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Vernetzte Wissenschaft Editorial Editorial Vernetzte Wissenschaft Ludwig Ries Umweltbundesamt, Bismarckplatz 1, D-14193 Berlin Die Wissenschaften sind ein Paradebeispiel daffir, daf~ seit spate- stens dem Altertum ein Austausch von Informationen fiber poli- tische und geographische Grenzen hinweg notwendig war. Auch bei den gegenwartig viel diskutierten Anwendungen von Computernetzen hatten wissenschaftliche Anwendungen seit etwa 25 Jahren eine ffihrende Funktion. 1969 wurde in den USA das Forschungsnetz DARPANET gegriindet, das verschiedenen Forschungsnehmern den Zugriff auf schwer verfiigbare Hard- und Software erm6glichte. Weiterhin verfolgte man damit das Ziel, ein Netzwerk aufzubauen, das auch dann noch weiter- funktionieren konnte, wenn Teile davon aut~er Betrieb gesetzt wurden. Damit war eine der wesentlichen Voraussetzungen for das spa- tere INTERNET geschaffen worden. Wahrend des darauffolgenden Jahrzehnts entstanden in den USA eine Reihe weiterer Netzwerke, z.T. yon Regierungsseite, z.T. yon privater Seite. Wesentliche Impulse gab in den 1980er Jahren das NSFNet, vonder National Science Foundation auf- gebaut fiir Verbindungen zwischen Universitaten und For- schungsinstituten, das jedem Computer im Netz die Verbindung mit jedem anderen Teilnehmer erm6glichte. Es ist in diesem Be- reich heute mit am bedeutendsten. Ab etwa 1990 wurde neben den bisherigen Anwendungsberei- chen Forschung, Regierung und Militar auch der Wirtschaft Zu- gang zum INTERNET gewahrt. Das INTERNET kann als mittlerweile weltweit verfiigbare, ko- ordinierte Vielheit aus einzelnen Netzwerken verstanden wer- den. Die Teilnehmer des Internet kommunizieren miteinander mit einem bestimmten standardisierten Protokoll (TCP/IP). Ffir den internationalen wissenschaftlichenAustausch bieten die elektronische Post (e-mail) oder der Dateitransfer des INTER- NET wesentliche Vorziige. Es gibt in der Bundesrepublik zwei Nutzerorganisationen, die auch privaten Teilnehmern for eine monatliche Gebfihr von etwa 70 DM den Anschlufg erm6gli- chert. Bei den in neuester Zeit diskutierten Erweiterungen vernetzter DV-Anwendungen sind wirtschaftliche Impulse vermehrt in den Vordergrund getreten. Als Folge hiervon werden Auswahlm6g- lichkeiten und Menge kurzfristig verfiigbarer Informationen weiterhin erheblich zunehmen. Im Trend zeichnet sich eine ge- wisse Divergenz von technischen M6glichkeiten einerseits und den angebotenen Inhalten andererseits ab. Entscheidend for die wissenschaftliche Praxis ist ein sorgf/iltiges Abwagen des Nutzens neuer Informationstechniken. Ffr die wissenschaftliche Arbeit dfrften in vielen Fallen elektronische Post und Dateitransfer gentigen; und zur Abfrage von Bibliogra- phien und wissenschaftlichen Publikationen sind vernetzte Da- tenbanken bestens geeignet. Eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Nutzung dieser neuen Medien bildet hier das Orientierungswissen fiber Quelle, Art und Qualitat erreichbarer Informationen. Gefragt sind Da- tenbanken fiber: Datenbanken, Bibliotheken und publizierte CD-ROM. Diese Art der Information wurde in der Praxis bisher oftmals zu gering beachtet. Schliel~lich sollte nicht fibersehen werden, daf~ auch das Publi- zieren von wissenschaftlicher Literatur gegenwartig eine fast lautlose Revolution durchlauft. Es ist ohne weiteres m6glich, auf einer CD-ROM ganze oder mehrere Jahrgfinge von Zeit- schriften sowie auf einigen wenigen CD's Enzykiopadien zu ver- 6ffentlichen. Integrierte Abfragemechanismen erm6glichen eine v611ig neue Art des Zugriffs. Die auf diese Weise vorbereiteten Publikationen entsprechen in ihrem Wesen bereits einer Daten- bank. Fassen wir zusammen: Ffir die Naturwissenschaften besteht ein wesentlicher Vorteil der Informationstechnik in der Bfindelung von Informationen. Ob Netzwerk, elektronische Post, Daten- bank oder CD, mit diesen Medien sind um Gr6t~enordnungen mehr Informationen fast sofort am Arbeitsplatz verffigbar. Dies ist bei der gegenwartig rasanten Zunahme wissenschaftlicher Er- kenntnis auch eine notwendige Voraussetzung zur erfolgreichen Forschung. Deutlich wird hierbei die zunehmende Rolle der In- formationsrecherche ffir die naturwissenschaftliche Arbeit. Was werden uns kfinftige Entwicklungen bringen? Einen brauchbaren Ansatz zur Ersparnis von Zeit und Reiseko- sten k6nnen digitale Videokonferenzen ergeben, falls die derzeit noch relativ hohen Kosten erheblich gesenkt werden. Denkbar und ohne allzu grof~e Einschr~inkungen machbar ist eine virtuelle Bibliothek, in der sich der Inhalt aller wissen- schaftlichen Bibliotheken der Welt vernetzt befindet. Aber werden wir auch Cyberhelm, Joystick und Cybernauten- stiefel brauchen, um diese virtuelle Bibliothek zu besuchen? Das wird letztlich von unserer Entscheidung abhfingen. Eine gut konstruierte Datenbank fiber alle Bibliotheken der Welt sollte auch genfigen; wenn nicht fiber Netz erreichbar, dann auf CD- ROM geliefert, und vierteljahrlich erneuert - versteht sich. Auch bier gilt in leicht abgeanderter Form der Satz Einsteins: ,,So einfach wie m6glich und nur so kompliziert wie unbedingt notwendig." Die Regel ,,weniger ist mehr" kann helfen, uns den Informationskollaps zu ersparen. Auf jeden Fall sollten wir bereits Heute die Weichen so stellen, daft auch in Zukunft die wichtigsten Ideen und Entscheidungen in unseren eigenen K6pfen ablaufen. Bei zuvielen Netzen ver- fangt man sich zu leicht. 192 UWSF - Z. Umweltchem. Okotox. 7 (4) 192 (1995) ecomed verlagsgesellschaft AG & Co.KG Landsberg

Vernetzte Wissenschaft

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Vernetzte Wissenschaft Editorial

Editorial

Vernetzte Wissenschaft

Ludwig Ries

Umweltbundesamt, Bismarckplatz 1, D-14193 Berlin

Die Wissenschaften sind ein Paradebeispiel daffir, daf~ seit spate- stens dem Altertum ein Austausch von Informationen fiber poli- tische und geographische Grenzen hinweg notwendig war.

Auch bei den gegenwartig viel diskutierten Anwendungen von Computernetzen hatten wissenschaftliche Anwendungen seit etwa 25 Jahren eine ffihrende Funktion. 1969 wurde in den USA das Forschungsnetz DARPANET gegriindet, das verschiedenen Forschungsnehmern den Zugriff auf schwer verfiigbare Hard- und Software erm6glichte. Weiterhin verfolgte man damit das Ziel, ein Netzwerk aufzubauen, das auch dann noch weiter- funktionieren konnte, wenn Teile davon aut~er Betrieb gesetzt wurden.

Damit war eine der wesentlichen Voraussetzungen for das spa- tere INTERNET geschaffen worden.

Wahrend des darauffolgenden Jahrzehnts entstanden in den USA eine Reihe weiterer Netzwerke, z.T. yon Regierungsseite, z.T. yon privater Seite. Wesentliche Impulse gab in den 1980er Jahren das NSFNet, vonder National Science Foundation auf- gebaut fiir Verbindungen zwischen Universitaten und For- schungsinstituten, das jedem Computer im Netz die Verbindung mit jedem anderen Teilnehmer erm6glichte. Es ist in diesem Be- reich heute mit am bedeutendsten.

Ab etwa 1990 wurde neben den bisherigen Anwendungsberei- chen Forschung, Regierung und Militar auch der Wirtschaft Zu- gang zum INTERNET gewahrt.

Das INTERNET kann als mittlerweile weltweit verfiigbare, ko- ordinierte Vielheit aus einzelnen Netzwerken verstanden wer- den. Die Teilnehmer des Internet kommunizieren miteinander mit einem bestimmten standardisierten Protokoll (TCP/IP).

Ffir den internationalen wissenschaftlichen Austausch bieten die elektronische Post (e-mail) oder der Dateitransfer des INTER- NET wesentliche Vorziige. Es gibt in der Bundesrepublik zwei Nutzerorganisationen, die auch privaten Teilnehmern for eine monatliche Gebfihr von etwa 70 DM den Anschlufg erm6gli- chert.

Bei den in neuester Zeit diskutierten Erweiterungen vernetzter DV-Anwendungen sind wirtschaftliche Impulse vermehrt in den Vordergrund getreten. Als Folge hiervon werden Auswahlm6g- lichkeiten und Menge kurzfristig verfiigbarer Informationen weiterhin erheblich zunehmen. Im Trend zeichnet sich eine ge- wisse Divergenz von technischen M6glichkeiten einerseits und den angebotenen Inhalten andererseits ab.

Entscheidend for die wissenschaftliche Praxis ist ein sorgf/iltiges Abwagen des Nutzens neuer Informationstechniken. F f r die wissenschaftliche Arbeit dfrften in vielen Fallen elektronische Post und Dateitransfer gentigen; und zur Abfrage von Bibliogra-

phien und wissenschaftlichen Publikationen sind vernetzte Da- tenbanken bestens geeignet.

Eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Nutzung dieser neuen Medien bildet hier das Orientierungswissen fiber Quelle, Art und Qualitat erreichbarer Informationen. Gefragt sind Da- tenbanken fiber: Datenbanken, Bibliotheken und publizierte CD-ROM. Diese Art der Information wurde in der Praxis bisher oftmals zu gering beachtet.

Schliel~lich sollte nicht fibersehen werden, daf~ auch das Publi- zieren von wissenschaftlicher Literatur gegenwartig eine fast lautlose Revolution durchlauft. Es ist ohne weiteres m6glich, auf einer CD-ROM ganze oder mehrere Jahrgfinge von Zeit- schriften sowie auf einigen wenigen CD's Enzykiopadien zu ver- 6ffentlichen. Integrierte Abfragemechanismen erm6glichen eine v611ig neue Art des Zugriffs. Die auf diese Weise vorbereiteten Publikationen entsprechen in ihrem Wesen bereits einer Daten- bank.

Fassen wir zusammen: Ffir die Naturwissenschaften besteht ein wesentlicher Vorteil der Informationstechnik in der Bfindelung von Informationen. Ob Netzwerk, elektronische Post, Daten- bank oder CD, mit diesen Medien sind um Gr6t~enordnungen mehr Informationen fast sofort am Arbeitsplatz verffigbar. Dies ist bei der gegenwartig rasanten Zunahme wissenschaftlicher Er- kenntnis auch eine notwendige Voraussetzung zur erfolgreichen Forschung. Deutlich wird hierbei die zunehmende Rolle der In- formationsrecherche ffir die naturwissenschaftliche Arbeit.

Was werden uns kfinftige Entwicklungen bringen?

Einen brauchbaren Ansatz zur Ersparnis von Zeit und Reiseko- sten k6nnen digitale Videokonferenzen ergeben, falls die derzeit noch relativ hohen Kosten erheblich gesenkt werden.

Denkbar und ohne allzu grof~e Einschr~inkungen machbar ist eine virtuelle Bibliothek, in der sich der Inhalt aller wissen- schaftlichen Bibliotheken der Welt vernetzt befindet.

Aber werden wir auch Cyberhelm, Joystick und Cybernauten- stiefel brauchen, um diese virtuelle Bibliothek zu besuchen?

Das wird letztlich von unserer Entscheidung abhfingen. Eine gut konstruierte Datenbank fiber alle Bibliotheken der Welt sollte auch genfigen; wenn nicht fiber Netz erreichbar, dann auf CD- ROM geliefert, und vierteljahrlich erneuert - versteht sich.

Auch bier gilt in leicht abgeanderter Form der Satz Einsteins: ,,So einfach wie m6glich und nur so kompliziert wie unbedingt notwendig." Die Regel ,,weniger ist mehr" kann helfen, uns den Informationskollaps zu ersparen.

Auf jeden Fall sollten wir bereits Heute die Weichen so stellen, daft auch in Zukunft die wichtigsten Ideen und Entscheidungen in unseren eigenen K6pfen ablaufen. Bei zuvielen Netzen ver- fangt man sich zu leicht.

192 UWSF - Z. Umweltchem. Okotox. 7 (4) 192 (1995) �9 ecomed verlagsgesellschaft AG & Co.KG Landsberg