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Verborgene Lust...Ooyevaer und Jan Jansz van Asten gedichtet, wurden von den jungen Leuten gern auf Spaziergangen durch die Dunen und zum Strand oder in Dorfer wie Spaarnwoude gesungen

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Vergniigliches Leben - Verborgene Lust

Holliindische Gesellschaftsszenen von Frans Hals

bis Jan Steen

Erschienen anlasslich der Ausstellung in der

Hamburger Kunsthalle

30. Januar 2004 -16. Mai 2004, Hamburg

HERAUSGEGEBEN VON:

Pieter Biesboer und Martina Sitt

KONZEPT:

Pieter Biesboer (Haarlem)

KONZEPTION DER HAMBURGER

AUSSTELLUNG:

Martina Sitt und Marvin Altner

KATALOG MIT BEITRAGEN VON:

Pieter Biesboer, Cynthia von Bogendorf

Rupprath, Karel Bostoen, Louis Peter Grijp,

Martina Sitt

MIT TEXTEN ZU DEN AUSGESTELLTEN

WERKEN VON:

Marvin Altner, Pieter Biesboer, Cynthia von

Bogendorf Rupprath, Elmar Kolfin,

Martina Sitt

BIOGRAPH lEN ZUSAMMENGESTELLT VON:

Manuela Kleist

REDAKTION:

Pieter Biesboer, Martina Sitt, unter Mitarbeit

von Marvin Altner

UBERSETZUNGEN:

Susanne Karau, Gottfried Konig

BEARBEITUNGEN DER UBERSETZUNGEN:

Martina Sitt, Marvin Altner, Regine Gerhardt,

Ute Dercks, Lea Fluck

VERLAG:

Waanders Uitgeverij, Zwolle

Frans Hals Museum, Haarlem

Die Rolle der Musik in satirischen

und vergnuglichen Szenen im Haarlem

des 17. Jahrhunderts

Louis Peter Grijp

In jenen Bildern der Haarlemer Genremaler, in denen vergnugliche Szenen oder reinste Satire dar­

gestellt sind, kommt haufig auch der Musik eine wichtige Rolle zu. Auf mehr als der Halfte der hier

vorgestellten Gemalde sieht man singende oder spielende Figuren. Musik war in den Genrebildern

des Goldenen Zeitalters ein beliebtes Thema, vor allem wegen der vielen symbolischen Bedeutungen,

die mit ihr verbunden sind.1

Diese Ausstellung bietet dafur eine Vielzahl von Beispielen. So sind musikalische Attribute

besonders fur allegorische Darstellungen der funf Sinne geeignet. Es ist nicht schwer zu erraten,

welches der flinf Kinder, mit denen Dirck Hals die Sinne darstellte, das Gehor symbolisiert: das

Flote spielende Madchen (Kat. 18). Auch die Harmonie zwischen Menschen, vor allem bei Hoch­

zeiten und im Familienleben, wurde gern als musikalisches Zusammenspiel inszeniert. Die bekannte

Musizierende Gesellschaft von Jan Miense Molenaer (Kat. 34) ist hierflir ein schones Beispiel: Funf

Kinder der Familie musizieren in sichtbarer Harmonie mit ihren Instrumenten: Gesang, Geige,

Sister, Laute und Bass. Bei solchen Familienportraits wird wohl ein zweites Motiv von Bedeutung

gewesen sein: der Stolz der Eltern auf die kostspielige musikalische Erziehung ihrer Kinder. Musik

war neben wertvollen Kleidern und Mobeln, die wir auf solchen Portraits antreffen, ein wahres

Statussymbol.

Doch die Demonstration des Wohlstands kann man auch negativ sehen, als Zeichen verganglicher

Eitelkeit, innerer Leere und sinnlosen Luxus. Obwohl die vanitas vor allem in Stilileben durch Musik­

bucher und Musikinstrumente dargestellt wird, da deren Klang bekanntlich rasch verhallt, findet

man diese Symbolik auch auf vielen Genrebildern. So tragen Laute und Notenheft das ihre zu Pots

Allegorie auf die VergCinglichkeit (Kat. 43) beL Gleiches gilt flir die Laute und die Floten an der Wand

in der Frohlichen Gesellschaft von Willem Buytewech (Kat. 7), die neben den verrauchten Pfeifen, der

herunter brennenden Kerze und dem umgefallenen Romer den Eindruck von Eitelkeit der heraus­

geputzten jungen Leute vermitteln. Eine interessante Kombination der Darstellung von Harmonie

Frans Hals Der lautspie/er mit Trinkglas, um 1626 Harold Samuel Collection, Corporation of london

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Abb·33 Titelbild von Hoerlemsche Duyn­vreucht,1636, herausgegeben von C. P. van Wesbusch in Haarlem, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

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c. P. van \Vefbufchs HAERLEMSCHE

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und eitlem, weltlichen Vergnugen zeigt die Frohliche Gesellschaft von Jan Miense Molenaer (Kat. 29):

In einem Zimmer, in dem unkeusche Liebe und Glucksspiele die Szene bestimmen, sind vier junge

Menschen auf das Musikspiel konzentriert. Sie schein en sich von den lasterhaften Vergnugungen

abzuwenden oder sich ihrer nicht bewusst zu sein. Eines der Madchen singt und schlagt dazu den

Takt, was als Darstellung der temperantia - als malSvolier Genuss - interpretiert werden konnte. Der

Maler zieht den Taktschlag mit der Hand als visuelle Andeutung des Gesangs der weniger schonen

Darstellung des geoffneten Mundes vor.

Auch wenn die Interpretation des Musizierens als Ausdruck von Tugendhaftigkeit zutrifft, bleibt

die Ambivalenz der Symbolik dennoch bestehen, denn die Musik im Sinn von vanitas deutet auch

auf eine weitere eitle Vergnugung hin. Gesang (Musik) konnte zusammen mit Wein und Weib eine

sundige Trias bilden. Es wurden viele Bordellszenen gemalt, auf denen leichte Madchen Saiten­

instrumente spielen. Die Laute mit ihrer Rosette und die B1ockflote dienten haufig als Symbol fur das

weibliche und mannliche Geschlechtsteil. In fruhneuzeitlicher Literatur und Poesie wird das Spielen

auf solchen Instrumenten gern als Metapher fUr den Geschlechtsakt eingesetzt. Gewiss muss man

nicht jede abgebildete Laute sexuell deuten, aber der lusterne Blick etwa, den Judith Leyster ein

singendes Madchen auf ihre Laute werfen lasst (Kat. 27), ist ein klares Zeichen ihrer amourosen

Ambitionen. SchlielSlich kann man Musik auch als Mittel zur Vertreibung der Melancholie inter­

pretieren, als unverfangliche Art, sich zu vergnugen und frohlich zu sein - doch die Haarlemer Maler

wollten die Inhalte eindeutiger ausdrucken.

Neben aller Symbolik sagen die Genrebilder auch etwas uber die tatsachliche Ausubung der Musik

im Goldenen Zeitalter aus. Gebrauchliche Saiteninstrumente waren Laute, Sister, Cembalo, Geige

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und Bass_ Bei den Lauten kann man verschiedene Typen unterscheiden. Die Serenade von Judith

Leyster (Kat. 24) wird von einer neun- oder zehnchorigen Laute (einer Laute mit neun oder zehn

Doppelsaiten) begleitet, die damals beliebt war. Auf der schon genannten Frohlichen Geselfschaft

(Kat. 29) ist eine kleine Theorbe oder Erzlaute zu sehen, eine Laute mit verlangertem Hals fOr Bass­

Saiten, um auch tiefere Tone spielen zu konnen. Auffallend ist, dass das abgebildete Exemplar zwei

abgeknickte Halse besitzt. Das kommt bei den hunderten von lautenartigen Instrumenten, die in

Museen bewahrt wurden, sonst nicht vor.2

Auch der Bass, die tiefste Variante der Geigenfamilie, den Dirck Hals (Kat.1S) in voller Groge

abgebildet hat, weicht vom Standartinstrument abo 1m Gegensatz zum heutigen Kontrabass, mit

seinem abgeflachten Boden eigentlich eine Kreuzung zwischen Bassgeige und Bassgambe, gehort das

bei Hals abgebildete Instrument eindeutig zur Gattung der Geigen, in der Groge zwischen Violon­

cello und Kontrabass einzuordnen. FOnf Saiten sind bei tiefen Saiteninstrumenten nicht ungewohn­

lich und verweisen auf eine Stimmung in Quarten wie bei der Gambe. Vermutlich waren es

sogenannte Achtfug-Instrumente, d. h. man spielte die notierte Tonhohe und nicht, wie der Kontra­

bass, eine Oktave tiefer. Auger Dirck Hals hat auch Jan Miense Molenaer diese Bassgeige gemalt

(siehe Kat. 34). Bei den Haarlemer Malern sind merkwOrdigerweise keine Gamben als Bassinstrumente,

sondern nur Bassgeigen zu finden.3 Das heigt nicht, dass in Haarlem keine Viola da Gamba gespielt

wurde, eher, dass in den Malerateliers nur Bassgeigen zirkulierten.

Auch unter den in diesem Katalog gezeigten Blasinstrumenten gibt es eine Oberraschung fOr die

Liebhaber alter Musik. Neben der popularen Blockfiote (Kat. 19) wird das typische Mannerinstrument,

eine Querflote, in der Frohlichen Geselfschaft (Kat. 29) ausnahmsweise von einer Frau gespielt. Nur

Abb,34 Titelbild von Spaerens Vreuchden-Bron, herausgegeben ,643 in Haarlem, Koninklijke Bibliotheek, Den' Haag,

53

Abb·35 Titelbild von Den Nieuwen lust-Hof, herausgegeben 1602 von Hans

Mathysz in Amsterdam, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

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DEN NIEVWEN LV5T.HOF. jfJ,2;

Gheplant vol uytghelefene,welgherij mde, eerefijc~e, Amoreufe ende vrolijcke ghefan": gheo,als Mey ,Bruylofcs, Tafel,code Nieuvv-jaers-licdekens,met noch verf'Cheyden tfanWl1~,__,_

fpreeckinghen fan~hs wyfe. ruac~ell Vry~r en Vryfrer. Vercierr ~~t feeckere (I\(,~ :~~ f ' ,/

coperen figuren dIe opre hcdekens accordeeren. ",",'. 0:/"''';

Item is n~efJhier dChtertot eenbeJlflJt by ghtvoeght,een B R. v Y L O!' T sB A. N C ~:£ T, verjien l1ietda~::'" " metftkhtelyck£ Taftl ende 'Brllylofts liedek,.ens,alles of goedemate enloe vOlfotJ ' -,,---~.-

,," . gefteltviUl_~~rJc}!:l~clJ..e~ferte.C~~fo~iJIC11· . ___ ,~,_ '"

ist das Instrument, mit dem Dirck Hals eine junge Frau abbildet (Kat, 16), weder eine Block- noch

eine Querflote. Sie halt es zwar wie eine Blockflote, diese ist aber vie I schmaler und erweitert sich

nicht am unteren Ende. Sie scheint nicht aus einem StUck Holz geformt, sondern aus einem ausge­

hohlten Zweig geschnitten, der von einer Weide oder einem Holunderbusch stammt. Solche Floten

werden gern von Kindern im Mai geschnitzt, wenn die Safte durch die Zweige stromen und das

Mark leicht entfernt werden kann. Haufig hatten diese sogenannten Maifloten aus Holunderzweigen

keine Locher, obwohl auch Lochersysteme fUr Zweigfloten bekannt sind.4

Auf Gemalden des siebzehnten Jahrhunderts sehen wir solche Floten erwartungsgemalS in

pastoralen Kontexten.5 Dirck Hals zeigt sie jedoch mehrmals in den Handen junger Madchen aus

bOrgerlichem Milieu. Bei dem Madchen der Fiinf Sinne (Kat. 18) kann man noch annehmen, dass es

sich um ein typisches Kinderinstrument handelt, jedoch hat die junge Frau (Kat. 16) ein Notenheft

vor sich auf dem Tisch. Die gleiche Flote ist in Hals' Frohlicher Gesellschaft im Freien von ca. 1620

(Frans Hals Museum) zu sehen, wo ein Oppig gekleidetes Madchen in einem Ensemble mit Laute,

Geige und Gesang die Flote nach Noten spielt. Man kann nur Vermutungen anstellen, wie sich diese

aulSergewohnliche Szene erklaren lasst. Einen komischen oder moralisierenden Eindruck scheint der

Maler nicht hervorrufen zu wollen. Vielleicht kannte er jemanden, der die Weidenflote so gut

beherrschte, dass er sie wie eine Blockflote spielen konnte.

Der Einsatz der Weidenflote in Hals' Frohlicher Gesellschaft im Freien entspricht nicht der traditio­

nellen Kombination von Musikinstrumenten in den Bildern der Zeit. An den Instrumenten kann

man gewohnlich ablesen, in welcher Gesellschaftsschicht sie gespielt werden, wie es das Beispiel der

Laute, Sister, Geige und Bassgeige zeigt, die den Gesang in Molenaers bereits genanntem Portrait

einer wohlhabenden Familie begleiten (Kat. 34). Diese Kombination ist musikalisch durchaus sinn­

voll: Sangerin und Geige spielen die Melodie, eventuell zweistimmig, die Bassgeige ubernimmt den

Bass, wahrend Laute und Sister die Akkorde hinzufUgen - ganz im Sinn der barocken Basso

Continuo-Praxis. Vermutlich hat sich Molenaer bei seiner Instrumentation ohnehin starker von der

kompositorischen Notwendigkeit leiten lassen, die Figurengruppe moglichst abwechslungsreich zu

gestalten.6

Situationen, in denen musiziert wurde, stimmen in vielen Fallen mit der musikalischen Realitat

uberein, wie wir sie aus anderen Quellen kennen. Das gilt auch fur Volksszenen, die den Verkauf von

Liederblattern auf einer Brucke zeigen (Kat. 38), oder das Johlen von Spottliedern (Kat. 31, siehe den

Knaben ganz rechts auf dem Bild), die Begleitung von Bauerntanzen auf der auch in diesem Milieu

popularen Geige (Kat. 33, 47) oder fur Szenen in einer elitaren Umgebung. Eine luxuriose Frohliche

Gesellschaft im Freien, wie wir sie bei Willem Buytewech, Dirck Hals und Esaias van de Velde

bewundern konnen, finden wir auch auf dem Titelblatt des Amsterdamer Liederbuches Den Nieuwen

Lust-Hof von 1602 (Abb. 35). In einer Liebeslaube wird an einem Tisch gegessen, getrunken und

vermutlich aus Exemplaren eben dieses Liederbuches gesungen mit Begleitung von Lauten und Spinett.

Die Lieder sind so dazu bestimmt, heigt es im Druck:

Damit ihr, zusammen mit euren Freundinnen, Die Zeit frohlich und freudig verbringen konnt.

Dass Tischlieder tatsachlich auch bei Mahlzeiten gesungen wurden, zeigt sich beim Hochzeitsportrait

(Abb. 34.1). Mit Den Nieuwen Lust-Hof nahm eine ganze Reihe reich ausgestatteter Liederbucher,

erkennbar am grogen Format (Quarto), an abwechslungsreicher Typographie, Bildern und zuweilen

auch Noten, ihren Anfang.

Zwar wurden solche luxuriosen Liederbucher nicht in Haarlem selbst gedruckt, doch ist ein sehr

schones Heft mit Liedern aus dieser Stadt erhalten, das Anna Steyn aus Haarlem gehorte und

1611-1612 datiert ist. Es ist in grunem Samt mit Silberstickerei gebunden und enthalt auger Liedern

auch einige Aquarellzeichnungen von Willem Buytewech.7

Schlicht aufgemachte Liederbucher gab es im Oberfluss. Bemerkenswert ist die Beziehung zur

Stadt, die aus den Titeln spricht: Haerlemsche Duyn-Vreught (1636), Sparens Vreughden-Bron (1643)

und Haerlemsche Winterbloempjes (1645), denen die Haerlemsche Somer-, Lente- und Meibloempjes

folgten (Abb. 33, 34).8 Der Begrunder der Haarlemer Singtradition, hinsichtlich Umfang und

Bedeutung die zweitwichtigste im Land, wird ein Minnesanger gewesen sein, der sich nach seinem

bekanntesten Lied Haerlem Soetendal nannte.9 Aus allen diesen Buchern spricht der Stolz auf diese

schone Stadt mit ihren anmutigen Sangerinnen und ihrer lieblichen Umgebung. Die Haarlemer

Lieder, von lokalen Autoren wie Anthony Janssen, G. A. Ooyevaer und Jan Jansz van Asten gedichtet,

wurden von den jungen Leuten gern auf Spaziergangen durch die Dunen und zum Strand oder in

Dorfer wie Spaarnwoude gesungen. Neben dieser popularen Liedkultur bluhte in Haarlem auch die

seriose Musik mit Kompositionen des Organisten Cornelis Helmbreecker, des Stadtpfeifers Cornelis

Thymensz Padbrue und des originellen Autodidakten Joan Albert Ban.10

Geht man hauptsachlich der Frage nach den Wechselwirkungen zwischen der Musik- und

Gesangskultur und der bildenden Kunst nach, so zeigt sich, dass Maler ublicherweise Beitrage fur

Liederbucher in Form von Stichen lieferten, die eigens fur die Lieder geschaffen wurden. Der Maler

Salomon de Bray veroffentlichte z. B. Lieder in Minne-Zughjes (1628), Padbrue widmete eine

Komposition dem Maler De Grebber, der fUr ihn ein Glas graviert hatte, und Anthony Janssen

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Abb.36 lan Steen Tweeer/ei keus, urn ,663-,665 Museum Narodowe, Warschau

Abb·37 Michel Le Blon nach Willem Buytewech, Kupferstich aus G.A. Bredero's Groot Liedboeck, ,622

Amsterdam, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

Abb·38 lan van de Velde nach David Vinckboons, Kupferstich aus G. A. Bredero's Groot Liedboeck, ,622

Amsterdam, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

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dichtete ein Loblied auf Padbrue zur Melodie von dessen Vijfde Kusje. Das die eigene Disziplin uber­

schreitende Wirken kam auch aulSerhalb von Haarlem haufig vor. Kennzeichnend fur Haarlem scheint

jedoch gewesen zu sein, dass hier Maler auch Bilder nach Liedern anfertigten. Der bemerkens­

werteste unter ihnen ist Jan Steen, der in seinen Haarlemer Jahren mehrere Scherzlieder zum Anlass

fUr Gemalde nahm. Sein Tweeeriei keus (um 1662-1665, Abb. 36) illustriert z. B. zwei Lieder von Bredero

auf die Melodie von Peeckelhaering: 0 Jannetje mijn soete beck, ein Dialog zwischen einem reichen

alten Mann und einem jungen Madchen, das er zur Ehe verfuhren will und als Gegenstiick einen

Dialog zwischen einer reichen alten Frau und einem jungen Mann (Nu Heereman, nu Jong-gesel).11 Der

Witz liegt vor allem in den Beleidigungen, mit denen die alten Leute vergrault werden. Der Refrain

beider Lieder lautet: "was du suchst, such' ich auch", namlich einen jungen Partner - ein Wunsch,

der in der Tat bei allen vier Sangern prasent ist. Den Refrain hat Steen auf den Kronleuchter seines

Bildes geschrieben, und zwar uber der Szene yom alten Mann und dem Madchen, das verliebt auf

die Flote ihres Verehrers (vermutlich Heereman) schaut. Die inventio fUr dieses Bild beruht nicht direkt

auf den Liedertexten. Steens Inspirationsquelle werden die Stiche gewesen sein, die er in Brederos

Groot Liedboeck gefunden hatte (Abb. 37 und 38) und virtuos zu einer einzigen Szene zusammen­

setzte. Zwei Lieder sind nach den ihnen zugehorigen Stich en zu einem einzigen Bild verschmolzen.

Das umgekehrte Verfahren wandte Steen bei Menistenzusje an, indem er aus einem Lied und dem

dazu gehorenden Stich zwei Bilder machte. Das Original bezieht sich auf das komische Gedicht

Menniste Vryagie von Jan Jansz Starter, wo der modisch gekleidete Dichter ein mennonitisches

Madchen zu verfUhren suchtY Es weist den mondanen Jungling entrustet ab, doch dieser erfindet

eine List: Er hullt sich in dunkle Kleider und spricht fromme Worte. Das Madchen lasst sich beein­

drucken und ladt den jungen Mann ein, sich zu ihm zu setzen. Die Geschichte endet tatsachlich im

Bett. Dieses Spottgedicht auf dorfliche Scheinheiligkeit wurde vielfach auch in Haarlem gesungen.13

Die dazugehorige Abbildung von Starters Friesche Lust-Hof (1627) zeigt beide Szenen, Zuruckweisung

und Erhorung, auf einer einzigen Gravure (Abb. 39). Die Aufteilung auf zwei Pendantbilder durch Jan

Steen lag daher auf der Hand.14 Seine Mennonitenmadchen wurden von dem Maler Brekelenkam

aus Leiden ubernommen.

(!\ac 't <3~i«ev ~a!1 u ~ief~'3i!tufDc <5'3iffc ~eegev~ . .pet1o~rct ~aet. fo .$f(g ~'3i(t ~at fg tt faC.$el'loe~c!1. ,

\ ~cQijt1'O ~at S)~g l1iet CV eijt. ~o 'Oed fJ; 'OicttE6iCs tttee'O i ~!1 CijtJ 110C~ Cj)Cj)cCop 't Cadft ~at'Oit ~emtiftje {ce~,

Abb·39 Kupferstich aus lan Jansz Starter De Friesche Lust-HoF, 1627

Koninklijke Bibliotheek, Den Haag

Jan Steen Der Besuch des Arztes, um 1663,

Ausschnit! The Wellington Museum, London

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Abb·4' Titelbild von Het vermaaklyk Buiten/even, of de Zingende en spelende Boerenvreugd, herausgegeben 1716 in

Haarlem, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

Abb·42

Adriaen van Ostade, Kupferstich aus Het vermaaklyk Buitenleven, of de Zingende en spelende Boerenvreu9d, herausgegeben 1716 in Haarlem, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

Abb·43 Illustration zum Lied Arent Pietersz Gljsen aus G. A. Bredero's, Groot Lied­Boeck, herausgegeben ,622 in Amsterdam, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

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Diese Faile lassen den Schluss zu, dass sich die Maler bei der Wahl der zu iIIustrierenden Liedtexte

wesentlich von Bildern in Liederbuchern leiten liegen, sich jedoch Komposition und Ausschnitt des

Themas vorbehielten.15 Auch Steens Besuch beim Arzt (um 1661-1662, Abb. 40) liegt ein komisches

Lied zugrunde, das auf einer Melodie aus dem englischen Possen-Repertoire basiert. Vier Sprecher

kommen zu Wort: das kranke Madchen, ihre Eltern und der Arzt. Steen zeigt aile vier, augerdem

noch einen kleinen Jungen mit Pfeil und Bogen, der als Cupido die Ursache der Beschwerden verrat.

Dass Steen seine Ideen fur die Stiche den Liederbuchern entnommen hat, ist nicht beweisbar, wohl

aber, dass er eine malerischen Tradition erarbeitete, denn man findet den Text im Liederheft von

Gesina Ter Borgh (Deventer 1652-1660), die ihn in einer sehr stark an Steens Version erinnernden

Weise illustriert hat.16

Neben Jan Steen lieg sich auch Jan Miense Molenaer fOr seine Gemalde wie etwa jener grogen

Bauernhochzeit (Abb. 43) von Brederos burleskem Lied Arent Pieter Gysen bzw. von der Gravure, die

ihm im Groot Lied-Boeck hinzugefugt wurde, inspirieren (Abb. 43),17 Vor allem der Durchblick auf

den Heuschober, wo Mieuwes und Trijntje sich lie ben wollen, bezeugt den Riickgriff. Raufbold Arent

Pieter durfte einer der Messerhelden rechts der Mitte sein und die burgerliche Figur im dunklen

Tuchanzug links, die die Hande in die Seite stemmt, wird der Dichter sein. Die Datierung des Bildes

auf 1662 lasst vermuten, dass Molenaer seinem neuen Mitburger Steen in der Kunst der Darstellung

komischer Lieder sogar vorangegangen ist.

Wahrend Haarlemer Maler wie Molenaer und Steen Bilder zu Liedern malten, so kam auch das

Umgekehrte vor: Haarlemer Dichter schrieben Lieder zu Gemalden. Mehrere Stiche von Adriaen

van Ostade wurden als IIlustrationen in einem Liederbuch mit dem Titel Het vermaaklyk Buitenleven,

of de Zingende en spefende Boerenvreugd (Haarlem, Wed. van Hulkenroy 1716, Abb. 41) verwandt. Die

Figuren von Ostade wenden sich singend dem Zuh6rer oder einander zu. So inspirierte Ostades

Pater Fami/ias von 1648 (Abb. 42) einen anonymen Dichter zu dem humoristischen Monolog eines

Bauern, der sein schreiendes Baby mit jenem Brei zu beruhigen sucht, den die Frau gerade am Herd

zubereitet. Um die Heiterkeit noch zu erh6hen, spricht der Bauer in westfalischem Dialekt.18

Das zu Grunde liegende komische Prinzip ist eigentlich dasselbe wie das eines Kabarettisten, der

heutzutage im Fernsehen Tiere sprechen lasst. Indem die Haarlemer Dichter - unter ihnen Jan van

Eisiand - den Figuren Namen und Stimmen verleihen, verstarken sie den satirischen Unterton von

Ostades Stichen.19 Tatsachlich schein en die Bilder von Molenaer und Steen, die sich auf Satiren aus

dem lieder-Repertoire beziehen, eine Haarlemer Spezialitat gewesen sein. Sie stehen am Anfang

einer besonderen Tradition, die dann vermutlich von den Dichtern des Vermaakfyk buitenfeven fort­

gesetzt wurde.

59

1. Siehe Eddy de Jongh fUr eine begrenzte Obersicht der symbolischen Bedeutungen der Musik: Muziek en schilderkunst, in: Een muziekgeschiedenis der Nederlanden, Hg. L. P. Grijp et. aI., S. 261-273. De Jongh weiters in: Tot lering en vermaak. Betekenissen van Hollandse genrevoorstellingen uit de zeventiende eeuw, Rijksmuseum, Amsterdam 1976, und in: Portretten van echt en trouw: Huwelijk en gezin in de Nederlandse kunst van de zeventiende eeuw, Frans Hals Museum, Haarlem-Zwolle 1986. Siehe auch Fischer '975; den Beitrag von Kyrova Den Haag1994; Antwerpen 1994.

2. Andere Bilder Molenaers beweisen seinen Irrtum, indem dort dasselbe Instrument in verschiedenen Ansichten abgebildet ist. Die RUckseite ist gut zu sehen in der Berliner Atelierszene, wo die Theorbe gegen einen Tischrand lehnt. Diesen besonderen Theorbentyp findet man auch auf Molenaers Musizierendes Poor (Seattle Art Museum, HaarlemfWorcester '993, Nr. 29) und auf seinem Lautenspieler (Verbleib unbekannt, HaarlemfWorcester '993, Abb. 32B). Weitere Abbildungen dieses Instruments bei anderen Malern sind mir nicht bekannt.

3· Dank an Johannes Boer, der an einer Studie Uber tiefe Streichinstrumente in den Niederlanden arbeitet. Gamben habe ich nur auf einem einzigen Bild von Molenaer angetroffen (Drei musizierende Kinder, Verz. Graf Potocki), aber nicht die Ubliche Bassgambe, sondern eine Tenor- und eine Altgambe.

4· Dank an Annemies Tamboer, die eine umfangreiche Dokumentation besitzt. Siehe u. a. Moeck, Gattingen 1951, S. 122ff. 5. Seihe Den Haag/Antwerpen '994, S.132ff. 6. Zur musikalisch sinnvollen Instrumentkombinationen aus der Continuo-Praxis siehe: Den Haag/Antwerpen '994, S. 120-121. Damit ist nichts Uber ihr

tatsachliches Vorkommen gesagt; beliebte Kombinationen gleicher Instrumente (etwa vier oder fUnf Blockfiaten oder gleichviel Gamben oder Lauten) fehlen auf Gemalden fast vollstandig. Solche homogenen Ensembles widersprachen offensichtlich dem Streben nach kompositorischer Variation.

7. Kaniglichen Bibliothek Den Haag. Die Zeichnung von Buytewech zeigt eine sitzende Hirtin in einer Landschaft. 8. Siehe Grijp 1992, S. 23-78; Veldhorst 1999. 9. Grootes '993, S. 93-109. 10. Siehe u. a. de Klerk 1965. 11. Brederos '975, S. 63 und 67. Die Lieder wurden, wie bei Pendantbildem, auf dieselbe Melodie gesungen. Es ist Pots hondert duysent slapperment,

auch Peeckelhaeringh genannt. Die Melodie gehart zum Repertoire der englischen Singpossen oder jigs, in denen die Figur des Peeckelhaeringh haufig vorkam: Grijp 1991, S. 136ff. Die Lieder stehen auf der CD De muzikale wereld van Jan Steen / lan Steen, schilder en verteller von Camerata Trajectina, Castricum 1996 (Globe GLO 6040), Nr. 8 und 10.

Kat. 29, Ausschnitt

Kat. 23, Ausschnitt

12. Starter 1627, Abt. Boertigheden, S. 22. Siehe CD De muzikole wereld von jon Stehen, Nr. 12. 13. Starter hat den Text nicht als Lied sondern als Sprechtext geschrieben. Melodien wurden erst spater hierzu gesucht oder komponiert. Als

Melodiehinweis kommt das Mennonitenmadchen u.a. var in den Haerlemsche Somer-Bloempjes, 1646, S.184, zu einem Victory-Uedt. Over de stercke Stodt Hulst, den 5. November, Anno 1645. Verovert door den E. Prince von Orangien. Noe de Musijck-Noten von 't erste kusje von C. T. Podbrue. Ebenso in:

Sporens Vreugden-Bron, 1646, Teil2, S. 69. '4. Braun 1980, Abbildungen Nr. 222 und 223 von 1664-1668. IS. VgLWestermann zu Tweeer/ei keus in: Washington/Amsterdam 1996-1997, S. 60. 16. Zu Beginn bittet die Mutter ihren Mann,den Arzt zu rufen: Ros jon en loopt eens met een set, En hoelt den Doctoor hier. Das Liederheft ist die einzige

Fundstelle dieses Textes; ein sehr ahnliches Lied findet man im Liederbuch Apollo of ghesongh der musen, Amsterdam 1615, 5.8], Eine Abbildung ist nicht bekannt. Siehe Gesinas Liederheft im Rijksmuseum Amsterdam, Sign. 312 M, FoL 24; Faksimile-Ausgabe in Kettering Amsterdam 1981, Teil2:

Poetry album S. 505. siehe auch CD De muzikole wereld von jon Steen von Camerata Trajectina, Nr. 36. '7. Weller 1992, S. 194ff. CD De muzikole wereld von jon Steen, Nr. 6, in Volendamer Dialekt. 18. Het vermooklyk Buitenleven, S. 13. Freie Obersetzung: Nun, du Hundsfott, / wer schreit so zu mir? / die Muhme setzt ein Topfchen/mit einem Brei

fOr dich auf./Das liebe Kind kreischt rasend,/wenn es essen wilL/Es hat nichts zu essen,fdie Muhme kommt mit Brei zu dir,/das Kind muss etwas

essen, / es ist rasend nach Brei.

19. Amsterdam 1998, S. 22ff.

Kat. '5, Ausschnitt

Kat. 24, Ausschnitt