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Unterschiedliche Quellen, ein Ziel: Heinz Riepshoff ... · 48 die in Seminaren das fachliche Rüstzeug für die Orts- und Familienforschung vermittelt. Geschichte von unten propagierte

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Page 1: Unterschiedliche Quellen, ein Ziel: Heinz Riepshoff ... · 48 die in Seminaren das fachliche Rüstzeug für die Orts- und Familienforschung vermittelt. Geschichte von unten propagierte

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Unterschiedliche Quellen, ein Ziel:

Wege zur Geschichte von Häusern und Menschen Erste Regionaltagung für Berufsforscherund Amateure auf der Diele des Kreismuseums in Syke

Anke Rüpke, IGB, Dörverden

Ihre Leidenschaft brachte siezum erstenmal an einenTisch: Wissenschaftler undLaien, die sich beruflich oderehrenamtlich der Geschichts-forschung verschrieben ha-ben, kamen am Sonnabend,5. November 2005, in Sykezu ihrer ersten Regionalta-gung zusammen. Reichlich40 Gäste ließen sich überden Umgang mit verschie-denen Quellengattungen in-formieren und zu neuen Kon-takten und zur Zusammen-arbeit ermuntern. Ob sie sichnun der Geschichte einesOrts oder ihrer Familie ver-pflichtet fühlen, ein Archivleiten oder einem Projekt indie Vergangenheit folgen:Gemeinsam ist Teilnehmernund Referenten die Begei-sterung für die Forschung. Hausherr Dr. Ralf Vogedingund Initiator Heinz Riepshoffvon der Interessengemein-schaft Bauernhaus teiltensich die Begrüßung. Beidewerteten die Hausforschungals Musterbeispiel für die funktionierende Zu-sammenarbeit zwischen Professionellen undLaien. Der Gastgeber betonte zudem „dasbemerkenswert hohe wissenschaftliche Ni-veau der ehrenamtlichen Forschung zuMensch und Materie in der Region”. Mit derersten Regionaltagung unter dem Titel „Un-terschiedliche Quellen – ein Ziel” wollten siedie Heimatforscher nicht nur an einem Tischversammeln, sondern nach den Worten von

Heinz Riepshoff Kontakte stiften, zum Aus-tausch ermuntern und private und professio-nelle Forscher aus ihrer Zurückgezogenheitholen.Von der gelungenen Zusammenarbeit mitortskundigen Laien wußte Dr. Thomas Schür-mann aus Itzehoe zu berichten. Im Auftragdes Landschaftsverbands Stade hatte er imBereich der ehemaligen Herzogtümer Bre-men und Verden in Ehren gealterte Möbel undHausgeräte in 317 Privatwohnungen und öf-fentlichen Einrichtungen aufgesucht. Dabeierfaßte und dokumentierte er 3.700 kulturge-

schichtlich bedeutsame Objekte, darunter al-lein 640 Schränke und 600 Truhen. Die Erhe-bung wäre nicht denkbar gewesen ohne dieKooperation mit den heutigen Eigentümern.Sie gewährten dem Forscher nicht nur denZugang zu den häuslichen Wertstücken, son-dern lösten auch die Rätsel der geschnitztenInitialen. Mit Hilfe der kundigen Informantenließen sich die Möbel ihren ehemaligen Besit-zern zuordnen und aus der anonymen Ver-

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gangenheit herauslösen. Der promovierteVolkskundler betonte das Prinzip des Gebensund Nehmens. Wenn eine Veröffentlichungvon der Zusammenarbeit zwischen Amateu-ren und Berufsforschern profitiert, muß dasnach Ansicht von Dr. Thomas Schürmannauch für Außenstehende erkennbar sein:„Man darf sich nicht nur zuarbeiten lassen, al-le Beteiligten müssen auch öffentlich in Er-scheinung treten.” Die Ergebnisse seinermühevollen kulturgeschichtlichen Bestim-mung im Elbe-Weser-Territorium sind nach-zulesen („Erbstücke. Zeugnisse ländlicher

Wohnkultur im Elbe-Weser-Gebiet“; hrsg.vom Landschaftsverband Stade, 2002).Für die Ortschronisten sprach Erich Hillmann-Apmann aus Schwarme, der die Entwicklungder Heimatforschung nachvollzog. Er erinner-te an die Schließung der Zwergschulen, durchdie auch die Lehrer aus den Dörfern ver-schwanden. Ihre Aufzeichnungen setzte mei-stens niemand fort, so daß die Heimatpflegeunter der Neuordnung des Schulwesens litt.

Auch die Gebietsreform war der Beschäfti-gung mit der örtlichen Geschichte nicht zu-träglich. Die Dörfer traten alle amtlichen Un-terlagen an die große Verwaltungseinheit ab,„trotz ihrer nicht unberechtigten Sorge, daßdie Akten hier untergehen könnten”. Der Kreis-heimatbund Diepholz stellte sich dieser Ent-wicklung nach seiner Neugründung 1979 ent-gegen. Die Mitglieder unterstützten die Ein-richtung von Archiven in allen Kommunen underfaßten die heimatkundlichen Schriften. Wer über seinen Ort forschen möchte, istnach Ansicht von Erich Hillmann-Apmann gutberaten, wenn er sich zunächst über die poli-tische Zugehörigkeit im Verlauf der Jahrhun-derte informiert. Erst mit diesem Wissen kanndie Aktenrecherche auf die richtigen Bestän-de bezogen werden. Erste Anlaufstelle ist injedem Fall das Staatsarchiv in Hannover, daskostenlos Einsicht in die niedergelegten Do-kumente gewährt. Die Schriftzeugnisse, dieauf Hofstellen und Personen zu beziehen

sind, reichen im allgemeinen bis ins 16. Jahr-hundert zurück. Die Register zu den Besitz-ständen bieten sich als Gerüst für die Nach-forschungen an. Erich Hillmann-Apmannempfahl, auch die Vorkriegszeit nicht aus demGeschichtsbewußtsein auszuklammern:„Auch die Gründung der NSDAP-Ortsgruppesollte nicht ausgelassen werden”. Aus demPlenum kam der Hinweis auf Dr. Angelika Kro-ker, Mitarbeiterin der Universität in Hannover,

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Die beiden Bilder stammen vom Richtfest des er-sten Kirchweyher Konsum-Gebäudes um 1904,daß heute noch – stark verändert – steht. Der Aus-schnitt, noch auf traditionellem Weg in der Dun-kelkammer hergestellt, zeigt nur den Maurerpolierund seine Handlanger. Solche Ausschnittver-größerungen sind eine zusätzliche Quelle für dieHeimatforschung.

Fotos: Archiv Wilfried Meyer, Weyhe

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die in Seminaren das fachliche Rüstzeug fürdie Orts- und Familienforschung vermittelt. Geschichte von unten propagierte auchFriedrich Kratzsch aus Twistringen. MitTonaufzeichnungen ergänzt er die offizielle lo-kale und regionale Geschichtsschreibung umdie persönlichen Geschichten der Betroffe-nen. Über Interviews bemüht sich der Archi-var nachträglich um Informationen, wohl wis-send, daß bereits die Fragen von einer Ab-sicht gelenkt sind und die geschildertenErlebnisse inszeniert sein können: „Ich binkein akkurater Chronist”. Bei aller Subjekti-

vität des Fragesteller und des Gesprächs-partners biete die erzählte Geschichte, „oralhistory”, eine qualitative Ergänzung zu priva-ten und behördlichen Dokumenten. Mit derschriftlichen Übertragung der Ergebnissesollten sich die Interviewer nicht zu viel Zeitlassen. Nicht immer macht sich FriedrichKratzsch die Mühe einer exakten Wiederga-be. Dr. Thomas Schürmann rechnet bei einersorgfältigen Transkription mit acht Stunden

Schreibarbeit nach einem einstündigen Inter-view. Auf den Ton folgte das Bild: Wilfried Meyer,Leiter des Fotoarchivs in Weyhe, spürte denInformationen historischer Fotografien nach.Als Herr über 30.000 Dias, 27.000 Negativeund 5.000 Digitalaufnahmen bemüht er sichdarum, „festzuhalten, was wir können”. Erstrich nicht nur die Bedeutung des Bildes alsInformationsquelle heraus, sondern auch alswirksamste Werbung für jeden Text: „Das Bildweckt unser Interesse und entscheidet, obwir weiterlesen”. Anhand von deutlich geal-

terten Aufnahmen bewies er dem Publikum,welche Einzelheiten noch im Teilausschnitterkennbar gemacht werden können. Er emp-fahl, bei der Archivierung von Fotos nicht zusehr auf die Dauerhaftigkeit der digitalen Me-dienträger zu vertrauen und immer eine dop-pelte Dokumentation anzulegen, sei es übereine interne und externe Festplatte, oder überdie digitale und gedruckte Dokumentation,um Verluste auszuschließen.

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Am Beispiel der Geschichtedieses, inzwischen abgerissenenHauses in Leeste (im BremerUmland), wurde aufgezeigt,daß sich Hausforschung undArchivforschung gegenseitigstützen und ergänzen.

Oben: Rekonstruktion 1557 dUnten: Umbau v. 1854 d(Mai 2005)

Zeichnung: H. Riepshoff

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Bernd Kunze aus Martfeld hat einen anderenWeg der Hausforschung gewählt. Der Gra-phiker stieß beim Fotographieren von Fach-werkgebäuden immer wieder auf den Namendes Zimmermeisters Fiddelke, dem er dannsystematisch nachging. Auf der Suche nachdem Namenszug oder den Initialen fand derGraphiker in Martfeld und umliegenden Dör-fern noch 67 Gebäude, die zwischen 1790und 1866 von Johann Dietrich Fiddelke undseinem Vater errichtet worden sind. BerndKunze dokumentierte und sortierte die De-kors und Inschriften auf Torbogen und Gie-

belschwellen und wertete sie nach Datierung,Verteilung und Häufigkeit aus. Er listete dieangegebenen Richttage auf und suchte nachErklärungen für die ungewöhnliche Baudatie-rung in den Wintermonaten, die sich nicht im-mer mit dem Wiederaufbau nach einemBrand begründen ließ. Manchmal geben diegeritzten Torsprüche auch neue Rätsel auf,wie das Bibelzitat aus dem Buch Jesus Sirach3.11 „Des Vaters Segen baut den KindernHäuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nie-der.” Die Geschichte, die sich hinter diesemHausbau verbirgt, ist bisher ebenso wenigbekannt wie die Biographie der beiden tüch-tigen Zimmermeister aus Tuschendorf. Um Herdwand und Bodenherd ging es Dr. Ul-rich Klages, der sich bei seinen Untersuchun-gen der Unterstützung von Archäologen be-

diente. Noch kurz vor dem Abriß nutzte er dieletzten Tage eines Gebäudes, um Wände zuöffnen und gezielt mittig vor der Herdwand imFlett den Spaten anzusetzen. Anhand der An-ordnung von Pflastersteinen und der Verfär-bungen von Bodenschichten und Wandparti-en konnte er die Lage und Beschaffenheit derHerdstelle nachweisen. Er fand nicht nurMerkmale für den Gebrauch einer vertieftenFeuerstelle, sondern auch für einen ebenerdi-gen und später leicht erhöhten Herdplatz. DerUntergrund lieferte auch bei Grabungen in an-deren Häusern Belege für Standort und Aus-führung der Feuerstelle. Aus fünf Herdstellenübereinander rekonstruierte der Hausfor-scher, daß jeder Neubau über dem altenGrundriß entstand und der Standort für dasFeuer exakt beibehalten wurde. Die Archivforschung kam wider Erwarten andiesem Tag zu kurz. So wie Heinrich Meyeraus Sudwalde mußte sich auch HermannGreve aus Weyhe krankheitsbedingt ent-schuldigen lassen. So schilderten Dr. Ralf Vo-geding und Heinz Riepshoff, ohne den einge-planten Beitrag des Archivars aus Weyhe, amBeispiel des Hofes Kastens/Sengstake inLeeste, wie die Zusammenarbeit von Spezia-listen funktionieren kann. Die Hausgeschich-te lag hinter jungen massiven Außenwändenverborgen, bis dem Bau der Abbruch drohteund die beiden Bauforscher einem Hinweisfolgten. Insbesondere die nahezu quadrati-schen Ständer der Diele weckten die Auf-merksamkeit von Heinz Riepshoff, weil dieseQuerschnitte Indiz für die ältesten Häuser derGegend sind. In einem Schrank der verstor-benen letzten Besitzerin fanden sich zufällignoch Unterlagen, die die Vergangenheit derKötnerstelle erhellten. Mit diesen Ansätzenrecherchierten die drei Männer aus der Per-spektive des Volkskundlers, des Archiv- unddes Hausforschers weiter. So ergab die Den-drochronologie eine Bauzeit um 1575, zu derdas Haus mit einer allseits umlaufenden Küb-bung errichtet wurde. Der Umbau ließ sich für1851 konstatieren, dem sich im nächstenJahrhundert brandbedingt die Errichtungmassiver Außenwände anschloss. Bereits die aktuellen Befunde motivieren diedrei Männer zur Fortsetzung der Arbeiten.Und vielleicht geben sie die Ergebnisse ihrerArbeit bei der nächsten Regionaltagung be-kannt, die Dr. Ralf Vogeding und Heinz Rieps-hoff im Herbst 2006 ansetzen wollen.

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Im links gezeigten Haus stand dieser Schrank voreiner alten Alkoven-Öffnung. In ihm wurden nochwichtige Dokumente zur Hofgeschichte entdeckt.

Foto: H. Riepshoff