischen Interpretation von Musiktheater werden unter

Punkt 4.2.3., S. 26 f. ausführlicher aufgegriffen.

16

Improvisation werden keine festen Szenenabläufe dargestellt, sondern ein be-

stimmtes Problem, eine Situation oder eine Beziehungsstruktur mit ihren verschie-

denen Lösungsmöglichkeiten durchgespielt.

Zur Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen ist nach Scheller die

„Veröffentlichung“ nötig. Brinkmann, Kosuch und Stroh nennen diesen Vorgang

Präsentation. Damit ist jedoch keine Präsentation im Sinne einer Aufführung vor

Publikum gemeint. Vielmehr bezieht es sich auf die Veröffentlichung von Ergeb-

nissen aus der Einfühlungsphase und in der szenisch-musikalischen Arbeit ent-

standenen Haltungen und Bildern. So können Rollenbiografien vorgelesen sowie

Figuren mit ihren individuellen Haltungen präsentiert werden. Die beschriebene

szenisch-musikalische Arbeit weist eine Körperorientierung auf, die den Schüler-

Innen die ungewohnte musikalische Tätigkeit und ihre Veröffentlichung erleich-

tert.

„[Die] körperbezogenen Spielsituationen erleichtern es den SchülerInnen ganz erheblich

musikalische Gesten frei zu äußern, musikalische Haltungen einzunehmen, sich zu Musik

zu bewegen und auf Instrumenten zu spielen. Im szenischen Spiel ist die musikalische

Tätigkeit ja eine Inszenierung und keine Konzertvorführung!“ (Stroh 1994, S. 13)

Phase 4: Ausfühlung

Nach der szenisch-musikalischen Arbeit einer Szene erfolgt die Ausfühlung.

Diese „ist der zur Einfühlung komplementäre Prozeß [!]: die TeilnehmerInnen

werden aus ihrer Rolle entlassen. Die Ausfühlung findet noch in der Szene statt,

die TeilnehmerInnen befinden sich noch in ihrer Rolle“ (Brinkmann/ Kosuch/

Stroh 2001, S. 50). Die SpielerInnen bleiben auf der Spielfläche und der Spiellei-

ter führt mit ihnen ein Gespräch, bei welchem gefragt wird, was die Figur gerade

denkt, fühlt, erwartet und weiterhin vorhat. Diese Ausfühlung ist individuell auf

die jeweilige Figur ausgerichtet. Eine andere Möglichkeit der Ausfühlung ist die

Ausrichtung auf das Geschehene, indem die Figuren befragt werden, was gerade

Ebenen der Ausfühlung

Aus Rollen, Gruppen

oder soziale Milieus Aus einzelnen

Handlungen

Aus komplexen

Situationen, Konflikten

oder Szenen

17

vorgefallen ist. Diese Formen der Ausfühlung werden als Ausfühlung aus Hand-

lungen oder komplexen Situationen durchgeführt.

Bei der Ausfühlung als eigenständiger Phase verabschieden sich die SchülerInnen

gemeinsam von ihrer Rolle, etwa durch Abwerfen eines ihre Rolle symboli-

sierenden Kleidungsstücks in die Kreismitte (Vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh

2001, S. 51). Den SchülerInnen soll so bewusst werden, dass sie nun nicht mehr

aus ihrer Rolle heraus agieren, sondern wieder als sie selbst.

Phase 5: Reflexion

Durch Reflexion in der Rolle werden durch Deutung und Verfremdung des Wahr-

genommenen Voraussetzungen, Wirkungen und mögliche Alternativen zum

Handlungsgeschehen sichtbar gemacht. Dazu werden die SchülerInnen nach ein-

zelnen Szenen mit Perspektiven anderer SpielerInnen oder BeobachterInnen,

welche nicht selbst in der Szene agieren, konfrontiert. So werden äußere Verhal-

tensweisen, durch Nachahmen von Haltungen oder das Modellieren von Stand-

bildern zur Analyse von Beziehungskonstellationen, gedeutet. Die szenischen

Verfahren werden hier zu reflexiven Verfahren.

Die erfahrungs- und sachbezogene Reflexion außerhalb der Rolle stellt eine in

sich geschlossene Phase dar. Es handelt sich um ein Feedback, welches

Brinkmann, Kosuch und Stroh in ihrem Methodenkatalog als „Rückkopp-

lungsprozess“ (2001, S. 53) verstehen. Dabei werden zunächst erfahrungsbezogen

Gefühle, Beobachtungen etc. im Rahmen eines „Blitzlichts“ veröffentlicht.

Sachbezogen können Stellungnahmen zu konkreten Spielszenen gemacht werden.

„Bei der Spielerreflexion schließlich bringen die Schüler selbst zum Ausdruck, wie sie

sich selbst und andere im Spiel und in der Rolle wahrgenommen und erlebt haben, welche

Emotionen und Erinnerungen dabei wachgerufen wurden und wie sie die Rolle und das

Verhalten der Figur, die sie übernommen haben, einschätzen. Diese Form der Reflexion

ist für die Spielerinnen und Spieler auch deshalb wichtig, weil sie ihnen Gelegenheit gibt,

sich wieder von der Rolle zu lösen bzw. sich von ihr zu distanzieren und eigene Erleb-

nisse zu verarbeiten.“ (Scheller 2004, S. 57)

Die Reflexion ist die wichtigste Phase der Szenischen Interpretation, da in ihr die

Erlebnisse zu Erfahrungen verarbeitet werden.

Reflexion

In der Rolle

Außerhalb der Rolle

18

3.4. Schaffung eines Erfahrungsraumes

Die beschriebenen Phasen dienen, über ihr jeweiliges Anliegen hinaus, der Struk-

turierung eines Erfahrungsraumes zum „Verstehen von Musik“ durch Bedeu-

tungskonstruktion (vgl. Kosuch 2007, S. 11). Dieser Erfahrungsraum wird durch

Warm-Ups geöffnet und mit dem Einfühlen in die Rollenperspektive betreten. Bei

der szenisch-musikalischen Arbeit haben die SpielerInnen die Möglichkeit sich

„kreativ forschend und handelnd im Erfahrungsraum zu bewegen“ (Kosuch 2007,

S. 11; Hervorhebung im Original). In der Phase der Ausfühlung wird der

Erfahrungsraum wieder verlassen und in der Reflexionsphase noch einmal be-

trachtet und dem „eigenen Verstehen zugänglich“ (Kosuch 2007, S. 11) gemacht.

Am Ende der Szenischen Interpretation schließt sich dieser Erfahrungsraum

wieder. Der Raum wird während des Vorgangs durch die Methode der Szenischen

Interpretation, den Interpretierenden mit seinem sozialen und biografischen Hin-

tergrund sowie den äußeren Gegenstand, dem Musikwerk, begrenzt.

Der während der Szenischen Interpretation entstehende Erfahrungsraum wird

durch den Spielleiter zur Verfügung gestellt.

„Er moderiert und inszeniert den Interpretationsprozess, den Prozess der Begegnung mit

Musik, indem er Spielregeln definiert. Er ist nicht Musik-/ Kunstvermittler im Sinne des

Belehrenden oder des über Musik Informierenden. […] Er öffnet den Spiel-Raum, der in-

haltlich von den Beteiligten/ Spielern gefüllt wird und in dem diese ihre (gemeinsame)

Interpretation von Musik entwickeln, Bedeutung von Musik konstruieren.“ (Kosuch 2007,

S. 15)

Dafür plant der Spielleiter inhaltlich, ziel- und situationsorientiert den Einsatz

szenischer Verfahren und stellt Material für diese zur Verfügung. Zudem muss er

die Methoden anschaulich erklären und vorführen können, denn nur durch eine

korrekte Anwendung der Verfahren kann das Ziel des „Erfahrungen-Machens“ er-

reicht werden. Man könnte den Spielleiter deshalb auch als „Prozessorganisator“

(Kosuch 2007, S. 15) bezeichnen. Daneben ist er Impulsgeber und Beobachter. Er

greift inhaltliche Entscheidungen der SchülerInnen auf und kann diese vertiefen

lassen, außerdem ist er in Rollengesprächen Gesprächspartner und gibt Impulse

für die Reflexion. Als Beobachter achtet der Spielleiter auf die Einhaltung des

Rollenschutzes und gibt den SchülerInnen damit Sicherheit für das szenische

Spielen und die Reflexion (vgl. Scheller 2004, S. 59).

19

3.5. Zusammenfassung

Die Szenische Interpretation von Musiktheater wird strukturiert durch den Ablauf

in fünf Phasen, der die Schaffung eines Erfahrungsraumes zur Aneignung von

Wirklichkeit durch Bedeutungskonstruktion ermöglicht. Dazu bedarf es einer die-

sen Konstruktionsprozess unterstützenden Auswahl geeigneter Verfahren durch

den Spielleiter. Dieser begreift sich als Prozessorganisator und begleitet die Schü-

lerInnen auf dem Weg zu ihrer eigenen Interpretation des Musiktheaterwerks. Die

Szenische Interpretation knüpft dabei an Erfahrungen der SchülerInnen an und

ermöglicht ihnen neue Erfahrungen im Umgang mit dem Lerngegenstand.

4. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik

Die Szenische Interpretation von Musiktheaterwerken ist einleuchtend, schließlich

besitzen sie eine in Text festgeschriebene Handlung. Sie enthalten Arien oder Lie-

der, in denen Gefühlszustände besungen und Handlungen vorangetrieben werden.

In dieser Arbeit soll eine Anwendung der Szenischen Interpretation auf Instru-

mentalmusik erfolgen, eine Musikgattung, die weder einen zugrundeliegenden

veröffentlichten Text hat wie das Musiktheater, die Oper, das Ballett oder Lieder,

noch einen Titel wie die Programmmusik. So muss als Erstes gefragt werden, wie

ein Werk der Instrumentalmusik mit dem Begriff der „Szene“ in Zusammenhang

gebracht werden kann, um Gegenstand einer Szenischen Interpretation zu sein.

4.1. Instrumentalmusik als Szene

Für die Herstellung eines Zusammenhangs nützt die Bestimmung einer Szene als

„Schauplatz einer [Theater-] handlung“. So könnte man, wenn man

Instrumentalmusik als Szene begreift, das Werk selbst als Schauplatz von

Handlungen auffassen. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Handlungen dies

sein könnten, also welche Szenen in einem Instrumentalmusikwerk zu finden sind.

Um dies zu klären, soll der Begriff der Szene bei Ingo Scheller aufgegriffen

werden:

„Eine Szene nenne ich eine räumlich und zeitlich begrenzte soziale Situation, in der

Menschen mit bestimmten Intentionen und Erwartungen, Wahrnehmungen und Gefühlen

körperlich und sprachlich (inter-)agieren und sich wechselseitig zueinander in Beziehung

setzen. Was der Mensch wahrnimmt, gehört zur Szene: der Raum, die Gegenstände,

Menschen mit ihren Bewegungen und Handlungen, Geräusche und Gerüche, Geschmack,

Berührungen und die Temperatur, aber auch Vorstellungen und Emotionen, die mit diesen

Eindrücken verbunden werden.“ (Scheller 2004, S. 22; Hervorhebung im Original)

20

Ergänzt man diese Auffassung durch den tätigkeitspsychologischen Ansatz

Strohs, lassen sich neben Intentionen, Erwartungen und Gefühlen auch die Motive

des tätigen Menschen zur Szene zählen. Unter Szene kann demzufolge eine sozia-

le Situation verstanden werden, in welcher der Mensch aus Motiven heraus seine

Umgebung in bestimmter Weise wahrnimmt und in ihr handelt.

Mit dem Hintergrund der Szene als soziale Situation lässt sich ein Zusammenhang

zum Instrumentalmusikwerk herstellen. Ein Musikwerk entsteht nicht im leeren

Raum, sondern ist Ausdruck einer individuellen Persönlichkeit, des Komponisten,

mit seinen lebensgeschichtlichen wie musikalischen Erfahrungen sowie dem so-

zialen Kontext seiner Zeit. Darüber hinaus erfolgt die Rezeption des Werkes

individuell durch die Wahrnehmungen des Hörers, welche durch dessen sozialen

Kontext bestimmt sind.

Soll ein Instrumentalmusikwerk szenisch interpretiert werden, müssten die sozia-

len Situationen in konkrete Spielszenen übertragen werden, um sie für die

SchülerInnen erfahrbar zu machen. Im Folgenden sollen deshalb Überlegungen

angestellt werden, welche sozialen Situationen im Zusammenhang mit einem

Instrumentalmusikwerk stehen können, und wie diese in eine Spielszene zu über-

tragen sind. Zu diesem Zweck soll im Hinblick auf die Entwicklung eines Spiel-

konzepts zwischen der (akustisch hörbaren) Musik und ihrer Wahrnehmung durch

den Hörer und den geschichtlichen und sozialen Hintergründen des Werks sowie

individuellen Umgangsweisen mit der Musik durch Komponist oder Interpreten

unterschieden werden.

4.2. Soziale Situationen eines Instrumentalmusikwerkes und ihre Übertra-

gung in Spielszenen

4.2.1. Die Musik als Szene

Zunächst befindet sich der Hörer selbst in einer sozialen Situation, wenn er ein

Musikstück hört. Er nimmt das Musikstück vor dem Hintergrund seiner gegen-

wärtig erlebten sozialen Situation (Gegenwartsbezug) wahr. Diese ist wiederum

bestimmt durch seine in der Vergangenheit erfahrenen sozialen Situationen (bio-

grafischer Hintergrund/ Vergangenheitsbezug).

„Somit wird ein klangliches Geschehen vom hörenden Subjekt auf individuelle Weise

umgeformt, oder anders ausgedrückt: Das hörende Subjekt begegnet dem klanglichen Ge-

schehen, in dem es sich mit seinem Bezugssystem einbringt und dies verändert“ (Günther

1991, S. 108; Hervorhebung im Original)

21

Die beschriebenen sozialen Situationen können schwer direkt in Handlungen um-

gesetzt werden. Jedoch ist dies vor dem Hintergrund der durch Situationen ausge-

lösten Emotionen, Assoziationen und imaginierten Szenen möglich. Es handelt

sich um ein Sichtbar-Machen der durch die Musik ausgelösten Eindrücke (vgl.

Stroh 2007, S. 8). Dieses Sichtbar-Machen stellt im Rahmen der Szenischen Inter-

pretation gleichzeitig eine Reflexion der eigenen Wahrnehmungen dar und bietet

die Möglichkeit ihrer Überprüfung.

„Wahrnehmungen lassen sich nicht unmittelbar an der Realität (etwa eines Musikstückes)

überprüfen, sondern nur dadurch, daß [!] man sie mit Wahrnehmungen anderer bzw. mit

anderen Wahrnehmungen vergleicht.“ Günther (1991, S. 110)

Dies geschieht durch Konfrontation des eigenen Erlebens mit dem der Anderen

als wichtigen Schritt in der Verarbeitung von Erfahrungen.14

Wie könnte ein solches Sichtbar-Machen aussehen? Zur Beantwortung dieser

Frage möchte ich auf Überlegungen des Musikpsychologen Günter Kleinen zu-

rückgreifen. Für ihn ist die Wahrnehmung von Musik wesentlich durch eine Ein-

fühlung in diese bestimmt.

„Einfühlung ist der Schlüssel zum Eintritt in die musikalischen Innenwelten. Denn durch

sie werden in zweierlei Hinsicht psychische Distanzen überwunden: a) Distanzen

zwischen Individuum und Gruppe und b) Distanzen zwischen Individuum und der Musik

selbst. […] Wahrnehmung ist kein Mechanismus oder Automatismus, der irgendwie über

angeborene oder erlernte Schemata funktioniert, sondern sie setzt im Prozeß [!] der

Einfühlung die Hinwendung und eine aktive, subjektiv sinngebende psychische Leistung

voraus.“ (Kleinen 1994, S. 38)

Komponenten der Wahrnehmung von Musik sind der Grad der Annäherung an die

Musik und an die Gruppe durch Einfühlung sowie eine subjektive Sinngebung.

Um eine Wahrnehmung von Musik zu ermöglichen, müssten diese Komponenten

Bestandteil einer Unterrichtseinheit zur Musik als Szene sein.

An erster Stelle steht die Einfühlung in die Musik zur Vorbereitung der Wahrneh-

mung. Als einen Weg im pädagogischen Kontext beschreibt Kleinen die Möglich-

keit der Körperlichkeit, des Bewusstmachens unmittelbarer körperlicher Empfin-

dungen (vgl. Kleinen 1994, S. 197). Dazu wird die Aufmerksamkeit beim Hören

von Musik zunächst auf diese Körperempfindungen gelenkt. Dies kann durch Be-

wegung im Raum erfolgen, bei dem die SchülerInnen den eigenen Atem, das

spontan angeschlagene Tempo und die eigene Haltung beim Gehen bewusst wahr-

nehmen sollen. Darauf aufbauend sollen die SchülerInnen „Bilder zulassen, genie-

ßen [und] bewerten“ (Kleinen 1994, S. 197). Hier zeigt sich, im Finden eigener

14

Siehe Punkt 2.2., S. 7 f.

22

Bilder, wie in der anschließenden Reflexion dieser Bilder anhand eines verbalen

Austausches oder Finden von ähnlichen Haltungen bei anderen SchülerInnen, die

subjektive Sinngebung. Die Bilder werden in eine grafische Darstellung übertra-

gen, mit deren Hilfe die eigenen Erfahrungen verbal geäußert und mit den Erfah-

rungen anderer SchülerInnen verglichen werden können. Als Abschluss dient eine

Reflexion mit dem Ziel, dass die SchülerInnen „Wahrnehmungen als Prozeß [!]“

(Kleinen 1994, S. 197) begreifen und Veränderungen in den Erfahrungen bei-

spielsweise bei mehrfacher Wahrnehmung oder Wahrnehmen der Musik unter

neuen Aspekten erkennen können.15

Die Überlegungen Günter Kleinens zur Wahrnehmungsschulung lassen sich mit

zentralen Aspekten der Szenischen Interpretation zusammenführen. So wird die

Einfühlung, in die Musik im ersten Fall oder in Personen und soziale Situationen

im Zweiten, als wesentlich für die Möglichkeit angesehen Erfahrungen mit dem

Gegenstand zu machen. Erfahrungen werden nicht einfach „gemacht“, sondern die

SchülerInnen durch Einfühlung in die Lage versetzt diese zu machen. Darüber

hinaus enthalten beide Ansätze eine Körperorientierung, die das Bewusstmachen

körperlicher Empfindungen als Grundlage für musikalische Erfahrungen ansieht.

Auch die durch Einsatz reflexiver Verfahren erreichte subjektive Sinngebung

findet sich in der „subjektiven Bedeutungskonstruktion“ der Szenischen Interpre-

tation wieder.

Aufgrund der Übereinstimmung dieser zentralen Aspekte können die Überle-

gungen Günter Kleinens für die Erstellung eines Ablaufs zur Musik als Szene

nutzbar gemacht werden. Bei der Übertragung in die Szenische Interpretation von

Instrumentalmusik ist darauf zu achten, dass sich die eingesetzten Verfahren in

Struktur und Anliegen der Szenischen Interpretation integrieren. Neben der Beto-

nung des szenischen Spielens gehört dazu die Integration reflexiver Verfahren,

um die gemachten Erlebnisse bewusst zu machen und eine Verarbeitung zu

Erfahrungen zu ermöglichen.16

15

Als Konsequenz ergibt sich, dass das zu interpretierende Instrumentalstück mehrfach und in

voller Länge gehört wird, um diesen Prozess bewusst werden zu lassen. So könnte das Hören des

Musikstücks vor einer abschließenden Reflexion stehen, bei der nach Veränderungen in der Wahr-

nehmung gefragt wird. 16

Siehe Punkt 2.2., S. 7 f.

23

So schlage ich folgenden Ablauf für die Musik als Szene vor:

1. Hören der Musik als Ganzes oder in Teilen bei gleichzeitiger freier Bewe-

gung im Raum

Ziel: Bewusstwerden von Körper- und Bewegungsempfindungen

2. Lenken der Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung von Stimmungen und

Gefühlen

Ziel: Bewusstwerden von durch die Musik ausgelösten Emotionen

3. Spontane Bilder und Assoziationen zulassen und bewerten

Ziel: Bewusstwerden subjektiver Bedeutung durch Veröffentlichung erster

Ergebnisse des Arbeitsprozesses

4. Erneutes Hören nach von außen gesetzten Impulsen17

Ziel: Vorbereitung einer szenischen Darstellung

5. Sprachlicher Austausch über die imaginierten Szenen

Ziel: Überprüfung der Wahrnehmung durch Finden von Ähnlichkeiten und

Unterschieden

6. Szenisches Spiel und Reflexion

Ziel: Veröffentlichung und Verarbeitung von Erfahrungen

Die einzelnen Punkte lassen sich bei der Entwicklung eines Spielkonzepts zur

Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik durch verschiedene Verfahren

realisieren. Eine Möglichkeit findet sich in dem in dieser Arbeit beschriebenen

Spielkonzept.18

4.2.2. Der Kontext als Szene

Im Kontext als Szene kann das Werk auf Grundlage seiner Einbettung in eine so-

ziale Situation, also ausgehend von seinem Gebrauchszusammenhang gedeutet

werden. Dazu gehört zunächst der allgemeine kulturelle Hintergrund, also gesell-

schaftliche Strömungen in der Zeit der Entstehung oder deren politische

Umstände. Konkret auf das Werk bezogen kann auch die Entstehungssituation

dargestellt werden. So lässt sich durch musikwissenschaftliche Nachforschung

oftmals Material finden, das Aufschluss über Anlass und Motive des

Komponisten zur Komposition gibt. Aus diesem Material können Spielszenen,

etwa ein Gespräch zwischen Auftraggeber und Komponist, entwickelt werden.

17

Die Impulse ergeben sich aus musikalischem Hauptziel und Kernidee des Spielkonzepts. Siehe

Punkt 4.2.3., S. 26 18

Siehe Punkt 5.4.1., S. 41 ff.

24

Wolfgang Martin Stroh spricht darüber hinaus von der Möglichkeit der szenischen

Darstellung des „Verwendungszusammenhang[s]“ (Stroh 2007b, S. 7) eines

Werks. Mir scheint an dieser Stelle jedoch eine Differenzierung in Aufführungs-,

Interpretations- und Rezeptionssituation sinnvoll, um die Vielschichtigkeit der

möglichen Szenen deutlich zu machen. So könnte versucht werden historische

Aufführungspraxis darzustellen, dies bietet sich vor allem im Bereich der Kam-

mermusik mit ihrer kleinen Besetzung an. Darüber hinaus könnte „Hausmusik“

dargestellt werden, bei der eine Familie über eine bestimmte Interpretation strei-

tet. Diese Szene könnte sowohl im historischen Rahmen als auch in moderner

Umgebung angelegt werden. Auch der Vergleich älterer und neuerer Interpretati-

onen oder Neubearbeitungen könnte hier einen Gegenwartsbezug herstellen. Eine

weitere Möglichkeit ist die szenische Darstellung der Rezeptionssituation, etwa

wenn sich nach einem Konzert Freunde über die Aufführung unterhalten, oder ein

Musiker einen beim Konzert anwesenden Kritiker zu seiner Meinung befragt. Es

lassen sich im Bereich des sozialen Kontexts von Instrumentalmusik sicherlich

weitere Szenen für eine Szenische Interpretation finden.

Ausgehend von den Überlegungen zur Darstellung von Musik und Kontext als

Szene sollen nun Schlussfolgerungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts

Szenischer Interpretation von Instrumentalmusik gezogen werden. Dabei muss

gefragt werden, wie ein solches Spielkonzept aufgebaut sein könnte und welche

Verfahren der Szenischen Interpretation von Musiktheater dabei Verwendung

finden können. Anschließend sollen Überlegungen zur Stückauswahl angestellt

werden.

25

4.2.3. Schlussfolgerungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts

Vorschlag für den Aufbau

Wird mit der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik das Ziel verfolgt

den SchülerInnen Möglichkeit zur subjektiven Bedeutungskonstruktion zu geben,

sollte zuerst eine Unterrichtseinheit zur Musik als Szene durchgeführt werden.19

Dort können die SchülerInnen, zunächst unbeachtet des Kontexts und damit

verbundener Eindrücke des Werks, eine subjektive Deutung der Musik erarbeiten.

Dazu gehört, dass sich die SchülerInnen mit eigenen Ideen und Assoziationen zur

Musik beschäftigen. Diese können in der zweiten Unterrichtseinheit zur Differen-

zierung der im sozialen Kontext des Werkes gespielten Rolle beitragen. So kann

die eigene Persönlichkeit der SchülerInnen in ihre Rolle eingebracht werden. Die

im ersten Teil sichtbar gemachten Emotionen etc. können die Spielszenen des

Kontexts, in Hinblick auf das Darstellen einer Interpretationssituation, vorbe-

reiten, in dem bestimmte Momente im Musikwerk als besonders bedeutend

19

Das Ziel entspricht dem Anliegen der Szenischen Interpretation von Musiktheater (vgl Punkt

3.2., S. 11f.). Es ist denkbar, dass die Methode mit anderen Zielen im Unterricht eingesetzt wird,

etwa zur Vermittlung musikgeschichtlicher Hintergründe. Siehe dazu im Folgenden: Auswahl des

Instrumentalmusikstückes

Spielkonzept

Der Kontext

als Szene

Die Musik

als Szene

Szenische Darstellung von:

- Kultureller Hintergrund

- Entstehungssituation

- Aufführungssituation

- Interpretationssituation

- Rezeptionssituation

Ausgangspunkt:

musikwissenschaftlicher und

kulturhistorischer Hintergrund

Szenische Darstellung von:

- Emotionen

- Assoziationen

- Imaginierten Szenen

als sichtbare Handlung

Ausgangspunkt:

Wahrnehmungen

26

wahrgenommen, und später innerhalb einer szenischen Darstellung der Interpreta-

tionssituation herausgestellt werden können.

Auch für die Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen ist dieser Ablauf güns-

tig. So wird zuerst eine eigene Bedeutung der Musik gefunden und diese inner-

halb der Spielgruppe mit den Deutungen der anderen MitspielerInnen konfron-

tiert. In der zweiten Unterrichtseinheit folgt die Konfrontation mit der Perspektive

von Personen aus dem sozialen Kontext des Werkes. Der Kreis der Personen mit

anderen Perspektiven auf das Werk erweitert sich so über die Spielgruppe hinaus

und trägt zu einer vertieften Verarbeitung von Erfahrungen im Sinne Schellers

bei.

Der inhaltliche Rote Faden für ein Spielkonzept ergibt sich aus dem musika-

lischen Hauptziel in Verbindung mit einer Kernidee, die jedem Spielkonzept Sze-

nischer Interpretation von Musik zugrunde liegen (vgl. Stroh 2007b, S. 5). Darin

wird ein für die SchülerInnen relevantes Thema aufgegriffen, das in dem zu inter-

pretierenden Musikwerk deutlich wird. Dabei handelt es sich bei der Szenischen

Interpretation von Musiktheater zumeist um soziale Problematiken. Bei der Sze-

nischen Interpretation von Instrumentalmusik bietet sich die Chance, musikalische

Sachverhalte für SchülerInnen relevant werden zu lassen. So kann von einem

musikalischen Hauptziel aus eine Kernidee, die in der Erfahrungswelt der

SchülerInnen bedeutsam ist, für das Spielkonzept gesucht werden. Diesem Ziel

entsprechend werden die Verfahren innerhalb der Szenischen Interpretation durch

den Spielleiter ausgewählt und Impulse während des Spielprozesses gesetzt.

Anwendbarkeit der Verfahren Szenischer Interpretation von Musiktheater auf

Instrumentalmusik

Die Anwendbarkeit szenischer Verfahren ist bei der Auseinandersetzung mit dem

Kontext eines Werkes nachvollziehbar. Durch den Spielleiter werden Situationen

vorgegeben und diese von den SchülerInnen mithilfe einer Textvorlage gespielt

oder szenisch improvisiert. Dabei agieren, ähnlich wie beim Musiktheater,

konkrete, im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte eines Werks auch

historische Figuren miteinander.

Anders verhält es sich bei den spezifisch musikalischen Verfahren. Eine zentrale

Stellung innerhalb der Szenisch-musikalischen Arbeit der Szenischen Interpreta-

tion von Musiktheater nimmt die Arbeit an Singhaltungen ein. Aufgrund des

27

Fehlens von Vokalstimme in einem Instrumentalmusikwerk würde ich diese Art

der Haltung nicht einsetzen. Eine Möglichkeit im musikalischen Bereich trotzdem

mit Haltungen zu arbeiten, um innere Rollenvorstellungen nach außen sichtbar zu

machen, bietet die Musikalische Spielhaltung.

„Eine musikalische Spielhaltung ist die „professionellste“ und daher schwierigste Hal-

tungs-Art. Sie geht davon aus, daß [!] das Spielen von Musikinstrumenten in gleicher

Weise eine Haltung ist, wie es bei der Sprech- oder Singhaltung der Fall ist. Spielhal-

tungen sind aber sehr stark musikalisch vermittelt, da das Spielen eines Instruments nicht

in alltäglicher Weise mit Körperhaltungen verknüpft ist.“ (Brinkmann/ Kosuch/ Stroh

2001, S. 27)

Eine solche musikalische Spielhaltung scheint mir da schwierig, wo SchülerInnen

selbst keine Erfahrungen im Spielen von Instrumenten haben. Bei der Entwick-

lung eines Spielkonzepts müsste der Spielleiter daher entscheiden, ob diese

Schwierigkeit für die Lerngruppe zu bewältigen ist.

Ein Verfahren, das sich im Rahmen einer Szenischen Interpretation von Instru-

mentalmusik gut eignet, ist eine Einfühlung über Musik. Bei der Szenischen Inter-

pretation von Musiktheater, bei der oft eine bestimmte Musik einer Figur zugeord-

net ist, gibt der Charakter der Musik Hinweise auf den Charakter der Person (Vgl.

Kosuch 2004, S.21). Dies trifft auf Instrumentalmusik nicht zu. Das Verfahren

kann im Rahmen einer Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik trotzdem

genutzt werden, indem sie nicht in Personen einfühlt, sondern in eine Atmosphäre.

„Durch die Klanglichkeit, zum Beispiel in Form einer Melodie oder eines Sounds, erzeugt

Musik eine emotionale Atmosphäre, die beim Spielenden im Einfühlungsprozess

sinnliche Vorstellungen aktivieren[…]“ (Kosuch 2004, S. 21)

Eine weitere Möglichkeit wäre die Musikbegleitete Fantasiereise, die sowohl in

Atmosphäre als auch in die historische Zeit einfühlen könnte. Man müsste da

entscheiden, ob die Musik des Werkes für diese Fantasiereise genutzt wird, oder

ein anderes Werk. Dies ist auch davon abhängig, ob die Szenische Interpretation

als Baustein oder als gesamtes Spielkonzept durchgeführt wird und wie oft im

Verlauf der Erarbeitung das Instrumentalmusikwerk ansonsten schon gehört wird.

Es gilt, eine gewisse Müdigkeit der SchülerInnen in Bezug auf das Musikwerk zu

vermeiden.

Das Verfahren improvisierter Szenen zur Musik lässt sich besonders im Bereich

der Musik als Szene einsetzen. Stroh schlägt in seinem Baustein zur Konstruktion

von Bedeutung anhand von Assoziationen zum zweiten Satz des Beethoven-Kla-

vierkonzerts Nr. 4 vor, dass die SchülerInnen sich als Vorbereitung auf das

28

szenische Spiel während des Musikhörens zwei Personen oder Gegenstände vor-

stellen, die miteinander agieren (vgl. Stroh 2007a, S. 19). Anschließend werden

die imaginierten Szenen in Spielszenen umgesetzt und in Form einer szenischen

Improvisation bei gleichzeitigem Hören der Musik durchgeführt. Auch im

Kontext als Szene lässt sich dieses Verfahren, beispielsweise bei der szenischen

Darstellung einer Interpretationssituation einsetzen.20

Für die Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen ist die Reflexion unab-

dingbar, die auch musikalisch erfolgen kann. Diese Musikalische Reflexion be-

trachtet dabei zunächst das Hören, indem der Spielablauf mit der Musik verknüpft

wird. Es kann eine Diskussion darüber entstehen, welche Erlebnisse durch die

Musik ausgelöst wurden, wie die Musik das Spiel beeinflusst hat, unterstützend

oder kommentierend, und wo Widersprüche oder Übereinstimmungen zwischen

Musik und Spiel entstanden sind (vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 55).

Für die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik besonders geeignet ist die

musikalische Reflexion durch Betrachtung der Partitur. Gerade im Oberstufenbe-

reich, bei dem Erfahrungen mit Partituren vorliegen, können formale Aspekte in

die Diskussion eingebracht werden. Durch die Analyse der musikalischen Vorge-

hensweise des Komponisten kann eine bestimmte Emotion oder Assoziation, die

von mehreren Spielern geteilt wurde, durch den Notentext begründet werden. Die

Betrachter können erfahren, wie der Komponist diesen Effekt durch die musika-

lische Form (Melodieverlauf, Rhythmus etc.) erreicht hat.21

Im Rahmen einer Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik lassen sich

weitere musikalische Verfahrensweisen, wie Komposition oder instrumentale

Gruppenimprovisation, einsetzen. Diese sollten konkret auf Szene bezogen wer-

den oder im Anschluss an eine Szenische Interpretation durchgeführt werden, um

nicht zu stark vom eigentlich Szenischen wegzugehen. Die Szenische Interpreta-

tion könnte so eine Vorbereitung auf andere musikalische Umgangsformen mit

Musik darstellen.

20

Siehe Punkt 5.4.2. im Verfahren: Szenische Improvisation zur Musik im Stopp-Verfahren, S. 58 f. 21

Die Musikanalyse unterstützt so die Erarbeitung der Kernidee.

29

Auswahl des Instrumentalmusikstückes

Nach Ansicht Wolfgang Martin Strohs kann die Szenische Interpretation überall

dort eingesetzt werden, wo sie das Ziel verfolgt „ein „Verstehen“ von Musik und

Theater, und zwar ein konstruierendes, selbstbewusstes und körperlich-ganz-

heitliches Verstehen“ (Stroh 2006; Hervorhebung im Original) zu ermöglichen.

So müsste sich die Szenische Interpretation bei jeglicher Art von Instrumental-

musik einsetzen lassen.22

Für den Einsatz der Methode im Musikunterricht würde

ich allerdings ausgehend von den vorherigen Überlegungen Anforderungen an das

konkrete zu interpretierende Stück stellen.

Grundsätzlich gilt, dass ein Instrumentalstück die Möglichkeit der Erarbeitung

einer Kernidee und eines musikalischen Hauptziels bieten muss. Dabei kann sich

der Spielleiter entweder für ein Stück entscheiden und davon ausgehend eine

Kernidee und ein musikalisches Hauptziel entwickeln, oder er verfolgt eine be-

stimmte Kernidee (beispielsweise orientiert am Rahmenlehrplan) und wählt dazu

passend ein Werk aus.

Für den Teil der Musik als Szene scheint es mir wichtig, dass das Musikstück

nicht zu lang ist, sodass es im Rahmen des Spielprozesses komplett gehört werden

kann und genügend Zeit für die Arbeit damit bleibt. Die konkrete Dauer ist so-

wohl von äußeren Faktoren, wie die für die Szenische Interpretation zur Verfü-

gung stehende Zeit, wie von Bedingungen der Lerngruppe, wie Konzentrations-

fähigkeit, abhängig. Hinzu kommt die musikalische Struktur des Stücks, die An-

satzpunkte für eine Interpretation in Form von Szenen bieten muss, beispielsweise

durch kontrastierende Teile. Bei der Suche nach einem entsprechenden Musik-

stück sollte sich der Spielleiter über eigene Assoziationen und imaginierte Szenen

zur Musik klar werden, um zu erfahren, was darin an Ideen zur szenischen Dar-

stellung stecken könnte.

Im Bereich Kontext als Szene sollte über das ausgewählte Stück genügend

Quellenmaterial zu Verfügung stehen, damit die durch Szenische Interpretation

vermittelten musikgeschichtlichen Hintergründe wissenschaftlich fundiert sind.

Sollte sich ein Werk aufgrund seiner musikalischen Struktur nicht für eine

Szenische Interpretation im Bereich Musik eignen, aber aufgrund guter

22

Die Frage, ob dem tatsächlich so ist, kann in dieser Arbeit nicht beantwortet werden, könnte

aber Gegenstand weiterer Untersuchungen zur Thematik sein.

30

Quellenlage für eine im Bereich Kontext, so ist es möglich, diesen Teil für die

Vermittlung musikgeschichtlicher Hintergründe zu nutzen. Ebenso kann, wenn

nicht genügend Quellenmaterial vorhanden ist, aber die musikalische Struktur sich

gut für eine Szenische Interpretation eignet, die Musik als Szene unabhängig vom

Kontext des Werks durchgeführt werden, um die Wahrnehmung der SchülerInnen

zu schulen.

4.3. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik im

erfahrungserschließenden Musikunterricht

Da die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungsmethode

im erfahrungserschließenden Musikunterricht eingesetzt werden soll, ist zu

prüfen, ob Nykrins Kriterien für einen solchen Musikunterricht erfüllt werden und

welche Erfahrungen durch sie ermöglicht werden können.

Kriterien eines erfahrungserschließenden Musikunterrichts (vgl. Nykrin 1978, S.

130 ff):

A. Erschließung (Rekonstruktion und Deutung) von lebensgeschichtlich

„gemachter“ Erfahrung als Grundlage aktueller Erfahrung

B. Übung in Legitimations- und Verständigungsprozessen anlässlich des ge-

meinsamen musikalischen Lernens

C. Kompensation und Aufklärung von Erfahrungseinschränkungen in fach-

wissenschaftlicher und -technologischer Orientierung

D. Ermöglichung von Handlungsvollzügen; Lehren, Gelerntes zu gebrauchen.

Zu A. Die aktuellen Erfahrungen der SchülerInnen während des Gesamtpro-

zesses der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik greifen auf bereits

gemachte Erfahrungen zurück. Dies wird besonders deutlich bei dem Teil der

Szenischen Interpretation, der sich auf Emotionen und Bilder zur Musik

bezieht. Wie bereits ausgeführt, entstehen diese Erfahrungen aufgrund vor-

mals erlebter sozialer Situationen und den darin gemachten Erfahrungen.

Auch beim szenischen Spielen wird auf vergangene Erfahrungen zurückge-

griffen, etwa wenn die SchülerInnen sich überlegen, warum ihre Figur wie

handelt. Darin steckt auch immer das Wissen darum, aus welchen Motiven

man wie handeln kann, dies ist ein Wissen aus Erfahrung.

Zu B. Mit dem zweiten Kriterium fordert Nykrin eine Bewusstheit für das

unterrichtliche Handeln ein (vgl Nykrin 1978, S. 133), die sich durch

31

Reflexivität äußert. Auch hier erfüllt die Szenische Interpretation von Instru-

mentalmusik durch die im szenischen Spiel integrierten reflexiven Verfahren,

durch den Austausch subjektiver Bedeutsamkeiten und im musikalischen

Bereich durch musikalische Reflexion, das Kriterium.

Zu C. Erfahrungseinschränkungen bei SchülerInnen erstrecken sich nach

Nykrin zunächst auf „unzureichende sensorische Erfahrungen und symbo-

lische Deutung des Reizgeschehens“ (Nykrin 1978, S. 133). Hinzu kommen

Defizite in den Dimensionen Produktion und Interaktion und eine „Ausblen-

dung oder Verkürzung der Frage nach den Voraussetzungen, Zielen und Aus-

wirkungen musikalischer Tätigkeit“ (Nykrin 1978, S. 134). Diese Erfahrungs-

defizite können durch Szenische Interpretation von Instrumentalmusik

vermindert werden. So werden im Zuge des Hörens sensorische Erfahrungen

gemacht (Emotionen), diese symbolisch (Assoziationen, Bilder, imaginierte

Szenen) gedeutet und in Produktion (Veröffentlichung) und Interaktion (Re-

flexion) umgesetzt. Ausgehend vom tätigkeitspsychologischen Handlungs-

konzept Strohs erfüllt die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik

auch die Kompensation des dritten Punkts, in dem dort explizit nach Motiven

für musikalische Tätigkeit gefragt wird. Dabei werden im Rahmen der

szenisch-musikalischen Arbeit Voraussetzungen, Ziele und Motive der

handelnden Personen direkt im szenischen Spiel geäußert, oder durch refle-

xive Verfahren, wie Rollengespräche, zum Vorschein gebracht.

Zu D. Szenische Interpretation ist stetiges Handeln, ob als SpielerIn oder

BeobachterIn (etwa durch Modellieren von Standbildern) von Szenen. Sie

ermöglicht den SchülerInnen Handlungserfahrungen, die Grundlage für

zukünftige Erfahrungen sein können.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Szenische Interpretation von

Instrumentalmusik die vier Kriterien des erfahrungserschließenden Musikun-

terrichts nach Nykrin erfüllt und somit einen geeigneten Vermittlungsansatz

von Instrumentalmusik in einem solchen Unterricht darstellt. Da auch der

erfahrungserschließende Musikunterricht nicht ohne Ziele auskommt, muss

32

überlegt werden, welche musikalischen Erfahrungen konkret durch Szenische

Interpretation ermöglicht werden können.23

Zunächst ist zu klären, was unter „musikalischer Erfahrung“ verstanden

werden kann. Schaut man in die Literatur, findet sich eine Fülle an Konzepten.

Grundsätzlich lassen sich diese in musikalische Erfahrungen ausgehend vom

Werk (Objektorientierung, zum Beispiel Richter 1976) oder ausgehend vom

Individuum mit dem Werk (Subjektorientierung, zum Beispiel Nykrin 1978,

Kaiser 1991) unterscheiden. Die Uneinigkeit darüber, was eine musikalische

Erfahrung ist, resultiert schon aus der Uneinigkeit darüber, was „Erfahrung“

an sich ist. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen die Diskussion aus-

führlich darzustellen. So sollen beide Auffassungen in Abgrenzung vonein-

ander nur kurz dargestellt werden, um die Besonderheit der subjektorientierten

Herangehensweise, die grundlegend für die Szenische Interpretation von

Instrumentalmusik ist, zu verdeutlichen.

Nach Richter (1976) umfasst die musikalische Erfahrung drei Dimensionen.

Zunächst wäre da die musikalisch-materiale und musikalisch-technische

Erfahrung des Gegenstands (der Sachverhalt). Die zweite Dimension ist die

der allgemein-musikalischen Erfahrung (das Wesen von Musik) und schließ-

lich umfasst die musikalische Erfahrung auch allgemeine Erfahrungen, etwa

philosophischer oder privater Art (Erfahrung von der Welt, der Sache und der

eigenen Welt). All diese Dimensionen beziehen sich vom Ansatz her auf das

Werk und was es an Erfahrungen vermitteln kann (vgl Richter 1976, S. 39).

Für die Szenische Interpretation, bei der stets nach der subjektiven Bedeut-

samkeit der Musik für das Individuum gefragt wird, reicht diese objektorien-

tierte Auffassung nicht aus.

Hermann Kaiser geht in einer subjektorientierten Auffassung von der An-

nahme aus, dass es gar keine musikalische Erfahrung im reinen Sinne gibt. Er

bevorzugt stattdessen den Begriff der „musikbezogenen Erfahrung“24 (vgl.

Kaiser 1991, S. 38). Seiner Meinung nach gibt es nur Erfahrungen, in denen

Musik eine mehr oder weniger wichtige, aber nicht ausschließliche Rolle

23

Es steht außer Frage, dass auch Erfahrungen in anderen Bereichen, wie der Sozialkompetenz,

gemacht werden können, in dieser Arbeit soll aber explizit das Potential für das Machen musika-

lischer Erfahrungen betrachtet werden. 24

Kaiser präzisiert zwar den Begriff der „musikalischen Erfahrung“ als „musikbezogene Erfah-

rung“, benutzt jedoch in seinen Ausführungen beide Begriffe synonym.

33

spielt. Wesentliches Element der musikbezogenen Erfahrung ist dabei die Re-

flexivität, denn das Wissen der musikbezogenen Erfahrung (materiale Grund-

lage) ist „immer ein bewertetes, für die eigene Person bedeutsames und

wichtig eingeschätztes Wissen“ (Kaiser 1991, S. 38). Dabei grenzt sich die

musikbezogene Erfahrung gegenüber dem „Erlebnis“ in der Art und Weise ab,

dass sie reflektiert wird und eine Grundlage für zukünftige Erfahrungen ist.

Gegenüber der „Erkenntnis“ ist die musikbezogene Erfahrung wie folgt abge-

grenzt:

„Von Erkenntnis ist musikalische Erfahrung dadurch abgehoben, daß [!] letztere sich im-

mer auf konkrete Einzelfälle bezieht. Ferner ist in einer musikbezogenen Erfahrung das

Wissen darum, daß [!] etwas so und nicht anders ist, entscheidend. Eine Erkenntnis dage-

gen hebt auf die Gründe und Ursachen dafür ab, warum etwas so und nicht anders ist

[…]. Das Kriterium von Erkenntnis, ihre Wahrheit, ist in und für eine musikbezogene

Erfahrung unerheblich, an seine Stelle tritt das der subjektbezogenen Dienlichkeit.“

(Kaiser 1991, S. 38; Hervorhebungen im Original)

In diesem Sinne könnte man bei Richter eher von Erkenntnis als von Erfah-

rung sprechen, wenn für ihn das musikalisch-materiale Wissen von der Sache

selbst im Mittelpunkt musikalischer Erfahrung steht.25

Die Ausführungen Kaisers decken sich mit der Auffassung Strohs, der im Hin-

blick auf die Vermittlung musikalischer Erfahrungen im Rahmen einer Sze-

nischen Interpretation von Musiktheater ausführt: „Es gibt keine rein musika-

lischen Erfahrungen- weder im szenischen Spiel noch im wirklichen Leben“

(Stroh 1994, S. 12). Die musikalische Erfahrung wird hier als Erfahrung „im

Umgang mit Musik“ aufgefasst. Entscheidend ist damit die Bedeutsamkeit der

Musik für das Individuum, welches im handelnden Umgang mit ihr eine ei-

gene Bedeutung konstruiert.

Soll die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungsme-

thode im erfahrungserschließenden Musikunterricht eingesetzt werden, muss

sie musikalische Erfahrungen ermöglichen. So lässt sich als übergeordnetes

Ziel Szenischer Interpretation von Instrumentalmusik das Machen „ausdrück-

lich angestrebter“ (Kaiser 1991, S. 39) musikalischer Erfahrungen, als Erfah-

rungen im handelnden Umgang mit Musik, formulieren. Für die Zielstellung

des konkreten Unterrichts müssen die musikalischen Erfahrungen deshalb aus-

25

Dies zeigt sich in seinem Vorgehen zum zweiten Satz des Klarinettenquintetts op. 115 h- Moll

von Johannes Brahms, bei dem stets bezugnehmend auf die musikalische Analyse des Notentextes

Kompositionsprinzip, das Instrument und seine Spielweise, sowie das Spielen „zu fünft“ im Mit-

telpunkt der Betrachtung stehen (vgl. Richter 2007, S. 4 ff.).

34

formuliert werden. Dies bietet Vorteile für die Entwicklung von Spielkon-

zepten, da sie an den musikalischen Erfahrungen ausgerichtet und nach der

Durchführung mit deren Hilfe überprüft werden können.26

Darüber hinaus

bietet sie die Möglichkeit den Einsatz der Szenischen Interpretation von

Instrumentalmusik im schulischen Musikunterricht anhand konkreter Ziele zu

legitimieren.

Die im Folgenden aufgestellten musikalischen Erfahrungen integrieren die

Ansätze von Kaiser und Stroh. Ebenfalls aufgegriffen wird das Anliegen der

Szenischen Interpretation von Musiktheater dem Individuum eine subjektive

Bedeutungskonstruktion zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ergeben

sich meiner Meinung nach sechs konkret formulierbare musikalische Erfah-

rungen, die durch Szenische Interpretation von Instrumentalmusik bereitge-

stellt werden können.27

Musikalische Erfahrung…

A. der Wahrnehmung von Musik und ihrer Überprüfung

Die Überprüfung der Wahrnehmung erfolgt durch das Veröffentlichen der

durch die Musik ausgelösten Emotionen, Assoziationen, Bilder und imagi-

nierten Szenen. Dabei werden die gemachten Erlebnisse mit den Perspekti-

ven der anderen SchülerInnen konfrontiert, reflektiert und zu Erfahrungen

verarbeitet. Die SchülerInnen erfahren, dass die gleiche Musik aufgrund

individueller Hintergründe unterschiedlich wahrgenommen werden kann

und auch verschieden sichtbar gemacht wird. Es kann so ein Bewusstsein

für die subjektive Bedeutsamkeit von Musik vorbereitet werden.

B. der Verständigung über Musik und ihre Wirkung

Durch Integration reflexiver Verfahren erhalten die SchülerInnen die Mög-

lichkeit sich über ihre Wahrnehmung der Musik und deren Wirkung

sprachlich zu äußern. Impulse durch den Spielleiter oder andere Spielteil-

nehmerInnen können dabei zu einer Erweiterung des musikbezogenen

Vokabulars beitragen.

C. der durch Reflexion erlangten subjektiven Bedeutsamkeit von Musik

26

Siehe „Auswertung“ in Punkt 5., S. 49 ff. und 62 ff. 27

Die musikalische Erfahrung wird dabei im Sinne Strohs und Kaisers als musikbezogene Erfah-

rung aufgefasst.

35

Während sich B. auf eine soziale Erfahrung im Sinne eines Vergleichs des

individuellen Erlebens in Konfrontation mit dem Erleben der Gruppe

bezieht, handelt es sich bei dieser Erfahrung um einen Rückbezug auf sich

selbst, also eine Selbsterfahrung.

Durch Reflexion erfahren die SchülerInnen, was die Musik für sie selbst

bedeutet, was sie in dieser Musik wahrnehmen und für sie wichtig ist.

D. eigener musikalischer Tätigkeit

Dies ist vor allem eine Tätigkeit zur Musik, etwa durch Einnehmen von

Haltungen oder auch Bewegungsimprovisation zur Musik ausgehend von

der Wahrnehmung des Einzelnen.

E. des Kontexts von Musik

Die SchülerInnen können erfahren, dass ein Musikwerk mit seiner Entste-

hungs-, Aufführungs-, Interpretations- und Rezeptionsgeschichte Aus-

druck einer historischen und sozialen Situation ist. Das Werk wird so als

eine Form der Aneignung von Wirklichkeit erfahren.

F. des Findens einer differenzierten Einstellung zu Musik

Durch die Verfahren Szenischer Interpretation können die SchülerInnen

Instrumentalmusik auf eine, sich gegenüber der musikanalytischen Ver-

mittlung abgrenzende Art und Weise kennenlernen. Durch den handelnden

Umgang mit der Musik und dem „Bedeutsam-Werden“ derselben im

Spielprozess können Vorbehalte gegen diese Musik vermindert, eventuell

sogar aufgelöst werden und so eine eigene differenziertere Einstellung zur

Musik gefunden werden (vgl. Gaiser 2008, S. 47).

Die durch Szenische Interpretation gemachten Erfahrungen sind Selbsterfahrung,

wie auch soziale Erfahrungen. Selbsterfahrung in dem Sinne, dass individuell Be-

deutungen konstruiert werden und die eigene Persönlichkeit entwickelt wird,

soziale Erfahrung in dem Sinne, als dass musikalische Tätigkeit und szenisches

Spiel in einem sozialen Rahmen (Gruppe) und an dem sozialen Kontext eines

Werkes vonstatten gehen.

4.4. Zusammenfassung

Die Übertragung Szenischer Interpretation von Musiktheater auf Instrumental-

musik kann durch die Auffassung von Instrumentalmusik als Ausdruck sozialer

Situationen gelingen. Durch diese Auffassung lassen sich aus denen das Werk

36

umgebenden sozialen Situationen Spielszenen konstruieren, die den SchülerInnen

die Möglichkeit geben konkrete musikalische Erfahrungen mit Instrumentalmusik

zu machen.

Das geschieht einmal im Zusammenhang mit der individuellen Wahrnehmung

von Musik als auch durch das Erfahren des Kontexts des Instrumentalmusik-

werkes durch szenisches Spielen, in das spezifisch musikalische Verfahren inte-

griert werden.

Entlang der Kriterien Nykrins für einen erfahrungserschließenden Musikunterricht

konnte gezeigt werden, dass sich die Szenische Interpretation von Instrumental-

musik als Ansatz einer erfahrungserschließenden Musikvermittlung eignet, und

dass sich konkrete musikalische Erfahrungen als Ziele des Unterrichts formulieren

lassen. Durch den Einsatz verschiedenster Verfahren kann Musik darüber hinaus

ganzheitlich –als emotionale Erfahrung, Körpererfahrung etc.- erfahren werden.

Dabei bleibt zu bedenken, dass den SchülerInnen der Raum für das Machen dieser

Erfahrungen durch die Methode bereitgestellt wird, ob die SchülerInnen diese

aber tatsächlich machen, ist ungewiss.

5. Spielkonzept zum 3. Satz des Klarinettenquintetts op. 115 h-Moll von

Johannes Brahms

Das Spielkonzept beruht auf Ergebnissen musikanalytischer Betrachtung28

und

musikwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit den sozial-geschichtlichen

Hintergründen des Werks. Diese Ergebnisse können aufgrund des begrenzten Um-

fangs der Arbeit nicht vollständig dargestellt werden, sie werden aber an für das

Spielkonzept relevanter Stelle aufgegriffen.

5.1. Eignung für eine Szenische Interpretation

Johannes Brahms schrieb das Klarinettenquintett, zu dem er durch die Bekannt-

schaft mit dem Klarinettisten der Meininger Hofkapelle Richard Mühlfeld

angeregt wurde, im Sommer 1891 nieder. Es wurde gemeinsam mit dem Klari-

nettentrio op. 114 am 24. November 1891 in Meiningen privat aufgeführt und am

12. Dezember desselben Jahres im Saal der Berliner Singakademie durch

Mühlfeld und das Joachim-Quartett, unter Anwesenheit des Komponisten, zur

öffentlichen Uraufführung gebracht. In der Literatur lassen sich zahlreiche Infor-

28

Besonders hilfreich dafür war die ausführliche musikalische Analyse durch Roland Häfner 1978.

37

mationen zu Entstehung und Aufführung, sowie Rezeption des Werkes finden,

was eine Szenische Interpretation zum Kontext als Szene gut möglich macht.

Im Bereich der Musik als Szene eignet sich das Werk aufgrund seiner Entstehung

in der Romantik für eine Szenische Interpretation. In dieser Zeit wurde Musik,

und zwar nicht nur ihre Komposition, sondern auch ihre Aufführung als Mit-

teilung des Subjekts angesehen, „in welche dasselbe seine ganze Innerlichkeit

hineinlegt“ (Hegel o. J., zitiert nach: Scherliess 2009, S. 552).

„Diese Tendenz, die in der romantischen Ästhetik wurzelte, ging mitunter so weit, dass

Kompositionen mit außermusikalischen Vorstellungen in Verbindung gebracht wurden,

die gar nicht vom Komponisten intendiert waren, sondern mit völlig fremden. […] Musik

mit literarischen oder bildlichen Vorstellungen zu verbinden, war eine weit verbreitete

Haltung. Sie betraf auch Brahms‘ Werke.“ (Scherliess 2009, S. 552)

So greift die Szenische Interpretation des dritten Satzes des Klarinettenquintetts

eine durchaus gängige Praxis der Romantik auf, wenn dabei verbale und bildliche

„Verständnishilfen“ (Scherliess 2009, S. 552) genutzt werden und das Werk aus-

gehend von seiner Bedeutung für das Subjekt betrachtet wird.

Der dritte Satz des Klarinettenquintetts eignet sich auch aufgrund seiner über-

schaubaren Länge von ca. 4:30 Minuten, da der Satz im Ganzen gehört werden

kann, ohne dass die SchülerInnen in ihrer Konzentration überfordert werden.

Auch mehrmaliges Hören ist so möglich. Zudem bietet seine musikalische Struk-

tur durch Dreiteiligkeit und das Aufnehmen und Verarbeiten kontrastierender

Themen die Möglichkeit der Verknüpfung einer Kernidee mit einem musika-

lischen Hauptziel.

5.2. Schülerrelevante Kernidee und Musikalisches Hauptziel

Das Klarinettenquintett gehört zur Kammermusik und besteht aus einem Solisten

und einem Streichquartett, das aus zwei Violinen, Viola und Cello besteht. In der

Entwicklung der Gattung Streichquartett erhielten die Instrumente zunehmend

gleichberechtigte Stimmen. Christoph Richter spricht in diesem Zusammenhang

von einer „Demokratisierung in der Musik“ (Richter 2006, S. 15). Sie zeigt sich

beispielsweise im Wechsel der Bass-Stimme vom Spielen des Generalbasses zum

solistisch-virtuosen Spiel und dem stärkeren Einbezug der Mittelstimmen in das

musikalische Geschehen, was dem Streichquartett einen gewissen „Gesprächs-

charakter“ verleiht.

38

„Die Motivation [für eine Komposition für Streichquartett; Anm. der Verfasserin] scheint

nicht das Instrument zu sein, sondern die Schrift, die Sprache, demnach die Stimme und

noch präziser die Stimmen zu-, mit- und untereinander.“ (Simmenauer 2008, S. 45)

Dabei ist die „Essenz der subtile musikalische Dialog zwischen den Instrumenten“

(Simmenauer 2008, S. 46). Der Gedanke an ein Gespräch, eine demokratische

Unterhaltung im Sinne einer Kommunikation gleichwertiger Partner, ist die Kern-

idee des vorliegenden Spielkonzepts. Sie ist insofern schülerrelevant, als dass

Kommunikation im Allgemeinen ein grundlegendes Thema des Alltags ist und die

Anerkennung der Gleichwertigkeit von Gesprächspartnern eine Kompetenz im

alltäglichen Miteinander darstellt. Die Forderung nach einer entsprechenden Ge-

sprächskultur, auch im Unterricht selbst, ist davon Ausdruck.

Der Gesprächsgedanke wird im Spielprozess auf zwei Ebenen für die Schüler-

Innen erfahrbar. Zum Einen wäre da die sozial-geschichtliche Ebene. Betrachtet

man den Zusammenschluss von vier Musikern in einem ständigen Streichquartett,

zeigt sich die Besonderheit einer solchen musikalischen Zusammenarbeit: „kaum

ein anderes Team ist nach innen gleichwertig wie […] [ein] Streichquartett, so

autark- ein Streichquartett hat keinen Chef, der von außen hineinregiert“

(Simmenauer 2008, S. 75). So auch nicht das Joachim-Quartett:

„Nach dem Gesagten leuchtet es ohne weiteres ein, dafs [!] Joachim nicht etwa immer die

„erste Geige“ spielt und von seinen Partnern unterthänige [!] Dienstverrichtungen fordert.

Vielmehr gehen alle vier so in dem vorzutragenden Kunstwerk auf, dafs [!] stets gerade

das zur Geltung gelangt, worauf es ankommt.“ (Moser 1900, S. 231)

Zu der Gleichwertigkeit in der musikalischen Zusammenarbeit, der Stückauswahl

und Interpretationsarbeit, kommt die gegenseitige Anerkennung als Persönlich-

keit. Beides erfordert ein „im Gespräch bleiben“, um optimale künstlerische Er-

gebnisse zu erzielen.29

Der Gesprächsgedanke als Kernidee zeigt sich auch in der Musik selbst. Das

musikalische Hauptziel des Spielkonzepts besagt, dass der Gesprächsgedanke in

doppelter Hinsicht strukturell in der Musik verankert ist. Zum Einen zeigt sich in

der Kompositionstechnik ein Aufnehmen der Themen und Motive durch die ver-

schiedenen Stimmen sowie Variieren und Verarbeiten derselben. Die Klarinette

spielt als Solo-Instrument eine gleichwertige Rolle neben den anderen Instru-

menten, sie hat innerhalb des Satzes keine exponierte Stellung inne. Sie beginnt

zwar mit dem Hauptthema des Andantino, doch schon beim zweiten Erklingen

29

Dieser Zusammenhang wird von Sonia Simmenauer in ihrem Buch „Muss es sein? Leben im

Quartett“ (2008) anhand ihrer Erfahrungen als Kammermusik-Agentin eindrucksvoll beschrieben.

39

desselben in Takt 8 spielt sie gemeinsam mit der ersten Violine.30

Der zweite Teil

des Satzes wird von der ersten Violine begonnen, welche das Presto-Thema

vorstellt. Im weiteren Verlauf erscheint die Klarinette eher als fünfter Gesprächs-

partner, denn als Solist.

Der Satz kann noch in anderer Hinsicht als musikalisches Gespräch gedeutet

werden. So weist er eine Dreiteiligkeit auf, die an eine Diskussion erinnert. In ihr

werden Argumente ausgetauscht und am Ende des Gesprächs steht ein Kompro-

miss. So erinnert der erste Teil des Satzes (Takt 1-33) an ein „harmonisches Ge-

spräch“. Im mit „Andantino“ überschriebenen Teil stellt die Klarinette das Thema

vor, spielt es gemeinsam mit der ersten Violine, während das Cello das Thema

nahezu spiegelt. So entsteht eine klare Struktur, welche auch durch das Hinzutre-

ten der anderen Instrumente ab Takt 8 nicht durchbrochen wird. Lediglich am

Schluss des Teils ab Takt 23 wird es durch Sechzehntel-Bewegungen in der Klari-

nette unruhiger.

Anders der zweite Teil des Satzes (Takt 34-165). Tempo (Presto non assai, ma

con sentimento) und Metrum wechseln (vom 4/4- zum 2/4-Takt) und das von der

ersten Violine vorgestellte Presto-Thema besteht aus Sechszehnteln und

Synkopen. In diesem Satz zeigt sich die Gleichwertigkeit der Stimmen in einer

immer wieder auftretenden Gleichzeitigkeit verschiedener Themen und Motive,

wie in den Takten 43-49 mit Zweiundreißigstel-Figuren in der Klarinette, einem

Vierton-Motiv aus dem ersten Teil und dem Kopfmotiv des Presto. Dieser Teil

kann als „Streit“ oder „angeregte Diskussion“ gedeutet werden, bei dem die ein-

zelnen Stimmen sich gegenseitig zu überzeugen suchen.

Der dritte Teil (ab Takt 166) greift das Vierton-Motiv des Andantino auf, um nach

einem letzten „Aufbegehren“ der Instrumente zum Anfangsthema und der „Har-

monie“ zurückzukehren. Allerdings nicht im 4/4-, sondern verbleibend im 2/4-

Takt, was so gedeutet werden kann, dass ein Kompromiss gefunden wurde und

nicht einfach nur eine Meinung gesiegt hat.

Die ausgeführten Deutungsmöglichkeiten werden durch dahingehende Impulse in

das Spielkonzept aufgenommen, sie sind aber nicht als einzige Deutungsmöglich-

keit des musikalischen Geschehens anzusehen. Die SchülerInnen sollen das

Geschehen musikalisch selbst deuten und nicht einer durch den Spielleiter vorge-

30

Siehe Anhang: Partitur, S. 87

40

gebenen Deutung folgen. An dieser Stelle wird die Aufgabe des Spielleiters als

Prozessbegleiter besonders deutlich.

Die verwendete Audio-Aufnahme wurde hinsichtlich der Kernidee und des

musikalischen Hauptziels ausgewählt. Mir war dabei, im Sinne des demokra-

tischen Gesprächs, ein möglichst „harmonischer“ Zusammenklang der Instru-

mente wichtig, bei dem die Klarinette nicht heraussticht, die einzelnen Stimmen

aber trotzdem gut herauszuhören sind.

5.3. Voraussetzungen der Lerngruppe

Der Grundkurs Musik der 11. Klasse am „Gymnasium Finow“ in Eberswalde be-

steht aus acht Schülerinnen und vier Schülern. Alle haben Notenkenntnisse und

können einfache Melodien selbstständig auf Instrumenten erarbeiten. Einige von

ihnen haben darüber hinaus Instrumentalunterricht außerhalb der Schule, so spie-

len mehrere SchülerInnen Gitarre. Eine Schülerin nimmt Gesangsunterricht, eine

weitere singt in der Schulband.

Neben den musikalischen Vorerfahrungen kann im Rahmen des Unterrichtsver-

suchs auf Erfahrungen zum Szenischen Spiel zurückgegriffen werden. Es wurde

im Deutschunterricht der Sekundarstufe I eingeführt und nach Aussage der

Musik- und Deutschlehrerin von den SchülerInnen gut angenommen. Im Kurs

wird außerdem regelmäßig mit (musik-) wissenschaftlichen Quellen gearbeitet.

Eine Entwicklung von Spielszenen auf Grundlage von Quellenmaterial, so wie im

Spielkonzept vorgesehen, wird für die SchülerInnen neu sein. Aufgrund meiner

eigenen Unterrichtserfahrungen mit der Lerngruppe nehme ich an, dass diese Auf-

gabe jedoch gut bewältigt wird.

Die Romantik als Epoche ist den SchülerInnen durch den vorangegangenen

Musikunterricht bekannt. Unmittelbar vor dem Unterrichtsversuch wurde die Epo-

che eingeführt und ist anhand der Kunstlieder Franz Schuberts („Der Tod und das

Mädchen“; Liederzyklus „Winterreise“) charakterisiert worden. Neben musikana-

lytischer Betrachtung arbeiteten die SchülerInnen kreativ, in dem sie einen

musikalischen Gegenentwurf zur „Winterreise“ entwickelten.

Der Unterrichtsversuch wurde an zwei aufeinanderfolgenden Freitagen durchge-

führt, wobei jeweils 90 Minuten, unterbrochen von einer Pause, zur Verfügung

standen.

41

5.4. Verfahren

Bei der Vorstellung der beiden Unterrichtseinheiten werden die einzelnen

Verfahren beschrieben und in ihrer Auswahl begründet. Sind im Unterrichts-

versuch Schwierigkeiten bei der Durchführung aufgetreten, findet sich an ent-

sprechender Stelle eine Bemerkung.

Der überwiegende Teil der Verfahren wurde dem Methodenkatalog von

Brinkmann, Kosuch und Stroh (2001) entnommen. Diese werden durch Angabe

ihrer Systematisierung und Seitenzahl kenntlich gemacht.

5.4.1. Unterrichtseinheit: Die Musik als Szene31

Vorbereitung (Phase 1)

Herstellen einer Bewegungsfläche

Der Raum wird so eingerichtet, dass genügend Platz für eine Bewegungsfläche

entsteht. Diese wird durch Hinstellen von vier Stühlen in den Ecken begrenzt. Auf

jeden Stuhl wird ein Schlaginstrument gelegt.

Bemerkung: Ich entschied mich in der konkreten Unterrichtssituation dafür, diese

Vorbereitungen vor dem Eintreffen der SchülerInnen durchzuführen. Die Bewe-

gungsfläche wurde im Unterricht für die SchülerInnen durch Abschreiten sichtbar

gemacht.

Einfühlung (Phase 2)

Musikalisch inszenierte Bewegungsimprovisation

Schritt 1: Die SchülerInnen stehen auf der Bewegungsfläche und erspüren mit ge-

schlossenen Augen ihren Puls. Dieser soll durch eine ostinate Bewegung, einen

Armimpuls oder eine Gewichtsverlagerung, sichtbar gemacht werden. Die Augen

werden geöffnet und die Bewegungen der anderen SchülerInnen wahrgenommen.

Die SchülerInnen beginnen entsprechend ihres eigenen Pulses zu Gehen, mit der

Zeit soll die Gruppe ein einheitliches Tempo finden.32

31

Siehe Anhang: Begleit-Präsentation. Die Präsentation ist so aufgebaut, dass die Verfahren im

Unterrichtsversuch parallel verfolgt werden können. 32

Nach einer Grundidee von Barbara Haselbach: „Puls“- Zeiterfahrung in der Bewegung, vgl.

Haselbach 1987, 41 f.

42

Schritt 2: Vier SchülerInnen gehen zu den Stühlen und nehmen die Instrumente

auf, während sich die Anderen weiter auf der Fläche bewegen. Ein Schüler wird

aufgefordert, mit dem Instrument den Rhythmus der Gehenden aufzunehmen und

zu variieren. Die Spielleiterin sollte keine Vorgaben hinsichtlich der zu verändern-

den Parameter machen, um die Kreativität nicht einzuschränken. Die sich bewe-

genden SchülerInnen sollen den neuen Rhythmus oder die neue Dynamik in ihrer

Bewegung umsetzen. Der Spieler beobachtet die Gehenden, und wenn alle in der

neuen Bewegung sind, wird der Rhythmus noch einen Moment beibehalten. Der

Spieler nickt einem anderen Spieler zu, dieser nimmt den Rhythmus der Gruppe

auf und variiert dann seinerseits. Dies setzt sich fort, bis alle vier Spieler an der

Reihe waren.33

Schritt 3: Das Geschehen wird reflektiert. Dazu werden folgende Fragen gestellt:

- Wie erging es euch bei der Bewegungsimprovisation?

- SpielerInnnen: Wie hat die Gruppe auf euer Spiel reagiert?

- Bewegende: Fandet ihr das Bewegen zum Instrumentalspiel einfach oder

schwer? Welche Faktoren haben eure Bewegungen beeinflusst?

Begründung: Bei diesem Verfahren kommt es ausgehend von der Erfahrung von

körpereigener Zeit zur Erfahrung von Zeit und Dynamik in Musik. Neben einem

unterschiedlichen Tempo werden rhythmische Gestaltungsmöglichkeiten wahrge-

nommen und in Bewegung sichtbar gemacht. Zudem wird die Aufmerksamkeit

auf das Wahrnehmen äußerer Impulse gelegt. Dazu werden die SchülerInnen über

die innere Wahrnehmung (Puls) zur äußeren Wahrnehmung (Musikimpulse)

geführt und so auf die Wahrnehmung zunehmend komplexer Struktur von Musik

(Metrum-Dynamik-Harmonik/ Melodik) vorbereitet. Durch Versprachlichung und

Veröffentlichung der bei der Bewegungsimprovisation gemachten Erlebnisse im

Rahmen der Reflexion können diese bewusst gemacht und zu Erfahrungen verar-

beitet werden. Den SchülerInnen kann durch den Vergleich mit anderen Umset-

zungen die individuelle Wirkung von Musik bewusst werden.

33

Grundidee: „Instrumente im Raum“- Musik als Improvisationsanregung, vgl. Haselbach 1987,

S. 91 f.

43

Szenisch-musikalische Arbeit34

(Phase 3)

Assoziationen zu Musik35

Es werden so viele Stühle wie SchülerInnen anwesend sind am Rand der Bewe-

gungsfläche gegenübergestellt, sodass eine Gasse entsteht. Auf den Stühlen liegen

Zettel und Stifte.

Schritt 1: Die SchülerInnen stehen mit geschlossenen Augen im Raum und hören

den ersten Teil des dritten Satzes des Klarinettenquintetts.36

Dazu werden Fragen

gestellt:

- Welche Körperempfindungen oder Bewegungsimpulse löst die Musik aus?

- Welche Stimmungen und Gefühle nehmt ihr in der Musik wahr?

Bei erneutem Hören gehen die SchülerInnen von einer Seite der Fläche zur ande-

ren und zurück und schreiben jedes Mal eine Assoziation zur Musik auf.

Schritt 2: Jede/r SpielerIn nimmt einen Zettel. Die darauf stehende Liste wird

nacheinander vorgelesen. Anschließend gibt die Spielleiterin Themen (positiv be-

setzt, negativ besetzt, Gespräch/Szene) vor, zu denen passende Assoziationen aus-

gewählt und vorgelesen werden sollen.

Begründung: Das konkrete Musikstück wird als Auslöser von Körperempfin-

dungen, Emotionen sowie Assoziationen und Bildern erfahren. Ein Aufschreiben

der Assoziationen dient der Versprachlichung und bereitet die Veröffentlichung

eigener Ansichten in der Gruppe vor. Diese eigenen Ansichten zur Musik werden

bewertet, mit der Ansicht anderer konfrontiert und so in ihrer Subjektivität be-

wusst gemacht. Die Spielleiterin gibt durch die Themen Impulse zur Kernidee und

hebt erste Ideen von Szenen zur Musik hervor, die im weiteren Verlauf der Erar-

beitung genutzt werden können.

Offene Fantasiereise37

Die SchülerInnen bilden Kleingruppen zu vier Personen und sitzen beieinander.

Es wird zur Musik des ersten und zweiten Teils des Satzes38

eine Fantasiereise39

34

In diese Phase werden reflexive Verfahren integriert, um eine Verarbeitung der dort gemachten

Erlebnisse „an Ort und Stelle“ zu ermöglichen. 35

Verfahren aus: Skript „Methoden der Szenischen Interpretation von Musiktheater. Aufbaukurs

I“ des Instituts für szenische Interpretation von Musik und Theater, vgl. Brinkmann o.J., S. 10 36

Siehe Begleit-CD: Track 1 37

Grundidee: „Offene Fantasiereise“ von Wolfgang Martin Stroh, vgl. Stroh 2007a, S. 14 38

Siehe Begleit-CD: Track 2, Der zweite Teil ist gekürzt.

44

durchgeführt, deren Ziel es ist, bei den SchülerInnen Bilder und Szenen zur Musik

entstehen zu lassen. Nach der Fantasiereise sollen die Szenen in der Kleingruppe

besprochen und hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten verglichen werden.

Begründung: Die Fantasiereise vertieft die Kernidee eines Gesprächs von Instru-

menten durch die Übertragung auf ein Gespräch zwischen Personen. Sie legt

dabei Wert auf die Wahrnehmung von Veränderungen in der Musik. Das Ver-

fahren dient außerdem der Vorbereitung der szenischen Improvisation, für die sie

als „Ideenpool“ fungiert. Durch den Vergleich der eigenen imaginierten Szene mit

den Szenen der Gruppenmitglieder kann die individuelle Wahrnehmung der Mu-

sik überprüft werden.

Szenische Improvisation nach W-Fragen (angepasste MET 3.36, S. 40) mit

Kommentierung40

Die SchülerInnen erhalten den Arbeitsauftrag,41

aus den zu beiden Teilen

entstandenen Bildern und imaginierten Szenen eine Spielszene zu entwickeln. Die

Kleingruppe muss dafür zunächst eine gemeinsame Grundidee entwickeln. An-

schließend wird ein Szenenverlauf gestaltet, der an die gehörte Musik angepasst

werden soll, also in zwei Teilen abläuft. Dabei können die Gruppen entscheiden,

ob sie ihre Szene mit oder ohne Worte, zur Musik oder ohne Musik vorspielen

wollen.

Für die Umsetzung in eine Spielszene werden W-Fragen als Hilfe gegeben:

- WAS ist der Anlass der Szene?

- WO spielt die Szene?

- WER spielt in der Szene mit?

- WAS findet statt?

- WELCHE Absichten und Interessen haben die handelnden Personen?

- IN WELCHER ART UND WEISE sprechen die Personen miteinander?

In der Bearbeitungszeit wird der Raum durch die Spielleiterin in eine Spielfläche

und einen Zuschauerraum umgeräumt. Die SpielerInnen strukturieren sich zu

Beginn ihrer Szene die Spielfläche durch Verwendung von Requisiten wie

Stühlen und geben den Ort der Handlung an.

39

Siehe Anhang: Material 1, S. 72 40

Begleit-Präsentation: Szenen der Kleingruppen unter Punkt: „Szenisch-musikalische Arbeit“ 41

Siehe Anhang: Material 2, S. 73

45

Die ZuschauerInnen erhalten eine Beobachtungsaufgabe:

- Achtet auf Emotionen und Motive der Personen, die beim Spielen sichtbar

werden.

Kommentierung durch BeobachterInnen

Am Ende des ersten Teils der Spielszene bleiben die SpielerInnen wie erstarrt als

Bild stehen und fixieren so die Handlung. Die BeobachterInnen sprechen einen

Satz, der die Szene für sie charakterisiert.

Kommentierung durch Hilfs-Ich (MET 3.16.1., S. 31)

Am Ende der Szene verharren die SpielerInnen wieder im Bild. Die Beobachter-

Innen gehen zu einer Person, legen ihr die Hand auf die Schulter und sprechen

einen Satz in der Ich-Form, den die Figur gerade denken könnte. Diese Kommen-

tierung wird zuvor durch die Spielleiterin erklärt und gezeigt.

Begründung: Die W-Fragen zur szenischen Improvisation dienen der Umsetzung

der imaginierten Szenen zu Spielszenen und helfen der Gruppe bei der Entwick-

lung durch Fragen zur Situation. Im szenischen Spiel werden die entstandenen

Szenen, die zugleich eine Bedeutungskonstruktion der Gruppe darstellen, veröf-

fentlicht und durch die nachfolgende Kommentierung mit verschiedenen

Ansichten zur Szene konfrontiert. Die Kommentierung nach dem ersten Teil der

Szene bereitet die Reflexion des Spielprozesses vor, indem nach einer Art „Kurz-

charakteristik“ des Gehörten gefragt wird.42

Die Kommentierung durch Hilfs-Ich

dient der Reflexion der Emotionen und Motive der handelnden Personen aus

denen heraus sie tätig werden und unterstützt dadurch die subjektive Deutung der

Szene durch die SchülerInnen.

Ausfühlung (Phase 4)

In diesem Teil des Spielkonzepts erfolgt keine Ausfühlung als eigenständige

Phase, da die SchülerInnen nur in die Atmosphäre der Musik, aber nicht in kon-

krete Rollen eingefühlt wurden. Wie in Punkt 3.3. beschrieben ist diese Phase für

die Szenische Interpretation nicht konstitutiv.

42

Siehe Musikalische Reflexion: Hören, S. 46

46

Reflexion (Phase 5)

Musikalische Reflexion (MET 5.5., S. 55)

Szenen

SchülerInnen und Spielleiterin sitzen im Kreis. Die entstandenen Szenen werden

mithilfe folgender Fragen reflektiert:

- Welche Gemeinsamkeiten gab es in den Szenen?

- War eine Grundidee erkennbar?

- Wie hat die Musik diese Grundidee und damit das szenische Spiel

beeinflusst?

Hören

Gemeinsam wird der dritte Teil des Satzes43

gehört. Die SchülerInnen werden zu

ihrem Höreindruck befragt. Dazu wird die Kurzcharakteristik der ersten beiden

Teile hinsichtlich des Gesprächsgedankens aufgegriffen und gefragt, wie das Ge-

spräch enden könnte. Es wird angenommen, dass die SchülerInnen eine Rückfüh-

rung in die Charakteristik des ersten Teils (Harmonie) wahrnehmen.

Überprüfung des Höreindrucks mithilfe des Notentextes

Die SchülerInnen erhalten ein Arbeitsblatt44

mit den Themen des ersten und zwei-

ten Teils des Satzes sowie der Variante des Andantino-Themas im dritten Teil.45

Andatino- und Presto-Thema werden von der Spielleiterin vorgespielt,46

von den

SchülerInnen beschrieben und ausgehend von einer musikalischen Analyse in

ihrer beim Hören der Musik wahrgenommenen Wirkung erklärt. Für den dritten

Teil wird ebenfalls eine Kurzcharakteristik erfragt. Anschließend werden die

SchülerInnen aufgefordert den Schluss des Satzes anhand des Notenbildes zu be-

schreiben und zu charakterisieren. Ich nehme an, dass die Deutung des Endes als

„Harmonie“ zugunsten der Formulierung des „Kompromisses“ aufgegeben wird.

Die SchülerInnen werden aufgefordert, ausgehend von der Musik eine Idee zum

Ende ihrer eigenen Szene zu äußern.

43

Siehe Begleit-CD: Track 3 44

Siehe Anhang: Material 3, S. 74 45

Die Klarinette wurde klingend notiert, da angenommen wird, dass die SchülerInnen keine

Erfahrungen im Lesen von transponierenden Instrumenten haben. 46

Siehe Begleit-CD: Track 4

47

Deutung als Gespräch

Die Kernidee des Gesprächsgedankens wird durch ein Goethe-Zitat zum Streich-

quartett: „man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten“ (vgl.

Simmenauer 2008, S. 129) aufgegriffen. Die SchülerInnen sollen überlegen, ob

sich die Ansicht auf den gehörten Satz des Klarinettenquintetts übertragen lässt.

Begründung: An dieser Stelle wird das musikalische Hauptziel, die strukturelle

Verankerung des Gesprächsgedankens in der Musik, erfahrbar. Die subjektive

Bedeutungskonstruktion, die durch die Entwicklung von Spielszenen entstanden

ist, kann an der Wirklichkeit der Komposition nachvollzogen werden. Sie wird

dabei als nicht beliebig, sondern als im musikalischen Kontext des Werkes

stehend, erfahren. Ziel der musikalischen Reflexion ist es, durch die

Verschränkung der Lebenswirklichkeit der SchülerInnen (subjektive Deutung)

und der Wirklichkeit des Werkes (Notentext) ein „Verstehen“ von Musik im

Sinne Strohs zu ermöglichen.47

Bemerkung: Innerhalb der Reflexion wurde die Dreiteiligkeit des Stückes von den

SchülerInnen erkannt und entsprechenend charakterisiert. Der Gesprächsgedanke

tauchte bei den Deutungen der SchülerInnen jedoch nicht explizit auf. Um diesen

aufzugreifen, wurde von mir das Goethe-Zitat als Impuls zur Kernidee einge-

bracht. Mit der Frage auf die Übertragbarkeit des Zitats auf das Musikstück waren

die SchülerInnen jedoch überfordert. Ich hatte den Eindruck, dass das Zitat an der

Stelle für die SchülerInnen nicht passte, da zuvor die Deutung als Gespräch keine

Rolle spielte. Anhand der Unsicherheit, mit der versucht wurde meine Frage zu

beantworten, bemerkte ich, dass an dieser Stelle ein Bruch im Spielkonzept

vorliegt. Es wurde von der subjektiven Wahrnehmung der Musik weggegangen zu

einer analytischen Betrachtungsweise, die aber im Gegensatz zur Beschreibung

der Themen nicht in Bezug zur Wahrnehmung oder Wirkung der Musik stand.

Darüber hinaus wurde den SchülerInnen durch das Zitat eine Deutung quasi

„übergestülpt“, was der Szenischen Interpretation mit ihrer Betonung der subjek-

tiven Deutung entgegen läuft.

Bei einer erneuten Durchführung sollte der explizite Hinweis auf einen Ge-

sprächsgedanken in der Musik durch das Zitat weglassen werden, wenn er nicht

von den SchülerInnen selbst geäußert wird. Stattdessen würde ich fragen, aus

47

Siehe Punkt 2.3., S. 8

48

welchen Situationen die SchülerInnen einen solchen Ablauf Harmonie-Streit-

Kompromiss kennen. So könnten Alltagserfahrungen der SchülerInnen

aufgegriffen und das Musikstück als Abbild von Wirklichkeit erfahren werden.

Zusammenfassung des Spielverlaufs

Der dritte Satz des Klarinettenquintetts wird in voller Länge gespielt und die

SchülerInnen nehmen auf dem Arbeitsblatt Eintragungen vor, die den Spielverlauf

zusammenfassend nachvollziehbar machen. Es sollen die Assoziationen zum

ersten Teil, die imaginierte Szene des zweiten Teils und Stichpunkte zur

musikalischen Struktur der Themen aufgeschrieben werden (mittlere Spalte).

Anknüpfend an das Goethe-Zitat soll der Gesprächsverlauf in Schlagworten

festgehalten werden (rechte Spalte).

Begründung: Das Ausfüllen des Arbeitsblatts fasst den Spielverlauf zusammen

und macht die einzelnen Schritte hin zu einer Deutung des gesamten Satzes des

Klarinettenquintetts als Gespräch nachvollziehbar. Kernidee und musikalisches

Hauptziel werden ausgehend von den subjektiven Deutungen der Schüler-Innen

geäußert und verschriftlicht.

Bemerkung: In der Umsetzung war an dieser Stelle die Zeit knapp, es sollte aber

auf jeden Fall noch das Blitzlicht durchgeführt werden. Daher entschied ich mich

für eine mündliche Zusammenfassung des Spielverlaufs mit der Möglichkeit, dass

die SchülerInnen die Eintragungen selbstständig zu Hause vornehmen.

Blitzlicht als Reflexion des eigenen Erlebens und Erfahrens (MET 5.3.1, S.

54)

Die SchülerInnen sitzen im Kreis und geben der Reihe nach ein kurzes Statement

zu ihrer augenblicklichen Befindlichkeit nach der Szenischen Interpretation ab.

Die Aussagen dürfen weder kommentiert noch diskutiert werden, außerdem sollte

sich jede/r SchülerIn äußern, auch wenn Aspekte wiederholt werden.

Begründung: Das Blitzlicht hat sowohl für die Spielleiterin als auch für die

SpielerInnen selbst einen hohen Informationswert darüber, wie die Szenische

Interpretation von Instrumentalmusik empfunden wurde. Sie ist also gleicher-

maßen eine Reflexion des Gesamtgeschehens. Die SchülerInnen können eigene

Erlebnisse und Erfahrungen äußern und die der Anderen wahrnehmen. Durch eine

Wiederholung von Äußerungen wird deren Bedeutsamkeit hervorgehoben.

49

Auswertung

Durch die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungs-

methode sollen in erster Linie Erfahrungen auf musikalischer wie außermusika-

lischer Ebene ermöglicht werden. So stellt sich in der Auswertung die Frage,

welche Schüleraussagen und Beobachtungen sich hinsichtlich solcher Erfah-

rungen deuten lassen.48

Zur Überprüfung der Schüleraussagen und Beobach-

tungen hinsichtlich musikalischer Erfahrungen bietet es sich an diese dahingehend

zu betrachten, ob sich Hinweise auf die in Punkt 4.3. (S. 37 f.) formulierten kon-

kreten musikalischen Erfahrungen finden lassen.

Die Szenische Interpretation bietet meiner Meinung nach darüber hinaus die

Möglichkeit Instrumentalmusik so zu vermitteln, dass die SchülerInnen dabei

Spaß und Freude verspüren. So stellt sich in der Auswertung auch die Frage, ob

sich Schüleraussagen finden lassen, die diesen Aspekt aufgreifen. Für die Aus-

wertung werden Schüleraussagen, die im Rahmen der Reflexion einzelner

Verfahren sowie der abschließenden Reflexion des Erlebens und Erfahrens im

Blitzlicht gemacht wurden, verwendet. Ergänzend dazu werden Beobachtungen

der Spielleiterin einbezogen.

Auswertung…

1. einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen

2. der Schlussreflexion (Blitzlicht) hinsichtlich musikalischer Erfahrungen

3. der Schlussreflexion hinsichtlich ergänzender außermusikalischer

Erfahrungen49

4. der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei der Szenischen Interpretation

48

Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass es nicht sicher ist, ob diese Erfah-

rungen tatsächlich gemacht werden konnten, beziehungsweise dass alle SchülerInnen diese Erfah-

rungen gemacht haben. Dies ist jedoch kein Nachteil der Methode, sondern Ausdruck der Subjekti-

vität des Verarbeitungsvorgangs. 49

Der Schwerpunkt der Auswertung liegt auf musikalischen Erfahrungen, darum werden nur die

außermusikalischen Erfahrungen dargestellt, die aus den Schüleraussagen direkt geschlossen wer-

den können.

50

1. Auswertung einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen

Musikalisch inszenierte Bewegungsimprovisation

Schüleraussagen Deutung

- „interessant, was andere zum

Rhythmus machen, wie die

Gruppe reagiert“

- „man muss sich erst daran ge-

wöhnen, wenn eine Umstellung

im Rhythmus/ Takt kommt um

den aufnehmen zu können“

- „man muss sich darauf einstel-

len“

In den Schüleraussagen wird deutlich,

dass die SchülerInnen die Bewegungs-

impulse der Musik wahrgenommen

und in Bewegung umgesetzt haben.

Die erste Aussage zeigt, dass auch die

Reaktionen der Gruppe wahrgenom-

men wurden, also eine Überprüfung

der gezeigten Bewegungen stattfand.

Durch Einsatz des Verfahrens konnte

die musikalische Erfahrung der „Wahr-

nehmung von Musik und ihre Über-

prüfung“ sowie „eigener musikalischer

Tätigkeit“ in Form von Bewegungsim-

provisation ermöglicht werden.

Assoziationen zu Musik

Schüleraussagen Deutung

Assoziationen der SchülerInnen:

- locker, bestimmend, fröhlich/

Fröhlichkeit/ Heiterkeit, freudig,

traumhaft

- Freiheit/ frei

- Frühlingsgefühle/ Liebe/ Gefühle,

Passion/ Leidenschaft, Sinnlich-

keit,

- Fluss, Sonne, Wald, Schmetter-

linge, Natürlichkeit, Frühling,

Sommer

- Harmonie (Mehrfachnennung)/

harmonisch, Schönheit, Hoff-

nung, Stimmung

- Geigen, Glück, Takt, Ball, Ruhe,

- Märchen, Liebesfilm, Spazier-

gang

Die Vielzahl von Assoziationen zur

Musik lässt den Schluss zu, dass die

SchülerInnen ihre Wahrnehmung der

Musik sowie ausgelöster Stimmunen

und Gefühle sprachlich äußern

konnten also eine „Verständigung

über Musik und ihre Wirkung“

möglich wurde. Den Schüleraussagen

kann nicht entnommen werden, ob

diese musikalische Erfahrung den

SchülerInnen auch bewusst geworden

ist. Durch die nachfolgende Impuls-

setzung konnte auch die Erfahrung

„subjektiver Bedeutsamkeit von Mu-

sik“ bereitgestellt werden.

51

Assoziationen zum Impuls Szene/

Unterhaltung

- Schönheit

- Waldspaziergang

- traumhaft

- Leidenschaft

(siehe oben)

Offene Fantasiereise

Beobachtungen Deutung

- Intensiver Austausch der imagi-

nierten Szenen in den

Kleingruppen

- Jede/r der SchülerInnen kam zu

Wort und konnte seine Szene in

der Gruppe äußern

Die SchülerInnen konnten ihre

Wahrnehmung von der Musik sprach-

lich äußern. Darüber hinaus wurden die

individuell entstandenen Szenen durch

das Gespräch einer Überprüfung

hinsichtlich des Wahr-genommenen

unterzogen. Es ist anzunehmen, dass

die musikalischen Erfahrungen

„Wahrnehmung der Musik und ihre

Überprüfung“ sowie „Verständigung

über Musik und ihre Wirkung“

ermöglicht werden konnten. Da die

Szenen Ausdruck der subjektiven

Fantasie sind und das Gespräch in der

Kleingruppe durch Konfrontation mit

den Szenen der anderen SchülerInnen

eine Reflexion darstellt, könnte hier

auch die Erfahrung „subjektiver Be-

deutsamkeit von Musik“ gemacht wor-

den sein.

Szenische Improvisation

Beobachtungen Deutung

- Die Zweiteilung in der Musik

wurde in allen drei Spielgruppen

aufgegriffen

- Zwei Gruppen spielten ihre Sze-

ne zur Musik

Das Spielen der Szenen ausgehend von

der Musik und zur Musik kann als

Erfahrung „eigener musikalischer Tä-

tigkeit“ angesehen werden.

52

2. Auswertung der Schlussreflexion (Blitzlicht) hinsichtlich musikalischer

Erfahrungen

Schüleraussagen Deutung

- „schön zu sehen, was man

so für verschiedene Empfin-

dungen haben kann“

- „dass aus so einem kleinen

Stück so viele Ideen

kommen“

- „erstaunlich, wie man von

der Musik beeinflusst wer-

den kann“

Die Schüleraussagen greifen die musika-

lische Erfahrung der individuellen Wirkung

von Musik (ausgehend von der „Wahr-

nehmung von Musik“) auf. In den ersten

beiden Aussagen geschieht dies als soziale

Erfahrung (es wird wahrgenommen, dass

jede/r eine andere Empfindung/ Idee hatte),

in der dritten Aussage als Selbsterfahrung

(Wahrnehmung als individueller Prozess).

So konnte die Musik in ihrer „subjektiven

Bedeutsamkeit“ erfahren werden.

3. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich ergänzender außermusika-

lischer Erfahrungen

Schüleraussagen Deutung

- „ungewohnt, Augen zu

schließen und sich etwas

vorzustellen“

- „war eine ganz neue Erfah-

rung“

- „wie aus einem Stück so ein

Theaterstück werden kann“

- „nicht nur rumsitzen“

- „dass wir uns auch mal kör-

perlich bewegt haben“

Im Rahmen der Szenischen Interpretation

wurden mit den SchülerInnen unbekannte

Verfahren zur Erfassung eines Instrumen-

talstücks durchgeführt (Hören von Musik

mit geschlossenen Augen, Entwickeln einer

Szene zur Musik). Die SchülerInnen

konnten ihr Handlungsrepertoire erweitern

und mit diesen Verfahren Erfahrungen

machen. Hinzu kommt die durch das

Handeln gemachte Erfahrung eigener kör-

perlicher Aktivität.

4. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei Szenischer

Interpretation

Schüleraussagen Deutung

- „mal was anderes“

Die Vermittlung von Instrumentalmusik

durch Szenische Interpretation wurde als

positiv wahrgenommen.

53

Schüleraussagen Deutung

- „hat Spaß gemacht“

- „habe mich wohl gefühlt“

- „hat sich schlimmer ange-

hört, als es war“

Nach Aussage der SchülerInnen hat ihnen

die Erarbeitung Spaß gemacht und sie

fühlten sich sowohl bei der Durchführung

des Verfahrens als auch in den Gruppen

wohl.

Beobachtungen

- Aufmerksames und konzen-

triertes Arbeiten während

der Unterrichtseinheit

- Keine Nebentätigkeiten

- Engagiertes Spielen

Das engagierte und einfallsreiche Spielen

lässt sich ebenfalls als Freude am Spiel und

an der Vermittlung deuten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bereits in dieser ersten Unterrichts-

einheit eine Vielzahl von Erfahrungsmöglichkeiten für die SchülerInnen bereitge-

stellt werden konnte. Es ist aufgrund der Schüleraussagen und Beobachtungen an-

zunehmen, dass viele dieser Erfahrungen von den SchülerInnen auch gemacht

wurden. Die SchülerInnen äußerten zudem, dass ihnen die Szenische Interpretati-

on Spaß gemacht hat.

5.4.2. Unterrichtseinheit: Der Kontext als Szene

Szenenauswahl

Die Dreiteiligkeit des dritten Satzes des Klarinettenquintetts wird auch im Kontext

als Szene aufgegriffen. Die Auswahl der Szenen und der darin agierenden Per-

sonen gestaltete sich insofern schwierig, da sich in der musikwissenschaftlichen

Literatur widersprechende Angaben zu Zeiten, Orten und Besetzungen zur

Entstehung und Aufführung des Klarinettenquintetts finden. Um nur ein Beispiel

zu nennen: Im Werksverzeichnis von McCorkle (1984, S. 463) findet sich für die

private Erstaufführung des Klarinettenquintetts am 24. November 1891 in Schloss

Elisabethenburg in Meiningen folgende Besetzung für das Klarinettenquintett:

Mühlfeld, Joachim, Fleischhauer (Konzertmeister in Meiningen), Abbas und

Hausmann (Cellist des Joachim-Quartetts). Brahms ist bei dieser Aufführung an-

wesend. Nach Herta Müller (2002, S. 137) wurde zur Aufführung des Klarinetten-

quintetts das gesamte Joachim-Quartett geladen, welches in folgender Besetzung

spielte: Joachim, de Ahna, Wirth und Hausmann.

54

Sicher scheint, dass sich Brahms, Mühlfeld, Joachim und Hausmann in Meiningen

aufhielten.50

Ebenfalls anwesend war die Freifrau von Meiningen. Diese Personen

könnten daher als Figuren in einer Szene zur Entstehungssituation auf Schloss

Elisabethenburg auftreten.

Für eine Szene zur Interpretationssituation wird ein anderer Ort gewählt. Durch

die Quellen übereinstimmend angegeben, wurde das Werk am 12. Dezember 1891

im Saal der Singakademie in Berlin uraufgeführt. Dort spielte das Joachim-

Quartett in seiner damaligen Besetzung (Joachim, de Ahna, Wirth, Hausmann)

mit Richard Mühlfeld als Solisten (vgl. McCorkle 1984, S. 462). Diese Personen

stehen somit als Figuren für eine Probenszene im Vorfeld des Konzerts zur Verfü-

gung.

Die dritte Szene stützt sich auf Dokumente zur Rezeption. So finden sich bei

Roland Häfner (1987, S. 45 ff) zwei Kritiken zu Aufführungen des Klarinetten-

quintetts. Diese sind eine Kritik über die Uraufführung vom 12. Dezember 1891

in Berlin aus der AMZ [Allgemeine Musik-Zeitung] von Otto Lessmann und eine

Kritik von Eduard Hanslick zur Aufführung am 16. Dezember 1891 in Wien, er-

schienen in der Zeitschrift „Fünf Jahre Musik“.

Vorbereitung (Phase 1)

Herstellen einer Spielfläche

Der Raum wird umgeräumt, sodass eine Spielfläche entsteht. Verkleidungen und

Requisiten werden sichtbar ausgelegt.

Wiederholtes Hören

Um den SchülerInnen die vorangegangene Unterrichtseinheit ins Gedächtnis zu

rufen und an den dabei gemachten Erfahrungen anknüpfen zu können, wird der

erste Teil des dritten Satzes gehört.

Brainstorming (Met 5.4.3., S. 55)

Die SchülerInnen stehen mit der Spielleiterin im Kreis und erhalten Stichworte, zu

denen sie Assoziationen äußern sollen. Das Oberthema ist „Romantik“, die Stich-

worte dazu: „Komponisten und Werke“, „Musikalisches“ und „Lebensgefühl“.

50

In der aktuellen Literatur (Hofmann 2008, S. 55) findet sich der Hinweis, dass Brahms und

Hausmann am 21. November 1891 in Meiningen eintrafen um das Klarinetten- Trio zu proben,

am 24. November folgte Joachim für Proben und abendliche Aufführung des Klarinettenquintetts.

Die vollständige Besetzung des Streichquartetts wird nicht erwähnt.

55

Begründung: Da die SchülerInnen sich im Musikunterricht bereits ausführlich mit

dem Zeitalter der Romantik beschäftigt haben, soll in diesem Brainstorming ihr

Vorwissen aktiviert werden. Dafür wird die in der Szenischen Interpretation von

Musiktheater oft genutzte Musikbegleitete Fantasiereise zur Einfühlung in die

historische Zeit weggelassen. Sie benötigt zum Einen zu viel Zeit, die dann in der

Erarbeitung der Szenen fehlt und zum Anderen in diesem Spielkonzept keine

zusammenhängende Handlung dargestellt wird, die nur aus Zeit und Ort zu

verstehen wäre.51

Wo entsprechende Informationen notwendig sind, finden sich

diese später auf den Rollen- und Szenenkarten zum szenischen Spiel.

Warm-Up: Rhythmuskreis mit Figurennamen52

SchülerInnen und Spielleiterin stehen im Kreis. Die Spielleiterin gibt einen

Grundrhythmus vor, der durch Schrittbewegungen von den SchülerInnen

aufgenommen wird (rechts-ran-links-ran). Die Spielleiterin spricht die Figurenna-

men rhythmisch vor, die SchülerInnen sprechen mit. Zum Sprechen wird

geklatscht und zwar bei „Freifrau Helene von Meiningen“ und „Mühlfeld, der

Klarinettist“ jeweils auf Silben mit „e“, bei „Johannes Brahms der Komponist, ja“

auf Silben mit „a“. Die Gruppe wird geteilt und jede Gruppe spricht und klatscht

einen Namen. Nacheinander wird mit dem Sprechen aufgehört, sodass nur Schritt-

bewegung und Klatschen durchgeführt werden. Die SchülerInnen sollen den An-

deren bewusst zuhören.

Begründung: In diesem Warm-Up wird Bewegung und Rhythmusklatschen als

musikalische Tätigkeit durchgeführt. Es wird dabei an musikalische Erfahrungen

der SchülerInnen angeknüpft. Der Bezug zum Instrumentalwerk besteht zum

51

Zur Kritik an der Brauchbarkeit von Fantasiereisen zur Einfühlung in die historische Zeit vgl.

Stroh 2007a, S. 17 52

Verfahren aus: Skript „Faust. Charles Gounod. Szenische Interpretation von Musiktheater:

Materialien für eine Unterrichtseinheit“ des Instituts für Szenische Interpretation von Musik und

Theater, vgl. Brinkmann/Winkler/ Günther o.J., S. 6

56

Einen in der Aufnahme der Figurennamen aus der ersten Szene, zum Anderen in

der Aufnahme von Rhythmen aus den Themen des Satzes. Das Warm-Up bereitet

durch gemeinsame vorgegebene Bewegungen die später zu entwickelnde indivi-

duelle Bewegung der Gehhaltung der Rollen vor. Es stellt so einen Vorgriff auf

den Unterrichtsinhalt dar und sollte locker und lustvoll ablaufen, um die Schüler-

Innen für die kommende Arbeit zu aktivieren und motivieren.

Einfühlung (Phase 2)

Einfühlung über Rollenkarte (MET 2.3.1, S. 16)

Die SchülerInnen erhalten Rollenkarten53

mit Informationen über eine Figur, wie

deren Lebensgeschichte und Beziehungen zu anderen Figuren. Sie gehen mit der

Rollenkarte durch den Raum und lesen sie in der Ich-Form laut vor.

Entwickeln einer Gehhaltung (MET 3.2, S. 22) und Verkleiden

Während die SchülerInnen, jetzt ohne lautes Lesen, durch den Raum gehen, for-

dert die Spielleiterin die SchülerInnen auf sich zu überlegen, wie ihre Figur gehen

könnte und verschiedene Gehweisen auszuprobieren. Zur Fokussierung der

Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperteile werden Fragen gestellt:

- Wie setzt eure Figur die Füße? Sind sie eher nach außen gedreht oder nach

innen? Macht ihr große Schritte oder kleine? Tippelt ihr vielleicht?

- Wie bewegt ihr die Hüfte? Schwingt sie beim Gehen mit oder ist sie steif?

- Wie aufrecht ist euer Oberkörper? Streckt ihr die Brust raus oder geht ihr

zusammengesunken?

- Wie ist die Kopfhaltung? Aufrecht oder hängend?

Anschließend suchen sich die SchülerInnen eine Verkleidung oder ein Accessoire,

das zu ihrer Rolle passt.

Rollenpräsentation in Szenengruppe

Die SchülerInnen werden aufgefordert miteinander Kontakt aufzunehmen und

sich in den Szenengruppen zusammenzufinden. Dort sollen sie ihre Rolle präsen-

tieren und Beziehungen zwischen den Personen herstellen.

Begründung: Durch die Rollenkarte, welche „Ergebnisse wissenschaftlicher

(Nach-) Forschung, gepaart mit Fantasie“ (Stroh 2007a, S. 28) enthält, können die

53

Siehe Anhang: Material 4, S. 75; Material 5, S. 76; Material 6, S. 78

57

SchülerInnen Einblick in Lebenssituation und Sozialisation einer historischen Fi-

gur gewinnen. Die Informationen helfen durch Vorgabe einer bestimmten Grund-

haltung der Figur, die stattfindenden Handlungen im szenischen Spiel zu

gestalten. Aus diesen Informationen können außerdem Motive für das Handeln

der Figur geschlossen und in der Reflexion geäußert werden. Das Vorlesen der

Rollenkarte in der Ich-Form, das Entwickeln einer Gehhaltung und Verkleiden

dienen der Rollenübernahme und dem Rollenschutz. Die Gehhaltung ist dabei

körperlicher Ausdruck einer inneren Rollenvorstellung und macht den Schüler-

Innen ihre eigene Körpersprache bewusst. Durch die Begegnung der Rollen mit

gegenseitiger Vorstellung in der Szenengruppe wird das szenische Spiel

vorbereitet, in dem Beziehungen zueinander hergestellt werden können. Die

SchülerInnen präsentieren ihre Rolle und veröffentlichen somit das Ergebnis

dieses ersten Arbeitsprozesses.

Szenisch- musikalische Arbeit54

(Phase 3)

Die Szenengruppen richten sich vor dem Spiel die Spielfläche mit Requisiten ein

und stellen ihre Figuren und den Ort der Handlung vor.

Szene 1

Szenisches Spiel mit selbst erstellter Textvorlage (erweiterte MET 3.32, S. 39)

Die SchülerInnen erhalten Materialien zur Entstehungsgeschichte des Klarinet-

tenquintetts. Aus diesen soll selbstständig eine Textvorlage für eine Szene ent-

stehen, in der die Motive der einzelnen Personen zum Komponieren und Musi-

zieren des Musikstücks deutlich werden.55

Szenische Reflexion- Standbild modellieren (MET 3.15.2, S. 31)

Ein freiwilliger Schüler wird zur Erklärung des Verfahrens zu einem Standbild

modelliert. Der Schüler ist dabei passiv, „wie eine Drahtpuppe“ (vgl. Brinkmann/

Kosuch/ Stroh 2001, S. 31) und kann nach den Vorstellungen der Spielleiterin

„geformt“ werden. Die SchülerInnen sollen dann die agierenden Personen der

Szene, Freifrau von Heldburg, Richard Mühlfeld und Johannes Brahms, zu einem

solchen Standbild modellieren.

54

In diese Phase werden reflexive Verfahren integriert, um eine Verarbeitung der dort gemachten

Erlebnisse „an Ort und Stelle“ zu ermöglichen. 55

Siehe Anhang: Material 7, S. 79

58

Anschließend werden Fragen zur Reflexion gestellt:

- Frage ErbauerIn: Warum hast du die Person so hingestellt?

- Frage SpielerIn: Bist du mit dieser Positionierung einverstanden?

Begründung: Die SchülerInnen sollen an dieser Stelle selbstständig mit

wissenschaftlichem Quellenmaterial umgehen und aus diesem die wesentlichen

Informationen für ihre Szene ziehen. In dem Material werden Motive der Figuren

für ihr Handeln, insbesondere Motive für das Komponieren des Klarinetten-

quintetts genannt und können für die Gestaltung der Szene verwendet werden. Da

für die Entstehungsgeschichte des Klarinettenquintetts die Beziehungen zwischen

den in der Szene agierenden Personen von besonderer Bedeutung sind, wird ein

Mehr-Personen-Standbild entworfen. Darin können diese Beziehungen durch die

Ausrichtung der Personen zueinander sichtbar werden. Die Befragung der Betei-

ligten dient der Versprachlichung der Ideen zur Darstellung der Beziehungen.

Bemerkung: In der Durchführung wurde die Szene durch die SchülerInnen

improvisiert. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wurde das Modellieren des

Standbilds, das erfahrungsgemäß viel Zeit braucht, durch ein Gruppensoziogramm

ersetzt. Dabei positionieren sich die SpielerInnen selbst je nach ihrer Beziehung

zu den anderen Figuren der Szene zueinander. Das Verfahren hätte im Spielpro-

zess besser erklärt werden müssen. Die SchülerInnen bezogen sich zwar

aufeinander, taten dies aber nur durch den Parameter Abstand. Es sollten hier

zunächst die verschiedenen Möglichkeiten der Positionierung zusammengetragen

werden (Blickrichtung, Ausrichtung des Körpers, Haltung der Arme etc.) und die

Figuren nacheinander hingestellt werden, sodass jeder seine Figur aus eigenen

Ideen heraus positioniert und begründet.

Szene 2

Szenische Improvisation zur Musik im Stopp-Verfahren (erweiterte MET

3.39, S. 42)

Diese Szenengruppe erhält einen Arbeitsauftrag,56

Ausschnitte aus dem zweiten

Teil des Klarinettenquintetts (Takt 35-165)57

und die dazu gehörigen Partitur-

ausschnitte58

. Ausgehend von Musik und Partitur soll eine Szenenimprovisation

56

Siehe Anhang: Material 8, S. 80 57

Siehe Begleit-CD: Track 5 58

Siehe Anhang: Material 9, S. 81

59

zur Erarbeitung einer gemeinsamen Interpretation des Stücks erfolgen. Die

Sprechanteile der Musiker, sowie die Art und Weise ihrer Kommunikation soll

dem Auftreten des jeweiligen Instruments in der Musik (Beispiel: Klarinette

entspricht Mühlfeld) angepasst werden. Die SchülerInnen erhalten als Hilfe fol-

gende Fragen:

- Welches Instrument/ Motiv dominiert den jeweiligen Ausschnitt? Wer hat

demzufolge das „Sagen“?

- Wie reagieren die Instrumente aufeinander? Wer diskutiert miteinander?

- Wann erklingen die Instrumente gleichzeitig oder mit gleichen Motiven?

Wer könnte einer Meinung sein?

- Wie klingen die Instrumentenstimmen des Abschnitts insgesamt, z.B.

ruhig/ aufgeregt? Wie ist also die Stimmung zwischen den Redenden?

Bei der Vorstellung der Szene wird die Musik bis zum ersten Stopp gespielt, es

folgt die dazugehörige Szenenimprovisation. Ist diese zu Ende, nehmen die

SchülerInnen die Spielhaltung ihres Instruments ein und erstarren. Der nächste

Abschnitt der Musik wird gespielt.

Kommentierung durch Rollenbefragung

Die SpielerInnen werden durch die BeobachterInnen zu der Szene befragt. Die

Spielleiterin gibt dazu ein Beispiel:

- Herr de Ahna, wie ist das für Sie immer nur die zweite Geige zu spielen?

- Sonst geben immer Sie den Ton an, Herr Joachim, diesmal mussten Sie

das Kommando an die Klarinette abgeben, wie war das für Sie?

Szene und Musik in Beziehung setzen (als musikalische Reflexion MET 5.5, S.

55)

Zur Reflexion werden Fragen an SpielerInnen und BeobachterInnen gestellt:

- Fragen BeobachterInnen: Wer hat sich im Interpretationsstreit durch-

gesetzt? Wie wurde die Szene von der Musik beeinflusst? Welcher Zusam-

menhang besteht zwischen Szene und Musik?

- Fragen SpielerInnen: Wie hat die Musik die Improvisation beeinflusst?

Inwieweit habt ihr euch an der Musik, inwieweit an der Partitur orientiert?

- Fragen an alle: Wo liegen bei einem solchen Instrumentalstück die

Schwierigkeiten in der Interpretation?

60

Begründung: Grundlage für die Szene ist die Konstellation eines Quartetts, in dem

sich stets vier Meinungen, und im Fall des Klarinettenquintetts sogar fünf, auf

eine Interpretation des Stücks einigen müssen. Die Musiker müssen ihre Vorliebe,

ein bestimmtes Tempo oder eine bestimmte Stelle genau so und nicht anders

spielen zu wollen, begründen. Dabei kann es zu Konflikten kommen, die sich im

zweiten Teil des Satzes musikalisch wiederfinden lassen. An dieser Stelle wird die

Kernidee des Spielkonzepts, der Gesprächsgedanke, strukturell in der Musik er-

fahrbar. Durch Rollenbefragung werden Motive für das Verhalten der Musiker

während der Auseinandersetzung um die Improvisation deutlich. In der abschlie-

ßenden Reflexion stellen die SchülerInnen den Zusammenhang zwischen den

miteinander spielenden Instrumenten und miteinander redenden Musikern her.

Szene 3

Szenisches Spiel mit selbst erstellter Textvorlage oder improvisiert (erweiterte

MET 3.32, S. 39; MET 3.35, S. 40)

Auf Grundlage zweier Kritiken59

zur Aufführung des Klarinettenquintetts erarbei-

ten die SchülerInnen eine Spielszene, bei der sich zwei Ehepaare über die erlebte

Uraufführung unterhalten. Es ist den SchülerInnen freigestellt, ob sie eine Text-

vorlage erstellen oder die Szene improvisieren.

Kommentierung durch Hilfs-Ich (MET 3.16.1, S. 31)

Am Ende der Szene erstarren die SpielerInnen in einem Bild. Die Beobachter-

Innen treten hinter eine Figur und sprechen einen Satz in der Ich-Form, den diese

Figur ihrer Meinung nach gerade denken könnte.

Zusammenfassung der Szene

Ausgehend von der Spielszene werden die BeobachterInnen durch die

Spielleiterin befragt, wie die Konzertbesucher das Klarinettenquintett aufgenom-

men haben.

Begründung: In dieser Szene können die SchülerInnen erfahren, wie das Klari-

nettenquintett bei seiner Uraufführung, sowie der Aufführung in Wien vom

Publikum aufgenommen wurde. Die Personen der Rollenkarten sind frei erfunden,

fügen sich aber in den Kontext des bürgerlichen Konzertgängers jener Zeit ein.

Durch die Kommentierung soll die innere Bewegtheit und Begeisterung der Hörer

59

Siehe Anhang: Material 10, S. 83

61

deutlich werden, die Reflexion ist gleichzeitig eine Zusammenfassung der

Informationen aus der Spielszene.

Ausfühlung (Phase 4)

Verabschiedung

Die SchülerInnen gehen in ihrer Szenengruppe auf die Spielfläche. Sie reichen

einander die Hand und sprechen folgenden Satz:

Kleingruppe Szene 1: „Ich habe mich gefreut, unsere Bekanntschaft zu vertiefen!“

Kleingruppe Szene 2: „Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu musizieren!“

Kleingruppe Szene 3: „Was für ein Konzert!“

Anschließend wird die Verkleidung ausgezogen.

Begründung: Durch das Sprechen eines Satzes zur Verabschiedung wird die Figur

wieder abgelegt. Auch das Ablegen der Verkleidung symbolisiert das Zurück-

geben der Figur. Die SchülerInnen können so die Reflexion außerhalb der Rolle

durchführen.

Bemerkung: Bei der Durchführung erfanden die SchülerInnen, vertieft in ihre

Rollen, eigene Worte zur Verabschiedung. Das könnte bei einer erneuten Durch-

führung gleich in die Verantwortung der SchülerInnen gelegt werden.

Phase 5: Reflexion

… des gesamten Spielprozesses

SchülerInnen und Spielleiterin sitzen im Kreis. Die SchülerInnen sollen Über-

schriften für die einzelnen Szenen äußern.

Begründung: Durch die Überschriften soll der Zusammenhang zwischen den

Szenen in ihrem Verlauf deutlich werden. So kann den SchülerInnen bewusst wer-

den, welche verschiedenen Bereiche zum Kontext eines Werkes gehören können.

Bemerkung: Es wäre an dieser Stelle auch möglich gewesen, die Überschriften der

Szenen mit wesentlichen Informationen auf dem zuvor schon genutzten Arbeits-

blatt aus der ersten Unterrichtseinheit schriftlich festzuhalten.

… Blitzlicht als Reflexion des eigenen Erleben und Erfahrens60

60

Siehe: Blitzlicht, S. 48

62

Abschluss

Der dritte Satz des Klarinettenquintetts61

von Johannes Brahms wird im Ganzen

vorgespielt. Die SchülerInnen sollen entspannt zuhören und können den Spielver-

lauf Revue passieren lassen.

Begründung: Die SchülerInnen hören das Instrumentalstück einmal vollständig

und nehmen es bewusst wahr.

Bemerkung: In der Auswertungsphase zur Unterrichtseinheit fiel mir auf, dass es

interessant gewesen wäre zu erfahren, ob sich die Wahrnehmung des Musikstücks

bei den SchülerInnen verändert hat. Bei einer erneuten Durchführung würde ich

das Vorspielen des ganzen Satzes deshalb vor dem Blitzlicht durchführen und die

entsprechenden Frage zur Reflexion formulieren.62

Auswertung

1. einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen63

2. der Schlussreflexion (Blitzlicht) hinsichtlich musikalischer Erfahrungen

3. der Schlussreflexion hinsichtlich außermusikalischer Erfahrungen64

4. der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei der Szenischen Improvisation

1. Auswertung einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen

Rhythmuskreis mit Figurennamen

Schüleraussagen65

Deutung

- „bessere Aufwärmübung [als

beim letzten Mal]“

- „schön was aus verschiedenen

Rhythmen entsteht“

- „fast eine Überforderung“

- „[Interessant] wie kommt man

[…] mit verschiedenen Rhyth-

men […]so klar“

Der Rhythmuskreis gibt die Gelegen-

heit zur Erfahrung „eigener musika-

lischer Tätigkeit“. Die Schüleraussa-

gen lassen erkennen, dass diese Tätig-

keit für einige SchülerInnen schwerer

zu bewältigen war als für Andere,

insgesamt aber als durchführbar

wahrgenommen wurde.

61

Siehe Begleit-CD: Track 6 62

Siehe Punkt 4.2.1., S. 20 63

Siehe Punkt 4.3., S. 34f. 64

Auch an dieser Stelle werden nur diejenigen außermusikalischen Erfahrungen dargestellt, die

aus den Schüleraussagen direkt geschlossen werden können. 65

Durch die ungenügende Tonqualität der Aufnahme können nicht alle Schüleraussagen im Wort-

laut wiedergegeben werden. Zu besseren Verständlichkeit werden diese ergänzt.

63

Szenische Improvisation zur Musik im Stopp- Verfahren

Schüleraussagen Deutung

- „Ich fand’s toll mal so zu spielen,

auch mit Musik“

Anhand von Schüleraussagen und Be-

obachtungen lässt sich sagen, dass

auch hier „eigene musikalische Tätig-

keit“ als Tätigkeit zur Musik stattfand

und so erleb- und erfahrbar werden

konnte.

Beobachtungen

- SchülerInnen gestalteten die Im-

provisationsszenen ausgehend

von den Sprechanteilen der

Instrumentenstimmen

- griffen die Stimmungen in der

Musik in ihrem Spiel auf

2. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich musikalischer Erfahrungen

Schüleraussagen Deutung

- „[Ich fand es] vom Wissen heute

besser“

- „man [hat] so das geschichtliche

Hintergrundwissen [mitbekom-

men]“

- „Was mir positiv aufgefallen ist,

[…] dass wie wir heute den Stoff

vermittelt bekommen haben

leichter war, als wenn wir vier

bis fünf Seiten im Lehrbuch

durchlesen; so hat jede Gruppe

ihren Teil gehabt und den dann

auch vorgestellt.“

Die Schüleraussagen zeigen, dass die

musikalische Erfahrung des „Kontexts

eines Werkes“ durch die Szenische In-

terpretation zur Verfügung gestellt

werden konnte.

64

3. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich ergänzender außermusika-

lischer Erfahrungen

Schüleraussagen Deutung

- „war schön in Rollen zu

schlüpfen und sich mal frei was

zu überlegen“

- „fand es schwierig die Rolle zu

übernehmen“

- „gelungener als Improvisation

vom letzten Mal“

- „Spielen war gut“

Während der Szenischen Interpretation

konnte die Erfahrung gemacht werden,

wie es ist eine andere Rolle zu über-

nehmen und aus deren Motiven heraus

tätig zu werden. Dazu kommt die Er-

fahrung des eigenen szenischen Spie-

lens.

4. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei der Szenischen

Interpretation

Zu Spaß und Freude wurden in dieser Unterrichtseinheit keine direkten Aussagen

der SchülerInnen gemacht. Jedoch waren sich fast alle SchülerInnen darin einig,

dass dieses Mal „besser als letztes Mal“ war. Nur eine Schülerin fand die Musik

als Szene besser. Aus den Schüleraussagen lässt sich schließen, dass die Schüler-

Innen auch in dieser Unterrichtseinheit Spaß hatten.

5.5. Fazit

Die SchülerInnen haben die Methode der Szenischen Interpretation von

Instrumentalmusik gut angenommen und mit Spaß am Spiel und Engagement

durchgeführt. Dabei wurde die zweite Unterrichtseinheit als „besser“ empfunden.

Ich nehme an, dass dies auf die ungewohnte Art der Umsetzung von

Wahrnehmungen von Musik in der ersten Unterrichtseinheit zurückzuführen ist.

Außerdem waren die SchülerInnen in der zweiten Unterrichtseinheit darauf

vorbereitet, szenisch zu spielen und zur Musik tätig zu werden.

Durch den Einsatz verschiedener Verfahren innerhalb des Spielkonzepts konnte

eine Vielzahl von Erfahrungsmöglichkeiten bereitgestellt werden. Die Schüler-

aussagen lassen den Schluss zu, dass viele dieser Möglichkeiten auch genutzt

wurden. Auf die musikalische Erfahrung der „differenzierten Einstellung zu

Musik“ konnte weder aus den Schüleraussagen noch aus Beobachtungen direkt

geschlossen werden. Möglicherweise wäre diese aber durch die oben erwähnte

65

Reflexion der Wahrnehmung des ganzen Satzes als Abschluss der zweiten

Unterrichtseinheit auch zu erkennen gewesen.66

Nach Auswertung des Spielkonzepts zur Szenischen Interpretation von Instrumen-

talmusik des dritten Satzes des Klarinettenquintetts von Johannes Brahms lässt

sich die Annahme bestätigen, dass durch Szenische Interpretation ein praktisches

Erleben und Erfahren von Instrumentalmusik möglich wird. Im Rahmen des

Spielprozesses wurde an eigene Erfahrungen der SchülerInnen angeknüpft und

diese in die szenisch-musikalische Arbeit integriert. Es wurde außerdem deutlich,

dass sich die SchülerInnen ganz im Anliegen der Szenischen Interpretation eine

Bedeutung der Musik selbst erarbeiten konnten. Das Entstehen der verschiedenen

Szenen zur Musik in der ersten Unterrichtseinheit ist davon Ausdruck. Auch die

Annahme, dass die SchülerInnen bei der Szenischen Interpretation mit Spaß am

Unterricht teilnehmen, bestätigte sich. Das wurde zum Einen direkt aus den

Aussagen der SchülerInnen in der Reflexion ersichtlich, zum Anderen zeigte sich

dies in deren engagierten Spiel.

6. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Szenische Interpretation von

Instrumentalmusik einen Lernvorgang unterstützt, der im aktuellen Rahmenlehr-

plan Musik (Sekundarstufe) des Landes Brandenburg wie folgt beschrieben wird:

„Beim Lernen konstruiert jeder bzw. jede Einzelne ein für sich selbst bedeutsames Abbild

der Wirklichkeit auf der Grundlage ihres/ seines individuellen Wissens und Könnens

sowie ihrer/ seiner Erfahrungen und Einstellungen.“ (MJBS 2008, S. 8)

Dabei stellt die Methode, durch den handelnden Umgang mit dem Instrumental-

musikwerk, das praktische Erleben und Erfahren in den Vordergrund der Musik-

vermittlung, wobei durch „Erschließen“ vorangegangener Erfahrungen neue

(konkret formulierbare) musikalische Erfahrungen möglich werden. Darüber

hinaus können die SchülerInnen auch außermusikalische Erfahrungen, beispiels-

weise Körpererfahrungen, machen. Durch die Verschränkung von Lebenswirk-

lichkeit der SchülerInnen und der Wirklichkeit des Werkes können dabei eigene

Bedeutungen zur Musik „konstruiert“ werden.

66

Dabei bleibt auch fraglich, ob es zu einer differenzierteren Einstellung zu klassischer Musik im

Allgemeinen oder nur zu dem betrachteten Instrumentalstück kommen würde.

66

Das Ziel der Vermittlung von Instrumentalmusik durch Szenische Interpretation

ist es, dass die SchülerInnen durch eigene szenische und musikalische Tätigkeit

Erlebnisse machen, die durch Integration reflexiver Verfahren in den Spielverlauf

sowie durch Reflexion des Gesamtprozesses zu Erfahrungen verarbeitet werden.

Der Spielleiter organisiert diesen Prozess durch die Auswahl geeigneter

Verfahren, eingegliedert in den Ablauf: Vorbereitung, Einfühlung, Szenisch-

musikalische Arbeit, Ausfühlung und Reflexion. So kann durch die Methode der

für den Lernvorgang nötige Erfahrungsraum geschaffen werden.

Zur Schaffung dieses Erfahrungsraumes ist eine sorgfältige Planung der Verfah-

ren unbedingt notwendig. Beim Erstellen des Spielkonzepts fiel mir auf, wie

wichtig das aufeinander Aufbauen der verschiedenen Verfahren ist, um den Ab-

lauf, vor allem in der ersten Unterrichtseinheit logisch zu gestalten. So ist bei der

Entwicklung vor allem darauf zu achten, dass das szenische Spiel durch vorange-

gangene Verfahren ausreichend vorbereitet wird. Dies gilt insbesondere für Lern-

gruppen, die keine Erfahrungen im szenischen Spiel haben. Für solche Gruppen

könnte die „Szenische Improvisation nach W-Fragen“ auch durch szenisches

Spiel mit selbst erstellter Textvorlage ersetzt werden, sodass die SchülerInnen die

Sicherheit des Textes haben, um ihre Szene zu veröffentlichen. Eine andere Mög-

lichkeit wäre eine Bilderfolge zur Szene zu entwerfen, die von den Gruppen foto-

grafiert und dann im Rahmen der Veröffentlichung vorgestellt und erklärt wird.

Für den Einsatz der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik im regu-

lären Musikunterricht wäre die Verbindung mit anderen Methoden von Vorteil.

Im Unterrichtversuch fiel mir auf, dass die Szenen zum Kontext teilweise ober-

flächlich blieben. Die Informationen aus den wissenschaftlichen Texten wurden

scheinbar nicht vollständig erfasst, beziehungsweise konnten nicht ausreichend in

das Szenische Spiel eingebracht werden, um den Kontext umfassend darzustellen.

Das zeigte sich besonders in der Szene zur Rezeption, bei der sowohl im Spiel, als

auch in der Kommentierung eher auf zwischenmenschliche, als auf inhaltliche

Aspekte der Szenensituation eingegangen wurde. Es wäre sinnvoll, an dieser

Stelle eine sorgfältige Betrachtung wissenschaftlicher Texte mit den SchülerInnen

zu integrieren. So könnte inhaltliches Wissen verstärkt in die Szenische

Interpretation eingebunden werden. Daraus könnte sich auch eine Möglichkeit zur

Leistungsbewertung ergeben, die im vorliegenden Spielkonzept keine Rolle

67

spielte, für den Einsatz im regulären Musikunterricht aber überlegt werden

könnte.

Die Methode der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik kann als eine

Methode bei der schulischen Vermittlung von Instrumentalmusik verstanden wer-

den. Sie erhebt nicht den Anspruch das Instrumentalmusikwerk in all seinen Fa-

cetten zu betrachten, sondern bietet den SchülerInnen die Möglichkeit, die Musik

selbst sowie den Kontext des Werkes zu erleben und zu erfahren. So wird das

Instrumentalmusikwerk für die SchülerInnen auf eine Art und Weise zugänglich,

die mit Spaß und Freude verbunden ist und die Möglichkeit einer subjektiven

Deutung bietet. Eigene Erfahrungen der SchülerInnen können eingebracht und

neue musikalische Erfahrungen „gemacht“ werden. Die Szenische Interpretation

von Instrumentalmusik ist deshalb meiner Meinung nach für eine erfahrungser-

schließende Musikvermittlung in besonderem Maße geeignet.

68

7. Literaturverzeichnis

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Stroh, Wolfgang Martin (2007a): Szenische Interpretation von Musik: Eine Anlei-

tung zur Entwicklung von Spielkonzepten anhand ausgewählter Beispiele, Pader-

born: Schöningh.

Stroh, Wolfgang Martin (2007b): Szenische Interpretation absoluter Musik, in:

Diskussion Musikpädagogik 36/07, S. 4-10.

71

Internetverzeichnis

„Die TONKUNST“ online (2003): Robert Hausmann, Ausgabe 0302, 1. Februar

2003, Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft, Lübeck; www.die-

tonkunst.de/dtk-archiv/pdf/0302-Robert-Hausmann.pdf [21.05.2010]

Kosuch, Markus (2004): Szenische Interpretation von Musiktheater- von einem

Konzept des handlungsorientierten Unterrichts zu einem Konzept der allgemeinen

Opernpädagogik, Diss. Phil., Carl von Ossietzky Universität Oldenburg;

http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/publikationen/dissertation/2005/kossze04/

kossze04.hmtl [29.04.2010]

ISIM (2006): Institut für Szenische Interpretation für Musik und Theater,

www.musiktheaterpaedagogik.de [21.04.2010]

Stroh, Wolfgang Martin (2006): Vortrag auf dem Musiktheater-Symposium

Berlin 2006: Szenische Interpretation- Vom erfahrungsorientierten Lernen zur

Musikrezeption und –produktion;

www.musiktheaterpaedagogik.de/pdf/vortrag_bln2006.pdf [29.04.2010]

Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Hrsg.) (2007): Hin-

weise zum Unterricht in der Jahrgangsstufe 11 im Land Brandenburg Musik;

http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de [11.05.2010]

Ministerium für Jugend, Bildung und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.)

(2008): Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I Musik;

http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de [20.07.2010]

Notenverzeichnis

Brahms, Johannes (1966): Quintette Op. 88, 111, 115, Leipzig: Edition Peters.

Diskographie

Brahms, Johannes (1999): Klarinettenquintett Op. 115, Streichquintett Nr. 2 Op.

111, Alban Berg Quartett/ Sabine Meyer/ Hariolf Schlichting, EMI Records.

Bildquellen Begleit-Präsentation

Titelbild Klarinette:

http://www.philso.uni-

augsburg.de/lmz/institute/bsb/blasinstrumente/dozenten/harrer/ [12.07.2010]

Johannes Brahms, Fotografie von 1895:

http://www.historische-daten.de/projekte/museum/auto/ bilder/brahms.jpg

[12.07.2010]

Richard Mühlfeld, Zeichnung Adolph von Menzel 1891:

http://www.wka-clarinet.org/amenzel-muehlfeld-klein.jpg [12.07.2010]

72

Anhang

Material 1: Offene Fantasiereise

Setze dich bequem hin und schließe deine Augen.

Atme tief und regelmäßig.

Richte deine Aufmerksamkeit auf die Geräusche, die du im Raum wahrnimmst.

Das Geräusch deines eigenen Atems und dem der Anderen.

Du wirst gleich Musik hören, und sobald diese Musik beginnt, taucht vor deinem

inneren Auge eine Landschaft, ein Raum oder eine andere Umgebung auf. Du

siehst Personen darin, die miteinander agieren.

(Beginn der Musik)

Die Personen bewegen sich passend zur Musik, vielleicht unterhalten sie sich.

Beobachte wie in einem inneren Film wie und wohin die Personen sich bewegen.

Verändert sich die Musik, so bemerkst du auch eine Veränderung im Verhalten

der Personen.

(Ende der Musik)

Die Szene verblasst wieder und du nimmst deinen Atem und die Geräusche im

Raum wahr.

Dann öffnest du die Augen und bist wieder ganz hier.

73

Material 2: Arbeitsauftrag zur Entwicklung einer Spielszene

In der Kleingruppenarbeit sollt ihr die Szenen der Fantasiereise als Spielszene umsetzen.

Dazu könnt ihr eine während der Fantasiereise entstandene Szene auswählen oder als

Gruppe aus den verschiedenen Ideen eine neue Szene entwickeln. Die Spielszene soll an

die Musik angepasst sein, d.h. auch in zwei Teilen mit eigener Charakteristik ablaufen.

Auf der CD findet ihr deshalb noch einmal die Musik der Fantasiereise zum Nachhören.

Als Hilfe zur Entwicklung der Spielszene können euch folgende Fragen dienen:

- WAS ist der Anlass der Szene?

- WO spielt die Szene?

- WER spielt in der Szene mit?

- WAS findet statt?

- WELCHE Absichten und Interessen haben die handelnden Personen?

- IN WELCHER ART UND WEISE agieren/ sprechen die Personen miteinander?

Ihr habt die Möglichkeit, die Szene mit oder ohne Worte darzustellen, gleichzeitig zur

Musik oder ohne Musik. Beim Vorspielen der Szene bleibt ihr am Ende des ersten Teils

wie „eingefroren“ in eurer Position, bis ihr das Signal zum Weiterspielen bekommt. Das

Gleiche geschieht am Ende des zweiten Teils.

74

Material 3: Arbeitsblatt Klarinettenquintett op. 115 h-Moll von Johannes Brahms

III. Satz

J. W. v. Goethe: „man hört vier vernünftige Leute

sich unterhalten“67

Erster Teil (Takt 1- 33)

Zweiter Teil (Takt 34- 165)

Dritter Teil (Takt 166- 192)

(Notentext ab Takt 184)

67

Über das Streichquartett; Zit. nach: Simmenauer, Sonia (2008): Muss es sein? Leben im Quartett, 3. korrig. Auflage, Berlin: Berenberg Verlag, S. 129.

Assoziationen

Kurzcharakteristik:

Imaginierte Szene

Kurzcharakteristik

Musikalische Strukturen

Kurzcharakteristik:

75

Material 4: Rollenkarten Szene 1

Quellen:

Freifrau von Heldburg vgl. Hofmann 2008, S. 39, S. 42ff.; Moser 1974, S. 270

Richard Mühlfeld vgl. Müller 2002, S. 131 ff.

Johannes Brahms vgl. Fellinger 1981, S. 79; Hofmann 2008, S. 39, 43; Korff 2008, S. 17 f., 212f.,

216

Freifrau Helene von Heldburg

Du bist 52 Jahre alt und die Ehefrau des Herzogs Georg II von Sachsen-Meiningen. Ihr beide seid große

Musik- und Theaterliebhaber, schließlich warst du selbst einmal Schauspielerin. Als solche weißt du, wie

man mit Künstlern umgehen muss, vor allem mit solchen wie Johannes Brahms, der manchmal etwas

knurrig ist. Seit du ihn vor zehn Jahren das erste Mal getroffen hast, bist du von seiner Musik begeistert. So

oft es geht laden dein Mann und du ihn ein, seine Werke mit der Meininger Hofkapelle zu probieren, oder

mit dir am Klavier gemeinsam zu musizieren.

Dieses Mal sollen zwei besondere Stücke geprobt und privat aufgeführt werden, ein Klarinetten-Trio und

ein Klarinettenquintett. Darauf freust du dich besonders, da der Klarinettist der Meininger Hofkapelle

Richard Mühlfeld endlich einmal besonders gut zu sehen und zu hören sein wird.

Richard Mühlfeld, Klarinette

Du bist 35 Jahre alt und Solo-Klarinettist der Meininger Hofkapelle. Dort hast du bei den zweiten Geigen

angefangen und bist aufgrund deines Könnens schnell zu den ersten Geigen aufgestiegen. Doch dein Herz

hängt an der Klarinette, die du neben Geige und Klavier schon als Kind zu spielen gelernt hast. Dein Talent

auf der Klarinette wurde schon bald entdeckt und mit 21 Jahren spieltest du als Solist in einem Konzert der

Hofkapelle. So wurdest du Solo-Klarinettist, wobei du keinerlei Starallüren aufweist, im Gegenteil, du wirst

wegen deiner zurückhaltenden bescheidenen Art gemocht.

Johannes Brahms kennst du seit 10 Jahren. Seitdem hält er sich immer wieder für Proben und Aufführungen

seiner Werke in Meiningen auf. Du hast schon bei vielen solcher Aufführungen mitgespielt, doch jetzt diese

neuen Kompositionen für Klarinette sind einfach wunderbar. Es ist für dich eine große Ehre sie spielen zu

dürfen.

Johannes Brahms, Komponist

Du bist 58 Jahre alt und als Sohn eines Musikers hast du schon früh selbst mit dem Musizieren begonnen.

Es sah zunächst so aus als würdest du Pianist werden, doch du wolltest lieber komponieren. Im Laufe deiner

Karriere hast du zahlreiche Freundschaften, sowohl mit anderen Musikern als auch Musikliebhabern aus

Bürgertum und Adel geschlossen. Viele dieser Freundschaften halten trotz deines Schwankens zwischen

Schweigen und Zornausbrüchen schon lange an. Eine dieser Freundschaften ist die zum Herzogspaar von

Sachsen-Meiningen, über deren Einladungen du dich immer sehr freust. Sie geben dir die Möglichkeit,

deine neuen Kompositionen mit der Hofkapelle zu proben und aufzuführen. Zudem sind beide sehr sympa-

thisch und mit der Freifrau musiziert es sich vorzüglich. Ihr gegenüber versuchst du sogar Charme zu

zeigen, denn sie ist äußerst liebenswürdig und gescheit.

Heute bist du angereist, um ein Klarinetten-Trio, bei dem du selbst Klavier spielen wirst, und ein Klari-

nettenquintett zu proben. Eigentlich dachtest du, dass deine kompositorische Tätigkeit abgeschlossen wäre,

aber dann hast du diesen Richard Mühlfeld Klarinette spielen hören und sein Spiel hat dich neu inspiriert.

76

Material 5 : Rollenkarten Szene 2

Joseph Joachim, erster Geiger

Du bist 60 Jahre alt und spielst die erste Geige in dem nach dir benannten Joachim-Quartett. Neben

dem Geigenspiel komponierst du und pflegst Freundschaften mit Musikern wie Robert Schumann

und Felix Mendelssohn. Einer deiner liebsten Freunde aber ist Johannes Brahms, den du deinen

„Spiel-und Kampfgenossen“ nennst, und dessen musikalisches Genie du früh erkannt hast. Ihr seid

jetzt schon fast vierzig Jahre befreundet und du hast ihn von Anfang an durch die Aufführung seiner

Werke gefördert.

Bei der Interpretation seiner und anderer Werke steht für dich die „musikalische Empfindung“ im

Vordergrund. So begründest du deine Vorschläge oft mit einem „Ich finde dies im vorliegenden Fall

schöner.“ Die Orientierung an der musikalischen Empfindung gilt insbesondere für das Spiel mit

deinem Streichquartett, in dem du als Quartettführer auch deshalb beliebt bist, weil du auch Interpre-

tationsvorschläge der anderen Mitspieler aufgreifst.

Heinrich de Ahna, zweiter Geiger

Du bist 56 Jahre alt und spielst im Joachim-Quartett unter Leitung von Joseph Joachim. Obwohl du

schon früh bei berühmten Lehrern Geige gelernt hast, hast du dich zunächst für eine militärische

Laufbahn entschieden. Als österreichischer Offizier hast du sogar am italienischen Feldzug von 1959

teilgenommen. Nach deiner Rückkehr spieltest du Joseph Joachim vor, der dich dazu ermutigte,

wieder als Musiker dein Geld zu verdienen.

Inzwischen bist du Konzertmeister und spielst zusätzlich im Streichquartett. Doch den Offizier merkt

man dir schon noch an. Dein zackiger manchmal etwas schroffer Ton verrät eben, dass du das

Befehlen gewöhnt warst. Im Quartett wirst du aufgrund deiner musikalischen Anpassungsfähigkeit

geschätzt, das brauchst du auch, schließlich ist die Stimme der zweiten Geige die am wenigsten

selbstständige im Quartett.

Emanuel Wirth, Bratsche

Du bist 49 Jahre alt und spielst im Joachim-Quartett unter Leitung von Joseph Joachim. Du stammst

ursprünglich aus Böhmen, warst Konzertmeister der Kurkapelle in Baden-Baden und bist dann als

Violinlehrer nach Rotterdam an das dortige Konservatorium gewechselt. Inzwischen bist du in

Berlin gelandet, wo du eine Violinprofessur an der Königlichen Hochschule innehast. Daneben

spielst du gern und regelmäßig Bratsche im Streichquartett.

Deine Kollegen und du spielen alle auf Stradivari-Instrumenten, aber du bist dir sicher, dass keiner

sein Instrument so liebt wie du. Der warme weiche Klang entzückt dich jedes Mal und so kostest du

es besonders aus, wenn die Bratsche mal etwas Wichtiges spielen darf.

77

Quellen:

Joseph Joachim vgl. Moser 1900, S. 42, 66, 117, 148, 231, 235

Heinrich de Ahna vgl. Moser 1900, S. 232, 241

Emanuel Wirth vgl. Moser 1900, S. 241

Robert Hausmann vgl. Moser 1900, S. 232, 241; „Die TONKUNST“ online 2003

Robert Hausmann, Cello

Du bist 39 Jahre alt und spielst Cello im Joachim-Quartett unter Leitung von Joseph Joachim, mit dem du

auch außerhalb der Quartettverpflichtungen in herzlichem Kontakt stehst. Seit du 25 Jahre alt bist,

unterrichtest du Cello an der Königlichen Hochschule Berlin, wo du 1884 den Titel „Königlicher

Professor“ erhieltest.

Deine Spezialität im Streichquartett sind die dicken Bässe, durch die du den anderen Spielern eine gute

Grundlage für ihre Tonentfaltung gibst. Genauso liegen dir die straffen rhythmischen Akzente, durch die

du den anderen Spielern gerade in schnellen Sätzen einen festen Stützpunkt lieferst. Du weißt, dass die

anderen Spieler deinen Beitrag zum Gelingen der Musik zu schätzen wissen, deiner Meinung nach

könnten sie es dir aber ruhig etwas öfter sagen.

Richard Mühlfeld, Klarinette

Du bist 35 Jahre alt und Solo-Klarinettist der Meininger Hofkapelle. Dort hast du bei den zweiten Geigen

angefangen und bist aufgrund deines Könnens schnell zu den ersten Geigen aufgestiegen. Doch dein

Herz hängt an der Klarinette, die du neben Geige und Klavier schon als Kind zu spielen gelernt hast.

Dein Talent auf der Klarinette wurde schon bald entdeckt und mit 21 Jahren spieltest du als Solist in

einem Konzert der Hofkapelle. So wurdest du Solo-Klarinettist, wobei du keinerlei Starallüren aufweist,

im Gegenteil, du wirst wegen deiner zurückhaltenden bescheidenen Art gemocht.

Johannes Brahms kennst du seit 10 Jahren. Seitdem hält er sich immer wieder für Proben und

Aufführungen seiner Werke in Meiningen auf. Du hast schon bei vielen solcher Aufführungen mitge-

spielt, doch jetzt diese neuen Kompositionen für Klarinette sind einfach wunderbar. Es ist für dich eine

große Ehre sie spielen zu dürfen.

78

Material 6 : Rollenkarten Szene 3

Quellen:

Henriette Kling: nochmaliges Spielen nach da-capo-Rufen vgl. Häfner 1978, S. 5; Müller 2002,

S. 137

Karl Siewert

Du bist 57 Jahre alt und Arzt mit gut gehender Praxis in Berlin. Du fühlst dich als Mitglied der

gehobenen Gesellschaft und als solcher warst du natürlich im gestrigen Streichquartettabend in der

Berliner Singakademie. Wider Erwarten war es ein sehr schöner Abend. Diese Klarinettenstücke von

Johannes Brahms waren fantastisch! So etwas hast du noch nicht gehört. Besonders das

Klarinettenquintett mit diesem Mühlfeld hat es dir angetan. Du freust dich auf den heutigen Abend,

wenn dein Freund Gustav Kling mit seiner Frau kommt, denn dann könnt ihr das Konzert noch

einmal gemeinsam Revue passieren lassen.

Agathe Siewert

Du bist 53 Jahre alt und mit dem Arzt Karl Siewert verheiratet. Du legst viel Wert darauf in der

feinen Gesellschaft akzeptiert zu werden, denn du willst deinem Mann eine präsentable und

respektable Gemahlin sein. Es ist nicht so einfach die richtigen Umgangsformen an den Tag zu

legen, wenn man selbst nur eine einfache Näherin war.

Heute Abend kommt das Ehepaar Kling zu euch, da wird es bestimmt nur um das gestrige Konzert

in der Berliner Singakademie gehen. Nun ja, es war ganz nett, aber warum dieser Brahms so gefeiert

wird, das verstehst du nicht. Doch das sagst du lieber nicht zu laut.

Gustav Kling

Du bist 56 Jahre alt und Rechtsanwalt mit großer Kanzlei in Berlin. Du liebst die Musik und wärst

beinahe selbst Geiger geworden, hast dich dann aber doch für die berufliche Sicherheit des Anwalts

entschieden. So oft es nur geht musizierst du gemeinsam mit deiner Frau Henriette und ihr geht in

jedes Konzert, das sich in deinen vollen Terminkalender einschieben lässt. Gestern Abend ward ihr

im Streichquartettabend in der Berliner Singakademie. Dieses Joachim-Quartett spielt wirklich

sagenhaft! Doch gestern war ein besonderes Erlebnis, denn es wurden neben einem Streichquartett

noch zwei Werke für Klarinette gespielt. Besonders das Klarinettenquintett war ein Hörgenuss.

Diese traumhaften Melodien! Deine Frau kann dich schon gar nicht mehr schwärmen hören, nur gut,

dass ihr heute Abend zu deinem Freund Karl Siewert geht, mit dem Mann kann man fachsimpeln.

Henriette Kling

Du bist 48 Jahre alt und mit dem Rechtsanwalt Gustav Kling verheiratet. Du hältst ihm den Rücken

frei und hast dich immer selbst um eure Kinder gekümmert. Die sind nun schon eine Weile aus dem

Haus und du hast dir einen lange gehegten Wunsch erfüllt und wieder mit dem Klavierspielen

begonnen. Inzwischen bist du so gut, dass du oft gemeinsam mit deinem Mann musizierst. Jetzt ist

auch endlich Zeit, um in all die wunderbaren Konzerte zu gehen, die Berlin zu bieten hat. So wart ihr

gestern im Streichquartettabend des Joachim-Quartetts an der Berliner Singakademie. Es war ganz

besonders, denn zwei Werke für Klarinette wurden unter Anwesenheit des Komponisten Johannes

Brahms aufgeführt. Du warst so begeistert, dass du gemeinsam mit den vielen anderen Konzertbe-

suchern endlos da capo gefordert hast. Schließlich spielten die Musiker das ganze Klarinettenquintett

noch einmal. Es war einfach wunderbar!

79

Material 7: Arbeitsauftrag Szene 1

Am Morgen des 21. Novembers 1891 trifft Johannes Brahms in Meiningen auf Schloss Elisa-

bethenburg ein, um dort bei der ersten Probe seines Klarinettenquintetts op.115 in h-Moll dabei zu

sein. Ebenfalls anwesend sind die Herzogin von Sachsen-Meiningen, Freifrau von Heldburg und

der Klarinettist Richard Mühlfeld.

Entwickelt auf Grundlage des vorliegenden Materials und eurer Rollenkarten eine Spielszene (mit

Textvorlage) zu dem Aufeinandertreffen der Personen. Darin soll deutlich werden, wie es zu der

Komposition kam und welche Beziehungen zwischen den einzelnen Personen bestehen.

Brief von Johannes Brahms an Freifrau von Heldburg (25. Juli 1891)

„Ich möchte mich nämlich auf das zudringlichste nach Meiningen einladen! Es ist aber

diesmal nicht purer Egoismus. Ganz vertraulich erlaube ich mir zu erzählen, wie sehr

ich für Sie gedacht und gar gearbeitet habe. Es ist mir (immer unter uns) nicht

entgangen, wie sehr Sie dem herzogl. Kammermusikus und Musikdirektor Mühlfeld

geneigt sind, ich habe mit Wehmut gesehen, wie mühsam und ungenügend Ihr Auge

ihn an seinem Orchesterplatz zu suchen hatte./ Im Winter konnte ich ihn wenigstens

einmal vorne hinstellen- aber jetzt- ich bringe ihn in Ihre Kemenate, er soll auf Ihrem

Stuhl sitzen. Sie können ihm die Noten umwenden und die Pausen, die ich ihm gönne,

zu traulichem Gespräch benützen./ Das weitere wird Ihnen gleichgültig sein; nur der

Vollständigkeit halber sage ich noch, daß ich für diesen Zweck ein Trio und ein

Quintett geschrieben habe, in denen er mitzublasen hat, und die ich Ihnen zur

Verfügung stelle- zur Benutzung anbiete. Nebenbei ist nun Ihr Mühlfeld der beste

Meister seines Instruments, und mag ich für diese Stücke an gar keinen anderen Ort

denken, als an Meiningen.“

(zit. nach Kalbeck in: Häfner, Roland (1978): Johannes Brahm:. Klarinettenquintett, München: Wilhelm

Fink,, S. 3f.)

Christian Mühlfeld (Bruder) über die Faszination

Johannes Brahms an Richard Mühlfelds Klarinettenspiel

„Der Meister … gewann Interesse an dessen warmer

Vortragsweise, dem schönen, in allen Lagen

modulationsfähigen Ton, der Atemregulierung und der

daraus hervorgehenden musikalischen Phrasierung, die

wiederum eine durchsichtige Gliederung des

Musikstücks bemerken ließ, und erkannte sofort die hohe

musikalische Intelligenz, die nicht das technische

virtuose Können in den Vordergrund stellte, sondern das

tiefere Eingehen in den Geist der Komposition, in die

Absichten des Komponisten, die echt musikalisch

empfundene Wiedergabe zur Hauptsache machte.“

(zit. nach Mühlfeld, in: Müller, Herta (2002): Richard Mühlfeld- der

Brahms-Klarinettist, in: Meyer, Martin (Hrsg.): Brahms-Studien. Band

13, Tutzing: Hans Schneider, S. 137)

Johannes Brahms an

Clara Schumann

„… man kann nicht schöner Klari-

nette blasen, als es der hiesige Herr

Mühlfeld tut.“

(in: Müller, Herta (2002): Richard

Mühlfeld- der Brahms-Klarinettist, in:

Meyer, Martin (Hrsg.): Brahms-Studien.

Band 13, Tutzing: Hans Schneider, S. 136)

80

Material 8: Arbeitsauftrag Szene 2

Es ist der Abend vor der Uraufführung des Klarinettenquintetts in der Berliner

Singakademie am 12. Dezember 1891. Alle Musiker haben das Musikstück für

sich geübt, jetzt muss eine gemeinsame Interpretation erarbeitet werden.

Hört euch zunächst den zweiten Teil des Satzes noch einmal an. In die Aufnahme

sind Stopps eingefügt. Eure Aufgabe ist es, zwischen den Musikabschnitten eine

Szenenimprovisation oder ein szenisches Spiel mit selbst erstellter Textvorlage

durchzuführen, bei der ihr euch darüber unterhaltet, wie das Stück zu

interpretieren ist (Beispiel: langsamer-schneller, mehr legato, Lautstärke etc.).

Während die Musik spielt, erstarrt ihr in der Spielhaltung eures jeweiligen Instru-

mentes.

Die Sprechanteile der einzelnen Musiker, sowie Art und Weise ihrer

Kommunikation, entnehmt ihr dem Auftreten ihres Instrumentes in der Musik

(Beispiel: Klarinette entspricht Mühlfeld). Betrachtet dafür auch den vorliegenden

Partiturausschnitt.

Für die Darstellung als Szene könnt ihr euch auf das Aufgreifen wesentlicher

Elemente der Musik beschränken. Folgende Überlegungen können dabei helfen:

- Welches Instrument/ Motiv dominiert den jeweiligen Ausschnitt? Wer hat

demzufolge das „Sagen“?

- Wie reagieren die Instrumente aufeinander? Wer diskutiert miteinander?

- Wann erklingen die Instrumente gleichzeitig oder mit gleichen Motiven?

Wer könnte einer Meinung sein?

- Wie klingen die Instrumentenstimmen des Abschnitts insgesamt, z.B.

ruhig/ aufgeregt? Wie ist also die Stimmung zwischen den Redenden?

81

Material 9: Partiturausschnitte Szene 2

83

Material 10: Arbeitsauftrag Szene 3

Am 12. Dezember 1891 wurde das Klarinettenquintett op. 115, gemeinsam mit

dem Klarinetten-Trio op. 114, in der Berliner Singakademie uraufgeführt. Eine

weitere Aufführung erfolgte am 16. Dezember in Wien. Von beiden

Aufführungen liegen Kritiken vor, eine von Otto Lessmann (Komponist und

Musikkritiker) in der Allgemeinen Musik-Zeitung in Berlin, die andere von

Eduard Hanslick (Professor für Ästhetik und Musikgeschichte und Musikkritiker)

in der Zeitschrift „Fünf Jahre Musik“.

Entwickelt ein fiktives Gespräch zwischen Hörern des Klarinettenquintetts, wie es

sich anlässlich einer Abendeinladung in musikinteressierten Kreisen jener Zeit

abgespielt haben könnte. Als Grundlage dafür dienen euch die unten aufgeführten

Ausschnitte aus den Kritiken über das Klarinettenquintett sowie die Informationen

auf euren Rollenkarten. Darüber hinaus könnt ihr eigene Hörerfahrungen aus der

letzten Unterrichtsstunde einbringen.

Kritik über die Uraufführung am 12. Dezember 1891 von Otto Lessmann

„Der dritte Abend des Joachim-Quartetts, der am 12. d. M. in der Singakademie stattfand,

gestaltet sich zu einer großartigen Huldigung für Dr. Johannes Brahms, der seine beiden

neuesten Kammermusikwerke, ein Trio für Klavier, Klarinette in A Moll und ein Quintett für

Streichinstrumente und Klarinette in H Moll, zur ersten Aufführung brachte. […] Übrigens

erweist sich die Zusammenstellung der Klarinette mit Cello und Klavier bei weitem nicht so

klangschön, wie die mit dem Streichquartett. Im Trio nahm der Ton der mehr in hoher als in

tiefer und mittlerer Lage geschriebenen Klarinette etwas die Gehörnerven Ermüdendes an,

während in dem Quintett das Zusammenwirken der Streichinstrumente mit der Klarinette zu

den wundervollsten, entzückendsten Klangkombinationen geführt hat. Ohne Zweifel ist das

Quintett das bedeutendere der beiden neuen Werke, ja es ist vielleicht das bedeutendste

Kammermusikwerk von Brahms […]. Der erste Satz ist bei allem Ernst doch von äußerst

wiecher Stimmung, der dritte, ein von einem Presto non assai unterbrochenes Andantino fesselt

durch interessante Melodik und der vierte, ein mit con moto bezeichneter Variationensatz, dem

ein einfaches klares und empfindungsvolles Thema zu Grund liegt, zeigt die außerordentliche

Fertigkeit des Komponisten in der Handhabung der kontrapunktischen Künste. Das ganze Werk

aber fesselt nicht sowohl durch die geistreiche, kunstvolle Arbeit, als vielmehr durch die bedeu-

tenden und schönen Gedanken und die Tiefe, edle Empfindung, welche alle Sätze durchweht.

Gespielt wurde das Werk unter Mitwirkung des ausgezeichneten Klarinettisten, Kammer-

virtuosen Mühlfeld aus Meiningen , in idealer Vollendung. […] Der Singakademiesaal war

ausverkauft, und die Anwesenden wurden nicht müde nach den einzelnen Sätzen der Brahms‘-

schen Werke dem Meister stürmische Huldigungen darzubringen.“

(zit. nach Lessmann, in: Häfner, Roland (1978): Johannes Brahms: Klarinettenquintett, München: Wilhelm Fink,

S. 45 f.)

84

Kritik über die Aufführung am 16. Dezember 1891 in Wien von Eduard Hanslick

„Ungleich bedeutender als das Klarinetten-Trio op. 114 ist Brahms‘ neues Quintet t in H -mol l

für Klar inet te und Streichquartett. Lange hat kein Werk ernster Kammermusik im Publikum so un-

mittelbar gezündet, so tief und lebhaft gewirkt. Das Quintett ist ein breiter ausgeführtes, bedeutendes

Seitenstück zu dem Klarinetten-Trio in A-moll. Noch stärker und geheimnisvoller als in letzterem

waltet hier der eigenartige Zauber des Klarinettenklanges. Wie dem bildenden Künstler ein gegebenes

äußerliches Mittel, ein bestimmtes Material, Maß oder Lokal häufig zum künstlerischen „Motiv“ wird,

ihm neue Ideen zuführt, so hat Brahms jüngstes dankbares Adoptivkind, die Klarinette, ihn zu

reizenden neuen Erfindungen und Kombinationen angeregt. […] Auf das Adagio folgt ein Andantino in

D-dur von etwas gleichmütigem Charakter; es geht in ein „Presto non assai“ über, dessen kurzes, ge-

schwätziges Motiv an Ähnliches von Brahms erinnert. Nach einer kunstvollen Durchführung schließt

auch dieser Satz, wie alle übrigen, im pianissimo. […]

Eine Stil-Eigentümlichkeit, die sich in fast allen neueren Kammermusiken von Brahms ausprägt,

erscheint besonders auffällig in dem H-moll Quintett; der viel engere Zusammenhang, das Einheitliche

im Charakter aller vier Sätze. In dem Quintett gehört alles einer Farbenscala an, so mannigfaltiges

Leben auch darin herrscht. […] Die mäßigend zurückhaltenden Bezeichnungen ‚non troppo‘, ‚non

assai‘, ‚quasi‘ u.s.w. sind charakteristisch für den späten Brahms, der nicht gern über ein gewisses

Niveau der Gemütsbewegung hinausgeht und grelle Kontraste lieber meidet als aufsucht. Daß

manchem Hörer nach einem wenig bewegten ersten Satz ein herzhaft fröhliches Scherzo, nach einem

düsteren Adagio ein feurig fortstürmendes Finale erwünschter schiene, solle weder verschwiegen noch

getadelt werden. Aber das Gefühl der Enttäuschung, wo es überhaupt eintrat, wird schnell verschwin-

den. Wer sich ernst und liebevoll mit Brahms beschäftigt hat, dem wird auch der maßvollere, abge-

klärte Stil seiner späteren Epoche mit all seinen Eigenheiten bald lieb und vertraut werden.“

(zit. nach Hanslick, in: Häfner, Roland (1978): Johannes Brahms: Klarinettenquintett, München: Wilhelm Fink, S. 46 ff.)

85

Material 11: Übersicht zu Phasen, Verfahren und Materialien

1. Die Musik als Szene

Phase Verfahren Schülermaterial Hörbeispiele

Phase 1:

Vorbereitung

Herstellen einer Bewegungs-

fläche

Phase 2:

Einfühlung

Musikalisch inszenierte

Bewegungsimprovisation

Phase 3:

Szenisch-

musikalische

Arbeit

Assoziationen zu Musik Track 1

Offene Fantasiereise Material 1, S. 72 Track 2

Szenische Improvisation nach

W- Fragen mit Kommentie-

rung

Material 2, S. 73 Track 2

Phase 4:

Ausfühlung

(entfällt)

Phase 5:

Reflexion

Musikalische Reflexion

- Szenen

- Hören

- Überprüfung

Höreindruck

- Deutung als Gespräch

Material 3, S. 74

Track 3

Track 4

Zusammenfassung des Spiel-

verlaufs

Material 3, S. 74

Blitzlicht

86

2. Der Kontext als Szene

Phase Verfahren Schülermaterial Hörbeispiele

Phase 1:

Vorbereitung

Herstellen einer Spielfläche

Wiederholtes Hören

Brainstorming

Warm-Up

Phase 2:

Einfühlung

Einfühlung über Rollenkarte Material 4, S. 75

Material 5, S.76

Material 6, S. 78

Entwickeln einer Gehhaltung

und Verkleiden

Rollenpräsentation in der

Szenengruppe

Phase 3:

Szenisch-

musikalische

Arbeit

Szene 1

Szenische Improvisation

Gruppensoziogramm

Material 7, S. 79

Szene 2

Szenische Improvisation zur

Musik im Stopp- Verfahren

Kommentierung durch

Rollenbefragung

Szene und Musik in Bezie-

hung setzen

Material 8, S. 80

Material 9, S. 81

Track 5

Szene 3

Szenische Improvisation

Kommentierung durch Hilfs-

Ich

Zusammenfassung der Szene

Material 10, S. 83

Phase 4:

Ausfühlung

Verabschiedung

Phase 5:

Reflexion

Reflexion des Spielprozesses

Blitzlicht

(Abschluss) Track 6

87

Partitur

93

Eidesstattliche Erklärung

Hiermit versichere ich, dass ich die wissenschaftliche Arbeit einschließlich beglei-

tender Medien (Audio-CD, DVD) selbstständig verfasst habe. (Ausnahme: Rea-

lisierung Layout und Videoeinbindung der Begleit-Präsentation durch Mitar-

beiterinnen des Audiovisuellen Zentrums der Universität Potsdam). Alle Quellen

und Hilfsmittel, die für die Arbeit verwendet wurden, habe ich angegeben.

Außerdem versichere ich, dass weder diese Arbeit, noch Teile daraus, bereits in

anderen Lehrveranstaltungen als Form des Leistungsnachweises verwendet

wurden oder werden.

Eberswalde, den 05.08.2010