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JOACHIM WIEMEYER Ursachen und Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung Ökonomische Globalisierung ist gekennzeichnet durch die Zunahme wirtschaftlicher Verflechtungen zwischen verschiedenen Volkswirt- schaften. Sie äußert sich konkret in dem steigenden Austausch von Gütern und zunehmend auch von Dienstleistungen, schnell wachsenden Transaktionen auf internationalen Finanzmärkten, also den Devisen- märkten und dem internationalen Börsenhandel von Wertpapieren (Aktien, Anleihen) sowie neuen Finanzinstrumenten (Optionen, Deri- vaten etc.), der steigenden Zahl transnationaler Unternehmen mit einem hohen Volumen von Direktinvestitionen außerhalb ihrer Mutterländer sowie wachsenden Migrationsströmen vor allem qualifizierter Arbeits- kräfte. Diese Prozesse wecken Hoffnungen, rufen aber auch Ängste und Gefühle der Bedrohung hervor. Die Hoffnungen erstrecken sich darauf, dass freie Märkte für Güter und Dienstleistungen, für Kapital, freie Un- ternehmensniederlassungen etc. das globale Wirtschaftswachstum stei- gern und so die ökonomische Entwicklung in vielen Teilen der Erde vorantreiben werden. Globalisierung ist aus dieser Sicht ein Positiv- Summen-Spiel, von dem alle profitieren können, die daran teilhaben wollen und sich an die Spielregeln halten. Es bieten sich Chancen für einen Aufholprozess von Entwicklungsländern und damit für eine er- folgreiche Armutsminderung. Ebenso können Industrieländer von der Globalisierung profitieren, weil sich für sie neue Märkte in erfolgrei- chen Entwicklungsländern, nun neuindustrialisierten Ländern, auftun. Diese positive Sicht wird vor allem von der liberalen Nationalökonomie vertreten, die seit ihrer Begründung durch Adam Smith im freiem Han- del nicht nur ein Instrument zur Wohlfahrts steigerung, sondern auch zur Friedenssicherung gesehen hat.! Da es sich bei ökonomischen Ver- flechtungen zwischen verschiedenen Volkswirtschaften um kein neues Phänomen handelt, über diese Verflechtungen, ihre Voraussetzungen sowie Auswirkungen seit Jahrzehnten eine breite volkswirtschaftliche Literatur existiert und die neuere Entwicklung positiv eingeschätzt wird, gibt es wenig spezielle ökonomische Publikationen zum Thema I Vgl. Carl Christian von Weizsäcker, Logik der Globalisierung, Göttingen 1999, 48ff. u. 128ff. 51

Ursachen und Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung

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Page 1: Ursachen und Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung

JOACHIM WIEMEYER

Ursachen und Konsequenzen der ökonomischenGlobalisierung

Ökonomische Globalisierung ist gekennzeichnet durch die Zunahmewirtschaftlicher Verflechtungen zwischen verschiedenen Volkswirt-schaften. Sie äußert sich konkret in dem steigenden Austausch vonGütern und zunehmend auch von Dienstleistungen, schnell wachsendenTransaktionen auf internationalen Finanzmärkten, also den Devisen-märkten und dem internationalen Börsenhandel von Wertpapieren(Aktien, Anleihen) sowie neuen Finanzinstrumenten (Optionen, Deri-vaten etc.), der steigenden Zahl transnationaler Unternehmen mit einemhohen Volumen von Direktinvestitionen außerhalb ihrer Mutterländersowie wachsenden Migrationsströmen vor allem qualifizierter Arbeits-kräfte. Diese Prozesse wecken Hoffnungen, rufen aber auch Ängste undGefühle der Bedrohung hervor. Die Hoffnungen erstrecken sich darauf,dass freie Märkte für Güter und Dienstleistungen, für Kapital, freie Un-ternehmensniederlassungen etc. das globale Wirtschaftswachstum stei-gern und so die ökonomische Entwicklung in vielen Teilen der Erdevorantreiben werden. Globalisierung ist aus dieser Sicht ein Positiv-Summen-Spiel, von dem alle profitieren können, die daran teilhabenwollen und sich an die Spielregeln halten. Es bieten sich Chancen füreinen Aufholprozess von Entwicklungsländern und damit für eine er-folgreiche Armutsminderung. Ebenso können Industrieländer von derGlobalisierung profitieren, weil sich für sie neue Märkte in erfolgrei-chen Entwicklungsländern, nun neuindustrialisierten Ländern, auftun.Diese positive Sicht wird vor allem von der liberalen Nationalökonomievertreten, die seit ihrer Begründung durch Adam Smith im freiem Han-del nicht nur ein Instrument zur Wohlfahrts steigerung, sondern auchzur Friedenssicherung gesehen hat.! Da es sich bei ökonomischen Ver-flechtungen zwischen verschiedenen Volkswirtschaften um kein neuesPhänomen handelt, über diese Verflechtungen, ihre Voraussetzungensowie Auswirkungen seit Jahrzehnten eine breite volkswirtschaftlicheLiteratur existiert und die neuere Entwicklung positiv eingeschätztwird, gibt es wenig spezielle ökonomische Publikationen zum Thema

I Vgl. Carl Christian von Weizsäcker, Logik der Globalisierung, Göttingen 1999, 48ff. u.128ff.

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a_wolt06
Schreibmaschinentext
JCSW 41 (2000): 051–073, Quelle: www.jcsw.de
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»Globalisierung«.2 Demgegenüber werden in sozialwissenschaftlichenund populärwissenschaftlichen Publikationen3 vorwiegend Befürchtun-gen und Ängste artikuliert: In dieser negativen Sicht gelten sowohl dieBevölkerungsmehrheit in Industrieländern wie auch die meisten Ent-wicklungsländer als Globalisierungsverlierer. Gewinner könnten allen-falls eine kleine Anzahl von weltweit agierenden Großkonzernen (vorallem deren Management und Anteilseigner) sein, die in ihrem Markt-segment die Märkte beherrschen. In Industrieländern drohe die zuneh-mende Konkurrenz von Standorten mit deutlich niedrigeren Arbeits-und Umweltkosten und die Möglichkeit der Gewinnverlagerungen inNiedrigsteueroasen, einen Druck auf Löhne, den Sozialstaat und Um-weltstandards auszuüben sowie einen Abbau der Staatstätigkeit zu er-zwingen, so dass es für die Bevölkerungsmehrheit zu einer Verschlech-terung der Lebensbedingungen kommt.In den Entwicklungsländern, in denen »Globalisierung« als Negativ-szenario und Sündenbock an die Stelle der zutiefst pessimistischen Kon-zeptionen der »Dependenztheorien« der 70er und 80er Jahre getretenist\ wird hingegen befürchtet, dass die technologischen Vorsprunge derwestlichen Industrieländer und die Macht der dort ansässigen Industrie-konzerne, Dienstleistungsunternehmen, Banken, Versicherungen etc.Aufholprozesse unmöglich machen. Auf Grund ihrer schwachen öko-nomischen Leistungsfähigkeit, der wenig produktiven Wirtschaften, derhohen Anforderungen an den strukturellen Wandel in Zeiten technolo-gischer und organisatorischer Innovationen weltweit vernetzter Unter-nehmen etc. fielen sie weiter zurück. Die Abstände zwischen den hochentwickelten Industrieländern und den meisten Entwicklungsländernwürden sich weiter vergrößern. Allenfalls eine kleinere Zahl von Ent-wicklungsländern besitze die Chance zu einer erfolgreichen nachholen-den Entwicklung. Die Globalisierung erscheint also als eine neue Be-drohung, die viele Perspektiven für eine wirtschaftliche und soziale Ent-wicklung untergräbt.Vor einer Analyse, ob eher die Hoffnungen oder die Bedrohungen zu-treffend sind, soll in einem ersten Schritt gefragt werden, ob es sich bei

2 Vgl. Aloys Prinz / Hanno Beck, Politische Ökonomie der Globalisierung, in: Aus Poli-tik und Zeitgeschichte B 23/99 v. 4.6.99,11-16, hier 16.

3 Vgl. etwa Hans-Peter Martin / Harald Schumann, Die Globalisierungsfalle, Reinbekbei Hamburg 1996; Die Gruppe von Lissabon, Grenzen des Wettbewerbs. Globalisie-rung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit, München 1997.

4 Vgl. Klaus Gottwald / Hans-Rimbert Hemmer, Entwicklungsländer im Zeitalter derGlobalisierung: Regionale Trends und wirtschaftspolitische Empfehlungen, Entwick-lungsökonomische Diskussionsbeiträge Nr. 26, Gießen 1998, 1.

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der ökonomischen Globalisierung um ein neues Phänomen handelt. ImAnschluss daran werden die Ursachen der Globalisierung skizziert,dann die Konsequenzen für Industrie- wie Entwicklungsländer be-schrieben. Abschließend wird auf politische Gestaltungsnotwendigkei-ten des Globalisierungsprozesses hingewiesen.

I. GLOBALISIERUNG - EIN NEU ES WELTWIRTSCHAFTLICHES PHÄNOMEN?

1. Internationaler Handel und Kapitalverkehr als alte Erscheinung

Internationale Handelsbeziehungen sind prinzipiell ein altes Phänomen,das es bereits in der Antike gegeben hat. Auch im Mittelalter gab esHandelsbeziehungen, die teilweise durch einen entsprechenden Städte-bund (Hanse) organisiert wurden. Das Zeitalter der Entdeckungen undanschließender Eroberungen ab dem Ende des 15. Jahrhunderts war zu-nächst motiviert durch den Wunsch, neue Handelswege nach Indien zufinden. Im Gefolge des Kolonialzeitalters breiteten sich erstmals in derMenschheitsgeschichte Handelsbeziehungen weltweit aus. So investier-ten auch deutsche Handels- und Finanzhäuser bereits im 16. Jahrhun-dert in Südamerika. Dabei versuchten die großen Kolonialmächte imZeitalter des Merkantilismus diesen Handel politisch zu kontrollierenund für die nationale Volkswirtschaft dienstbar zu machen. Dazu dien-ten Einfuhrverbote, die Ausfuhrförderung, Vorschriften über die Nut-zung einheimischer Schiffe, die Festlegung bestimmter Häfen für denüberseeischen Handel etc. SmithS griff dieses Konzept an und plädierteim Interesse des »Wohlstandes der Nationen« für einen freien Welthan-del. Nachdem die bewaffneten Konflikte im Umfeld der FranzösischenRevolution (Kontinentalsperre Napoleons) den Handel beschränkt hat-ten, kam es im 19. Jahrhundert zur politischen Durchsetzung eines rela-tiv freien Handels. Die bereits damals absehbare Bedeutung der interna-tionalen Verflechtungen unterstrichen Karl Marx und Friedrich Engels1848 im Kommunistischen Manifest.6

5 Vgl. Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, München 1978.6 Karl Marx / Friedrich Engels, Werke, Bd. 4, Berlin 1972, 465f.: »Die Bourgeoisie hat

durch die Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länderkosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalenBoden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industriensind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durchneue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage aller zivilisierten Nationen wird,durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegenstenZonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikat nicht nur im Land selbst,sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden.«

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Währungspolitisch war eine Voraussetzung dafür, dass die wichtigstenStaaten ihre Währung an das Gold gebunden hatten, was eine stabilitäts-orientierte Geldpolitik erzwang.' In dieser Phase gründeten auch vieledeutsche Unternehmen erstmals Auslandsniederlassungen in größeremUmfang. Ebenso kam es schon zu internationaler Kreditvergabe. So warder schnelle wirtschaftliche Aufstieg der USA auf eine hohe Auslands-verschuldung und eine hohe Zuwanderung zurückzuführen. DiesePhase ökonomischer Liberalisierung - die etwa durch die Schutzzoll-politik Bismarcks zu Gunsten der Großagrarier Gegenbewegungen aus-löste - dauerte bis zum 1. Weltkrieg und brachte vielen europäischenLändern und den USA, aber auch vielen Staaten in Lateinamerika einenerheblichen ökonomischen Aufschwung. So gehörte Argentinien 1914nach dem Pro-Kopf-Einkommen zu den fünf reichsten Ländern derErde8

, gleichauf mit Deutschland und noch vor der Schweiz.Der 1. Weltkrieg brachte ein Ende dieser Entwicklung, weil Kriegsgeg-ner die gegenseitigen Handelsbeziehungen unterbanden, die Tilgungvon Auslandsanleihen einstellten, Auslandsvermögen der Feindstaatenbeschlagnahmten, den Eintausch von Papiergeld in Gold aussetzten,den Kapitalverkehr Beschränkungen unterwarfen etc. Nach Ende desKrieges kamen die weltwirtschaftlichen Beziehungen nur sehr zögerlichwieder in Gang. Sie brachen fast völlig während der Weltwirtschafts-krise nach 1929 zusammen, als die einzelnen Länder ihre Binnenmärktedurch sich wechselseitig aufschaukelnde Importrestriktionen schützenwollten, letztlich aber einen irrationalen Prozess kollektiver Selbstschä-digung einleiteten. Nachdem sich nach 1917 bereits die Sowjetunion mitihrer eigenständigen Wirtschaftsordnung von der Weltwirtschaft abge-sondert hatte, schotteten Deutschland, Japan sowie Italien sich im Rah-men ihrer Kriegsvorbereitungs- und Expansionspolitik bewusst von be-stimmten Märkten ab. Das Ausmaß des internationalen Handels wardaher bis zum Beginn des 2. Weltkrieges - gemessen am Niveau vor1913 - gering.Schon während des 2. Weltkrieges legten die USA in den Konferenzenvon Bretton Woods 1944 ein Konzept einer liberalen Neuordnung der

7 Vgl. Wim Kösters, Globalisierung: Anmerkungen zu ausgewählten ökonomischenAspekten, in: Rolf Eschenburg / Martin Dabrowski (Hrsg.), Konsequenzen der Globa-lisierung, Ökonomische Perspektiven für Lateinamerika und Europa, Münster 1998,375-384, hier 377.

8 Vgl. Art. Argentinien, in: Lexikon der Dritten Welt, Reinbek b. Hamburg 1993, 53-58.

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Weltwirtschaft für die Nachkriegszeit vor.9 Es sollte das kriegszerstörteEuropa wieder aufgebaut, die internationalen Handelsbeziehungen an-geregt und die Konvertibilität der Währungen schrittweise wieder her-gestellt werden. Für diese drei Aufgaben waren die Weltbank, der Inter-nationale Währungsfonds (IWF) und die Internationale Handelsorgani-sation (ITO) vorgesehen. Die Realisierung letzterer scheiterte amWiderstand des US-Kongresses, so dass nur ein Teil des !TO-Projekts,das vorläufige Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) von1947, in Kraft trat. In Konkurrenz zu diesem marktwirtschaftlich orien-tierten Konzept westlicher Industrieländer entwickelte sich unter Füh-rung der UdSSR der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW).Einige Entwicklungsländer lehnten sich an das westliche, andere an dasöstliche System an. Die Mehrheit der Entwicklungsländer wollte sichaber von beiden Systemen fern halten und als »Dritte Welt« jenseits die-ser zwei Welten eigenständige »dritte Wege« der wirtschaftlichen undsozialen Entwicklung einschlagen. Vor allem durch das Scheitern ver-schiedener Varianten dieser »dritten Wege« ist erst die Negativbezeich-nung von »Dritter Welt« als Problemländer der Weltgemeinschaft ent-standen.lo In der Nachkriegszeit kam es zu einer schrittweisen Liberali-sierung des Handels durch verschiedene Welthandelsrunden des GATT,in denen jeweils Zollerleichterungen vereinbart wurden. Später noch alsdie Regulierung des Handels wurden auch die Kapitalverkehrskontrol-len gelockert und in der Folge bei Industrieländern ganz aufgehoben.Der Welthandel expandierte stärker als die Weltproduktion und war da-mit ein Motor der weltwirtschaftlichen Entwicklung der Nachkriegs-zeit. Aber erst in den 70er Jahren lagen - gemessen am Außenhandels-anteil des Bruttosozialprodukts - die meisten Industrieländer wiederauf dem Niveau vor Ausbruch des 1. Weltkrieges.ll Auch die Finanz-transaktionen zwischen Industrieländern nahmen zu. Aber bis zum Be-ginn der 80er Jahre unterlagen wichtige Währungen (z. B. britischesPfund, französischer Franc) noch starken Regulierungen, so dass auchauf Kapitalmärkten die ökonomischen Verflechtungen erst wieder dasNiveau vor dem 1. Weltkrieg erreichten. Ebenso reglementierten vieleLänder ausländische Investoren stark in ihren Ländern, so weit sie diese

9 Vgl. Wolfram Fischer, Internationale Ordnungssysteme unter den Bedingungen einerHegemonialmacht, in: Wilhelm Korff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftsethik,Bd. 2, Gütersloh 1999,418-433, hier 428f.

10 Vgl. zur Begriffsgeschichte: Dieter Nahten / Franz Nuscheler, »Ende der Dritten Welt«in: dies. (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. 1, 14-30.

11 Vgl. Kösters, 37Sf. (Anm. 7).

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überhaupt zuließen. Diese Restriktionen wurden nur langsam liberali-siert.Neben den kommunistischen Ländern, die fast ein Drittel der Welt-bevölkerung umfassten, verfolgten auch viele Entwicklungsländer einevom Weltmarkt abgewandte Entwicklungsstrategie als »autozentrischeEntwicklung« oder »importsubstituierende Industrialisierung«, die ineine »Stagnationsfalle« führte.12 Hingegen nahmen die ökonomischenVerflechtungen zwischen den OECD-Ländern immer stärker zu.Wenn ein Verflechtungszusammenhang der Weltwirtschaft in den 80erJahren erst wieder den Stand von 1913 erreichte, stellt sich die Frage,weshalb von einer »Globalisierung« der internationalen Wirtschafts be-ziehungen erst in den letzten Jahren die Rede ist? Handelt es sich ummehr als die schrittweise Liberalisierung seit dem Beginn der 50er Jahre,ist die internationale Verflechtung anders als in der Zeit vor dem 1. Welt-krieg? Was sind zentrale Merkmale der gegenwärtigen ökonomischenGlobalisierung?

2. Neue Aspekte der gegenwärtigen Globalisierung

Die weltwirtschaftlichen Verflechtungen am Ende des 20. Jahrhundertsweisen im Unterschied zum Beginn des Jahrhunderts einige wichtigeMerkmale auf, die dazu berechtigen, von der Globalisierung als einerneuen Phase der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu sprechen.

a) Weitgehende HandelsliberalisierungNach Abschluss der Uruguay-Runde des GATT 1994 und der Grün-dung der World Trade Organization (WTO) gibt es in wichtigen Pro-duktbereichen zwischen Industrieländern faktisch keine Zölle oder an-dere Handelsbeschränkungen mehr.13 Demgegenüber ist aber der Han-del zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nach wie vor, wennauch mit abnehmender Tendenz, von erheblichen Handelsbeschränkun-gen betroffen.14 Der Handel zwischen Industrieländern ist überwiegendintraindustrieller Handel, d. h. es werden identische Produkte zwischenzwei Ländern ausgetauscht, z. B. deutsche PKW nach Frankreich, fran-zösische PKW nach Deutschland.'s Damit wird die Angebotsvielfalt für

J2 Dirk Messner (Hrsg.), Lateinamerika: der schwierige Weg in die Weltwirtschaft, INEFReport, 26, Duisburg 1998, 53.

13 Vgl. Gottwald I Hemmer, 2 (Anm. 4).14 Vgl. am Beispiel der EU: ]oachim Wiemeyer, Europäische Union und weltwirtschaft-

liche Gerechtigkeit, Münster 1998, 85H.15 Vgl.]örg Beyfuß u. a., Globalisierung im Spiegelvon Theorie und Empirie, Köln 1997,16.

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Konsumenten erhöht. An diesem intraindustriellen Austausch beteili-gen sich zunehmend auch neuindustrialisierte Länder (z. B. Südkorea),so dass in vielen Produktbereichen die Anzahl der anbietenden Ländergestiegen ist. Demgegenüber ist der interindustrielle Handel zurückge-treten, bei dem Güter getauscht werden, die in dem jeweils anderenLand nicht verfügbar sind (z. B. Rohstoffe aus Entwicklungsländern ge-gen Industriegüter aus Industrieländern). Der interindustrielle Handelwar die klassische Form des internationalen Güteraustausches vor 1913.Seit 1995 spielt sich der internationale Handel unter dem Regime derWTO ab. Hier gibt es erstmals in der Geschichte des Welthandels eineinternationale Organisation, die Handelsstreitigkeiten zwischen betei-ligten Ländern in einem rechtsförmigen, unparteiischen Schiedsverfah-ren schlichtet.

b) Dienstleistungshandel

Traditionell konzentrierte sich der Handelsaustausch auf Güter, wäh-rend Dienstleistungsmärkte (z. B. Verkehr, Tourismus, Finanzdienst-leistungen, Unternehmensberatungen) stark reguliert und die heimi-schen Märkte entsprechend geschützt waren. Der Austausch vonDienstleistungen hat in den letzten Jahrzehnten aber stärker zugenom-men als der Warenhandel.!6 Der Dienstleistungsbereich ist erstmals auchin das Regelwerk der WTO aufgenommen worden.

c) Regionalisierung der Weltwirtschaft

Auch zu Beginn des Jahrhunderts war internationaler Handel häufig ineinen regionalen Block integriert. Dies waren aber die Wirtschafts-blöcke der großen Kolonialreiche. Heute dominieren in der Weltwirt-schaft freiwillige Zusammenschlüsse souveräner Staaten auf der Basisder Gleichberechtigung wie die EU, die nordamerikanische Freihan-delszone (NAFTA), die südamerikanische Handelsgemeinschaft (Mer-cosur).!7

d) Multinationale Unternehmen!8

Zwar hat es schon lange Unternehmen mit Produktionsstätten undHandelsniederlassungen jenseits ihres Sitzlandes gegeben. Diese Unter-

16 Vgl. Beyfuß u. a., 16f. (Anm. 15).17 Vgl. Ralf Langhammer, Regionale Ordnungssysteme, in: Korff u. a. (Hrsg.), 453-468

(Anm.9).18 Vgl. Hemmer / Gottwald, 13 (Anm. 4).

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nehmen hatten aber eine eindeutige nationale Identität. In der Gegen-wart kommt es zu internationalen Zusammenschlüssen (z.B. Daimler-Chrysler), bei denen sich Unternehmen aus verschiedenen Ländern mitverschiedenen Traditionen und Unternehmenskulturen verbinden.19

Ebenso ist der Kreis der Aktionäre dieser Firmen international zusam-mengesetzt. An die Stelle früherer Kennzeichen wie "Made in Ger-many« tritt nun der Markenname einer internationalen Firma. Trans-nationale Konzerne organisieren ca. ein Drittel des Welthandels als kon-zerninternen Handel20 und sind an einem weiteren Drittel beteiligt. DieAnzahl trans nationaler Konzerne wird auf 45.000 mit 250.000 Unter-nehmen und Tochtergesellschaften geschätzt. Neben der Gründung vonAuslandsniederlassungen, dem Aufkauf von Unternehmen in fremdenLändern werden auch strategische Allianzen geschlossen, d. h. Partner-schaftsabkommen zur Organisation weltweiter Angebote, z. B. zwi-schen verschiedenen Fluglinien. Transnationale Unternehmen könnenihre Geschäfte rund um die Uhr ablaufen lassen, z. B. indem Arbeitsauf-gaben für Ingenieure über ein PC-Netz jeweils an weitere Standorte inanderen Zeitzonen weitergereicht werden. An ihren jeweiligen Stand-orten nutzen transnationale Konzerne ein breites Geflecht an Zuliefe-rern, so dass für einzelne Produktteile jeweils die günstigste Bezugs-quelle herangezogen werden kann.

e) Verflechtung internationaler Finanzmärkte

Devisen, Aktien, Anleihen, aber auch andere Wertpapiere (Options-scheine) werden auf globalen Finanzmärkten rund um die Uhr gehan-delt. Denn wenn die Börsen in Europa schließen, öffnen die Börsen inNordamerika. Wenn diese schließen, beginnt wiederum der Börsenhan-del in Asien usw. Der Umfang der Devisentransaktionen hat sich weit-gehend von realen Transaktionen (Handelsverkehr, Finanzierung vonDirektinvestitionen) entfernt und ein Vielfaches an Volumen erreicht.Da alle wichtigen Marktteilnehmer unmittelbar mit dem Börsenhandelverbunden sind, können sie auf neue Nachrichten sofort reagieren. Diesführt dazu, dass es auf Finanzmärkten große kurzfristige Kursschwan-kungen (Volatilität) gibt, die nicht durch realwirtschaftliche Vorgängegedeckt sind. Es kommt zum Herdentriebverhalten, das zu größeren

19 Vgl. v. Weizsäcker, 54-56 (Anm. 1 ).20 Vgl. Michael Windfuhr, Die globale Wirtschaft braucht eine rechtliche Rahmenord-

nung, in: Eschenburg / Dabrowski (Hrsg.), 89-137, hier 95 (Anm. 7).

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Übertreibungen in Boomphasen und zu Untertreibungen in Rezessio-nen und Krisensituationen führt.ll

Wenn man diese Phänomene der globalen Wirtschaft näher analysiert,muss man feststellen, dass von einer »Globalisierung« im vollen Wort-sinn nicht die Rede sein kann, weil die genannten Phänomene primärdie westlichen Industrieländer (OECD-Länder) betreffen, zusätzlichnoch einige Schwellenländer in Asien und Lateinamerika. Hingegensind die afrikanischen Staaten südlich der Sahara, die meisten islami-schen Länder in Nordafrika und im Nahen Osten, eine Reihe vonTransformationsländern des ehemaligen Ostblocks - besonders frühereasiatische Sowjetrepubliken und einige lateinamerikanische Länder, vorallem in Mittelamerika usw. - nicht einbezogen. Sie haben am interna-tionalen Handel nur einen geringen Anteil; in diese Länder fließen keineDirektinvestitionen. Ebenso spielen diese Länder auf den internationa-len Finanzmärkten keine Rolle.22Es handelt sich also um keine umfas-sende, sondern nur um eine partielle Globalisierung.

11. URSACHEN DER PARTIELLEN GLOBALISIERUNG

Die Ursachen der Globalisierung lassen sich in drei Gruppen einteilen,nämlich politische, technologische und gesellschaftlich-kulturelle. Diepolitischen Ursachen der Globalisierung haben ihren Grund darin, dassEnde der 70er Jahre in einigen Industrieländern (vor allem in den USAund Großbritannien) eine Erneuerung der Marktwirtschaft als ein Aus-weg aus der Wirtschaftskrise stagnierender Volkswirtschaften mit hoherInflation, Arbeitslosigkeit, aber einem ausgebauten Staatssektor angese-hen wurde. In diesen Ländern kam es zur Deregulierung vieler Märkte(Luftverkehr, Finanzmarkt, Energie, Telekommunikation).23 In Europaführte das Projekt des EU-Binnenmarktes zu einer transnationalenmarktwirtschaftlichen Erneuerung, um die »Eurosklerose« zu beheben.Auf internationaler Ebene wurde diese Stärkung marktwirtschaftlicherStrukturen bei hochverschuldeten Entwicklungsländern durch Auflagen

21 Vgl. Bernd Esdar, Globalisierung: Eine Herausforderung auch für den IWF, in: Eschen-burg / Dabrowski (Hrsg.), 455-464, hier 459 ( Anm. 7).

22 Vgl. Friedhelm Hengsbach, »Globalisierung« aus wirtschaftsethischer Sicht, in: AusPolitik und Zeitgeschichte B 21/97 v. 16. März 97, 3-12, hier 5f.

23 Vgl. Rudo/f Welzmüller, Zu den Folgen der Globalisierung für die nationalen Güter-,Finanz- und Arbeitsmärkte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 33-34/97 v. 8.8.97,20-28, hier 20-22.

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der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und IWF forciert.24

Weiterhin hat die chinesische Zuwendung zur Marktwirtschaft und derZusammenbruch des Ostblocks für diese Prozesse große Bedeutung. InLateinamerika kam es zu einer Öffnung zum Weltmarkt und einer Ab-kehr von der seit 1945 dominierenden Import substituierenden Ent-wicklungsstrategie.25 Die Zuwendung zur Marktwirtschaft führte dazu,dass Kapitalverkehrskontrollen und viele andere Beschränkungen imBankgeschäft aufgehoben wurden. Außerdem wurden in verschiedenenLändern Auslandsinvestitionen erstmals zugelassen (z. B. in der VRChina) oder erleichtert. Diese Zuwendung zur Marktwirtschaft wurdedadurch verstärkt, dass sich auf internationaler Ebene alle Mitgliedsstaa-ten in der WTO zu marktwirtschaftlichen Regeln verpflichten müssen.Diese Regeln betreffen nicht nur ihre Außenhandelspolitik, etwa hin-sichtlich der Zollhöhe und der übrigen außenhandelspolitischen Instru-mente, sondern auch andere wirtschaftspolitische Parameter wie dieSubventionsvergabe, den Schutz geistigen Eigentums, handelsbezogeneInvestitionsauflagen u. a. mehr. Da Russland und China noch nicht diehinreichenden marktwirtschaftlichen Institutionen geschaffen hatten,konnten sie bis 1999 nicht der WTO beitreten.

Technologische Ursachen der Globalisierung liegen vor allem in der fort-laufenden Verbilligung des internationalen Verkehrs. Immer leistungs-fähigere Flugzeuge haben zu drastischen Preissenkungen im Flugver-kehr geführt. In der Seeschifffahrt wurden die Kosten stark gesenkt, dader Umfang der Besatzungen auf Grund der elektronischen Steuerungder Schiffe immer weiter reduziert werden konnte, während die Größeder Schiffe zunahm. Standardisierte Transportverfahren (Container)führten zu einer Reduktion der Abfertigungszeiten in Häfen und einerAbsenkung der Kosten des Weitertransports. Noch dramatischereKostensenkungen als in der Seeschifffahrt spielten sich im Telekommu-nikationsbereich ab, in dem etwa die Preise für Telefongespräche zwi-schen Europa und Nordamerika stark sanken. So kostete ein Telefonge-spräch 1930 250 Dollar, 1990 nur gut 3 Dollar, eine Preissenkung um98,5 % !26 Neue Kommunikationsmedien (FAX), Satelliten gestützteDatenübertragungen, Mobiltelefone, Internet etc. ermöglichen eineweltweite Kommunikation zu sinkenden Preisen. Diese Kostensenkun-

24 Vgl. ]aachim Betz, Wandel der emwicklungspolitischen Strategien und die Rolle inter-nationaler Finanzinstitutionen, in: Wallgang Hein (Hrsg.), Umbruch in der WeItgesell-schaft, Hamburg 1994,421-442.

25 Vgl. Klaus Liebig, Chancen und Probleme der Globalisierung für L(L)DCs in Latein-amerika, in: Eschenburg / Dabrowski (Hrsg.), 175-217 (Anm. 7).

26 Vgl. Esdar, 458. (Anm. 20).

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gen der unternehmensinternen Kommunikation haben den Ausbautrans national er Unternehmen stark forciert. Diese Informationssystememachen eine kostengünstige Informationsbeschaffung, z. B. Preisverglei-che, möglich.

Gesellschaftlich-kulturelle Ursachen: Durch zunehmenden Tourismus,Verbreitung von Kenntnissen über fremde Länder durch Massenmedien(Fernsehen), globale Werbestrategien, den verstärkten Erwerb vonFremdsprachenkenntnissen etc. kommt es zu einer größeren Akzeptanzfremder Produkte. Im Bildungsbereich hat man sich mit spezifischenAusbildungsgängen auf den Arbeitsmarkt der Globalisierung eingestellt(F remdsprachenkorrespondenten, Außenhandels spediteure ). Immermehr Studenten studieren ganz im Ausland oder legen Auslands-semester ein. Man ist bereit, bei ausländischen Unternehmen zu arbeitenoder für einheimische Unternehmen ins Ausland zu gehen. Es gibt keinegesellschaftlich vorherrschende Stimmung der Ablehnung des »Frem-den«, so dass etwa der Aufkauf einheimischer Unternehmen durch aus-ländische nicht abgelehnt und durch den Druck auf politische Entschei-dungsträger verhindert wird. Im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahr-hunderts ist eine deutlich erhöhte Offenheit, Toleranz und eine Neugiergegenüber Fremden festzustellen. Dem steht nicht entgegen, dass sichkleine Minderheiten in betont nationalistisch und ausländerfeindlicheingestellten Parteien organisieren bzw. diese wählen und es in einerReihe von Ländern zu ausländerfeindlichen Straftaten kommt.

Die Globalisierung ist deshalb partiell geblieben, weil diese Faktorennicht in allen Ländern gegeben sind. Wenn die Zahl der Länder (z. B. er-folgreiche Transformationsländer) steigt, die für private Investoren,seien es Finanzanleger wie Direktinvestoren, gute Anlagemöglichkeitenbieten, fallen Länder ohne solche Voraussetzungen im internationalenStandortwettbewerb zurück. So fehlen in vielen Ländern marktwirt-schaftliche Rahmenbedingungen, etwa ein geeignetes Wirtschaftsrechtsowie korruptionsarme Verwaltungen und Gerichte, eine Wirtschafts-politik, die durch Geldwertstabilität und ein geordnetes GeldwesenVoraussetzungen für private Aktivitäten schafft. Weiterhin unterstütztdie staatliche Wirtschaftspolitik durch den unterlassenen Ausbau desVerkehrswesens und die unzureichende Anbindung an internationaleKommunikationsnetze nicht die Einbeziehung in die globale Wirt-schaftsentwicklung. Außerdem ist das Bildungswesen nicht auf die An-forderungen einer internationalen Wirtschaft ausgerichtet. Dort, wo sol-che Defizite besonders gravierend sind und sich in ihren negativen Wir-kungen kumulieren - dies gilt vor allem für Sub-Sahara-Afrika -, stag-

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nieren die Volkswirtschaften schon längere Zeit, so dass sich dieAbstände im Pro-Kopf-Einkommen, auch verstärkt durch das hohe Be-völkerungswachstum in diesen Ländern, zu den westlichen Industrie-ländern seit 1960 fortlaufend vergrößert haben.

III. KONSEQUENZENDERGLOBALISIERUNG

Die Konsequenzen der Globalisierungsprozesse werden getrennt nachIndustrieländern, Schwellenländern und wenig entwickelten Entwick-lungsländern aufgezeigt. Dabei wird auch erwähnt, was gemäß des Sub-sidiaritätsprinzips die politischen Gestaltungsaufgaben der einzelnenLänder sind, wenn sie aktiv ihre Vorteile im Globalisierungsprozesswahrnehmen wollen, um nicht durch Selbstausgrenzung (weiter) zu-rückzufallen.

1. Industrieländer

Für Industrieländer hat sich der außenhandelsbedingte Strukturwandelverschärft. Die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Regionen mit niedri-gen Lohnkosten hat es immer schon gegeben. Diese wird nun leichter,weil Transport- und Kommunikationskosten gesunken sind und fürviele europäische Länder nach dem Zusammenbruch des OstblocksNiedriglohnländer näher gerückt sind.27 Außerdem haben auf bestimm-ten Märkten die Anzahl der Konkurrenten für alte Industrieländer zu-genommen. Auf der anderen Seite profitieren in Industrieländern dieWirtschaftszweige von wachsenden, kaufkräftigen Märkten, in denenihre Anbieter auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig sind. So gilt etwadie deutsche Automobilindustrie als weltweit führend.Dieser verschärfte Strukturwandel erhöht innerhalb der Industrieländerökonomische und soziale Unterschiede. Auf der einen Seite gibt esprosperierende Städte bzw. Regionen, die in Globalisierungsprozesseeinbezogen sind. Dort kommt es zu sich selbst verstärkenden Wachs-tumsprozessen. Ein Beispiel dafür ist das Zentrum des EURO-Finanz-marktes Frankfurt a.M. Auf der anderen Seite stehen Regionen, derenProduktions strukturen weltwirtschaftlich nicht mehr wettbewerbsfähigsind. Dies gilt etwa für die Kohle- und Stahlstandorte im Ruhrgebiet,

27 Vgl. Gustav Dieckheuer u. a., Risiken, Chancen und Anpassungsstrategien in denIndustrieländern, insbesondere in Deutschland, in: Eschenburg / Dabrowski (Hrsg.),299-342, hier 323 (Anm. 7).

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die Werftindustrie an Nord- und Ostsee. Innerhalb der A.rbeitnehmer-schaft sind vor allem wenig qualifizierte Arbeitskräfte, deren Arbeits-plätze ins Ausland verlagert, wegen der Importkonkurrenz wegratio-nalisiert oder wegen steigender Importe abgebaut werden, negativbetroffen, während hoch qualifizierte Arbeitskräfte profitieren.Weitere Probleme ergeben sich daraus, dass große Konzerne die Mög-lichkeit haben, ihre Steuerlasten dadurch zu mindern, dass sie innerhalbeines Konzernverbundes Gewinne an Niedrigsteuerstandorten anfallenlassen. Dadurch kann es geschehen, dass solche Konzerne Infrastruktur-einrichtungen und gesellschaftliche Vorleistungen eines Produktions-standortes nutzen, aber sich nicht hinreichend an der Finanzierung be-teiligen. Ebenso kann es bei mobilen Arbeitskräften geschehen, dass siein einem Land eine kostenlose Hochschulausbildung genießen, dannaber durch die Berufsausübung im Ausland nichts mehr zur Hochschul-finanzierung beitragen. Es wird auch weniger möglich, mobile Arbeits-kräfte wie mobiles Kapital für Umverteilungszwecke heranzuziehen.Eine Gefährdung der Umwelt- und Sozialpolitik erwächst daraus nicht,weil die immobile Bevölkerung immer frei ist, zu entscheiden, wie vielihres Einkommens sie für sozial- und umweltpolitische Zwecke ausge-ben will.2s Man kann aber mobile Faktoren (Finanzkapital, hoch qualifi-zierte Arbeitskräfte, mittelfristig auch internationales Sachkapital) nurnoch in geringem Umfang dafür zur Finanzierung heranziehen.29 Viel-mehr kommt es im Wettbewerb verschiedener Standorte darauf an, einehinreichende Attraktivität für mobile Faktoren zu erhalten und auszu-bauen.3D Für Industrieländer stellt sich grundsätzlich die Frage, ob undin welchem Ausmaß sie die Vorteile und Möglichkeiten der Globalisie-rung nutzen möchten. Die Erfahrungen der Nachkriegszeit seit 1947zeigen, dass der Wohlstand der OECD-Länder durch ihre fortlaufendeökonomische Integration maßgeblich gesteigert wurde. Als Tourist undKonsument ausländischer Produkte treibt fast jeder Bürger durch seineindividuellen wirtschaftlichen Entscheidungen die Globalisierungvoran. Widerstände gibt es, wenn es gilt, auf der Produzentenseite die

28 Vgl. v. Weizsäcker, 57ff., bes. 63 (Anm. 1); Hermann Sautter, Institutionen als Objektund Rahmenbedingungen des globalen Wettbewerbs - zur Problematik von Umwelt-und Sozialstandards, in: Eschenburg / Dabrowski (Hrsg.), 41-62, bes. 45 ff. (Anm. 7).

29 Vgl. Horst Siebert, Disziplinierung der nationalen Wirtschaftspolitik durch internatio-nale Kapitalmobilität, in: Dieter Duwendag (Hrsg.), Finanzmärkte im Spannungsfeldvon Globalisierung, Regulierung und Geldpolitik, Berlin 1998, 41-67, hier 59f.

30 Vgl. Thomas Straubhaar, Standortbedingungen im globalen Wettbewerb, in: ReinholdBiskup (Hrsg.), Globalisierung und Wettbewerb, 2. Aufl., Bern-Stuttgart-Wien 1996,217-239.

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Konsequenzen zu tragen, nämlich ins Ausland abgewanderte Arbeits-plätze aufzugeben, neue Berufe ggf. in einer anderen Region aufzuneh-men, als Unternehmer seinen Betrieb zu schließen, sich permanent umtechnische und organisatorische Neuerungen zu bemühen, um in eini-gen Wirtschaftsbereichen in der Weltspitze ökonomischer Leistungsfä-higkeit »mitzumischen«.Es ist davon auszugehen, dass in einer nüchternen Abwägung der Vor-und Nachteile der Globalisierung ein Verzicht auf sie nicht akzeptabelwäre und keine Zustimmung fände. Dies bedeutet, dass die einzelnenLänder sich in ihrer Politik auf die Globalisierung einstellen müssen.Für Industrieländer haben daher hoch qualifizierte Forschung und Wis-senschaft einen hohen Stellenwert. Weiterhin muss eine leistungsfähigeInfrastruktur, vor allem auch im Bereich des Verkehrs und der neuenKommunikationstechnologien, gegeben sein. Da sich auf den globalenMärkten Wettbewerbsprozesse beschleunigen, darf die staatliche Büro-kratie kein Hemmnis für entsprechende Anpassungsprozesse der priva-ten Wirtschaft darstellen.Da bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern und bestimmte Regionenvon den Globalisierungsprozessen negativ betroffen sind, bedarf eseines Systems der sozialen Sicherung, das vom Strukturwandel betrof-fene Arbeitnehmer sozial absichert und ihnen z. B. durch Umschulungs-maßnahmen neue Chancen bietet.ll Weiterhin wird man eine sozialeFlankierung eines Niedriglohnsektors installieren müssen/2 um ein wei-teres Anwachsen der Langzeitarbeitslosigkeit unqualifizierter Arbeits-kräfte zu vermeiden. Ebenso muss es Hilfen für vom Strukturwandelstark betroffene Regionen geben. Dann wird auch eine gesellschaftlicheAkzeptanz der Globalisierungsprozesse gegeben sein.

2. Schwellenländer

Die Globalisierung bietet Schwellenländern die Chance, den Aufhol-prozess zu beschleunigen. Gründe dafür sind erstens, dass die liberalenWelthandelsbedingungen ihnen aufnahmefähige Märkte in Industrielän-dern sichern und sie durch die Regeln der WTü besser vor Handelsre-striktionen der Industrieländer geschützt sind. Weiterhin wird ihr

31 Vgl. Karl Gabriel, Globalisierung als Herausforderung national staatlicher Sozialpolitik,in: Andreas Fritzsche I Manfred Kwiran (Hrsg.), Wirtschaft und Sozialpolitik, München1999,63-76, bes. 71.

32 Vgl. die Vorschläge in: Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung, Wirtschaft-liche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit, DreiZiele - ein Weg, Bonn 1998.

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Wachstumsprozess dadurch gefördert, dass sie durch Direktinvestitio-nen Kapital und industrielles Know how importieren können.33 Zudemermöglichen ihnen die globalen Finanzmärkte die Kreditaufnahme, umdurch Investitionen, die über die inländische Ersparnis hinausgehen, dasWachstum zu beschleunigen. Im Vergleich zu früheren Zeiten habenmoderne Informationstechnologien die Kosten der Informations-beschaffung (z. B. über Internet) drastisch vermindert und die Ge-schwindigkeit des Informationszugriffs erhöht. Man muss nun nichtmehr mehrstellige Millionen-Summen (z. B. in Hochschulbibliotheken)investieren, um an bestimmte Informationen zu gelangen. Da sie aufGrund ihrer niedrigeren Lohnkosten bestimmte Produktbereiche, diebisher in Industrieländern angesiedelt sind, nur imitieren müssen, umauf Exportmärkten Erfolg zu haben, können sie schnell wachsen. Dasdies real möglich ist, zeigen die raschen Wachstumsprozesse einer Reiheasiatischer Länder seit den 80er Jahren, die in der Weltwirtschaftsge-schichte mittelfristig einmalig hohe Wachstumsraten erreichten und dieArmut in ihren Ländern deutlich senkten.

Probleme für Schwellenländer ergeben sich dadurch, dass ein rascherökonomischer Wachstumsprozess sich auf das gesamte gesellschaftlicheLeben, die politische Struktur, das Bildungswesen, die Infrastrukturusw. auswirkt. Ökonomische Modernisierung bedarf parallel einer ent-sprechenden Modernisierung anderer gesellschaftlicher Institutionen.34

Modernisierungsdefizite in bestimmten Institutionen können zumAbbruch des Wachstums prozesses führen. Ein Beispiel dafür ist derFinanzsektor in den asiatischen Ländern, die von der Krise 1997/98betroffen wurden.35 Das Management, die Geschäftspolitik und die Kre-ditvergabepolitik der einheimischen Banken, die Bankengesetzgebungund die staatliche Bankenaufsicht hatte sich nicht parallel zum Wachs-tum der Finanzmärkte entwickelt. Insbesondere spielten bei der Kredit-vergabe in den Ländern vielfach nicht rationale ökonomische Kriterien,sondern soziale oder politische Beziehungen eine wichtige Rolle. Einekleine Störung im Finanzsektor löste Panikreaktionen internationalerFinanzanleger aus und verschärfte so die Krise. Neben dem Finanzsek-tor war auch das politische System zu einem Modernisierungshemmnisgeworden. Eine rasche ökonomische Entwicklung beruht auf einem

33 Vgl. Gottwald / Hemmer, 18 (Anm. 4).34 Vgl. Tilmann Altenburg / Järg Meyer-Stamer, Chancen und Probleme der Globalisie-

rung für Newly Industrializing Countries (NICs), in: Eschenburg / Dabrowski (Hrsg.)243-263, hier 259f. (Anm. 7).

35 Vgl. Heribert Dieter, Die Asienkrise und der IWF: Ist die Politik des InternationalenWährungsfonds gescheitert?, INEF Report Heft 29, Duisburg 1998.

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wachsenden Bildungsstand breiter Bevölkerungsgruppen. Sie bringtzudem einen Mittelstand ökonomisch selbstbewusster Bürger hervor.Solche gebildeten und ökonomisch bessergestellten Bürger lassen sichaber von autoritären Regimen nicht länger bevormunden, sondern for-dern politische Mitbestimmung ein. Ähnliches gilt für Arbeitnehmer inökonomisch erfolgreichen Unternehmen, die sich zu Gewerkschaftenzusammenschließen und eine kollektive Interessenvertretung organisie-ren wollen.Für Schwellenländer, die, wie viele lateinamerikanische Staaten, einevom Weltmarkt abgewandte Import substituierende Industrialisierungs-strategie verfolgt hatten, führt eine Weltmarktöffnung zu gravierendenStrukturanpassungsproblemen.36 So müssen Industrieunternehmen mitder Weltmarktöffnung ihre Produktivität drastisch steigern, um inter-national wettbewerbsfähig zu werden. Bisher waren diese hinter hohenZollmauern geschützten Unternehmen wenig produktiv, weil sie perso-nell überbesetzt waren und bei Staatsbetrieben das Management nichtnach ökonomischen Fähigkeiten, sondern auf Grund politischer Bezie-hungen berufen wurde. In den lateinamerikanischen Ländern wie in denTransformationsländern Mittel- und Osteuropas, die lange vom Welt-markt abgekoppelt waren, führt dieser Strukturwandel zu gravierendensozialen Härten. Angesichts der im weltweiten Maßstab besondersgroßen Ungleichheit der Einkommensverteilung in lateinamerikani-schen Ländern sind dort verteilungspolitische Maßnahmen und gerechteBildungschancen für die Gesamtbevölkerung, ein Ausbau des Gesund-heitswesens und die Einführung neuer Sozialleistungen besonders wich-tig. Solche verteilungspolitischen Maßnahmen sind nicht als konsumtiveVerschwendung, sondern als Investitionen in Humankapital und die ge-sellschaftliche Stabilität zu betrachten. Anders werden sich Struktur-wandlungen nach einer Weltmarktöffnung nicht bewältigen lassen, weilin großer Zahl Arbeitskräfte entlassen werden müssen. Solche kurzfris-tigen sozialen Härten, die langfristig die Zukunftsperspektive der ge-samten Volkswirtschaft verbessern, führen zu Protesten und zur Mobili-sierung von Widerständen. Daher gilt dort vielfach »Globalisierung«bzw. »Neoliberalismus« als neues Feindbild, was dazu führen kann, dassdie langfristigen Globalisierungschancen eines Landes nicht genutztwerden, wenn nicht hinreichend Instrumente der sozialen Sicherungund des sozialen Ausgleichs vorhanden sind.

l6 Vgl. Messner, 10 (Anm. 12).

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Ein weiteres Problem für Schwellenländer besteht darin, dass die öko-nomischen Wachstumsprozesse sich nicht gleichmäßig auf alle Regioneneines Landes erstrecken, sondern auf bestimmte Wachstumszentrenkonzentriert sind. Ohne eine regionale Ausgleichspolitik entstehen poli-tische Konfliktfelder bzw. unkontrollierte Migrationsprozesse in dieWachstumszentren, wobei in den schnell wachsenden Metropolen einegeordnete Stadtentwicklung, die Versorgung mit öffentlichen Einrich-tungen (Schulen), Wohnungen, Wasser- und Abwasseranschlüsse, Ver-kehrsanbindungen etc., nicht gegeben sind. Rasche Wachstumsprozessesind immer mit sozialen Veränderungen verbunden, die sich in politi-schen Konflikten niederschlagen und so das Wachstum zum Erliegenbringen können, wenn es nicht gelingt, die Wachstumsgewinne gesell-schaftlich breiter zu verteilen und soziale Konsequenzen des Struktur-wandels zu bewältigen. So kommt es etwa in Schwellenländern mit denLohnsteigerungen bereits wiederum zu einer Auslagerung arbeitsinten-siver Industrien, wie der Textil- und Bekleidungsindustrie, in ärmereEntwicklungsländer}7, was deren Chancen erhöht, sich in die Weltwirt-schaft zu integrieren.

3. Wenig entwickelte Länder

An den ärmsten Entwicklungsländern, die weiterhin nur wenige Roh-stoffe an den Weltmärkten anbieten, ist der ökonomische Globalisie-rungsprozess weitgehend vorbei gegangen. Für private Investoren undKapitalanleger sind diese Länder - trotz fehlender Umweltauflagen undniedrigster Löhne - nicht hinreichend attraktiv. Nur in Ausnahmefällenkommt es zu der genannten Auslagerung arbeitsintensiver Produktionin solche ärmeren Länder. So weit es sich um reine Rohstoffanbieterhandelt, können die am wenigsten entwickelten Länder vom Globalisie-rungsprozess nicht profitieren. Denn die moderne Ökonomie ist zuneh-mend eine entstofflichte Ökonomie, in der Informationsprozesse undDienstleistungen dominieren. Dort, wo Rohstoffe benötigt werden,kommt es durch technischen Fortschritt, Recycling, Einführung neuerGenprodukte im Agrarbereich etc. zu einer stagnierenden Nachfragenach solchen Exportprodukten der Entwicklungsländer}8.Für diese ärmsten Entwicklungsländer stellt sich die Frage, wo es für sieNischen im Globalisierungsprozess gibt und wie sie diese Möglich-

37 Vgl. Gottwald / Hemmer 12 (Anm. 4).38 Vgl. Rolf Eschenburg, Globalisierung, Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusam-

menarbeit, in: ders. / Dabrowski (Hrsg.), 385-419, hier 400 (Anm. 7).

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keiten entfalten können. Solche Ansatzpunkte können sein: Erstens dieEinführung arbeitsintensiver Wirtschafts zweige, vor allem in der Ex-portindustrie mit standardisierten, technologisch ausgereiften Industrie-produkten; zweitens der Tourismus sowie drittens die Entwicklung vonProdukten, die sie im Rahmen des Süd-Süd-Handels mit anderen wenigentwickelten Ländern austauschen können. Dafür müssen die einzelnenStaaten die notwendigen Voraussetzungen schaffen, indem sie in solcheBereiche gezielt investieren. Dabei ist ein »schwacher Staat«, der nichtin der Lage ist, eine kohärente Entwicklungsstrategie zu entwerfen undin verschiedenen Politikfeldern (z. B. Bildungswesen, Infrastruktur, For-schung, effiziente Verwaltung) etc. umzusetzen, ein zentrales Entwick-lungshindernis.39 Für diese Länder ist die Humankapitalbildung, derAnschluss an internationale Kommunikationsnetze sowie die Bildungfunktionsfähiger gesellschaftlicher Institutionen, vor allem im staatli-chen Bereich, wichtig. Dies gilt etwa für eine qualifizierte, korruptions-arme Verwaltung. Außerdem sind regionale bzw. globale Vereinbarun-gen der Dritte-Welt-Länder anzustreben. Die dazu erforderlichen insti-tutionellen Reformen würden aber für viele gegenwärtig dort Herr-schende nahezu revolutionäre Veränderungen40 bedeuten, zu denen siezur Sicherung ihrer Privilegien, aber zu Lasten der armen Bevölkerungs-mehrheit in ihren Ländern, nicht bereit sein werden. Vielmehr werdensolche Herrschenden demagogisch geschickt als Ablenkung die »Globa-lisierung« dämonisieren.Aber auch manche reformwillige Länder werden diese Voraussetzungennicht allein aus eigener Kraft erbringen können. Daher ist erforderlich,dass sie durch die Entwicklungszusammenarbeit befähigt werden, ausder Stagnation herauszukommen. Mit der Entwicklungszusammenar-beit ist schon ein Aspekt der Globalisierung genannt, der über die Gren-zen der einzelnen Staaten hinausgeht.

IV. WELTWIRTSCHAFTLICHER ÜRDNUNGSBEDARF

Bei der Analyse des Globalisierungsprozesses ist auf einige Problem-bereiche mit einem transnationalen Gestaltungsbedarf hingewiesenworden. Aus normativer Hinsicht bedürfen globale Strukturen einen

39 Vgl. EL-Shagi EL-Shagi, Entwicklung durch »Industriepolitik«, in: Aus Politik undZeitgeschichte B 10/99 v. 5. März 1999,3-11.

40 Vgl. Gottwald / Hemmer, 30 u. 35 (Anm. 4).

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»Weltgesellschaftsvertrag«4t, dessen Grundprinzipien für alle Staatenkonsensfähig sind. Auf der Grundlage dieser Grundprinzipien sindglobale Regeln und Organisationen (Institutionen42) der Weltordnungs-politik oder des »global governance« zu errichten.Diesem Gestaltungsbedarf haben eine Reihe von Staaten bereits dadurchRechnung getragen, dass sie sich auf regionaler Ebene zu Staaten-gemeinschaften zusammengeschlossen haben. Vor allem ist die EU zunennen, in der mit der gemeinsamen Währung und einem gemeinsamenWirtschaftsrechtsraum viele transnationale Probleme aufgegriffen wer-den. Da die Handelsbeziehungen im regionalen Bereich besonders engsind, können zwar einige Globalisierungsprobleme im regionalen Kon-text bearbeitet werden. Es bleiben aber - im Gegensatz zur Auffassungvon von Weizsäcker43

- zentrale weltweite Regelungsbereiche, die poli-tisch gestaltet werden müssen, weil sich selbst überlassene privatwirt-schaftliche Akteure zur Problemlösung nicht in der Lage sind. Für fol-gende Problem bereiche sind globale Institutionen vordringlich:

1. Umweltpolitik44

Menschliches Wirtschaften auf der Erde hängt dauerhaft davon ab, dassdie natürlichen Voraussetzungen des Wirtschaftens erhalten bleiben bzw.es durch menschliche Umwelteingriffe (z. B. Ausbreitung der Wüsten,COrProblematik) nicht zu gravierenden Umweltänderungen mit enor-men ökonomischen Konsequenzen kommt. Daher liegt eine erste Ord-nungsaufgabe darin, für globale Umweltgüter (Klima) Nutzungsregelnzu entwerfen, damit sich der Wachstumsprozess der globalisierten Wirt-schaft nicht durch Umweltzerstörungen selbst aufhebt.

41 Vgl. zu diesen normativen Überlegungen näher: ]oachim Wiemeyer, Globalisierung -eine wirtschaftsethische Perspektive, in: Eschenburg / Dabrowski (Hrsg.), 21-32(Anm.7).

42 Vgl. dazu die folgenden Artikel in: Korff u a. (Hrsg.) (Anm. 9): Christian Kirchner,Bedingungen interstaatlicher Institutionalisierung von wirtschaftlichen Prozessen,376-389, ders., Formen interstaatlicher Interaktionsregeln für wirtschaftliche Prozesse,390-403, Bruno Simma / Andreas H einemann, Codes of Conduct, 403-418.

43 Von Weizsäcker, 123 (Anm. 1): »Die wettbewerbliche Wirtschaft ist die Kraft der Verän-derung, die Politik, sei sie demokratisch oder nicht, ist die Kraft der Beharrung undBewahrung. Die Weltprobleme werden dadurch gelöst, dass man der Wirtschaft dieFührungsrolle vor der Politik überlässt. Wenn unter dem Primat der Politik eine weit-gehende Politisierung des Wirtschaftsgeschehens verstanden sein soll, dann kann dies nurin Stagnation, also letztlich in der Katastrophe enden.« (Kursiv im Original).

44 Vgl. in: Korff u. a. (Hrsg.) (Anm. 9): Rüdiger Wolfrum, Internationale Umweltordnung,juristische Aspekte, 556-564 sowie Rainer Markgraf, Internationale Umweltordnung,ökonomische Aspekte, 565-587.

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Weiterhin ist das Ausmaß der Globalisierung auch dadurch bedingt,dass der Energieverbrauch (Flugbenzin, Schiffsdiesel) im Gegensatzzum nationalen Verkehr nicht besteuert wird4

S, obwohl von ihm erheb-liche Umweltbeeinträchtigungen ausgehen. Durch diese künstliche Ver-billigung des Verkehrs wird auch die Arbeitsteilung in der globalisiertenWirtschaft zu weit ausgedehnt. Es wäre - zumindest für die Regionenmit den dichtesten Verkehrs strömen - eine Vereinbarung über eine Be-steuerung von Treibstoffen anzustreben, um diese künstliche »Über-globalisierung« zurückzudrängen.Weiterhin ist erforderlich, dass - auch durch Entwicklungszusammenar-beit - moderne Umwelttechniken und das Know how von Umweltge-setzgebung, Umweltpolitik und Umweltüberwachung in Schwellen-und Entwicklungsländer übertragen werden. Der Wachstumsprozess inEntwicklungs- und Schwellenländern darf - wegen der globalen Um-weltfolgen - nicht ein so umweltbelastendes Ausmaß einnehmen, wie erin vergleichbaren Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung der heutigenIndustrieländer stattgefunden hat, sondern muss mit erheblich geringe-rem Rohstoff- und Energieverbrauch erfolgen, um einen ökologischenKollaps zu vermeiden und allen Ländern eine Chance auf Wohlfahrts-steigerungen zu geben.

2. Handelspolitik

Durch das WTO- Regelwerk und die darin enthaltene unparteiischeSchiedsgerichtsbarkeit verfügen Schwellen- und Entwicklungsländerprinzipiell über günstige Bedingungen im Welthandel. Allerdings weistdas Regelwerk asymmetrische Elemente zu Gunsten der Industrieländerauf. So könnte nach einem Regelverstoß der EU oder der USA gegen-über einem Entwicklungs- oder Schwellenland das geschädigte Landnach einem WTO-Schiedsspruch Handelssanktionen verhängen. Diesewürden aber weitgehend wirkungslos bleiben, weil ein Entwicklungs-oder Schwellenland nicht den entsprechenden ökonomischen Druckausüben kann.46 Die Welthandelsordnung müsste hier in Richtungsymmetrischer Sanktionen, etwa Formen kollektiver Regeldurch-setzung, weiter entwickelt werden.

45 Vgl. Gottwald / Hemmer 27f. (Anm. 4).46 Vgl. Peter Behrens, GATT-Regeln und Entwicklungsländer, in: Hans-Bernd Schäfer

(Hrsg.) Die Entwicklungsländer im Zeitalter der Globalisierung, Berlin 1996, 225-243,hier 233.

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Weiterhin sind die bestehenden Restriktionen für Entwicklungsländerim Welthandel abzubauen. Dies gilt für die nach wie vor höchstenZolls ätze, die Zolleskalation (d. h. mit steigendem Verarbeitungsgradsteigende Zollsätze) sowie die Anti-Dumping-Politik der EU.47

3. Wettbewerbspolitik

Zentrale Akteure des Globalisierungsprozesses sind transnationaleKonzerne, die sich zu immer größeren Einheiten zusammenfinden. ZurÜberwachung des weltweiten Wettbewerbs, zur Verhinderung der Zu-sammenballung privater Wirtschaftsmacht und zur Verhinderung desMissbrauchs wirtschaftlicher Macht ist eine weltweite Kartellpolitiknotwendig. Da es eine enge Verbindung von Handels- und Wettbe-werbspolitik gibt - beiden geht es um einen unverfälschten Leistungs-wettbewerb - wäre es sinnvoll, in der WTO eine Wettbewerbsabteilungeinzurichten.48

4. Soziale Dimension

Im internationalen Kontext ist für die Verankerung von Arbeitnehmer-rechten die bereits 1919 gegründete internationale Arbeitsorganisation(ILO) zuständig4

\ die genauso wie die Welthandels organisation ihrenSitz in Genf hat. Sie hat ein umfangreiches Regelwerk für alle Einzelhei-ten der Arbeitsbeziehungen entwickelt und alle Mitgliedstaaten aufge-fordert, die jeweiligen Abkommen zu unterzeichnen. Außerdem berätdie internationale Arbeitsorganisation Entwicklungsländer bei der Ent-wicklung und Durchsetzung eines wirksamen Arbeitsrechts. Ein weite-rer Ansatzpunkt für die Durchsetzung sozio-kultureller Menschen-rechte besteht in dem internationalen Pakt über wirtschaftliche undsoziale Rechte, den eine Vielzahl von Ländern unterzeichnet haben. DieÜberwachung dieses Menschenrechtsabkommens erfolgt durch Länder-berichte in der UNoBeiden Systemen fehlen über eine moralische Anprangerung vor derinternationalen Öffentlichkeit und diplomatischer Interventionen hin-aus aber wirksame Instrumente, der Einhaltung von MindeststandardsNachdruck zu verleihen. Wirksamer würde es sein, wenn in extremen

47 Vgl. Wiemeyer, 128ff. (Anm. 14).48 Vgl. Alfred Schüller, Ordnungspolitische Dimensionen der Globalisierung, in: Biskup

(Hrsg.), 81-127, hier 87ff. (Anm. 30).49 Vgl. Sautter, sof. (Anm. 28) sowie Klaus Piepei, Soziale Mindeststandards - die Rolle

von ILO und WTO, in: Eschenburg I Dabrowski (Hrsg.), 63-74, bes. 69f. (Anm. 7).

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Fällen auch Handelssanktionen verhängt werden könnten. Entwick-lungsländer fürchten aber mit Recht, dass die Industrieländer genau dasFeld, in dem sie über komperative Vorteile verfügen, nämlich die niedri-geren Lohnkosten, zunichte machen. Es müsste also ein Verfahren ge-funden werden, das den protektionistischen Missbrauch durch Indu-strieländer ausschließt, aber bei gravierenden Verstößen gegen Kernar-beitsnormen wirksame Sanktionen verhängt. Daher sollten Sanktionennicht von einzelnen Staaten, sondern nur durch kollektive Entscheidun-gen in der WTO verhängt werden.

5. Finanzmärkte

Ein wesentliches Moment der Instabilität der Weltwirtschaft geht vonden Finanzmärkten aus. Die hohen Schwankungen der Finanzmärkte(Volatilität) können erhebliche realwirtschaftliche Auswirkungen haben,konkret zu Wirtschaftseinbrüchen mit ansteigender Arbeitslosigkeitund Armut führen. Daher ist es notwendig, die weltweiten Finanz-märkte stärker zu regulieren. Dazu gehört eine höhere Transparenz beider Kreditvergabe und eine stärkere Haftung privater Akteure für ihreFehlentscheidungen. Für Entwicklungs- und Schwellenländer bietetsich an (etwa nach chilenischem Vorbild), ihre Währung nicht voll zuliberalisieren, um kurzfristige spekulative Gelder vom eigenen Landfern zu halten, dann aber auch nicht durch den Abzug solcher kurzfri-stiger Gelder in Turbulenzen zu geraten. 50 Die starken Schwankungenauf den Finanzmärkten sind vor allem darauf zurückzuführen, dass dortTransaktionen fast ohne Kosten stattfinden können. Wünschenswertwäre es, wenn es gelingen könnte, durch Einführung von Transaktions-kosten (z. B. Besteuerung) das Volumen solcher Transaktionen zu redu-ZIeren.

6. Entwicklungshilfe

Für die ärmsten Länder reicht es nicht aus, sie auf freie Märkte, privateDirektinvestitionen und den privaten Kapitalmarkt zu verweisen. IhreDefizite in der Humankapitalbildung, der Informationstechnologie, dengesellschaftlichen Institutionen etc. sind so gravierend, dass sie externerHilfe bedürfen, um erst die Voraussetzungen zu erwerben, um an der

50 Vgl. Thomas Plümper / Evelyn Dietsche, Weltwirtschaftliche Öffnung im Entwick-lungsprozeß: Wieviel Kapitalverkehrsfreiheit vertragen Entwicklungsländer?, in: AusPolitik und Zeitgeschichte B 10/99 v. 5.3.99, 12-20.

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globalisierten Weltwirtschaft für sie profitabel partizipieren zu können.Solche Hilfe ist aber nur gegen strenge Auflagen und die Garantie derRealisierung zumutbarer Eigenanstrengungen und einer tatsächlichenArmenorientierung51 zu vergeben. Bisher sind durch Misswirtschaft,Korruption, Kapitalflucht, Luxuskonsum der Oberschicht, nationalePrestigeobjekte etc. große Teile der Entwicklungshilfe (ähnlich auch dieRusslandhilfe) unwirksam geblieben. Es kommt auf eine wirksameSelbstbindung von Empfängern und Gebern an.52

V. SCHLUSSBEMERKUNG

Die bisherige Form der wirtschaftlichen Globalisierung ist nur eine par-tielle, weil viele Volkswirtschaften, praktisch sogar ganze Kontinentewie Sub-Sahara-Afrika, an ihr nicht teilhaben. Aus sozialethischer Sichtkommt es darauf an, dass sich für alle Volkswirtschaften in der globali-sierten Weltwirtschaft echte Möglichkeiten auftun und die Globalisie-rungsprozesse das Weltgemeinwohl (Frieden, Bewahrung der Schöp-fung, Armutsminderung) fördern. Dazu bedarf der gegenwärtigeGlobalisierungsprozess aber der aktiven Gestaltung, sowohl im Innernjeder Volkswirtschaft wie auch auf der globalen Ebene durch denAusbau weltweiter Regelsysteme und Organisationen.

Joachim Wiemeyer, Dr. rer. pol., Lic. theol., ist Professor für Christliche Gesellschaftslehrean der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität in Bochum.

51 Vgl. Gerhard Kruip, Globalisierung als Chance für universale Solidarität: Situationenund Perspektiven der »EntwicklungsZllsammenarbeit«, in: Hans-]oachim Höhn(Hrsg.), Christliche Soziallehre interdisziplinär, Paderborn-München-Wien-Zürich1997,309-336, bes. 327ff.

52 Vgl. Hermann Sautter, Ordnung der internationalen EntwicklungsZllsammenarbeit, in:Korff u. a. (Hrsg.), 535-556, bes. 548H. (Anm. 9).

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