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25 Jahre saurer Regen in Westfalen 46 Geographische Kommission für Westfalen Robert A. Smith, Chemiker und Schüler von Justus von Liebig, hat in seinem 1872 erschienenen Buch „Air and Rain“ („Luft und Regen“) den Begriff „acid rain“ („saurer Regen“) geprägt. Smith beobachtete eine deutliche Zunahme von freier Säure (Wasserstoff-Ionen: H + -Ionen) im Niederschlagswasser von Industriegebieten. Seit 1870 regnet es also sauer, der saure Regen ist nicht erst seit Beginn der „Waldsterben“-Debatte um 1970 bekannt. Die Stoffe, die den Regen sauer machen, vor allem Schwe- feldioxid und Stickoxide aus Verbren- nungsprozessen, lagen wahrscheinlich bereits 1870 in etwa auf dem Niveau wie 1980. Zwischen 1870 und 1980 dürfte es keine grundlegenden Unter- schiede im Säuregrad des Regens gege- ben haben, die pH-W erte bewegten sich im sauren Bereich um pH 4, also deut- lich unter dem natürlichen Bereich von pH 4,5 bis 8,0. Auch in Westfalen ist der saure Regen sicher älter als 25 Jahre, aber seit 25 Jahren werden landesweit in zahlrei- chen Messstationen Messwerte des sau- ren Niederschlags erhoben. Die westfä- lischen pH-Werte, immer bezogen auf den Freilandregen , pendeln in den 1980er Jahren um den mittleren Säure- grad des „deutschen“ Regenwassers, zur damaligen Zeit pH 4,3. Der Regen war also auch in Westfalen anthropogen ver- sauert (Abb. 1). Im Gegensatz zu früher (1870) dürften sich im ausgehenden 20. Jh. die Unterschiede im sauren Regen zwischen so genannten Reinluftgebieten auf dem Lande und industriellen Bela- stungsgebieten stärker ausgeglichen haben. So lag der Gebietsmittelwert des Sauerland-Regens in den 1980er Jahren Abb. 1: Vergleich von pH-Werten des Freilandregens westfälischer Messstationen im Messzeitraum der 1980er Jahre und 2004 (J. LETHMATE, eigener Entwurf) l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l Höhen in m ü. NN pH-Werte 1980er Jahre 2004 2004 keine Daten über 600 300 – 600 100 – 300 50 – 100 0 – 50 J. LETHMATE, eigener Entwurf Coesfeld Hamm Gütersloh Warendorf Recklinghausen Minden Bocholt Siegen Hagen Dortmund Arnsbg. Soest Paderborn Höxter Detmold Bielefeld Herford Münster 30 km Bottrop Teutoburger Teutoburger Teutoburger Wald Wald Wald Münsterland Münsterland Münsterland Baum- Baum- Baum- berge berge berge Haard Haard Haard Bochum Bochum Bochum Drescheid Drescheid Drescheid Homert Homert Homert Arnsberger Arnsberger Arnsberger Wald Wald Wald Ebbegebirge Ebbegebirge Ebbegebirge Rothaargebirge Rothaargebirge Rothaargebirge Glindfeld Glindfeld Glindfeld Eggegebirge Eggegebirge Eggegebirge Teutoburger Wald Teutoburger Wald Teutoburger Wald 4,3 5,1 4,3 5,0 4,1 4,0 5,3 4,1 4,3 5,5 4,2 4,4 6,2 6,4 3,3 4,5 4,4 4,1 4,9 4,2 Vergleich von pH-Werten des Freilandregens der 1980er Jahre und 2004 Gebiet und Identität Naturraum Bevölkerung Siedlung Wirtschaft und Verkehr Bildung und Kultur Gesellschaft und Politik Stand: 2007

Vergleich von pH-Werten des Freilandregens der 1980er ... · ben haben, die pH-Werte bewegten sich im sauren Bereich um pH 4, also deut-lich unter dem natürlichen Bereich von pH

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Page 1: Vergleich von pH-Werten des Freilandregens der 1980er ... · ben haben, die pH-Werte bewegten sich im sauren Bereich um pH 4, also deut-lich unter dem natürlichen Bereich von pH

25 Jahre saurer Regen in Westfalen

46 Geographische Kommission für Westfalen

Robert A. Smith, Chemiker und Schülervon Justus von Liebig, hat in seinem1872 erschienenen Buch „Air and Rain“(„Luft und Regen“) den Begriff „acidrain“ („saurer Regen“) geprägt. Smithbeobachtete eine deutliche Zunahmevon freier Säure (Wasserstoff-Ionen:H+-Ionen) im Niederschlagswasser vonIndustriegebieten. Seit 1870 regnet esalso sauer, der saure Regen ist nicht erstseit Beginn der „Waldsterben“-Debatteum 1970 bekannt. Die Stoffe, die denRegen sauer machen, vor allem Schwe-feldioxid und Stickoxide aus Verbren-

nungsprozessen, lagen wahrscheinlichbereits 1870 in etwa auf dem Niveauwie 1980. Zwischen 1870 und 1980dürfte es keine grundlegenden Unter-schiede im Säuregrad des Regens gege-ben haben, die pH-Werte bewegten sichim sauren Bereich um pH 4, also deut-lich unter dem natürlichen Bereich vonpH 4,5 bis 8,0.

Auch in Westfalen ist der saureRegen sicher älter als 25 Jahre, aber seit25 Jahren werden landesweit in zahlrei-chen Messstationen Messwerte des sau-ren Niederschlags erhoben. Die westfä-

lischen pH-Werte, immer bezogen aufden Freilandregen, pendeln in den1980er Jahren um den mittleren Säure-grad des „deutschen“ Regenwassers, zurdamaligen Zeit pH 4,3. Der Regen waralso auch in Westfalen anthropogen ver-sauert (Abb. 1). Im Gegensatz zu früher(1870) dürften sich im ausgehenden 20.Jh. die Unterschiede im sauren Regenzwischen so genannten Reinluftgebietenauf dem Lande und industriellen Bela-stungsgebieten stärker ausgeglichenhaben. So lag der Gebietsmittelwert desSauerland-Regens in den 1980er Jahren

Abb. 1: Vergleich von pH-Werten des Freilandregens westfälischer Messstationen im Messzeitraum der1980er Jahre und 2004 (J. LETHMATE, eigener Entwurf)

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Vergleich von pH-Wertendes Freilandregens der1980er Jahre und 2004

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Stand: 2007

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Saurer Regen

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bei pH 4,17 und übertraf den pH-Wertdes Regens einer Ruhrgebietsstadt wieBochum (Abb. 1: pH 4,1) nur um 0,07Einheiten. Die sauren Regen im Bal-lungsraum und Reinluftgebiet warennahezu identisch, der Begriff „Reinluft-gebiet“ ad absurdum geführt.

Die im Münsterland gemessenenpH-Werte des Regens lagen von Anfangan um 0,3 bis 0,5 pH-Einheiten höherals im südlichen und östlichen Westfa-len (Abb. 1). Das scheint gering, esmuss aber der logarithmische Charakterder pH-Werte bedacht werden. So ent-spricht eine pH-Absenkung um 0,3 Ein-heiten etwa einer Verdopplung, eineAbsenkung um 1 Einheit einer Verzehn-fachung der Säureaktivität. Der pH-Anstieg im Münsterland erklärt sichdurch die Ammoniakemissionen derMassentierhaltung; Ammoniak (NH3)neutralisiert einen Teil der freien Säure(H+) im Regenwasser unter Bildungvon Ammonium (NH4

+). Folglich stei-gen die pH-Werte. Anschaulich wirddieser Effekt besonders im Vergleich derpH-Werte im Regen des nordwestlichenund südöstlichen Teutoburger Waldes(Abb. 1). Während der Regen im Nord-westen des Waldgebietes in den 1980erJahren einen mittleren Säuregrad vonpH 4,4 aufwies, lag dieser im südöstli-

chen Teutoburger Wald bei pH 3,3. DerRegen war hier also ca. zehnfach saurer,der Einfluss des münsterländer Gülle-Belts mit seinen hohen Ammoniakemis-sionen war im südöstlichen TeutoburgerWald weniger wirksam, hier prägten aufdem Luftweg herantransportierte Säure-bildner aus dem Ballungsraum Rhein-Ruhr den Säuregrad des Regenwassers.

Vor und nach der Jahrtausendwendeverminderte sich der Säuregrad desRegens infolge rückläufiger Säurebe-standteile auch in Westfalen deutlich(Abb. 1, 2004-Daten). Der Anteil vonRegenwasserproben mit pH-Werten > 5stieg von weniger als 10 % Anfang der1980er Jahre auf fast 60 % in den Mess-jahren 2003/2004 (Abb. 2). Besondersdrastisch war der pH-Anstieg im Regendes Münsterlandes und des in Haupt-windrichtung nachgelagerten nordwest-lichen Teutoburger Waldes (Abb. 1).Die Zunahme vom pH-Mittel 4,4 auf 6,4bzw. 6,2 bedeutet eine Abnahme derfreien Säure um etwa das Hundertfache.Im Messzeitraum 1985/1986 schwank-ten die Regen-pH-Werte (Monatsmittel)im nordwestlichen Teutoburger Waldzwischen 3,6 und 4,8, der Freilandregenwar also meist anthropogen versauert.19 Jahre später, im Messzeitraum2004/2005, lagen die pH-Werte zwi-

schen 6,0 und 6,9, erreichten also fastden chemischen Neutralpunkt pH 7.

Da der saure Regen definitionsge-mäß nur die freie Säure umfasst, nichtaber die verborgene Säure, sind pH-Werte allein ein ökologisch trügeri-sches Maß. Der entsäuerte Regen hatnoch immer saure Wirkungen. ImRegen bleiben sie verborgen, „ver-steckt“ im Ammonium-Molekül. ImBoden aber setzt das mit dem Regeneingetragene Ammonium H+-Ionenfrei, entweder direkt bei der Pflanzen-aufnahme oder indirekt über die Nitrat-bildung. Zudem wirken Ammoniumund Nitrat düngend, verstärken also dasNährstoffüberangebot, die sog. Eutro-phierung. Besonders betroffen sind imMünsterland noch vorkommende sand-oligotrophe Biotope mit sehr seltenenPflanzenarten. Der saure Regen mit sei-nen niedrigen pH-Werten mag der Ver-gangenheit angehören, die versauern-den und eutrophierenden Effekte desRegens im Ökosystem aber keinesfalls.Sie stellen heute das eigentlicheUmweltproblem dar.

JÜRGEN LETHMATE

Abb. 2: Entwicklung der pH-Werte > 5 im Freilandregen an Waldmessstationen Nordrhein-Westfalens(Quelle: LÖBF 2006)

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