Van Den ENDEN, H_Kultur Ideologiekritik Bei Marcuse Und Adorno

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  • 7/29/2019 Van Den ENDEN, H_Kultur Ideologiekritik Bei Marcuse Und Adorno

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    Kultur- und Ideologiekritik bei den NeodialektikernAdorno und MarcuseH. van den Enden

    EinleitungDas Ideologieproblem hngt bei den Neodialektikern mit ihrem Kulturbegriff und mit ihrer Auffassung des Verhltnisses von 'Kultur' und 'Gesellschaft' zusammen. In dieser Hinsicht ist das Ideologieproblem einzentrales Thema im Denken der Frankfurter Schule.Ihre Kulturkonzeption ist historisch hervorgegangen aus dem Durchdenken des traditionellen kulturphilosophischen Gegensatzes von 'Kultur'und 'Zivilisation', und namentlich des Marxschen Gegensatzes von geistiger und materieller Produktion, bzw. von Ueberbau und Unterbau.Kultur ist der Gesamtkomplex intellektueller, religiser, sthetischer undmoralischer Produkte, die ein gesellschaftliches System oder ein gesellschaftliches Teilsystem im jeweiligen Augenblick seiner historischen Entwicklung kennzeichnen. Diese Produkte bilden die Sphre. der Triade desWahren, des Guten und des Schnen. Triade, die im Jargon der herkmmlichen Philosophie mit den Termini 'Geist' oder 'Ideen' benanntwird, und die der 'Zivilisation', als der Sphre der sozialkonomischenPraxis oder materiellen Daseinsreproduktion, entgegengesetzt wird. Diese ideellen Produkte bilden die Werte, Normen und Ideale. die die Zivilisation orientieren und umgestalten sollen, d.h. sie sind die sinnverleihenden Prinzipien der Praxis. Marcuse bestimmt Kultur als 'den Komplexmoralischer, intellektueller und sthetischer Ziele (Werte), die eine Gesellschaft als den Zweck der Organisation, Teilung. und Leitung ihrer Arbeit betrachtet - 'das Gut', das durch die von ihr eingerichtete Lebensweise erlangt werden soll'.1-Dazu gehren also auch Ideologien im Sinne von Ideensystemen, diesich auf das Funktionieren und die Finalitt der Gesellschaft und ihrerTeilsysteme und auf die Rolle beziehen, die darin van Individuen undGruppen erfllt werden soll. Diese Ideologien knnen mehr oder weniger theoretisch explizitiert und systematisiert sein, sie knnen mehroder weniger Schpfungen individueller Denker sein, sie knnen mehroder weniger doktrinr-programmatischen Charakter haben, und sie knnen schliesslich mehr oder weniger auf einem erheblichen sozialen Konsensus beruhen.2

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    Die Frage, die uns hier beschftigen soll, ist die nach den Eigenschaftenvon Ideologien, die mit deren Verhltnis zur Praxis, zum Unterbau oderzur Sphre der materiellen Daseinsreproduktion zusammenhngen. Dasses ein solches Verhltnis gibt, ist der Ausgangspunkt der neodialektischenAuffassung, nach der jede Kultur zu einer bestimmten Gesellschaft ineiner bestimmten Phase ihrer Entwicklung gehrt. Wir werden jetzt zuuntersuchen haben, was mit dieser Zugehrigkeit genau gemeint seinkann. Um welche Art der Zugehrigkeit handelt es sich eigentlich? Undwie wird sie nher bestimmt?1 Kultur- uJrnd IdeologiebegriffIn der Auffassung der Neodialektiker ist die Kultur in ihrem Verhltniszum Unterbau grundstzlich bivalent oder bifunktional. Sie steht gleichzeitig in einem Wahrheits- und in einem Falschheitsverhltnis zum Un-terbau.1. 1 Kultur als UNWAHRHEIT - Die Kultur kann mit bezug auf denUnterbau in dreifacher Hinsicht 'falsch' oder 'unwahr' sein.a Kultur ist unwahr als Widerspiegelung oder als Abschirmung desUnterbaus.Insofern die Kultur inhaltlich und formell von 'dem realen Lebensprozessder Gesellschaft'3 bestimmt wird, ist sie heteronom und hat keinen eigenen Wahrheitswert. Sie stellt nur eine ideelle Widerspiegelung der herrschenden gesellschaftlichen Realitt dar.Dies ist der Fall, wenn die Kultur die adquate ideelle Wiedergabe derWerte und der Normen ist, die tatschlich in der bestehenden Praxis vorausgesetzt oder verkrpert sind, d.h. wenn die Kulturinhalte und die Zi-vilisation zusammenfallen.In diesem Falle ist die Kultur zwar 'wahr' im Sinne einer adquaten Re-produktion des Bestehenden: eben wegen dieser Art der Wahrheit ist siejedoch fr die Neodialektiker falsch. Sie gehen dabei aus von einemWahrheitsbegriff, der grundstzlich abweicht von der Konzeption derAdquation. In ihrer Auffassung drckt der Wahrheitsbegriff ein Ver-hltnis vom Bestehenden zu seinen Transzendierungsmglichkeiten, vonden phnomenalen Erscheinungsformen der Dinge zu ihren nicht realisierten Wesenheiten, von der Faktizitt zu ihrer immanenten Finalittoder vom Sein zu seinem inhrenten Sollen aus. Wahrheit ist nicht diegetreue Widerspiegelung des gegebenen Seins, sondern eine kritische Wertung des Seins im Lichte seiner virtuellen Transzendierungsmglichkeitenoder Potentialitten.Wenn sich die Kultur also darauf beschrnkt, nur Reproduktion des Be-stehenden zu sein, dann hat sie nicht nur keinen Wahrheitswert, sondern

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    schirmt sie das Bewusstsein auch gegen jede Progression zur Wahrheitdadurch ab, dass sie dieses Bewusstsein zu unkritischer Hinnahme des Bestehenden verfhrt.b Kultur ist auch in dem Masse unwahr, worin sie eine Idealisierungdes Unterbaus darstellt.Insofern die Kultur sich nicht darauf beschrnkt, den Unterbau widerzuspiegeln oder abzuschirmen, sondern ihn idealisiert und in harmonischverklrter Gestalt vorstellt, ist sie - im Lichte des vorher Gesagten - afortiori falsch.4 Dies ist der Fall, wenn die Kultur die objektiven Widersprche und die Inhumanitt im Bestehenden verdeckt unter einem Idealbild von Harmonie, Einheit und Vershnung.Ein solches idealisiertes Bild ist unwahr, weil es verblendend wirkt. Dieharmonische Verklrung hebt die objektiven Antagonismen und das Elendnur ideell, nicht wirklich auf. Sie bekrftigt diese vielmehr, indem sie dieHumanitt und Harmonie nur in einer ideellen Scheinwelt zustandebringt,und diese Scheinwelt im Bewusstsein mit der Realwelt gleichsetzt.c Kultur ist unwahr, sofern sie verselbstndigt oder privat wird. Diesgeschieht, wenn Kulturprodukte als Schpfungen eines sozial undeterminierten, nur geistigen Subjektes, oder als Manifestationen eines ideellenWertreiches, unter Vermittlung eines geistigen Subjektes, vorgestellt werden. Sie beanspruchen dann eine abstrakte und absolute Gltigkeit ohneVerwirklichung in der Praxis. Sie werden als beziehungslos zur Zivilisation, als losgelst von jeder Praxisbezogenheit gedacht. Sie setzen eineWahrheit voraus, die alle empirische Realitt bersteigt, und die unmittelbar vom betrachtenden Subjekt gefasst werden kann, wobei diesesSubjekt sich ber der Praxis erhoben whnt und sich einbildet, in dieserKontemplation sein menschliches Wesen verwirklichen zu knnen. 5Adorno und Marcuse erklren dieses Phnomen als Folge eines Prozesses, bei welchem Kulturinhalte seelisch verinnerlicht und nachher alsselbstndige Wesenheiten ontologisch hypostasiert werden. Kultur wirdzu einem System von innerlich-seelischen Vorstellungen, Werten und Idealen eines sich selbststndig whnenden Subjektes.Das Individuum verselbstndigt seine gesellschaftlich entstandenen Bewusstseinsinhalte und verabsolutiert sie zu einem ontischen Gebiete, dasvon der Praxis geschieden ist. Durch diesen Prozess wird das Individuumdazu gebracht, Kulturwerte zu erleben als ideelle oder ideale Werte, wozues nur in ein ideelles oder Bewusstseinsverhltnis treten kann. Kulturwird zu einer privaten Angelegenheit des Individuums als eines abstrakten geistigen Wesens. Sie gilt nicht lnger als Orientierungsprinzip derZivilisation, sondern nur als eines der individuellen Persnlichkeitsbildung, als Massstab der Selbstbewertung und als Ideal des persnlichenVerhaltens in der privat-existentiellen Sphre des Lebens, d.h. in der

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    Sphre, in der das Individuum sich autonom dnkt (der mikrosozialenSphre von Familie, Freundeskreis und unmittelbarer sozialer Umgebung).Kultur wird privatisiert zu einer individuellen und mikrosozialen Angelegenheit und dadurch ihrer zivilisatorischen Funktion beraubt.Sie wird reduziert auf ein persnliches Streben nach 'Eigenwert', 'Schngeistigkeit', 'geistiger Bildung', 'innerer Freiheit', usw., Umschreibungeneines Ideales der Konformierung der Persnlichkeit an ein hypostasiertesWertreich. Solch eine Kulturkonzeption entfremdet das Bewusstsein vonder gesellschaftlichen Wirklichkeit, indem es sich eine fiktive Welt entwirft, in der es Wahrheit, Gte und Schnheit glaubt verwirklichen zuknnen ohne jegliche Transformation der bestehenden materiellen Welt.Das Bewusstsein wird abgeblendet gegen alle kritische Auseinandersetzung mit der Zivilisation, in der es sich bettigt und deren Produkt undBekrftigungsfaktor es ist.Alle Kultur, die sich auf Reproduktion oder Sublimierung des Bestehenden beschrnkt oder sich dem Bestehenden gegenber illusorisch verselbstndigt, bleibt letzten Endes diesem Bestehenden immanent, gehrt dem Bestehenden integral an, bersteigt es nicht.Sie verweist nicht auf eine bessere Welt als die Entwicklungsmglichkeit der bestehenden. Sie resigniert dem Bestehenden gegenber undbekrftigt es dadurch. Als positive oder verklrende Widerspiegelung desBestehenden rechtfertigt sie es.Als verselbstndigtes Wertreich bleibt sie dem Bestehenden gegenbergleichgltig.In beiden Fllen bejaht sie das Bestehende in seiner Faktizitt.6Das ist die 'affirmative' Funktion der Kultur.1, 2 Kultur als WAHRHEIT - Kultur ist anderseits wahr in dem Masse,wie sie Elemente befasst, die etwas anderes oder etwas mehr sind alsnur Widerspiegelung, Verdoppelung oder Verklrung des Bestehenden:d.h. insofern sie kritische Elemente in sich hat, die dem Bestehenden etwas entgegensetzen und ber das Bestehende hinaus auf eine bessere Weltim Sinne einer hheren Humanitt verweisen.Was diese Humanitt genau enthlt, kann zwar nicht ein fr allemal festgelegt werden; diese Unbestimmtheit wird aber von den Neodialektikernbewusst festgehalten, weil in ihrer Auffassung der jeweilige Inhalt der Hu-manitt der historischen Dynamik selbst unterworfen ist. Der Inhalt derHumanitt muss in jeder historischen Phase bestimmt werden auf Grundder inhrenten Entwicklungsmglichkeiten der erreichten Zivilisationsstufe. Als allgemeine Richtschnur fr solche Inhaltsbestimmung knnennur die Werte gelten, die sich seit der Aufklrung als irreversible Errun-genschaften der europischen Entwicklung begrndet haben: Freiheit,

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    Gleichheit, Gerechtigkeit, Glck und Friede, - als Voraussetzungen desFortschritts und der Humanisierung des Lebens. Der Vernunft und derPhilosophie kommt die Aufgabe zu, diesen Werten einen konkreten Inhalt zu verleihen im Lichte der inhrenten Mglichkeiten der erreichtenZivilisationsstufe.In diesen transzendierenden Elementen erwirbt die Kultur sich eine relative Autonomie gegenber dem Unterbau. Und diese kritischen, transzendenten, autonomen Aspekte der Kultur bilden ihren Wahrheitswert. Siestellen den Aspekt dar, unter dem Kultur ein Bild der Humanitt hervorbringen kann, das als Finalittsdeutung der historischen Entwicklung gelten kann. Dieser Aspekt wird von den Neodialektikern umschrieben als'Utopie', 'Verheissung' oder 'promesse du bonheur'.Hierdurch wirkt Kultur als 'Suspension von Vergegenstndlichung', d.h.als Negation der institutionalisierten und verdinglichten Praxis, und als'Anweisung auf einen Zustand, in dem Freiheit realisiert wre'.7Sie hlt das Bewusstsein wach, dass in der bestehenden Zivilisation einZuviel an vermeidbarem Elend vorhanden ist, dass im herrschenden System der materiellen Daseinsreproduktion wesentliche menschliche Bestrebungen unbefriedigt bleiben, dass Erwartungen und Verheissungenvon Humanisierung nicht eingelst wurden, dass Chances auf Glckunbenutzt blieben.In dieser Hinsicht ist Kultur ein Katalysator des Strebens nach einerbesseren Welt. Sie hlt diese bessere Welt der bestehenden als ihre immanente Mglichkeit entgegen und drckt dadurch Wahrheit aus. Siemacht die Werte geltend, die in der bestehenden Zivilisation noch nichtverwirklicht wurden oder zu Unrecht als verwirklicht vorgestellt werden.Hierdurch wirkt sie negativ, d.h. antagonistisch gegenber der bestehenden Faktizitt: das Sollen wird in ein Spannungsverhltnis zum Sein gebracht, nicht als metaphysisch hypostasierte und verewigte Spannung (wiebeim idealistischen Dualismus), sondern als eine Spannung, die innerhalbder Entwicklungsmglichkeiten des Seins selbst aufgehoben werden kann.8Dies ist die Protest/unktion der Kultur, die unvermeidlich und notwendigbleiben wird, solange die Gesellschaft die Inhumanitt in Stand hlt trotzihrer Mglichkeiten, sie aufzuheben. Marcuse umschreibt es folgendermassen:'Mit anderen Worten, Kultur ist mehr als eine blosse Ideologie. Im Hinblick auf die erklrten Ziele der abendlndischen Zivilisation und dieAnsprche, sie zu verwirklichen, wrden wir Kultur als einen Prozessder HUMANISIERUNG definieren, charakterisiert durch die kollektive An-strengung, das menschliche Leben zu erhalten, den Kampf ums Dasein zubefrieden oder ihn in kontrollierbaren Grenzen zu halten, eine produktive Organisation der Gesellschaft zu festigen, die geistigen Fhigkeiten

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    der Menschen zu entwickeln und Agressionen, Gewalt und Elend zu verringern und zu sublimieren'.9Wir mchten diese Bivalenz der Kultur nher verdeutlichen an Handeines Beispieles.In seinem Essay Veblens Angriff auf die Kultur kritisiert Adorno VebIens Theorie, nach der die traditionelle Kultur der Bourgeoisie ein Ana-chronismus sei, der die Bourgeoisie zu intellektuellen, moralischen undsthetischen Haltungen zwingt, die der gesellschaftlichen Realitt nichtmehr entsprechen, und die nur als Statussymbole beibehalten werden:lOVeblen, der diese Status kultur angreift, sieht nach Adomo an der Tat-sache vorbei, dass diese Kultur - die, soweit sie Idealisierung einer vergangenen Realitt ist, in der Tat nur Schein und Unwahrheit ist - dochauch in anderer Hinsicht ein 'Widerschein der Wahrheit' bleibt: 'Siestellt den geschichtlichen, doch zwangslufigen Versuch dar, dem Erfah-rungsverlust, wie ihn die modeme Produktionsweise involviert, zu entrinnen und durch selbstgemachte Konkretion der Herrschaft des abstraktGleichen sich zu entziehen. Lieber sollen die Menschen das Konkretesich selber vorspiegeln als die Hoffnung von sich zu werfen, die daranhaftet. Die Warenfetische sind nicht bloss die Projektion undurchsichtigermenschlicher Beziehungen auf die Dingwelt. Sie sind zugleich die schimrischen Gottheiten, welche das nicht im Tausch Aufgehende reprsentieren, whrend sie doch selber dessen Primat entsprungen sind. Vondieser Antinomie ist Veblens Denken zurckgeprallt'.l1Wenn wir nun diese Stelle im Lichte des Begriffs der bifunktionalen Kultur analysieren, dann bekommen wir Folgendes. Der sozialkonomischeUnterbau des Industrialismus ist gekennzeichnet durch die 'Herrschaftdes abstrakt Gleichen', d.h. die Herrschaft von Objekten, die als Warenin der auf Warenverkehr gegrndeten Gesellschaft standardisiert wurden.Hierdurch wird alles Einmalige, Differenzierte oder Individualisiert-Konkrete verdrngt, und verschwindet eine ganze Sphre menschlicher Er-fahrung (Erfahrungsverlust) zusammen mit dem Element Hoffnung undZukunftsverweisung, das in dieser Erfahrungssphre mitgegeben war. Diebrgerliche Kultur ist eine Antwort auf diesen Erfahrungsverlust, wobeidas Verlorene durch ein Surrogat ersetzt wird: die 'selbstgemachte', illusorische Konkretion. Hierdurch bleibt im Ueberbau etwas von dem aufbewahrt, was im Unterbau verschwand. Und in dieser Hinsicht hat dieseKultur ein Wahrheitsmoment: die illusorische Konkretion ist ein Indexfr das menschliche Streben nach Humanisierung. Sie ist antagonistischgegenber dem Unterbau, sie ist eine transzendierende Zukunftverweisungnach einer besseren Weh.Andererseits aber bleibt der Brger bei seinem Streben, die Warendiktatur zu bersteigen, in eben dieser Diktatur befangen. Die 'konkreten'

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    Kulturgter, die er hervorbringt, bekommen selber den Charakter vonWaren, weil sie innerhalb des bestehenden Unterbaues als Status- undMachtsymbole verwendet werden. Es sind fetischisierte Waren, in denensich der Warencharakter der Individuen im sozialen Verkehr widerspiegelt.Der Brger ist soviel wert als der Wert seiner fetischisierten Kulturwaren auf dem Statusmarkt. In dieser Hinsicht ist diese Kultur dannwieder unwahr, als Epiphnomen des Unterbaus, den sie in ihren wahrenAspekten bersteigt. Dieses Beispiel verdeutlicht die Auffassung der N eodialektiker, dass Kultur immer zugleich kritisch und resignativ, dynamisch und passiv, direktiv und systembekrftigend, konservativ undprogressiv, wahr und falsch ist. In Adomos Umschreibung: 'Kritik istein unabdingbares Element der in sich widerspruchsvollen Kultur, bei aller Unwahrheit doch wieder so wahr wie die Kultur unwahr'.12Diese Konzeption einer bifunktionalen Kultur erhlt bei den Neodialektikern eine spezifisch 'dialektische' Frbung dadurch, dass die Bifunktionalitt in ihrer Ansicht nicht so verstanden werden darf, dass Kultur aus einer Juxtaposition von einerseits wahren und andrerseits unwahren Elementen besteht. Die Bifunktionalitt soll aufgefasst werden als Eigenschaft von allen Kulturelementen: dieselben Elemente sind immer zu-gleich wahr und falsch.Sie gehorchen dem Gesetz der internen Dialektik von Wahrheit undFalschheit, nach der die isolierende Unterscheidung zwischen falsch undwahr eine knstliche, begriffsmssige Scheidung einer real unteilbarenEinheit ist. Wahrheit und Falschheit sind Aspekte, unter denen ein unddasselbe Phnomen erscheint. Sie l ~ n n e n nur voreinander geschiedenwerden, wenn man nicht aus dem Auge verliert, dass es sich um Aspekteeiner Einheit handelt.Im strikten Sinne kann also nicht von wahrer oder falscher Kultur odervon wahren und von falschen Kulturelementen gesprochen werden, sondern nur von einem Wahrheits- und von einem Falschheitsaspekt vonKulturprodukten. Darum haben wir - um die Ansicht der Neodialektikerin unserer Wiedergabe ihrer Standpunkte zu respektieren - bewusst dieUmschreibung gebraucht: 'Kultur ist unwahr oder falsch, insofern . . .usw., und . . . Kultur ist wahr, insofern . . . , und nicht eine Umschreibungvom Typus: 'Wahre Kultur ist . . . und . . . unwahre Kultur ist . . . .In einer seiner Reflexionen aus den 'Minima Moralia' verdeutlicht Ador-no diese simultane Wahrheit und Falschheit eines Kulturproduktes miteiner Ausfhrung ber die moralischen Konzeptionen der feudalen Aristokratie als Ausdrcke einer illusorischen Bewusstseinsreflexion des feudalen Unterbaus und zugleich als progressive Transzendenz dieses Unterbaus. Einerseits spiegelt sich in Konzeptionen wie 'ritterlicher Eigenwrde ,'sittlicher Vornehmheit' und 'persnlicher Autarkie' das auf Privateigen-

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    turn gegrndete Privilegium des Aristokraten und seine faktische Situationvon wirtschaftlicher Unabhngigkeit und sozialer Macht. In dieser Hinsicht sind diese Konzeptionen fr die Neodialektiker 'falsch'.Andererseits aber enthalten diese Konzeptionen eine negative Haltunggegenber der Sphre des Geldes, des Wuchers und der auf geldlicher Remuneration beruhende Arbeitsteilung, d.h. gegenber der Reduktion desMenschen, seiner Arbeit und seiner Produkte, auf Tauschwaren innerhalb des wirtschaftlichen Marktmechanismus. In dieser Hinsicht verneinenund bersteigen diese Konzeptionen diese Sphre durch ihre Insistenz aufWerte wie Unabhngigkeit, Selbstbestimmung, geistige Schpfungskraftusw., die Adorno mit Bezug auf jene historische Periode fr progressivhlt.So sind dieselben Konzeptionen dann auch wieder 'wahr'. Im 'dialektisehen' Wortspiel heisst das: sie sind wahr in ihrer Unwahrheit, und un-wahr in ihrer Wahrheit, weil die zum Ausdruck gebrachte Wahrheit durchihre Bindung an einen Unterbau, worin sie nicht verwirklicht wird, kompromittiert ist. Die an sich progressiven Werte von Unabhngigkeit undSelbstbestimmung, die den Aristokraten beseelten, waren faktisch undwohl auch in seinem Bewusstsein verbunden mit einer sozialkonomischenOrdnung, in der wirkliche Unabhngigkeit und Selbstbestimmung nichtmglich waren.:13Ein anderes Beispiel finden wir in Marcuses Aufsatz 'Philosophie und kritische Theorie', in dem er die Bifunktionalitt der idealistischen Vemunftphilosophie darstellt. Der Grundbegriff dieser Philosophie, die 'Vernunft',ist ein Inbegriff von einer Anzahl Konzeptionen, die 'die Sorge um denMenschen' zum Ausdruck bringen, indem sie das ICH, das Subjekt, die persnliche Autonomie, die hhere Wahrheit, die Freiheit usw.gegenber der bestehenden Faktizitt, der 'falschen' Praxis der brgerlichen Gesellschaft, geltend machen. Darin ist diese Philosophie 'wahr'.Indem diese Werte aber als ideelle Abstrakta vorgestellt werden, als In-halte des verselbstndigten individuellen Bewusstseins, bringt diese Philosophie die bestehende Faktizitt als Scheidung von Theorie und Praxisund als Isolierung des Individuums in den Tauschverkehrverhltnissenzum Ausdruck - und verdeckt sie zugleich durch die Kreation einer freienund rationalen Welt auf der Ebene des Bewusstseins, die dann nachhermit der faktischen Welt gleichgesetzt wird, oder die die faktische W el tals eine Scheinwelt abweist. Darin ist diese Philosophie dann wieder 'un-wahr' 1.4 Wir knnen diese Kulturkonzeption folgendermassen zusammenfassen: Kultur ist die Totalitt von Ueberbauerscheinungen die - in Ue-bereinstimmung mit der dialektischen Verwerfung des logischen 1den ti-ttsprinzips - simultan wahr und falsch genannt werden knnen aufGrund eines inneren bivalenten Verhltnisses zum Unterbau.

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    2 Die neodialeknscbe KulturkritikDer bifunktionale Charakter der Kultur erklrt die ambivalente Haltungder Neodialektiker gegenber dem Kulturphnomen. Einerseits haben sieeine positive Haltung gegenber Kulturprodukten, weil diese ProdukteWahrheitsmomente zum Ausdruck bringen, und weil die Analyse solcherWahrheitsmomente als ein wesentliches Element des Erkenntnisprozessesin der dialektischen Philosophie betrachtet wird.Andrerseits behalten sie die Marxsche Position bei, dass Kultur relativheteronom und deshalb unwahr ist, was dann erklrt, dass Kulturphnomene von den Neodialektikern auch einigermassen ablehnend betrachtet werden.Fr diese 'unwahren' Aspekte der Kultur verwenden die Neodialektikerden Terminus 'IDEOLOGISCH' oder 'IDEOLOGIE' mit seinen negativen Konnotationen. Daneben verwenden sie den Begriff 'Ideologie' oder 'Ideologien' auch - wie schon am Anfang dieses Aufsatzes bemerkt wurde - alsneutralen Sachnamen fr bestehende Ideensysteme. Diesen Doppelgebrauch des Wortes sollte man sich bei der Lektre und der Deutung ihrerTexte stndig vor Augen halten, um terminologischen Missverstndnissenvorzubeugen. Dieser Doppelgebrauch kann am besten verdeutlicht werden, indem man darauf hinweist, dass 'Ideologie' in der neutralen Bedeutung als Sachname verwendet wird, whrend 'Ideologie' in der negativ gefrbten Bedeutung als Eigenschaftswort gebraucht wird. Dies erklrt z.B.die oft wiederkehrende Formulierung, dass 'eine Ideologie nicht nur ideologisch ist', womit gemeint wird, dass Ideensysteme nebst einem Un'wahrheitsaspekt auch einen Wahrheits aspekt haben.Mit ihrer positiven Haltung zur Kultur distanzieren sich die Neodialektiker von den doktrinren Marxisten,15 die alle brgerliche Kultur alsnur 'ideologisch', d.h. als nur Epiphnomen oder als vllige Unwahrheitablehnen. Diese vllige Ablehnung sieht nach den Neodialektilcern vorbei an der relativen Autonomie und also an der relativen Wahrheit vonKultur, auch der brgerlichen Kultur. Sie werfen den orthodoxen Mar-xisten vor, dass ihre naive Annahme, alle Kultur werde automatischverschwinden mit dem Sturz des Unterbaus, dessen Epiphnomen sie ist,die interne Dialektik von Wahrheit und Falschheit innerhalb des Kulturphnomens leugnet und die dialektische Wechselwirkung von Ueberbauund Unterbau verneint zugunsten einer einseitigen Determinierung desUeberbaues durch den Unterbau.Die NeodiaIektiker sind davon berzeugt, dass nebst einer Gesellschaftskritik auch eine Kulturkritik notwendig bleibt, dies im Gegensatz zu dendoktrinren Marxisten, welche behaupten, dass eine politische und sozialkonomische Gesellschaftskritik gengt und einer eingehenden Kultur-

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    kritik entbehren kann.Andrerseits distanzieren sich die Neodialektiker durch ihre Abweisungaller von der Praxis losgelsten Kultur von den sogenannten brgerli-chen, idealistischen Kulturkritikern.i6 Diesen wird vorgeworfen, dass siedas dialektische Verhltnis von Kultur und Unterbau verneinen und dieKulturelemente zu absoluten und universalen Wahrheiten und Wertenhypostasieren. Fr die Frankfurtianer findet das seine Erklrung in derTatsache, dass die brgerlichen Philosophen von einem elitehaften Vorur-teil ausgehen. Dieses Vorurteil besteht in dem Glauben, dass man dieKultur als eine absolute und universale Gegebenheit und Wahrheit 'be-sitzt' oder 'kennt', und dass es also gengt, die Zivilisation an dieserKultur zu messen, um die bestehenden Diskrepanzen ans Licht zu brin-gen .Diese Kritiker erhoffen sich eine wirkliche Umgestaltung der Wirklichkeitvan einer rein ethischen und theoretischen Kritik. Die Grnde der Dis-krepanz zwischen Wirklichheit und Kulturideal werden im Individuumgesucht: in irgendeiner Pervertierung seiner moralischen, sthetischenoder intellektuellen Mglichkeiten, oder in einer Degeneration des Kul-turbewusstseins unter dem Einfluss der modernen Wissenschaft und Phi-losophie, des sogennannten Materialismus und Verlust des Wertbewusst-seins des modernen Menschen. Diese psychologistische und moralistischeKritik geht von der naiven Voraussetzung aus, dass eine moralische Ver-kndigung von ewigen Kulturwerten ein geeignetes Mittel sei, um dieseWerte in der bestehenden Gesellschaft zu verwirklichen oder wiederherzu-stellen und so den Unterbau wieder an die Kultur anzugleichen. Fr dieNeodialektiker muss jede Kulturkritik ihre Verlngerung und Konkreti-sierung in einer Gesellschaftskritik finden, weil Kulturphnomene letztenEndes nur mittels einer Unterbaukritik v,llig gefasst und erklrt werdenknnen. Und eine Verwirklichung der Kultur wird notwendig eine Um-gestaltung des Unterbaus zur Voraussetzung haben. berdies ist fr dieNeodialektiker der Zweck der Kulturkritik nicht die Restauration von sta-tischen, absoluten oder universalen Werten, sondern die gesellschaftlicheVerwirklichung einer neuen, progressiven Kultur, deren Inhalt bestimrntwerden soll durch eine Deutung der transzendenten Elemente der ver-gangenen und der heutigen Kultur im Lichte der objektiven Entwicklungs-mglichkeiten der bestehenden Z i v i l i s a t i o n . ~ 7Nach dieser Auffassung sind doktrinre Marxisten und brgerliche Kul-turkritiker gleichermassen undialektisch. Sie betrachten die Kultur alseine isolierbare Sphre, die nicht in einer dialektischen Wechselwirkungs-beziehung zur bestehenden Zivilisation gedacht werden soll: die ortho-doxen Marxisten halten die Kultur fr bloss epiphnomenal, d.h. ohneeigene Dynamik, und die brgerlichen Philosophen betrachten die Kultur

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    als eine autonome ideelle Sphre.Die Frankfurtianer bezeichnen ihre eigenen Analysen als dialektischeoder kritische Theorie. Diese Theorie beansprucht, in gegebenen Kulturprodukten die Wahrheits- und Falschheitsmomente unterscheiden zuknnen und sie aus dem bifunktionalen Verhltnis zum Unterbau erklren zu knnen.Dieses Anliegen wird immanente Kritik genannt, weil sie beabsichtigt, dieKultur in ihren eigenen Inhalten und Ansprchen kritisch zu werten, indem sie mit ihren eigenen Widersprchen konfrontiert werden. Die Analyse dieser intrakulturellen Widersprche soll dann die realen gesellschaftlichen Widersprche, womit sie zusammenhngen und woraus sie erklrt werden mssen, ans Licht bringen. Adorno umschreibt es folgendermassen:'Die dialektische Theorie nimmt das Prinzip ernst, nicht die Ideologiean sich sei unwahr, sondern ihre Prtention, mit der Wirklichkeit bereizustimmen. Immanente Kritik geistiger Gebilde heisst, in der Analyse ihrerGestalt und ihres Sinnes den Widerspruch zwischen ihrer objektiven Ideeund jener Prtention zu begreifen und zu benennen, was die Konsistenzund Inkonsistenz der Gebilde an sich von der Verfassung des Daseins ausdrckt';1.8 und weiter: 'Gelungen aber heisst der immanenten Kritik nichtsowohl das Gebilde, das die objektiven Widersprche zum Trug der Harmonie vershnt, wie vielmehr jenes, das die Idee von Harmonie negativausdrckt, indem es die Widersprche rein, unnachgiebig, in seiner innersten Struktur prgt' 1.9Systematischer ausgedrckt heisst das, dass der dialektischen Kulturkritik folgende Funktionen zugeschrieben werden:a Die dialektische Theorie hat an Kulturprodukten zu unterscheidenzwischen gltigen Vorstellungen oder Ideen einerseits und andererseitsder eventuellen expliziten oder impliziten Behauptung, dass diese Vorstellungen und Ideen mit dem bestehenden Unterbau im Einklang sind.Unter 'gltigen' Ideen oder Vorstellungen wird verstanden: Ideen oderVorstellungen, die ein Bild der mglichen harmonischen Vershnung derwirklichen Gegenstze im bestehenden Unterbau entwerfen.b Die dialektische Theorie soll auftretende falsche Behauptungen bezglich der Korrespondenz zwischen Unterbau und Ueberbau enthllen undim Unterbau diejenige Elemente aufweisen, die fr die falschen Behauptungen verantwortlich sind. M.a.W., sie soll die Machtverhltnisse, dieInteressenverhltnisse und die institutionellen Strukturen oder totalgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen ans Licht bringen, die eine Erklrunggeben knnen fr die Tatsache, dass bestimmte objektive Gegenstze inder Kultur verneint, verdeckt oder scheinharmonisch vershnt werden.c Die dialektische Theorie soll diejenige Kulturaspekte als wertvoll her-

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    vorheben, die ihre gltigen Vorstellungen oder Ideen in einer 'negativen'Weise, d.h. in Opposition zum bestehenden Unterbau, zum Ausdruckbringen. Unter solcher negativer oder oppositioneller Ausdrucksweisesoll hierbei verstanden werden, dass das Bild der harmonischen Vershnung eine kritische Verweisung auf die in Wirklichkeit unvershnte Gegenstze enthlt. Im. Grunde luft dies darauf hinaus, dass die dialektische Theorie ein Instrument sein will, um in der Vielheitvon Kulturprodukten dasjenige aufzuspren, was im Lichte der neo dialektischen Humanittskonzeption einen Wahrheitswert hat, und es zu unterscheiden von dem, was nur ideelle Abspiegelung oder scheinharmonische Verklrung des inhumanen Unterbaus ist.Die sogenannten 'wahren' Aspekte sollen dann in konomische undpolitische Begriffe bersetzt werden, damit sie als Orientierung fr diegewnschte Transformation des Unterbaus dienen knnen. Wir verdeutlichen mit einer Stelle aus Marcuse: 'Die Spiegelung, welche die zuknftige Wahrheit in der vergangenen Philosophie gefunden hat, zeigt Sachverhalte an, die ber die anarchronistischen Zustnde hinausfhren. So istdie kritische Theorie noch mit diesen Wahrheiten verbunden. Sie erscheinen in ihr als ein Bewusstmachen der Mglichkeiten, zu denen die geschichtliche Situation selbst herangereift ist, und sie sind in den konomischen und politischen Begriffen der kritischen Theorie aufbewahrt'.203 Funktionsnderung der Kultur und der Kulturkritik in der totalitrenGesellschaftDie neodialektische Kulturkonzeption, wie sie im vorigen Abschnitt dargestellt wurde, ist in der Auffassung der Neodialektiker selbst in ihrerGltigkeit beschrnkt auf die historische Epoche, die der Transformation des liberal-brgerlichen Konkurrenzkapitalismus zum programmierten Monopolkapitalismus vorangeht, soweit es die westliche Entwicklungbetrifft, und die der Festigung des Leninismus-Stalinismus vorangeht, soweit es die Entwicklung Osteuropas betrifft. Die Vollziehung dieserbeiden Formen gesellschaftlicher Restrukturierung hat in der Ansicht derNeodialektiker das Kulturphnomen derart gendert, dass es nichtlnger in ihrer Konzeption der Bivalenz aufgefangen werden kann, unddass daher auch die Aufgabe der dialektischen Kulturkritik revidiert werden muss.3. 1 Die totalitre kapitalistische Gesellschaft -3. 1. 1 Die nur-affirmative oder eindimensionale Kultur - Eine der eigentmlichsten Auffassungen der Neodialektiker ist, dass mit dem Uebergang von liberal-kapitalistischer Gesellschaftsordnung zur totalitr-kapitalistischen die Kultur - und damit auch die Ideologie - eine fund amen-

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    tale Funktionsnderung erlitten hat. Die Kultur verlor ihren bivalentenCharakter und wurde ausschliesslich affirmativ. Sie hat damit aufgehrt, Kultur im dialektischen Sinne zu sein.21 Die Kultur, wie sie in derMassenproduktion der Kulturindustrie erscheint, wurde ihres Wahrheitsaspektes beraubt. Das Moment der Kritik und Opposition gegenber dembestehenden Unterbau ist aus ihr ausgeschaltet worden. Ihre transzendente Substanz verschwand. Sie ist nur noch Abspiegelung und Affirmation des Bestehenden. Sie pariert dieses Bestehende nicht mehr. Sie enthlt keine subjektive Transzendierung der Verdinglichung mehr, sie wirdvielmehr selber verdinglicht zu einem Komplex von Konsumgtern. Sie entfremdet von aller Menschlichkeit, weil sie das spezifisch Menschliche,nmlich die Negation der erstarrten und erstan-enden Verdinglichung,ausgemerzt hat. Ihre Funktion wird reduziert auf eine Art systembekrftigender Kommunikation.Sie wird zu einem funktionalen Glied in der Kommunikationskette desgesellschaftlichen Systems. Sie ist eine 'einfache Verlngerung' der Produktion, mit dem eindeutigen Zweck, die bestehende Gesellschaft so imBewusstsein zu reproduzieren, dass dieses Bewusstsein zu positiver Hinnahme des Bestehenden gebracht wird, und ist durch 'totale Immanenz'in der bestehenden Gesellschaft gekennzeichnet.22 Sie ist nur noch Element der sozialen Kontrolle.3 1.2 Unmglichkeit dialektischer Kulturkritik - Dieser Konsumkulturgegenber ist jegliche immanente Kulturkritik unmglich geworden. Diese Kultur beansprucht keine Transzendenz mehr und hat demzufolgekeinen Wahrheitswert mehr. Sie braucht nicht mehr, wie das bei derbrgerlich-idealistischen Kultur der Fall war, als Verdeckung oder als verklrende Abspiegelung entschleiert zu werden. Sie gibt sich ganz offenals das, wie sie ist: .bloss ideelle Reproduktion der bestehenden Zivilisation. Kultur und Ideologie stehen der Praxis nicht mehr kritisch gegenber, sondern gehren selber dieser Praxis an als ihre ideelle Begleitung.Die funktionalisierte Kultur verdeckt ihre pragmatischen Motive nichtmehr. Diese Motive brauchen nicht mehr enthllt zu werden. Die funktionelle Verbundenheit der Kultur mit konomischen Interessen, Machtkonstellationen und sozialen Institutionen tritt deutlich zutage. Der durchschittliche Brger in der Konsumgesellschaft weiss um diese Verbundenheit und nimmt sie als eine Selbstverstndlichkeit hin. Er wre eher skeptisch gegenber der Mglichkeit einer autonomen oder relativ-autonomen Kultur, die die bestehenden Zivilisation bersteigen wurde. Inder ffentlichen Meinung und wohl auch im hen-schenden intellektuellen Bewusstsein gelten kritische Denkusserungen und progressive Ideologien ohne Weiteres als verdchtig, insofern sie auf ih-

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    rem rein theoretischen und kritischen Charakter bestehen. Zu Marx'Lebzeiten musste die infrastrukturelle Determiniertheit gewisser brgerlich-idealistischen Theorien hervorgehoben werden. Im heutigen intellektuellen Klima dagegen ist das Wissen um diese infrastrukturelle Determiniertheit in solchem Masse zur Evidenz geworden, dass es dazu missbraucht wird, in unkritischer Generalisierung alle theoretischen usserungen ohne Weiteres als blosse Rationalisierungen von aussertheoretisehen Bestrebungen und Interessen hinzustellen.23Durch diesen Prozess wird der kritische Inhalt der begriffe 'Vernunft'und 'Wahrheit' selber ausgehhlt, und damit verschwindet die Mglichkeit, in ihrem Namen Kultur- und Ideologiekritik zu betreiben.3. 1. 3 Erklrung dieser Entwicklung - Ursprnglich beherrschten dieKriterien der Zweckmssigkeit und des praktischen Nutzens ausschliesslich das wirtschaftlich-technologische Teilsystem der Gesellschaft.Nach und nach jedoch haben diese ihren Radius ber die sozialen, kulturellen und individuellen Teilsysteme der Gesellschaft ausgedehnt undwurden dadurch zu totalgesellschaftlichen Steuerungsmechanismen, dieschliesslich auch das individuelle Bewusstsein in den Griff bekamen. Dieses Eindringen ,konomischer Werte und Normen in alle Bereiche dessozialen und persnlichen Lebens wird von den Neodialektikern der per-suasiven Macht und dem Prestige des wirtschaftlich-technologischen Sektors zugeschrieben. Diesem Sektor ist es allmhlich gelungen, die vitalenBedrfnisse der Bevlkerungsmehrheit zum grssten Teil zu befriedigen.Die Ausschaltung der primren Frustrationen, wie Hunger, massenhafteArbeitslosigkeit, unmittelbare Ausbeutung und Unterdrckung usw.,machte es diesem Sektor mglich, sich als Wohltter und Befrderer desallgemeinen Wohls aufzuwerfen und der Bev;lkerung vorzuspiegeln, dassdas gute Funktionieren der Gesamtgesellschaft davon abhngig sei, dassdie nichtwirtschaftlichen Lebensbereiche sich freiwillig den Werten undNormen der konomie unterwerfen. Die zunehmende Notwendigkeit vonKoordinierung und Programmierung hat zur Folge, dass die nicht-konomischen Sektoren sich in steigendem Masse zu organisieren haben nachPrinzipien, die mit den konomischen Bedrfnissen und Zielsetzungenim Einklang sind. Was mit diesen Bedrfnissen und Zielsetzungen unvereinbar ist, wird als Utopie oder als Mangel an Redlichkeit oder Realittssinn abgefertigt. 'Vernnftigkeit' wird mit der bestehenden Form vonwirtschaftlicher Rationalitt und 'efficiency' gleichgesetzt.Dies gilt nicht nur mit Bezug auf die ffentliche Meinung und die Le-bensanschauung des durchschnittlichen Brgers, es gilt auch hinsichtlichder heutigen Formen der Wissenschaft, Wissenschaftstheorie und Philosophie, die ebenfalls diese pragmatischen Ntzlichkeitswerte der bestehen-

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    den Zivilisation widerspiegeln und zu ihrer alleinigen Realisierung beitragen.Dies wird von den Neodialektikern den modemen Formen der Erkenntnislehre und der Methodologie angelastet. Diese Formen der Erkenntnislehre und der Methodologie werden 'positivistisch', 'neopositivistisch''pragmatisch' oder 'operationalistisch' genannt. Diese Termini werdenohne deutliche Begriffsbestimmung und Differenzierung durcheinander gebraucht zur Bezeichnung der Tendenz des heutigen wissenschaftlichenund philosophischen Denkens, den Begriff gltiger Erkenntnis zu beschrnken auf sinnlich wahrnehmbare Tatsachen, d.h. auf das positivGegebene oder die bestehende Faktizitt (Positivismus, Empirismus), aufBegriffe, deren Wahrheitswert von ihrem praktischen Nutzen oder ihrermglichen Verwirklichung abhngig ist (Pragmatismus), oder auf Begriffe,die bersetzt werden knnen in kontrollierbare Operationen innerhalbder gegebenen Faktizitt (Operationalismus). Durch diese Erkenntnislehre wird in der Auffassung der Neodialektiker das Bewusstsein desWissenschaftlers und des Philosophen auf das 'gegebene Universum vonDenken und Handeln' eingeschrnkt, und wird die Funktion des Denkens reduziert auf das Zustandebringen einer adquaten Reproduktiondieses Universums oder auf seine Manipulation nach den konomischtechnologischen Kriterien von 'efficiency', Produktivitt und funktionalerRationalitt.24Durch diesen Prozess werden auch die Wissenschaft und die Philosophiezu bloss affirmativen, systembekrftigenden Elementen. Die Kultur beruht nicht mehr auf einem 'falschen Bewusstsein', im Sinne eines Bewusstseins, das 'Illusionen' ber den Unterbau hervorbringt. Sie bringt imGegenteil den Unterbau getreu und realistisch zum Ausdruck.Sie ist auch nicht lnger mehr die Manifestation eines Gruppen- oderKlassenbewusstseins, d.h. des Bewusstseins einer sozialen Partikularitt,sondern die usserung des Bewusstseins des verwalteten Menschen in dertotalitren Gesellschaft, d.h. der gesellschaftlichen Totalitt.Sie kann daher auch nicht mehr als Partikularitt hingestellt werden undim Namen der Totalitt kritisiert werden. Sie drckt die bestehende Totalitt aus, sie verdoppelt sie auf Bewusstseinsebene und fhrt dadurcheine Koinzidenz von Bewusstsein und Realitt herbei.25 Mit dieser Ent-wieklung ist die Voraussetzung fr kritisch-oppositionelle Bewusstseinsusserungen verschwunden. Diese Voraussetzung war das Vorhandenseineiner Lebenssphre, worin noch 'privacy' mglich war, ein Bereich, dernoch nicht vllig vom Produktions- und Distributionssystem determiniertwar und worin der subjektive Geist sich noch selbstndig entwickelnkonnte in mglichst grosser Unabhngigkeit von der herrschenden Praxis.

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    3. 1. 4 Neodialektische Kulturkritik - In der totalitren, dirigierten Ge-sellschaft sind bifunktionale Kultur und Ideologie unmglich geworden.Sie knnen nur bestehen, solange die Entwicklung nach Totalitarismusnoch nicht wirklich allumfassend ist, d.h. solange noch Inseln brigbleiben, auf denen der exilierte subjektive Geist noch ein Asyl finden kann.Nur auf solchen Inselpositionen, von denen aus der Geist sich freizuhalten strebt vom bestehenden Unterbau und vom Bewusstseinstypus, dervon diesem Unterbau hervorgebracht worden ist, kann noch etwas vomsubjektiven Geist gerettet werden. Sobald der Geist irgend ein positivesVerhltnis zur bestehenden Praxis eingeht oder irgendeine 'realistische'Anpassung an die Praxis zustandebringt, wird er unvermeidlich in dentotalitren Griff des Totalsystems eingefangen. Die einzige Mglichkeit,um etwas von der Idee einer humanen Gesellschaft und vom richtigenMenschen beizubehalten, ist die vllige Entfremdung vom bestehendenGesellschafts- und Menschentyp.26Hierber folgende Stellen bei Adorno:'Nur soweit sie (die Kultur) der zum Gegenteil ihrer selbst verkommenenPraxis, der immer neuen Herstellung des Immergleichen, dem Dienst amKunden im Dienst der Verfgenden sich entzieht und damit den Menschen, hlt sie den Menschen die Treue'; und: 'Erst der Geist, der imWahn seiner Absolutheit vom bloss Daseienden ganz sich entfernt, be-stimmt in Wahrheit das bloss Daseiende in seiner N egativitt: solange nurein Geringes vom Geiste noch im Zusammenhang der Reproduktion desLebens verbleibt, wird er auf diesen auch vereidigt' 27In dieser Situation kann die Aufgabe der dialektischen Kulturkritik nurnoch darin bestehen, dass sie die seltenen usserungen des noch nichtdeterminierten Geistes aufsprt und ihre gesellschaftskritische Wahrheitlebendig hlt.Sie sieht sich dabei jedoch der Schwierigkeit gegenber, dass sie feststellen zu knnen meint, dass sogar diese letzten oppositionellen Kulturelemente in die bestehende Zivilisation einverleibt und dadurch affirmativgemacht werden.usserungen der Kritik, des Protestes und der Negation, die in der totalitren Gesellschaft noch vorkommen, werden selbst zu Konsumgtern.Sie werden als interessante 'Raritten' erlebt, als ungefhrliche und distraktive usserungen eines modischen Nonkonformismus oder als Ausdrcke bloss subjektiver Haltungen.28Durch diese neutralisierende Integration der noch brig gebliebenen oppositionellen Kultur gelingt es der Gesellschaft, auch dieser Kultur denletzten Wahrheitswert zu rauben. Dasjenige, was an nicht-integrierter oppositioneller Kultur brigbleibt, wird mehr und mehr auf ein mutwilligesund sozial gutgeheissenes Nichtbegreifen stossen. Es wird einfach beiseite

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    geschoben oder abgewiesen als usserung einer misslungenen sozialenAnpassung oder eines psychischen Ressentiments oder einer psychopathischen Persnlichkeits struktur 29Hierdurch wird jegliche oppositionelle Kultur, die auf ihrer Negativittbesteht, in eine Position der sozialen Irrelevanz und Machtlosigkeit gedrngt.Diese Tendenz der Konsumgesellschaft, entweder ihre eigene Oppositionsich einzuverleiben oder die nicht-integrierbaren Ueberreste an Hand so-zialpsychologischer Mechanismen auszuschalten,3o lsst die Neodialektiker selbst zweifeln am Sinn ihrer Kulturkritik in dieser Gesellschaft, daihre Kritik von derselben Gefahr der sozialen Irrelevanz und Machtlosigkeit bedroht ist. Diese Zweifel bekommen gelegentlich den Charaktereiner Hoffnungslosigkeit und eines Pessimismus, weil die immer unmglicher werdende dialektische Theorie als die einzige Alternative fr die~ l l i g e Integration von Denken und Handeln in die bestehende Zivilisation betrachtet wird.3. 2 Die totalitre kommunistische Gesellschaft31 -3.2.1 Die offizielle Kultur- und Ideologiedoktrin - Die offizielle Doktrin der leninistischen Parteien und Staaten lehrt, dass Ueberbau und Unterbau in den demokratisch-zentralistischen Staaten harmonisch bereinstimmen. Diese Behauptung wird folgendermassen gerechtfertigt.Durch die N ationalisation der Produktionsmittel und durch die Aufhebung der Klassengegenstze wird der Staat als wichtigstes U eberbauelement zum adquaten Ausdruck der Entwicklungstendenz des Unterbausund zugleich zu einem Faktor der aktiven Beschleunigung dieser Ent-wicklung. Diese Auffassung beruht auf Engels' Unterscheidung zwischendem Staate, der dem wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprozessentgegensteht oder blind von diesem Prozess determiniert wird, und demStaat der diesen Prozess hinnimmt, bekrftigt und beschleunigt. Der letztere Typ des Staats hat aufgehrt, in einem antagonistischen Verhltniszum Unterbau zu stehen.Dasselbe gilt fr die sonstigen superstrukturellen Elemente, wie Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Recht, Moral usw. Sie verlieren ihren Charakter von Unterdrckungsinstrumenten und sind in einer klassenlosenGesellschaft nicht lnger Ausdruck des falschen Bewusstseins der herrschenden Klasse oder der illusorischen Befriedigung der Bedrfnisse desausgebeteuten und entfremdeten Menschen.Kultur und Ideologie verlieren die beiden Funktionen, die in der brgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ihr Wesen ausmachen. Sie geraten inein grundstzlich verschiedenes Verhltnis zum Unterbau. 'The existenceof a socialist base would indeed change the entire tradition al function of20

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    the superstructure and establish a new relation between ideology and reality' 32Wir knnen diese neue Funktion umschreiben als: bekrftigende undaktivierende Bewusstwerdung des Unterbaus in seiner Entwicklungsten-denz.Der Ueberbau ist der Gesamtkomplex von politischen, administrativen,wirtschaftlichen, juristischen und intellektuell-moralischen Haltungen undvon Ideen, Normen, Werten und Idealen, die in diesen Institutionen verkndet werden, und wovon behauptet wird, dass sie die Bedrfnisse desUnterbaus formulieren und ihre Befriedigung frdern, orientieren undbeschleunigen.In der Auffassung der Neodialektiker ist diese behauptete Konkordanzvon Ueberbau und Unterbau jedoch nur eine theoretische Setzung. DieseSetzung hat aber in den totalitren kommunistischen Staaten zur Folge,dass alle Kulturprodukte, die Ideen, Werte, Normen oder Ideale zumAusdruck bringen, die abweichen von denjenigen die mit den bestehendenUeberbau-Einrichtungen verbunden sind, alsgegenrevolutionr, reaktionr oder brgerlich abgewiesen werden knnen, und Ideologieusserungen, die in kritischer oder antagonistischer Weise den bestehenden Unterbau bersteigen mchten, werden als unmglich oder als unzulssig beurteilt, weil sie als historisch regressiv aufgefasst werden. Wenn solcheKultur- und Ideologieelemente auftreten, brauchen sie nicht analysiertund gewertet zu werden. Als 'reaktionre' U eberbleibsei haben sie ohnehin keinen Wahrheitswert und knnen als blosse Strungsfaktoren bestritten werden. Auf Grund dieser U eberlegungen weisen die Vertreterdes dogmatischen 'Diamat' in den leninistischen Staaten die Notwendigkeit einer Kultur- und Ideologiekritik ab.

    3. 2. 2 Die neodialektische Kritik dieser Doktrin - Wie schon gesagt,werfen die Neodialektiker den leninistischen Dogmatikern vor, dass diebehauptete Einheit von U eberbau und Unterbau eine bloss theoretischeSetzung ist.Sie verwerfen die Behauptung, die Ueberbaukultur und Ideologie in denStaaten des sowjetrussischen Typs seien der adquate Ausdruck und diefrdernde Kanalisierung der Bedrfnisse des Unterbaus. Sie betrachtendiese Behauptung als einen machtpolitischen Missbrauch von Marx' A u f ~fassung der Kultur. als Epiphnomen. Wenn Kultur und Ideologie blossepiphnomenale Erscheinungen sind, dann kann selbstverstndlich alleKultur und Ideologie ausserhalb der kommunistischen Welt in apriorischer Weise, ohne Analyse und immanente Kritik, als reaktionre Unwahrheit abgefertigt werden, und dann kann die offizielle, staatlich kontrollierte Kultur der kommunistischen Staaten als adquater Aus-

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    druck des Unterbaus und als historisch notwendige Wahrheit vorge-stellt werden. Die offizielle Staatskultur gilt dann als Aufhebung der br-gerlichen falschen Kultur und als ideelle Selbstmanifestierung des aus derEntfremdung befreiten Menschen. Ausserhalb dieser Staatskultur ist danneine relativ autonome Kultur berflssig. Die Wahrheit braucht nichtdurch eine zweite Wahrheit vervollstndigt zu werden. Die nicht offizielleWahrheit kann nur Unwahrheit sein. Man beruft sich dabei auf Marx'Auffassung, dass Kultur und Philosophie, als relativ autonome und derPraxis entgegenstehende Faktoren, ihre Funktion verlieren, sobald diePraxis mittels einer proletarischen Revolution die theoretischen Inhalteder Kultur und der Philosophie gesellschaftlich verwirklicht haben. Diekommunistischen Brokraten behaupten, dass die leninistische Revolutionund die von ihr gegrndeten Einrichtungen diese Umgestaltung von Kul-tur in gesellschaftliche Wirklichkeit erfolgreich vollzogen haben und dassdemzufolge das Bedrfnis an relativ autonomer Kultur als historischerTriebkraft verschwunden ist. Sie gehen davon aus, dass die Ideen, Werte,Normen und Ideale, die als ideelle Orientierung und Motivierung fr dieErrichtung der humanen Gesellschaft notwendig sind, schon im bestehen-den System verkrpert oder wenigstens in der Parteidoktrin formuliertsind.Die Brokratie missbraucht hier ein Element aus Marx' Kulturkonzep-tion, um eine von ihr auferlegte und kontrollierte Kultur zu identifizie-ren mit den Bedrfnissen und Erwartungen der Gesellschaft, deren ein-ziger Vertreter und Interpret sie ist. Diese Kulturkonzeption ist nichtsals eine theoretische Rechtfertigung fr autoritre Kulturmanipulierungund fr 'brokratischen Terror'33 gegen alle nicht offiziellen Kulturpro-dukte. Die wirkliche Funktion dieser theoretischen Rechtfertigung be-steht in der Erhaltung der offiziell verneinten Kluft zwischen Ueberbauund Unterbau. Sie soll der kritischen Bewusstwerdung dieser Kluft entge-genwirken. Alle aus dem Unterbau hervorgehende Kultur und Ideologiewird als potentiell dysfunktion al betrachtet und ist darum von vornhereinverdchtig. Einer solchen Gefahr soll mittels einer offiziellen Staatskulturund Staatsideologie vorgebeugt werden. Adorno schreibt darber:'Die bndige Verleugnung der Kultur wird zum Vorwand, das Grbste,Gesndeste, selber Repressive zu befrdern, zumal den perennierendenKonflikt von Gesellschaft und Individuum, die doch beide gleichermassengezeichnet sind, stur zugunsten der Gesellschaft zu entscheiden (nach demMass der Administratoren, die ihrer sich bemchtigt haben. Von da istnur ein Schritt zur offiziellen Wiedereinfhrung der Kultur'.34Diese offizielle Staatskultur ist eine bloss funktionale. Genau wie dieKonsumkultur in den kapitalistischen Staaten soll diese Staatskultur sy-stembekrftigend, affirmativ wirken.22

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    Der Unterschied liegt nur in den Mitteln, womit die Funktionalitt zustande gebracht wird, und in der Art des Gesellschaftssystems, das vonihr bekrftigt werden soll. In der kapitalistischen Gesellschaft wird dieseFunktionalitt auf mittelbare Weise erreicht, durch industrielle Kulturdeterminierung und durch Bewusstseinsmanipulierung sowohl des Kulturproduzenten als der Kulturkonsumenten, whrend sie in der kommunistischen Gesellschaft durch brokratische Normbestimmung unddurch unmittelbare soziale Kontrolle von oben her zustande gebrachtwird.Weiter weisen die Neodialektiker die Vorstellung ab, alle oppositionelleKultur sei unterschiedslos reaktionr oder gegenrevolutionr. Sie sind imGegenteil der Meinung, dass nur in diesen Kulturprodukten die pro-gressiven oder revolutionren Tendenzen in der kommunistischen Gesellschaft ans Licht treten. Die fortbestehenden Formen von Frustration undUnterdrckung bekommen in diesen Kulturprodukten einen kritischenAusdruck.Uneingelste Erwartungen und Aspirationen werden darin sichtbar undknnen als Direktiven.fr weitere UmgestaltUng der Gesellschaft in derRichtung hherer Humanitt ausgewertet werden. Anstatt in diesen Kulturprodukten nur einen Strungsfaktor zu erkennen, betrachten die N eodialektiker diese Produkte als die einzige Hoffnung oder das einzigeWahrheitsmoment, das in den brokratisch-kommunistischen Staatennoch lebendig geblieben ist: 'the last refuge for the opposition to thisorder'.35Sowie in den kapitalistischen Staaten, so ist also auch in den kommunistischen Staaten die kritische Kultur in ihrer Entstehungsmglichkeit be-schrnkt auf isolierte Inselpositionen, die noch nicht ~ l l i g unter sozialeKontrolle gebracht wurden. Auf den Gebieten des Rechts, der Moral undder Wissenschaft sind solche Inselpositionen ausgeschlossen, weil dieBrokratie diese Gebiete vllig zu assimilieren wusste mittels der Gesetzgebung, des Erziehungssystems, der Wissenschaftsorganisation und derKommunikationsmittel. Sogar die Philosophie, die traditionell eines derwichtigsten Vehikel antagonistischer Kultur war, wurde fast ~ l l i g unterKontrolle gebracht durch die ihr auferlegte Unterwerfung unter die Dogmen und Fragestellungen des offiziellen 'Diamat'. Es bleiben also nur dieKunst und die Literatur als mgliche Vehikel kritisch-oppositionellenGeistes brig, weil die Versuche, auch diese Gebiete zu funktionalisieren,bisher noch nicht vllig gelungen sind. Darber schreibt Marcuse:

    ~ T h e danger zone of philosophical transcendence has been brought undercontrol through the absorption of philosophy into the official theory.Metaphysics, traditionally the chief refuge for the still unrealized ideasof human freedorn and fulfillment, is dec1ared to be totally superseded

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    by dialectical materialism and by the emergence of a rational society insocialism. Ethical philosophy, transformed into a pragmatic system ofrules and standards of behavior, has become an integral part of state policy. What remains of these branches of philosophy is their methodical negation. The fight against Western philosophy, 'bourgeois objectivism', idealism, and so forth (strikingly exemplified by the Aleksandrovcontroversy in 1946), aims at discrediting philosophical trends and categories which, by virtue of their transcendence, seemed to endanger . he'closed' political and ideological system . . . With this negation of philosophy, the main ideological struggle then is directed against the transcendence in art. Soviet art must be 'realistic'. 36Solange die Brokratie der Kunst und der Literatur einigen Spielraumgewhrt, ist es fr die Neodialektiker Aufgabe der 'kritischen Kulturtheorie' , in diesen knstlerischen Produkten die Wahrheits- und dieFalschheitsmomente zu unterscheiden und zu untersuchen, was diese Momente bezglich der im brokratischen Kommunismus noch ungelstenWidersprche ans Licht bringen, sowie ferner aus den Wahrheitsmomenten ein zukunftsweisendes Bild der noch zu verwirklichenden Humanittabzuleiten.Diese Aufgabe ist in der Ansicht der Neodialektiker die folgerichtigeVollziehung der Dialektik als Methode der Analyse, im Gegensatz zu dendoktrinren Leninisten-Stalinisten, die zwar die Dialektik als Evangelium verknden, aber Kultur und Ideologie nicht dialektisch analysieren.4 Kritische Wertung der neodialektischen KulturtheorieDie kritische Kulturtheorie der Neodialektiker enthlt fr die Erweiterung unserer Erkenntnis des Kultur- und Ideologiephnomens sowohlwertvolle als auch wertlose Elemente. Wertvoll sind eine Anzahl vonEinsichten, die Anlass geben knnen zu weiterer wissenschaftlicher Forschung.Die erkenntnistheoretischen Ansprche und die dialektisch-philosophische Einkleidung der Theorie hingegen kommen uns als wertlos vor. Wirmchten zuerst einmal auf diese wertlosen Aspekte eingehen.4.1 Wertlose Aspekte-4. 1. 1 B egrijjliche Vagheit und inadquate Methoden der Analyse - Dieneodialektische Theorie gibt sich nicht als eine Programmerklrung oderals eine Anzahl von Hypothesen, die durch weitere wissenschaftlicheForschung untersucht werden sollen, sondern als eine philosophischeTheorie, die an sich schon gengend Einsichten in die von ihr behandelten Phnomene und Probleme bietet. Diesem Anspruch knnen wirnicht beistimmen. Die Grundbegriffe der Theorie, wie 'transzendente' und

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    'affirmative Funktionen', 'Widerspiegelung' , 'Abschirmung', 'Idealisierung', 'Verselbstndigung', 'Privatisierung' usw. bleiben alliu vag umrissen, und diese Vagheit lsst keine przise, wissenschaftlich kon'trollierbare Aussagen zu. Auch erscheinen uns die konkreten Analysen, die vonden Neodialektikern als Applikation oder Verdeutlichung ihrer Grundbegriffe und Grundpositionen gegeben werden, als ungengend.Ein typisches Beispiel dafr ist ihre Analyse der modernen Wissenschaftund Wissenschaftstheorie, wovon sie denbloss affirmativen Charakterzeigen wollen. Dazu kennzeichnen sie eine Vielheit von oft stark auseinanderliegenden Phnomenen als 'positivistisch' und versuchen sie dadurchauf einen Nenner zu reduzieren. Dies geschieht aber ohne eingehendeAnalyse der Theorie und der Praxis der modemen Wissenschaft undWissenschaftstheorie.Hierdurch erhlt ihre Kritik einen willkrlichen und manipulierendenCharakter. 'Positivismus' ist eine billige Denunzierungaller usserungender modernen wissenschaftlichen Theorie und Praxis, die die bestehendeZivilisation begrifflich und operation al analysieren, um sie besser beherr:"sehen und ausbauen zu knnen im Dienste der herrschenden Mchte undInstitutionen und um das Bewusstsein des Individuums an sie anzupassen.Eine solche sogenannte 'Soziologie' des sogenannten 'Positivismus" isteine willkrliche aprioristische Konstruktion, die unanalysierte Phnomene zwangsmssig so umschreibt, dass sie in dieser Konstruktion aufgehen und von dieser Konstruktion aus kritisiert werden knnen. Ein anderes Beispiel ist ihre Analyse der hochbrgerlichen Kultur. Ohnevorange-hende sorgfltige Umschreibung der Inhalte, die diese Kultur konstituieren, und ohne grndliche Kennzeichnung der Zivilisation, als deren Ausdruck diese Kultur vorgestellt wird und die von dieser Kultur zugleichberschritten werden msste, whlen die Nedialektiker eine usserst be-schrnkte Anzahl von Inhalten dieser Kultur aus, die .in irgend eine Beziehung zu gewissen Aspekten der brgerlichen Zivilisation gesetzt werdenknnen, um dann auf unzulssige Generalisierungen ber das Verhltnisvon hochbrgerlicher Kultur und Zivilisation zu schliessen.Indem die Neodialektiker ihre Einsichten in der vorliegenden Fassung,d.h. mit dieser begrifflichen Vagheit und mit diesen unzulssigen Verallgemeinerungen in ihren Analysen, fr gltige theoretische Erkenntnis erklren und ihnen als Resultaten der 'dialektischen' Methode-einen Wahrheitsanspruch verleihen, der sich ber die logischen und empirischen Kriterien van Wissenschaftlichkeit erhebt, kompromittieren sie von vornherein auch jenen Teil ihrer AuffaSSUngen, der als Komplex mglicher Ar-beitshypothesen fr weitere wissenschaftliche Forschung fruchtbar gemacht werden knnte. Wir sind der Meinung, dass die fruchtbaren Ein-sichten der Neodialektiker von dem Anspruch auf bereits etablierte 'dia-

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    lektische' Wahrheit und von ihrer Bindung an die Dialektik als philosophische Methode losgekoppelt werden mssen, um sie als Hypothesenfr sozialwissenschaftliche Forschung ntzlich zu machen.4. 1. 2 Der Begriff der internen Dialektik von Wahrheit und Falschheit -Indem die Neodialektiker ihre Auffassungen mit der dialektischen Logikals ihrer Voraussetzung verbinden, verstricken sie sich in einem Netz unproduktiver philosopischer Spekulation, das ihren Darstellungen einenabstrusen und vagen Charakter gibt. Es gelingt ihnen nicht, den wissenschaftlich orientierten Leser von der Notwendigkeit oder Produktivittder dialektischen Methode zu berzeugen. Dafr gibt es zwei Grnde:a Weil sie, gen au wie Hegel, Marx und Lenin, nicht imstande sind,eine berzeugende Begrndung und eine systematisch anwendbare methodische Ausarbeitung der Dialektik zu formulieren, und dadurch die Gltigkeit ihrer Einsichten abhngig machen von der glubigen Hinnahmeeiner verwickelten und nutzlosen spekulativen Philosophie.b Weil ihre Ansichten, entgegen ihrem Beharren auf der Notwendigkeitder dialektischen Spekulation, gleich gut - wenn nicht besser - formuliertwerden knnen ohne solche dialektische Einkleidung. Wir mchten diesverdeutlichen bezglich des Begriffs der internen Dialektik von Wahrheit und Falschheit. Die vorausgesetzte Gleichzeitigkeit von Wahrheit undFalschheit als Prdikate ein und desselben Objektes - in diesem Falle:Prdikate von Kulturprodukten - beruht auf einer Erkenntnistheorie, nachder Prdikate wesentliche Eigenschaften von gegebenen Objekten ausdrcken.Ein gegebenes Objekt kann dann mehrere solche Eigenschaften haben,die als antithetisch gedeutet werden knnen, oder die auf Grund derinternen Dynamik des Objektes ineinander bergehen knnen. Hierdurchwird das Wortspiel ermglicht, dass etwas sowohl wahr als auch falschsein kann. Man sieht aber vorbei an der Tatsache, dass Prdikate wie'wahr' und 'falsch' dem Objekte zugeschrieben werden als Folge einerBeziehung dieses Objektes auf zwei verschiedene Gesichtspunkte oderBezugsysteme. Das bedeutet, dass von einem Objekte nicht gesagt werden kann, dass es sowohl 'wahr' als auch 'falsch' ist auf Grund seinerwesentlichen Eigenschaften, sondern dass nur auf Grund verschiedenersukzessiver Perspektiven dieses Objekt einmal 'wahr' und dann wieder'falsch' genannt werden kann.So nimmt man z.B. einerseits als Perspektive fr ein Kulturprodukt seinVerhltnis zum Idealbild von Humanitt, und dann kann man von dieserPerspektive aus dieses Kulturprodukt als 'wahr' qualifizieren. Andererseits nimmt man aber das Verhltnis zum Unterbau als Perspektive, unddann kann von demselben Kulturprodukt gesagt werden, dass es 'un-

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    wahr' oder 'falsch' ist.Diese perspektivistische Betrachtungsweise hat vor der Dialektik den Vorzug, dass die logische Schwierigkeit, die aus der Annahme simultanerWahrheit und Falschheit, d.h. aus der Preisgabe des logischen Identittsprinzips, notwendigerweise hervorgeht, vermieden wird. Und sie hat berdies den Vorteil, dass sie genau dasselbe ber Kulturprodukte auszusagen vermag als das was im Grunde mit dem Begriff der internen Dialektik von Wahrheit und Falschheit beabsichtigt wird. Es handelt sichschliesslich bei diesem Begriff nur darum, dass bestimmte Kulturerscheinungen verschiedene Aspekte aufweisen je nach dem Gesichtspunkt, unterdem man sie betrachtet. Der Begriff der internen Dialektik spricht dieseAnsicht bloss in einer scheintiefsinnigen, abstrusen philosophischen Weiseaus, womit der Deutlichkeit des Gedankens und seiner Formulierung nichtgedient wird.4. 1. 3 D'er Wahrheitsbegriff - Der Wahrheitsbegriff der Neodialektikerhat eine perfektionistische oder finalistische Geschichtsphilosophie zurVoraussetzung. Wahrheit ist die Formulierung von Leitbildern fr diehistorische Entwicklung nach Humanitt, wobei den realen Potentialittender jeweiligen Zivilisationsstufe Rechnung getragen wird. Wahrheit ist dieFormulierung 'realistischer Utopie': der Entwurf der g ~ s s t m g l i c h e n Hu-manisierung. Dieser Wahrheitsbegriff ruft Fragen auf, die von den Neodialektikern nicht beantwortet werden. Die wichtigste Frage ist dabei diese.Mit weIcher Methode knnte man das virtuelle Entwicklungspotential derbestehenden Zivilisation bestimmen? Es ist deutlich, dass dieses Potential nur als Funktion einer Alternative oder eines Idealbildes bestimmtwerden kann. Aber eben diese Alternative wird von den Neodialektikernnicht przisiert. Und dieses Unterlassen einer nheren Przisierung wirddadurch rechtfertigt, dass die Alternative nicht ohne Kenntnis der realen Mglichkeiten konstruiert werden kann. Das ist aber deutlich einZirkelargument: reales Entwicklungspotential und Humanittsideal knnen nur durcheinander bestimmt werden. Das heisst aber, dass sie berhaupt nicht bestimmt werden knnen, weil unbestimmte Phnomene einander nicht bestimmen knnen. Mit der gngigen Verweisung der Dialektiker auf eine Wechselwirkung von Mglichkeiten und Idealbild wirdberhaupt nichts gesagt, was Erkenntniswert htte, solange man den In-halt der aufeinander einwirkenden Elemente des Verhltnisses nicht genauzu bestimmen vermag. Hieraus ergibt sich, dass die Neodialektiker sichfaktisch in einem Subjektivismus verstricken, den sie als Neomarxistentheoretisch abweisen. Die kritische Kulturtheorie ist bei ihrem Versuch,in den gegebenen Kulturusserungen das Transzendente von dem Systembekrftigenden zu unterscheiden, notwendigerweise auf ein Bild der zu

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    verwirklichenden Humanitt angewiesen, und eben dieses Bild theoretischund empirisch auszugestalten weigern sie sich. Das heisst aber, dass sienur das subjektive Bild von Humanitt, das ihnen vorschwebt, als Massstab zur Verfgung haben. Dieses subjektive Bild ist das unausgesprocheneKriterium fr die Bestimmung des Wahrheitsgehaltes einer Kulturusserung. Und solch ein subjektives Wahrheitskriterium entzieht sich jeglicherForm von rationaler Diskussion und wissenschaftlicher Prfung. Es istals Kriterium fr Objektivitt oder Intersubjektivitt ungeeignet.Das Verfahren der Neodialektiker besteht letzten Endes darin, dass siebezglich gegebener Kulturprodukte untersuchen, ob diese Kulturprodukte Aspekte aufweisen, die so gedeutet werden knnen, dass sie in einpositives Verhltnis zum subjektiven Humanittsbild gesetzt werden knnen, um dann - wenn dies der Fall scheint ..,... zu behaupten, dass dieseKulturprodukte in der Geschichte tatschlich auch eine progressive odertranszendente Funktion gehabt haben. Ein solches Verfahren kann unsnur etwas ber das Humanittsideal der Neodialektiker .lehren, nichtsaber ber die reale Wirkung von Kulturprodukten in der geschichtlichenDynamik. Zur Verdeutlichung knnen wir hier noch einmal zurckverweisen auf ein Beispiel, das wir schon erwhnt haben: die neodialektische Analyse der aristokratisch-feudalen Kultur.In dem Kult der persnlichen Autarkie und der moralischen Vornehmheitder Aristokraten kann der Neodialektiker einen progressiven, transzendierenden Aspekt entdecken, weil er davon ausgeht, dass diese moralischen Werte dem von ihm verabscheuten konomismus der damaligenZivilisation antagonistisch gegenberstehen, und weil diese aristokratischen Gefhle theoretisch verbunden werden knnen mit vagen Begriffen wie 'Subjektunabhngigkeit' und 'Selbstbestimmung', die Zum neodialektischen Humanittsideal gehren. Daraus ergibt sich aber nicht,dass diese moralischen Gefhle in der Geschichte wirklich eine dynamische Rolle gespielt htten, zum Beispiel in der Ermglichung der brgerlichen Revolution; wie sich daraus auch nicht ergibt, dass diese Gefhle je von ihren Trgem als gesellschaftskritisch erlebt worden sind.Durch solche Analysen untergraben die Neodialektiker ihre eigene Po-sition, dass Kultur und Ideologie reale Faktoren der geschichtlichen Dy-namik und der Evolution zur Humanitt sind.Ihre Analysen verraten nur einen hegelianischen SystemzWang, der empirisch ungengend analysierte Phnomene in eine subjektive Geschichtskonstruktion einzuordnen versucht. Dieser Vorwurf von Subjektivismuskann brigens aus den neodialektischen Texten selber erhrtet weiden.Wenn von den Neodialektikern behauptet wird, das unter den heutigenUmstnden in der totalitren GesellschaftsordnUng die Wahrheitschanceauf isolierte Inselpositinen des individuellen Geistes beschrnkt ist, d.h.28

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    auf eine vermeintliche .subjektive .Autonomie, dann. vollziehen sie selbstdie Gleichsetzung von Wahrheit und Subjektivitt. Das einzige 'Kriteriumzur Unterscheidung von Wahrheit erzeugender Subjektivitt und. von'verdinglichter' Subjektivitt ist ihnen die individuelle Offenbarung von intellektueller Autonomie. Fragen wir aber, woran solche Offenbarung ab...,gelesen werden knnte, dann fallen wir wieder auf die Zirkelerklrung zurck, nach der als autonom der Geist gilt, der nicht von der bestehendenZivilisation determiniert worden ist, sondern der kritisch wertend in derPerspektive des Humanittsideals denkt. Das Kriterium fr geistige Au-tonomie wird wieder in die subjektive Konstruktion der Neodialektikerselbst verlegt.4. 2 Wertvolle Aspekte -4. 2. 1 - Es scheint uns fruchtbar, dass das Problem des Verhltnissesvon Kultur und Praxis von den Neodialektikern wieder gestellt wurde. Er-stens, weil die Marxsche Theorie darber sehr vag geblieben ist und eineweitere und przisere Ausarbeitung braucht. Zweitens, weil viele Marxisten und Parteidoktrinre diese Theorie politisch missbraucht haben,. umKulturprodukte und Ideen, die nicht mit ihren politischen Ansichten undZielsetzungen in Einklang zu bringen waren als usserungen eines falschen oder reaktionren brgerlichen Bewusstseins abzuweisen. Und drittens, weil die Entwicklung von Kultur und Gesellschaft selbst zu einerkritischen Revision der Marxschen Theorie Anlass gegeben haben. S p e ~zifisch fr die neodialektische Kulturkonzeption ist der Nachdruck, der,im Gegensatz zu den doktrinren Marxisten, wieder auf die transzendenteFunktion von Kulturusserungen und Ideologien gelegt wird. Das ist eineNeubelebung der Einsicht, dass Ueberbauerscheinungen im g e s e l l s c h a f t ~lichen Leben nicht nur epiphnomen al sind, sondern auch eine dyna'mische, normative oder regulierende Funktion haben. Hierdurch wird dieeinseitige Betonung der epiphnomenalen Widerspiegelungsaspekte vonKultur und Ideologie vermieden.Durch diese Einseitigkeit wurde ein grosser Teil der marxistischen 80-zialphilosophie simplistisch. Die Neodialektiker haben darum .mitRecht aufs neue auf die Wichtigkeit der kritischen Analyse und der Theorie als Voraussetzung fr jede normative Umgestaltung der bestehendenPraxis und auf die Rolle von Ideen bei der Orientierung und der M o t i ~vierung solcher Umgestaltung hingewiesen. Sozialphilosophisch heisstdas eine Wiederentdeckung der dynamischen Funktion des Subjektes mitseinem kritischen Bewusstsein und der Rolle seiner Ideen bei der Be-stimmung der historischen Zukunftsperspektive. Die 'subjektivistischen'oder 'voluntaristischen' Akzente, die in der Marxschen Theorie gefundenwerden knnen, werden von den Neodialektikern wieder geltend gemacht

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    gegen eine allzu einseitige Betonung der 'objektivistischen' oder 'sozialdeterministischen' Akzente. Fr die Sozialphilosophie ist das insofernwichtig, als die historische Entwicklung nach Marx eine Revision seinerKultur- und Ideologieauffassung notwendig gemacht hat.Marx' zeitweilige Minimalisierung der Rolle des kritischen Bewusstseinsund der Ideen als Realfaktoren in der gesellschaftlichen Dynamik wardie Folge eines Gesellschaftsbildes und einer Anthropologie, die im Lichteder spteren Entwicklung sich als einseitig erwiesen.Sein Glaube, dass die internen Widersprche des Kapitalismus aus eigenerDynamik zum Untergange des kapitalistischen Systems fhren wrdenund dass die zunehmende Pauperisierung und Verelendung des Proletariats einen Gipfelpunkt erreichen wrden, wo der absolut entmenschlichteProletarier aus sich selbst zum kritischen Bewusstsein und zur notwendigen revolutionren Theorie kommen wrde, hat sich faktisch nicht bewhrt.Dieses Faktum hat die Neodialektiker dazu gebracht, Marx' Auffassungkritisch abzustufen und geschichtlich zu relativieren. Sie halten zwar festan Marx' Auffassung, dass Kultur und Ideologie relativ unbedeutendsind unter historischen Umstnden, bei denen eine wirklich revolutionresoziale Basis vorhanden ist, d.h. wo die sozialkonomischen Krfte dervorwiegende Faktor der sozialen Dynamik sind, aber sie stellen dem entgegen, dass in Abwesenheit solcher revolutionrer Basis den oppositionellen Kulturusserungen ein grsseres Gewicht beigelegt werden soll. AlsKristallisationen des kritischen Bewusstseins knnen sie dieses Bewusstsein am Leben erhalten, bis sich die Umstnde so gendert haben, dasseine wirklich revolutionre Kraft auftreten kann .Kultur und Ideologiesind dann Trger progressiver Ideen, die sich unter den vorgegebenenzivilisatorischen Umstnden nicht praktisch verwirklichen lassen, und siefungieren als Theorie, die die mgliche Revolution ideell vorwegnimmtin ihrer Rechtfertigung und OTientierung. Wir sind der Meinung, dassdiese Auffassung schon darum wichtig ist, weil es uns vorkommt, dass diesoziale Bedeutung von superstrukturellen Elementen historisch nicht unvernderlich ist, sondern vom herrschenden Unterbau abhngig ist. Wirglauben zwar nicht, dass die Neodialektiker unsere wissenschaftliche Einsicht in diese Variabilitt wesentlich gefrdert haben, aber die Tatsache,dass sie die Aufmerksamkeit auf diese Variabilitt gelenkt haben, ist ansich schon fruchtbar als Perspektive fr neue wissenschaftliche Forschungen. Diese Perspektive ist der Komplex von Fragestellungen, die bezogensind auf die Grndung einer wissenschaftlichen Soziologie der verschiede-nen Funktionen von Kulturelementen in verschiedenen sozialen Systemenund geschichtlichen Epochen.

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    4. 2. 2 - Das Festhalten der Neodialektiker an der dynamischen Funktion von Kultur und Ideologie - wie unberzeugend sie diese Funktionauch analysiert haben -, scheint uns auch deswegen positiv, weil es ansich eine fruchtbare Hypothese fr sozialwissenschaftliche Forschung darstellt. Sie kann Anlass geben zu grndlichen Untersuchungen der sozialpsychologischen und gesellschaftlichen Wirkungen von verschiedenenIdeensystemen. Solche Untersuchungen knnten unsere wissenschaftlicheErkenntnis der Determinanten und der funktionalen und dysfunktionalenWirkungen von verschiedenartigen Kulturprodukten wesentlich erweitern.Auch die Behauptung, dass die transzendenten Aspekte der Kultur ausden fortbestehenden Frustrationen und nichteingelsten Erwartungen erklrt werden sollten, scheint uns eine fruchtbare Arbeitshypothese frsozialwissenschaftliehe Forschung. Ein korrelatives Studium von Ueberbauprodukten und von Frustrationen oder Erwartungen bei ihren Schpfern wrde unsere Einsicht in diese Produkte frdern.4. 2. 3 - Schliesslich sind wir der Ansicht, dass der Begriff der affirmativen, systembekrftigenden oder funktionalen Kultur zu interessantenwissenschaftlichen Hypothesen fhren kann.Man msste z.B. untersuchen:- welche Vorstellungen, Werte und Ideale einer gegebenen Zivilisationsstufe werden in den dazu gehrigen Ideensystemen reflektiert? und inwelcher Gestalt werden sie reflektiert?;- welche Elemente oder Aspekte herrschender Ideensysteme verhinderneine kritische Analyse von bestimmten Zivilisationsaspekten und wie istdiese Verhinderung zu verstehen?;- welche Aspekte der Zivilisation werden in herrschenden Ideensystemen idealisiert oder verklrt? und unter welchen Formen treten dieseIdealisierung und Verklrung auf? und von welchen kognitiven und evaluativen Mechanismen werden diese Formen der Idealisierung und Verklrung beherrscht?;- welche gesellschaftlich bestimmten Bewusstseinsinhalte werden vonihren Trgem zu autonomen, ideellen Wesenheiten in der Form universaler Werte oder Wahrheiten, hypostasiert? und aus welchen psychologischen und gesellschaftlichen Bedrfnissen geht dieses Phnomen. hervor?;- welche Werte, Normen und Ideale werden von ihren Trgem zu Angelegenheiten der Privatexistenz oder des sozialen Mikrokosmos reduziert? und von welchen psychischen und sozialen Faktoren wird dieserProzess beherrscht?Diese wenigen Beispiele zeigen zur Genge, dass die neodialektische Kultur- und Ideologieauffassung Elemente enthllt, die interessante wissen-

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    schaftliche Hypothesen oder Forschungsperspektiven erffnen knnten.Die Tatsache aber,dass es sich dabei bisher nur um ungeprfte Hypo":thesen handelt, zeigt zugleich die Beschrnktheit und die Unzulnglichkeitder neodialektischen Theorie, die sich selbst zu Unrecht als fertige theoretische Errungenschaft vorstellt.

    Nachweisen1 .Marcuse, Kultur und Gesellschaft 11, Suhrkamp, 1968, S. 147 (in weiteren Noten abgekrzt: KuG. 11) .2 Diese Umschreibung. von 'Ideologie' wurde von mir zusammengestellt ausverschiedenen Stellen bei Adorno und Marcuse. Die Autoren haben selber nirgendsgenau bestimmt, welche Eigenschafte 'Ideologien' kennzeichnen. So bleibt es Z.B.undeutlich, wie Ideologien gegen wissenschaftliche und philosophische Theorien,gegen .unartikulierte Welt- und Lebensanschauungen und gegen Formen derffentlichen Meinung abgegJ;'enzt werden knnten. Es wird sich bei meiner Wrdigung der Frankfurter Kultur- und Ideologiekritik herausstellen, dass diese UIlJdeut-lichkeit in der Begriffsbestimmung ein schwer zu berwindendes Hemmnis darstellt,wenn man genau ausfinden will, welche Phnomene eigentlich Objekt der Frankfurter Kritik sind.3 Adorno, Prismen - Kulturkritik und Gesellschaft, Suhrkamp, 1969, S. 13(in weiteren Noten abgekrzt: Pr.).4 Sie ist in diesem Falle sogar 'falsch' im Sinne der 'inadaequatio'. Von solcher'falschen Kultur' wird- in Nachahmung von Marx und Engels - gesagt, dasssie Produkt eines 'falschen Bewusstseins' ist.5 Diese ontologische Hypostasierung von Kulturinhalten wurde in der Auffassungder Frankfurtianer geistesgeschichtlich durch den philosophischen Idealismus ermglicht und rechtfertigt, der selber aus einer Absolutierung in der Theorie der in derPraxis herrschenden Scheidung von Theorie und Handeln hervorging. In diesemPunkte folgen die Frankfurtianer getreu der Marxschen Soziologie des Idealismus.6 V gl. folgende Stellen bei Marcuse:'Unter affirmativer Kultur sei jene der brgerlichen Epoche angehrige Kultur verstanden, welche im Laufe ihrer eignen Entwicklung dazu gefhrt hat, die geistig-seelische Welt als ein selbstndiges Wertreich von der Zivilisation abzulsen undber sie zu erhhen'; und weiter:'Indem das Zwecklose und Schne verinnerlicht und mit den Qualitten der verpflichtenden Allgemeingltigkeit und der erhabenen Schnheit zu den kulturellenWerten des Brgertums gemacht werden, wird in der Kultur ein Reich scheinbarerEinheit und scheinbarer Freiheit ausgebaut, worin die antagonistischen Daseinsverhltnisse eingespannt und befriedet werden sollen. Die Kultur bejaht und verdecktdie neuen gesellschaftlichen Lebensbedingungen'.; Marcuse, Kultur und Gesell-schaft I, Suhrkamp, 1968, S. 63-64 (in weiteren Noten abgekrzt: KuG I).7 Adorno, Pr., S. 12-13.8 Diese Betonung der dynamisch-antagonistischen Funktion der Kultur zeigt diegeistes geschichtliche Verbundenheit der Frankfurt ianer mit der Aufklrung. DieseVerbundenheit wird von ihnen selber brigens nicht geleugnet. Sie rechnen esder brgerlichen Philosophie in ihrer Hochblte als ein grosses Verdienst an, dasssie die Idee des Individuums, das sich als Trger von Vernunft und Glcksanspruchzu . Subjekt der historischen Praxis aufwirft, zu Entwicklung gebracht hat. Sie

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    weIfen dieser Philosophie nur vor, dass sie sich dieses Individuum als ein abstraktesIch oder autonomen Geist vorgestellt habe, und dass sie sich nach der Festigungder brgerlichen Klassenherrschaft in ein apologetisches System des Brgertumsumgewandelt habe.9 Marcuse, KuG II, S. 148.

    Adorno, Pr., S. 82-111.Dieser Aufsatz ist ,eine kritische Wrdigung der Veblenschen Kulturauffassung inseinem Buch 'Theory of the Leasure Class'.II Ebenda, S. 97-98.Ebenda, S. 11-12.:L3 Adorno, Minima MOl'alia, Suhrkamp, 1962, S. 259-260 (in weiteren Noten abgekrzt: MM).14 Marcuse, KuG I, S. 102-127, besonders S. 108-109.Eine grndlichere Applikation dieser dialektischen bifunktionalen Kulturauffassungfindet man in Marcuses Aufsatz 'Ueber den affirmativen Charakter der Kultur', mitbezug auf die brgerlich-idealistische Aufklrungskultur und die Romantik. Vgl.KuG I, S. 56-101.15 Gemeint sind die Vertreter des dogmatischen Diamat als offizieller Doktrin inden osteuropischen Staaten und ihre Adepte im Westen.16 Hiermit sind zumal die deutschen konservativen und reaktionren Kulturphilosophen gemeint, wie Z.B. J. Burckhardt, K. Mannheim, O. Spengler, F. G. Jnger,H. Freyer,u.a. Weiter auch angelschsische Kritiker wie HuxIey und Veblen. Denletzteren werden aber nebst idealistische auch brgerlich-materialistische Ideen vorgewoIfen, namentlich ihre Insistenz auf der Notwendigkeit einer vlligen Anpassungder Kultur an die bestehende Zivilisation. Siehe darber: Adornos Aufstze ber'Veblens Angriff auf die Kultur' und ber 'Aldous HuxIey und die Utopie', Pr.,S. 82-143.17 Diese Kritik der brgerlichen Kulturphilosophie findet sich vor allem in Adornos Aufsatz 'Kulturkritik und Gesellschaft', Pr., S. 7-31; und weiter auch in den inder vorigen Fussnote genannten Aufstzen und in einem Aufsatze ber den Bewusstseinsbegriff bei Mannheim, Pr., S. 32-50.18 Adorno, Pr., S. 27.19 Adorno, Pr., S. 27-28.20 Marcuse, KuG I, S. 127.21 Unter totalitrer kapitalistischer Gesellschaftsordnung verstehen die Frankfurtianer den Zustand des hochentwickelten industriellen Kapitalismus, der dadurchgekennzeichnet wird, dass der Bereich von Wirtschaft und Technologie alle sonstigen gesellschaftlichen Bereiche kontrolliert und seinen Bedrfnissen und Zielsetzungen unterwirft. D.h. ein Zustand, wobei ein gesellschaftlicher Bereich die Gesamtgesellschaft strukturell beherrscht und totalitr verwaltet.22 Adorno, Pr., S. 12, 17.23 'Heute aber ist die Bestimmung von Bewusstsein durch Sein zu einem Mittelgeworden, alles nicht mit dem Dasein einverstandene Bewusstsein zu eskamotieren.Das Moment der Objektivitt von Wahrheit, ohne das Dialektik nicht vorgestelltwerden kann, wird stillschweigend durch vulgren PositivismuS. und Pragmatismus- in letzter Instanz: brgerlichen Subjektivismus - ersetzt'; und weiter:'Kein Satz mehr wird zu denken gewagt, dem nicht explizit, in allen Lagern, ebender Hinweis, fr wen er gut sei, frhlich beigegeben wre, den einmal die Polemikherauszuschlen suchte', Adorno, Pr., S. 22-23.24 'In Philosophie, Psychologie und Soziologie herrscht ein Pseudo-empirismus

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    vor, der seine Begriffe und Methoden auf die beschrnkte und unterdrckte Erfahrung der Menschen in der verwalteten Welt bezieht und Begriffe, die nicht amVerhalten orientiert sind, zu metafysischen Konfusionen herabsetzt'; und weiter:'Die in der fortgeschrittenen Industriekultur herrschenden Denk- und Forschungsweisen tendieren dazu, die normativen Begriffe mit ihrer tatschlichen gesellschaftlichen Verwirklichung zu identifizieren oder nehmen vielmehr die Weise, in derdiese Gesellschaft diese Begriffe in die Wirklichkeit bersetzt, zur Norm, wobei siebestenfalls versuchen, die Uebersetzung zu bessern; der unbersetzbare Rest wirdals veraltete Spekulation betrachtet', Marcuse KuG H, S. 156-157.25 'Darum hat die Kritik oftmals weniger nach den bestimmten Interessenlagen zu fahnden, denen kulturelle Phnomene zugeordn.et sein sollen, als zu entziffern, was von der Tendenz der Gesamtgesellschaft in ihnen zutage kommt,durch die hindurch die mchtigsten Interessen sich realisieren. Kulturkritik wirdzur gesellschaftlichen Physiognomik'; und weiter:'Ideologie heisst heute: die Gesellschaft als Erscheinung. Sie ist vermittelt durchdie Totalitt, hinter der die Herrschaft des Partialen steht, nicht jedoch umstandslosreduktibel auf ein Partialinteresse, und darum gewissermassen in all ihren Stckengleich nah dem Mittelpunkt'; Adorno, Pr., S. 25.26 ' ... die Bewahrung des Bildes einer Existenz, die hinausweist ber den Zwang,der hinter aller Arbeit steht', Adorno, Pr., S. 18-19.27 Adorno, Pr., S. 13-14.28 'Der Operationalismus im Denken und Verhalten verweist diese Wahrheiten{gemeint sind die Wahrheitsmomente oppositioneller Kultur, A.d.V.) an die pe,r-snliche, subjektive, emotionale Dimension; in dieser Form knnen sie dem Be-stehenden leicht eingepasst werden - die kritische, qualitative Transzendenz derKultur wird beseitigt und das Negative dem Positiven integriert', Marcuse, KuGII, S. 155.29 Adorno, Pr., S. 16; MM., S. 290.30 '... die technologische Zivilisation tendiert dazu, die transzendenten Ziele derKultur (transzendent im Hinblick auf die gesellschaftlich etablierten Ziele) zubeseitigen und beseitigt oder schmlert damit jene Faktoren und Elemente derKultur, die gegenber den gegebenen Formen der Zivilisation antagonistisch undfremd waren', Marcuse, KuG II, S. 151.31 Unsere Wiedergabe der Auffassung der Frankfurtianer ber Kultur und Kulturkritik mit bezug auf die kommunistische totalitre Gesellschaft grndet sichhauptschlich auf Marcuses Soviet Marxism, New York, 1958; weiter auch auf einigen Stellen in Adomos Minima Moralia und 'Kulturkritik und Gesellschaft' (inPrismen).32 Marcuse, Soviet Marxism, S. 123.33 Adorno, Pr., S. 26.34 Adorno, Pr., S. 26-27.35 Marcuse, Soviet Marxism, S. 125.36 Marcuse, ebenda, S. 127-128.