4
E in Tag im Herbst 2017, im Mail- postfach liegt eine Nachricht von Lois Hechenblaikner: „Da staun- te ich nicht schlecht, dass auf der Bergstations-Baustelle in Fügen ein 60-Tonnen-Kran aus München steht. Man sagte mir: Alle Kräne in Tirol seien ausge- bucht, weil heuer so viele neue Lifte ge- baut würden. Also wenn wir euch Bayern nicht hätten …“ Das angehängte Foto zeigt einen blauen Kran mit der Aufschrift „AKM München“, mitten im Schnee. Lois Hechenblaikner, der Anfang Januar 2018 seinen 60. Geburtstag feierte, ist Au- genzeuge, Zeitzeuge, Ironiker, Fotograf, Tiroler und, in eigenen Worten, „ein Pro- dukt des Massentourismus“. Er hat erlebt, wie seine Heimat in nicht einmal drei Jahr- zehnten vom engen Land hinter den sieben Bergen zu einer der wohlhabendsten Regi- onen Europas geworden ist. Seine Eltern hatten eine Pension in Reith im Alpbachtal, 40 Gästebetten und ein angeschlossenes Café. „Als ich morgens in der Küche meinen Kakao getrunken habe, haben mir immer fremde Leute über die Schulter gesehen“, sagt er. Was er noch mitbekam, war die an- fängliche Bewunderung der Tiroler für die Menschen aus dem reichen Deutschland – und die Maske der Verstellung, mit der man ihnen begegnete. Noch heute hat er den Singsang der Mutter im Ohr, mit dem sie die Stammgäste begrüßte: „Seid’s wieder Verstellte Schmerzhafte Bildkunst Berge Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner zeigt, was Massentourismus mit Menschen und Landschaf- ten macht. Deshalb gilt er manchen Landsleuten als Nestbeschmutzer – ein Missverständnis. Text: Axel Klemmer 50 DAV 1/2018

Verstellte - Deutscher Alpenverein (DAV) · Hechenblaikner plötzlich als Nestbe-schmutzer. Drei Jahre später zeigte er seine letzte, mehrfach ausgezeichnete Multivi-sion „Wo ist

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Verstellte - Deutscher Alpenverein (DAV) · Hechenblaikner plötzlich als Nestbe-schmutzer. Drei Jahre später zeigte er seine letzte, mehrfach ausgezeichnete Multivi-sion „Wo ist

Ein Tag im Herbst 2017, im Mail-postfach liegt eine Nachricht von Lois Hechenblaikner: „Da staun- te ich nicht schlecht, dass auf

der Bergstations-Baustelle in Fügen ein 60-Tonnen-Kran aus München steht. Man sagte mir: Alle Kräne in Tirol seien ausge-bucht, weil heuer so viele neue Lifte ge-baut würden. Also wenn wir euch Bayern nicht hätten …“ Das angehängte Foto zeigt einen blauen Kran mit der Aufschrift „AKM München“, mitten im Schnee.

Lois Hechenblaikner, der Anfang Januar 2018 seinen 60. Geburtstag feierte, ist Au-genzeuge, Zeitzeuge, Ironiker, Fotograf, Tiroler und, in eigenen Worten, „ein Pro-dukt des Massentourismus“. Er hat erlebt, wie seine Heimat in nicht einmal drei Jahr-zehnten vom engen Land hinter den sieben Bergen zu einer der wohlhabendsten Regi-onen Europas geworden ist. Seine Eltern hatten eine Pension in Reith im Alpbachtal, 40 Gästebetten und ein angeschlossenes

Café. „Als ich morgens in der Küche meinen Kakao getrunken habe, haben mir immer fremde Leute über die Schulter gesehen“, sagt er. Was er noch mitbekam, war die an-fängliche Bewunderung der Tiroler für die Menschen aus dem reichen Deutschland – und die Maske der Verstellung, mit der man ihnen begegnete. Noch heute hat er den Singsang der Mutter im Ohr, mit dem sie die Stammgäste begrüßte: „Seid’s wieder

VerstellteSchmerzhafte

Bildkunst

BergeDer Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner zeigt, was Massentourismus mit Menschen und Landschaf-ten macht. Deshalb gilt er manchen Landsleuten als Nestbeschmutzer – ein Missverständnis.

Text: Axel Klemmer

50 DAV 1/2018

Page 2: Verstellte - Deutscher Alpenverein (DAV) · Hechenblaikner plötzlich als Nestbe-schmutzer. Drei Jahre später zeigte er seine letzte, mehrfach ausgezeichnete Multivi-sion „Wo ist

da …“ So etwas vergisst ein kleiner Mensch nicht, wenn er größer wird und schließlich einen Beruf wählen muss.

Lois wurde Kfz-Elektriker. Ein Freund von ihm war Koch und tingelte von Job zu Job, rund um die Welt. Und so ging Lois Hechenblaikner mit Anfang 20 ebenfalls auf Reisen. Viele Jahre lang war er unterwegs, besonders gern in Asien. Fo-tografiert hat er dabei auch,

zuerst nebenbei, dann immer engagierter und schließlich, ab Mitte der 1980er Jahre, sehr erfolgreich für den Lebensunterhalt: klassische Reisefotografie, schön anzuse-hen in edlen Bildbänden und Multivisio-nen vor großem Publikum.

Doch der Weltenbummler mit der Ka-mera begann zu zweifeln, nicht nur an der eigenen Rolle als Rädchen im Getriebe des kommerzialisierten Fernreisegeschäfts. Er suchte neue Freiheiten, neue Herausfor-derungen – und fand sie zu Hause in Tirol. 1997 wurde eine Ausstellung seiner Bilder vom Open-Air-Spektakel der „Zillertaler Schürzenjäger“ im Europahaus Mayrhofen unmittelbar vor der Eröffnung untersagt: Nur wenige Jahre nach den Dreharbeiten zur legendären TV-Farce „Piefke-Saga“ galt

Zeitzeuge, Ironiker und Produkt des

Massentourismus

Foto

: Loi

s Hec

henb

laik

ner

14. Oktober 2017: offizieller Start in die Skisaison im Ski-gebiet Kitzbühel-Kirchberg

Menschen

DAV 1/2018 51

Page 3: Verstellte - Deutscher Alpenverein (DAV) · Hechenblaikner plötzlich als Nestbe-schmutzer. Drei Jahre später zeigte er seine letzte, mehrfach ausgezeichnete Multivi-sion „Wo ist

Hechenblaikner plötzlich als Nestbe-schmutzer. Drei Jahre später zeigte er seine letzte, mehrfach ausgezeichnete Multivi-sion „Wo ist Tirol?“ auf großer Bühne, dann machte der Leica-Fotograf einen radikalen Schnitt. Er stellte seine gesammelte Reise-fotografie unter Verschluss und kaufte sich eine teure, umständlich zu bedienende Großbildkamera. Damit lichtete er weiter-hin touristische Motive ab: verbaute Berge und Skipisten im Sommer, bizarre Hotel-architektur, Seilbahnanlagen und Infra-strukturen. Und er zeigte Menschen, die in dieser Hybridlandschaft Dienste verrich-teten und Freizeit konsumierten.

Im Grunde genommen arbeitet Lois Hechenblaikner als Anthropologe; sein Forschungsgebiet ist die Wildnis des wort-wörtlichen Fremden-Verkehrs: Zuerst ver-ändert der Mensch die Landschaft, dann entsteht in der veränderten Umgebung eine neue Unterart des Homo sapiens, des-sen sapientia (lat.: Verstand) die Kamera bis zur Schmerzgrenze genau dokumen-tiert. Klar, diese Bilder taugen nicht mehr zur Animation. Der Fotograf hat die Seiten gewechselt, vom Reisemarkt hinüber ins Fach Kunst und Kultur, zu Galerien und Museen. Seine Bücher erscheinen im re-nommierten Steidl-Verlag, neben den Werken einiger der berühmtesten Foto-grafen weltweit.

Im Band „Hinter den Bergen“ (2015) ver-bindet er historische und zeitgenössische Aufnahmen: alte Zäune auf der Almwei-de und Skispaliere im Schnee; Frauen an Spinnrädern und Frauen auf Hightech-Ergo metern; der Bergbauer neben dem Ochsen und der Nachkomme des Bergbau-ern neben dem Pistenbully. Gegenüber-

stellungen illustrieren die Kluft zwischen gestern und heute, zwischen Anspruch und Realität. Das funktioniert auch beim Langzeitprojekt über den Ballermann in Ischgl: hier die Skifans in heruntergelasse-nen Hosen beim Bespritzen einer Sexpup-pe mit brauner Schoko-Pampe – dort der Pfarrer mit seinen blütenweißen Minist-ranten, mit dem Herrn Bürgermeister und den Gemeinderäten im fleckfreien Amts-loden bei der Einweihung der neuen Seil-bahn. Sollte Hechenblaikner wirklich der Einzige sein, dem das komisch vorkommt?

2017 war er einer von neun Gewinnern des alljährlich ausgeschriebenen Wettbe-werbs „Kunst im öffentlichen Raum des Landes Tirol“. Pünktlich zum winterlichen Saisonstart im November konterkarierte er auf 150 Leuchttafeln im Stadtgebiet Inns-bruck die originalen Texte der Tirol Wer-bung zu den fünf „Werten der Marke Tirol“ (stark, eigenwillig, echt, verbunden, mutig) mit seinen nicht weniger originalen Bil-dern aus der alpinen Spaßzone.

Zwei Missverständnisse verzerren seine öffentliche Wahrnehmung. Dass er ein Gegner des Tourismus sei, lautet das eine. Nun, Lois Hechenblaikner ist nicht gegen den Tourismus, sondern für einen besse-ren. Und dass er mit dieser Haltung iso-liert in seiner Heimat sei? Das mögen manche Touristiker so sehen – oder viel-leicht auch andere Fotografen, die ihren Lebensunterhalt mit „schönen“ Bildern verdienen, in denen es naturgemäß nichts Unschönes zu sehen gibt.

Hechenblaikner polarisiert vor allem deshalb, weil er nicht nur scheußliche

LOIS HECHENBLAIKNER (* 5.1.1958)„Einer meiner schwierigsten, aber auch wichtigsten Schritte war die Wand- lung vom Reisefotografen zu einem Fotografen, der auch im Kunstkontext wahrgenommen wird.“ › 1985-2000: Ausgedehnte Reisen, v.a. nach Ostasien, und Multivisions- Tourneen; Kodarama Award „Best of the year“ 1995/96

› 1997: Ein Schlüsseljahr – Verbot der Ausstellung „Die Befreiung des Ziller- tales“ (mit Bildern vom Open Air der Zillertaler Schürzenjäger) in Mayr- hofen; der Versuch einer Klage gegen Hechenblaikner wegen Verleumdung scheitert

› 2000: Die letzte Multivision „Wo ist Tirol?“; danach Weiterentwicklung von der Kleinbild- zur Großformatfotografie und zahlreiche Einzelausstellungen

› 2015: Aufnahme in die Deutsche Fotografische Akademie (DFA) › Foto-Bildbände (Auswahl): off piste (2009), Winter Wonderland (2012), Hinter den Bergen (2015), Volksmusik (2018)

Mehr Information unter hechenblaikner.at

Foto

s: L.

Hech

enbl

aikn

er, A

. Kni

ely/

Arch

iv H

eche

nbla

ikne

r (l.o

.)

52 DAV 1/2018

Page 4: Verstellte - Deutscher Alpenverein (DAV) · Hechenblaikner plötzlich als Nestbe-schmutzer. Drei Jahre später zeigte er seine letzte, mehrfach ausgezeichnete Multivi-sion „Wo ist

Oberflächen zeigt, sondern tief hinab in die Maschinenräume der Tourismusin-dustrie steigt – denn um eine Industrie handelt es sich. In der Fotoserie „Inten-sivstationen“ zeigt er die Alkohol-Pipelines unter den so genannten Skihütten: Lei-tungen für Glühwein und Jagatee, sauber

beschriftet, und darüber den Schaltkasten mit dem Aufkleber „Romantik-Hütte“. Zu solchen Motiven kommt er freilich nicht ohne das Okay der Unternehmer und Gas-tronomen vor Ort, die ihn sehr oft respek-tieren, weil sie hinter seiner Kritik ehrli-ches Interesse, Anteilnahme und nicht zuletzt auch fachliche Kompetenz erken-nen. Hechenblaikner, selbst ausgebildeter Barista, kann sich über Kaffeemischungen ebenso sachkundig unterhalten wie über Betonmischungen, er spricht mit dem

Starkoch im Hauben-Restaurant und mit dem Polier auf der Seilbahnbaustelle. Die Sorgen der Branche sind ihm bekannt, der fehlende Nachwuchs etwa, die Schulden und die gescheiterten Betriebsübergaben, der dramatische Mangel an Köchen und Servicekräften. Stundenlang kann er tou-

ristische Biografien und Schicksale ausbreiten – ohne jede Gehässigkeit im Ton, nicht selten fas-sungslos. Sein Humor mag bissig sein, zynisch

ist er nie. „Dass die Seilbahner und Touris-tiker alle Idioten sind, wird man von mir nie hören – weil es nicht stimmt“, sagt er.

Und die Berge? Lois Hechenblaikner ist kein Bergsteiger, und wenn er die Land-schaft beschreibt, in der er groß geworden ist, klingt er distanziert, beinahe scheu. Als rede er über eine hohe Herrschaft weit hinten im Tal, über den Dingen stehend und eigentlich immun gegen den touris-tischen Virus, der sie befallen hat. „Diese abwechslungsreiche Topografie hat einen großen ästhetischen Reiz“, sagt er. Oder: „So eine frisch verschnei-te Winterlandschaft ist echte Seelen-

nahrung.“ Aber sie deshalb fotografieren? „Das machen genug andere.“

So arbeitet er weiter, als investigativer Journalist, Soziologe, Chronist und Künst-ler, als Jäger und Sammler im Paralleluni-versum der alpinen Freizeitindustrie. Teilt aus und steckt ein. Wenige Tage nach der Mail mit dem Münchner Kran im Zillertal schickt er das Foto zweier Trompete spie-lender Männer. Dazu schreibt er: „Die bei-den waren bei meinem Vortrag am Tegern-see, letztes Jahr. Der eine sagte damals, er könne sich vorstellen, dass es für mich recht schwer sei, mit meiner Haltung in meinem Dorf zu leben. Vor zwei Tagen rief er mich wieder an. Sie würden morgen einen Ausflug nach Alpbach machen und mir bei der Gelegenheit aus Solidarität für meine Arbeit ein Ständchen blasen. Und so standen sie heute um 9 Uhr mit ihren Trompeten vor dem Haus. So ein Zuspruch freut mich ungemein.“ –

Axel Klemmer wurde wie Lois Hechenblaikner ebenfalls als Kind durch den Tourismus geprägt – während ungezählter Touren und Urlaube in den Alpen. Was die Menschen dort über ihn und seine Eltern gedacht haben mochten?

Jäger und Sammler imParalleluniversum

„Hinter den Bergen“ haben sich Berufsbilder geändert (l.). In touristischen „Intensivstationen“ fließt ein besonderer Saft durch die Arterien (u.).

Menschen

DAV 1/2018 53