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Vermögenskontrolle nach 1945 Eine Aktenübernahme von der Oberfinanzdirektion Stuttgart Von RAINER B In den Jahren 1990-1997 gelangten Akten der Oberfinanzdirektion (OFD) Stuttgart zur Vermögenskontrolle und Rückerstattung nach 1945 in das Staatsarchiv Ludwigsburg (Bestand EL 402), die sich als eine bedeutsame Quelle für die politische, Sozial- und Wirtschaftsge- schichte der unmittelbaren Nach riegszeit wie auch des Dritten Reichs selbst erweisen werden. Was die berlieferung auf der Ebene der Mittel- und Unterbehörden angeht, so scheint das Thema »Vermögenskontrolle« nach dem Zweiten Weltkrieg von den Archiven und der historischen Forschung bisher eher wenig beachtet worden zu sein. 1 Dies ist Anlaß genug, über die Aktenübernahme zu berichten. Worum handelt es sich überhaupt? Die im Geschäftsbereich des Finanzministeriums vorgenommene Ver- mögenskontrolle stellt eine direkte Verbindung zwischen den beiden gro- ßen Bereichen der Entnazifizierung und Wiedergutmachung her, diese vom Landesamt für Wiedergutmachung (Justizministerium), jene von den Spruchkammern (Ministerium für Politische Befreiung) durchge- führt. Die unmittelbar nach Kriegsende einsetzende Vermögenskontrolle beschäftigte sich nicht bloß mit »NS-Vermögen«, also dem Besitz von Staat, NSDAP, belasteten Firmen und Personen, sondern zielte zugleich auf die erst später ausgestaltete Rückerstattung, d.h. auf die tatsächliche Rückgabe oder Entschädigung von Grund- und Vermögenswerten vor- nehmlich jüdischer Alteigentümer. Grundsätzlich sollten die Täter für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, unrechtmäßig er- worbenes Hab und Gut zurückgeben und für ihre Opfer aufkommen. Deren Rechte gegenüber Land und Bund konnten allerdings oft genug nur noch von der Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) wahrgenommen werden. Diese trat in einem Globalabkommen vom März 1952 gegen die Zahlung von zehn Millionen Mark ihre Ansprüche an das Land Württemberg-Baden ab. Als rechtliche Grundlagen· der Bereiche Vermögenskontrolle und Rückerstattung sind in Württemberg-Baden bzw. dem späteren Baden- Württemberg folgende Gesetze anzusehen: 2 1 Allerdings wurden erste Erfahrungen bereits im Staatsarchiv Freiburg gesammelt und freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Wichtige Informationen zur Behör- dengeschichte finden sich in den einschlägigen Beständen des Finanzministeriums im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (EA 5/001, Nr. 139; EA 5/102, 11.A.42 und V.H.1).

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Vermögenskontrolle nach 1945 Eine Aktenübernahme von der Oberfinanzdirektion Stuttgart

Von RAINER Br¿ning

In den Jahren 1990-1997 gelangten Akten der Oberfinanzdirektion (OFD) Stuttgart zur Vermögenskontrolle und Rückerstattung nach 1945 in das Staatsarchiv Ludwigsburg (Bestand EL 402), die sich als eine bedeutsame Quelle für die politische, Sozial- und Wirtschaftsge-schichte der unmittelbaren Nachkriegszeit wie auch des Dritten Reichs selbst erweisen werden. Was die ¦berlieferung auf der Ebene der Mittel-und Unterbehörden angeht, so scheint das Thema »Vermögenskontrolle« nach dem Zweiten Weltkrieg von den Archiven und der historischen Forschung bisher eher wenig beachtet worden zu sein. 1 Dies ist Anlaß genug, über die Aktenübernahme zu berichten.

Worum handelt es sich überhaupt? Die im Geschäftsbereich des Finanzministeriums vorgenommene Ver-

mögenskontrolle stellt eine direkte Verbindung zwischen den beiden gro-ßen Bereichen der Entnazifizierung und Wiedergutmachung her, diese vom Landesamt für Wiedergutmachung (Justizministerium), jene von den Spruchkammern (Ministerium für Politische Befreiung) durchge-führt. Die unmittelbar nach Kriegsende einsetzende Vermögenskontrolle beschäftigte sich nicht bloß mit »NS-Vermögen«, also dem Besitz von Staat, NSDAP, belasteten Firmen und Personen, sondern zielte zugleich auf die erst später ausgestaltete Rückerstattung, d.h. auf die tatsächliche Rückgabe oder Entschädigung von Grund- und Vermögenswerten vor-nehmlich jüdischer Alteigentümer. Grundsätzlich sollten die Täter für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, unrechtmäßig er-worbenes Hab und Gut zurückgeben und für ihre Opfer aufkommen. Deren Rechte gegenüber Land und Bund konnten allerdings oft genug nur noch von der Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) wahrgenommen werden. Diese trat in einem Globalabkommen vom März 1952 gegen die Zahlung von zehn Millionen Mark ihre Ansprüche an das Land Württemberg-Baden ab.

Als rechtliche Grundlagen· der Bereiche Vermögenskontrolle und Rückerstattung sind in Württemberg-Baden bzw. dem späteren Baden-Württemberg folgende Gesetze anzusehen:2

1 Allerdings wurden erste Erfahrungen bereits im Staatsarchiv Freiburg gesammelt und freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Wichtige Informationen zur Behör-dengeschichte finden sich in den einschlägigen Beständen des Finanzministeriums im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (EA 5/001, Nr. 139; EA 5/102, 11.A.42 und V.H.1).

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1. Gesetz Nr. 52 der Militärregierung-Deutschland (MRG), amerikani-sche Zone: Sperre und Kontrolle von Vermögen (25.10.1945). Hinzu tritt als Dienstanweisung: Titel 17, hrsg. vom Amt der Militärregie-rung für Deutschland (März 1946), revidierte Fassung vom 1. September 1946.

2. Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militaris-mus vom 5. März 1946.

3. Gesetz Nr. 59 der Militärregierung-Deutschland, amerikanische Zo-ne: Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände (10.11. 1947).

4. Gesetz Nr. 951 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) vom 16. August 1949.

Die Vermögenskontrolle gemäß MRG 52 oblag zu Anfang direkt der Amerikanischen Militärregierung (Property Control Division bzw. Branch). Sie wurde vom zentralen Land Property Control Bureau in Stuttgart und ab November 1945 von 29 in Nordwürttemberg und Nordbaden auf Kreisebene errichteten Property Control Offices (20 in Nordwürttemberg, neun in Nordbaden) ausgeübt. Ihr erster Chef war Lieutenant Colonel Bethel W. Peterson, gefolgt von Major John F. Coote (Oktober 1945 - März 1946), Lieutenant Colonel Edward J. Dinkert (April - Juni 1946) und Major Zinn B. Garret (Juli 1946 -September 1949).

Am 1. Juni 1946 ging die im Sinne der Dienstanweisung Titel 17 auszuführende Vermögenskontrolle an deutsche Stellen, d.h. den Mini-sterpräsidenten Württemberg-Badens, über, der sie an den Finanzmini-ster bzw. die Abteilung VI des Finanzministeriums - Verwaltung der Gesperrten Vermögen (VGV) - delegierte. Als ihr erster Leiter wurde Ministerialrat Paul Judith, bis dahin Leiter der Abteilung Wehrmacht-

2 Vgl. neben den einschlägigen Amts-, Regierungs- und Gesetzesblättern bzw. -sammlungen nebst Kommentaren für die Amerikanische Militärregierung, Würt-temberg-Baden und Baden-Württemberg insbesondere: Amt der Militärregierung für Deutschland (US-Zone) (Hg.), Titel 17, 2. revidierte Auflage 1946 (Dienstan-weisung des Landesamtes für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung, 1). -Hans Döll, Konrad Zweigert, Gesetz Nr. 52 über Sperre und Beaufsichtigung von Vermögen. Kommentar. Stuttgart 1947. - Erich Schullze (Hg.), Gesetz zur Be-freiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946. 2. ergänzte Auflage. München 1947. - Christoph Weisz (Hg.), OMGUS-Handbuch. Die ame-rikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 35). München 1994. - Constantin Goschler, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945-1954) (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 34). München 1992. - Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands (Quellen und Darstellungen zur Zeit-geschichte 27). 2. Auflage München 1996. - Paul Sauer, Demokratischer Neu-beginn in Not und Elend. Das Land Württemberg-Baden von 1945 bis 1952. Ulm 1978. - Clemens Vollnhals, Thomas Schlemmer (Hg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949. München 1991.

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vermögen im Finanzministerium, bestellt, der sowohl der amerikani-schen Militärregierung wie auch der deutschen Landesregierung verant-wortlich war; ihm folgte im Dezember 1949 Oberregierungsrat Faber.

Schon seit März 1946 war mit dem Aufbau einer deutschen Landes-dienststelle für zivile Vermögenskontrolle, der Land Civilian Agency Head (LCAH), begonnen worden, die dann in der neugegründeten Ab-teilung VI des Finanzministeriums auf ging. Die 29 Offices wurden zu (Kreis-)Ämtern für Vermögenskontrolle (AFV) umgebildet, wobei etwa 70 % des bisherigen deutschen Personals beibehalten wurde. Eine Mit-telinstanz existierte in Württemberg-Baden nicht. Die Oberaufsicht der Militärregierung blieb bestehen und wurde weiterhin vom Land Property Control Bureau in Stuttgart mit Vertretern in den Bezirken Ulm, Heilbronn, Stuttgart, Ludwigsburg, Mannheim und Karlsruhe ausgeübt, was durchaus noch im März 1947 zu Konflikten um Weisungs-befugnis und Kontrollrechte zwischen amerikanischen und deutschen Behördenvertretern führen konnte. Insgesamt scheinen allerdings die württembergisch-badischen Vermögenskontrollstellen im Vergleich mit anderen Dienststellen der amerikanischen Besatzungszone in Deutsch-land recht effektiv gearbeitet zu haben - auch wenn bereits im Juli 1946 gerade von badischer Seite Vorbehalte gegen die Stuttgarter Zentrale geäußert und die Verwaltung der gesperrten Vermögen durch eine Dienststelle der badischen Landesbezirksverwaltung gefordert wurden. Generell blieb die Vermögenskontrolle in den heftigen öffentlichen Dis-kurs über die Entnazifizierung und Wiedergutmachung eingebunden.

Die VGV war gemäß MRG 52 und Titel 17 hauptsächlich zuständig für: 1. Verwaltung der G-Vermögen (zwangsenteignete Vermögen, nach

MRG 52, I,2 gesperrt und nach MRG 59 rückerstattm}gsbefangen): 1. Vermögens-Kontrolle, 2. Vermögens-Aufsicht, d.h. Uberwachung der Rechnungs- und Geschäftsführung der Treuhänder, 3. Vermö-gens-Freigabe;

2. Verwaltung der C-Vermögen (Vermögen der NSDAP und deren Mit-glieder, nach 28. DVO zum Gesetz 104 gesperrt);

3. Statistik und Buchhaltung. Die Kontrollvermögen wurden ihrerseits untergliedert in: 1. arbeitende Vermögen (Betriebe), 2. sonstige ertragbringende Vermögen (Grundstücke, Wertpapiere) und 3. nicht ertragbringende Vermögen (Ruinengrundstücke). Der Höchststand der kontrollierten Vermögen lag bei ca. 19 000 Ver-mögen mit etwa 7000 Treuhändern und einem Wert von 3600 Millionen Mark, der Höchststand an Personal betrug bei VGV und allen AFV zusammen im Jahre 1948 600 Personen.

Im Bereich der Rückerstattung war die VGV zu Anfang als Vertre-tung des Landes und des Reiches auf getreten, letzteres ging gemäß der Vereinbarung des Bundesfinanzministers mit den Finanzministern der

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Länder vom 31. Januar 1952, der Württemberg-Baden mit Wirkung zum 1. Januar 1953 beitrat, auf den Bund über. Mit fortschreitender Erledigung ihrer Aufgaben wurden die in den Kreisen errichteten Ämter nach und nach zusammengelegt bzw. aufgelöst, so daß im Juni 1948 nurmehr 16 existierten, 1951 noch Stuttgart, Heidelberg und Karlsruhe. Als letztes wurde das AFV Heidelberg im Mai 1953 zur Außenstelle der VGV mit der Zuständigkeit für Nordbaden umgebildet, bevor es zum 1. April 1954 endgültig seine verbliebenen Geschäfte an die inzwischen errichtete Oberfinanzdirektion Stuttgart abtrat. Während bei der Grün-dung des Landes Baden-Württemberg das Amt Heidelberg für Nord-baden und die VGV für Nordwürttemberg wie auch als Oberbehörde für Heidelberg zuständig war, sollten beim Neubau der Finanzverwaltung das Finanzministerium - Abteilung Schulden und Vermögen - als Oberbehörde, die VGV als Bezirksinstanz für Nordwürttemberg und Mittel-instanz für Nordbaden, das AFV Heidelberg als Bezirksinstanz für Nordbaden fungieren.

Auf Grund der Verordnungen der vorläufigen Regierung über den Aufbau der Finanzverwaltung vom 17. September 1952 und 27. April 1953 wurden dann die Oberfinanzdirektionen als Landesdienststellen für die Vermögenskontrolle eingesetzt. Im Regierungsbezirk Nordwürttem-berg wurde die Hauptabteilung VI des Finanzministeriums in die Oberfinanzdirektion Stuttgart - Landesvermögens- und Bauabteilung, Ver-waltung der gesperrten Vermögen (Referat LBV 17) - eingegliedert. Sie war zuständig auf dem Gebiet: 1. der gesperrten und kontrollierten Vermögen, 2. des früheren NS-Vermögens, 3. der Rückerstattung, soweit das Land in Anspruch genommen wurde, 4. der Auseinandersetzung zwischen Land und JRSO sowie vergleich-

baren Organisationen, soweit nicht das Finanzministerium direkt tä-tig wurde.

In allen diesen Bereichen blieb die OFD Stuttgart auch weiterhin für den Regierungsbezirk Nordbaden verantwortlich.

Als Besonderheiten der gesamten amerikanischen Zone sind zudem noch das zum 1. Juli 1949 gebildete Hauptbüro für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in München (HVW) sowie das Zentralanmelde-amt Bad Nauheim (ZAA) zu beachten, dessen Aufgaben ab dem 1. Mai 1951 ebenfalls von der deutschen Verwaltung des HVW wahrgenommen wurden.

Etwas anders sah es in der französischen Besatzungszone, in Würt-temberg-Hohenzollern und Baden aus. In Tübingen war die Abteilung VII Vermögenskontrolle als Landesbehörde an das Finanzministerium angegliedert. Ihr unterstanden 18 Kreisämter, als deren letztes das Amt für Vermögenskontrolle Sigmaringen im September 1954 aufgelöst wur-de. Das seit Dezember 1952 beim Regierungspräsidium Tübingen an-gesiedelte Referat (Ila 3) für Vermögenskontrolle blieb auf Grund der Besonderheiten der französischen Zone als Dienststelle der OFD Stutt

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gart in Tübingen bestehen. Zur Durchführung der Vermögenskontrolle bediente sich das Land zudem der Württembergischen Verwaltungs- und Treuhand GmbH (WVT), deren alleiniger Gesellschafter es war.

In Baden waren Vermögenskontrollbehörden zugleich Dienststellen der Wiedergutmachung. In Freiburg hatte zunächst ein selbständiges Badisches Landesamt für Vermögenskontrolle (BLKV) bestanden, das 1948 als Abteilung IV in das Finanzministerium integriert wurde. Sie nahm ab 1949 auch die Aufgaben der Badischen Landesstelle für die Betreuung der deutschen Opfer des Nationalsozialismus wahr. 21 unter-geordnete Dienststellen waren bei den Finanzämtern angesiedelt, deren letzte in Freiburg bis September 1955 arbeitete; Die Abteilung IV selbst wurde ab Juli 1952 entflochten: Während die Wiedergutmachung an das Justizministerium gelangte, verblieb die Verwaltung der gesperrten Ver-mögen beim Finanzministerium. Auch hier wurden die entsprechenden Aufgaben 1953 schließlich von der OFD Freiburg übernommen.

Doch nun zum Bestand EL 402 OFD Stuttgart selbst. Die Akten der einzelnen Amter für Vermögenskontrolle wurden bei

ihrer Auflösung entweder an das nächst zuständige AFV oder direkt an die VGV in Stuttgart abgeliefert. Zwar wurden im November 1954 durchaus Uberlegungen zur Vernichtung der Akten angestellt, doch an-gesichts rechtlicher Bedenken in Hinsicht auf mögliche Regreßansprü-che und Befugnisse der Alliierten wie auch allgemeine Aufbewahrungs-fristen, erfolgte eine Zusammenfassung der württemberg-badischen und württemberg-hohenzollernschen Akten bei der OFD Stuttgart, der ba-dischen bei der OFD Freiburg. Inzwischen hat die OFD Stuttgart die württemberg-badischen Kreise an das Staatsarchiv Ludwigsburg und die württemberg-hohenzollernschen an das Staatsarchiv Sigmaringen, die OFD Freiburg an das Staatsarchiv Freiburg abgegeben.

Im Staatsarchiv Ludwigsburg treten als Provenienzen hauptsächlich das Finanzministerium Württemberg-Baden, Hauptabteilung VI (VGV), und die ehemals 29 Amter für Vermögenskontrolle auf. Die OFD Stuttgart als Endprovenienz hat selbst keine allzu umfangreichen Aktivitäten mehr entwickelt, doch geht die Ordnung der Akten nach Kreisen mit einer entsprechenden Vermischung der (Vor-)Provenienzen auf sie zurück. Die Laufzeit erstreckt sich allgemein von 1945 bis zum Ende der 1950er Jahre. Der Umfang beträgt etwa 450 lfd. m.

In den Ablieferungen der OFD können zwei Gruppen von Akten unterschieden werden: a) Generalia (ca. 10 % ) und b) Einzelfallakten. Dabei ist zu beachten, daß es sich bei den Generalia nicht so sehr um wohlgeordnete Organisationsakten im eigentlichen Sinne handelt, als vielmehr um alle möglichen Formen von Listen, Statistiken, Korrespon-denzserien, Einzelfall- und Sammelsachakten etc., die von den verschie-denen AFV und vom Finanzministerium, teilweise noch von der Mili-tärregierung und anderen Dienststellen angelegt wurden. Für gewisse

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Eigenheiten der Aktenführung mag die Frühphase der amerikanischen Verwaltung verantwortlich sein. Eine stets sichere Provenienzzuweisung ist schwierig.

Die Masse der Einzelfallakten gehorcht einem Aktenplan, dessen Ak-tenzeichen sich aus einem Länderschlüssel - W = (Nord-)Baden, X = (Nord-)Württemberg - und einem Kennbuchstaben für die Art der Ver-mögenskontrolle zusammensetzt, die in zwei Großgruppen unterteilt ist.

1. Vermögen der Vereinten Nationen und Neutraler: A Alliiertes Vermögen, F = Erbeutetes oder verschlepptes Vermögen aus Gebieten außerhalb

Deutschlands, G = Vermögen, das unter Druck oder Zwang übertragen wurde, K = Vermögen neutraler Staaten und ihrer Staatsangehörigen.

2. Deutsches Vermögen: B = Deutsches Staatsvermögen, C = Vermögen der NSDAP und ihrer Mitglieder, D = Sonstiges feindliches Vermögen, E = Vermögen von Personen, die auf der schwarzen Liste stehen, H = Vermögen von abwesenden deutschen Eigentümern, J = Sonstiges Vermögen.

Hinzu tritt eine spezielle Zahlenkombination aus Kennziffer und fort-laufender Fallnummer.

Der innere Aufbau der Einzelfallakten gehorcht allgemein einem ein-heitlichen Muster:

Freigabe, Allgemeiner Schriftwechsel, Sonderausgaben, Finanzberichte, Außen-Prüfungsberichte, Miet- und Pachtverträge, Vermögensaufsicht, Treuhänderakte und Ermittlungsunterlagen.

Dabei ist allerdings festzuhalten, daß alle Fälle der Vermögenskon-trolle, also auch die der Rückerstattung, jeweils nach dem »Eigentümer« formiert sind: Unter dem Begriff »owner« kann bei einem C-Fall der NSDAP-Funktionär und bei einem G-Fall der jüdische Alteigentümer eingetragen sein. Gerade bei den G-Fällen ist zudem oftmals eine Ver-wechslung von »owner« und »occupant« zu beobachten, so daß stets zu prüfen bleibt, ob der jüdische Alteigentümer, der jetzige Besitzer oder gar der staatlich bestellte Treuhänder gemeint ist.

Die Vermischung der Provenienzen zeichnet sich dadurch aus, daß unter den einzelnen Landkreisen vornehmlich Akten der AFV und der VGV nebeneinander stehen, doch können auch Akten der AFV von der

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VGV und OFD fortgeführt worden bzw. hin und her gewandert sein. Die Gegenakten der Ober- und Unterbehörde (identische Aktenzeichen) enthalten unterschiedliche Informations- und Evidenzwerte, was im Blick auf die Bewertung zu berücksichtigen ist.

Welche konkreten Schlußfolgerungen ergeben sich nun für die Be-wertung und Erschließung?

Der Bestand EL 402 ist in seiner Gesamtheit von bleibendem Wert, kann er doch detaillierte sich im Einzelfall oft über mehrere Akten hinweg ergänzende Einblicke in die sozialen und wirtschaftlichen Ver-hältnisse während der NS-Zeit und im Nachkriegsdeutschland ermögli-chen, Informationen über Täter und Opfer bereitstellen, die in dieser Intensität durch die Akten des Landesamtes für Wiedergutmachung, der Spruchkammern und der Schlichter für Wiedergutmachung bei den Amtsgerichten nicht gewährleistet sind ganz abgesehen von den all-gemeinen Lücken in der Uberlieferung der Jahre 1933-1945 und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Und nicht zuletzt: Der Prozeß der Ver-mögenskontrolle und Rückerstattung, der gesellschaftlich einen tiefen Einschnitt bedeutete, ist hier mit seiner Vorgeschichte, die einen ebenso tiefen Einschnitt bedeutete, flächendeckend für jeden Ort greifbar. Kas-sationen finden daher nicht statt. 3

Angesichts der oben skizzierten Behördengeschichte, wonach die OFD Karlsruhe nie über Kompetenzen in diesem Bereich verfügte, und des Vorteils, die Überlieferung zur Vermögenskontrolle entsprechend der damaligen staatlichen Gliederung jeweils in Ludwigsburg (Württem-berg-Baden), Sigmaringen (Württemberg-Hohenzollern) und Freiburg (Baden) geschlossen und provenienzgerecht (hier: Endprovenienz OFD Stuttgart) aufzubewahren, verbleiben auch die nordbadischen Kreise im Staatsarchiv Ludwigsburg.

Auch eine Erschließung, die sich an der Struktur der Akten, poten-tiellen Nutzerinteressen, den begrenzten Ressourcen des Archivs und den bisherigen Erfahrungen des Staatsarchivs Freiburg orientiert, wird die OFD als Endprovenienz ansehen und auf der Grundlage der beste-henden Ordnung einen entsprechenden Gesamtbestand bilden, der wie-derum in Teilbestände unterteilt wird: a) Generalia und b) Landkreise A

Z. Während die ersteren nach Provenienzen geordnet sind, wird jeder einzelne Kreis im Rahmen einer dreistufigen Gliederung nach dem Ort, der Vermögenskontrollart (Aktenzeichen) und dem Namen erschlossen. Bei der vorgefundenen Aktenstruktur erfolgt für die Generalia eine blo-ße Grunderschließung und für die Kreise eine Einzelfallverzeichnung mit der Angabe von Name (Firma), Ort, Laufzeit, Umfang und Akten-zeichen, wobei bei G-Fällen zusätzlich zwischen »Eigentümer« und »Besitzer« differenziert wird. Gerade die Aufschlüsselung der Aktenzeichen, die der Klassifikation zugrunde gelegt werden, öffnet den Bestand für die historische Forschung. Gegenakten werden unter einer Nummer ver-

3 Zur Bewertung vgl. auch die Hinweise von Robert Ketzschmar oben in diesem Band S. 110.

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zeichnet, ihre physische Trennung bleibt jedoch bei der Verpackung er-halten. Für die Kreise sind Orts-und Personenindizes, für die Generalia ist ein zusätzlicher Sachindex vorgesehen.

Im Rahmen eines besonderen Projekts der Landesarchivverwaltung soll der vorgestellte Bestand Kreis für Kreis durch mehrere Mitarbeiter arbeitsteilig und mit EDV (MIDOSA 95) erschlossen werden. Das Staatsarchiv Ludwigsburg hofft, dieses innerhalb von drei Jahren zum Abschluß bringen zu können.