Upload
ellen-girod
View
215
Download
1
Embed Size (px)
DESCRIPTION
Interview mit Martin Lindstrom - Magazin Women in Business
Citation preview
30 WOMEN IN BUSINESS · DEZEMBER 2014 DEZEMBER 2014 · WOMEN IN BUSINESS 31
KONSUM
«Man benutzt uns, um unsere Freunde dazu zu bringen, mehr zu kaufenª
INTERVIEW ELLEN GIROD
S tatt Gehirnwäsche gibt’s in Martin Lind-
stroms aktuellem Buch Markenwäsche.
In «Brandwashed – was du kaufst, be-
VWLPPHQ�GLH�DQGHUHQª�]HLJW�GHU�GlQLVFKH�Branding-Guru – und gemäss «Time Ma-
JD]LQHª�HLQHU�GHU�����HLQIOXVVUHLFKVWHQ�0HQVFKHQ�der Welt –, wie Werbung uns manipuliert. Das
Buch soll nach seinen eigenen Angaben eine Fort-
setzung von Vance Packards Klassiker der Werbe-
OLWHUDWXU�©'LH�JHKHLPHQ�9HUI�KUHUª�ZHUGHQ��'DEHL�greift Lindstrom auf Erkenntnisse aus den Diszi-
plinen Konsumverhalten, kognitive Psychologie
und Neurowissenschaft zurück. Das Thema seines
2015 erscheinenden Buches konnten wir ihm trotz
aller journalistischen Tricks nicht entlocken, doch
sprach er mit WOMEN in Business über die Ver-
führung im digitalen Zeitalter.
Wo wurden Sie das letzte Mal von einem Brand verführt? In Zürich! Ich war im Oktober im neueröffneten
Globus-Delicatessa an der Bahnhofstrasse. Wie
die ihre Lebensmittel ausstellen, liess mir das
Wasser im Mund zusammenlaufen, und ich muss-
te Pasta kaufen.
In Ihrem Buch «Brand Sense» zeigen Sie auf, dass sich die Kaufbereitschaft massiv steigert, wenn alle fünf Sinne angesprochen werden. Wie funktioniert die Multisensorik auf dem kleinen Smartphone-Bildschirm? Die Rolle der Akustik wird künftig zunehmen,
doch bis wir mit Technologie riechen werden kön-
nen, vergehen noch mindestens zehn Jahre. Die
nahe Zukunft des mobilen Werbens liegt im Con-
textual Advertising (dt. semantisches Targeting).
Dabei gilt nach wie vor: Die richtige Botschaft zur
richtigen Zeit an das richtige Publikum bringen.
Aber der Kontext dieser Botschaft hängt neu von
fünf Faktoren ab: dem Wetter, der Uhrzeit, unse-
rem Aufenthaltsort, unserer Begleitung und unse-
rem Befinden (z.B. auf Facebook-Profil). Je nach-
dem, ob du am Morgen im Supermarkt, im Regen
auf der Strasse oder am Wochenende zu Hause mit deinen
Freunden rumhängst, bekommst du eine andere Botschaft
auf dein Smartphone geschickt.
Wird Contextual Advertising schon heute eingesetzt? Starbucks tut das in Tokio. Wenn ich dort auf der Strasse gehe,
bekomme ich eine Nachricht, die sagt, dein Freund ist ein paar
Strassen weiter im Starbucks, komm auch, zeig dein Smartpho-
QH�XQG�GX�EHNRPPVW�QRFK�5DEDWW�DXI�GHLQHQ�/LHEOLQJVNDͿ�HH�
Das Fazit Ihres Buchs «Brandwashed» ist, dass Mundpro-paganda die Konsumenten am leichtesten verführt. Wie funktioniert sie im digitalen Zeitalter? Die physische Welt überlappt sich mit der digitalen. Facebook
hatte eine Zeitlang eine App, die einem 10% Rabatt gewährte,
wenn man einen bestimmten Brand likte und dies mit seinen
Freunden teilte. Dadurch manipulieren Brands unsere Begier-
de. Man benutzt uns, um unsere Freunde dazu zu bringen,
mehr zu kaufen.
Ist das eine gute Sache? Das werden wir uns künftig gar nicht mehr fragen. Das System
wird so viel über uns lernen und unsere Freunde und unsere
Reaktionen so gut kennen, dass wir ihm mehr trauen werden
als uns selber. Wir hinterfragen ja schon heute das GPS nicht
mehr. Wenn wir uns verfahren und eigentlich wissen, dass die
von GPS angezeigte Richtung falsch ist, nehmen wir sie trotz-
dem. Weil wir eben unsicher sind und dem GPS mehr als uns
selber trauen. Ähnlich werden wir künftig den digitalen Sug-
gestionen mehr trauen als uns selber. Dies wird sich immer
verstärken, denn Menschen sind heute unsicherer denn je.
Unsicherer denn je?Ja, und diese Unsicherheit wird paradoxerweise durch die neu-
en Technologien verstärkt. Ich weiss noch, als der automatische
Anrufbeantworter erfunden wurde, war es den meisten pein-
lich oder unangenehm, ihre eigene Stimme zu hören. Ähnlich
JLQJ� HV� XQV�� ZHQQ� ZLU� JHÀ�OPW� ZXUGHQ�� +HXWH� VSULQJHQ� GLH�PHLVWHQ�.LQGHU�YRU�GLH�.DPHUD�XQG�ELWWHQ��GDVV�PDQ�VLH�À�OPW��Unser Selbstvertrauen mit den Geräten ist sehr hoch, gleichzei-
tig haben wir nicht viel zu sagen. Weil wir so damit beschäftigt
sind, unser Image digital zu inszenieren, fehlt uns die Zeit zum
Nachdenken.
Warum sind wir so irrational, wenn es ums Einkaufen geht? Wir alle brauchen ein Gleichgewicht im Leben. Und dieses
*OHLFKJHZLFKW� EHHLQÁ�XVVW� XQVHUH� 6WLPPXQJ� XQG� XQVHUH� %H�dürfnisse. Sobald wir diese Balance verlieren – sei es durch
Hunger, eine Depression oder wenn wir verliebt sind –, ver-
spüren wir das Bedürfnis, dies möglichst schnell zu kompen-
sieren. Dieses Kompensationsbedürfnis führt zur kurzfristigen
Unvernunft. Denn eigentlich braucht es nun mal seine Zeit, um
eine Balance wiederherzustellen. Doch in unserer kommerzi-
ellen Gesellschaft streben wir
nach einer Abkürzung. Und
glauben, dass Konsum unsere
Probleme lösen wird, wir z.B.
mehr Erfolg haben oder bes-
ser aussehen werden.
Ein Beispiel, wie die Gesell-schaft solches Ungleichge-wicht kompensiert?
Bleiben wir bei der Schweiz
mit ihrer Pünktlichkeit und
Ordnung. Die Tram kommt
auf die Sekunde, wenn du
fünf Minuten zu spät zu einer
Verabredung kommst, rufen
deine Freunde dich bereits an.
Gleichzeitig hat Zürich den
höchsten Drogenkonsum in
Europa, die Street Parade und
als eine der wenigen Städte
Europas diese Verrichtungsbo-
xen, in denen man mitten auf
der Strasse Sex haben kann.
Was führt zu diesem ,Ungleichgewicht? Ein wichtiger Faktor ist der
Druck, glücklich zu sein.
+ROO\ZRRGÀ�OPH� XQG� 0DJD�zine suggerieren uns, dass
wir begeistert, hocherfreut
und lachend durch die Welt gehen müssen. Dass eine Depres-
sion etwas Schlechtes ist, gegen das es Pillen gibt. Was naiv ist,
denn glücklich werden wir erst durch Kontraste in unserem
Leben. Wenn ich täglich weisse Schokolade esse, schätze ich es
nicht mehr so sehr, wie wenn ich es zu einem besonderen Anlass
esse. Kontraste machen unser Leben aus. Doch in unserer Gesell-
schaft vergleichen wir uns mit anderen und streben nach Perfek-
tion in allem, was wir tun. Und je mehr wir danach streben, desto
unzufriedener werden wir. Desto höher wird der Konsum, desto
höher auch die Scheidungsraten.
Haben wir uns nicht schon immer mit anderen verglichen? Doch, aber wegen der Globalisierung und der Digitalisierung
sehen wir mehr, dass es anderen besser geht, und werden da-
durch unzufrieden. Mit der Transparenz des Internets muss
man sich ständig mitteilen und sehen, was alle anderen tun.
Auf Facebook sehen alle gut aus, vermögend, stän-
dig im Urlaub. Das Internet ist eine Projektion der
Welt, die wir gerne hätten, statt wie sie wirklich ist.
Als ich 18 war, hab ich mich mit meinen Mitschü-
lern verglichen, war vielleicht der Drittbeste meiner
Klasse. Heute geh ich ins Netz und stelle fest, dass
ich der 1255-millionstbeste bin, weil so viele Men-
schen da draussen sind. Und plötzlich bin ich nichts.
Diese unglückliche Einsicht bringt ein Ungleich-
JHZLFKW�� EHHLQÁ�XVVW� PHLQH�Kompensationstriebe, die ich
mit Konsum decken will.
Was ist die grösste Heraus-forderung von Brands heute? Die Geschwindigkeit. Neh-
men wir als Beispiel Mc
Donald's. Dieser Brand ver-
liert an Wert und kann nicht
mehr mithalten: wegen der
Reputation, der Qualität der
Produkte und dem Gesund-
heitsaspekt von Fastfood.
Unsere Gesellschaft verändert
sich schnell, Brands müssen
VLFK� GDEHL� VWlQGLJ� QHXHUÀ�Q�den, das heisst, dieselbe Bot-
schaft vermitteln, aber in ei-
ner neuen Art und Weise. Die
PHLVWHQ� VFKDͿ�HQ� HV� QLFKW� LQ�der kurzen Zeit.
Welche Brand-Strategie À�QGHQ�6LH�EHVRQGHUV�zeitgemäss?Beispiel ist die japanische
.XOWPDUNH� ©0XMLª�� ZDV� DXI�Japanisch ‹Keine Marke› heisst. Sie haben z.B. diese
schlichten Hefte, die ledig-
lich ein Preisetikett auf der
Rückseite haben. Aber die Menschen behalten
diese Preisetiketten, weil dort Muji draufsteht und
weil das cool ist. Muji wurde somit zu einem sehr
bekannten Brand, der eigentlich kein Brand ist.
Den Kunden gefällt es, weil nicht mehr der Brand
im Zentrum steht, sondern sie selber. Sie entschei-
den, ob sie den Kleber behalten oder nicht, und
kreieren somit ihren eigenen Brand. +
Marketing-Guru Martin Lindstrom schreibt Bestseller da-rüber, warum wir kaufen, was wir kaufen. Der Däne gehört gemäss «Time Magazine» zu den 100 einfl ussreichsten Menschen der Welt. 2015 erscheint sein nächstes Werk.
MARTIN LINDSTROMS BÜCHER
«Brandwashed – Was du kaufst, bestimmen die anderenª. 2012, Campus Verlag, CHF 35.90«Brand Sense – Warum wir starke Marken fühlen, riechen, schmecken, hören und sehen könnenª, 2011, Campus Verlag, CHF 37.90FO
TO: P
D