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Münchner Merkur Nr. 188 | Freitag, 17. August 2007 Telefon (089) 53 06-410 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 57 3 Im Blickpunkt Der Polizeichef der Stadt, Scheich Saed Schangari, erklärte: „Wir hatten Geheim- dienstinformationen erhalten, dass die Ter- roristen in Sindschar Anschläge verüben wollten.“ Daraufhin seien die Sicherheits- maßnahmen in der Stadt verschärft wor- den, weshalb die Attentäter ihre Sprengsät- ze schließlich in den Dörfern südlich von Sindschar zur Explosion gebracht hätten. zu gleichzeitigen Explosion von Autobom- ben ein Blutbad in den Siedlungen einer re- ligiösen Minderheit an. Dachil Kasim Hassun, Bürgermeister der Stadt Sindschar, zu der die beiden Dörfer gehören, sagte: „Das ist das größte Massa- ker in der Geschichte von Sindschar. Die Explosionen haben auf einer Fläche von ei- nem Quadratkilometer alles zerstört.“ Die Serie von Selbstmordanschlägen im Nordirak hat nach Regierungsangaben 400 Menschen das Leben gekostet. Das Innen- ministerium erklärte gestern, bei den Bom- benexplosionen seien zwei Tonnen Sprengstoff eingesetzt worden. Es war das schwerste Attentat seit Beginn des Irak- Krieges im März 2003. Die vier Attentäter richteten am Dienstagabend mit der nahe- Anschläge fordern 400 Menschenleben Der Biden-Plan Der Außenpolitiker Joseph Bi- den schlägt vor, den Irak in drei autonome Sektoren zu gliedern – nach Volksgruppen getrennt in Schiiten, Sunniten und Kur- den. Als Vorbild dient das Bos- nien der 90er-Jahre. Im Irak wä- ren demnach nur noch rund 50 000 US-Soldaten notwen- dig, die den Kampf gegen El Kaida fortführen sollen. Der Baker-Plan Bereits im Dezember hat die aus Demokraten und Republikanern bestehende Kommission den Abzug aller Kampftruppen bis Anfang 2008 empfohlen. Statt- dessen sollen die diplomati- schen Bemühungen ausgebaut und dabei auch Syrien und der Iran einbezogen werden. Vor al- lem diese Forderung war Grund für Bushs Ablehnung. „Die Demokraten sind in der Irak-Frage gespalten“, sagt Ulf Gartzke, der die Ver- bindungsstelle der bayeri- schen Hanns-Seidl-Stiftung (HSS) in Washington leitet. „Während die Demokraten im Kongress einen recht vernünf- tigen Plan zur teilweisen Ver- lagerung aus Bagdad bezie- hungsweise zum partiellen Abzug der US-Truppen vorge- legt haben, fordert die linke Parteibasis den sofortigen und kompletten Rückzug aus dem Irak“, sagt Gartzke – und schiebt nach: „Ein solch über- stürzter Schritt wäre nicht nur für die irakische Zivilbevölke- rung ein Desaster, sondern würde auch die Position Irans im Nahen Osten weiter stär- ken.“ Deutsche Diplomaten in Washington erwarten deshalb eher, dass der im vergangenen Herbst vorgelegte, von Präsi- dent Bush aber weitgehend ignorierte Plan der Baker- Kommission wieder aufge- nommen werden könnte (sie- he Kasten links). Vielleicht sogar noch von der Regierung Bush. Andere setzen auf das Konzept des demokratischen Chef-Außenpolitikers Joseph Biden, der eine Aufteilung des Iraks in drei autonome Gebie- te vorsieht. Biden führt der- zeit einen aussichtslosen Kampf um das Präsidenten- amt, könnte aber in einer Re- gierung Clinton oder Obama Außenminister werden. Die Vorentscheidung über die weitere Strategie im Irak dürfte in einem Monat fallen: Mitte September wird Gene- ral David Petraeus, der Ober- kommandierende der US- Truppen im Irak, seinen Zwi- schenbericht vorlegen. Er fällt das Urteil, ob die jüngste Stra- tegie von George W. Bush ver- fängt, der die Truppenzahl noch einmal deutlich erhöht hatte. Mit der massiven Prä- senz von 160 000 US-Solda- ten soll den Terrorbanden das Handwerk gelegt werden. Bislang hört man Unter- schiedliches: Auf der einen Seite stehen verheerende Ter- roranschläge (s. Kasten un- ten), auf der anderen melden Beobachter positive Entwick- lungen. In Deutschland be- richtete vergangene Woche der „Spiegel“, den US-Trup- pen sei es vielerorts gelungen, den Frieden wieder herzustel- len. In den USA meldeten sich in der „New York Times“ zwei eher liberale Wissenschaftler der „Brookings Institution“ mit ähnlichen Ergebnissen zu Wort. Ihr Artikel (Titel: „Ein Krieg, den wir gerade so ge- winnen könnten“) fand vor al- lem in konservativen Kreisen großes Echo. Wenn jetzt noch der Petraeus-Bericht positiv ausfällt, „wird dieser kontro- verse Artikel später als wichti- ger Wendepunkt in der Irak- Debatte betrachtet werden“, glaubt HSS-Mann Gartzke. Petraeus will allem politi- schen Druck widerstehen und eine ehrliche Bilanz vorlegen. „Wir werden nicht versuchen, ein Schwein mit Lippenstift aufzuhübschen“, hat er seinen Soldaten versprochen. Zu er- warten ist also keine Erfolgs- geschichte, sondern besten- falls ein gespaltenes Bild, wahrscheinlicher noch eine Negativbilanz. Gartzke ist si- cher: „Dann werden auch die konservativsten Republikaner auf dem Capitol Hill den Be- ginn des US-Truppenabzugs aus dem Irak fordern.“ Präsi- dent Bush will deshalb vor- sorgen: Petraeus soll den Be- richt hinter verschlossenen Türen vorstellen. Der Präsident verliert sein Gefolge: George W. Bush glaubt weiter an den Er- folg im Irak. Seine Bürger hat der Präsident dabei nicht mehr hinter sich. Die Demokraten, aber auch viele Republikaner wol- len raus aus dem Irak. Die große Frage lautet: Wie? In Washington sucht man nach einer Antwort – mit mäßigem Erfolg. VON MIKE SCHIER Washington – Hier bekommt das Grauen einen Namen. „Names of the Dead“ (Namen der Toten) heißt die Kolumne, die seit vier Jahren jeden Tag in der „New York Times“ er- scheint. Es ist nur ein un- scheinbarer, kleiner Kasten in dieser dicken Zeitung. Doch die Wirkung ist enorm. Hier finden sich die Namen von 20-Jährigen wie Derek C. Di- xon aus Riverside, Ohio. Manchmal sind auch Ältere dabei: Douglas A. Zembiec aus Albuquerque in New Me- xiko wurde immerhin 34. Der bislang Letzte auf der Liste war gestern Shawn Hensel, auch er gerade mal 20. Er trägt die Nummer 3683. 3683 US-Soldaten hat der Irak-Krieg inzwischen das Le- ben gekostet. Und „gekostet“ ist sehr wörtlich zu nehmen. Denn überall in den Vereinig- ten Staaten haben sie zu rech- nen begonnen: Sie addieren die Unsummen, die der Feld- zug verschlingt. Mehr als 300 Millionen Dollar – pro Tag wohlgemerkt. Sie zählen die Verletzten und Verstümmel- ten – über 26 000. Dazu kom- men die Unzähligen, die mit schweren psychischen Schä- den vom Tigris zurückgekehrt sind und zuhause, in Wyo- ming, Arkansas oder Pennsyl- vania, nicht mehr in ihr altes Leben finden. Im vergange- nen Jahr haben sich 99 Solda- ten das Leben genommen, so viele wie seit 27 Jahren nicht. Das katastrophale Ergebnis dieser Rechnungen ist auch in Washington angekommen. Zum Beispiel bei Diane Wat- son. Die kräftige Schwarze, der man ihre 73 Jahre nicht ansieht, ist eine äußerst freundliche und zuvorkom- mende Frau. Doch wenn das Thema auf den Irak kommt, kann sie ihren Ärger nicht un- terdrücken. „Wir haben Milli- arden Dollar von amerikani- scher Steuerzahlern für einen Krieg verschwendet, den wir nicht gewinnen können“, schimpft Watson. Die demo- kratische Abgeordnete vertritt im Repräsentantenhaus, der größeren Kammer des US- Parlaments, einen problembe- ladenen Wahlkreis im Süden von Los Angeles. Watson wüsste dort viel mit dem Geld anzufangen, das in den Irak gepumpt wird. Für sie ist es höchste Zeit für den Rückzug. „Wir kämpfen jetzt länger im Irak als einst im Zweiten Weltkrieg. Und nach fünf Jah- ren kann uns niemand vor- werfen, dass wir uns aus der Verantwortung stehlen.“ Watson sagt diesen Satz über die Verantwortung, ohne dass man sie darauf angespro- chen hätte. Die Demokraten, die 2008 den Präsidenten stel- len dürften, wissen, wo die Probleme liegen: Erst haben sie diesem Krieg mehrheitlich zugestimmt, jetzt wollen sie alle raus aus dem Schlamassel – nur ein Konzept für den ge- ordneten Rückzug bieten sie „Raus, raus, raus“ US–DEMOKRATEN PLANEN TRUPPEN-ABZUG AUS DEM IRAK .................................................................................................................................................................................................................................. den Irak zu verlassen: Raus, raus!“ Die Pläne der übrigen Bewerber umfassen mehrere Punkte und viele Zwischentö- ne. Fast alle sehen zwar einen Abzug vor, veranschlagen da- für aber mehrere Jahre. „Wir müssen auf das Schlimmste vorbereitet sein, über das bislang kaum einer spricht: dass es zu einem Ge- nozid kommt und die Schiiten versuchen, die Sunniten sys- tematisch zu eliminieren“, warnte beispielsweise John Edwards, den viele als mögli- chen Vize-Präsidenten von Hillary Clinton sehen. Wie Edwards will auch Clinton ei- nige Truppen im Irak belas- sen, allein schon um Terroris- ten zu bekämpfen und den in den vergangenen Tagen stär- ker ins Blickfeld gerückten kurdischen Norden des Iraks vor Übergriffen zu schützen. Trotzdem wiederholt sie über- all ihre Botschaft: „Wenn die- ser Präsident den Krieg nicht beendet, bevor er aus dem Amt scheidet, werde ich es als Präsidentin tun.“ ein Bürgerkrieg, der eine De- kade oder sogar eine ganze Generation dauern könnte.“ Und trotzdem will er den Ab- zug? „Den Bürgerkrieg wird es geben – egal ob wir den Irak in zehn Minuten oder in zehn Jahren verlassen.“ Ganz so radikal äußern sich die Präsidentschaftskandida- ten der Demokraten natürlich nicht. Einzige Ausnahme ist der Gouverneur von New Me- xiko, Bill Richardson, der neulich verkündete: „Ich habe einen Ein-Punkt-Plan, um nicht. Es bleiben bohrende Fragen: Bricht der Irak ohne Hilfe von außen auseinander? Sind die Amerikaner zum Bleiben verdammt? Wer sich auf dem Kapitols- hügel, wo das Parlament sitzt und die Demokraten bereits das Sagen haben, auf die Su- che nach Antworten begibt, landet auch bei Brad Miller. Wie Diane Watson ist er De- mokrat. Wie Watson sitzt er im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses. Und wie Watson hat er im Oktober 2002 gegen den Feldzug ge- stimmt und vor fatalen Folgen gewarnt. Nun wünscht er, er hätte nicht recht behalten. Miller ist ein gut aussehen- der Mann, so wie man sich ei- nen US-Abgeordneten vor- stellt: groß gewachsen, die an- gegrauten Haare zum Scheitel gekämmt. Auf Besuch ist er eingestellt: Außer einem et- was chaotischen Schreibtisch besteht sein kleines Büro qua- si nur aus einer gigantischen Sitzecke. Und man kann nur staunen, wie Miller da so ele- John Edwards warnt vor einem Genozid, falls die USA alle Truppen aus dem Irak abziehen David H. Petraeus legt im September einen Be- richt vor, der für die neue Strategie entscheidend ist George W. Bush hält eisern an seiner Strate- gie fest, wonach nur mehr Truppen die Lage beruhigen Hillary Clinton will zwar den Irak-Krieg be- enden, aber trotzdem US- Truppen im Land belassen Traurige Heimkehr: Die Liste der toten US-Soldaten wächst täglich – zum Ärger der Öffentlichkeit. FOTO: DPA gant und gut aussehend in sei- nem schwarzen Sessel thront – und dem Besuch aus Europa eine Ungeheuerlichkeit nach der nächsten verkündet. „Es gibt einen Bürgerkrieg im Irak. Und zusätzlich gibt es noch einen Aufstand gegen die US-Truppen“, sagt er. Das ist für amerikanische Verhält- nisse mehr als schonungslos. Aber Miller wird noch deut- licher: Was passiert, wenn sich jetzt die US-Truppen aus dem Irak zurückziehen? „Die wahrscheinlichste Folge wäre „Wir haben Milliarden Dollar für einen Krieg verschwendet, den wir nicht gewinnen können.“ DIANE WATSON, DEMOKRATIN „Den Bürgerkrieg wird es geben – egal ob wir den Irak in zehn Minu- ten oder in zehn Jah- ren verlassen.“ BRAD MILLER, DEMOKRAT 3 FRAGEN AN Peter Lemke Sinnvolle Reise der Kanzlerin Seit gestern besucht die Kli- ma-Reisende Angela Merkel Grönland. Der Bremerhave- ner Klimaforscher Peter Lem- ke bewertet die Visite der Kanzlerin positiv. Lemke lei- tet den Klimabereich am Al- fred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Die Bundeskanzlerin wird auf ihrer Grönland-Reise große Gletscher besichti- gen. Ist das langsame Sterben der Eismassen auf der Insel für das nicht geübte Auge sichtbar? Ich denke schon. Frau Merkel ist Physikerin. Und sie wird vor Ort si- cher Hinweise dafür be- kommen, wie sich die Gletscher im Verlauf der letzten zehn Jahre verän- dert haben. Das Ab- schmelzen der Eiskappe und der Massenverlust über das Abbrechen von Eisbergen an den Glet- scherzungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren klar verstärkt. Halten Sie als Experte Be- suche von Politikern „an der Front“ des Klimawan- dels für sinnvoll? Es ist gut, dass sich eine Bundeskanzlerin mit dem Klimawandel auch dort auseinandersetzt, wo die Folgen besonders gut zu erkennen sind. Politiker sollten mit ei- genen Augen sehen, wo und wie der Klimawan- del stattfindet. Die Aus- wirkungen sind aller- dings auch in den Alpen deutlich sichtbar. Die Gletscherzungen werden kleiner. Auf den Glet- schern sieht es zum Teil schmutzig aus, weil im Winter gefallener Neu- schnee rasch schmilzt. Birgt der Rückgang der Eismassen tatsächlich die Gefahr, dass es in Europa verstärkt zu Flutkatastro- phen kommen könnte, Gebiete langfristig sogar ganz von der Landkarte verschwinden könnten? Das Abschmelzen der Gletscher trägt wesent- lich zum Anstieg des Meeresspiegels bei. 0,8 Millimeter Anstieg pro Jahr resultieren allein durch den Rückgang der Gletscher in Gebirgen. 0,2 Millimeter gehen zu- sätzlich auf das Konto des Rückgangs der Eis- massen in Grönland und weitere 0,2 Millimeter auf den Eisverlust in der Antarktis. Außerdem dehnen sich die Ozeane durch die Erderwärmung aus. Das bedeutet, dass die Meere in den kom- menden 100 Jahren um 30, vielleicht auch um 60 Zentimeter ansteigen werden. Für Deutsch- land dürfte dies kein Problem darstellen, da die Deiche erhöht wer- den können. Aber ein Land wie Bangladesch lässt sich nicht eindei- chen. Zu rechnen ist aber damit, dass es mehr Wet- terextreme geben wird. Je mehr Feuchtigkeit in der wärmeren Atmosphäre ist, desto mehr kann es zu heftigen Gewittern, Starkregen und auch zu Stürmen kommen. Interview: Ulrich Scharlack

US–DEMOKRATEN PLANEN TRUPPEN-ABZUG AUS DEM IRAK 3 … · Dachil Kasim Hassun, Bürgermeister der Stadt Sindschar, zu der die beiden Dörfer gehören, sagte: „Das ist das größte

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Page 1: US–DEMOKRATEN PLANEN TRUPPEN-ABZUG AUS DEM IRAK 3 … · Dachil Kasim Hassun, Bürgermeister der Stadt Sindschar, zu der die beiden Dörfer gehören, sagte: „Das ist das größte

Münchner Merkur Nr. 188 | Freitag, 17. August 2007

Telefon (089) 53 [email protected]: (089) 53 06-86 57 3Im Blickpunkt

Der Polizeichef der Stadt, Scheich SaedSchangari, erklärte: „Wir hatten Geheim-dienstinformationen erhalten, dass die Ter-roristen in Sindschar Anschläge verübenwollten.“ Daraufhin seien die Sicherheits-maßnahmen in der Stadt verschärft wor-den, weshalb die Attentäter ihre Sprengsät-ze schließlich in den Dörfern südlich vonSindschar zur Explosion gebracht hätten.

zu gleichzeitigen Explosion von Autobom-ben ein Blutbad in den Siedlungen einer re-ligiösen Minderheit an.Dachil Kasim Hassun, Bürgermeister derStadt Sindschar, zu der die beiden Dörfergehören, sagte: „Das ist das größte Massa-ker in der Geschichte von Sindschar. DieExplosionen haben auf einer Fläche von ei-nem Quadratkilometer alles zerstört.“

Die Serie von Selbstmordanschlägen imNordirak hat nach Regierungsangaben 400Menschen das Leben gekostet. Das Innen-ministerium erklärte gestern, bei den Bom-benexplosionen seien zwei TonnenSprengstoff eingesetzt worden. Es war dasschwerste Attentat seit Beginn des Irak-Krieges im März 2003. Die vier Attentäterrichteten am Dienstagabend mit der nahe-

Anschläge fordern 400 Menschenleben

Der Biden-Plan

Der Außenpolitiker Joseph Bi-den schlägt vor, den Irak in dreiautonome Sektoren zu gliedern– nach Volksgruppen getrenntin Schiiten, Sunniten und Kur-den. Als Vorbild dient das Bos-nien der 90er-Jahre. Im Irak wä-ren demnach nur noch rund50 000 US-Soldaten notwen-dig, die den Kampf gegen ElKaida fortführen sollen.

Der Baker-Plan

Bereits im Dezember hat die ausDemokraten und Republikanernbestehende Kommission denAbzug aller Kampftruppen bisAnfang 2008 empfohlen. Statt-dessen sollen die diplomati-schen Bemühungen ausgebautund dabei auch Syrien und derIran einbezogen werden. Vor al-lem diese Forderung war Grundfür Bushs Ablehnung.

„Die Demokraten sind inder Irak-Frage gespalten“,sagt Ulf Gartzke, der die Ver-bindungsstelle der bayeri-schen Hanns-Seidl-Stiftung(HSS) in Washington leitet.„Während die Demokraten imKongress einen recht vernünf-tigen Plan zur teilweisen Ver-lagerung aus Bagdad bezie-hungsweise zum partiellenAbzug der US-Truppen vorge-legt haben, fordert die linkeParteibasis den sofortigen undkompletten Rückzug aus demIrak“, sagt Gartzke – undschiebt nach: „Ein solch über-stürzter Schritt wäre nicht nurfür die irakische Zivilbevölke-rung ein Desaster, sondernwürde auch die Position Iransim Nahen Osten weiter stär-ken.“

Deutsche Diplomaten inWashington erwarten deshalbeher, dass der im vergangenenHerbst vorgelegte, von Präsi-dent Bush aber weitgehendignorierte Plan der Baker-Kommission wieder aufge-nommen werden könnte (sie-he Kasten links). Vielleichtsogar noch von der RegierungBush. Andere setzen auf dasKonzept des demokratischenChef-Außenpolitikers JosephBiden, der eine Aufteilung desIraks in drei autonome Gebie-te vorsieht. Biden führt der-zeit einen aussichtslosenKampf um das Präsidenten-amt, könnte aber in einer Re-gierung Clinton oder ObamaAußenminister werden.

Die Vorentscheidung überdie weitere Strategie im Irakdürfte in einem Monat fallen:Mitte September wird Gene-ral David Petraeus, der Ober-kommandierende der US-Truppen im Irak, seinen Zwi-schenbericht vorlegen. Er fälltdas Urteil, ob die jüngste Stra-tegie von George W. Bush ver-fängt, der die Truppenzahlnoch einmal deutlich erhöhthatte. Mit der massiven Prä-senz von 160 000 US-Solda-ten soll den Terrorbanden dasHandwerk gelegt werden.

Bislang hört man Unter-schiedliches: Auf der einenSeite stehen verheerende Ter-roranschläge (s. Kasten un-ten), auf der anderen meldenBeobachter positive Entwick-lungen. In Deutschland be-richtete vergangene Wocheder „Spiegel“, den US-Trup-pen sei es vielerorts gelungen,den Frieden wieder herzustel-len. In den USA meldeten sichin der „New York Times“ zweieher liberale Wissenschaftlerder „Brookings Institution“mit ähnlichen Ergebnissen zuWort. Ihr Artikel (Titel: „EinKrieg, den wir gerade so ge-winnen könnten“) fand vor al-lem in konservativen Kreisengroßes Echo. Wenn jetzt nochder Petraeus-Bericht positivausfällt, „wird dieser kontro-verse Artikel später als wichti-ger Wendepunkt in der Irak-Debatte betrachtet werden“,glaubt HSS-Mann Gartzke.

Petraeus will allem politi-schen Druck widerstehen undeine ehrliche Bilanz vorlegen.„Wir werden nicht versuchen,ein Schwein mit Lippenstiftaufzuhübschen“, hat er seinenSoldaten versprochen. Zu er-warten ist also keine Erfolgs-geschichte, sondern besten-falls ein gespaltenes Bild,wahrscheinlicher noch eineNegativbilanz. Gartzke ist si-cher: „Dann werden auch diekonservativsten Republikanerauf dem Capitol Hill den Be-ginn des US-Truppenabzugsaus dem Irak fordern.“ Präsi-dent Bush will deshalb vor-sorgen: Petraeus soll den Be-richt hinter verschlossenenTüren vorstellen.

Der Präsident verliert seinGefolge: George W. Bushglaubt weiter an den Er-folg im Irak. Seine Bürgerhat der Präsident dabeinicht mehr hinter sich. DieDemokraten, aber auchviele Republikaner wol-len raus aus dem Irak. Diegroße Frage lautet: Wie?In Washington sucht mannach einer Antwort – mitmäßigem Erfolg.

VON MIKE SCHIER

Washington – Hier bekommtdas Grauen einen Namen.„Names of the Dead“ (Namender Toten) heißt die Kolumne,die seit vier Jahren jeden Tagin der „New York Times“ er-scheint. Es ist nur ein un-scheinbarer, kleiner Kasten indieser dicken Zeitung. Dochdie Wirkung ist enorm. Hierfinden sich die Namen von20-Jährigen wie Derek C. Di-xon aus Riverside, Ohio.Manchmal sind auch Älteredabei: Douglas A. Zembiecaus Albuquerque in New Me-xiko wurde immerhin 34. Derbislang Letzte auf der Listewar gestern Shawn Hensel,auch er gerade mal 20. Er trägtdie Nummer 3683.

3683 US-Soldaten hat derIrak-Krieg inzwischen das Le-ben gekostet. Und „gekostet“ist sehr wörtlich zu nehmen.Denn überall in den Vereinig-ten Staaten haben sie zu rech-nen begonnen: Sie addierendie Unsummen, die der Feld-zug verschlingt. Mehr als 300Millionen Dollar – pro Tagwohlgemerkt. Sie zählen dieVerletzten und Verstümmel-ten – über 26 000. Dazu kom-men die Unzähligen, die mitschweren psychischen Schä-den vom Tigris zurückgekehrtsind und zuhause, in Wyo-ming, Arkansas oder Pennsyl-vania, nicht mehr in ihr altesLeben finden. Im vergange-nen Jahr haben sich 99 Solda-ten das Leben genommen, soviele wie seit 27 Jahren nicht.

Das katastrophale Ergebnisdieser Rechnungen ist auch in

Washington angekommen.Zum Beispiel bei Diane Wat-son. Die kräftige Schwarze,der man ihre 73 Jahre nichtansieht, ist eine äußerstfreundliche und zuvorkom-mende Frau. Doch wenn dasThema auf den Irak kommt,kann sie ihren Ärger nicht un-terdrücken. „Wir haben Milli-arden Dollar von amerikani-scher Steuerzahlern für einenKrieg verschwendet, den wirnicht gewinnen können“,schimpft Watson. Die demo-kratische Abgeordnete vertrittim Repräsentantenhaus, dergrößeren Kammer des US-Parlaments, einen problembe-ladenen Wahlkreis im Südenvon Los Angeles. Watsonwüsste dort viel mit dem Geldanzufangen, das in den Irakgepumpt wird. Für sie ist eshöchste Zeit für den Rückzug.„Wir kämpfen jetzt länger imIrak als einst im ZweitenWeltkrieg. Und nach fünf Jah-ren kann uns niemand vor-werfen, dass wir uns aus derVerantwortung stehlen.“

Watson sagt diesen Satzüber die Verantwortung, ohnedass man sie darauf angespro-chen hätte. Die Demokraten,die 2008 den Präsidenten stel-len dürften, wissen, wo dieProbleme liegen: Erst habensie diesem Krieg mehrheitlichzugestimmt, jetzt wollen siealle raus aus dem Schlamassel– nur ein Konzept für den ge-ordneten Rückzug bieten sie

„Raus, raus, raus“US–DEMOKRATEN PLANEN TRUPPEN-ABZUG AUS DEM IRAK ..................................................................................................................................................................................................................................

den Irak zu verlassen: Raus,raus!“ Die Pläne der übrigenBewerber umfassen mehrerePunkte und viele Zwischentö-ne. Fast alle sehen zwar einenAbzug vor, veranschlagen da-für aber mehrere Jahre.

„Wir müssen auf dasSchlimmste vorbereitet sein,über das bislang kaum einerspricht: dass es zu einem Ge-nozid kommt und die Schiitenversuchen, die Sunniten sys-tematisch zu eliminieren“,warnte beispielsweise JohnEdwards, den viele als mögli-chen Vize-Präsidenten vonHillary Clinton sehen. WieEdwards will auch Clinton ei-nige Truppen im Irak belas-sen, allein schon um Terroris-ten zu bekämpfen und den inden vergangenen Tagen stär-ker ins Blickfeld gerücktenkurdischen Norden des Iraksvor Übergriffen zu schützen.Trotzdem wiederholt sie über-all ihre Botschaft: „Wenn die-ser Präsident den Krieg nichtbeendet, bevor er aus demAmt scheidet, werde ich es alsPräsidentin tun.“

ein Bürgerkrieg, der eine De-kade oder sogar eine ganzeGeneration dauern könnte.“Und trotzdem will er den Ab-zug? „Den Bürgerkrieg wirdes geben – egal ob wir den Irakin zehn Minuten oder in zehnJahren verlassen.“

Ganz so radikal äußern sichdie Präsidentschaftskandida-ten der Demokraten natürlichnicht. Einzige Ausnahme istder Gouverneur von New Me-xiko, Bill Richardson, derneulich verkündete: „Ich habeeinen Ein-Punkt-Plan, um

nicht. Es bleiben bohrendeFragen: Bricht der Irak ohneHilfe von außen auseinander?Sind die Amerikaner zumBleiben verdammt?

Wer sich auf dem Kapitols-hügel, wo das Parlament sitztund die Demokraten bereitsdas Sagen haben, auf die Su-che nach Antworten begibt,landet auch bei Brad Miller.Wie Diane Watson ist er De-mokrat. Wie Watson sitzt er imAuswärtigen Ausschuss desRepräsentantenhauses. Undwie Watson hat er im Oktober2002 gegen den Feldzug ge-stimmt und vor fatalen Folgengewarnt. Nun wünscht er, erhätte nicht recht behalten.

Miller ist ein gut aussehen-der Mann, so wie man sich ei-nen US-Abgeordneten vor-stellt: groß gewachsen, die an-gegrauten Haare zum Scheitelgekämmt. Auf Besuch ist ereingestellt: Außer einem et-was chaotischen Schreibtischbesteht sein kleines Büro qua-si nur aus einer gigantischenSitzecke. Und man kann nurstaunen, wie Miller da so ele-

John Edwardswarnt vor einem Genozid,falls die USA alle Truppen

aus dem Irak abziehen

David H. Petraeuslegt im September einen Be-

richt vor, der für die neueStrategie entscheidend ist

George W. Bushhält eisern an seiner Strate-gie fest, wonach nur mehr

Truppen die Lage beruhigen

Hillary Clintonwill zwar den Irak-Krieg be-enden, aber trotzdem US-Truppen im Land belassen

Traurige Heimkehr: Die Liste der toten US-Soldaten wächst täglich – zum Ärger der Öffentlichkeit. FOTO: DPA

gant und gut aussehend in sei-nem schwarzen Sessel thront– und dem Besuch aus Europaeine Ungeheuerlichkeit nachder nächsten verkündet. „Esgibt einen Bürgerkrieg imIrak. Und zusätzlich gibt esnoch einen Aufstand gegendie US-Truppen“, sagt er. Dasist für amerikanische Verhält-nisse mehr als schonungslos.

Aber Miller wird noch deut-licher: Was passiert, wennsich jetzt die US-Truppen ausdem Irak zurückziehen? „Diewahrscheinlichste Folge wäre

„Wir haben Milliarden

Dollar für einen Krieg

verschwendet, den

wir nicht gewinnen

können.“DIANE WATSON, DEMOKRATIN

„Den Bürgerkrieg wird

es geben – egal ob wir

den Irak in zehn Minu-

ten oder in zehn Jah-

ren verlassen.“BRAD MILLER, DEMOKRAT

3 FRAGEN AN

Peter Lemke

Sinnvolle Reiseder Kanzlerin

Seit gestern besucht die Kli-ma-Reisende Angela MerkelGrönland. Der Bremerhave-ner Klimaforscher Peter Lem-ke bewertet die Visite derKanzlerin positiv. Lemke lei-tet den Klimabereich am Al-fred-Wegener-Institut fürPolar- und Meeresforschung.

Die Bundeskanzlerin wird

auf ihrer Grönland-Reise

große Gletscher besichti-

gen. Ist das langsame

Sterben der Eismassen

auf der Insel für das nicht

geübte Auge sichtbar?

Ich denke schon. FrauMerkel ist Physikerin.Und sie wird vor Ort si-cher Hinweise dafür be-kommen, wie sich dieGletscher im Verlauf derletzten zehn Jahre verän-dert haben. Das Ab-schmelzen der Eiskappeund der Massenverlustüber das Abbrechen vonEisbergen an den Glet-scherzungen hat sich inden vergangenen zehnJahren klar verstärkt.

Halten Sie als Experte Be-

suche von Politikern „an

der Front“ des Klimawan-

dels für sinnvoll?

Es ist gut, dass sich eineBundeskanzlerin mitdem Klimawandel auchdort auseinandersetzt,wo die Folgen besondersgut zu erkennen sind.Politiker sollten mit ei-genen Augen sehen, wound wie der Klimawan-del stattfindet. Die Aus-wirkungen sind aller-dings auch in den Alpendeutlich sichtbar. DieGletscherzungen werdenkleiner. Auf den Glet-schern sieht es zum Teilschmutzig aus, weil imWinter gefallener Neu-schnee rasch schmilzt.

Birgt der Rückgang der

Eismassen tatsächlich die

Gefahr, dass es in Europa

verstärkt zu Flutkatastro-

phen kommen könnte,

Gebiete langfristig sogar

ganz von der Landkarte

verschwinden könnten?

Das Abschmelzen derGletscher trägt wesent-lich zum Anstieg desMeeresspiegels bei. 0,8Millimeter Anstieg proJahr resultieren alleindurch den Rückgang derGletscher in Gebirgen.0,2 Millimeter gehen zu-sätzlich auf das Kontodes Rückgangs der Eis-massen in Grönland undweitere 0,2 Millimeterauf den Eisverlust in derAntarktis. Außerdemdehnen sich die Ozeanedurch die Erderwärmungaus. Das bedeutet, dassdie Meere in den kom-menden 100 Jahren um30, vielleicht auch um 60Zentimeter ansteigenwerden. Für Deutsch-land dürfte dies keinProblem darstellen, dadie Deiche erhöht wer-den können. Aber einLand wie Bangladeschlässt sich nicht eindei-chen. Zu rechnen ist aberdamit, dass es mehr Wet-terextreme geben wird. Jemehr Feuchtigkeit in derwärmeren Atmosphäreist, desto mehr kann eszu heftigen Gewittern,Starkregen und auch zuStürmen kommen.

Interview: Ulrich Scharlack