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andrologie2, (3) : 117-124 (1970) Eingegangen am 15. Juni 1970 Aus dem Klinikum Steglitz der FU Berlin Urologische und Hautklinik Urogenitale MiBbildungen als Ursache der VerschluB-Aspermie Congenital deformities in aspermic men DCformitCes congCnitales chez malades avec aspermie H. BAUMGARTEL und R. KADEN Bei Fehlen von Spermatozoen und ihren Vorstufen (Aspermie) liegt entweder keine Produktion oder ein Fehler in1 Transportsystem vor. Aus der Praeantibiotika-Zeit sind VerschluB-Aspermien nach postgonorrhoischen Komplikationen als haufigste Ursache fur mannliche Sterilitat bekannt. In den damaligen Veroffentlichungen waren viele dia- gnostische Untersuchungsmethoden entweder noch nicht moglich oder wurden nicht fur erforderlich gehalten, da beim Nachweis einer Aspermie der anamnestische Hinweis auf aine Gonorrhoe im allgemeinen genugte, um die Diagnose einer postgonorrhoischen Verschluflkrankheit zu stellen. Heute hat die Gonorrhoe in der Anamnese nur selten eine atiologische Bedeutung. Mit dem Rustzeug der modernen andrologischen Diagnostik lafit sich eine Aspermie gemai3 ihrer atiopathogenetischen Unterschiede differenzieren. Unter diesen Voraus- setzungen betragt die Haufigkeit eines Verschlusses der samenableitenden Wege unter den Aspermie-Patienten durchschnittlich 15-20 %. Als Ursache der heutigen Verschld- leiden werden in uberwiegender Mehrheit doppelseitige infektiose, entzundliche Ver- anderungen, Kriegs- oder Unfallverletzungen oder iatrogene Operationsschaden sowie Tumoren angegeben. Schatzungsweise 2-4 % der VerschluBaspermie oder etwa 0,5 % aller Aspermien (HEINKE und DOEPFMER [ 19601) werden als kongenitale MiBbildungen der samenableitenden Wege diagnostiziert. Der Anteil lage vermutlich hoher, wenn die Diagnostik bei jeder Aspermie bis zur Abklarung durchgefuhrt werden konnte. Viele Patienten begnugen sich jedoch mit der spermatologischen, allenfalls hodenhistologischen Feststellung einer Infertilitat und lehnen weitere Untersuchungen ab. Hinzu kommt, dat? einerseits derartige Miabildungen in der Regel keine deutlichen subjektiven Erscheinungen verursachen und andererseits ein, wenn auch ungefahrlicher urologischer Eingriff zur Sicherung einer urogenitalen MiGbildung erforderlich ist. Inzwischen ist durch vereinzelte kasuistische Beitrage wiederholt auf derartige MiB- bildungen der mannlichen Geschlechtsorgane hingewiesen worden. Die Ausdehnung und der Grad der SamenleitermiBbildungen sind recht unterschiedlich. Abgesehen vom Ein- fluB auf die Zeugungsfahigkeit ist der Zusammenhang mit Fehlbildungen der Harn- organe auch in anderer Hinsicht von Bedeutung. So kommt es vor, daB eine einseitige Aplasie der Niere erst durch die andrologisch-urologische Diagnostik wegen Fertilitats- storungen bekannt wird. Die Variation der moglichen MiBbildungen sowie die relative Haufigkeit der Kombination mit einer Anomalie des uropoetischen Systems wird aus dem Studium der Embryonalentwicklung des Urogenitaltraktes verstandlich, zumal Fehlbildungen in diesem Bereich mit 30 % an der Spitze aller embryonalen Entwicklungs- storungen stehen. Embryonale Entwidclung: In der menschlichen Embryonalentwicklung treten nacheinander 3 verschiedene Formen der Nierenanlage auf, die Vor-, Ur- und Nachniere. Vor- und Urniere sind rein embryonale Organe, sie bilden sich noch wahrend der Embryonalzeit zuriick. Erst die Nachniere wird zur Dauer-

Urogenitale Mißbildungen als Ursache der Verschluß-Aspermie : Congenital deformities in aspermic men Déformitées congénitales chez malades avec aspermie

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andrologie2, (3) : 117-124 (1970) Eingegangen am 15. Juni 1970

Aus dem Klinikum Steglitz der FU Berlin Urologische und Hautklinik

Urogenitale MiBbildungen als Ursache der VerschluB-Aspermie Congenital deformities in aspermic men

DCformitCes congCnitales chez malades avec aspermie

H. BAUMGARTEL und R. KADEN

Bei Fehlen von Spermatozoen und ihren Vorstufen (Aspermie) liegt entweder keine Produktion oder ein Fehler in1 Transportsystem vor. Aus der Praeantibiotika-Zeit sind VerschluB-Aspermien nach postgonorrhoischen Komplikationen als haufigste Ursache fur mannliche Sterilitat bekannt. I n den damaligen Veroffentlichungen waren viele dia- gnostische Untersuchungsmethoden entweder noch nicht moglich oder wurden nicht fur erforderlich gehalten, da beim Nachweis einer Aspermie der anamnestische Hinweis auf aine Gonorrhoe im allgemeinen genugte, um die Diagnose einer postgonorrhoischen Verschluflkrankheit zu stellen.

Heute hat die Gonorrhoe in der Anamnese nur selten eine atiologische Bedeutung. Mit dem Rustzeug der modernen andrologischen Diagnostik lafit sich eine Aspermie gemai3 ihrer atiopathogenetischen Unterschiede differenzieren. Unter diesen Voraus- setzungen betragt die Haufigkeit eines Verschlusses der samenableitenden Wege unter den Aspermie-Patienten durchschnittlich 15-20 %. Als Ursache der heutigen Verschld- leiden werden in uberwiegender Mehrheit doppelseitige infektiose, entzundliche Ver- anderungen, Kriegs- oder Unfallverletzungen oder iatrogene Operationsschaden sowie Tumoren angegeben. Schatzungsweise 2-4 % der VerschluBaspermie oder etwa 0,5 % aller Aspermien (HEINKE und DOEPFMER [ 19601) werden als kongenitale MiBbildungen der samenableitenden Wege diagnostiziert.

Der Anteil lage vermutlich hoher, wenn die Diagnostik bei jeder Aspermie bis zur Abklarung durchgefuhrt werden konnte. Viele Patienten begnugen sich jedoch mit der spermatologischen, allenfalls hodenhistologischen Feststellung einer Infertilitat und lehnen weitere Untersuchungen ab. Hinzu kommt, dat? einerseits derartige Miabildungen in der Regel keine deutlichen subjektiven Erscheinungen verursachen und andererseits ein, wenn auch ungefahrlicher urologischer Eingriff zur Sicherung einer urogenitalen MiGbildung erforderlich ist.

Inzwischen ist durch vereinzelte kasuistische Beitrage wiederholt auf derartige MiB- bildungen der mannlichen Geschlechtsorgane hingewiesen worden. Die Ausdehnung und der Grad der SamenleitermiBbildungen sind recht unterschiedlich. Abgesehen vom Ein- fluB auf die Zeugungsfahigkeit ist der Zusammenhang mit Fehlbildungen der Harn- organe auch in anderer Hinsicht von Bedeutung. So kommt es vor, daB eine einseitige Aplasie der Niere erst durch die andrologisch-urologische Diagnostik wegen Fertilitats- storungen bekannt wird. Die Variation der moglichen MiBbildungen sowie die relative Haufigkeit der Kombination mit einer Anomalie des uropoetischen Systems wird aus dem Studium der Embryonalentwicklung des Urogenitaltraktes verstandlich, zumal Fehlbildungen in diesem Bereich mit 30 % an der Spitze aller embryonalen Entwicklungs- storungen stehen.

Embryonale Entwidclung:

In der menschlichen Embryonalentwicklung treten nacheinander 3 verschiedene Formen der Nierenanlage auf, die Vor-, Ur- und Nachniere. Vor- und Urniere sind rein embryonale Organe, sie bilden sich noch wahrend der Embryonalzeit zuriick. Erst die Nachniere wird zur Dauer-

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nierc. Im Bcreich der Urnierenfalte erfolgt auch die Anlage der zunachst nicht gcschlcchtsdifferen- ziertcn Keimdriisc. Dicses sog. KeimdriisenfeId grenzt sich bald durch cine mediale und einc laterale Furche gegen den iibrigcn Teil der Urnicrenfalte ab. Von dcn beiden crstcn Nierenanlagen bleibcn nach ihrer Riickbildung lediglich der Vornierengang und das caudale Sechstel der Urnicre crhaltcn. Der Vornicrengang wird durch dcn AnschluB von Urnierenkanalchen zum Urnicrengang, dem WoLFFschen Gang. Die Riickbildung der Urnicre fiihrt zugleich zu ciner Sonderung dcs Ur- niercnrestes in cincn cranialcn (Epigenitalis) und einen caudalen (Paragenitalis) Anteil. Die Urnierenkorperchen der Epigenitalis eriahren etwas spater cbenfalls cine Riickbildung. Die nun blind cndigenden Kanalchen gewinnen etwa im 4. Embryonalmonat Anschlui3 an die bcnachbarte Keimdrusenanlage, an das inzwischen praeformierte rete testis. Aus ihnen cntstehen die ductuli cffcrcntes des Ncbenhodenkopfes, damit fallt dem WoLFFschen Gang die Funktion dcs Samen- leiters zu. Sein hodennahcr Abschnitt erfahrt einc speziellc Diffcrcnzierung und bildct Korper und Schwanz des Nebenhodcns. Der Endabschnitt crweitert sich zur Ampulla ductus deferentis und bildet Samenblase und ductus cjaculatorius.

Das System der harnableitcndcn Wege nimmt seinen Ursprung aus der Ureterknospc, die beim 4-5 mm langen Keimling aus der dorsalen Wand des Urnierenganges aussprogt. Zunachst durch Sprossung und Knospung, spater durch Langsspaltung, entsteht aus der Ureterknospe cine Vicl- zahl von Rohrchen (Sammclrohre), die sich dann in das mesenchymale Nachnierenblastem ein- senken. Die ablcitenden Systeme der Harn- und Genitalorgane sind in ihrcr Entstehung also denkbar eng vcrflochtcn.

Nach KORNFELD ist die fehlende Anlage der samenablcitenden Wcge und die gleichseitigc Aplasie der Niere in der Kombination als mangelhafte Anlage des WoLFFschen Ganges mit Aus- bleibcn des Aussprosscns der Ureterknospe zu deutcn, also als Folge einer friihzeitig stattfindcnden Entwicklungshcmmung. Die isoliertc Hypoplasie oder Aplasie der Niere wird auf eine mangel- hafte odcr fehlende Anlage der Ureterknospe zuriickgefiihrt. Isolierte Samenleiteraplasien sollen auf einer friihen degcnerativen Riickbildung der WoLFFschen Gange infolgc storendcr hormoneller Einfliisse oder mechanisch hemmendcr Faktorcn beruhen.

Ziel der vorliegcnden Mitteilung war es, anhand ciner eigenen Kasuistik von vier einschlagigen Erkrankungen (KADEN u. HAUGE 1969) dicse Zusammenhangc crneut zu verdeutlichen und auf die eventuellen klinischen Konsequenzen hinzuweisen, die sich aus detn andrologischcn Befund einer Samenleiteraplasie oder dem urologischcn Befund der Aplasic ciner Niere ergebcn.

Kasuistik:

Bei den folgenden 4 Patienten handelt es sich ausnahmslos um Ehemanner mit vollig unauffalliger Sexualanamnese. Sie wurden wegen jahrelang primar steriler Ehe trotz dringenden Kinderwunsches andrologisch untersucht.

Fall 1: J. K., 27 J. Andrologischer Befund: Regclrechtc maskuline Differenzierung. TcstikeI gcring verkleinert (3,5 X 2,4 cm). Spermiogramm: p H 6,7; Volumcii 0,22 ml; Zentrifugat: Aspcrmie; Initial- fruktose: 130 Gamma/ml (hochgradig vermindcrt). Genctische Geschlechtsdiagnostik: Maskulincs Kernmuster; Nebenbefund: Pelger’sche Kernanomalie. Harngonadotropine: Unter 15 %/24 Std. 17-Ketosteroide: 17,l mgJ24 Std. (normal). Hodenbiopsie: Normaler reifcr Hodcn mit geringcr Desquamation. Urologischer Befund: Rektal: Protata knapp kastaniengroi3, leicht druckempfindlich, sonst unauf- fallig. Geringcs Exprimat.

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Urogenitale Mii3bildungen und Aspermie 119

Abb. 1 : Ausscheidungs-Urogramm. Nierenaplasie links bei normaler Darstellung von Niere und Harnleiter rechts.

Ro-Ausscheidungs-Urogramm: Nierenaplasie links bei funktionell unauffalligen Verhaltnissen von Niere und Harnleiter rechts. AuffZllige GroRe der rechten Niere, die als kompensatorische Hyperplasie zu deuten ist (Abb. 1). Urethroskopie: Rudimentar ausgebildeter colliculus seminalis Lei unternormal entwickelter Prostata. Bei der operativen Freilegung der Samenstrange konnte beiderseits kein Samenleiter aufgefunden werden.

Fall 2: E. K., 26 J. Andrologischer Befund: Normale maskuline Differenzierung. Genitale o. B. Spermiogramm: pH 6,4; Volumen 5,4 ml; Zentrifugat Aspermic: Initialfruktosc 60 Gammdml (Abb. 2). Gene- tische Geschlechtsdiagnostik: Maskulines Rernmuster. Harngonadotropine: Etwa 15 %I24 Std. 17-Ketosteroide: 10,5 ,1ig/24 Std. (normal) Hodenbiopsie: Reifer Hoden mir normaler Sper- miogenese. Urologischer Befund: Rektal: Prostata etwa kastaniengroi3, gut abgrenzbar, etwas druckschmerz- haft. Kein Exprimat. Ro-Ausscheidungs-Urogramm: Aplasie der linken Niere. Rechtc Niere grog (kompensatorische Hyperplasie), in Form und Funktion normal, zarter Harnleiter.

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~ ~~

I Spermiogramm

Tag Monat Jahr

15 16 17 18 19 20 Datum I I I I I I Zeit Ort

w Tagen Letzter Sarnen- ergui3 vor

Ejakulat Verflussig. Zeit 1x1 min

T s ( I l 3 Volurnen 26 27

PH

Besond. Beschaffenheit wtiBrig

Notivpraparot

Spermien Anzahl

Bewegliche Spermien

Qual. Motilitat

lniiial

Unverhaltnis- maOig verzogerte Fortbewegung

Keine Sperrnatozoen, nur Detritus und Epithelien

+F+ 1 32 33 , QMill/rnl

w 9

-1 ;;b" 5s OIo

%

nach 5 Stunden

schwach (3) nach 5 Stunden

lebhaft (1) rnaOig (2)

Ja (1) Nein (2)

Differential- Sperrniocyto- gramm

Normale

Abnorme

Jugendlich

Senile

Sonstiges Ja (1 ) Nein (2)

v

Sperma- liquor lnitialfruktose

Fruktosever- brauch nach 5 Stunden

im Sediment

Sperrno- togonien

tocyten Sperma- 2 m a 52 53

Sperma- f iEl tiden - 01 .g Rest- korper i c l a 6

Degene- rations- formen

Leukocyten, Epithelzellen 9

1;1-1--1--1 69 70 71 7 y ' rn l 24 llach Stunden 1--1;1-1--1 y f m l

Abb. 2: Typisches Sperrniogramm bei beidseitiger Sarnenleiteraplasie.

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Urogenitale Mifibildungen und Aspermie 121

Operative Freilegung der Samenstrange: Links kein ductus deferens auffindbar. Rechts zarter Samenleiter, der sich zur direkten Rontgen-Kontrastdarstellung kaniilieren last. Der Samenleiter zeigt jedoch in seiner ganzen Lange nur cine lichte Weite von etwa Stecknadeldicke. Unter erheb- lichem Injektionsdruck lafit sich die Samenblase niit Kontrastmittel auffiillen. Das Kontrastmittel tel lauft aber nicht in die Harnrohre ab (Abb. 3). Keine urethroskopischc Untersuchung.

Abb. 3 : Vesiculogramm. Rechts: Stenose des Ductus deferens und Atresie des Ductus ejaculatorius. Links: Ductus deferens nicht darstellbar, da Aplasie.

Fall 3:

Andrologischer Befund: Mannlicher Behaarungstyp, normale maskuline Differenzierung. Genitale: Augerlich unauffallig. Konsistenz und Groi3e der Testes normal. Deutlich indurierte und druck- schmerzhafte Nebenhodenkopfe beiderseits. Spermiogramm: p H 6,4; Ejakulatmenge 1,l ml; Zentrifugat Aspermie; Initialfruktose negativ. 17-Ketosteroide: 14,4 mg/24 Std. (normal). Hoden- biopsie: Reifer Hoden mit etwas vermehrter Desquamation. Urologischer Befund: Rektal: Prostata kleinkastaniengrofi, im Zentrum teigig, beiderseits etwas verwachsen. Leicht druckschmerzhaft. Kein Exprimat. Ro-Ausscheidungs-Urogramm: Lage und Grofie beider Niercn unauffallig. Normalfunktion beiderseits. Ungestorte Abflufiverhaltnisse. Urethroskopie: Prostatische Harnrohre unauffallig, normal angelegter colliculus seminalis. Bei der operativen Freilegung beider Samenstrange konnte beiderseits kein Ductus deferens auf- gefunden werden.

J. J., 31 J.

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Fall 4: L. R., 37 J. Andrologischer Befund: Normale maskuline Differcnzierung. Gcnitalc 0.13.; Spermiogramm: p H 6,7; Volumen 0,6 ml; Sediment Aspermie; Initialfruktose 125 Gammaiml. Hodcnhistologie: Reifer Hoden rnit ungestorter spermiogcnetischer Aktivitat, geringe Dcsquamation. UroIogischer Befund: Prostata normal grog, leicht druckempfindlich, sonst kcine Auffilligkeiten. Kein Exprimat. Ro-Ausscheidungs-Urogramm: Morphologisch und funktionell unauffallige Vcrhaltnisse im Be- reich der Nierc und HarnIeiter. Operative Frcilegung der Samenstrange: Beidcrseits Ductus deferens nicht nachwcisbar. Ncben- hoden vorhanden.

Die vier Patienten, die jeweils wegen der durch die erste Ejakulatuntersuchuiig fest- gestellten Aspermie einer weiteren Diagnostik unterzogen wurden, boten sehr verschie- dene anatomische Befunde: Fall 1: Fall 2:

Fall 3 + 4:

Aplasie beider Samenleiter + Aplasie der linken Niere. Aplasie des linken und hypoplastische Anlage des rechten Samenleiters mit Atresie des Ductus ejakulatorius + Aplasie der linken Niere. Aplasie beider Samenleiter, jedoch keine Fehlbildungen im Bereich der Harnorgane.

Spermatologie bei Samenleiteraplasie

Prozesse, die sich auf iiur eine Seite beschraiiken, lassen sich bei der Ejakulatunter- suchung entweder gar nicht erkenneii oder lediglich durch quantitative Verminderung bei auffallig guter Qualitat der Einzelfaktoren uermuten. Bei beidseitigen Prozessen, gleich, ob der Verschlufi auf Entziindungen, Traumen, Tumoren oder Mifibildungen zuruckzufuhren ist, niufi eine Aspermie als obligater sperrnatologischer Befund vorliegen. I m Ejakulatsediment diirfen sich weder Spermatozoen noch Zellen der Spermiogenese finden lassen. Die Ausdehnung der Aplasie bzw. des Verschlusses kann durch weitere Ejakulatuntersuchung, wie Wasserstoffionenkonzentration, Initialfruktose und Volumen naher abgeklart werden. Bei einer beidseitigen Aplasie der Samenleiter sind nicht nur die Fraktionen aus den Hoden und Nebenhoden, sondern auch aus den Samenblaschen durch Abflufibehinderung ausgesperrt, so dai3 das Ejakulat in diesen Fallen vornehmlich aus Prostatasekret mit unbedeutenden Beimengungen aus akzessorischen Geschlechts- driisen besteht. Da das Prostatasekret sauer ist, bestimmt es als dominierender Faktor eines derartigen Ejakulates den pH-Wert, der vom iiblichen leicht alkalischen Normal- wert abweicht und auffallig auf 6,3 bis 6,5 ubergeht. Durch das Fehlen der voluminosen Sanienblasenfliissigkeit mit ihrem Fruktosegehalt fallt in der Regel das Ejakulatvolumen auf 0,5-1,O ml und die Initialfruktose auf extrem niedrige, kaum mefibare Merte.

Aspermie, saurer pH-Wert, auffallig geringes Ejakulatvolumen und extrem niedrige Initialfruktose sind zwar charakteristische sperniatologische Befunde bei beidseitiger Samenleiteraplasie, jedoch beweisen sie eine derartige Mifibildung noch nicht. Andere pathologische Zustande wie Funktionsuntauglichkeit der Blaschendriisen oder Verschlufi des Ductus excretorius beiderseits in Verbindung mit volligem Ausbleiiben der Sperniio- genese-Depopulation oder progrediente Fibrosis testis - sowie unvollstandige Ejakula- tioii durch funktionclle Hemmungen siiid die bekannteszen andrologischen Krankheiten, die dieselben spermatologischen Charakteristika aufzuweisen haben. Aus den Einzel- faktoren der Ejakulatuntersuchungeii lai3t sich eine beidseitige Samenleiteraplasie zwar vermuten, aber nicht rnit Sicherheit beweisen. Aufier der woht selbstverstandlichen

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Urogenitale Miabildungen und Aspermie 123

Hodenbiopsie zum Nachweis spermatologischer Produktivitat sind vor allem diagnosti- schc urologische Eingriffe zur r'jntgenologischen Darstellung der samenleitenden Wege erforderlich.

Urolagie bei Samenleiteraplasie

Wie bereits eingangs angedeutet, sollte auch bei den1 urologischen oder andrologischen Befund der Fehlanlage eines Organs eine entsprechende weitere Untersuchung ver- anlaat werden, um eventuelle kombinierte Fehlbildungen nachzuweisen. Unter der spe- ziellen aktuellen Fragestellung ware ein solcher Nachweis zunachst nur ein Nebenbefund. Er koniite jedoch ini spateren Lebensverlauf des Patienten durchaus einmal klinische Bedeutung erlangen.

Die Kenntnis der speziellen anatomischen Gegebenheiten im Bereich der samen- ableitenden Wege ermoglicht allein die Indikationsstellung zu einer eventuellen Refer- tilisierungsoperation. Weitere Voraussetzung ist natiirlich der hodenbioptische Nach- weis einer intakten Spermiogenese. Die chirurgischen Moglichkeiten und Erfolge sind zwar noch sehr begrenzt, sie stellen jedoch im Falle der Verschluflaspermie die einzige therapeutische Konsequenz iiberhaupt dar. Die Operationsplanung kann jeweils nur sehr individuell erfolgen.

KLOSTERHALFEN, KLEIN und SCHIRREN (196s) teilen einen FaILmit, bei dem auf der rechten Seite ein bis unmittelbar vor dem Hoden normal gebildeter Samenleiter und ein normaler Hoden angelegt waren, jedoch fehlte der Nebenhoden. Auf der linken Seite waren Hoden und Nebenhoden normal ausgebildet, es fehlte der Ductus deferens. In diesem Palle war die Indikation zu einer gekreuzten Plastik - Anastomose des rechten Samenleiters mit dem linken Nebenhoden - gegeben.

Bei vorhandenem Nebenhodenkopf hat SCHOYSMAN (1969) kiirzlich die Anlegung einer kiinstlichen Spermatocele niit Hilfe eines Vena-saphena-Transplantates angegeben. Durch Punktion des als Spermiensammelort dienenden Sackes sol1 sich Sperma zu homologen Inseminationen gewinnen lassen. Erfahrungsgemafi ist die Konzeptionschance bei derartigen Verfahren recht fraglich, da das Punktionssperma nicht den biologischen und chemischen Anspriichen eines befruchtungsfahigen Ejakulates entspricht. Seit einigen Jahren sind daher Versuche im Gange, durch geeignete Zusatze oder Aufbereitungs- methoden (SCHIRREN und Mitarb., 1969) die Qualitat mangelhafter Samengiite derart zu verbessern, da13 homologe Inseminationen Aussicht auf Erfolg haben.

Zusammenfassung

An H a n d von 4 kasuistischen Mitteilungen iiber Aspermie durch beidseitige Samen- leiteraplasie ist die andrologische und urologische Symptomatologie urogenitaler Mi& bildungen beschrieben worden. Durch Kombination mit Nierenanomalien wird auf die urologische Bedeutung der diagnostischen Abklarung von Aspermien hingewiesen, zumal eine Fertilitatsuntersuchung haufig der primare Anlai3 ist, der zur Erkennung einer Miabildung des uropoetischen Systems fiihrt.

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Summary

Four case reports 'on Aspermria due to aplasia of the ductus defarens on both sides; attention is called to the typical symptoms in the various forms of this congenital deformity. As these deformities are known to be combined sometimes with further anomalies, such as the formation of only one kidney, even uiinoticed to the patient, the diagnosis in cases of Aspermia should carefully cleared up.

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Anschrift: Dr. med. H. Baumgartel und Prof. Dr. med. R. Kaden, Klinikum Steglitz der Freien Universitat Berlin. 1 Berlin 45, Hindenburgdamm 30.

andrologie 2, Heft 3 (1970)